Turnvater Jahn - Horst Bosetzky - E-Book

Turnvater Jahn E-Book

Horst Bosetzky

4,7

Beschreibung

Schon als kleiner Junge träumt Friedrich Ludwig Jahn davon, einmal als Held in die deutsche Geschichte einzugehen. Überzeugt von sich und seinen Idealen, macht er sich mit seinem Ehrgeiz bald viele zum Feind. In der Schule landet er regelmäßig im Karzer, weil er Lehrer beleidigt und seine Kraft bei Prügeleien demonstriert. Während des Studiums macht er vor allem mit seinem aufbrausenden Charakter auf sich aufmerksam, so dass man ihm die Teilnahme am Lehrbetrieb schließlich verwehrt. Doch Jahn lässt sich nicht beirren. Als glühender Patriot widmet er sich dem Kampf gegen die napoleonische Besatzung und der Idee eines geeinten deutschen Nationalstaates. Als Vorbereitung der männlichen Jugend für den Freiheitskampf propagiert er die körperliche Ertüchtigung. 1811 eröffnet er den ersten öffentlichen Turnplatz Deutschlands in der Berliner Hasenheide – und ahnt nicht, dass sich bald das ganze Land an seinen Leibesübungen erfreuen wird. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig im Jahr 1814 wird das Turnen zu einer Massenbewegung. Doch die Herrschenden blicken skeptisch auf diese Entwicklung, setzen sich Jahn und seine Turner doch für eine demokratische Verfassung ein. Im Jahr 1819 wird die Turnbewegung schließlich verboten, und Friedrich Ludwig Jahn wird zu Festungshaft verurteilt. Der Freiheitsgeist des beliebten Turnvaters scheint gebrochen. Doch dann gehen die Bürger im März 1848 auf die Barrikaden, und Jahns Kampfgeist kehrt zurück … Horst Bosetzky schildert in seinem autobiographischen Roman den Werdegang des ebenso widersprüchlichen wie faszinierenden Mannes und zeichnet ein beeindruckendes Panorama jener turbulenten Zeit, in der sich ein deutsches Nationalbewusstsein herausbildete.

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Horst Bosetzky

Turnvater Jahn

Ein biographischer Roman

Jaron Verlag

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

VorspielEine Szene in der Berliner Hasenheide 2011

1Der Herr segne dich 1785–1791

2Das Strafbuch füllt sich 1791–1794

3Als Leiche im Schafgraben? 1794–1796

4Jahn, das Alphatier 1796–1802

5 Noch ein Rausschmiss 1802–1803

6Das kleine Glück 1803–1805

7Als Patriot gegen Napoleon 1805–1809

8Leben und Tod 1809–1810

9Ein Mythos wird geboren 1810–1812

10Vor dem Sturm 1812–1813

11Im Lützow’schen Korps 1813

12Das Fahrwasser wird ruhiger 1813–1814

13Schwarz-Rot-Gold 1815–1817

14Zum Abschuss freigegeben 1817

18Turner, auf zum Streite 1818

16»Sie sind verhaftet!« 1819

17Der Prozess 1820

18In der Verbannung 1820–1825

19Im Abseits 1825–1838

20Rückkehr und Abgang für immer 1838–1852

Literatur

Originalausgabe

1.Auflage 2014

© 2014Jaron Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und

aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,

Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und

Verarbeitung in elektronischen Medien.

www.jaron-verlag.de

Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin

Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN 9783955521721

Vorspiel

Eine Szene in der Berliner Hasenheide

2011

Für alle, die in Neukölln aufgewachsen sind, ist die Hasenheide ein vertrauter Ort, mehr noch, eine Art heiliger Hain. Hier sind uns die Modellflugzeuge abgestürzt, die wir als Albert-Schweitzer-Schüler im Fach Werken basteln mussten. Hier habe ich als Leichtathlet der Neuköllner Sportfreunde beim Konditionstraining jeden Winter viele Kilometer keuchend zurückgelegt. Und auf der Wiese am Columbiadamm bin ich, der ich eigentlich ein Angsthase bin, bei den Neuköllner Maientagen in die gefährlichsten Achterbahnen, Kettenkarussells und sonstigen Fahrgeschäfte gestiegen, um meiner ersten Frau als echter Mann zu imponieren.

