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Der Autor, der selbst lange Jahre als Fluglotse gearbeitet hat, gibt mit seinem Buch einen Einblick hinter die Kulissen der Flugsicherung. Wie sorgen die Lotsen für die erforderliche Sicherheit im Luftverkehr und was sind das für Menschen, die diesen Job verrichten? Angereichert durch seine eigenen Erfahrungen und die Schilderung des einen oder anderen Vorfalls ist dieser Band alles andere als ein trockenes Sachbuch, sondern ein mit gewissem Schmunzeln zu lesendes Buch.
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Seitenzahl: 179
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Ein Porolog oder der Versuch, den Zweck dieses Buches zu erklären
Weshalb braucht man Fluglotsen?
Ein bisschen Geschichte zum Anfang
Wie wird man eigentlich Fluglotse
Am Anfang stehen Theorie und Simulation
Die „Trainee“ – Zeit
Die Kontrolle des Luftverkehrs
Die Flugverfahren
Die fliegende Kundschaft
Und die anderen Kunden
Die Kommunikation
Die Sache mit dem Radar
Flugpläne und Kontrollstreifen
Von Not- und Zwischenfällen, der Unternehmenskultur und die Rolle der Medien
Der Funktionär
Ein Blick in die Glaskugel
Nachwort
Ein Buch über Fluglotsen? Muss das sein? Nun ja, darüber kann man, wie über so vieles andere auch, trefflich streiten. Wobei man zu dem Urteil kommen könnte, dass ein Buch über diese Berufsgruppe eigentlich gar nicht notwendig wäre. Denn verglichen zu anderen Berufen ist sie eine verschwindende Minderheit. Auf der anderen Seite könnte man natürlich einwenden, dass die Flugsicherung ein unverzichtbarer Bestandteil des Luftverkehrs ist und die Fluglotsen diejenigen sind, welche den Piloten sagen, wo´s langgeht.
Das ist schon mal was. Und damit wäre auch geklärt, dass Fluglotsen eben nicht jene Menschen sind, die mit zwei Tennisschlägern die ankommenden Flugzeuge auf ihre Parkplätze auf dem Vorfeld einweisen. Die werden als Einweiser oder auf englisch als Marshaller bezeichnet. Dagegen sind Fluglotsen diejenigen, die auf den Kontrolltürmen und in den Kontrollzentralen für eine sichere und im allgemeinen auch für eine zügige Verkehrsabwicklung sorgen. Deshalb passt der Begriff Fluglotse auch nicht so richtig auf die Tätigkeit. Denn ein Fluglotse lotst eigentlich nicht, sondern er kontrolliert den Luftverkehr. Oder genauer gesagt – er kontrolliert, ob die Piloten auch das tun, was er ihnen aufgetragen hat. Deshalb kommt die englische Bezeichnung des Air Traffic Controllers, im weiteren Verlauf des Buches einfach als Controller bezeichnet, der Sache wesentlich näher.
Damit wäre mit wenigen Worten dargelegt, weshalb man ein Buch über Fluglotsen oder Air Traffic Controller schreiben sollte. Dazu kommt, dass es erstens nur den wenigsten bekannt ist, wie es auf dem Tower oder in einer Kontrollzentrale zugeht und weil es zweitens bisher nur wenige Bücher über die Flugsicherung und insbesondere den Job eines Air Traffic Controllers gibt. Die meisten dieser Bücher sind von Flugsicherungsingenieuren für Menschen geschrieben, die sich auf demselben technologischen Level befinden wie die Autoren dieser Werke. Für den normalen Konsumenten und, man kann es glauben oder nicht, auch für den normalen Fluglotsen sind sie mithin unverständlich. Es soll Controller geben, die im Zustand länger anhaltender Schlaflosigkeit zu einem dieser Fachbücher greifen. Meist verstehen sie, obwohl sie täglich mit den dort beschriebene Systemen und Geräten zu arbeiten haben, nur sehr wenig von dem, was dort beschrieben wird. Konsequenterweise fallen ihnen nach wenigen Minuten die Augen zu und ihr Kopf fällt mit einem Knall auf die Tischplatte. Was irgendwie als kontraproduktiv bezeichnet werden kann. Denn durch den Einschlag der Birne auf den meist etwas härteren Tisch werden sie auf unangenehme Weise aus Morpheus´ Armen gerissen und in die schlaflose Realität katapultiert. Was den Controller dann zu der Erkenntnis führt, dass ein Glas französischen Landweins wohl die bessere Medizin gegen Schlaflosigkeit sein dürfte. Deshalb werden die technischen Systeme der Flugsicherung in diesem Buch möglichst so beschrieben, dass sie auch von technischen Laien verstanden werden.
