Two Faces - Makel der Schönheit - Tabea S. Mainberg - E-Book
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Two Faces - Makel der Schönheit E-Book

Tabea S. Mainberg

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Beschreibung

Wahre Liebe zeigt auch ihre Makel. Versuche nicht, sie zu verbergen, nur so findest du Glück und Wertschätzung. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen. Hoffnung und Zweifel, Vertrauen und Enttäuschung. Spannend und hochemotional offenbaren sich die »Two Faces«.  Die Auszeit in den USA hat Billy gutgetan und sie freut sich auf ihre Weiterbildung zur Fallanalytikerin in Wiesbaden. Im Rahmen einer Sonderkommission soll sie ihre ehemaligen Kollegen bei einer mysteriösen Mordserie an drei Influencern aus der YouTuber-Szene unterstützen. Billys Fallanalysen führen sie in das Umfeld des Blue66, dort trifft sie zum ersten Mal nach ihrer Trennung auf Samuel. Beide hegen weiterhin tiefe Gefühle für einander und nach einer vorsichtigen Annäherung siegen Leidenschaft und Begehren. Doch durch ihre Rückkehr wird Billy erneut mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, was die wiederentdeckte Liebe ein weiteres Mal auf eine brisante Probe stellt. Wird es beiden endlich gelingen, der Vergangenheit zu entfliehen?  Ein romantischer Thriller rund um Billys und Samuels Ringen, die wahre Identität sowie die große Liebe zu finden. »Two Faces - Makel der Schönheit« ist der Abschluss der Trilogie. Die anderen Bände der Reihe, »Two Faces - Verbotenes Verlangen« und »Two Faces - Herzenssplitter« erscheinen  ebenfalls bei Piper Spannungsvoll.   

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© Piper Verlag GmbH, München 2019Redaktion: Cornelia FrankeCovergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Rückenwind

Die Zeit heilt nicht alle Wunden

Projekt Nestbau

Schwere Entscheidung

Der Frischling

Sex sells

Augen auf bei der Berufswahl

Achillesferse

Blutige Augen

Die Lust des Spielens

Der Reiz des Spielens

Das Spiel der Provokation

Die Gefahr des Spiels

Reflexionen

Crash

Revanche

Wider aller Vernunft

Gleich auf

Schleudergang

Ein bequemer Weg

Unliebsame Begegnungen

Glück im Spiel …

Überraschungsbesuch

Auf Messers Schneide

Ungeschminkte Wahrheiten

Zarte Triebe

Bluff

Überführt?

Mr X

Kabinett des Schreckens

Hintergründe

Die Schönheit des Makels erleben

Sinnerman

… doch noch ein letztes Wort

Rückenwind

Billy

Den Sonnenaufgang in einem Flugzeug zu verfolgen, ist ein phänomenales Erlebnis. Ich war fasziniert von dem Farbspiel aus Rot, Orange und wie der leuchtend gelbe Ball langsam die graue Wand des Horizonts erklomm. Die Tragflächen der Boeing 747 durchbrachen das Schauspiel, was jedoch der Aussicht nicht seinen Reiz nahm. Bei Flugreisen legte ich enormen Wert auf einen Fensterplatz. Es bot mir eine Art emotionalen Rückzugsort, wenn ich den Kopf an die Kabinenwand lehnte und in ein Universum schaute, welches noch vor einhundert Jahren niemand auf der unserer Erde kannte. Dazu sah die geschlossene Wolkendecke aus wie ein riesiger Teppich aus Zuckerwatte.

Der fast neunstündige Rückflug aus Washington neigte sich dem Ende zu und ein aufregendes Magensausen erfasste mich, je mehr wir uns dem Frankfurter Airport näherten. Sechs Monate waren vorübergezogen, in denen ich viele Eindrücke gewann, die mir für die Ausbildung zur Fallanalytikerin hilfreich sein konnten. Praktische Erfahrungen zu sammeln, sicherte mir Pluspunkte bei dem strengen Auswahlverfahren der Zentralstelle für die operative Fallanalyse. Diese unterlag zwar dem BKA in Wiesbaden, dennoch blieb mir die Möglichkeit, trotz all der turbulenten Ereignisse in Frankfurt zu leben und zu arbeiten.

Sechs Monate Flucht bewertete ich als ausreichend, um einigermaßen unbelastet durchzustarten. Der Wechsel zur Mordkommission war bereits beschlossene Sache. Die neue Aufgabe reizte mich und diente ebenso als Basis für die Erfüllung meines beruflichen Lebenstraums. Ein weiterer Grund, in ein anderes Dezernat zu wechseln, waren die Köpfe der Hydra, die stets nachwuchsen. Eine weltweit agierende Organisation wie die Black Desperados schwächte man mit einer Razzia wie die im King Size nur geringfügig. Ethan Grafenberg und Johannes trieben vermutlich weiterhin ungestört ihr Unwesen. Nein, die sollten mich alle in Ruhe lassen. In dem Fall war ich bereit, die drei Äffchen zum Vorbild zu wählen. Nichts sehen, nichts hören und kein Wort darüber verlieren. Ein schlauer Plan, wie ich fand. Das, was mich dazu an berufsbegleitenden Ausbildungsmaßnahmen erwartete, würde mir kaum Zeit lassen, mich mit dem Menschen zu beschäftigen, der mein Herz in viele Splitter gesprengt hatte. Es war ungemein wichtig, alle meine Sinne zusammenzuhalten, da ich mein Fernstudium im Fachbereich Soziologie fortsetzte. Aufgrund des damaligen Undercovereinsatzes hatte ich es unterbrochen. Glücklicherweise konnte ich nahtlos anknüpfen, da ein Studiengang in einem solchen Wissensgebiet ebenfalls zu der Ausbildung gehörte.

Persönlich benötigte ich endlich wieder ein Zuhause. Der Lebensmittelpunkt, ein Refugium, um zur Ruhe zu kommen, hatte mir gefehlt. Das Vorhaben hatte dank Internet einen vielversprechenden Status angenommen. Eine Immobilienmaklerin hatte mir etliche Angebote zusammengestellt und zeitnah Besichtigungstermine nach meiner Rückkehr vereinbart. Ein gutes Omen!

Ja, ich hatte eine Menge vor und nichts und niemand hielt mich zukünftig davon ab, auch kein Samuel Grafenberg. Konsequent zog ich mittlerweile meinen Plan durch und vermied jeglichen Kontakt. Jedes Detail aus seinem Leben würde mich nur unnötig quälen. Das Internet wurde in einem solchen Fall zum Fluch. In manchen Nächten hatte ich vor dem Laptop gesessen und schaffte es nicht, die Website des Blue66 oder den Instagram Account zu meiden. Erstaunlich, dass dieser Drang im Laufe der Monate nachließ. Nicht nur einmal klopfte ich mir auf die Schultern, als ich dem unterschwelligen Bedürfnis widerstand, Informationen zu ergattern.

Mit seinem Auftauchen kurz vor der Abreise hatte er mir rückblickend extrem zugesetzt. Die Szenerie am Flughafen war mir bis heute in Erinnerung geblieben. In manchen Nächten hörte ich unsere Unterhaltung nachhallen.

»Was ist falsch gelaufen? Waren wir zu schwach, zu leichtgläubig?«, hatte er mich gefragt.

Nicht einmal nach sechs Monaten fand ich darauf eine schlüssige Antwort.

»Ich möchte nicht an die Fehler denken, sondern an das, was gut war und davon gab es eine Menge.«

Da widersprach ich ihm nicht. Wir erlebten wundervolle Momente, in denen ich mir sicher war, dass uns nichts auf der Welt mehr trennen könnte. Doch Träume und Realität harmonierten leider nicht immer so, wie man es sich wünscht.