Kurzum, mit der Hasenheide sind viele Erinnerungen verknüpft, doch heute meide ich sie weitgehend, denn sie ist der wohl verrufenste Drogenumschlagplatz Berlins. Und wahrscheinlich wäre ich auch an jenem Sonnabend, dem 29.Juni 2011, nicht auf die Idee gekommen, sie zu betreten, wenn ich nicht vorher einige Gläser Rotwein konsumiert hätte. In einem Restaurant an der Hasenheide hatte ein früherer Kollege seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert, und einer der Gäste, ein alter Turner, hatte mich gefragt, ob ich wüsste, was an jenem Tag vor genau zweihundert Jahren geschehen sei.

Ich rechnete. »1811 war das… Nein, dazu fällt mir nichts ein.«

»Da hat Friedrich Ludwig Jahn hier in der Hasenheide den ersten Turnplatz Deutschlands eröffnet.«

»Du hast recht!« Ich hätte es wissen müssen, saß ich doch gerade an den Vorarbeiten zu einem Jahn-Roman.

So war es nur allzu einleuchtend, dass ich mich, als mir die Feier zu langweilig wurde, für eine halbe Stunde davonstahl, um dem Jahn-Denkmal in der Hasenheide einen kleinen Besuch abzustatten. Als ich auf das Monument zuging, wurde mir plötzlich seltsam zumute. Blümerant hieß das früher. So richtig übel war mir nicht, eher hätte ich meinen Zustand als »high« beschrieben. Das lag wohl weniger daran, dass ich über verborgene Drogendepots gelaufen war, als vielmehr an dem Rotwein, den ich getrunken hatte. Ich sank auf einen Findlingsblock, starrte zum ehernen Jahn hinauf und erlebte zwischen Traum und Wirklichkeit eine unvergessliche Szene…

Friedrich Ludwig Jahn herrschte mich an: »Sie Lump, Sie wagen es, mir unter die Augen zu treten?«

Ich duckte mich unwillkürlich. »Was habe ich denn Schlimmes getan?«

»Sie wollen einen Roman über mich schreiben, und das ganz sicher in der Absicht, kübelweise Schmutz über mich zu gießen!«

Langsam gewann ich meine Contenance zurück. »Aber es ist doch eine Ehrung, wenn posthum etwas über einen Menschen geschrieben wird. Denken Sie nur an Theodor Fontane, der gesagt hat: Die besten Gardebataillone der Menschheit sind die Toten, die, biographisch wiederbelebt, unter uns wandeln.«

»Was die Herren Ernst Haberkern und Oliver Ohmann über mich zu Papier gebracht haben, reicht völlig aus und kann von Ihnen auf keinen Fall übertroffen werden«, teilte mir Jahn mit.

»Ich werde Ihre Geschichte ganz anders gestalten, denn ich bin ein echter Romanschreiber und lege Wert auf Spannung und Unterhaltung, das heißt, ohne ein bisschen Hollywood will und kann ich nicht auskommen. Was in einer wissenschaftlichen Abhandlung vielleicht zwei Zeilen ergäbe, wird bei mir zu einer filmreifen Szene von mehreren Seiten Länge.«

Jetzt wurde es gleißend hell vor meinen Augen, und ich fühlte mich in ein griechisches Theater versetzt. Links und rechts von Jahn zogen zwei Gruppen von Chorleuten auf, in der griechischen Antike Choreuten genannt. Die Hauptdarsteller waren Jahn und ich.

