Traumfrau gesucht! (11-teilige Serie) - Lois Faye Dyer - E-Book

Traumfrau gesucht! (11-teilige Serie) E-Book

Lois Faye Dyer

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Beschreibung

Ein Millionär am Ende seiner Tage möchte all seine Söhne glücklich sehen und spielt Amor …

Folgende Romane der 11-teiligen Serie sind in diesem E-Book-Paket enthalten:

  • Heirat - nicht nur aus Liebe? – von Lois Faye Dyer
  • Ein Millionär entdeckt die Liebe – von Christine Flynn
  • Bitte sag Ja zur Liebe – von Patricia Kay,
  • Milliardär sucht Braut – von Allison Leigh,
  • Wie ein Wirbelwind in meinem Herzen – von Allison Leigh
  • Ich wünsch mir einen Kuss von dir – von Christine Flynn
  • Ein Womanizer fürs Leben? – von Lois Faye Dyer
  • Happy End mit Mr. Prince? – von Patricia Kay
  • Nur du bist meine Welt – von Patricia Kay
  • Weihnachtswunder in Port Orchard – von Christine Flynn
  • Es war einmal am Valentinstag ... – von Allison Leigh


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EPUB

Seitenzahl: 2086

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Lois Faye Dyer, Christine Flynn, Patricia Kay, Allison Leigh

Traumfrau gesucht! (11-teilige Serie)

IMPRESSUM

Heirat - nicht nur aus Liebe? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2007 by Louis Faye Dyer Originaltitel: „The Princess and the Cowboy“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCABand 1701 - 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Stefanie Rudolph

Umschlagsmotive: GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733717797

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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PROLOG

Mit dem Billardqueue in der Hand lehnte Justin Hunt lässig am Bücherregal, das mit ledergebundenen Shakespeare-Ausgaben gefüllt war. Zu verwaschenen Jeans trug er staubige schwarze Cowboystiefel, sein Stetson lag auf einem der Ledersessel. Es war die Arbeitskleidung, die er auf seiner Ranch in Idaho immer trug – schließlich hatte er nicht ahnen können, dass er ohne Vorwarnung zu einem dringenden Familientreffen in Seattle gerufen werden würde. Es war über einen Monat her, seit er und seine drei Brüder sich hier getroffen hatten – in der Nacht, als ihr Vater einen Herzinfarkt erlitten hatte.

„Verflixt, ich bin ganz schön aus der Übung“, stöhnte Gray, als er zum wiederholten Mal einen Stoß verfehlte. „Du bist dran, Justin.“

Justin stieß sich von der Bücherwand ab und ging langsam um den Billardtisch herum, um die Lage der restlichen Kugeln zu prüfen. Der ganze Raum war hell erleuchtet. Direkt über dem Tisch funkelte eine Tiffanylampe, zwischen den Bücherregalen hingen Wandleuchten, auf Beistelltischen neben den Sesseln standen Stehlampen.

Den hinteren Teil des Raums nahm Harrison Hunts imposanter Mahagonischreibtisch ein, der durch in die Decke eingelassene Strahler ins rechte Licht gesetzt wurde. Vom Chefsessel aus konnte man durch die Panoramafenster auf den privaten Strand am Lake Washington hinunterblicken. Dahinter ragte die Skyline von Seattle empor.

Justin brachte sein Queue in Position. Die luxuriöse Umgebung nahm er schon gar nicht mehr wahr. Sein Vater hatte den Billardtisch in der Bibliothek aufstellen lassen, als seine Söhne Teenager gewesen waren. Als Folge hatten sich die vier Jungs dort oft aufgehalten, wenn ihr Vater von zu Hause aus gearbeitet hatte. Zu einer engeren Vater-Söhne-Bindung hatte es deshalb trotzdem nicht geführt.

„Weiß eigentlich jemand, warum uns der alte Herr herbestellt hat?“, fragte er, während er die nächste Kugel versenkte.

Gray, der mit zweiundvierzig der älteste der vier Brüder war, zuckte die Achseln. „Er hat nichts dazu sagen wollen.“

„Harry hat dich höchstpersönlich zu sich zitiert? Mich auch.“ Alex, mit sechsunddreißig nur zwei Jahre älter als Justin, hatte es sich in einem der Ledersessel bequem gemacht. Er prostete mit seiner halb leeren Bierflasche dem zweitältesten Bruder zu, der ihm gegenübersaß. „Und was ist mit dir, J.T.? Hat dich Harry auch mit einem persönlichen Anruf beehrt?“

J.T. gähnte und rieb sich die Augen. „Allerdings. Ich habe ihm erklärt, dass ich in Neu-Delhi für den Rest der Woche alle Termine absagen und für den Hin- und Rückflug jeweils einen Tag im Flugzeug verbringen muss. Aber er hat darauf bestanden, dass ich trotzdem komme. Und bei dir, Justin?“

„Dasselbe. Ich war auf der Ranch. Er wollte unbedingt, dass ich sofort komme, hat aber nicht gesagt, warum es so eilig ist.“

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür, und ihr Vater kam herein. Harrison Hunt war wie alle seine Söhne groß und schlank. In seinem schwarzen Haar zeigten sich nur vereinzelt silberne Strähnen. Die Hornbrille betonte noch den Ausdruck von Intelligenz, der in seinen blauen Augen lag. Dies war der Mann, der die Programmiersprachen und die Computersoftware entwickelt hatte, mit der HuntCom zum Marktführer geworden war. Dass er erst kürzlich einen Herzinfarkt überstanden hatte, merkte man ihm nicht im Geringsten an.

„Ah, da seid ihr ja alle. Hervorragend.“ Harry ging mit entschlossenen Schritten auf seinen Schreibtisch zu und setzte sich. „Kommt her, Jungs.“

Justin legte das Queue auf den Billardtisch, setzte seinen Stetson auf und zog ihn tief ins Gesicht. Obwohl vor dem Schreibtisch vier Stühle aufgereiht waren, zogen es alle vier Brüder vor, stehen zu bleiben.

Mit den Daumen in den Taschen seiner Jeans lehnte sich Justin an die Wand, sodass er sich ganz am Rande des Blickfelds seines Vaters befand.

„Warum setzt du dich nicht?“, fragte Harry ihn stirnrunzelnd.

„Danke, ich stehe lieber.“

Harry ließ den Blick über die anderen schweifen. Gray stützte sich auf einen der Stühle, Alex lehnte an der anderen Wand, und J.T. stand hinter dem Sideboard, das den Lesebereich vom Arbeitsbereich trennte.

Ungeduldig zuckte Harry die Achseln. „Wie ihr wollt. Ob ihr sitzt oder steht macht keinen Unterschied. Das Ergebnis des Treffens wird dasselbe sein.“

Er räusperte sich. „Seit meinem Zusammenbruch habe ich eine Menge über diese Familie nachgedacht. Bisher hat es mich nicht weiter gestört, dass ihr keine Anstalten macht, die Zukunft unseres Familiennamens zu sichern. Aber ich hätte an dem Herzinfarkt sterben können – ich kann jeden Augenblick sterben.“

Harry legte die Hände auf den Schreibtisch und erhob sich. „Und mir ist klar geworden, dass ihr vier nie freiwillig heiraten werdet – was bedeutet, dass ich keine Enkelkinder bekomme. Doch der Name Hunt darf mit euch nicht aussterben. Ich werde die Zukunft unserer Familie nicht länger dem Zufall überlassen. Ich gebe euch ein Jahr. Am Ende dieses Jahres wird nicht nur jeder von euch verheiratet sein, sondern auch ein Kind haben oder zumindest mit seiner Frau eins erwarten.“

Verblüfftes Schweigen breitete sich aus.

„Klar“, murmelte J.T. schließlich ironisch.

Justin unterdrückte ein Lachen und tauschte einen Blick mit Gray, der ebenfalls Mühe hatte, ernst zu bleiben. Alex hob nur eine Augenbraue und nahm einen Schluck aus seiner Bierflasche.

„Wenn nur einer von euch sich weigert“, fügte Harry hinzu, als hätte er ihre Reaktionen gar nicht bemerkt, „werden alle von euch ihre Positionen bei HuntCom verlieren. Und damit auch die Sonderrechte, die euch so viel bedeuten.“

Justin erstarrte. Wie bitte?

Auch Gray wirkte schlagartig ernüchtert. „Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Das ist mein voller Ernst.“

„Bei allem Respekt, Harry“, bemerkte J.T., „wie willst du denn die Firma ohne uns führen? Ich bin gerade mit dem Ausbau von drei Niederlassungen gleichzeitig beschäftigt: hier in Seattle, in Jansen und in Neu-Delhi. Wenn ein anderer Architekt die Bauleitung übernimmt, wird es Monate dauern, bis er auf dem Laufenden ist. Die Verzögerung würde HuntCom ein Vermögen kosten.“

„Das spielt dann keine Rolle mehr: Wenn ihr vier euch weigert, werde ich HuntCom nämlich verkaufen. In Stücken, wenn es sein muss. Dann gibt es keinen Neubau in Delhi. Und Hurricane Island ist auch Geschichte.“

Harry ließ den Blick von J.T. zu Justin wandern. „Natürlich würde ich auch die HuntCom-Anteile an der Ranch in Idaho verkaufen.“ Er sah Alex an. „Außerdem würde ich die Stiftung schließen.“ Zuletzt betrachtete er Gray. „Und wenn es keine Firma mehr gibt, braucht sie auch keinen Vorsitzenden mehr.“

„Das ist doch verrückt“, sagte Alex. „Was willst du damit denn erreichen?“

„Dass ihr alle eine Familie gegründet habt, bevor ich sterbe“, erwiderte Harry prompt. „Und zwar mit einer Frau, die eine gute Ehefrau und Mutter ist. Cornelia wird sich eure Auserwählten vorher ansehen.“

„Tante Cornelia weiß Bescheid?“ Justin konnte kaum glauben, dass seine „Tante“, die Witwe von Harrys bestem Freund, in diesen irrwitzigen Plan eingeweiht war.

