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Glänzende Neuübersetzung von Jane Austens letztem Roman zum 250. Geburtstag der Autorin am 16.12.2025
Jane Austens letzter und reifster Roman erzählt anrührend und mit feiner Ironie von der Qual des Zweifels, von früher Leidenschaft und später Erfüllung.
Nach Jahren der Trennung begegnet Anne Elliot Kapitän Wentworth wieder, mit dem sie unter dem Druck ihrer Familie gebrochen hatte, ohne ihn jedoch vergessen zu können. In ihrem kürzesten, aber auch empfindsamsten Roman gestaltet Jane Austen das Motiv eines frühen, missverstandenen Verzichts und später Erfüllung.
Schauplatz dieses Romans ist Kellynch Hall, Herrensitz des eitlen, jedoch annähernd ruinierten Sir Walter Elliot. Dessen zweitälteste Tochter Anne hat auf den Rat ihrer mütterlichen Freundin Lady Russell hin vor Jahren den Heiratsantrag des jungen, mittellosen Seeoffiziers Frederick Wentworth abgelehnt. Die Hoffnung, den verlorenen Geliebten jemals wiederzugewinnen, hat sie aufgegeben und sich in ihr Schicksal gefügt. Da begegnet sie Wentworth wieder, der inzwischen ein wohlhabender Mann ist. Eine erneute Annäherung der beiden Liebenden scheint jedoch unmöglich: Wentworth hat sich durch leichtsinniges Verhalten zur Hochzeit mit der jungen Louisa Musgrove verpflichtet, während Anne von ihrem entfernten Verwandten William umworben wird.
Ein letzter Triumph von Austens hoher Romankunst über einen an sich trivialen Stoff: Die Autorin reduzierte die Welt ihre Plots auf «drei, vier Familien auf dem Lande» und deren Besucher und schuf so ein Werk von miniaturhafter Feinheit. Sie selbst verglich ihre Kunst mit der Elfenbeinmalerei: «Ein winziges Stück – zwei Zoll – Elfenbein, auf dem ich mit so feinem Pinsel male, dass nach zäher Arbeit ein wenig Wirkung sichtbar wird.»
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Seitenzahl: 419
Veröffentlichungsjahr: 2025
«Witz, Ironie und Sarkasmus Austens zeigen sich wunderbar.» Barbara Vinken
Jane Austens letzter und kühnster Roman erzählt anrührend und mit feiner Ironie von der Qual des Zweifels, von früher Leidenschaft und später Erfüllung. Als Einspruch gegen die Liebeskonventionen und Geschlechterklischees ihrer Zeit ist «Überredung» zugleich ein Lehrstück subtiler Herrschaftskritik im funkelnden Kleid eines modernen Märchens.
Nach Jahren der Trennung begegnet Anne Elliot Kapitän Wentworth wieder, mit dem sie unter dem Druck ihrer Familie seinerzeit gebrochen hatte, ohne ihn jedoch vergessen zu können. In «Überredung» gestaltet Jane Austen das Motiv eines frühen Verzichts und später Erfüllung, wobei einmal mehr ihre hohe Romankunst triumphiert, die die Autorin selbst mit der Elfenbeinmalerei verglich: «ein winziges Stück – zwei Zoll – Elfenbein, auf dem ich mit so feinem Pinsel male, dass nach zäher Arbeit ein wenig Wirkung sichtbar wird.»
Tatsächlich reichte Jane Austen ein Weltausschnitt von «drei, vier Familien auf dem Lande», um ein Werk von miniaturhafter Feinheit zu schaffen, dessen «wenig Wirkung» nun allerdings schon über zwei Jahrhunderte nachhallt. Die Austen-Kennerin Barbara Vinken zeigt im Nachwort die Ambivalenzen dieses einzigartigen Werks auf: «Austen verklärt nicht etwa, good humoured, die nur scheinbar heile Welt der englischen landed gentry. Ihre Waffe ist ihre Sprache, in der sie, frei, indirekt, die Gesellschaft zu lesen gibt.»
Jane Austen
ÜBERREDUNG
Roman
Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Ott
Nachwort von Barbara Vinken
MANESSE VERLAG
Kapitel 1
Sir Walter Elliot von Kellynch Hall in Somersetshire war ein Mann, der zu seiner Erbauung niemals ein anderes Buch in die Hand nahm als den Adelskalender; darin fand er Beschäftigung für Mußestunden und Trost in Bedrängnis; dort erwachten seine Geistesgaben, und er erging sich in Bewunderung und Hochachtung, wenn er die spärlichen Fragmente der ältesten Urkunden betrachtete; dort verwandelten sich unangenehme Gefühle, die aus häuslichen Angelegenheiten erwuchsen, wie von selbst in Mitleid und Verachtung, wenn er die zahllosen Ernennungen1 des letzten Jahrhunderts durchblätterte, und halfen alle anderen Seiten nichts, so konnte er dort mit nie erlahmendem Interesse seine eigene Geschichte lesen. Es war die Seite, auf der sich sein Lieblingsband immer von selbst öffnete:
ELLIOT VON KELLYNCH HALL
«Walter Elliot, geboren am 1. März1760,heiratete am 15. Juli 1784 Elizabeth, die Tochter von James Stevenson, Esq. von South Park in der Grafschaft Gloucester, welchselbige Dame (verstorben 1801) ihm folgende Nachkommen schenkte: Elizabeth, geboren am 1. Juni 1785; Anne, geboren am 9. August1787, ein Sohn, totgeboren am 5. November1789, sowie Mary, geboren am 20. November 1791.»