Das Stück begann. Der sogenannte Turnvater ergriff als Erster das Wort, dröhnend und voller Pathos. »Es wird ein anderes Zeitalter für Deutschland kommen, und ein echtes Deutschtum wird wieder aufblühen. Wir werden schöne Träume verwirklicht finden und endlich aus jahrelangem Schlummer erwachen.«

Der Chor der Jahn-Gegner, der gekleidet war, als komme er gerade von einer Demonstration der Linken zum 1.Mai, sang daraufhin ein vom nationalsozialistischen Regime wie auch der SED-Diktatur missbrauchtes Weihnachtslied: »Es ist für uns eine Zeit angekommen/​sie bringt uns eine große Freud.«

Der Anführer des Chores trat vor, entbot den Deutschen Gruß und brüllte dabei: »Heil Hitler!«

Der Chor der Jahn-Freunde, erschienen in klassischer weißer Turnkleidung, konterte mit dem Lied der Deutschen, verfasst von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im August 1841 auf der Insel Helgoland, die damals zu Großbritannien gehörte.

Deutschland, Deutschland über alles,

über alles in der Welt,

wenn es stets zu Schutz und Trutze

brüderlich zusammen hält.

Der Riegenführer wollte noch etwas richtigstellen. »Deutschlands Einheit war für Jahn der Traum seines erwachenden Lebens, das Morgenrot seiner Jugend, der Sonnenschein seiner Manneskraft und der Abendstern, der ihm zur ewigen Ruhe gewinkt hat.«

»Von wegen Deutschland!«, kam es von den Gegnern Jahns. »Ein preußisch-deutsches Erbkaisertum hat er angestrebt. Wir, die Republikaner, Arbeiter und Thronvernichter, wir rufen dir zu: Hinweg mit dir, Friedrich Ludwig Jahn, du elender Demokratenfresser!«

»Ach was!«, rief der Chor der Jahn-Befürworter. »Die Feinde Jahns waren die eigentlichen Demokratenfresser der Metternichzeit. Sie haben ihn jahrelang in Festungshaft gehalten und in die Verbannung geschickt– als Dank dafür, dass er die deutsche Jugend mit seinen Leibesübungen wehrhaft gemacht hat und Deutschland so die Befreiungskriege gegen Napoleon gewinnen konnte.«

Der Chor der Jahn-Gegner lachte schallend. »Womit er allen Demokraten einen Bärendienst erwiesen hat, denn die Franzosen haben Europa fortschrittliche Ideen gebracht, nach ihnen kam aber eine finstere Zeit.« Er stimmte nun die Marseillaise an.

Allons enfants de la Patrie,

le jour de gloire est arrivé!

Contre nous de la tyrannie,

l’étendard sanglant est levé.

Jahn hielt sich die Ohren zu und war entsetzt. »Mein Gott, das mir! Es ist die reinste Folter für mich, Französisch zu hören.«

Auch die Jahn-Freunde reagierten mit Abscheu und Empörung auf die französische Nationalhymne. »Es ist schäbig von euch, ihn so zu verspotten. Er war gutmütig, zart gegenüber dem anderen Geschlecht, und er besaß einen ausgeprägten Familiensinn. Grenzenlose Hilfsbereitschaft zeichnete ihn aus, und er hat ein Leben lang unbeirrt für das gekämpft, was er als gut, rechtens und anständig ansah.«

»Er war wild, ungezügelt, herrschsüchtig und überheblich. Und immer wollte er der Erste sein«, konterte die Gegenseite.

Jetzt wollte ich auch einmal etwas sagen. Da ich in meiner Familie und in meinem Freundeskreis auch immer um Gehör kämpfen musste, wusste ich, dass man nur eine Chance hatte, wenn man einfach dazwischenging. »Jahns Schwärmerei für das Preußentum ist doch eher tragisch zu nennen, denn er wurde zum Opfer dessen, was er angebetet hat, ein Verfolgter des Preußen-Regimes!«, rief ich. »Und wenn sich jemand der deutschen Sprache widmet, dann ist das doch verdienstvoll. Sprachpurismus ist etwas, über das man diskutieren muss, gestern wie heute. Seht euch die Franzosen an, wie sie gegen alle Anglizismen kämpfen!«

»Unser Turnvater hat die deutsche Sprache über alles geliebt«, ergänzten die Jahn-Anhänger.