„Noch nicht.“

Erleichtert atmete er auf. Cornelia würde Harry diese Schnapsidee sicher ausreden. Sie war die Einzige, auf die er überhaupt hörte. Zumindest manchmal.

„Also noch mal zum Mitschreiben“, sagte Justin langsam. „Nur um sicher zu sein, dass ich das richtig verstanden habe. Jeder von uns muss sich bereit erklären, innerhalb eines Jahres zu heiraten und ein Kind zu bekommen …“

„Ihr müsst euch alle dazu bereit erklären“, unterbrach ihn Harry. „Alle vier. Wenn einer sich weigert, verlieren alle. In dem Fall könnt ihr euch von eurem bisherigen Leben mit den Jobs bei HuntCom verabschieden.“

Justin ignorierte Harrys Einwurf und die entrüsteten Kommentare seiner Brüder und fuhr fort: „… und die Frauen müssen alle Tante Cornelias Zustimmung finden.“

Harry nickte. „Sie ist eine kluge Frau. Sie wird erkennen, ob eure Kandidatinnen sich für die Ehe eignen. Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen: Ihr dürft ihnen nicht verraten, dass ihr reich seid. Oder dass ihr meine Söhne seid. Ich will keine Schwiegertochter, die nur aufs Geld aus sind. Auf solche Frauen bin ich schließlich selbst immer reingefallen. Meine Fehler braucht ihr nun wirklich nicht nachzumachen.“ Er atmete tief durch und setzte etwas ruhiger hinzu: „Ihr habt jetzt Zeit, darüber nachzudenken, und zwar genau bis in drei Tagen um Punkt acht Uhr abends – keine Minute später. Wenn ich bis dahin nichts von euch gehört habe, werde ich meine Anwälte anweisen, nach Käufern für die HuntCom-Unternehmen zu suchen.“

Er stand auf, trat hinter dem Schreibtisch hervor und ging hinaus, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Sprachlos starrten die vier Brüder zur Tür, die sich leise hinter ihrem Vater schloss. In ihren Gesichtern spiegelten sich ihr Ärger und ihre Ungläubigkeit.

„So ein Mistkerl“, sagte Justin nach einer Weile leise. „Ich glaube, er meint es wirklich ernst.“

1. KAPITEL

Lily Spencer stand in der Küche ihres Stadthauses und las bei einer Tasse grünen Tees die Zeitung, die sie auf der weißen Marmorarbeitsplatte ausgebreitet hatte. Die frühe Morgensonne fiel durchs Fenster hinter ihr, und sie genoss die friedlichen, ruhigen Momente, bevor ihre Tochter aufwachte. Den Wirtschaftsteil überflog sie und blätterte weiter zur Lokalseite der Seattle Times, auf der ihr das Bild eines Joggers am Lake Green auffiel.

Lily hielt den Atem an und ließ die Tasse sinken. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie, die Gesichtszüge des Mannes zu erkennen, der den Kopf halb abgewandt hatte. Trotzdem wusste sie instinktiv, dass es sich um Justin Hunt handelte. Auf dem Foto trug er ein graues Achselshirt mit dem Logo der Universität von Washington und schwarze Shorts, sodass seine kräftigen Arm- und Beinmuskeln zu sehen waren. Seine gebräunte Haut glänzte vor Schweiß.

Stirnrunzelnd las Lily die Bildunterschrift, die ihren ersten Eindruck bestätigte. Der Jogger war tatsächlich Justin Hunt, der sich wegen eines Termins in Seattle aufhielt. Der Reporter spekulierte, dass es sich um eine wichtige Familienangelegenheit handeln müsse, da alle vier Brüder in den letzten vierundzwanzig Stunden in der Stadt gesehen worden waren.

Lily beugte sich über die Zeitung und strich mit den Fingerspitzen über das Foto. Als sie bemerkte, was sie da tat, presste sie die Lippen aufeinander und richtete sich hastig auf.

Er ist also wieder in der Stadt. Na und?

Nach der Trennung von Justin hatte sie den Lake Green zum Joggen gemieden. Der breite Sandweg, der um den ganzen See herumführte, war zwar ihre Lieblingsstrecke gewesen, aber sie wollte nicht das Risiko eingehen, Justin dort wiederzusehen – weder allein noch mit einer anderen Frau.

Und mittlerweile kam sie sowieso nur noch selten zum Joggen.

Aus dem Babyfon neben dem Toaster ertönte eine verschlafene Stimme. Lily schaute auf die Armbanduhr und lächelte. Pünktlich wie immer, dachte sie.

„Mama. Mama“, hörte sie Ava rufen.

Sie faltete die Zeitung zusammen und ging nach oben. Glücklich strahlte Ava sie an und streckte die Ärmchen nach ihr aus.

„Guten Morgen, meine Süße. Hast du gut geschlafen?“ Sie hob ihre Tochter aus dem Bettchen und drückte sie an sich.

Ava antwortete mit einer Lautfolge, aus der immer wieder „Mama“ herauszuhören war. Selig lachte die Kleine, als Lily ihre Nase an ihrer Wange rieb.

Lily trug Ava in die Küche, setzte sie in den Hochstuhl und schüttete eine Handvoll Kindercornflakes auf das Tablett. Ava pickte sie sorgfältig nacheinander auf und steckte sie in den Mund, während Lily das Wasser für den Brei aufsetzte.

Justin braucht dich nicht zu kümmern, dachte sie dabei. Wahrscheinlich war er nur wegen eines geschäftlichen Treffens in der Stadt – und genauso schnell wäre er wieder verschwunden.

Trotzdem nahm sie die Zeitung und warf sie entschlossen ins Altpapier. So würde sie das Foto am schnellsten vergessen. Und Justin Hunt gleich dazu.

Vierundzwanzig Stunden nach dem Treffen mit Harry verließ Justin Cornelias Haus in Queen Anne, einem Vorort von Seattle. Auf dem Rückweg ließ er per Handy eine Konferenzschaltung zu seinen Brüdern aufbauen. Seine Unterhaltung mit Cornelia hatte ihn davon überzeugt, dass Harry seine Drohung, die Firma zu verkaufen, womöglich wahr machen würde.

Auch Cornelia war Harrys seltsames Verhalten seit dem Herzinfarkt aufgefallen, und sie machte sich Sorgen. Sie hatte erzählt, dass er ungewöhnlich nachdenklich sei und ihr gegenüber mehrmals bemerkt habe, dass er sich Enkel wünsche. Es kam ihr so vor, als wolle er all seine Fehler wiedergutmachen – als wolle er seine finanziellen und familiären Angelegenheiten ordnen, um in Frieden aus dem Leben treten zu können.

Justin hielt es für eher unwahrscheinlich, dass Harry sterben würde – dafür war der alte Herr viel zu stur. Cornelia gegenüber äußerte er diesen Gedanken natürlich nicht. Sie war eine der wenigen Frauen, die er aus tiefstem Herzen respektierte, und außerdem stand sie Harry wirklich nahe. Aber schließlich waren die beiden bereits miteinander aufgewachsen und kannten sich seit einer Ewigkeit.

„Justin? Was ist los?“, ertönte Grays Stimme aus dem Lautsprecher. Im Hintergrund waren Gelächter und Musik zu hören.

„Ich war gerade bei Cornelia. Und ich glaube, wir sollten uns auf Harrys Forderung einlassen“, antwortete Justin geradeheraus. „Es gibt triftige Gründe.“ Er schilderte kurz, was Cornelia ihm erzählt hatte, und fuhr dann fort: „Ich besitze vierzig Prozent der Anteile an der Ranch. Den Rest will ich schon seit Jahren kaufen, doch Harry lässt mich nicht. Das Risiko, dass er die übrigen sechzig Prozent jetzt an jemand anderen verkauft, ist mir zu hoch.“

„Und dafür bist du bereit, dich von ihm zu einer Ehe zwingen zu lassen?“, warf Alex ungläubig ein.

„Nein. Nach dem Gespräch mit Cornelia bin ich mir sicher, dass der Herzinfarkt ihm Angst eingejagt hat. Er glaubt, dass er uns zu unserem Glück zwingen muss. Also bin ich bereit, so zu tun, als ob ich darauf eingehe – bis wir einen Weg gefunden haben, diese Sache zu umgehen, oder bis er selbst eingesehen hat, wie verrückt die Idee ist. Und bis dahin werde ich tun, was nötig ist, um ihn daran zu hindern, die Ranch zu verkaufen. Wenn ich dafür auf Brautschau gehen muss, dann mach ich das eben.“

„Aber er blufft nur. Er würde die Firma nie verkaufen“, widersprach Gray.

