Two Faces – Verbotenes Verlangen - Tabea S. Mainberg - E-Book
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Two Faces – Verbotenes Verlangen E-Book

Tabea S. Mainberg

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Beschreibung

Faszination High Society – ein charismatischer Patriarch - ein sexy Bad Boy. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen. Hoffnung und Zweifel, Vertrauen und Enttäuschung. Spannend und hochemotional offenbaren sich die »Two Faces«.  Billy, eine engagierte Polizistin, wird als verdeckte Ermittlerin in Frankfurt eingesetzt. Sie schlüpft in die Rolle von IT-Girl Cecilia Ballier, um die kriminellen Aktivitäten von Ethan Grafenberg, Patriarch und Narzist, aufzudecken. Billy verliert sich zunehmend in der Identität der Cecilia, da Grafenbergs Jetset-Leben sie fasziniert. Brisant wird es, als sie auf Grafenbergs Sohn Samuel trifft und dem vermeintlichen Badboy verfällt. Es beginnt eine gefährliche Gratwanderung zwischen Liebe und illegalen Machenschaften, die Billy mit ihren zwei Gesichtern konfrontiert.  Ein romantischer Thriller rund um Billys und Samuels Ringen, die wahre Identität sowie die große Liebe zu finden. Verlieren sie sich auf dem steinigen Weg oder arrangieren sie sich mit den neuen Rollen ihres gemeinsamen Lebens? Ein romantischer Thriller rund um Billys und Samuels Ringen, die wahre Identität sowie die große Liebe zu finden. »Two Faces - Verbotenes Verlangen« ist der erste Teil einer Trilogie. Es handelt sich um eine überarbeitete Neuausgabe des unter dem selben Titel bereits im Selfpublishing erschienenen Werkes. Die Folgebände »Two Faces - Herzenssplitter« und »Two Faces - Makel der Schönheit« sind als Originalausgabeebenfalls bei Piper Spannungsvoll erschienen.

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ISBN: 978-3-492-98483-6© 2018 Piper Verlag GmbH, München Redaktion: Cornelia FrankeCovergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.atCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

 

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

 

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Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

Sweet Home

Klare Ziele

Operation Dirty Life

Verborgen und verschwiegen

Der Einstieg

Der Patriarch

Erste Annäherung

Ein wahrer Bad Boy

Abgelenkt

Eine Frau mit dem gewissen Etwas

Rückblicke

Einsame Entscheidung

Dem Geheimnis auf der Spur

Erkenne den Weg

Gefährlicher Schnee

Der Vergangenheit entkommt man nicht

Die Grenzen verwischen

Gefühlschaos

Das Kartenhaus wackelt

Misstrauen

Verbrannt

Sturmflut

Rückkehr

Weichenstellung

Bitterer Beigeschmack

Ein ungewöhnliches Interview

Oh Du Fröhliche

Das Fest der Liebe

Epilog

Prolog

November – ein Monat, der durch Nässe und Düsternis besticht. Der 19.11.2004 präsentierte sich sogar trister denn je. Latenter Nieselregen, klamme Kälte und eine wie aus grauem Beton bestehende Wolkendecke unterstrichen den Kummer der Menschen, die schweigend den Sarg zur Grabstätte auf dem Gemeindefriedhof begleiteten. Das Glockengeläut, das nach dem Verlassen der Kirche einsetzte, konnte die Schluchzer nicht übertönen, doch je weiter wir uns von der Kapelle wegbewegten, desto stiller wurde es. Das Knirschen des Kieses unter den Füßen der Trauernden kam mir auf einmal unangenehm laut vor.

Obwohl ich festes Schuhwerk und eine warme Jacke trug, fröstelte es mich. Von den vielen Tränen, die ich mittlerweile vergossen hatte, brannten meine Augen und die Nase lief ohne Pause. Die permanente Frage nach dem Warum hämmerte gegen meine Stirn. Wieso musste meine beste und liebste Freundin Kessy mit siebzehn Jahren sterben? Weshalb gelang es ihr nicht, sich von ihren Dämonen zu befreien?

Die Sargträger positionierten sich vor dem Erdloch, das sie in wenigen Minuten auf ewig verschlingen würde. Kessys Eltern und ihre Geschwister standen mit versteinerten Mienen hinter dem Pastor, der unsere kleine Gemeinde in der Nähe von Marburg seit Jahren betreute. Die Trauergäste verteilten sich weitläufig über den Ort der Stille und des Todes. Viele meiner Mitschüler, Lehrer sowie Verwandte und Freunde von Kessys Familie nahmen Abschied. Der Verlust eines jungen Menschen berührte unzählige Mitglieder unseres Dorfes, die Kessy das letzte Geleit gaben. Die vielen Kränze, Blumenbouquets und Kerzen verdeutlichen einmal mehr, welch einen Schock die Tragödie auslöste.

Der Pfarrer setzte mit fester Stimme seine Zeremonie fort. Ich hörte nicht hin. Das Geschwafel eines gutmütigen Gottes, der die Hand über uns hält, kotzte mich mehr denn je an. Wo war denn dieser göttliche Herrscher gewesen, als Kessy in die Fänge von skrupellosen Verbrechern gelangte? Wo, verdammt noch mal, war seine Fürsorge geblieben, die ihr vielleicht das Leid erspart hätte?

Der Druck auf meiner Seele ließ mich seit dem Verschwinden von Kessy nicht mehr los. Uns verband eine Ewigkeit als beste Freundinnen. Zusammen buddelten wir im Sand, besuchten gemeinsam die Schule und im Teenageralter teilten wir alle Geheimnisse. Fast alle.

»Wir trauern um Kirsten Schlüter, die vom rechten Pfad abgewichen ist …«, drangen die Worte an mein Ohr.

Was für ein Bullshit. Sie ist nicht abgewichen, sondern sie wurde von irgendwelchen miesen Typen aus Frankfurt vom Weg gezerrt.

»Wir begleiten sie gemeinsam, um ihr nachzublicken, wenn sie vorausgeht in eine neue Welt, in ihre ewige Heimat …«

Bei der Formulierung hatte ich den dringenden Wunsch, den Pfarrer laut anzuschreien oder ihn persönlich in seine neue Welt zu schicken.