Deutscher, sprich deutsch!

Deine Rede sei klar und rein!

Drum fasele nicht und deutele nicht

sondern antworte »ja« oder »nein«!

»Wir wiederholen es gern für alle: Sein Ziel war das Heil unserer teuren Muttersprache«, fügte die Turnerriege an.

Das war das Stichwort für Friedrich Ludwig Jahn. »Deutscher, der du vorbeigehst und deine Muttersprache noch nicht verlernt hast, vernimm meinen Wahlspruch: Schande, Elend, Fluch, Verderben und Tod über dich, so du vom Ausland den Heiland erwartest!«

»Der Jahn ist doch nichts weiter als ein Vorgänger der Nationalsozialisten!«, schrie einer, der sich schwarz vermummt hatte. »Nazis raus! Nazis runter vom Denkmal!«

Jahns Freunde stimmten nun eines der Turnlieder an, die man im Jahre 1811 vielerorts gesungen hatte.

Deutsch zu denken, deutsch zu handeln,

stets den graden Weg zu wandeln,

ist des Deutschen Biederpflicht.

Dieses, Brüder, lasst uns üben,

nur das Deutsche lasst uns lieben,

es ist gut, das Fremde nicht.

Einer von den Jahn-Gegnern tippte sich an die Stirn und rief: »Das ist doch ein Eigentor, merkt das denn keiner von euch? Es gibt keinen gefährlicheren Feind für das wahre Deutschtum als diese Deutschtümelei, die alles lächerlich macht.«

»Apropos lächerlich«, ergänzte sein Nebenmann, »da schlug der Jahn doch allen Ernstes vor, an der deutschen Westgrenze einen mehrere Meilen breiten Sumpfgürtel anzulegen, in dem wilde Tiere die Franzosen daran hindern sollten, nach Deutschland zu kommen und ihren verderblichen Einfluss auszuüben, insbesondere auf die Jugend und die Frauen.«

DieJahn-Verteidiger lenktennunein.»Schönundgut,haltenwiresmitGoetheundseinemGötz von Berlichingen:Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.«

»Ach ja, das Theater… «, seufzte die Gegenseite. »Jahn wollte, dass nur noch ein Theaterstück in Deutschland gespielt wird: Die Hermannschlacht.«

»Und eine monumentale Hauptstadt sollte es geben«, fügte ein anderer hinzu. »Teutonia. Germania hieß sie später bei Hitler.«

»Was kann Jahn dafür, dass er von Hitler vereinnahmt worden ist?«, fragten seine Verehrer.

Ich presste die Fäuste gegen die Schläfen und brachte meinerseits Goethe ins Spiel. »Mir wird von alledem so dumm,/​Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.« Dann riss ich mich zusammen und besann mich meiner Bildung. »Kinder, bedenkt bitte die Lage in Deutschland nach den Befreiungskriegen! Dem Deutschen Bund gehörten 41 souveräne Fürstentümer und freie Städte an, als er am 8.Juni 1815 auf dem Wiener Kongress ins Leben gerufen wurde. Die Menschen mussten sich an Grenzen und Zollkontrollen sowie an neue Maße gewöhnen. Es gab nicht einmal eine richtige deutsche Hochsprache. Die oberen Schichten sprachen französisch oder latein. Es ist verständlich, dass unter diesen Umständen viele von einem einigen Vaterland träumten.«

»Halt’s Maul, du Nationalist!«, rief einer aus dem Block der Linken.