Darüber hinaus soll dieses Buch auch keine nüchterne Beschreibung der Flugsicherung und der Arbeit der Fluglotsen sein. Das können die Pressestellen der Flugsicherungsunternehmer, auf neudeutsch als ANSP (Air Navigation Services Provider) bezeichnet, viel besser. Wobei diese sich selbst immer im besten Licht darstellen und in allen anderen, zum Beispiel in den Berufsorganisationen und Gewerkschaften, den Grund alles Übels sehen. Ohne die lästigen Forderungen und das ständige Gequengel der Lotsen würde alles viel besser funktionieren. Vielmehr soll dieses Buch eine Erinnerung an die Zeiten sein, die der Verfasser dieser Zeilen als aktiver Controller erlebt hat und an die er sich gerne erinnert. Vielleicht ist es – ein wenig Arroganz sei erlaubt - eine viel bessere Beschreibung des Berufs des Air Traffic Controllers und das, was diese von anderen Berufen unterscheidet, was sie denken und was sie fühlen und weshalb sie trotz allen Stresses und allen Unabwägbarkeiten ihren Beruf als den schönsten und interessantesten von allen anderen bezeichnen. Wie gesagt, ein wenig Arroganz sollte erlaubt sein.
Und eines ist dieses Buch auch nicht: es ist kein Heldenepos. Denn Fluglotsen sind keine „Helden“. Sie sind auch keine Einzelkämpfer und auch keine „Rambos“. Einzelkämpfer, Helden und „Rambos“ sind in diesem Beruf fehl am Platz. Weil Helden und Einzelkämpfer zur Selbstüberschätzung neigen und dies genau das ist, was man bei der Flugsicherung am wenigsten gebrauchen kann. Fluglotsen sind Realisten. Flugsicherung ist Teamwork. Ohne Zusammenarbeit und ohne die Gewissheit, dass die Kollegen am Arbeitsplatz nebenan oder in der „benachbarten“, oftmals mehr als hundert Kilometer entfernten Kontrollzentrale mit derselben Professionalität ihren Job verrichten, geht gar nichts. Eine schnelle Auffassungsgabe, eine gewisse Stressresistenz, Teamfähigkeit und ein besonderes Gefühl für Verantwortung sind die Voraussetzungen, die ein Fluglotse für seinen Beruf benötigt. Dabei sind Fluglotsen eigentlich ganz normale Menschen, die nur auf bestimmten Gebieten besonders gut und dafür auf anderen furchtbar schlecht sein können. Und die sich deshalb aufgrund dieser besonderen Fähigkeiten für ihren Beruf qualifiziert haben und ihren Job mit Zufriedenheit und mit einem gewissen Stolz erledigen.
Dieses Buch soll einen Einblick in die Welt der Kontrolltürme und der Kontrollzentralen und die Arbeit der Air Traffic Controller und ihr Selbstverständnis geben. Wenn ich dies einigermaßen geschafft habe, dann hat es sich gelohnt, dieses Buch zu verfassen.
Fluglotsen, das wurde bereits erwähnt, gewährleisten die erforderliche Sicherheit im Luftraum. Mit anderen Worten, sie sorgen dafür, dass sich Flugzeuge, die sich unter ihrer Kontrolle befinden, nicht zu nahe kommen. Man kann auch sagen – dass sie nicht zusammenstoßen. In ihren Vorschriften gibt es ganz zu Beginn einen Begriff dafür: „A safe, efficient and orderly flow of air traffic.“
Nun haben irgendwelche klugen Menschen, die sehr wahrscheinlich der Kategorie der Mathematiker zugerechnet werden müssen, etwas – aus der Sicht der Fluglotsen – Ungeheuerliches herausgefunden. Sie haben nämlich festgestellt, dass es nach den Kriterien der Wahrscheinlichkeitsrechnung nahezu unmöglich ist, dass Flugzeuge, die von A nach B, mit jenen zusammenstoßen werden, die von X nach Y fliegen. Was nichts anderes bedeutet, dass man eigentlich gar keine Fluglotsen benötigt.