 

Alles begann bei einem Wochenendausflug. Wir hatten die Erlaubnis, bei einer Freundin zu übernachten, die vor einiger Zeit mit ihrer Familie nach Frankfurt gezogen war. Für uns Landeier war das ein aufregendes Erlebnis, mit dem Zug in die hessische Metropole zu fahren, um für einen Tag dem beschaulichen Dorfleben zu entfliehen. Dass Anja bereits in Kreisen verkehrte, die jedem Erziehungsberechtigten normalerweise die Haare zu Berge stehen ließen, ahnte niemand. So kam es, dass wir heimlich die gesamte Nacht um die Häuser zogen. Anjas Eltern verbrachten das Wochenende bei Verwandten, so hatten wir sturmfreie Bude und kein Mensch bemerkte unseren nächtlichen Ausflug. Ich fühlte mich dabei unwohl, wollte jedoch nicht als Spaßbremse wirken. Kessy, die viel cooler als ich auftrat, tauchte mit Begeisterung in das aufregende Nachtleben ein. Das Schicksal nahm seinen Lauf, als sie einen Typen traf, in den sie sich sofort verknallte. Zugegeben ein sehr smarter Mann, der es verstand, sie in der Disco, in die wir uns hineingeschmuggelt hatten, zu umgarnen. Dass an diesem Ort Drogen konsumiert wurden, bekam ich erst im Nachhinein mit.

Nach dem Wochenende veränderte sich meine beste Freundin. Ich hörte nur noch den Namen Joe. Joe hier, Joe dort. Selbstverständlich tolerierten ihre Eltern den Kontakt nicht. Rückblickend betrachtet, ist es nahezu unmöglich, einen verliebten und eigensinnigen Teenager aufzuhalten. Sogar meine Bedenken schlug sie in den Wind. Nachdem sie mit diesem Joe geschlafen hatte, verfiel sie endgültig seiner Scheinwelt in Frankfurt. Die Spannungen in ihrem Elternhaus nahmen zu, sodass es eskalierte. Nichts hielt sie mehr in ihrem bis dahin behüteten Teenagerleben. In einer Nacht- und Nebelaktion verschwand sie, um ihr Leben mit diesem Joe zu verbringen. Es gab keine Information, die das belegte, dennoch gab es keinerlei Zweifel, dass das der Grund für ihr Verschwinden war.

Zu dieser Zeit hörte ich zum ersten Mal die Bezeichnung Loverboy. Smarte Typen, die sich an unbedarfte Teenager heranmachen und ihnen Liebe und Treue vorspielen. Wie der Kerl es schaffte, junge Frauen wie Kessy emotional in eine Abhängigkeit zu bringen, war mir einst ein Rätsel. Doch die Polizei erklärte uns damals, dass regelmäßig der Zeitpunkt kommt, an dem die Loverboys in großen finanziellen Nöten stecken. Sie flehen um Hilfe, da angeblich ihr Leben bedroht wird. Ein erfolgreicher Klassiker. Das Ergebnis bei der perfiden Vorgehensweise ist immer identisch: Alle Mädchen, die den Absprung in letzter Sekunde nicht schaffen, landen auf dem Strich. Es ist grausam und die Kunden sind Männer, die ihre Väter sein könnten. Noch heute bin ich fassungslos und mein Herz krampft sich zusammen, wenn ich mir vorstelle, dass Kessy von einem der Wichser gefickt wurde.

Doch alle Bemühungen, sie ausfindig zu machen, schlugen fehl. Die Polizei nahm an, dass sie nicht gefunden werden wollte.

Durch die Ereignisse wandelte sich mein Leben schlagartig. Ich vermisste Kessy und litt darunter, nicht zu wissen, wo sie sich aufhielt und wie es ihr erging. Ich hoffte bis zur letzten Minute, sie gesund wiederzusehen.

Den Tag mit der schrecklichen Nachricht ihres Todes werde ich niemals vergessen. Die Schmerzensschreie der Mutter, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte, höre ich noch immer. Vermutlich begleiten sie mich ein Leben lang. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. Keine junge Seele hält Missbrauch über längere Zeit aus. Alle griffen sie zu Rauschgiften, die sie von ihren mittlerweile brutalen Zuhältern problemlos erhielten. Kessy starb an einer Überdosis Crystal Meth, diese Droge gehörte üblicherweise nicht zu denen der Szene, da es schnell für körperlichen Verfall sorgt. Das war schlecht fürs Geschäft. Die Ermittler vermuteten, dass sie sich das Gift selbst besorgte, denn die Wirkung ist intensiv und lässt einen das Elend besser als mit Kokain ertragen. Außerdem ist es billiger, da die Opfer eines Loverboys kaum über Geld verfügen. Sie müssen jeden verdienten Cent abgeben und falls es nicht genug ist, werden sie geschlagen. In meinen Albträumen sah ich Kessy, wie sie durch die Hölle ging.

Zunächst wussten wir nicht, was sie durchlebte. Welche Qualen sie erlitt. Die Ungewissheit fühlte sich zu der Zeit wie ein Mühlenstein auf unser aller Schultern an. Ich weiß im Rückblick nicht, ob es den Schmerz vermindert hätte, wenn uns die grausamen Details verborgen geblieben wären: Ihre Leiche wurde wie Müll im Main entsorgt und verfing sich in einer Schiffsschraube. Das bohrende Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber diesen Organisationen, löste eine ungeheure Wut in mir aus. Die Polizei gestand, dass sie es für unwahrscheinlich hielt, das Verbrechen aufzuklären. Der vielleicht einzige Trost des Dramas war, dass sie in Würde begraben werden konnte. An einem Ort, an dem wir unseren Erinnerungen nachhängen und uns ihr nahe fühlen können. Der Kummer jedoch, der verliert sich nie.

 

Ich kehrte gedanklich wieder an den Ort des Kummers zurück. Die Kirchenglocken läuteten erneut und der Sarg wurde langsam hinabgelassen. Das Leid und die Trauer sind in einem solchen Augenblick nicht in Worte zu fassen. Mit weichen Beinen trat ich an das offene Grab.

»Ich werde dich nie vergessen«, wisperte ich und warf eine extra zusammengestellte Bildercollage mit den schönsten Aufnahmen des gemeinsamen Lebens auf den braunen Holzsarg. Fotos, auf denen wir lachten, scherzten, Grimassen schnitten, zusammen im Freibad sonnten, Dorffeste, Geburtstage feierten, auf Klassenfahrt in den Alpen waren,… Alles Momente, die mir bewiesen, dass meine beste Freundin, die wie eine Schwester für mich war, mir für immer entrissen wurde.

»Ich trage dich tief in meinem Herzen.« Schluchzend wandte ich mich ab. Ich musste weg, konnte es nicht länger aushalten.

An dem Tag manifestierte sich mein Lebens- und Berufsziel. Ich beschloss, mich bei der Polizei zu bewerben, um dafür zu sorgen, Arschlöchern wie diesem Joe das Handwerk zu legen. Ich wusste, dass ich nicht die Macht besaß, die Welt zu retten. Dennoch schwor ich, einen winzigen Teil dazu beizutragen.