„Tja, leider können wir uns da nicht vollkommen sicher sein. Und selbst im Aufsichtsrat haben wir keine Möglichkeit, ihn zu stoppen.“

Zum Aufsichtsrat gehörten die vier Brüder, Cornelia und ihre vier Töchter – doch selbst zusammen konnten sie Harry nicht überstimmen, weil er die Mehrheit der Anteile hielt.

„Ich glaube auch nicht, dass er das tatsächlich vorhat“, warf J.T. ein. „HuntCom ist sein Lebenswerk. Wir wissen schließlich alle, wie viel ihm die Firma bedeutet – sogar mehr als seine Söhne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das aufgeben würde, nur, damit wir heiraten und Kinder kriegen.“ Hohn schwang in seiner Stimme mit.

„Außerdem sind wir gerade dabei, eine andere Firma aufzukaufen. Er würde HuntCom nicht verkaufen, bevor das über die Bühne gegangen ist, und das kann sich noch über Monate hinziehen. Er blufft.“

„Und was, wenn nicht?“, fragte Alex zweifelnd. „Wenn ihr euch irrt? Wollt ihr wirklich das Risiko eingehen, alles zu verlieren, wofür ihr die letzten achtzehn Jahre gearbeitet habt? Also ich will nicht zusehen, wie die Stiftung geschlossen wird. Oder wie jemand anders sie übernimmt.“

„Das einzige Baby, für das sich Harry je interessiert hat, ist HuntCom. Er hat bei all seinen Entscheidungen immer nur das Wohl der Firma im Auge gehabt“, sagte Gray.

„Das dachte ich bisher auch. Wie ist er bloß so plötzlich auf die blöde Idee gekommen, uns unter die Haube bringen zu müssen?“

„Bringt die Hunts unter die Haube“, entgegnete J.T. lachend. „Klingt wie der Titel einer Realityshow.“

„O ja“, bemerkte Alex trocken. „Einer ziemlich geschmacklosen Show.“

„Jedenfalls müssen wir uns einig sein, wie wir vorgehen“, betonte Gray.

„Ich schlage vor, dass wir uns zum Schein drauf einlassen“, meinte Justin. „Gleichzeitig legen wir alles in einem Vertrag fest, der Harry in Zukunft die Hände bindet. Wir müssen sicherstellen, dass er uns nie wieder so erpressen kann.“

„Unbedingt“, stimmte J.T. zu. „Wenn er glaubt, dass er uns mit Drohungen manipulieren kann, wird er sich sofort die nächste List ausdenken.“

„Also brauchen wir einen hieb- und stichfesten Vertragstext, der seine Forderung so gut wie möglich eindämmt. Wenn er uns nur mit finanziellen Einbußen gedroht hätte, wäre mir das herzlich egal. Aber ich will die Ranch nicht verlieren. Und ich will auch nicht schuld sein, wenn er einen weiteren Herzinfarkt bekommt. Was meint ihr?“

Alex sprach zuerst. „Wenn es nur ums Geld ginge, könnte er mich auch gernhaben“, sagte er. „Er weiß ganz genau, wie er uns kriegen kann, was?“

„Ja. Er will uns das wegnehmen, was uns am meisten bedeutet“, stellte J.T. grimmig fest.

„Dabei ist sein Plan von vornherein schon zum Scheitern verurteilt“, gab Gray zu bedenken. „Harry will, dass die Frau nichts von unserer Herkunft erfährt. Wie sollen wir in Seattle eine Frau finden, die uns nicht kennt?“

„Na ja, ich bin in den letzten zwei Jahren die meiste Zeit in Idaho gewesen …“, begann Justin.

„Schön für dich“, unterbrach ihn J.T. „Von uns dreien gab es allerdings schon Fotos in der Presse, nicht nur hier in Seattle, sondern auch in überregionalen Magazinen.“

„Aber nicht so oft wie von Harry“, sagte Gray nachdenklich. „Er ist das offizielle Aushängeschild von HuntCom. Das muss man dem alten Herrn lassen: Er hat uns so weit wie möglich von der Presse abgeschirmt.“

„Stimmt. Also, wie sieht’s aus, Gray? Bist du dabei?“, fragte Justin.

„Du musst zugeben, dass Harry alle Trümpfe in der Hand hält“, bemerkte Alex.

„Wie immer“, seufzte J.T.

„Na schön“, gab Gray schließlich nach. „Der Aufsichtsrat scheint mir der einzige Weg zu sein, den alten Herrn in Zukunft zu stoppen. Ich stimme deshalb der Sache nur unter der Bedingung zu, dass wir einen wasserdichten schriftlichen Vertrag bekommen. Und darin muss festgelegt sein, dass er uns genügend Stimmanteile überschreibt, um uns im Aufsichtsrat die Mehrheit zu geben. Dann kann er uns nie wieder mit so verrückten Ideen erpressen. Außerdem muss festgelegt sein, dass er keine weiteren Bedingungen erfindet, wie es ihm gerade gefällt. Wenn ihm die Sache so wichtig ist, wird er sicherlich gern seine Anteilsmehrheit dafür aufgeben, nicht wahr? Und dann glaube ich ihm vielleicht sogar, dass es ihm wirklich um die Zukunft der Familie geht. Aber erst dann.“

Justin beendete die Telefonkonferenz und schaltete das Handy aus. Er hatte nie heiraten wollen, und er verspürte ganz sicher keinen Kinderwunsch. Seinen Brüdern ging es genauso. Sie würden auf Harrys eigenartige Forderung nur eingehen, um die Firma zu retten. Wenn Harry also romantische Beziehungen und wahre Liebe erwartete, würde er schwer enttäuscht werden.

Am Morgen nach der Telefonkonferenz mit seinen Brüdern wachte Justin in seiner Wohnung in Seattle auf. Er machte sich einen Kaffee, nahm die Tasse, einen Schreibblock und einen Stift und setzte sich auf die Terrasse. Lange war er nicht mehr hier gewesen, und er musste zugeben, dass die Aussicht ihren Reiz hatte. Zwischen seinem Penthouse und der Bucht, dem Puget Sound, lagen nur ein paar Straßen. Vor ihm breitete sich eine endlose Wasserfläche aus, auf der das Sonnenlicht glitzerte. Er schob seinen Hut in den Nacken, setzte sich auf einen Teakholzstuhl und legte die nackten Füße auf einen der benachbarten Stühle. Schließlich begann er damit, eine Liste von Heiratskandidatinnen zusammenzustellen.

Den ersten Namen schrieb er in Großbuchstaben.

Lily Spencer.

Wahrscheinlich will sie mich nie wiedersehen, dachte er. Am Morgen, nachdem er mit ihr Schluss gemacht hatte, hatte sie ihm das Tiffanyarmband zurückgeschickt. Sie hatte die Schachtel nicht mal geöffnet, und auch der Umschlag mit seiner Karte war noch verschlossen gewesen. Der Bote hatte erzählt, dass der Vermerk „Zurück an den Absender“ in großen schwarzen Buchstaben von Lily selbst stammte. Sie hatte nicht einen Moment gezögert und den Boten postwendend weggeschickt. Mit seinem Abschiedsgeschenk.

Am nächsten Tag hatte er Seattle verlassen und war in den folgenden zwei Jahren nur selten zurückgekehrt. Auf der Ranch hatte er versucht, sich mit Arbeit abzulenken. Selbst Sechzehnstundentage hatten ihn jedoch nicht daran hindern können, ständig an Lily zu denken. Nach endlosen, quälenden Monaten war der Schmerz schließlich zu einem tauben Gefühl in seiner Brust geworden. Er hatte das als ein Anzeichen verstanden, dass er über sie hinweg war.

Aber vergessen hast du sie nicht.

Er ignorierte die lästige innere Stimme und wandte sich wieder seiner Liste zu. Auch wenn diese Aufgabe ihm unsinnig und unehrlich vorkam: Es musste sein, wenn er die Ranch nicht verlieren wollte.

Nachdem er die Namen von drei weiteren unverheirateten Frauen notiert hatte, hielt er inne und runzelte die Stirn. Alle drei waren Geschäftsfrauen, die er über HuntCom kennengelernt hatte. Sie wussten also, dass er der Sohn des Milliardärs Harry Hunt war.

Wo sollte er eine Frau finden, die ihn nicht kannte? Vielleicht konnte er unter einem Pseudonym sein Glück beim Onlinedating versuchen? Dafür müsste er allerdings einige Zeit investieren, und die war ihm für dieses unmögliche Theater zu kostbar. Nein, er wollte eine Geschäftspartnerin, die sich auf einen Ehevertrag einlassen würde. Sie würde ihn heiraten, er würde sie großzügig dafür bezahlen. Gefühle wurden dabei weder erwartet, noch waren sie erwünscht. Sie müsste nur Cornelias Test bestehen und bereit sein, Kinder zu bekommen. Notfalls durch künstliche Befruchtung.

Während er den Schiffen auf dem Wasser zusah und dabei seinen Kaffee trank, musste er erneut an Lily Spencer denken. Er hatte die Beziehung zu ihr beendet, als ihm klar geworden war, dass sie heiraten und Kinder haben wollte. Das waren beides Dinge, die für ihn einfach nicht infrage kamen. Also hatte er sie verlassen, damit sie einen Mann finden würde, der ihr geben könnte, was sie brauchte. Einen Mann, der ihre Träume erfüllen könnte.