»Ich liebe dich, Billy Winkler.«

Dem unnahbaren Snob emotional aus der Reserve zu locken, viele Frauen hätten sich den Satz aus Samuels Mund gewünscht. In dieser Deutlichkeit hatte er es mir nur wenige Mal zu verstehen gegeben. Warum gerade direkt vor dem Abflug in eine selbstbeschlossene Flucht? In einer krisengeschüttelten Zeit hatte er sich von dieser Soraya verführen lassen. Selbst ein halbes Jahr später krampfte mein Magen bei der Vorstellung zusammen. Dass er sich in dieser Nacht zugedröhnt hatte, machte es nicht besser.

»Gib uns eine Chance. Ich beweise es dir. Ich kann dich jederzeit besuchen …«

Es war mir bis heute ein Rätsel, wie mir die vernunftgesteuerten Antworten über die Lippen kamen. Mit dem Andenken an seinen Duft, den zärtlichen Berührungen und dem letzten Blickkontakt quälte ich mich durch viele Wochen. Doch ein zersplittertes Herz lässt sich nicht von einen Tag auf den anderen reparieren. Aktuell konnte ich Samuels Worten, dass auch ein Makel mit Schönheit besetzt sei, nicht zustimmen.

Die äußeren Umstände, die zum Aus unserer Beziehung führten, die Machtlosigkeit nicht gegensteuern zu können, entfachte eine übermächtige Wut, sogar noch heute. Allen, die darin involviert waren, wünschte ich die Pest an den Hals.

 

Da ich bewusst einen Nachtflug ausgewählt hatte, fühlte ich mich relativ fit und für die Ankunft gewappnet. Ich streckte meine steifen Glieder und der freundliche Japaner neben mir wünschte mir einen guten Morgen: »Ohayou Gozaimasu.«

Nein, ich würde mich niemals auf Samuels letzten Strohhalm einer Theorie, dieses Kintsugi, einlassen. Dafür hatte er mich viel zu sehr verletzt.

Langsam erwachten die Mitreisenden und die Stewardessen schoben ihre Essenswagen durch den schmalen Gang. Als kleines Mädchen hegte ich ebenfalls den Berufswunsch, durch die Welt zu fliegen. Zwangsläufig schweiften meine Gedanken zu Kessy, da wir beschlossen hatten gemeinsam den Beruf zu ergreifen. Sofort erfasste mich die immerwährende Traurigkeit.

Ich seufzte und sah erneut aus dem Fenster. Vor der Abreise hatte ich meine Eltern besucht und wie jedes Mal führte mich mein Weg zum Friedhof. Der Kies knirschte unter den Sohlen und in dem Augenblick läuteten die Kirchenglocken zum Sonntagsgottesdienst. Mit einem kleinen Engel aus Keramik in der Hand stand ich vor dem liebevoll gepflegten Grab. Warum hört die Trauer nie auf? Ich vermisse dich immer noch …

»Billy, schön dass ich dich mal wieder treffe.« Kessys Mutter trat unvermittelt neben mich. Ich zuckte zusammen, als sie mir ihre Hand auf den Arm legte. »Ich hörte, du hast Reisepläne?«

»Hallo Frau Schlüter, ja ich gehe für ein paar Monate in die USA.«

Ohne darauf zu antworten, zupfte sie die welken Blätter und Blüten von einer der zahlreichen Pflanzen. »Es ist ungerecht, wenn Kinder vor ihren Eltern sterben«, murmelte sie und kämpfte gegen die Tränen. Die Trauer hatte aus ihr einen anderen Menschen geformt. »Ich bin dir unendlich dankbar, dass du die Umstände aufgeklärt hast.« Sie strich über die Vorderseite der Grabsteinplatte, so als streichle sie die Wange ihrer Tochter. »Es hilft. Die Gewissheit, was mit ihr in den letzten Wochen vor ihrem Tod widerfahren ist, auch wenn es noch so grausam ist, erleichtert.« Ihre Gesichtszüge blieben starr. »Ich verstehe nicht, warum Menschen so abgrundtief böse sind. Aber zumindest besteht jetzt die Möglichkeit, ihm seiner gerechten Strafe zuzuführen.«

Das hoffe ich! »Ungewissheit ist ein bedrückender Schmerz.« Dabei dachte ich an die Eltern von Annika, die ebenfalls erst durch die Ereignisse der vergangenen Monate Details über den Tod ihres Kindes erfuhren.

Mühsam erhob sie sich und wir schauten uns in die Augen. »Obwohl ich bis heute nicht verstehe, wieso sie sich auf Gedeih und Verderb auf diese Person eingelassen hat.« Die Stimme klang verbittert. »Haben wir als Eltern etwas falsch gemacht?«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie tragen keine Schuld daran.« Was sollte ich ihr sonst antworten? Die Wahrheit, dass meine Freundin sich in dem strengen und christlich geprägten Elternhaus eingesperrt fühlte und den Wunsch verspürte, dem kleinbürgerlichen Mief zu entkommen? Nein, damit war niemanden gedient.

»Ach Billy, ich weiß wir waren unnachsichtig und mein Mann hat mit seinem ausgeprägten Glauben nicht alles richtig gemacht.«

»So gesehen trage ich ebenfalls eine Mitschuld. Sie war meine beste Freundin.« Eine Träne löste sich und kullerte das Gesicht herunter. »Aber Kessy wollte sich nicht beschützen lassen.«

Sie nahm meine Hand und drückte sie. »Mein kleines Mädchen, lustig, lebensfroh, so bleibt sie mir für ewig in Erinnerung.« Ich kniete mich nieder und platzierte den Engel zwischen zwei Schalen mit Lavendel. Für einen Moment harrten wir schweigend aus. Ich wusste, dass Kessys Mutter seit dem Unglück keine Kirche mehr betrat. Dies hatte zu erheblichen Spannungen in ihrer Ehe geführt. »Was ist das für ein Gott, der das zulässt!«, hatte sie damals vor Schmerz herausgeschrien. »Gütig und gerecht? Nein, das ist eine Lüge.« Damit vertrat sie dieselbe Ansicht wie ich. Ja, wo war er gewesen, der Schöpfer, der auf seine Schäfchen achtete? In der Mittagspause? Nach den vielen Jahren hatten sich die Eltern allerdings arrangiert. Der Vater besuchte den Gottesdienst und seine Frau weilte am Grab, egal ob Winter oder Sommer, ob Regen oder Sonne. Jeden Sonntag saß sie auf einer kleinen Bank, hielt ein altes Stofftier in den Händen und streichelte über den Grabstein. Auch jetzt ließ sie sich auf die verwitterte Sitzfläche nieder. Vorher legte sie ein Sitzkissen darauf. »Es ist ein Ritual, welches ich nicht mehr missen möchte.« Sie lächelte, doch ihre Augen hatten schon lange ihren Glanz verloren. Die eigene Tochter unwiderruflich zu verlieren, stellte ich mir unerträglich vor. Was war dagegen mein Liebeskummer? Lediglich ein winziger Splitter im großen Universum.

 

»Tee oder Kaffee?«, riss mich die freundliche Stimme der Stewardess aus den Gedanken.

»Kaffee mit Milch bitte.« Ich wandte mich ihr zu und der Japaner machte sich noch kleiner, um nicht zu stören.

»Gern.« Sie reichte mir das Frühstückstablet, die Tasse und drehte sich zu dem nächsten Passagier um. Nein, ich war froh, keine Flugbegleiterin geworden zu sein. Kellnerinnen der Lüfte, wie es so schön hieß.

Nach dem Frühstück schälte ich mich aus meinem Sitz und suchte die Toilette auf, um mich zu erfrischen. Es half nicht wirklich. Neun Stunden in einem solchen Vogel eingesperrt zu sein, löste bei mir zwangsläufig ein klebriges Körpergefühl aus. In der winzigen Toilettenkabine spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, warf einen Blick in den Spiegel und lockerte mit den Händen die Haare auf. Eine neue Frisur gehörte ebenfalls zu einem Neubeginn und der abgedunkelte Farbton gefiel mir gut. Ich krauste die Nase. Ich war dem Cecilia-Strähnenlook in vielerlei Hinsicht überdrüssig geworden.