Sweet Home

Sybille (Billy) Winkler – April 2017

Erschöpft parkte ich den Kleinwagen vor unserem Haus. Ein für den Monat ungewöhnlich warmer Tag neigte sich dem Ende zu. Da die Kiste, Baujahr 2006, keine Klimaanlage besaß, klebten mir die Kleider am Körper. Ich freute mich auf eine kalte Dusche und auf ein kühles Bier, um den Feierabend einzuläuten. Einen Moment harrte ich aus, um eine Radiomeldung zu Ende zu verfolgen. Jedoch sprang die Frequenz eigenständig hin und her, sodass ich den Inhalt nur bruchstückhaft mitbekam.

»Radio Eriwan, na toll«, murmelte ich. Ich nannte es so, da es sich anhörte, als schalte sich ein Störsender ein, um einen Lauschangriff zu starten. »Okay, dann nicht.«

Ursprünglich hatte ich geplant, ein neues Auto zu kaufen, doch das musste ich zurückstellen. Der Erwerb des Häuschens in einer Randgemeinde von Frankfurt sprengte das Budget. Mein Mann Markus hatte sich mit den anstehenden Renovierungsarbeiten gehörig verkalkuliert. Ein Haus mit Renovierungsstau aus den Fünfzigerjahren entpuppte sich als die Büchse der Pandora, einmal geöffnet, ließ sie sich nicht mehr schließen. Da wir den Kauf gemeinsam entschieden und uns einen lang gehegten Wunsch erfüllten, bissen wir die Zähne zusammen. Eigentum bedeutete in dem Fall, Verzicht auf lieb gewonnene Extras wie ein funktionierendes Autoradio.

Markus’ Kastenwagen konnte ich nicht sehen. Vermutlich hatte er sich wieder einmal im hiesigen Baumarkt festgefressen. Mir war es von jeher ein Mysterium, was Männer dazu bewog, mit steigernder Faszination Schrauben, Schleifmaschinen und der weiteren Produktpalette zu verfallen. Er hatte mir vor zwei Stunden eine Nachricht geschrieben, dass ihm für die abschließende Parkettverlegung im Obergeschoß Leisten und sonstiger Kleinkram fehlten.

Glücklicherweise besaß mein Mann Talent in etlichen Handwerkssparten. Als Schreiner konnte er viele Arbeiten professionell erledigen. Beim Thema Heizung, Sanitär und der Elektrik stieß er jedoch an seine Grenzen, was uns bereits diverse Pannen beschert hatte. Da er sich ausschließlich nach Feierabend und an den Wochenenden der Renovierung widmete, ging es langsam voran. Ich bemühte mich, ihn in allen Bereichen zu unterstützen. Meine Fähigkeiten in handwerklichen Dingen waren allerdings beschränkt und ich fungierte eher als Handlanger. Billy, hol mal den Kleister aus dem Auto. Billy, rühre bitte die Farbe um. Im Grunde rannte ich wie ein gejagtes Kaninchen hin und her, Trepp auf, Trepp ab. Meine Begabung lag im Gestalterischen. Ich liebte es, Möbel, Tapeten, Gardinen und Fliesen auszusuchen, ich konnte es gar nicht abwarten, endlich damit loszulegen.

Der Job als Kriminalkommissarin ließ mir nur minimalen zeitlichen Spielraum. Die stetig anfallenden Überstunden und Wochenenddienste sorgten in der letzten Zeit für Diskussionen. Trotz der zeitraubenden Instandsetzung, weigerte ich mich, meine Stundenzahl herunterzuschrauben und die angestrebten Karriereziele aus den Augen zu verlieren. Dafür hatte ich zu lange gekämpft und mir den Status im BKA Frankfurt hart erarbeitet. Gleichberechtigungsdebatte hin oder her; wir Frauen hatten es schwerer als unsere männlichen Kollegen.

Markus’ Argumente, dass ich die Prioritäten anders legen sollte, wiegelte ich schlicht ab.

Zügig zerrte ich zwei Einkaufstüten aus dem Kofferraum und schleppte sie zum Hauseingang. Mir lief der Schweiß den Rücken herunter, da zudem noch meine Laptoptasche über der Schulter hing.

»Wo ist der verdammte Schlüssel?«, grummelte ich und suchte fahrig in der in die Jahre gekommenen Messenger Bag. Wie immer versteckte er sich in den Untiefen und verhedderte sich beim Herausziehen mit allerlei Inhalt. Ich merkte, wie sich Anspannung aufbaute. »Ich hasse es, Scheißding.«

Geschickt balancierte ich den Schlüssel in das Zylinderschloss, ärgerte mich darüber, dass Markus nicht abgeschlossen hatte und stolperte beim Betreten über einen Berg Verpackungsmüll.

»Ruhig bleiben, nicht aufregen«, murmelte ich, da mich in der Küche ein nicht abgeräumter Frühstückstisch empfing. Das Geschirr des gestrigen Abends stand ebenfalls noch im Spülbecken. Ich seufzte genervt, da Markus in seiner bekannten Manier alles hatte stehen lassen, obwohl ich ihn darum gebeten hatte, die Sachen in die Spülmaschine zu räumen. Dass er schon immer ein Chaot war, wusste ich und hatte mich damit arrangiert, da er es verstand, sich auf charmante Weise herauszureden. Dabei sah er mich mit einem unschuldigen Dackelblick an, sodass ich ihm niemals ernsthaft böse sein konnte.

Meinen außergewöhnlich frühen Dienstschluss wollte ich mir nicht vermiesen lassen und so verstaute ich die Lebensmittel im Kühlschrank, räumte die Maschine aus und das dreckige Geschirr ein. Im oberen Stockwerk kämpfte ich mich durch die Hinterlassenschaften eines überstürzten Aufbruchs. Da wir noch kein Geld für Türzargen hatten, verdeckten Planen die Zimmereingänge. Das hatte wiederum den Nachteil, dass bei Schleif- oder Bohrarbeiten alle Räume einstaubten. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass auch das irgendwann einmal ein Ende finden würde und wir gemütlich den Feierabend auf unserer Terrasse, die ebenso wenig fertiggestellt war, verbringen könnten. Meine Pläne, am vergangenen Wochenende mit der Beseitigung des Gestrüpps in dem verwilderten Garten zu beginnen, waren einem unerwarteten Diensteinsatz zum Opfer gefallen. Deswegen hatte ich mir vorgenommen, mich die Tage darauf nicht wegen der halb fertigen Arbeiten zu beschweren. Allerdings fragte ich mich, wie lange es her war, dass ich problemlos meinen Feierabend mit einer Dusche hatte genießen konnte.