Er zog sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer ihres Ladens. Dass er sie nach zwei Jahren immer noch auswendig kannte, versetzte ihm einen Stich.

„Prinzessin Lily Boutique, guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?“

„Ist Lily da?“

„Darf ich fragen, wer dran ist?“

„Justin Hunt.“

„Einen Moment bitte.“

Er stand auf und ging ungeduldig auf und ab.

„Tut mir leid, Mr. Hunt“, meldete sich die Stimme schließlich wieder. Sie klang merklich kühler als vorher. „Ms. Spencer ist im Moment nicht hier.“

„Und wann wird sie zurück sein?“

„Das weiß ich leider nicht. Soll ich ihr etwas ausrichten?“

„Nein, danke.“ Ärgerlich unterbrach er die Verbindung. Die Frau hatte gelogen, da war er sich sicher.

Bestimmt hielt Lily sich um diese Zeit im Laden oder in ihrer Werkstatt im ersten Stock auf – sie war immer sehr gewissenhaft gewesen. Das bedeutete also, dass sie nicht mit ihm reden wollte.

Als er ihre dreimonatige Beziehung ohne Vorwarnung beendet hatte, war Lily unglaublich ruhig geblieben. Sie war weder in Tränen ausgebrochen, noch hatte sie ihn angeschrien oder eine Szene gemacht – ganz im Gegensatz zu anderen Frauen, mit denen er zu tun gehabt hatte. Stattdessen hatte sie sorgfältig ihre Serviette zusammengefaltet, war aufgestanden und ohne ein Wort gegangen.

Vielleicht wollte er sie deshalb auf einmal so dringend sehen: damit sie ihn endlich anschrie, ihm Schimpfworte an den Kopf warf und ihm ins Gesicht sagte, was für ein Schuft er war. Dann könnte er sich wenigstens entschuldigen. Wenn er Glück hatte, würde sie ihm vielleicht sogar vergeben. Zumindest würde sie ihn danach nicht für den Rest ihres Leben hassen.

Je länger er darüber nachdachte, desto wichtiger erschien es ihm, Lily noch einmal zu sehen, bevor er sich ernsthaft um diese lächerliche Brautsuche kümmerte. Er warf Block und Stift auf den Tisch, stürzte den Kaffee hinunter und sprang auf. Eine Viertelstunde später parkte er seinen Wagen an der Ballard Avenue vor Lilys Laden und überquerte mit schnellen Schritten die Straße.

Im Schaufenster der Prinzessin Lily Boutique standen vor einem Hintergrund aus schwarzem Satin Schaufensterpuppen, die Spitzenkorsagen und Strapsgürtel trugen. Ohne sie weiter zu beachten, trat Justin ein. Der Laden verfügte über ein verführerisches Angebot von sexy Seiden- und Spitzenunterwäsche. Ein Hauch von Parfum lag in der Luft, und alle Designs und Materialien der Wäsche wirkten edel und extravagant.

Mehrere Kundinnen hielten sich gerade im Geschäft auf und warfen ihm neugierige Blicke zu. Er ignorierte sie und hielt nach Lily Ausschau, die jedoch nirgends zu sehen war.

„Kann ich Ihnen helfen, Sir?“

Eine schlanke Rothaarige kam hinter dem Tresen hervor und ging auf ihn zu.

Justin erkannte die Stimme wieder. Mit ihr hatte er vorher telefoniert.

„Ich suche Lily.“

Die Rothaarige riss die Augen auf, und das Lächeln verschwand von ihren Lippen. „Tut mir leid, Sir. Sie ist nicht hier.“

„Wann kommt sie zurück?“

„Das weiß ich leider nicht. Möchten Sie ihr eine Nachricht hinterlassen?“

„Ja, warum eigentlich nicht.“ Er zog eine Visitenkarte aus seiner Tasche. Auf die Rückseite schrieb er seine Handynummer, gefolgt von den Worten Ruf mich an.

Die Verkäuferin nahm die Karte und betrachtete sie zweifelnd. „Sonst nichts?“, fragte sie neugierig.

„Nein.“

„Ich werde sie ihr geben.“

„Danke“, erwiderte er mit ironischem Unterton. Er war sich ziemlich sicher, dass die Karte im Müll landen würde, sobald er den Laden verlassen hatte. Ob Lily in der Werkstatt war und sich vor ihm versteckte?

Der einzige Weg, um das herauszufinden, führte durch die Tür mit der Aufschrift Nur für Angestellte hinter dem Verkaufstresen. An der Rothaarigen würde er schon irgendwie vorbeikommen, aber solche Maßnahmen wollte er vorerst lieber nicht ergreifen. Es gab schließlich andere Möglichkeiten, mit Lily Kontakt aufzunehmen.

Am Abend würde er einfach bei ihrer Wohnung vorbeifahren. Dort erwartete sie ihn bestimmt nicht und würde öffnen, wenn es klingelte. Dann könnte er sich dafür entschuldigen, wie er ihre Beziehung beendet hatte, und sich davon überzeugen, dass sie glücklich war. Erst nachdem er sie um Verzeihung gebeten hätte, könnte er dieses Kapitel seines Lebens endlich abschließen.

Grußlos verließ er den Laden und ging zu seinem Wagen zurück. Um nicht tatenlos in der Wohnung zu sitzen und auf den Abend zu warten, fuhr er in der Firma vorbei. Von seiner Sekretärin ließ er sich auf den neuesten Stand der wenigen Projekte bringen, die er außerhalb der Ranch betreute. Anschließend arbeitete er ein paar Unterlagen durch. Die Öffnungszeiten der Boutique kannte er noch ganz genau. So ließ er Lily genügend Zeit, um zu Hause anzukommen, bevor er sich auf den Weg zu ihr machte.

Doch als er zu dem gepflegten Apartmenthaus kam, in dem sich ihre Wohnung befand, stand ein fremder Name auf dem Klingelschild. Stirnrunzelnd überlegte er, ob er trotzdem klingeln sollte. Hatte sie in der Zwischenzeit geheiratet? Sicherlich hätte sie ihm so etwas mitgeteilt oder es ihm wenigstens ausrichten lassen, oder? Er zog sein Handy aus der Tasche und rief die Telefonauskunft an.

„Für Lily Spencer habe ich zwei Einträge“, meldete die freundliche Stimme. „Die Prinzessin Lily Boutique direkt in Seattle und eine Adresse im Vorort Ballard.“

„Die Nummer und Adresse in Ballard, bitte“, verlangte er. Es überraschte ihn, wie erleichtert er war, dass sie offenbar nicht geheiratet hatte. Allerdings hatte sie ihren Nachnamen vielleicht nur wegen des Geschäfts behalten, denn schließlich war der Name eine Art Markenzeichen für ihre Kollektion. Möglicherweise war sie also doch verheiratet. Warum sonst hätte sie umziehen sollen? Sie hatte ihre Wohnung immer gemocht.

Das ist es doch, was du wolltest, sagte er sich, während er durch die Straßen kurvte. Deshalb hast du mit ihr Schluss gemacht: Damit sie einen Mann findet, der sie heiratet und eine Familie mit ihr gründet. All das, was du ihr nicht geben kannst. Also freu dich für sie.

Irgendwie wollte ihm das jedoch nicht so recht gelingen.

Ballard lag am Puget Sound. Das Viertel mit seinen altehrwürdigen Häusern war mittlerweile von Künstlern und jungen Familien entdeckt worden. Vorher hatte Lily am Rand des Viertels gelebt. Ihre neue Wohnung war zentraler gelegen. Er suchte die Hausnummer und hielt vor einem hübschen Reihenhaus. Vor allen sechs Türen befand sich jeweils ein kleiner Vorgarten, durch den sich ein gepflasterter Weg zur Haustür schlängelte.

In Lilys Vorgarten blühten rote Geranien, die von grünen Farnbüscheln umringt waren. Unter dem Vordach über der Haustür stand eine Bank aus Korbgeflecht, und darüber hing ein Kranz aus Kräutern.

Also ist sie doch verheiratet, dachte er bei sich. Wieder versetzte ihm der Gedanke einen schmerzhaften Stich. Dennoch würde er zu Ende bringen, weshalb er gekommen war.

Entschlossen stieg er aus, ging zur Haustür und klingelte. Nichts tat sich. Er wartete eine Weile, bevor er es ein weiteres Mal versuchte, diesmal ungeduldiger. War Lily etwa noch nicht zu Hause? Justin wandte sich um und schaute auf die Straße. Außer einem Pärchen mit Kinderwagen und einem Jogger mit Hund war jedoch niemand zu sehen.

Als er zum dritten Mal auf die Klingel drückte, wurde die Tür unvermittelt aufgerissen.

„Was ist denn?“ Die Stimme klang ungehalten.

Er blickte auf und sah Lily vor sich stehen.

Erschrocken riss sie die Augen auf, als sie ihn erkannte.

Justin dagegen hatte das Gefühl, dass sich etwas in ihm löste und er nach zwei Jahren endlich wieder frei atmen konnte.

Ja, sie sah genauso aus, wie er sie in unzähligen schlaflosen Nächten immer vor sich gesehen hatte: grüne Augen, hohe Wangenknochen, volle rote Lippen – seine wunderbare Lily. Ihr schulterlanges Haar wirkte zerzaust, und die Abendsonne brachte einzelne hellere Strähnen in der dunkelbraunen Mähne zum Glänzen. Endlich schaffte er es, den Blick von ihrem Gesicht zu lösen. Erst jetzt merkte er, dass sie nicht allein war.