»Neustart die Zweite oder die Dritte? Dieses Mal wird es gelingen«, sprach ich zuversichtlich zu meinem Spiegelbild. Das Magengrummeln nahm zu, denn mittlerweile hatte sich die Boeing wieder um viele Kilometer der Mainmetropole genähert. Beim Zähneputzen hörte ich den Flugkapitän sagen: »Guten Morgen, ich hoffe, Sie hatten bislang einen angenehmen Flug. Wir haben perfektes Wetter und Rückenwind, sodass wir pünktlich in Frankfurt um zehn Uhr Ortszeit landen.« Ich hatte bereits meine Armbanduhr umgestellt und warf einen Blick darauf. Ein kleiner Schauer lief mir den Rücken herunter, in zwei Stunden hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden

Samuel

Es ist erstaunlich, wie sich das Leben normalisiert, wenn man die Ereignisse, die einen zugesetzt haben, hinter sich lässt. Dass ich darin ein Experte war, stellte ich nicht infrage. Es gab in meiner Vergangenheit genügend dunkle Flecken, die ich durch gezieltes Ausschalten, konsequent aus meinem Gedächtnis strich. Manche benutzten das unschöne Wort verdrängen. Aber wie sonst sollte ich vergessen, dass ich aufgrund jugendlicher Dummheit ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Jahrelang trug ich es unausgesprochen mit mir herum, bis die eine Frau es mir entlockte. Darüber zu reden, sich mit all seinen Ängsten zu offenbaren, war für mich ein ungewohntes Erlebnis. Gegenüber Cecilia Ballier gab ich ein enormes Stück Unnahbarkeit auf. Wenig später erstürmte eine Billy Winkler, ihre wahre Persönlichkeit, mein Herz. Hatte ich angenommen, niemals echte Liebe zu empfinden, belehrte sie mich eines Besseren. Die kurze gemeinsame Zeit, die wir in unserem rosaroten Kokon verbrachten, bewertete ich ohne zu übertreiben, als eine der intensivsten meines bisherigen Lebens. Nähe, Zärtlichkeit, Verbundenheit und der Wille, alle Unwegsamkeiten zu meistern. Ja, das war das Ziel gewesen. Vertrauen, Offenheit und Treue betrachtete Billy als die wichtigsten Voraussetzungen für eine stabile Partnerschaft. Der Gedanke, dass ich genau die drei bedeutendsten Punkte verkackt hatte, nagte nach wie vor an mir. Lag es daran, dass Billy uns keine zweite Chance einräumte?

»Spuren bleiben und das ist entscheidend, damit es einen an die Fehler erinnert.« Dazu stand ich, als ich sie spontan am Flughafen aufsuchte. Zunächst hatte ich mit mir gerungen, ob es eine kluge Idee war, sie sprichwörtlich zu überfallen. Niemals zuvor erlebte ich solch emotionale Minuten. Wir warteten vor den Sicherheitskontrollen, sahen uns in die Augen und umarmten uns ein letztes Mal. Billy drückte sich an mich und hatte den Kampf gegen die Tränen verloren. In meinem Kopf kreiste nur eine Frage: Weshalb verhielt sie sich so selbstzerstörerisch? Obgleich ich merkte, wie sehr sie unter der Trennung litt.

»Ich beweise es dir! Ich werde mich ändern, für uns.« Bei ihrem traurigen Blick zog sich mir das Herz zusammen.

»Mein Herz ist in tausend Splitter zersprungen und so etwas ist schwer zu reparieren.«

Nein, ich wollte sie nicht gehen lassen, doch wir waren an den äußeren Umständen gescheitert. Ich war mir sicher, dass es für jedes Problem eine Lösung gab. Billy hingegen hatte kapituliert. Suchte nach ihrem misslungenen Neustart im wahrsten Sinne des Wortes das Weite.

»Ich besuche dich jederzeit«, bot ich ihr an. »Drüben sind wir von all den Problemen entfernt und nehmen uns die Zeit für einander, die wir brauchen.«

»Es ist schwierig, zerstörtes Vertrauen aufzubauen, Misstrauen ist Gift.«

Die Sätze schwirrten mir durch den Kopf. Jeder für sich symbolisierte das Aus, verbunden mit dem Hauch von Hoffnung, das Ruder herumzureißen.

Die Schönheit des Makels betrachtete ich in dem Augenblick wie einen Strohhalm, an dem man sich festhält, um einen halbwegs unbelasteten Neustart zu ermöglichen. Sie hatte unter Tränen gelächelt. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich in mein Gedächtnis eingebrannt.

Es hatte einige Zeit gebraucht, bis ich den Flughafen verließ. Gedankenverloren wanderte ich durch die Hallen, um auf die Besucherterrasse zu gelangen. Ich wollte mir zumindest einbilden, dass Flugzeug zu verfolgen, das Billy endgültig von mir entfernte. Zu sehen, wie dieses mit Getöse abhob und zügig aus dem Sichtfeld verschwand. Anstatt es dadurch leichter zu haben, liefen mir die Tränen die Wangen herunter und das erste Mal erlebte ich Liebeskummer. Ein Gefühl, das den gesamten Körper erfasste, sich wie ein Schraubstock um den Brustkorb presste. Der verdammte Schmerz in meinem Herzen ließ mich mit dem Gedanken an Billy einschlafen und aufwachen. Ich vermisste sie, doch ich hielt mich an ihren Wunsch eines Kontaktabbruches. Wie ein Bittsteller hinter ihr herzulaufen, kam nicht infrage, das verbot mir meine Selbstachtung. Jetzt war sie am Zug. Da dies nicht passieren würde, blieb mir nichts anderes übrig, als das Kapitel Billy Winkler abzuschließen. Schade …

Niemand wusste von meinen wahren Gefühlen, es ging keine Menschenseele etwas an. Um mit mir klarzukommen, verfiel ich in alte Gewohnheiten. Das Blue66 war mein zweites Zuhause und somit der ideale Ort für Partys, Affären, Alkohol und ein Näschen Schnee. Es gab nichts, auf was ich zu verzichten brauchte. Die Frauen, die mich anhimmelten, polierten mein angekratztes Ego eines Bad Boys auf. Ich hätte es mir gewünscht, einen anderen Lebensweg einzuschlagen, vielleicht in ein paar Jahren mit Billy eine Familie zu gründen. Leider ist das Leben kein Wunschkonzert, da half kein gut gefülltes Bankkonto. Gefühle blieben unbezahlbar sowie unbestechlich, auch in einer durch und durch korrupten Welt.

 

All das lag inzwischen sechs Monate zurück. Der blöde Spruch Die Zeit heilt alle Wunden traf zu. Unerwartet öffneten sich die Augen für Neues. In dem speziellen Fall war ihr Name Juliette. Sie tauchte wie aus dem Nichts auf. Sie war unkompliziert und es war unkompliziert. Mein gesamtes Umfeld, sogar mein Vater, waren von ihr angetan. Das war haargenau, was ich brauchte: Ruhe und keinerlei Stress in Beziehungsfragen, unnötige Kommentare, Vorbehalte, all das war kein Thema. Erst jetzt registrierte ich im vollen Umfang, mit welchem Gegenwind Billy und ich zu kämpfen hatten. Juliette tat mir gut und möglicherweise entwickelte sich mehr als ein gern haben.

Zufrieden saß ich an meinem Schreibtisch, hatte wie so oft die Füße auf den Tisch gelegt und gönnte mir einen Zigarillo. Das soeben beendete Telefonat und die daraus erzielten Gemeinsamkeiten mit dem Investor, reizten mich immer mehr. Ich grinste, wenn ich an meinen alten Herrn dachte, der den damaligen Plänen, einen Club zu eröffnen, skeptisch gegenüber gestanden hatte. Den Instinkt für gewinnbringende Geschäfte hatte ich von ihm geerbt und ich hegte nie Zweifel, einen Flop zu landen. Der Gedanke, zu expandieren und den Namen Blue66 als Marke schützen zu lassen, gefiel mir zusehends besser. Mit einem finanzstarken Partner konnte ich mir vorstellen, die Idee umzusetzen. Obgleich ich über ein erhebliches Kapital verfügte, betrachtete ich einen Alleingang als zu waghalsig. Immerhin sprachen wir in dem Fall von einigen Millionen, die es zu investieren galt.