Da schrie ich: »Ich bin begeisterter Europäer und wünsche mir die Vereinigten Staaten von Europa lieber heute als morgen, aber man wird doch noch den Versuch machen dürfen, die Menschen von damals zu verstehen!«

Die Jahn-Freunde pflichteten mir bei. »Damals hat ein großer Teil der Jugend die Turnerei begeistert begrüßt. Sie gab Kraft und steigerte das Selbstwertgefühl.«

Jahn gab sich nun würdig und bedeutsam. »Der Mensch muss auf Körper und Geist achten und beiden die bestmögliche Entwicklung zukommen lassen.«

»Frisch, frei, fröhlich und fromm!«,riefenseineFansundbegannen,einLiedausderZeitdesVormärzzusingen:

Turner, auf zum Streite!

Tretet in die Bahn.

Kraft und Mut geleite

uns zum Sieg hinan!

Ja, zu hehrem Ziel

führet unser Spiel.

Auf denn, Turner, ringet,

prüft der Sehnen Kraft.

Doch zuvor umschlinget

euch als Bruderschaft.

Großes Werk gedeiht

nur durch Einigkeit.

Die Jahn-Gegner blieben unbeeindruckt. »Er war außerdem Antisemit!« Sie gerieten zusehends in Rage und verlangten nach einer Stange Dynamit. »Dieses Denkmal hier sollte endlich in die Luft gesprengt werden. Zumindest sollte man es abreißen– wie das von Lenin.«

»Das Denkmal bleibt!« Die Turner stellten sich schützend davor. »Es ist die Pflicht des deutschen Volkes, dem Manne die Ehre zu erweisen, der die Jahre seiner Jugend hingegeben hat, um das Bewusstsein deutscher Einheit und Kraft zu wecken.«

Jahn verlor die Fassung und polterte los: »Zum Teufel mit euch Linken, die ihr Deutschland mit einer Revolution von allen Übeln befreien wollt! Lügner und Betrüger seid ihr, Abenteurer und Gelichter, Advokaten von schlechtem Ruf, Ärzte mit Kirchhofpraxis, verdorbene Schauspieler, liederliche Studenten, verrückte Schulmeister, vom Professor bis zum Arschpauker, und im Handel zugrundegegangene Kaufleute. Ihr Götzen, die der Pöbel anbetet!«

Ich klatschte Beifall. »Bravo, so liebe ich meine Helden!«

Nun nahmen die Jahn-Gegner mich aufs Korn. »Bosetzky, lass dein Jahn-Buch sein/​Sonst schmeißen wir dir alle Scheiben ein!«

Ich hatte gehofft, dass Jahn mich in Schutz nehmen würde, doch auch er begann, mich verbal zu attackieren. »Herr Bosetzky, Sie hatten im Turnunterricht immer eine Fünf. Sie sind doch überhaupt nicht in der Lage, etwas über die Turnerei zu schreiben!«

»Das mag sein, aber im Sommer hatte ich in der Leichtathletik immer eine Eins, und in meiner Jugend war ich einmal schnellster Hundertmeterläufer in Berlin.«

Nun erschien auch noch mein Verleger auf der Bildfläche. »Der Name Bosetzky steht für Berlin-Romane, Jahn ist aber kein Berliner und hat nur wenige Jahre seines Lebens in dieser Stadt verbracht.«

»Aber Brandenburger ist er wenigstens, er stammt aus der Prignitz«, hielt ich ihm entgegen. »Außerdem stelle ich ihm in meinem Roman einen Freund zur Seite, Philipp Pulvermacher, der in Berlin wohnt und stets anwesend ist, wenn in der Stadt Geschichte geschrieben wird. Entscheidend aber ist: Friedrich Ludwig Jahns Leben ist so voller Geschichten, dass ich nicht widerstehen kann, darüber zu schreiben. Oder wie er selbst wahrscheinlich sagen würde: Es ist ein gefundenes Fressen.«

Weiter kam ich nicht, denn Jahn und die Hasenheide wurden plötzlich wie zu Beginn des Stücks von gleißendem Licht erfüllt. Mir wurde schwindlig. Da wusste ich endlich, was mit mir geschehen war: Ich war stark unterzuckert. Instinktiv fuhren meine Hände in die Taschen meiner Lederweste und fischten ein paar zerbröselte Traubenzuckerplättchen heraus. In diesem Moment packten mich zwei Zivilfahnder von hinten und nahmen mich fest– wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Nun, zerbröselten Traubenzucker kann man schon einmal für Rauschgift halten. Besonders in der Hasenheide. Eine Joggerin hatte eine kleine Flasche Apfelsaft bei sich und konnte mich retten. Sonst wäre dieser Roman nicht entstanden.