Lily trug ein kleines Mädchen auf dem Arm, das in ein blaues Handtuch gewickelt war. Die Füße der Kleinen hinterließen auf Lilys Shorts nasse Abdrücke, und ihr nachtschwarzes Haar ringelte sich in feuchten Locken um das runde Gesichtchen. Das Kind hatte grüne Augen. Und als es ihn anlächelte, zeigten sich in den Wangen Grübchen. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen: Die Ähnlichkeit war erstaunlich – so als hätte er sich selbst plötzlich in ein Kind verwandelt. Ein Kind mit Lilys Augen. Und seinem Haar und seinen Grübchen.

Völlig verblüfft schaute er von dem Kind wieder zu Lily. Für wenige Sekunden wirkte ihre Miene beinahe schuldbewusst. Dann hob sie trotzig das Kinn – und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

2. KAPITEL

Justin stand einen Moment lang wie erstarrt da. Schließlich begann er, mit den Fäusten gegen die Tür zu hämmern. „Lily!“

„Geh weg!“

„Mach die Tür auf. Oder willst du, dass die Nachbarn die Polizei rufen? Ich rühre mich hier nicht eher weg, bis du aufmachst.“

Die Tür wurde aufgerissen. „Was willst du?“, fauchte sie.

„Lass mich rein.“

„Nein.“

„Willst du dieses Gespräch wirklich an der Haustür führen?“, fragte er.

Unvermittelt blickte sie über seine Schulter zur Straße. Dann setzte sie ein gezwungenes Lächeln auf und winkte jemandem zu. „Hallo Mrs. Baker. Ein schöner Abend, nicht wahr?“

Widerwillig trat sie einen Schritt zurück und hielt die Tür auf. „Komm rein“, stieß sie hervor.

Kaum war er über die Schwelle getreten, schloss sie die Tür hinter ihm und ging weiter ins Haus. Es kam ihm vor, als wolle sie so schnell wie möglich wieder Abstand zu ihm gewinnen.

„Was willst du hier?“, fragte sie.

„Ich bin gerade in der Stadt und wollte Hallo sagen“, erwiderte er zerstreut. Noch immer stand er unter Schock und konnte die Augen nicht von dem kleinen Mädchen abwenden. „Wie heißt sie?“

„Ava.“ Lily drückte die Kleine noch enger an sich, als wolle sie sie beschützen. „Nun hast du ja Hallo gesagt und kannst wieder gehen.“

„O nein.“ Heftig schüttelte er den Kopf. Im Moment konnte er zwar keinen klaren Gedanken fassen. Dass er nicht so einfach verschwinden würde, stand für ihn jedoch fest. „Zuerst sagst du mir die Wahrheit über Ava. Sie ist meine Tochter, richtig?“

Es war eigentlich eine unnötige Frage. Trotzdem wollte er es von Lily selbst hören. Er wollte, dass sie die Worte aussprach.

„Nein, das ist sie nicht. Sie ist meine Tochter.“

„Mama.“ Ava legte ihre Hand auf Lilys Wange, um auf sich aufmerksam zu machen. „Meine Mama.“

„Ja, Süße, ich bin deine Mama. Und du bist mein allerliebstes kleines Mädchen.“

Ava schlang die Arme um Lilys Nacken und umarmte sie stürmisch. Schließlich lehnte sie den Kopf an die Schulter ihrer Mutter und lächelte Justin strahlend an.

Sein Herz setzte einen Schlag lang aus, und er lächelte hilflos zurück.

„Sie ist meine Tochter“, wiederholte er leise.

„Du hast deine DNA dazugegeben, aber das heißt nicht, dass du irgendein Recht auf sie hättest.“

Trotz Lilys abweisendem Tonfall spürte Justin, wie sein Puls auf einmal schneller ging. Zwei Jahre lang war ihm alles außer der Ranch so ziemlich gleichgültig gewesen, und nun bekam er plötzlich Herzklopfen.

„Ich möchte, dass du jetzt gehst“, sagte Lily leise.

„Wir müssen reden.“

„Müssen wir nicht. Es gibt nichts zu besprechen. Ava und ich haben unser eigenes Leben, und du gehörst nicht dazu. Geh weg.“

Bei den letzten Worten zitterte ihre Stimme leicht.

Avas Lächeln erlosch. Besorgt schaute sie von Justin zu ihrer Mutter. „Mama?“

„Bitte geh. Du regst Ava auf.“

„Also schön, dann gehe ich eben“, gab Justin betont beiläufig zurück. „Aber wir müssen reden. Ich rufe dich morgen im Laden an.“

Wortlos nickte sie nur und trat an die Haustür. Weiterhin schweigend öffnete sie sie und wartete, bis er hinausgegangen war. Kaum war er draußen, fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Er hörte noch, wie der Schlüssel umgedreht wurde.

Zitternd vor Schreck und Ärger starrte Lily auf die geschlossene Haustür. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass Justin einfach bei ihr zu Hause auftauchen würde – zumal sich ja ihre Adresse inzwischen geändert hatte. Aber er hatte wohl durchschaut, dass ihre Kollegin Meggie ihn angelogen hatte, als er zum Laden gekommen war.

In seinem Adressbuch musste es Dutzende von Frauen in Seattle geben, die sich über einen Überraschungsbesuch von ihm freuen würden. Warum kam er ausgerechnet zu ihr? Wenn sie geahnt hätte, dass er so beharrlich war, wäre sie vorsichtiger gewesen.

Zum Beispiel hätte sie nicht mit Ava auf dem Arm die Tür aufgemacht.

Sie kniff die Augen zusammen. Angestrengt versuchte sie, sein Bild zu verdrängen und nicht mehr daran zu denken, wie er vor ihr gestanden hatte in seinen glänzenden schwarzen Cowboystiefeln, den verwaschenen Jeans und dem hellblauen Designerhemd. Die goldene Uhr an seinem Handgelenk war bestimmt eine Rolex. Justin liebte seine Ranch in Idaho, aber er wusste auch, wie man sich unaufdringlich elegant kleidete. Mit seinen nachtschwarzen Haaren, den durchdringend blauen Augen und seinem gut gebauten Körper war Justin Hunt der Traummann vieler Frauen.

Aber meiner nicht, dachte sie trotzig. Justin Hunt ist mein ganz persönlicher Albtraum.

Und zu allem Überfluss schien er sich für Ava zu interessieren. Das hätte sie von ihm gar nicht erwartet. Am Ende machte er ihr noch Vorwürfe, weil sie ihm nichts von der Schwangerschaft gesagt hatte! Undenkbar. Und vor allem sehr beängstigend. Hatte sie Justin falsch eingeschätzt? Der Gedanke ließ sie erschauern.

Ava wand sich in ihren Armen und protestierte mit einer Reihe von unverständlichen Lauten. Zerknirscht stellte Lily fest, dass sie die Kleine viel zu fest an sich drückte.

„Tut mir leid, Süße“, murmelte sie und hauchte einen Kuss auf die dunklen Locken. „Ich wollte dich nicht zerquetschen. Wollen wir dir einen Schlafanzug anziehen und uns ein Buch anschauen, bevor du schlafen gehst?“

Vergnügt brabbelte Ava drauflos und streute immer wieder das Wort „Mama“ ein.

Während sie Ava fürs Bett fertigmachte und ihr vorlas, war Lily genügend abgelenkt. Auch als sie das Licht dimmte und mit der Kleinen eine Viertelstunde im Schaukelstuhl kuschelte, bevor sie sie in ihr Bettchen legte, konnte sie ihre Gedanken noch kontrollieren.

Doch als sie dann hinunter ins stille Wohnzimmer ging, überfluteten sie die Erinnerungen, die Justins Besuch wachgerufen hatte.

An einem regnerischen Abend vor zwei Jahren waren sie sich zum ersten Mal begegnet. In einem Blumenladen hatte sie gerade einen Strauß für eine kranke Freundin binden lassen, als Justin eingetreten war. Während er auf die Bedienung gewartet hatte, waren sie ins Gespräch gekommen. Dann hatten sie angefangen zu flirten. Es war wunderbar gewesen, beinahe wie eine Naturgewalt. Obwohl sie eine halbe Stunde zuvor hoch und heilig geschworen hätte, dass sie niemals mit einem wildfremden Mann spontan zum Essen gehen würde, hatte sie genau das getan. Justin hatte sie in das Restaurant nebenan eingeladen – und sie hatte Ja gesagt.

Danach hatte er sie nach Hause bringen wollen, doch das hatte sie abgelehnt. Und erst am nächsten Tag war ihr klar geworden, dass er einer der vier Hunt-Brüder war und dass er zu der weit über Seattle hinaus bekannten, milliardenschweren HuntCom-Gesellschaft gehörte: Als sie das Altpapier rausgebracht hatte, war ihr Blick auf ein Bild von ihm in einer älteren Tageszeitung gefallen.

Als er sie angerufen und um ein weiteres Treffen gebeten hatte, hatte sie gezögert. Wollte sie wirklich mit einem der Hunt-Brüder ausgehen, die allesamt als Playboys galten? Sie hatte ihm geradeheraus gesagt, dass sie nicht der Typ für eine Affäre war. Er hatte nur gelacht und seinen Charme spielen lassen, sodass sie schließlich nachgegeben hatte.