Mein Vater hatte mir unablässig suggeriert, das Geld und Macht essenzielle Bestandteile für Erfolg waren und darauf legte ich wieder den Fokus. Das Blue lief besser denn je, da ich etliche Konzepte und Marketingmaßnahmen ausgearbeitet hatte. Mittlerweile lag sogar ein Angebot eines Investors vor, gemeinsam den Club zu kopieren und in anderen Städten zu platzieren. Insbesondere in denen, die in der Clubszene wenig zu bieten hatten.

Unvermittelt klopfte es an der Tür und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte Juliette wie ein Wirbelwind hinein.

»Samuel … ich habe das perfekte Kleid gefunden!« Dabei wedelte sie mit einer Papiertüte eines bekannten Modelabels umher. Sie war so ganz anders, auch optisch. Eine zierliche Frau mit einem frechen, blonden Kurzhaarschnitt, hasselnussfarbenden Augen, die Wärme und Herzlichkeit ausstrahlten. Dass sie erst Ende zwanzig war, störte mich nicht. Juliette hatte ein geordnetes Leben. Intakte Familie mit einem beträchtlichen finanziellen Background, klare Ziele, was ihre beruflichen Ambitionen betraf. Ihren Studiengang in Management&Business Studies verfolgte sie gewissenhaft. Manches Mal hatte ich das Gefühl, sie sei vom Himmel gestürzt, da sie ununterbrochen ausgezeichnete Laune versprühte, ein rundum positiver Mensch, der mir in dieser Form noch nie begegnet war.

»Ich bin so aufgeregt, was die Geburtstagsfeier deines Vaters angeht. Ich möchte doch einen guten Eindruck hinterlassen.«

Dieses Jahr fiel das Fest in einem ungewöhnlich großen Rahmen aus. Auf die Frage, was ihn dazu motivierte, hatte er mir geantwortet: »Ich bin Privatier und kann es mit leisten, mich den angenehmen Dingen zu widmen.«

Mein alter Herr war vom ersten Augenblick von Juliette begeistert und bestand darauf, dass sie mich begleitete. Insgeheim hegte ich den Verdacht, er wolle aller Welt beweisen, dass ich mich von der Polizistin, wie er Billy abfällig nannte, getrennt hatte und zur Vernunft gekommen war. Ich nahm es ihm nicht übel und im Grunde gab es keinerlei Einwände, sie nicht in unser gesellschaftliches Umfeld einzuführen.

»Baby, ruhig bleiben.« Schmunzelnd nahm ich die Füße vom Tisch und lehnte mich wieder in den Stuhl zurück. »Hatten wir nicht vereinbart, dass du auf ein Herein wartest?«

»Ja, ja …« Sie ließ sich nicht beirren, kam zu mir und drückte mir einen Kuss auf den Mund. »Bist du neugierig?« Sie strahlte mich mit ihren Rehaugen an. »Es ist so … ach, so wahnsinnig hipp und sexy.«

»Bei den Superlativen gehe ich davon aus, dass du die optimale Wahl getroffen hast.«

»Soll ich es anziehen?« Geheimnisvoll zog sie ein Stück schwarzen Stoff aus der Tüte.

»Gegen einen aufreizenden Anblick gibt es nichts einzuwenden.«

»Ich habe ebenfalls neue Unterwäsche gekauft.« Sie tippelte auf ihren Stiefeln hin und her. Juliette trug aufgrund ihrer Körpergröße ausschließlich hohe Schuhe. Ein reizvoller Augenschmaus, da ich Frauen in High Heels liebte. Es unterstrich bei einer modisch gekleideten Frau unumstritten ihre Weiblichkeit.

»Dann bitte das komplette Outfit.« Ich sah sie aufmunternd an. »Es ist allerdings gefährlich, da ich deinem Körper nur schwerlich widerstehe.« Der Sex mit der kleinen Wildkatze ließ keinerlei Bedürfnisse offen.

»Ach, das wäre nicht so tragisch«, kicherte sie. Lasziv knöpfte sie ihre Bluse auf, bewegte sich tänzelnd auf mich zu, öffnete den Reißverschluss ihres Rocks. Dabei drehte sie sich mit dem Rücken zu mir und präsentierte ihren knackigen Po. Es dauerte keine Minute und die Unterwäsche flog durch die Luft. Bis auf ihre Stiefel stand sie nackt vor mir.

»Das nenne ich mal eine erotisch gelungene Provokation.«

»Warte ab, wenn ich das Nichts aus schwarzer Spitze anziehe.« Kokett wandt sie sich ab. »Ich zieh es im Bad an.«

»Zunächst das Kleid …«, rief ich ihr hinterher und grinste. Für spontanen Sex war ich gern zu haben. Dass es darauf hinauslief, bezweifelte ich nicht.

»So, bist du bereit?«, hallte ihre Stimme aus dem Bad.

»Aber so was von.« Ja, es kribbelte und in meiner Hose regte sich einiges.

»Tatataaaa!« Wie eine Primaballerina tanzte sie auf mich zu. »Und?«

Bei dem Anblick des Kleides traf mich fast der Schlag und ich musste mich zusammenreißen, dass mir nicht die Gesichtszüge entglitten. Das elegante, dennoch schlichte Etuikleid war exakt dasselbe, welches ich einst Billy geschenkt hatte.

»Gefällt es dir etwa nicht?« Sie bemerkte sofort meine verhaltene Reaktion und hörte sich enttäuscht an.

»Nein, nein, es ist wunderschön und es steht dir hervorragend.« Ich fragte mich, wie so etwas passierte, in den Läden gab es vermutlich mehr Arten von Kleidern als Frauen in Frankfurt. Im Leben geschahen so manches Mal die unglaublichsten Zufälle. Da sie mich jedoch geil gemacht hatte, verdrängte ich diese skurrile Situation und auch die damit unvorhergesehenen Gedanken an Billy. »Komm her, Baby.« Ich winkte sie heran und forderte sie auf, sich auf meinen Schoß zu setzen.

»Ist das für den Anlass angemessen?« Sie neigte den Kopf zur Seite und setzte sich seitlich auf meine Knie.

»Ja, das ist es auf jeden Fall.« Mit meinen Händen streichelte ich ihren Rücken, dabei lehnte sie sich ein wenig nach hinten.

Geschickt wanderten ihre Hände unter mein Shirt und ihre Fingerspitzen strichen über meinen Bauch und den Oberkörper.

»Ich liebe deine Muskeln«, gurrte sie mir ins Ohr und krallte ihre Fingernägel etwas fester in die Haut.

»Du Biest.« Ihre Berührungen verstärkten die Lust.

»Einen Quickie?« Verführerisch leckte sie sich über ihre Lippen.

»Die Frage ist rein rhetorisch.«

»Ich bin auch schon ganz feucht.« Sie zeichnete mit den Fingern die Konturen ihrer Brüste nach. Was für eine heiße Bitch.

»Zunächst möchte ich den Hauch von nichts begutachten«, forderte ich sie mit rauer Stimme auf.

Gespielt frivol erhob sie sich und streifte das Kleid ab.

»Hammergeil!« Ohne Frage, sie war Zucker. Entspannt ließ ich mich in den Stuhl zurückfallen und streckte die Beine aus. In der Position blieb ihr meine Erregung nicht verborgen und sie bekundete ihre Freude mit einem genießerischen Seufzer. Die Arme legte ich auf die Stuhllehnen und freute mich auf einen Blowjob.

»Du bist heiß.« Der Anblick ihres Körpers im spitzenbesetzten Body und wie sie eifrig mein versteiftes Glied auspackte, pushte mich.

Da klopfte es an der Tür.