Im Schlafzimmer ließ ich mich auf das ungemachte Bett fallen. Das Bettgestell hatte Markus eigenhändig gefertigt und mir zur Hochzeit vor sechs Jahren geschenkt. Ich liebte die verspielten zarten Details aus Holz, die die Seiten und das Kopfteil zierten. Dann wanderte mein Blick durch den Raum. Der alte Kleiderschrank hatte den Umzug nicht überlebt. Auf einen versprochenen selbst gebauten wartete ich bislang vergebens. Etliche Kleidungstücke schlummerten noch in den Umzugskartons und ein Kleiderständer diente als vorübergehendes Provisorium. Ein gemütliches Schlafzimmer bedeutete mir viel und ich hatte darauf bestanden, den Raum so weit es ging fertigzustellen. Das Kleidungsaufbewahrungsdesaster zauberte ich mit einem Vorhang weg. Die Gardinen hingen, die alte Kommode meiner Oma hatte ihren Platz gefunden und es gab sogar eine Lampe. Unbestritten der gemütlichste Raum des Eigenheims, was bei all den Kompromissen schon viel aussagte.

Wenngleich das Zimmer der anhaltenden Sexflaute wenig entgegenzusetzen hatte. Der Stress der letzten Monate hatte unser Liebesleben auf ein Minimum reduziert. Vielleicht lag es auch an der langen Beziehung mit Markus. Zu Beginn hatten wir uns das Gehirn herausgevögelt. Ich erinnerte mich, dass ich schon mit einem nassen Höschen in die gemeinsame Wohnung gekommen war und es kaum erwarten konnte, seinen stattlichen Schwanz in mir zu spüren. Zu jener Zeit hatten wir auch viel um die Ohren. Meine duale Ausbildung beim BKA forderte mich und Markus pendelte täglich fünfzig Kilometer zum Arbeitsplatz und zurück. Das hatte uns aber nicht gehindert, eine Menge Spaß miteinander zu haben, sobald wir uns im gleichen Raum befanden.

Mit einem Seufzer sprang ich hoch und zog die verschwitzten Klamotten aus. Auf Zehenspitzen huschte ich über den staubigen Flurboden und freute mich auf eine kalte Dusche.

»Was in aller Welt … Nö! … Ich kotze!« Der Anblick eines Farbeimers in der Badewanne sprengte meine bisherige Gelassenheit. Markus hatte Pinsel ausgewaschen und vergessen, sie wegzuräumen. Wütend leerte ich den Eimer, donnerte ihn in den Flur und begann die Farbreste voller Zorn wegzuschrubben. Ich dankte Gott, dass Markus noch nicht zurückgekehrt war. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich tätlicher Körperverletzung schuldig gemacht.

Nach einer halben Stunde stand ich endlich unter der Dusche. Das angenehm kühle Wasser und der Duft von meinem Lieblingsshampoo erfrischten und entspannten mich. Wie so oft in der letzten Zeit beschloss ich, den Ärger herunterzuschlucken. Eine Auseinandersetzung bis hin zu einem handfesten Streit wollte ich umgehen. Irgendwann musste diese Baustelle schließlich ihr Ende finden.

»Billy, rate mal, wen ich getroffen habe?« Markus schlug die Plane an der Tür zur Seite und ich zuckte zusammen, da ich ihn nicht gehört hatte. »Oh, die Pinsel.«

Ganz ruhig Billy, nicht aufregen, atme tief durch … Nur die bewusst durchgeführten Atemübungen verhinderten einen Tobsuchtsanfall. Da ich sowieso fertig war, drehte ich den Wasserhahn ab und kletterte aus der Wanne.

»Mhhm.« Es fiel mir schwer, zu lächeln.

Er musterte mich flüchtig. Doch kein Wort eines Komplimentes oder dergleichen kam über seine Lippen. Früher bekam er beim Anblick meiner üppigen, wohlgeformten Brüste und des knackigen Pos einen Ständer. Spontaner Sex war eine heiße Leidenschaft, die wir ausgiebig genossen. Es gab nicht einen einzigen Ort in der alten Wohnung, an dem wir es nicht getrieben hatten.

»Wen hast du getroffen?«, fragte ich und schlang ein Badetuch um, seine Gleichgültigkeit löste ein Schamgefühl bei mir aus.

»Einen ehemaligen Schulfreund. Er ist ebenfalls hier in die Gegend gezogen.«

»Die Welt ist klein.« Ich wischte den beschlagenen Spiegel ab und begann, meine langen Haare zu bürsten. »Ich muss unbedingt zum Friseur, die Farbe ist ausgeblichen.« Ich sprach eher zu mir selbst, denn Markus fuhr einfach fort.

»Na ja, auf jeden Fall haben wir an der Imbissbude vor dem Baumarkt ein Bierchen getrunken und er hat uns für morgen spontan zum Angrillen eingeladen.«

»Ah.« Das, was mir dazu einfiel, wollte ich nicht aussprechen. Eigentlich war geplant, die Terrasse gemeinsam zu entrümpeln. Er hatte mir versprochen anzupacken, da viele Teile zu schwer und sperrig waren, sodass ich es ohne seine Hilfe nicht schaffte.

»Das ist doch super. Also ich freue mich, endlich mal ein bekanntes Gesicht zu sehen.«

»Wann?« Ich wollte keine Spielverderberin sein.

»Gegen sieben. Am Freitag ist Feiertag.«

»Ach ja, Ostern, ist mir komplett entfallen.«

»Ich habe zugesagt. Ist doch okay?«

Nein, ist es nicht, dachte ich, erwiderte jedoch: »Wenn ich es zeitlich schaffe, gern.«

»Dann wirst du es eben einrichten.« Er grinste und wandte sich pfeifend ab. Seine gute Laune ging mir auf die Nerven. Ich sollte mir mal eine Scheibe davon abschneiden. Es wollte mir nicht gelingen und es kostete mich Mühe, zumindest eine neutrale Miene aufzusetzen.

 

Einige Zeit später kam ich zu ihm ins Wohnzimmer. Er saß vor dem Fernseher und hatte eine Tüte Chips in der Hand. Ich betrachtete ihn. Für mich war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Ein großer, stattlicher Kerl, sportlich und mit einer sympathischen Ausstrahlung, der sein Umfeld zum Leuchten brachte. Die lockere und positive Lebenseinstellung gefiel mir, da sie einen Kontrast zu meiner durchstrukturierten und ehrgeizigen Lebensweise darstellte. Ein Charakterzug, der sich insbesondere mit dem Erwerb des Hauses als problematisch herausstellte, da er sich in den Jahren kein bisschen verändert hatte. Nach dem Motto: Komm ich heut’ nicht, komm’ ich morgen.

»Willst du nicht auch erst mal duschen?« Sein verschwitzter Anblick und die Arbeitskleidung wirkten wenig anziehend.

»Gleich«, murmelte er mit vollem Mund und ohne die Augen von dem Bildschirm abzuwenden, auf dem sich zwei Kerle ein abenteuerliches Autorennen inklusive Schießerei lieferten. Wortlos stapfte ich in die Küche und holte mir ein Bier aus dem Kühlschrank. Gedankenverloren lehnte ich an der Küchenzeile. Die Einbauküche war, bis auf diverse Feinheiten, fertig. Ich nannte es den Winkler-Endstatus. Markus fehlte einfach der Sinn fürs Detail.