Wenn sie es im Nachhinein bedachte, hatte sie bei ihm wirklich jede Vorsichtsregel gebrochen, die sie sonst in Beziehungen beachtete. Und das lag nicht nur daran, dass er attraktiv, sexy, charmant und sehr, sehr reich war. Im Gegenteil: Der Reichtum hätte sie eher abgeschreckt, wenn er ihn in irgendeiner Weise zur Schau gestellt oder ausgenutzt hätte. Doch er schien gespürt zu haben, dass man sie mit Geld nicht beeindrucken konnte. Sie hatte selbst ein gutes Auskommen und konnte sich leisten, was sie sich wünschte.

Nein, Justin Hunt hatte etwas an sich gehabt, das sie tief im Innern berührt hatte. Zwischen ihnen hatte eine Verbindung bestanden, die sie beide vom ersten Augenblick an gespürt hatten. Also hatte sie nur auf ihr Herz gehört und sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Vorher hätte sie zum Beispiel nicht im Traum daran gedacht, nach nur wenigen Verabredungen mit einem Mann zu schlafen – doch bei Justin hatte sie schon nach einer Woche alle Bedenken aufgegeben und sich nur zu gern von ihm verführen lassen. Danach war sie davon ausgegangen, dass sie eine feste monogame Beziehung mit ihm hatte – und er hatte nie etwas anderes behauptet. Als er dann nach drei Monaten ohne jegliche Vorwarnung mit ihr Schluss gemacht hatte, war sie am Boden zerstört gewesen.

Sie waren zum Essen verabredet gewesen. Wie so oft würde dem netten Abend in einem ihrer Lieblingslokale eine wunderbare Nacht folgen – das hatte sie gedacht. Stattdessen hatte er ihr eröffnet, dass er es besser fände, wenn sie getrennte Wege gingen. Sie war so entsetzt gewesen, dass sie überhaupt keine Worte gefunden hatte. Nur mit viel Selbstbeherrschung war es ihr gelungen, aufzustehen und das Lokal zu verlassen. Draußen hatte sie ein Taxi angehalten und war nach Hause gefahren, um den Rest der Nacht zu weinen, bis sie keine Tränen mehr gehabt hatte.

Danach hatte sie eine Woche das Haus nicht verlassen können. Sie war verletzt, enttäuscht gewesen, hatte sich betrogen und ausgenutzt gefühlt – doch vor allem hatte sie um das getrauert, was hätte sein können. Allerdings war sie nie der Typ gewesen, der in Depressionen verfiel – dafür war sie zu pragmatisch veranlagt. Sie hatte immer noch den Laden gehabt, um den sie sich kümmern musste, und Kunden, die ihre Aufmerksamkeit verlangten. Also hatte sie sich zusammengenommen, war wieder zur Arbeit gegangen und hatte ihr Leben ohne Justin gelebt.

Lily schüttelte den Kopf, um die leise Traurigkeit loszuwerden, die sich noch immer in ihr Herz schlich, wenn sie sich an jene dunklen Tage erinnerte. Er hat mir einmal das Herz gebrochen, das reicht, sagte sie sich streng. Ich will ihn nicht in meinem Leben haben. Justin Hunt kann mir gestohlen bleiben.

Sie ging durchs Wohnzimmer, sammelte Avas auf dem Boden verstreutes Spielzeug auf und legte es in den Weidenkorb neben der Couch.

Ihr neues Leben war bestens organisiert. Sie konnte Ava mit in den Laden nehmen, denn dort hatte sie einen leeren Büroraum neben der Werkstatt zu einem Spielzimmer umgebaut. Die meiste Zeit verbrachte sie sowieso im ersten Stock, arbeitete an Designs und bereitete die Produktion vor, während ihre Angestellten unten die Kunden bedienten. Das Geschäft lief ausgezeichnet. Vor einem Monat war ein Artikel über sie in der Seattle Times erschienen, in dem man sie als aufgehenden Star am Modehimmel bezeichnet hatte.

Es hat lange genug gedauert, bis ich mein Leben wieder im Griff hatte. Ich werde nicht zulassen, dass Justin noch einmal alles durcheinanderbringt.

Nur … Er ist nun mal Avas Vater.

Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Starr vor Schreck stand sie im Wohnzimmer, in der einen Hand einen Plüschbären, in der anderen eine Wackelente.

Was, wenn er mir Ava wegnehmen will? Sie war vorher nie auf die Idee gekommen, dass Justin Interesse am Sorgerecht haben könnte. Aber sein Blick heute hatte Bände gesprochen. Er war hingerissen. Auf den ersten Blick verliebt.

Natürlich ging das vielen so, die Ava und ihr strahlendes Lächeln kennenlernten. Von Justin hatte sie das jedoch nicht erwartet. Und es störte sie gewaltig.

Wollte er jetzt möglicherweise Rechte auf ihre Tochter anmelden? Damit hätte sie ein echtes Problem. Denn Justin war nicht nur reich, sondern verfügte außerdem über Beziehungen. Zum Beispiel zu erstklassigen Anwälten.

Stirnrunzelnd ließ sich Lily auf die Couch sinken. Es erschien ihr am besten, sich auf den schlimmsten Fall gefasst zu machen. Morgen würde sie gleich ihren Anwalt anrufen.

Gern hätte sie ein paar Koffer gepackt, um mit Ava aus Seattle zu fliehen. Diese Reaktion kam ihr aber doch etwas übertrieben vor. Also stand sie auf, räumte die restlichen Spielzeuge weg und betrat ihr Arbeitszimmer neben der Küche. Zunächst lenkte sie sich damit ab, ein exklusives Design für eine Kundin aus Hollywood zu entwerfen.

Beinahe gelang es ihr, sich einzureden, dass sie den ersten Schock überwunden hatte und mit Justins unerwartetem Auftauchen fertig werden würde. Doch als sie um halb elf ins Bett ging, konnte sie nicht einschlafen. Die nächsten acht Stunden wälzte sie sich unruhig hin und her. Wieder einmal bescherte er ihr eine schlaflose Nacht.

Justin fühlte sich wie benommen. Es kostete ihn Überwindung, zu seinem Wagen zurückzugehen und einzusteigen. Alles in ihm drängte danach, zu Lily und dem kleinen Mädchen zurückzukehren.

Er hatte eine Tochter. Der Gedanke überwältigte ihn.

Niemals hätte er damit gerechnet, dass allein der Anblick eines Kindes ihn so aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Ein Kind mit den Augen seiner Mutter und seinem Haar.

„Ich bin Vater.“ Er sprach die Worte laut vor sich hin, um die Vorstellung greifbarer zu machen. Doch stattdessen wurde ihm etwas anderes klar: Er hatte die Beziehung mit Lily beendet, um ihr nicht wehzutun – und hatte sie schwanger sitzen lassen.

Ich hätte mich drum kümmern müssen, ob es ihr gut geht. Ich hätte sie beschützen müssen.

Die Frage war natürlich, ob sie überhaupt Hilfe von ihm angenommen hätte. Und was hätte er ihr eigentlich bieten können? Er hatte keine Ahnung von Kindern, hatte noch nie ein Baby auf dem Arm gehalten. Von klein auf hatte er gelernt, aus allen möglichen Situationen das Beste zu machen und auf sich selbst aufzupassen. Was einen guten Vater ausmachte, wusste er allerdings nicht: Es hatte nie jemanden in seiner Kindheit gegeben, der diesen Namen verdient hätte.

Sicher, seit er mit zwölf zu seinem leiblichen Vater Harry gezogen war, hatte sich alles verbessert. Der alte Herr lebte zwar für seine Firma, und manchmal hatte Justin das Gefühl gehabt, dass er seine Söhne darüber völlig vergaß. Trotzdem hatte er sie nie ganz vernachlässigt. Das Personal hatte sich darum gekümmert, dass sie regelmäßig aßen, saubere Kleidung trugen und sich ordentlich benahmen.

Alles in allem war Harry kein schlechter Vater gewesen. Nur eben kein besonders engagierter. Er hatte nie mit seinen Söhnen Football oder Basketball gespielt, und er hatte selten Zeit für Elternabende oder Schulturniere gefunden.

Harry! Ach du liebe Güte! Was mache ich denn mit ihm und seinen Regeln für dieses verrückte Heiratsabkommen?

Der Gedanke brachte ihn endlich in die Wirklichkeit zurück. Erst jetzt stellte er fest, dass er den Wagen in die Tiefgarage seines Wohnkomplexes gelenkt hatte. An die Fahrt von Ballard zu seinem Apartment konnte er sich nicht einmal erinnern. Lily und Ava zu sehen hatte seine ganze Welt in einem einzigen Moment verändert.

Am nächsten Morgen würde er mit Lily reden. Noch hatte er keine Ahnung, wie es danach weitergehen sollte. Auf jeden Fall müsste er Harry und seinen Brüdern beibringen, dass er die Bedingungen nicht mehr erfüllen konnte: Lily wusste, wer er war. Sein Geld hatte sie zwar nie interessiert, doch rein technisch gesehen fiel sie damit als Kandidatin für Harrys Plan aus.