»Fuck …«, brummte ich, setzte mich auf und versuchte meinen Penis zurück in die Hose zu drücken, was aufgrund der Versteifung nicht reibungslos klappte. Juliette zog einen Schmollmund. Ich zuckte mit den Schultern. »Ich regele das.«

»Ja bitte, das ist eine Höchststrafe.«

Es klopfte erneut. »Moment!« Ich rollte mit den Augen.

»Samuel, du hast Besuch«, hörte ich Frederiks Stimme. Er hielt sich an die Anweisung, nicht ohne meine Zustimmung hineinzukommen.

»Soll später wiederkommen.« Ich war nicht gewillt, mir den Spaß verderben zu lassen.

»Das ist gerade keine so gute Idee.« Seine Stimme klang sehr nachdrücklich.

»Nicht so schlimm, holen wir nach«, lenkte Juliette ein, die sofort die Stimmungslage richtig las.

»Sorry …«, meinte ich leise, damit es auf dem Gang niemand mitbekam. Ich atmete tief durch und setzte mich in eine aufrechte Position. Hoffentlich verabschiedete sich die Versteifung schnell, da es unschön spannte. »Einen Augenblick noch.« Ich wartete, bis sie im Bad verschwunden war. »Herein.«

Die Tür öffnete sich und Frederik wirkte äußerst angespannt. War etwas passiert? Der Grund für seine Stimmung zeigte sich unmittelbar. Ein bulliger Typ drängte sich durch den Türrahmen. Ich schloss die Augen und atmete abermals tief durch. »Der Präsident der Black Desperados höchstpersönlich.« Was will der Wichser hier?

»Mein Besuch ist bereits länger überfällig.« Ohne zu fragen, ließ er sich auf dem Stuhl nieder, der direkt vor dem Schreibtisch stand.

»Ja, du kannst gern Platz nehmen«, erwiderte ich säuerlich. Was wollte Big Jim? Wir hatten bislang keinerlei Berührungspunkte. Eine unterschwellige Nervosität erfasste mich.

»Soll ich bleiben?«, hakte Frederik nach.

Big Jim schüttelte den Kopf. »Das ist privat.« Mit der Kutte, dem groben Schmuck sowie etlichen Tattoos an den Armen und am Hals entsprach er dem Klischee eines Rockers. Das kahl geschorene Haupt unterstrich das martialische Bild.

»Huch …« Juliette trat aus dem Bad.

»Na, habe ich gestört?« Seine Augen taxierten sie auf eine widerliche Art, so als wolle er sofort über sie herfallen. »Heiß, sexy. Du wärst eine Bereicherung für meinen Laden.« Dabei lachte er abstoßend. Juliette schaute mich irritiert an.

»Sag mal, geht’s noch«, blaffte ich ihn an und in mir wuchs der Drang ihn hochkant hinauszuwerfen. Ich hielt mich jedoch zurück, da ich den Grund für seinen Besuch erfahren wollte.

Frederik, ebenfalls mit vor Zorn blitzenden Augen, hielt Juliette die Tür auf, um sie hinauszubegleiten.

»Bis später.« Sie warf unserem unwillkommenen Gast einen missbilligenden Blick zu, ehe sie mir ein flüchtiges Lächeln schenkte. Das Ende der Anprobe würden wir auf später vertagen.

»Schade, diesen Anblick hätte ich mir noch einen Moment länger gefallen lassen.« Big Jim sah ihr unverhohlen auf den Hintern.

»Glaub mir, das beruht nicht auf Gegenseitigkeit«, konterte sie spontan und verschwand zusammen mit Frederik. Das entlockte mir trotz der ärgerlichen Lage ein Grinsen.

»Was haben wir Wichtiges zu besprechen? Insbesondere, da du dich persönlich hierher begibst«, brachte ich es sofort auf den Punkt.

»Chefsache.« Lässig rekelte er sich auf dem Stuhl. »Dein Laden läuft gut?«

»Ja, aber das wirst du vermutlich wissen.« Mir schwante, auf was das Gespräch hinauslief. Es wunderte mich, dass die Rockerbande nicht früher ihre Forderungen gestellt hatte. Bislang genoss ich den Vorteil, dass mein Vater mit den Black Desperados in Verbindung stand. Da er sich zurückgezogen hatte, verpuffte offensichtlich das Privileg. »Was willst du?« Ich fixierte ihn und konzentrierte mich darauf, meine Unruhe vor ihm zu verbergen. Hier hieß es cool bleiben.

»Samuel, ich will kein Geld von dir«, begann er gönnerhaft.

»Ach nein?« Ich legte die Stirn in Falten.

»Du hast ein zahlungskräftiges Publikum, das soweit ich hörte, gern und viel konsumiert.« Dass er Koks und andere Drogen damit meinte, war nicht schwer zu erraten. Es gehörte bei etlichen Gästen für einen ausgelassenen Abend dazu.

»So?« Ich griff zu der noch nicht zu Ende gerauchten Zigarillo im Aschenbecher und zündete sie an, nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch Big Jim ins Gesicht.

»Ich mache es kurz, denn unsere Zeit ist kostbar.« Er beugte sich vor. Meine Provokation ignorierte er. »Ich werde ein paar meiner Mädels hier platzieren, natürlich nur die, die optisch und vom Niveau her in den Laden passen.« So eine Scheiße! »Weiterhin liefere ich dir künftig den Schnee für deine exklusiven Partys.«

»Interessanter Vorschlag.« Ich zog eine Augenbraue hoch.

»Sehe ich auch so.« Big Jim gab sich siegesgewiss. Allein diese Arroganz kotzte mich an.

»Aber das Blue bleibt sauber. Weder deine Huren noch deine Drogendealer haben hier was verloren.« Mein Blick verdüsterte sich. »Was also, wenn ich dem absurden Angebot nicht zustimme?«

Big Jim blieb lässig, vielleicht war dies seine ultimative Drohgebärde. »Weil ich mir sicher bin, dass du es unter den Umständen nicht ablehnst.« Die dunklen Augen spiegelten seine unbestrittene Macht. Er genoss die Angst, die die Organisation ausübte.

Ich lachte abfällig. »Was für Umstände?«

»Nun, eine dir nicht unwichtige Person, könnte möglicherweise Probleme bekommen und glaube mir, das wirst du nicht wollen.«

»Das weiß ich zu verhindern, egal, auf wen du anspielst«, knurrte ich. »Ich verfüge über genügend Kontakte, die dafür sorgen, dass ihr hier draußen bleibt.« So einfach ließ ich mich nicht einschüchtern.

»Wie ich schon sagte, deine neue Freundin ist ein echter Hingucker«, spielte er seinen vermeintlichen Trumpf aus. »Das sollte auch so bleiben, stimmt’s?«

Projekt Nestbau

Billy

Die Wohnungstür fiel ins Schloss und die Maklerin und der Vermieter verließen meine neu angemietete Wohnung! Wie einen wertvollen Schatz drückte ich das Übergabeprotokoll an die Brust und hatte das Gefühl, dass das Papier meinen Herzschlag beschleunigte.

»Jaaaaa, juchuuuuu!« Hals über Kopf löste sich der unbeschreibliche Druck und ich hüpfte im Flur zu einem imaginären Lied im Kreis. »Ich fasse es nicht, lalala, die Welt ist schön.«

Was für ein positives Omen, dass das mit der Wohnung geklappt hatte. Punkt eins der Agenda erfolgreich abgeschlossen.

 

Nach der Rückkehr vor zwei Tagen überschlugen sich die Ereignisse in Sachen Nestbau. Meine Eltern hatten mich am Flughafen abgeholt und begleiteten mich zum ersten Besichtigungstermin.

»Ach Kind, es ist so schön, dich wieder hier zu wissen«, meine Mutter umarmte mich heulend und drückte mich fest an sich. »Du hast uns allen so gefehlt.«

»Ihr mir ebenfalls«, murmelte ich und verdrückte gleichermaßen ein paar Tränchen. Wir hatten in den letzten Monaten zwar telefoniert und geskypt, aber nichts ging über eine herzliche Umarmung.