Um diesem Bedeutungsverlust entgegenzutreten und um nicht den Weg zum Arbeits- respektive zum Sozialamt antreten zu müssen, sind die Fluglotsen oder Air Traffic Controller in Zusammenarbeit mit den Göttern der Internationalen Zivilluftfahrtbehörde ICAO (International Civil Aviation Organisation) auf eine einfache, aber wirkungsvolle Idee gekommen: Sie haben die Flugzeuge gezwungen, auf ganz bestimmten Strecken, den sogenannten Luftstraßen oder Airways zu fliegen (offiziell werden sie als Air Traffic Services (ATS) Routes bezeichnet). Womit die Gefahr eines Zusammenstoßes um einiges zugenommen hat. Und als ob das nicht schon genügend Schikane wäre, haben sie die Flugzeuge auch noch gezwungen, sich nicht nur im Horizontalflug, sondern auch noch in vertikaler Richtung zu bewegen, also Steig- und Sinkflüge durchzuführen. Was das Risiko noch zusätzlich erhöht und die ordnende Hand der Controller unbedingt erforderlich macht. Man kann es auch anders nennen. Die Fluglotsen sind jene Bösewichter, welche die viel besungene Freiheit über den Wolken zunichte machen.
Damit wäre die wichtigste Funktion der Fluglotsen einigermaßen korrekt beschrieben. Doch darüber hinaus haben sie auch noch weitere Funktionen. Denn neben der Aufgabe, ihre fliegende Kundschaft auf sicherem Abstand zu halten, müssen sie bei ihrem Job auch noch andere Dinge berücksichtigen. Da wäre neben dem „safe“, also der Sicherheit, auch noch das „efficient“ und das „orderly“ zu erwähnen. Und hier beginnt die Sache problematisch zu werden. Denn während die ICAO und die nationalen Luftfahrtbehörden ziemlich genau festgelegt haben, was unter „safe“ zu verstehen ist, haben beim „orderly“ verschiedene Leute, Institutionen und Luftfahrtunternehmen unterschiedliche Vorstellungen.
Dies kann an einem einfachen Beispiel erläutert werden. Wenn die Controller sich dazu entscheiden würden, auf jeder Luftstraße pro Stunde lediglich ein Flugzeug verkehren zu lassen, dann wäre dies ganz zweifellos eine sichere Sache. Obwohl sie auch dann irgendwie dafür sorgen müssten, dass sich diese nicht gerade bei den Kreuzungen von zwei Luftstraßen treffen. Aber irgendwie könnte man dies schon hinkriegen. Oder wie es einer meiner früheren Vorgesetzten einmal ausdrückte: Das schafft auch ein gut dressierter Rhesusaffe. Allerdings wäre ein derartiges Verfahren alles andere als wirtschaftlich. Deshalb müssen die Fluglotsen dafür sorgen, dass es brummt. Mit anderen Worten – sie müssen den zur Verfügung stehenden Luftraum so ausnutzen, dass sie die größtmögliche Zahl von Flugzeugen darin unterbringen.