Trotzdem kam es überhaupt nicht infrage, dass er jemals eine andere Frau heiratete. Diese Erkenntnis überfiel ihn so plötzlich wie ein Blitzschlag. Er wollte Lily. Nie hatte er aufgehört, sie zu lieben, und er war nie über sie hinweggekommen. Er hatte sich getäuscht und die grenzenlose Leere in seinem Herzen mit Normalität verwechselt. Erst in dem Moment, als er Lily wiedergesehen hatte, war ihm klar geworden, wie dumm er gewesen war. Und wie sehr er sie brauchte.

Er wusste nicht genau, wie lange er in der dunklen Tiefgarage vor sich hingestarrt hatte. Als er schließlich ausstieg und den Fahrstuhl nahm, der sich direkt in sein Wohnzimmer öffnete, war es auch draußen bereits dunkel. Er schaltete den Fernseher ein, zog die Stiefel aus und ließ sich aufs Sofa fallen. Die Füße legte er auf den Couchtisch, während er durch die Kanäle zappte, ohne wirklich hinzuschauen.

Er konnte sich einfach nicht konzentrieren. Immer wieder musste er daran denken: Lily und er hatten eine Tochter. Schließlich schaltete er den Fernseher aus und lief ruhelos in dem großen Wohnraum auf und ab.

Es gab gute Gründe, warum er nie heiraten oder Kinder haben wollte. Ein Mann, der wie er aufgewachsen war, würde keinen guten Ehemann oder Vater abgeben. Er wusste gar nicht, wie eine normale Familie funktionierte, also konnte er auch keine gründen.

Nur deshalb hatte er die Beziehung mit Lily beendet. Justin schob die große Glastür auf und trat auf die Terrasse hinaus. Dort ließ er sich auf der breiten Ziegelmauer nieder und blickte nachdenklich auf den Puget Sound hinaus.

Ein Mann mit seiner Vergangenheit war nicht die richtige Wahl für eine Frau wie Lily und ihr kleines Mädchen. Würde er sie beide unglücklich machen, wenn er versuchte, Lily zurückzugewinnen?

Dass Harry sich in den Kopf gesetzt hatte, seine vier Söhne unter die Haube zu bringen, ergab überhaupt keinen Sinn. Er selbst war mit seinen Frauen schließlich nie glücklich geworden.

Aus dem Jazzklub an der nächsten Straßenecke tönte das wehmütige Klagen eines Saxofons herüber. Es war Lilys Lieblingslied. Unten im Klub hatten sie viele Male dazu getanzt, langsam und eng.

Die verführerischen Klänge erinnerten ihn an die unvergleichlichen Nächte mit ihr. Während er dem Saxofon lauschte, glaubte er fast, ihre zärtlichen Hände auf seiner Haut zu spüren.

Ziemlich hastig verließ er die Terrasse und schloss die Glastür hinter sich.

Am nächsten Morgen zog Lily sich mehrmals um, bevor sie sich für ein cremeweißes Kostüm und ein flaschengrünes Top aus Seide entschied. Dazu trug sie hochhackige Pumps, eine auffällige goldene Uhr und Ohrringe.

Sie hatte ihren Anwalt schon um halb neun erreicht, und das Gespräch hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Wenn Justin Anteil am Leben seiner Tochter nehmen wollte, dann war er gesetzlich dazu berechtigt. Ihr blieb nur die Wahl, entweder vor Gericht zu ziehen oder sich friedlich mit ihm zu einigen. Der Anwalt hatte ihr dringend geraten, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Auch er wusste, über welch weitreichende Beziehungen die Hunt-Familie verfügte.

Offenbar blieb ihr kein anderer Ausweg, als sich wieder mit Justin Hunt zu befassen. Was immer auch geschah: Sie musste ihr kleines Mädchen beschützen.

Um kurz vor zehn ließ sie Ava mit einer der Schneiderinnen im Spielzimmer neben der Werkstatt zurück. Die paar Schritte zu dem Bistro, in dem sie sich mit Justin auf eine Tasse Kaffee verabredet hatte, lief sie zu Fuß. Sie war fest entschlossen, ruhig, kühl und sachlich zu bleiben. Vor allem musste sie dran denken, dass es hier nur um Ava ging.

Das Treffen hatte sie absichtlich auf zehn Uhr angesetzt, weil es um diese Zeit in dem Bistro ziemlich leer war. Sie traf sich hier oft mit Kundinnen zum Mittagessen, weil man relativ ungestört war: Die Tische standen in einzelnen Nischen, die durch Grünpflanzen voneinander abgeteilt waren. Auch bei ihrem Gespräch mit Justin legte sie natürlich Wert auf Privatsphäre. Gleichzeitig wollte sie auf keinen Fall mit ihm völlig allein sein. Das Bistro stellte darum einen guten Kompromiss dar.

Justin stand auf, als sie sich dem Tisch näherte.

„Hallo Lily.“

„Guten Morgen.“

Leider verließ sie die Entschlossenheit, kühl und geschäftsmäßig zu bleiben, sobald sie ihn sah. Er trug ein langärmliges, maßgeschneidertes, weißes Hemd, das seine attraktive Sonnenbräune betonte, dazu wie immer Jeans und Stiefel.

Als er ihr den Stuhl zurechtrückte, stieg ihr die dezente Note seines Aftershaves in die Nase. Der vertraute Geruch weckte sofort unzählige, unwillkommene Erinnerungen in ihr. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, und sie atmete so unauffällig wie möglich tief durch.

„Ich habe heute Morgen mit meinem Anwalt gesprochen“, eröffnete sie ihm, kaum, dass er sich ihr gegenüber hingesetzt hatte.

„Ach ja?“ Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich.

„Ja.“ Sie wartete, bis der Kellner den Kaffee serviert hatte, und fuhr fort: „Anscheinend ist unsere Situation nicht gerade ungewöhnlich.“

„Für mich schon“, erwiderte er. „Ich hatte vor Ava noch nie ein Kind.“

„Ich meinte die Tatsache, dass wir ein Kind haben, obwohl wir nicht verheiratet sind. Er hat schon eine Menge Fälle wie diesen betreut.“

„Verstehe.“ Justin lehnte sich lässig zurück und ließ sich nicht anmerken, was er dachte. „Und wozu hat dein Anwalt dir geraten?“

„Er hat vorgeschlagen, dass wir uns auf Ava konzentrieren und das tun, was das Beste für sie ist.“

„Und dem stimmst du zu?“

„Natürlich.“ Wie gern hätte sie gewusst, was in ihm vorging! Sie hob die Tasse zum Mund und schaute ihn über den Rand hinweg an. „Du nicht?“

„Doch, unbedingt“, antwortete er sofort ohne Zögern.

„Gut. Freut mich, das zu hören.“ Sie lächelte erleichtert und ließ einen Augenblick verstreichen, bevor sie zum Kern der Sache kam. „Du weißt jetzt also, dass du eine Tochter hast. Wie willst du damit umgehen?“

„Ehrlich gesagt weiß ich das auch noch nicht so genau. Ich denke, wir sollten vielleicht damit anfangen, dass ich sie erst mal kennenlerne.“

„Das heißt, du willst sie besuchen?“

„Wenn man es so nennen will …“ Er beugte sich vor. „Ich möchte Zeit mit ihr verbringen. Immerhin habe ich ihr erstes Lebensjahr verpasst. Meinst du nicht, dass sie mich allmählich kennenlernen sollte?“ Er klang leicht verärgert.

„Als du mit mir Schluss gemacht hast, warst du sehr eindeutig. Heirat und Kinder kamen für dich gar nicht infrage, und deshalb wolltest du nicht mehr mit mir zusammen sein“, schoss sie zurück. Wenn er so anfing … Sie hatte ebenso eine Menge gute Gründe, verärgert zu sein. „Versuch bloß nicht, mir Vorwürfe zu machen. Ich bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass du dich für meine Schwangerschaft oder das Kind interessieren könntest. Eher im Gegenteil. Du hast mich an dem Abend völlig überzeugt. Ich habe dir jedes Wort geglaubt. Wenn du es nicht so gemeint hast, hättest du es nicht sagen sollen.“

Schweigend starrte er sie an und zuckte schließlich die Achseln. „Du hast recht. Wann hast du gemerkt, dass du schwanger warst?“

„Ein paar Wochen, nachdem wir uns getrennt hatten. Zuerst wollte ich dich tatsächlich anrufen. Aber dann ist mir eingefallen, wie vehement du dich gegen Kinder ausgesprochen hattest. Es erschien mir also logisch, dass du keinerlei Bindungen oder Verpflichtungen wünschst.“

„Das wollte ich damals auch nicht.“

Fragend schaute sie ihn an. „Und jetzt?“

„Ich habe nie vorgehabt, Kinder in die Welt zu setzen. Doch als ich dich gestern mit Ava gesehen habe …“ Er suchte nach Worten. „Sagen wir einfach: Sie zu sehen hat alles auf den Kopf gestellt, was ich über mich zu wissen glaubte. Ich bin ihr Vater. Das bedeutet mir etwas. Es ist mir wichtig. Ich möchte an ihrem Leben teilhaben.“

„Und wie genau soll das aussehen?“

„Können wir nicht langsam anfangen? Ich habe keine genauen Pläne. Ich möchte einfach ein bisschen Zeit mit ihr verbringen. Oder spricht etwas dagegen?“

Alles spricht dagegen, dachte Lily unglücklich. In dem Moment kamen ihr jedoch die Worte des Anwalts in den Sinn: Wenn sie ihm den Kontakt verwehrte, konnte Justin nicht nur das Besuchsrecht einklagen, sondern sogar das Sorgerecht für sich beanspruchen.