Trotz all des Chaos’ hatten sich meine Gefühle zu ihm niemals geändert. Im Moment dominierten eben die etwas schlechteren Zeiten, aber es gab keinen Zweifel, dass wir diese gemeinsam überstanden.

 

Am Donnerstagabend fuhren wir zu Swenja und Paul Hilgers. Das Ehepaar wohnte in einem schmucken Neubauviertel. Ich seufzte bei dem Anblick der Immobilien. Auch wenn ich beim BKA Karriere machte, blieb das ein unerreichbarer Traum.

»Schick«, murmelte ich und stieg aus meiner alten Kiste. Vor dem Haus seines ehemaligen Schulkameraden standen ein SUV und ein Cabrio.

»Er hat Karriere als Wirtschaftsprüfer in einer renommierten Kanzlei gemacht.«

»Wann sind sie hier eingezogen?«

»Vor drei Monaten oder so.«

»Ah!« Der Eingangsbereich sah top gepflegt aus und in dem Vorgarten blühten die ersten Blumen. Ich dachte an unseren Urwald und mein Magen zog sich unangenehm zusammen.

Der Empfang fiel für meinen Geschmack zu herzlich aus. Swenja begrüßte mich freundschaftlich mit Umarmung. Ich hasse das! Du kennst mich doch gar nicht!

»Wir gehen mal auf die Terrasse, mein neuer Gasgrill ist der Wahnsinn.« Paul und Markus verschwanden umgehend.

»Haha, mein Mann ist bei solchen Anschaffungen wie ein kleines Kind.«

Das konnte ich bestätigen und murmelte: »Ja, das kenne ich. Albern.«

Swenja wirkte wie ein Abziehbild dieser Hausfrauen aus dem US-Fernsehen, die einerseits erfolgreich im Job waren und gleichzeitig hübsch gestylt sowie energiegeladen die abendlichen Dinnergäste empfangen konnten. »Ach, sei nicht zu streng mit den Männern. Sie sind eben große Kinder. Haha.« Ihr blödes und künstliches Lachen störte mich. »Ich zeige dir erst mal unser Haus, ja?« Die Hausherrin zwang mir eine Besichtigung auf. »Einhundertfünfzig Quadratmeter, zwei Bäder …«

Die Details drangen nicht zu mir durch, als ich ihr folgte. Zugegebenermaßen beeindruckte mich die gesamte Ausstattung. Keine Staubschicht, überall Türen, keinerlei halb tapezierte Wände und nicht ein einziger unausgepackter Karton. »Sehr chic«, lobte ich und ein Kloß bildete sich in meinem Hals, der unaufhörlich wuchs, je mehr ich an unser Zuhause dachte.

»My Home is my Castle«, flötete Swenja. »Ich bin stolz darauf. Es ist traumhaft, hier zu wohnen.« Sie begann die Vorzüge aufzuzählen und schwelgte in ihren weiteren Plänen zur Ausstattung. Kellerausbau, Möbel für das Gäste- und Kinderzimmer – bla, bla. Es fehlte nur noch, dass sie mir ihren begehbaren Kleider- und Schuhschrank zeigte, den ihr Mann ihr geschenkt hatte.

An diesem Abend verhielt ich mich schweigsam, trotz Swenjas Versuche höflicher Ehefrauen-Konversation. Für Markus’ Geschmack zu ruhig. »Warum bist du so abweisend?«, flüsterte er mir in einem unbemerkten Moment zu, da die Hilgers fasziniert vor dem monströsen Gasgrill standen, um uns die zweite Runde der gegrillten Leckereien zu kredenzen. »Du wirkst unhöflich.«

»Ich bin müde«, wich ich aus. »Es tut mir leid.«

»Bitte, Billy, Süße, setze ein anderes Gesicht auf.« Ich nickte, er lächelte und hauchte mir einen Kuss auf den Mund. »Es ist ein wunderschöner Abend. Und weißt du was unglaublich ist?« Er ließ mir keine Möglichkeit zu antworten und strahlte. »Er steht immer noch im Kontakt mit unserem damaligen Fußballverein.«

»Ah.« Was sonst sollte ich sagen?

»… und das Haus. Ich bin begeistert.«

»Ja eben«, rutschte es mir heraus. Er sah mich verständnislos an. In diesem Moment registrierte ich, dass er von meinen Gefühlen und der in mir keimenden Unzufriedenheit keinen Schimmer hatte.

Zur Bestätigung stand er auf und gesellte sich zu den Hilgers. Da er die Bierflasche mitnahm, suchte er vermutlich eine aufgelockerte Atmosphäre.

»Es ist schon ein Unterschied, seitdem wir den Grill nutzen. Das Fleisch wird gleichmäßig braun, da schau mal – die exakten Bratstrukturen, wie vom Sternekoch.« Der Grillmeister platzte nahezu vor stolz und seine Frau strahlte, als sei er der Konstrukteur dieses monströsen Gasgrills.

Keiner nahm in dem Moment Notiz von mir. Ich kam mir dämlich vor, aber alles in mir weigerte sich, mich zu ihnen zu stellen. Trotz aller Bemühungen gelang es mir nicht, zur Stimmungskanone zu mutieren. Da ich mich bereit erklärt hatte zu fahren, trank ich keinen Alkohol. In einer Runde mit drei angetrunkenen Menschen kam ich mir wie eine Außenseiterin vor. Sie sprachen viel über die Vergangenheit, zu der ich nichts zu sagen vermochte. Die lustigen Anekdoten aus ihrer Schulzeit katapultierten mich umgehend in die Zeit von Kessys Tod. Ich erinnerte mich, dass sich die Stimmung niemals mehr von dem schrecklichen Ereignis erholte. Warum nahm Markus darauf keine Rücksicht und lenkte von dem Thema ab? Stattdessen bogen sich die Männer vor Lachen.

 

Später überlegte ich, mit Markus zu sprechen und ihm meine Gefühle zu erklären. Dazu kam es jedoch nicht. Er fiel müde ins Bett und schlief sofort ein. Ich kam mir seltsam verloren vor und fühlte mich mies. Mit offenen Augen starrte ich an die Decke. Die Kirchturmuhr schlug dreimal. Bis zu meinem Sweet Home schien es noch ein unendlich langer Weg. Ob ich jemals das Ziel erreichte? In den Stunden kurz vor Sonnenaufgang kamen mir erstmals Zweifel.

Klare Ziele

Billy Winkler

Durch die Monitore verfolgte ich die Befragung eines smarten, südländisch aussehenden Mannes. Das widerlich arrogante Auftreten löste bei mir Folterfantasien aus. Antonio Bressan lehnte sich auf dem Stuhl zurück, streckte ein Bein aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Durch das kurzärmlige Shirt fiel mein Augenmerk auf eine protzige Armbanduhr.