So breite ich also Jahns Leben vor Ihnen aus.

1

Der Herr segne dich

1785–1791

Prächtig und machtvoll wie Moses stand sein Vater oben auf der Kanzel und wies den Menschen die Richtung. Für die Predigt an diesem Sonntag hatte er sich eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium ausgesucht. Er begann mit dem zweiten Vers aus dem dritten Kapitel.

»Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Buße tun, liebe Gemeinde, was heißt das? Es bedeutet Umkehr zu Gott, nicht nur im Denken, sondern auch in unserem täglichen Handeln. Es bedeutet, nicht schlecht über unseren Nächsten zu reden, ihn nicht zu hassen und ihm nicht zu schaden, sondern ihn gern zu haben und ihm Hilfe zuteilwerden zu lassen, denn wir sollen unseren Nächsten lieben wie uns selbst und nach den zehn Geboten handeln. Am wichtigsten ist der Gehorsam gegenüber Gott und gegenüber der Obrigkeit, denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott. Die Umkehr zu Gott schließt auch eine Abkehr von allen bösen und widergöttlichen menschlichen Neigungen und Schwächen ein.«

Nun las der Vater seiner Gemeinde die Leviten, und Friedrich Ludwig Jahn, gerade sieben Jahre alt geworden, hatte seine Freude daran, wie sich die Zuhörer hinter den Rücken ihrer Vordermänner duckten. Dachte er an seine eigenen Sünden, musste er sich eingestehen, dass er einiges auf dem Kerbholz hatte, zusammen mit seinem Freund Philipp. Sie hatten dem Vater den Ärmel seines Hemds zugenäht, so dass er am Morgen mit der Hand steckengeblieben war und gotteslästerlich geflucht hatte. Sie hatten, als sie den Knechten und Mägden auf den Feldern das Mittagessen bringen sollten, unterwegs die Hälfte selbst aufgefuttert. Sie hatten bei ihren Schießübungen mit Pfeil und Bogen dem Nachbarn Galow die Scheibe seiner guten Stube zerschossen. Sie hatten der Mutter die frische Milch weggetrunken und die fehlende Menge durch Brunnenwasser ersetzt, so dass ihr das Buttern völlig misslungen war.

Da jedoch alle Streiche aufgeflogen waren und er ein jedes Mal gehörig Prügel erhalten hatte, wollte Friedrich Ludwig nicht recht einsehen, warum er jetzt noch Buße tun sollte.

DerVaterlasnunwiederausdemMatthäus-Evangelium vor:»Als nun Jesus an dem Galiläischen Meer ging, sah er zwei Brüder, Simon, der da heißt Petrus, und Andreas, seinen Bruder, die warfen ihre Netze ins Meer; denn sie waren Fischer. Und er sprach zu ihnen: Folget mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!«

Menschenfischer– das gefiel ihm, das wollte er später auch einmal werden. So wie Jesus Christus oder Martin Luther oder Friedrich der Große. Dann konnte er sich hinstellen und sagen: »Alles hört auf mein Kommando!« Und die anderen würden ihm folgen und nicht murren oder mit Lehmklumpen werfen.

Jetzt kam das Schönste am sonntäglichen Gottesdienst. Der Vater hob die Arme, um den Segen zu sprechen. Alle waren sie aufgestanden und hörten die Worte, die ihnen so guttaten wie eine Wundermedizin und ihnen die Kraft gaben, bis zum nächsten Sonntag alle Mühen und Leiden dieser Welt geduldig zu ertragen. »«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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