„Ich kann natürlich damit leben, dass ihr euch kennenlernt“, sagte sie vorsichtig.

„Gut“, erwiderte Justin, offensichtlich erleichtert. „Wann kann es losgehen?“

Am liebsten hätte Lily ihm ein Datum in ein paar Wochen genannt, aber sie wusste, dass das nichts bringen würde. Je eher, desto schneller haben wir es möglicherweise hinter uns, dachte sie. Wenn er erst mal den Alltag mit einem Kleinkind erlebt hat, wird es ihm wahrscheinlich bald langweilig, und er macht sich wieder aus dem Staub.

„Wie wär’s morgen?“, schlug sie deshalb vor. „Wir sind normalerweise um vier zu Hause, und Ava geht zwischen sieben und halb acht ins Bett. Wenn du so gegen halb fünf kommst, kannst du ihr vorlesen, während ich das Abendessen mache.“

„Ich werde pünktlich sein. Soll ich was mitbringen?“

„Nur eine ganze Menge Geduld“, erwiderte sie trocken.

3. KAPITEL

„Du solltest doch nur Geduld mitbringen“, bemerkte Lily, als Justin am nächsten Nachmittag pünktlich um halb fünf vor der Tür stand.

„Ich war heute in der Stadt und bin an einem Spielwarenladen vorbeigekommen. Da konnte ich nicht widerstehen“, erklärte er wahrheitsgemäß.

Unter dem Arm trug er einen riesigen Plüschbären. Als er an ihr vorbei in den Flur trat, streifte er mit dem weichen Fell ihren Arm und wünschte sich, es wäre seine Hand gewesen. Aber darin hielt er einen Sommerblumenstrauß, den er ihr überreichte.

„Und die gab’s auch im Spielzeugladen?“, fragte sie.

„Nein, die habe ich von Gazebo. Deshalb war ich ja in der Stadt.“

Der Strauß bestand aus Lilien, zartrosafarbenen Rosen und Lavendel. Schleierkraut und Farn umrahmten die Blütenpracht. Er hatte ihre Lieblingsblumen ausgesucht – in dem Blumenladen, in dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren.

„Oh, das ist … ähm …“ Sie suchte nach Worten und rang sichtlich um Fassung. „Sie sind sehr hübsch, danke“, murmelte sie.

„Gern geschehen“, erwiderte er abwesend. Der Anblick ihrer weichen Lippen und ihrer samtigen Haut lenkte ihn ab.

Als sich ihre Blicke trafen, trat ein seltsamer Ausdruck in ihre Augen, und sie senkte hastig den Kopf.

„Mama!“, unterbrach Avas fordernde Stimme den kurzen Moment der Nähe.

„Komm rein“, sagte Lily über die Schulter und eilte ins Wohnzimmer. „Ich kann Ava nicht mehr als ein paar Sekunden allein lassen“, erklärte sie auf dem Weg.

Ans Wohnzimmer schloss sich ein heller, gemütlicher Raum an, an dessen Ende sich die offene Küche befand. Um eine inselartige Arbeitsfläche in der Mitte waren in U-Form die Spüle und Elektrogeräte angeordnet. Der Platz davor war mit einem Sofa, Sesseln und einer Schrankwand mit Fernseher eingerichtet.

Den größten Teil des Holzbodens verdeckte ein weicher, bunter Perserteppich, auf dem Ava saß. Sie hielt eine Rassel in der Hand und schlug damit eifrig auf einen Plastiktopf ein.

„Mama, Mama!“, rief sie fröhlich, als sie Lily erblickte.

„Hallo meine Süße.“ Lily legte die Blumen auf der Arbeitsfläche ab, ging zu Ava und hob sie hoch. Fasziniert schaute Justin zu, während Lily die Kleine küsste, sie an sich drückte, sie auf ihre Hüfte setzte und auf ihn zukam.

„Schau mal, Ava“, sagte sie und zeigte auf ihn. „Mamas Freund Justin ist hergekommen, um mit dir zu spielen. Ist das nicht schön?“

Plötzlich zeigte Ava sich schüchtern, duckte sich und klammerte sich an ihre Mutter. Dabei hielt sie sich an Lilys weißem Trägertop fest und schloss die Faust, sodass der Ausschnitt etwas nach unten rutschte.

Justin erhaschte einen Blick auf Lilys Brustansatz, der mit verführerischer Spitze bedeckt war. Es fiel ihm schwer, sich von diesem Anblick zu lösen und sich auf Ava zu konzentrieren.

„Hallo Ava“, sagte er in ernstem Ton. Er war unsicher, was von ihm erwartet wurde. Es kam ihm seltsam vor, mit einem Kleinkind zu sprechen – schließlich wusste er nicht mal, ob Ava ihn überhaupt verstand.

„Schau mal: Justin hat dir einen Teddy mitgebracht.“ Lily strich dem Bären, den er immer noch unter dem Arm trug, übers Fell. „Oh, der ist ganz weich. Möchtest du ihn auch mal anfassen?“

Als Ava nickte, trat Lily einen Schritt näher, sodass die Kleine den Teddy berühren konnte. Dabei stieg Justin Lilys Parfum in die Nase. Der zarte Hauch weckte sofort Erinnerungen in ihm. Erinnerungen daran, wie er Lilys nackte Haut geküsst hatte, als sie sich geliebt hatten. Wie ihr unglaublich weiblicher Duft ihm die Sinne geraubt hatte … Seine plötzliche Erregung überraschte ihn, und er verdrängte die Bilder hastig. Zum Glück war Lily ganz auf Ava konzentriert und schien nichts gemerkt zu haben.

„Das fühlt sich schön an, nicht?“, fragte sie Ava.

Ava nickte wieder und streichelte den Teddy ein weiteres Mal. Ein kleines zufriedenes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Möchtest du mit ihm spielen?“, fragte Lily.

Noch ein Nicken.

„Na gut, dann können sich Justin und der Bär jetzt mit uns hinsetzen.“ Lily ließ sich mit Ava auf dem Arm elegant auf dem Boden nieder und nahm die Kleine auf den Schoß. „Justin, setz dich doch zu uns.“

„Klar. Gern.“ Viel weniger elegant als Lily ging Justin in den Schneidersitz, sodass er Ava anschauen konnte. Erwartungsvoll streckte die Kleine die Hände aus. Er reichte ihr den Teddy und musste lächeln, als sie danach griff. Der Bär war größer als sie und so dick, dass sie ihn mit den Ärmchen nicht umfassen konnte. Trotzdem hielt sie ihn fest und drückte ihn an sich, wobei sie zufrieden vor sich hin brabbelte.

„Ich glaube, sie mag ihn“, bemerkte er.

Lily lächelte. „Man kann wohl sagen, sie liebt ihn. Ups.“ Sie drehte den Kopf, als Ava sie mit einem Arm des Bären am Kinn kitzelte. „Möchtest du mit dem Bären hier neben mir sitzen?“, fragte sie Ava.

Als sie die Kleine neben sich auf den Teppich setzte, verlor Ava sofort das Gleichgewicht, rollte mit dem Teddy zur Seite und gluckste dabei vergnügt.

„Ist sie immer so fröhlich?“, fragte Justin und warf Lily einen Seitenblick zu. Sie beobachtete ihre Tochter zärtlich lächelnd.

„Nein, sie hat heute Nachmittag geschlafen, deshalb ist sie jetzt ausgeruht. Wenn sie müde ist oder Hunger hat oder die Windel voll ist oder … was auch immer, dann kann sie jedenfalls sehr schnell sehr schlechte Laune bekommen. Normalerweise ist sie allerdings eher ein kleiner Sonnenschein, das stimmt.“

„Das muss sie von dir haben“, bemerkte er trocken.

„Wieso, warst du ein schwieriges Kind?“

„Keine Ahnung.“ Justin zuckte die Achseln. Seine Mutter hatte nie darüber gesprochen, wie er als Baby gewesen war. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er von ihr stets nur gehört, was für eine Belastung er für sie darstellte.

Ava ließ den Bären los und begann über den Teppich zu krabbeln. Offenbar war die Fernbedienung auf dem Couchtisch ihr Ziel.

„Nein, Ava.“ Lily stand auf und hob sie hoch. „Hättest du Lust, ihr etwas vorzulesen, während ich das Abendessen mache? Die Bücher liegen da drüben.“ Sie deutete auf einen Korb neben dem Sofa.

„Klar.“ Er erhob sich und suchte mehrere Bilderbücher aus.

„Setz dich doch.“ Lily deutete auf einen der Sessel. „Ich weiß nicht, ob sie sich von dir auf den Schoß nehmen lässt. Bei Fremden ist sie manchmal etwas schüchtern. Versuchen wir es einfach.“

Justin legte die Bücher auf einen Beistelltisch und streckte die Arme aus, um Ava in Empfang zu nehmen. Wachsam betrachtete sie ihn einen Moment und streckte dann ihrerseits die Arme nach ihm aus. Offenbar war Lily davon ebenso überrascht wie Justin.

„Na prima, sie hat gute Laune“, bemerkte Lily.