»Du Wichser«, zischte ich leise. »Wie oft musste sie dafür die Beine breitmachen?« Bei seinem Anblick hatte ich sprichwörtlich Schaum vor dem Mund.

Meine Kollegen Röder und Zimmermann betraten den Verhörraum. Sofort blaffte Bressan die beiden an: »Was soll das? Alter, ich bin eh spätestens in einer Stunde wieder draußen. Ihr könnt mir gar nichts.«

Unbeeindruckt von der Äußerung nahmen die Kollegen ihm gegenüber Platz.

»Verhör mit dem Verdächtigen Antonio Bressan. Anwesend sind die Hauptkommissare Thorsten Röder sowie Georg Zimmermann.« Thorsten sah auf die Uhr. »Es ist 15.23 Uhr, Dienstag, der 25. April 2017.«

»Herr Bressan, Sie wissen, warum Sie hier sind?«, begann Georg die Befragung.

»Was weiß ich, was die Tussi erzählt hat. Ich habe nix gemacht.«

»Ihnen wird vorgeworfen, die sechzehnjährige Anika Mayer zur Prostitution gezwungen und gegen ihren Willen in der Wohnung in der Cordierstraße festgehalten zu haben.«

»Das ist Bullshit. Die hat das freiwillig gemacht. Wenn die Schlampe etwas anderes erzählt, lügt sie.«

Ich rieb mir mit den Händen übers Gesicht. Wie ich diese Bastarde hasste. Obwohl uns zum ersten Mal seit Längerem die Verhaftung eines Loverboys glückte, empfand ich kaum Euphorie. Zu unsicher gestaltete sich der weitere Verlauf. Die Typen verfügten über ein Netzwerk und die Hintermänner, die einen immensen Teil abkassierten, beschäftigten gut bezahlte Anwälte. Obwohl die Verhaftung wochenlange Recherchearbeiten und Observationen erfordert hatte, wussten wir, dass wir lediglich einen Handlanger gefasst hatten. Wie so oft nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Beweislage gegen Bressan stützte sich allerdings auf die Aussage eines Aussteigers. Das war mehr, als wir sonst vorweisen konnten. Auch wenn der Staatsanwalt Anklage erhob, in der Vergangenheit gab es wenige rechtskräftige Urteile, welche die Loverboys für den Rest ihres Lebens aus dem Verkehr zogen.

Die größte Gefahr sah ich jedoch in der Standfestigkeit von Anika, die letztendlich die Hauptbelastungszeugin verkörperte. Schaffte sie es oder knickte sie, wie so viele vor ihr, ein? Weshalb gelang es den Männern, die Teenager in eine emotionale Abhängigkeit zu zwingen, die sie zerstörte? Warum kehrten sie immer wieder zu ihnen zurück, obwohl sie misshandelt und bedroht wurden? Ein grausames Mysterium, das sich seit Kessys Tod nicht verändert hatte.

Nachvollziehen würde ich es nie.

»Wo ist mein Verteidiger?«, rotzte Bressan heraus. »Ich sage kein Wort.«

»Wir haben ihm eine Nachricht hinterlassen. Außerdem unterhalten wir uns lediglich.« Georg sah ihn ausdruckslos an. »Ihrer Festnahme liegt ein begründeter Verdacht zugrunde.«

»Ich weiß nicht, was die in der Wohnung gemacht hat!« Sein Grinsen empfand ich als unerträglich.

»Es liegen uns glaubwürdige Zeugenaussagen vor, die die körperliche Gewalt gegen Anika Mayer bestätigen.«

»Was kann ich dafür, wenn sie so doof ist und die Treppe hinunterfällt?«

Ich schüttelte mit dem Kopf und verließ den Überwachungsraum. »Bin gleich wieder da«, murmelte ich meiner Kollegin zu. »Ich brauche frische Luft.«

»Verstehe ich.« Claudia wusste um die persönlichen Erlebnisse, die Kessy das Leben gekostet hatten. »Lass dir Zeit, ich gebe dir nachher Bericht.«

Es fiel mir offen gestanden schwer, die nötige professionelle Distanz zu wahren. Ich musste dafür alle Kräfte mobilisieren, mich nicht von meinen persönlichen Gefühlen übermannen zu lassen. Der Moment, in dem wir die Wohnung stürmten, zwei von den Typen überwältigten und Anika wortwörtlich unter einem Freier hervorzerrten, spielte sich seit ein paar Stunden immerzu in meinem Kopf ab. Sie war benommen gewesen, vollgepumpt mit Drogen. Ein Teenager, der an die große Liebe glaubte und sein Leben damit verspielte. Ein Mädchen, das sich zu einer Sex-Sklavin machte. Der Mann, der in diesem Augenblick versuchte, seinen verdammten Schwanz in ihren Po zu drücken, war Mitte fünfzig und genoss mit dem Besuch eine außergewöhnliche Mittagspause. Jetzt auch eine unvergessliche Mittagspause, dachte ich grimmig. Die Karriere in der Bank dürfte damit zu Ende sein, denn ihm stand eine Anklage wegen sexuellem Missbrauchs einer Minderjährigen bevor.

Ich verließ das Büro, aber der erhoffte gedankliche Abstand blieb aus. Alles drehte sich um den Fall, um die Szene, die ich mit Vehemenz versuchte zu bekämpfen. Auf dem Parkplatz des Präsidiums streckte und reckte ich mich, was mir ein Schmunzeln der Kollegen einbrachte, die gerade auf den Hof fuhren. Darauf reagierte ich mit einer Grimasse. Wir kannten uns seit ewigen Zeiten und sie wussten, wie ich es meinte.

Warum gierten die Männer nach Mädchen, die ihre Töchter oder Enkelinnen sein könnten? Solange der Drang bestand, so lange würde es die Loverboys und einen Kinderstrich geben. Die Nachfrage bestimmte das Angebot. Aus meiner Sicht gehörten die Freier ausnahmslos kastriert und für alle Zeiten weggesperrt.

 

Meine Glieder schmerzten vor Erschöpfung, als ich ins Büro zurückkehrte, und ich wünschte mir, mich in einem Mauseloch zu verkriechen. Der liegen gebliebene Papierkram erledigte sich bedauerlicherweise nicht von allein. Die Konzentration ließ jedoch zu wünschen übrig. Neben der Verhaftung, die mich aufwühlte, beschäftigte mich ein Streit mit Markus. Die private Unzufriedenheit hatte zugenommen und entlud sich gestern Abend wie ein heftiges Gewitter. Vor meinem geistigen Auge sah ich die Szene erneut:

»Warum ist es schon wieder so spät geworden?«, blaffte Markus aus der Küche, als ich nach zweiundzwanzig Uhr zu Hause eintraf. »Das nervt langsam.«

»Weil es mein Job ist …«, erwiderte ich gereizt. Sofort bemerkte ich eine Reihe von leeren Bierflaschen auf dem Tisch.