Nun haben Fluglotsen feststellen müssen, dass die Experten in Sachen Flugsicherung gar nicht in den Kontrolltürmen und –zentralen sitzen, sondern – in eingeschränktem Maße – in ihrer Unternehmenszentrale, im Verkehrsministerium und in Chefetagen der Fluggesellschaften. Denn die wissen viel besser als die Controller, was unter einem „efficient and orderly flow of air traffic“ zu verstehen ist. Vor allem dann, wenn ihre Flüge an ihrem Zielflughafen in den Warteräumen, den „Holding Patterns“ unnötig Sprit verbrennen oder wenn sie beim Abflug verspätet sind. Egal, ob das Wetter zu schlecht ist oder die Kapazität des jeweiligen Flughafens mal wieder überschritten ist – die Flugsicherung, sprich die Fluglotsen, sind immer schuld. Zugegeben, einige der Airlinechefs beklagen eine ineffiziente europäische Flugsicherungsorganisation und zeigen nicht auf die Controller. Dennoch fühlen sich die Controller immer ein wenig mit an den Pranger gestellt. Womit wir bei einer weiteren wichtigen Funktion der Fluglotsen wären. Nämlich der des Sündenbocks!
Controller müssen diese Rolle nicht nur übernehmen, wenn es in der Abwicklung des Luftverkehrs nicht so läuft, wie sich dies die Protagonisten bei den Fluggesellschaften und den Flughäfen vorgestellt haben. Denn ein ganz wichtiger Punkt, den die Fluglotsen berücksichtigen müssen, ist der Lärmschutz. Während der Nacht kommt dieser Punkt gleich nach der Sicherheit; Wirtschaftlichkeit ist dann nicht so wichtig. Dass dies so ist, liegt wohl an jenen Bürgern, die sich in den Anliegergemeinden zu Lärmschutzvereinigungen zusammen gefunden haben und sich zum Ziel gesetzt haben, das Abendland vom Untergang, sprich die Bürger vom Fluglärm zu bewahren. Und wenn es dann einmal wieder zu laut war, dann ist natürlich einmal wieder die Flugsicherung, sprich der Controller gewesen, der ihnen ein an- oder abfliegendes Luftfahrzeug im Tiefflug über die Hütte gejagt hat. Manchmal könnte man zu der Erkenntnis kommen, dass Fluglotsen wegen einer Staffelungsunterschreitung (ein Umstand, der im Laufe des Buches noch erläutert wird) weniger gerügt würden als wenn ein Flughafenanwohner bei abendlichen Dämmerschoppen durch den Lärm eines Flugzeugs gestört wird.
Das wären also die wichtigsten Funktionen der Fluglotsen. Doch bevor nun darangegangen wird, wie Flugsicherung in der Praxis gemacht wird (oder zu meiner Zeit gemacht wurde), kann ein Blick in die Geschichte der Flugsicherung nicht schaden. Schließlich sind Fluglotsen ja nicht einfach vom Himmel gefallen und haben sich in den Kontrollstellen häuslich eingerichtet. Irgendwann muss ja die Notwendigkeit für diese Aufgabe festgestellt worden sein...
Wann der erste Fluglotse seinen Dienst aufgenommen hat, ist nicht eindeutig festzustellen. Darüber hat wohl jeder Staat oder genauer gesagt, jede Nation so seine bzw. ihre eigenen Vorstellungen. Die sich vielleicht an deren realen oder auch eingebildeten Rolle in der Geschichte orientiert. Luftfahrtpioniere müssen eben ganz einfach auch Flugsicherungspioniere sein. In Deutschland zum Beispiel wurde bereits 1911 ein Luftfahrtwarndienst eingerichtet. Leider kam einem weiteren Ausbau der Erste Weltkrieg dazwischen, um diese Institution weiter zu entwickeln. Aber kurz danach ging es los, als 1918 beschlossen wurde, die Belange des Luftverkehrs durch ein Reichsluftamt zu regeln. 1927 war das erste Mal von Flugsicherung die Rede. Genau von der Zentralstelle für Flugsicherung (ZfF), die 1933 zum Reichsamt für Flugsicherung mutierte und später in das Reichsluftfahrtministerium (RLM) integriert wurde. Was irgendwie konsequent war. Schließlich hatte Hermann Göring als oberster Luftfahrtzampano und (späterer) Oberbefehlshaber der Luftwaffe entschieden, dass alles, was fliege, ihm gehöre. Und da mussten diejenigen, die fürs Fliegen irgendwie gebraucht wurden, eben auch unter seine Fittiche schlüpfen. Die damaligen Verfahren wie zum Beispiel das Durchstoß- oder das „zz“-Verfahren muten aus heutiger Sicht allerdings etwas exotisch an. Doch der Fortschritt ließ sich nicht aufhalten. Bereits 1932 hatte die Lorenz AG ein UKW-Landefunkfeuer entwickelt, das man bei gutem Willen als einen Vorläufer des heutigen Instrumentenlandesystems (ILS) bezeichnen kann.