»Billy, dünn bist du geworden.« Die besorgten Augen einer Mutter taxierten mich.

»Das sagst du immer, sogar wenn ich zehn Kilo zugenommen hätte.« Ich lachte und wusste, dass ihre Gefriertruhe gefüllt war mit vorgekochten Gerichten, die nur darauf warteten, in mein Gefrierfach umzuziehen. Und zwar den nächsten Monat lang.

»So sind Mütter eben.« Sie strahlte mich an und eine Welle der Zuneigung durchlief meinen Körper.

Mein Vater drückte mich eher kumpelhaft und klopfte mir auf die Schulter. »Auf zu neuen Ufern.« Ganz Gentlemen nahm er den überladenen Gepäckwagen und steuerte ihn durch die überfüllte Ankunftshalle des Flughafens.

»Ich bin so aufgeregt, ob die Wohnung wirklich so fantastisch ist wie auf den Fotos.«

»Sieht ordentlich aus«, kommentierte er und kämpfte mit den widerspenstigen Rollen des Gepäckwagens, der durch das Übergewicht seine eigenen Vorstellungen eines geraden Weges hatte. »Ich habe mir alles genau durchgelesen.«

Seit jeher überprüfte er all meine Angelegenheiten, die mit Papierkram, Verträgen und dergleichen Aufmerksamkeit eines konzentrierten Auges forderten. Bis Markus und ich den Kaufvertrag des Hauses unterschrieben hatten, mussten wir uns ewig lange Vorträge seinerseits anhören, bei denen er jede winzige Eventualität analysierte. Der Notar, den er ebenso damit beschäftigte, riss vermutlich die Arme in die Höhe, als der Kontrakt notariell beglaubigt war und Familie Winkler nebst Mutter und Vater Schöneberger die Kanzlei verließen. Das gleiche Szenario erwartete mich definitiv, wenn es um meine Scheidung ging. Mum hatte mir im Vertrauen gebeichtet, dass er sich bereits intensiv im Internet und bei einem befreundeten Scheidungsanwalt informiert hatte. Im Gegensatz zu dem Hauskauf freute ich mich diebisch darauf, wie er dieses Mal Markus zur Weißglut trieb. Recht so!

»Ordentlich?« Ich zog die Nase kraus. »Die Zweizimmerwohnung auf fünfundsechzig Quadratmeter in der Lage ist der absolute Hammer.«

»Ja, Kind, der Papa meint ja nur, dass du dir keine Gedanken machen brauchst, dass da irgendwas schief geht.« Ich grinste über die Formulierung. »Nach dem ganzen Trubel wünschen wir uns, dass du zur Ruhe kommst.«

»Mum, glaube mir, ich ebenso.« Ein Glücksgefühl durchströmte mich. »Es ist super, dass ihr mich begleitet.« Die Vorstellung, alles allein abzuwickeln, überforderte mich aktuell und es war definitiv beruhigender, es mit lieben Menschen zu teilen.

Das Handy mit der deutschen SIM-Karte klingelte und hektisch nahm ich das Gespräch an, da ich die Nummer der Maklerin erkannte. Sofort breitete sich ein Fünkchen Angst aus, dass sie mir die Wohnung absagte.

»Frau Winkler, sind Sie gut gelandet?«, begrüßte sie mich. »Ich wollte sicherstellen, dass der Termin bestehen bleibt.«

Uff, ein Stein fiel mir vom Herzen. »Ja, wir sind pünktlich um vierzehn Uhr dort.«

»Falls Sie es schaffen, können wir uns gern früher treffen. Dem Vermieter käme dies entgegen.«

Wie bei den meisten Smartphones konnten nahestehende Personen die Gespräche mithören. Mein Vater nickte sogleich bestätigend.

»Ja, von uns aus ist es kein Problem.« Die Vorfreude wuchs. »Dann sagen wir halb eins vor dem Haus?«

»Prima, Frau Winkler, wir haben den Mietvertrag bereits vorbereitet, denn Sie verstehen sicherlich, dass wir für Sie eine Ausnahme machen. Es gab zig Interessenten.«

»Ich bin Ihnen dafür außerordentlich dankbar«, schmeichelte ich.

»Nun, die Empfehlung Ihres Vorgesetzten hat den Vermieter ebenso dazu bewogen, sich für Sie zu entscheiden.«

Für die Vermieterseite schien alles klar zu sein, hoffentlich versprühte die Wohnung ein positives Karma. Um sich heimisch zu fühlen, brauchte es für mich eine spezielle Sinneswahrnehmung, bei der ich sofort die eingerichteten Zimmer vor mir sah und mich quasi auf das Sofa warf oder ein Bad nahm. Außerdem legte ich großen Wert darauf, dass meine Bleibe keinen abstoßenden Eigengeruch besaß. Wie Menschen, so meine Meinung, verfügten auch Häuser und Wohnungen über ein solches Merkmal. Die Bilder und Videoaufnahmen vermittelten mir auf jeden Fall das so schmerzlich vermisste, heimelige Gefühl.

Auf dem Weg vom Flughafen nach Bornheim saß ich schweigend auf der Rückbank unserer Familienkutsche und blickte aus dem Fenster. Frankfurt empfing mich mit einem angenehm milden Frühlingstag. An einer roten Ampel zuckte ich zusammen, da ein schwarzer Lotus neben uns hielt. Ich wagte kaum einen genaueren Blick, fix erkannte ich jedoch, dass es sich nicht um Samuels Wagen handelte. Ich atmete erleichtert tief ein und aus. Mit solchen Gefahrenmomenten galt es künftig zu rechnen. Ich kannte mein Glück und würde ihn an einem Ort begegnen, an dem ich es am wenigsten erwartete.

Vater Schöneberger hasste den Großstadtverkehr und unter seinem stetigen Gebrummel erreichten wir pünktlich die Straße. Die Parkplatzsuche nahm seinen Anfang, was dazu führte, die Vorteile des Landlebens zu betonen. Nachdem wir auch das Hindernis erfolgreich meisterten, trafen wir auf die Immobilienvermittlerin, die vor dem Mietshaus wartete.

Das Umfeld erfüllte exakt meine Erwartungen. Das Viertel wirkte noch urban und die sanierte Altbaufassade begeisterte mich augenblicklich. Ich wurde nervöser, da sich das positive Gefühl bereits ausbreitete. Meine Wangen glühten. Hoffentlich geht alles gut! Die Hände klebten, so als hatte ich sie in Limonade getaucht. »Verzeihen Sie, dass ich ein wenig zerknittert aussehe«, entschuldigte ich mich sofort. Früher war dir das egal.

»Kein Problem.« Sie begrüßte freundlich meine Eltern und gemeinsam marschierten wir ins Haus. Ein gepflegtes und vor allem sauberes Treppenhaus empfing uns.

»Wow!« Ein paar Stuckelemente und Kassetten zierten den Eingangsbereich und die abgetretenen Steinstufen schützte ein roter strapazierfähiger Teppich. »Ich bin total aufgeregt«, flüsterte ich meiner Mutter zu.

»Kind, dafür gibt es keinen Anlass, es wird glatt gehen.« Liebevoll sah sie mich an und ich war erneut dankbar, dass sie mich begleiteten. Mit dem Öffnen der Wohnungstür baute sich innerhalb von wenigen Augenblicken das ersehnte Gefühl auf. Zwei helle Räume mit einem abgeschliffenen Dielenfußboden, eine Wohnküche, von der ich auf den nachträglich angebauten Balkon gelangte. »Wahnsinn!« Der Ausblick erinnerte mich an die bekannten Berliner Hinterhöfe. »Der ist ja richtig geräumig«, staunte ich, da ich dies auf dem Foto nicht hatte einschätzen können.