»Was? Darf ich mir nicht mal mehr ein Feierabendbierchen gönnen?« Er schaute mich mit glasigen Augen an. »Ich brauche ein bisschen Abwechslung, wenn meine Frau nie anwesend ist.«

»Von mir aus.« Ich ging an den Kühlschrank, holte mir eine Flasche Wasser und ließ mich müde auf einen Stuhl fallen. Auf dem Esstisch stand sein Laptop, doch bevor ich einen Blick auf den Monitor werfen konnte, klappte er blitzartig das Gerät zu. Dazu bedurfte es keinerlei polizeilichen Fähigkeiten, um festzustellen, dass er etwas zu verbergen hatte. »Was hast du zu verheimlichen?«

»Nichts.« Eine leichte Röte zeichnete sich in seinem Gesicht ab. »Ich habe ein bisschen gesurft.«

Obwohl ich mich dafür hasste, entstand ein unterschwelliges Misstrauen. »Wo ist dann das Problem?«

»Es gibt keines.«

Ich musterte ihn skeptisch. Erst jetzt fiel mir auf, dass der Reißverschluss seiner Hose offen stand. Ein Verdacht keimte auf. »Wenn du nichts zu verbergen hast, zeige es mir.«

Er öffnete sich eine weitere Bierflasche, mied meinen Blick. Es entstand eine unangenehme Stille.

»Willst du es tatsächlich wissen?«, brach es unvermittelt aus ihm heraus. »Hier …« Er riss die Abdeckung hoch.

Innerhalb von wenigen Sekunden prangte mir ein roter Mund entgegen, der im Großformat geräuschvoll einen Schwanz lutschte. Dass Männer Pornos konsumierten, wusste ich und schloss es bei Markus ebenfalls nicht aus. Der Gedanke war nicht famos, dennoch tolerierte ich es. Wie sollte ich darauf reagieren? Früher hätte ich vielleicht die Initiative ergriffen, doch mein Ehemann nahm mir die Entscheidung ab.

»Ja, ich hole mir einen runter, weil ich es brauche und weil bei uns im Bett nichts mehr läuft.« Selten hatte ich ihn derart gereizt erlebt. Sein Körper stand unter Hochspannung und ich hatte keinen blassen Schimmer, ob die Röte im Gesicht aufgrund des Schams oder des Ärgers, dass ich ihn erwischte, herrührte. »Das kotzt mich an.« Er warf mir einen genervten Blick zu und verließ die Küche, bevor ich antworten konnte.

»Bleib hier«, bellte ich und sprang auf. »Das klären wir jetzt.« Ich folgte ihm. »Das ist unfair und nicht wahr.« Jede Frau, die sich das von ihrem Mann anhören muss, ist verletzt. »Warum bin ich schuld?«

Ungeachtet der Worte ließ er sich im Wohnzimmer auf die Couch fallen und starrte auf den Boden.

»Ich bin für dich Luft. Früher …«

»Früher ist nicht heute«, unterbrach er mich.

»Megaschlau, deine Feststellung.« Mein Pulsschlag erhöhte sich. »Warum tust du das?«

»Weil ich für den Puff keine Kohle habe.« Vermutlich lag es am Alkohol, dass er mich bewusst kränkte.

»Du bist ein Arsch!« Der Satz brachte das Fass zum Überlaufen und der ganze Frust entlud sich. »Ja, früher war alles besser, und zwar, bevor wir diese beschissene Hütte gekauft haben. Wir leben auf einer Baustelle und es ist kein Geld da, um irgendwas fertigzustellen.« Ich wurde immer lauter. »Wenn du was anfängst, hörst du mittendrin auf, unterstützt mich kaum im Haushalt, berücksichtigst nicht den Hauch meiner Bedürfnisse. Ich hab’s so satt!«

Die Vorwürfe schossen aus dem Mund, ohne dass ich sie stoppen konnte. Markus starrte weiterhin auf den Boden und wirkte unbeteiligt. Sein Schweigen steigerte meine Wut.

»Aber bitte, ich kann dir Geld für den Puff geben, wenn es dir so wichtig ist! Ich bin für dich ja nicht mehr begehrenswert!« Wütend stapfte ich zu der Tasche, die in der Küche lag, zerrte die Geldbörse heraus und warf sie ihm vor die Füße. »Bedien dich.«

»Ich muss morgen früh raus.« Markus stand auf und ging an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

»Das ist typisch für dich.« Ich stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Ich will das sofort klären.«

Er drehte sich um. »Ich habe vor dem PC gewichst, okay, es ist aus deiner Sicht nachvollziehbarerweise nicht so toll.« Jetzt sah er mir in die Augen. »Es lässt einiges vermuten, wenn daraus solche grundsätzlichen Vorwürfe entstehen.«

Plötzlich taten mir meine Vorhaltungen leid. Es entsprach der Wahrheit, die ich jedoch niemals in der Form eines unkontrollierten Streits hatte kommunizieren wollen. Aus Bequemlichkeit war ich jeder Diskussion bisher ausgewichen, aber das rächte sich in dem Augenblick, als ich wie ein Vulkan explodierte. Sollte ich einlenken? Würde das nicht wieder meiner Aufschiebtaktik entsprechen? Ich kreiste mit dem Kopf, da mein Nacken sich blitzartig verspannte. Markus war mittlerweile in die obere Etage verschwunden.

Mit einem Seufzer setzte ich mich auf die Couch und trank einen Schluck Bier, den er übrig gelassen hatte. Einen Moment überlegte ich. Nein, es jetzt zu klären, machte keinerlei Sinn. Mir stand morgen ein schwerer Tag mit Bressan bevor, der meine gesamte Aufmerksamkeit erforderte, und dazu benötigte ich Schlaf. Dass wir über grundsätzliche Probleme unserer Beziehung reden mussten, daran gab es keinerlei Zweifel mehr. Traurig schlich ich Treppe hoch. Aus dem Schlafzimmer hörte ich leises Schnarchen.

Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir jemals eingeschlafen waren, ohne uns zu versöhnen.

 

»Hast du Lust auf einen Absacker?«, riss mich Claudia aus meinen Gedanken. »Oder musst du wieder renovieren?« Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Er ist erst mal in U-Haft, wir haben einen Haftbefehl beim Staatsanwalt beantragt und Anika ist ebenfalls versorgt.«

»Klingt gut. Sowohl das eine als auch das andere.« Ich lehnte mich in dem Stuhl zurück und rieb mir die Schläfen mit den Zeige- und Mittelfingern. War es eine vernünftige Idee, in Anbetracht der häuslichen Spannungen auszugehen? Das schlechte Gewissen meldete sich sogleich.