Allerdings behaupten die Amerikaner, dass der erste wirkliche Fluglotse bereits 1929 auf dem St. Louis Airfield, dem heutigen Lambert St.Louis International Airport, seinen Dienst aufgenommen habe. Was die bereits aufgestellte Theorie, dass diejenige Nation, die sich selbst als die Nation der Luftfahrtpioniere betrachtet, auch automatisch Pionierleistungen auf dem Gebiet der Flugsicherung erbracht haben muss, untermauert. Schließlich bestehen die Amerikaner ja auch darauf, dass die Gebrüder Wright den ersten Motorflug durchgeführt haben. Zumindest war es der erste dokumentierte Flug mit einem motorgetriebenen Fluggerät. Wie dem auch sei – der erste Air Traffic Controller der Welt hieß Archie William League, war ausgebildeter Pilot und wurde 1929 in St. Louis angestellt. Sein „Kontrollturm“ bestand aus einer Schubkarre, auf welchem er – um sich gegen die Sonne zu schützen - einen Sonnenschirm angebracht hatte. Den Flugverkehr dirigierte er mit Flaggen. Eine war mit einem Schachbrettmuster versehen und stand für „GO“, was einer Start oder Landefreigabe gleich kam. Die andere war rot und das bedeutete HOLD. Doch bereits 1930 wurde ein „richtiger“ Kontrollturm errichtet, der mit Funk ausgerüstet wurde. League wurde dadurch zum ersten „Radio Air Traffic Controller“ der Welt.
Allerdings gibt es noch eine weitere Version über den bzw. die ersten Air Traffic Controller, den bzw. die mein Freund Rudi Rödig in seinem Buch „Himmel, Arsch und Zwirn! Auch Fliegen will gelernt sein“1 bereits der Antike zugeordnet hat. Und zwar bei der Untersuchung eines Flugunfalls der griechischen Firma Dädalus & Sohn, bei welchem der Juniorchef, ein Mann namens Ikarus, bei seinem ersten Flug abgestürzt war. „Über die genaue Absturzursache“, so Rudi, „kann nur spekuliert werden.“ Nicht ganz ausgeschlossen ist jedoch, dass „es im Vorfeld des Absturzes auch zu einem Beinahe-Zusammenstoß mit einem anderen Luftfahrzeug kam“, dem von Flugkapitän Helios pilotierten Sonnenwagen. Da Kapitän Helios seine im Flugplan angegebene Standardstrecke nicht verlassen hatte, würde dies eventuell auf eine Beteiligung der griechischen Flugsicherung hindeuten, zumindest als ´contributing factor`“. Dass darüber keine ausführlichen Berichte vorliegen, ist auch nicht erstaunlich. Schließlich besaß „Kapitän Helios ... als Gott in der Antike einen Status, der in etwa dem eines hochrangigen Militärpiloten im heutigen Griechenland entspricht. So verwundert es nicht , dass von ihm keine Aussagen zum Unfallhergang vorliegen.“ Meint mein Freund Rudi.
Möglicherweise, so ist zu ergänzen, war Ikarus gar nicht dem Sonnenwagen von Helios zu nahe gekommen oder mit ihm kollidiert, sondern mit einem Luftfahrtgerät einer ganz anderen Mythologie. Zum Beispiel mit dem Sonnenwagen von Trundholm, welcher nordischen Gottheiten zugeordnet wird. Zudem wären die griechischen Fluglotsen in Ermangelung internationaler Regeln und einer einheitlichen Luftfahrtsprache einfach nicht in der Lage gewesen, auf die Annäherung der beiden Luftfahrzeuge entsprechend zu reagieren. Wie man sieht, war bereits in der Antike die Notwendigkeit einer internationalen Luftfahrtorganisation gegeben, die dann als ICAO (International Civil Aviation Organisation) erst 1944 in Montreal das Licht der Welt erblickt hat.