»Und auch vom Schlafzimmer aus begehbar«, die Maklerin trat mit einem zufriedenen Lächeln hinter mich. Ich sah sie mit leuchtenden Augen an. Gemeinsam wanderten wir zum Bad. »Wie Sie sehen, alles neuwertig und mit Dusche und Badewanne.«

»Ich bin froh, dass die Fliesen weiß sind und eine Wanne ist ein wichtiges Kriterium für mich.« Mein Herz schlug aufgeregt gegen die Brust. Der Gedanke an ein Vollbad in meiner eigenen Badewanne löste Glücksgefühle aus.

Mama und Papa Schöneberger folgten uns und waren ebenso so von den Räumlichkeiten angetan.

»Das ist ja noch genialer als auf den Fotos.« Andächtig flanierte ich durch die Zimmer. Die Maklerin und meine Eltern strahlten mittlerweile wie der Stern von Jerusalem. »Ja, das ist mein neues Zuhause«, murmelte ich ergriffen. Ein unwirkliches Glücksgefühl breitete sich aus. Ich konnte mir die Ausstattung nebst Dekoration bereits im Detail vorstellen. Einige Schränke aus Omas Besitz standen weiterhin bei uns zu Hause im Keller und ein, zwei Möbelstücke hatte ich eingelagert.

»Praktisch, dass die Küche bereits eingebaut ist«, lobte meine Mutter, die sich gemüßigt sah, dies mit ihrem fachkompetenten Blick einer langjährigen Hausfrau zu prüfen. »Die Elektrogeräte sind neu, hm, ja …« Gewissenhaft begutachtete sie die Funktionalität. »Umluft, das ist sinnvoll, Ceranfelder sind leichter zu pflegen.«

Die Maklerin nickte zustimmend. »Die weißen Fronten sind neutral, wirken jedoch mit den breiten Chromgriffen modern und die Hängeschränke mit den Glasfronten machen auch was her.« Ein typischer Satz aus dem Lehrbuch Wie werde ich Immobilienvermittler.

»Wann kann ich einziehen?« Meine Stimme zitterte. Das Gesamtpaket passte. Die Miete war bezahlbar, die Lage mit U-Bahnstationen und Geschäften in der Nähe war ideal, ein Balkon, eine Badewanne, keine Renovierungen – was wollte ich mehr? »Ich bin hin und weg.«

Zwar versuchten meine Eltern, sich nichts anmerken zu lassen, aber mir entging nicht, wie sie einen erleichterten Blick austauschten. Obwohl ich nicht viel erzählt hatte und es nie zu einem Zusammentreffen mit Samuel und ihnen gekommen war, war ihnen meine emotionale Schieflage nicht verborgen geblieben.

»Wir können Ihnen die Schlüssel in wenigen Tagen übergeben.« Die Maklerin strahlte ebenso, da sie zeitnah eine Rechnung über die Vermittlungscourtage schreiben konnte, die aufgrund der veränderten Rechtslage erfreulicherweise vom Eigentümer getragen wurde.

»Perfekt«, jubilierte ich. »Ich kümmere mich sofort um die Kaution.« Die Glückshormone, die mein Körper ausspuckte, steckten allesamt an. Der Vermieter hatte sich mittlerweile zu uns gesellt. Ein Mann im Alter meines Vaters. Die beiden fanden sogleich ein gemeinsames Thema, was ebenfalls die Stimmung entspannte. Was für ein fulminanter Einstieg, um durchzustarten. Ich empfand das als überfällig und fair. Die Katastrophen durften nun andere heimsuchen. Ich hatte definitiv das Plansoll erfüllt …

 

Endlich war es soweit und ich hielt die Schlüssel und das Übergabeprotokoll in den Händen, tanzte durch den Flur und freute mich.

Ein komisches Gefühl, sich das erste Mal hier alleine aufzuhalten. Bis auf die üblichen Hintergrundgeräusche einer Stadt, die in den dritten Stock vordrangen, war es still. Die Maklerin hatte mir versichert, dass die anderen Mieter ruhig und umgänglich seien; jeder ging seiner Wege. Gott sei Dank, da ich gezwungene Hoffeste hasste und auf stundenlanges Getratsche im Hausflur gern verzichtete. Frei nach dem Motto guten Tag und Tschüss. Das altbekannte Einzelgängergen hatte sich vollends in mir ausgebreitet. Was ein soziales Umfeld alles anrichtete, das hatte ich erlebt und schwor, in Zukunft darauf zu verzichten. Im Job gab es genug Kontakte zu Kollegen, den ganzen Tag unter Menschen, viel Trubel. Wenn ich die Tür hinter mir zuschlug und in mein neu geschaffenes Nest hüpfte, wollte ich einfach meine Ruhe.

Einem Ritual gleich schlenderte ich den Flur entlang, betrat das künftige Schlafzimmer, ging zurück in die Küche und öffnete die Balkontür. Sogleich spukten mir Ideen für eine leicht zu pflegende Bepflanzung durch den Kopf, Kräuter, auf jeden Fall duftende Kräuter. Da die Wohnung renoviert übergeben wurde, kam kein großer Aufwand auf mich zu. Noch bevor ich überhaupt die Koffer auspackte, würde mich der Weg in ein schwedisches Möbelhaus führen, mit dem ich aufgrund der Namensgleichheit eines der erfolgreichsten Regale eine spezielle Verbindung pflegte.

Die Sonne erhellte das leere Wohnzimmer und ich öffnete das großzügig geschnittene Fenster. »Billy Winkler, willkommen in deinem Leiben 3.0.« Glühende Wangen, vor Aufregung zitternde Knie, Herzklopfen – und das alles nur wegen einer eigenen Wohnung. Ergriffen ließ ich mich an der Wand heruntergleiten, winkelte die Beine an und sah mich andächtig um. Gänsehaut überzog meinen Körper. Wie gern hätte ich mit Samuel den Moment geteilt. Das willst du nicht wahrhaftig? Nein. Urplötzlich übermannten mich sämtliche Emotionen, die sich seit der Rückkehr aufgestaut hatten. Bislang war ich keine Minute zur Ruhe gekommen und ständig hin- und hergerast, damit alles schnellstmöglich über die Bühne ging. Viel Zeit blieb mir nicht, da ich bereits nächste Woche den Dienst in der Mordkommission antrat.

Die Tränen kullerten die Wangen herunter, leise Schluchzer erfüllten den Raum. Mit den Ärmeln des Shirts wischte ich mir die Tropfen weg, die sich Richtung Hals abseilten. In diesen Sekunden vermischten sich Glück, Trauer, Angst vor den beruflichen Veränderungen sowie möglichen Konfrontationen mit den Menschen, die ich nicht sehen wollte. Aber die Schrecksekunde mit dem Sportwagen an der Ampel bewies, dass es jederzeit passieren konnte.

Dennoch überwog seit ewigen Zeiten der Optimismus. Eine langvergessene Stimmungslage. Aufgeregt fieberte ich der ersten Nacht in meinem eigenen Bett, in meinem eigenen Schlafzimmer entgegen, da diese stets etwas Besonderes war. Was würde ich wohl träumen?

 

Wie eine Besessene hatte ich in der letzten Woche an dem Herzensprojekt Nestbau gearbeitet. Das wunderbarste Gefühl war es, den Container ausräumen zu lassen und den Schlüssel abzugeben – meine Heimatlosigkeit hatte ihr Ende gefunden. Der Vorteil bei solchen Self-Storages waren die flexiblen und kurzfristigen Kündigungsfristen. Tatsächlich malte ich erstaunlich rasch einen Smiley mit einem geschnörkelten Haken hinter dem Punkt auf der To-do-Liste.