»Komm schon, wir haben uns das verdient.«

»Eigentlich hast du recht. Ein bisschen Abwechslung tut gut«, stimmte ich schließlich zu. Falls es zu einer weiteren Auseinandersetzung mit Markus kam, hatte ich zumindest im Vorfeld einen netten Abend im Kreise meiner Kollegen verbracht und wäre ein wenig entspannter.

Eine Stunde später, den Großteil des Papierkrams erledigt, machten wir uns auf den Weg. Wir hatten uns nach anfänglichen Schwierigkeiten angefreundet und arbeiteten Hand in Hand. Claudia zeigte sich stets herzlich und gut gelaunt. Vermutlich lag unserer schwieriger Start daran. Ich verabscheute Menschen mit permanent fröhlicher Laune. Sie gehörte jedoch mittlerweile zu denen, die mich auf andere Gedanken brachten und sprichwörtlich aus dem Büro schleppten.

»Winkler!«

Mein Chef, Dr. Kaiser, fing mich ab, bevor wir die Etage verließen. Dass er uns oftmals nur mit dem Nachnamen ansprach, hatte mich zu Beginn unserer Zusammenarbeit irritiert. Im Laufe der Zeit gewöhnte ich mich daran und es passte zu seinem Führungsstil. Er sagte uns immer deutlich, wenn etwas schiefgelaufen war und dann konnte es auch mal laut werden. Niemand konnte meinen Nachnamen so angsteinflößend brüllen wie Dr. Kaiser. Gegenüber anderen hielt er uns jedoch den Rücken frei und verteidigte die Interessen des Teams.

»Das Team hat einen lobenswerten Job gemacht«, stellte er fest, sobald er mich eingeholt hatte.

»Danke.« Lob spendete er selten, deshalb freute es mich besonders. Die Worte der Anerkennung taten gut. »Ich hoffe, dass wir nicht erneut auf halber Strecke scheitern.«

»Dieses Mal sehen die Chancen besser aus.« Er nickte mir zu. »Ach ja, ich möchte Sie gern morgen Vormittag in meinem Büro sprechen.« Wie gewohnt, zeigte er keinerlei Regung und schob seine über die Nasenwurzel gerutschte Brille zurück.

»Ja, kein Problem.« Obwohl es mich brennend interessierte, hinterfragte ich den Grund nicht.

Kaiser bemerkte anscheinend meinen neugierigen Gesichtsausdruck. »Ich habe eine neue Herausforderung für Sie.«

Operation Dirty Life

Billy Winkler

Am nächsten Vormittag betrat ich nervös Kaisers Büro. Die vergangene Nacht wachte ich einige Mal auf, da ich fieberhaft überlegte, was er mit einer neuen Herausforderung meinte. Gab es grünes Licht, die lang herbeigesehnte Ausbildung zur Profilerin zu absolvieren? Oder wurde ich in eine andere Stadt versetzt?

Nach dem üblichen Begrüßungsgeplänkel, der Frage ob ich einenkomp Kaffee wolle, was ich verneinte, und wie ich mit dem Job zufrieden sei, kam er endlich auf den Punkt. Mittlerweile wippte ich unablässig mit dem rechten Bein, faltete die verschwitzten Hände und drehte die Daumen umeinander. Kaiser nickte mir aufmunternd zu, da ihm meine Unruhe auffiel.

»Sie kennen den Namen Ethan Grafenberg?«

»Ja, sicherlich.« Der Mann, eine schillernde Persönlichkeit der Frankfurter High Society, an dem keiner vorbeikam und von dem jeder wusste, dass er kriminelle Geschäfte tätigte. Seine bürgerliche Fassade als Selfmade-Millionär, Wohltäter für notleidende Kinder und Mäzen der Kunstszene in Frankfurt verschaffte ihm eine gewisse Immunität.

»Wie sieht der Einsatz aus?« Um eine endgültige Entscheidung zu treffen, benötigte ich so viele Details wie möglich. Allerdings vermutete ich, dass Kaiser meine Zusage als selbstverständlich betrachtete.

»Sie müssen sein Vertrauen gewinnen, sich in sein direktes Umfeld einschleusen, um so an konkrete Beweise zu kommen, die eine Verbindung zu der mafiös strukturierten Immobilienfirma Pegasus mit Sitz auf Isle of Man belegen.« Mein Chef spielte mit seinem Kugelschreiber. »Das Perfide daran, es ist im Grunde in den jeweiligen Ländern legal, wenn man die verworrenen Konstrukte betrachtet.«

»Er entzieht dem Fiskus das Geld, indem er es auf Offshorefirmen parkt?«, hakte ich nach.

»Das ist korrekt. Er stellt es jedoch mithilfe seiner Rechtsberater derart geschickt an, dass wir ihm bislang nie einen Zusammenhang nachweisen konnten.« Kaiser taxierte mich unablässig. »Pegasus kaufte in den letzten Jahren vornehmlich in Berlin und hier Frankfurt unzählige Altimmobilien auf. Teilweise auch sogenannte Schrottimmobilien.«

»Die sie luxussanieren und anschließend zu horrenden Preisen vermieten oder verkaufen?« Über diese Machenschaften regte ich mich stets auf, wenn die Medien darüber berichteten.

»Das ist eine Variante. Durch Insider wie Grafenberg, der die Frankfurter Marktentwicklung kennt, lässt diese Firma, die jedoch wieder unter verschiedenen anderen Firmierungen auftritt, die Häuser verrotten. Erst wenn sich durch neue städteplanerische Entwicklungen die Grundstückspreise erhöhen, stoßen sie die Immobilen mit hohen Gewinnen ab.«

»Grafenberg ist also ein Mittelsmann?«

»Er ist weit mehr als das. Er spielt in dem Konstrukt, wie es sich durch die Ermittlungen von Europol und einiger investigativer Journalisten herausstellte, eine zentrale Rolle.«

»Ich habe von den Panama-Papers gelesen.« Ein innerliches Kribbeln setzte ein. Es klang unfassbar spannend. Ein Skandal um Steuerhinterziehungen im großen Stil, die durch Journalisten aufgedeckt wurden. »Handelt es sich hierbei um einen vergleichbaren Fall?«

Kaiser nickte. »Das klare Ziel ist es, bei der geplanten Operation einen eindeutigen Nachweis zu finden, der Grafenbergs Zugehörigkeit zu der international agierenden Pegasus belegt.«

»Ah … Gab es denn bereits Durchsuchungen seiner Geschäftsräume?«

»Das ist unter anderem das Arglistige – er hat hier in Deutschland keine auf seinen Namen laufenden Gewerberäume angemietet. Und das, was er offiziell an Eigentum besitzt, ist lupenrein.«

»Wie geht das denn?«