Wie dem auch sei – mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 wurde auch die Reichsflugsicherung beerdigt. Danach wurde Flugsicherung im Süden Deutschlands von der US Air Force, im Norden vom britischen Civil Aviation Board (CAB) und im Osten von den sowjetischen Streitkräften durchgeführt. Zumindest die US Air Force und das CAB stellten schon recht bald Deutsche als Fluglotsen ein. Die Briten begannen bereits 1949 mit der Ausbildung deutscher Controller, die Amerikaner 1951. Im Osten Deutschlands dauerte das etwas länger, was möglicherweise daran lag, dass dort zusätzlich auch noch der Sozialismus weiterentwickelt werden musste.
Viele ehemalige Luftwaffenangehörige sind damals zur Flugsicherung gekommen. Sie waren gewissermaßen die personelle Basis, auf der später dann die deutsche Flugsicherung aufbauen konnte. Und sie, geprägt durch den Krieg sowie ihre Erlebnisse und Erfahrungen bei der deutschen Luftwaffe, bestimmten auch das Betriebsklima und den Umgangston in der „Firma“. Mit anderen Worten: für Mimosen war es nicht ganz einfach, da zu bestehen. Und für Frauen auch nicht. Zumindest für einen Teil der alten Haudegen waren Frauen als Controller so undenkbar wie ein Schneesturm an einem heißen Augusttag. Einer der ersten Münchner Towerchefs, der übrigens kein Bayer, sondern ein Schwabe war, hatte es, so wird berichtet, auf den Punkt gebracht: „In mein´ Tower kommet koine Weiber!“ Es war fast wie bei der Marine. Dort galt früher das Motto: „Wer im Stehen nicht über die Reling pinkeln kann, hat an Bord nichts zu suchen!“ Die Zeiten haben sich glücklicherweise geändert. Frauen haben sich sowohl bei der Flugsicherung als auch bei der Marine ihren Platz erobert. Und das ist auch gut so. Der Umgangston ist wesentlich ziviler geworden.
Am 7. Juli 1953 gingen die Aufgaben der Flugsicherung an die Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS) über; im Januar 1993 übernahm die privatrechtlich organisierte Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS), die jedoch zu 100% im Besitz des Bundes ist, die Flugsicherung.
Im Osten dauerte es, wie bereits erwähnt, etwas länger. Zwar hatte es zu den Messezeiten in Leipzig so eine Art „Miniflugsicherung“ unter deutscher Leitung gegeben. Offiziell wurde es jedoch am 28. Mai 1955, als die UdSSR den Flughafen Berlin-Schönefeld an die DDR übergab. Für den Flugbetrieb und die Flugsicherung war die ostdeutsche Lufthansa, die spätere Interflug, zuständig.
1 Rudi Rödig / Karl Friedrich Krohn: „Himmel, Arsch und Zwirn“ Auch Fliegen will gelernt ein“, 2007, Düsendruck-Verlag, S. 3
Wie es im Leben eben so ist. Um einen bestimmten Job zu bekommen, muss man sich irgendwo bewerben. Das ist bei Fluglotsen nicht anders. Mit einem kleinen Unterschied. Es gibt nämlich nicht so viele Firmen, die Fluglotsen beschäftigen. Damals, als der Verfasser dieser Zeilen sich in den Kopf gesetzt hatte, zukünftig vor einem Radarschirm oder in einem Tower zu sitzen und für Außenstehende in englischer Sprache schwer verständliche Sätze in ein Mikrofon zu sprechen, gab es die BFS, die Bundesanstalt für Flugsicherung. Das war eine Behörde und die Fluglotsen waren Beamte. Und deshalb musste, wer damals in Deutschland Fluglotse werden wollte, auch einen deutschen Pass haben. Oder irgendein Papier, das bestätigte, dass der Inhaber desselben die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Natürlich gab es Alternativen zur BFS. Da war auf der einen Seite die Bundeswehr. Die brauchte auch Fluglotsen, um die Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe, der Marine