Beim Auspacken der Kartons gab es jedoch einige Momente, in denen ich gegen Kummer und Verbitterung kämpfte. Das Geschirr aus der Zeit mit Markus in den Händen zu halten frustrierte mich. Alltagsgegenstände, die mich permanent an die Vergangenheit erinnerten, hatten hier nichts mehr zu suchen. Kurzerhand beschloss ich die Tassen, Teller, Schüsseln, … zu spenden und mich im schwedischen Möbelhaus neu einzudecken. Jeder, der den Fehler begeht mit einem Einkaufswagen durch die untere Etage zu rollen, wird wissen, dass es ein unerschöpfliches Paradies darstellt. Hier war ich in meinem Element, Feuer und Flamme beim Zusammenstellen eines farbenfrohen Wunschgeschirrs. Nützliches wie Unnützes fand den Weg in den Einkaufswagen, der über ein unfassbares Volumen verfügte. Gefährlich die Abteilung mit den Kerzen. Davon wanderten gefühlt einhundert verschiedene Ausführungen in den Wagen. Ich liebte Kerzenlicht und erst recht Duftkerzen, somit kaufte ich auf Vorrat. Einmal im Kaufrausch suchte ich mir ebenfalls einen Kleiderschrank und ein Bett aus. Erstaunlich, dass viele der Möbelstücke den exorbitant teuren Designermöbeln ähnelten. Um dem Zeitmangel gerecht zu werden, buchte ich den überteuerten Aufbauservice. In dieser Sekunde vermisste ich Markus, aber es war tatsächlich nur eine einzige. Ja, mein Ex-Mann war ein Ausnahmetalent beim Aufbau dieser Möbel, da niemals nur eine Schraube übrig blieb.

An der Kasse wurde mir beim Bezahlen ein wenig heiß und kalt. In einem hinteren Fach der Geldbörse bewahrte ich eine für Notfälle gedachte Kreditkarte auf, die heute zum Einsatz kam. Dabei fiel mein Augenmerk auf die Karte, die mir Samuel seinerzeit zur Verfügung gestellt hatte. Wäre ich eine coole Verflossene, hätte ich damit bezahlt. So wie ich ihn einschätzte, wusste er nicht mehr von deren Existenz. Es juckte mich in den Fingern, es zumindest mit einem kleineren Betrag zu testen, ließ es allerdings bleiben. Konfrontationsgefahr und somit eine gefährliche Spielerei.

Die Gesamtsumme, die auf dem Kassendisplay auftauchte, kratzte hart an der Grenze des Budgets. Was solls!

Zufrieden und mit einer für die wenige Zeit optimal hergerichteten Wohnung, fieberte ich meinem ersten Arbeitstag entgegen.

Schwere Entscheidung

Samuel

Die vom Big Jim offen ausgesprochene Drohung beunruhigte mich zutiefst. Er hatte sich daraufhin verabschiedet und mir sozusagen zu verstehen gegeben, dass es keinerlei Alternative bezüglich seiner Forderungen gab. Irritierend bewertete ich besonders die letzten Worte, bevor er das Büro verließ: »Es sind nicht immer die ersten Vermutungen, die den Trumpf ausmachen.«

Was meinte er damit? Wen meinte er damit? Mein Vater konnte zweifellos gut auf sich selbst aufpassen.

Genervt stand ich auf, wanderte im Büro hin und her. Wie verhielt ich mich? War es klug, die Zusammenarbeit zu verweigern? Dies kam einer offenen Kriegserklärung gleich, weiterhin durfte Juliette nicht in die Schusslinie geraten. Die Entscheidung hieß es genau abzuwägen und dazu benötigte ich Frederiks Rat. Den Gedanken, meinen Vater zu involvieren, verwarf ich. Es widerstrebte mir, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Option betrachtete ich als letzte Wahl.

Angespannt suchte ich Frederik auf. Ein Scheißgefühl hatte mich vollends vereinnahmt. Wie schnell eine euphorische Stimmung in Schutt und Asche zerfiel. Bestand die Gefahr einer existenziellen Krise? Der Gedanke, dass ich mich mit den Black Desperados arrangieren musste, verursachte einen Würgereiz. Nervös rieb ich mir übers Gesicht.

Frederiks Bürotür stand einen Spalt offen. Ich klopfte kurz an und trat ein. »Wir müssen reden.«

Er saß hinter seinem Schreibtisch und starrte auf den Laptop. Im Bruchteil einer Sekunde klappte er den Deckel herunter und biss sich wie ein kleiner Junge, der etwas ausgefressen hatte, auf die Lippen. Eine leichte Röte überzog seine Wangen.

»Alles in Ordnung?« Mit Verwunderung sah ich ihn an. »Geheimnisse?« Ein lockerer Spruch, dem ich keinerlei Bedeutung beimaß.

»Was geht es dich an?«, blaffte er mich an und fuhr sich durch die angegrauten Haare. »Ja, ja, alles super«, lenkte er umgehend ein.

Frederik straffte seinen Oberkörper und saß mit geraden Rücken auf dem Bürostuhl. Augenscheinlich hatte er sich wieder beruhigt und setzte eine neutrale Miene auf. An sich kein dramatischer Vorfall, doch ehrlich in mich hineingehört, verhielt er sich seit Wochen seltsam. Wir kannten uns etliche Jahre und obgleich mir manche Oberflächlichkeit unterstellten, blieb es mir nicht verborgen.

Unabhängig von unserer engen Zusammenarbeit verhielt er sich in privaten Angelegenheiten distanziert. Ich hatte keine Ahnung, was er in seiner Freizeit unternahm. Weshalb er sich lieber mit der Buchhaltung beschäftigte, statt mit uns zu feiern, blieb mir ein Rätsel. Insgeheim bezeichnete ich ihn als grauen Mäuserich, da er unscheinbar auf seine Mitmenschen wirkte. Leider wurde er bei der Verteilung von Attraktivität vernachlässigt. Kein Mann, den die Frauen wahrnahmen.

Einer der seltenen Momente, in denen ich Frederik mit einer Frau unbeschwert unterhalten hatte, war mit der Youtuberin Nadine gewesen, eine von vielen Influencern, die für den Club warben. Warum es zwischen Nadine und ihm letztens allerdings einen Streit gegeben hatte, hatte ich nie nachgefragt. Es war eher ein Zufall gewesen, dass ich die beiden hatte harsch diskutieren hören. Ich sollte ihn in einer ruhigeren Minute darauf ansprechen. Jetzt gerade stand mir nicht der Sinn danach.

Ich ließ kurz meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Unglaublich, wie er es schaffte, eine solche Ordnung zu halten. Die Aktenordner standen einfarbig und einheitlich beschriftet in den Regalen, natürlich nach einem ausgefeilten System. Die Stühle um den Besprechungstisch standen mit zentimetergenauem Abstand zur Tischkante und ein Tablett mit den Getränken nach meinem Augenmaß exakt in der Mitte. Ich hingegen war das genaue Gegenteil. Deshalb ergänzten wir uns perfekt, da er sich pedantisch um alle kaufmännischen Angelegenheiten kümmerte. Ich hatte dafür keine Geduld und auch kein großes Interesse.

»Wir haben ein Problem.« Ich ließ mich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch fallen. Auf dem ebenfalls penibel aufgeräumten Schreibtisch stand eine in Japan für Glück stehende Winkekatze. Es juckte mich in den Fingern und ich tippte das Pfötchen an, was er mit einer hochgezogenen Augenbraue kommentierte.

»Was fordern die?«, fragte er ungerührt. »Kohle, Einfluss?«

Unruhig kratzte ich mir das Kinn. »Sie wollen ein paar Mädels hier platzieren und den Verkauf der Partydrogen.«

Wie von der Tarantel gestochen schoss er hoch. Über seiner Nasenwurzel bildete sich eine Zornesfalte.

»Ich habe dir immer gesagt, dass es ein fataler Fehler ist, den Konsum nicht zu unterbinden.« Er stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab. »Aber der Herr Grafenberg ist ja einer der regelmäßigen Konsumenten.« Ich atmete tief durch und schwieg, da er grundsätzlich recht hatte. »Drogenkontrolle am Eingang, klare Ansage: Wer den Scheiß nimmt, fliegt raus.« Der gesamte Körper vibrierte unter der Anspannung. Vor Erregung lockerte er seine Krawatte. »Jetzt drängen sich die Arschlöcher hier rein!« Er regte sich immer mehr auf und sein Gesicht hatte sich purpurrot gefärbt. »Herzlichen Glückwunsch, Samuel, damit ist unser guter Ruf Geschichte!«