und des Heeres auf den richtigen Weg zu geleiten. Doch das war für mich nichts. Denn da musste man ja Soldat werden. Und das hatte ich gerade hinter mir. Schließlich hatte ich bereits acht Jahre bei der Marine verbracht und wollte nicht schon wieder Mitglied in diesem Verein werden. Allerdings gab es noch zusätzliche Möglichkeiten, Air Traffic Controller zu werden. Die eine nannte sich Eurocontrol und die andere war, Fluglotse an einem Regionalflughafen zu werden. Dummerweise wurde die erste Möglichkeit für hoffnungsvolle Fluglotsenaspiranten irgendwie als geheime Kommandosache behandelt. Weshalb, ist bis heute unbekannt. Vielleicht weil man bei Eurocontrol wesentlich mehr Geld verdienen konnte als bei der BFS. Und der Job bei einem Regionalflughafen schied auch irgendwie aus. Ganz einfach, weil man sich als Fluglotse in spe gar nicht vorstellen konnte, dass die Controller an den Regionalflughäfen gar nicht bei der BFS, sondern bei den jeweiligen Flughäfen angestellt waren. Zumindest damals. Heute ist das ein wenig anders. Denn Flugsicherungsaufgaben dürfen nur von einem zertifizierten Flugsicherungsdienstleister durchgeführt werden. So kommt es, dass die Fluglotsen an den Regionalflughäfen entweder bei der DFS Towercompany (eine Tochter der DFS) oder bei Austrocontrol angestellt sind. Einige dieser Regionalflughäfen haben sich auch noch als Flugsicherungsdienstleister zertifizieren lassen. Und sind dadurch gleichzeitig Flughafenbetreiber und Flugsicherungsdienstleister. Ob dies sinnvoll ist, sei dahingestellt. Besonders wenn sich irgendwann Zielkonflikte zwischen der Flugsicherung (Abwicklung eines sicheren Luftverkehrs) und der Flughafengesellschaft (Erzielung eines wirtschaftlichen Gewinns) ergeben könnten.
Dass die BFS inzwischen das Zeitliche gesegnet hat und nun die Deutsche Flugsicherung GmbH (DFS) für die Flugsicherung in Deutschland zuständig ist, wurde bereits dargelegt. Die anderen zwei Möglichkeiten gibt es jedoch immer noch. Und nicht nur das. Heute kann, wer Fluglotse werden möchte, sein Glück auch in der Schweiz, in Österreich oder gar in Südafrika versuchen. Oder sonst wo auf der Welt.
Wenn dann die (damalige) Firma, also die BFS, der Meinung war, dass der Bewerber irgendwie zu ihr passen würde, er nicht zu alt und nicht vorbestraft war und offensichtlich auch nicht die Absicht hatte, gewissermaßen im Nebenjob eine kriminelle Karriere einzuschlagen, zusätzlich auch noch das Zeugnis der Hoch- bzw. Fachhochschulreife vorzeigen konnte, dann wurde dieser zu einem Eignungstest eingeladen. Und da wurden dann die Belastung und die Konzentrationsfähigkeit des Bewerbers getestet. Das ging damals natürlich noch nicht mit irgendwelchen elektronischen Hilfsmitteln. Man befand sich noch im analogen Zeitalter. Aus heutiger Sicht gewissermaßen noch in der Steinzeit. Ein Test, bei welchem offensichtlich die Konzentrationsfähigkeit getestet wurde, bestand in der Aufgabe, in endlosen Spalten aufgeführte einstellige Zahlen zu addieren und das Ergebnis zwischen diesen Zahlen zu vermerken. Nach jeweils zehn Minuten musste ein Strich unter die Zahlenreihe gezogen werden. Die ganze Übung dauerte eine Stunde und es war kaum zu glauben, dass man gegen Ende der Übung Schwierigkeiten hatte, sechs und sieben zu addieren. Und dann gab es noch ein Interview mit irgendwelchen Gurus, unter welchen sich wohl auch ein Psychologe geschmuggelt hatte. Die wollten nun herausfinden, ob der hoffnungsvolle Aspirant nicht nur belastungsresistent und konzentrations-, sondern auch teamfähig ist. Und er überhaupt zur BFS passte.