Genau so hatte der Absatz aus der Hand des Druckers ursprünglich gelautet, doch um sich und seine Familie auf den neuesten Stand zu bringen, hatte Sir Walter ihn verbessert, indem er nach Marys Geburtsdatum folgende Worte hinzufügte: «… heiratete am 16. Dezember 1810 Charles, Sohn und Erbe von Charles Musgrove, Esq. von Uppercross in der Grafschaft Somerset», und gewissenhaft Tag und Monat ergänzte, an dem er seine Frau verloren hatte.
Dann folgten mit den üblichen Worten die Geschichte und der Aufstieg der altehrwürdigen Familie; wie sie sich in Cheshire niedergelassen hatte, dann im «Dugdale»2 erwähnt wurde, das Amt eines High Sheriffs bekleidet und dreimal hintereinander eine Stadt im Parlament vertreten hatte, das Bemühen um Loyalität, dann die Ernennung zum Baronet im ersten Regierungsjahr von Charles II.3, mitsamt all den Marys und Elizabeths, die sie geheiratet hatten. Dies alles füllte insgesamt zwei hübsche Duodezseiten und schloss mit Wappen und Wahlspruch, «Familiensitz Kellynch Hall in der Grafschaft Somerset», und als Finale erneut in Sir Walters Handschrift: «Mutmaßlicher Erbe: William Walter Elliot, Esq., Urenkel des zweiten Sir Walter.»
Eitelkeit war das A und O von Sir Walter Elliots Charakter, Eitelkeit hinsichtlich seines Äußeren und seines Standes. In jungen Jahren hatte er bemerkenswert gut ausgesehen und war mit vierundfünfzig noch immer ein sehr schöner Mann. Wohl kaum eine Frau dachte hingebungsvoller über ihr Erscheinungsbild nach als er, und kein Kammerdiener eines frisch geadelten Lords hätte sich mehr über seine Stellung in der Gesellschaft ergötzen können. In seinen Augen wurde das Gnadengeschenk der Schönheit nur noch von dem des Baronettitels übertroffen, und der Sir Walter Elliot, der beide Gaben in sich vereinte, war fortwährendes Ziel seiner innigsten Verehrung und Hingabe.
Sein gutes Aussehen und sein gesellschaftlicher Rang hatten in einem Punkt tatsächlich ein Recht auf seine Selbstliebe, denn gewiss hatte er ihnen seine Frau zu verdanken, die ihm charakterlich weit überlegen war, weit mehr, als er es verdiente. Lady Elliot war eine vortreffliche, vernünftige und liebenswürdige Frau gewesen, und wenn man einmal von der Verliebtheit in ihrer Jugend absieht, infolge derer sie zur Lady Elliot wurde, hatten ihr Urteilsvermögen und Betragen später nie Anlass zur Nachsicht gegeben. Siebzehn Jahre lang hatte sie seine Fehler mit Geduld ertragen, abgemildert oder vertuscht und seine echte Ehrbarkeit gefördert; und obwohl sie selbst nicht das glücklichste Wesen auf Erden war, hatten ihre Pflichten, ihre Freunde und die Kinder ihr doch so viel bedeutet, dass sie am Leben hing, und es war ihr nicht gleichgültig, als sie abberufen wurde. Drei Mädchen, die beiden älteren sechzehn und vierzehn Jahre alt, waren ein schweres Vermächtnis für eine Mutter oder besser gesagt, eine schwere Verantwortung, die sie der Autorität und Führung eines dünkelhaften, dummen Vaters übertragen musste. Doch hatte sie eine enge Freundin, eine vernünftige, verdienstvolle Frau, die ihr sehr zugetan war und sich deshalb in der Nähe, im Dorf Kellynch, niedergelassen hatte. Hauptsächlich auf deren Güte und Rat vertraute Lady Elliot, auf ihre Hilfe, wenn es galt, an den edlen Grundsätzen und Lehren festzuhalten, die sie ihren Töchtern hatte vermitteln wollen.
Diese Freundin und Sir Walter heirateten aber nicht, was auch immer ihr Bekanntenkreis diesbezüglich erwartet haben mochte. Dreizehn Jahre waren seit Lady Elliots Tod vergangen, und noch immer waren sie ausschließlich nahe Nachbarn und gute Freunde, und der eine blieb Witwer und die andere Witwe.
Dass Lady Russell, von gesetztem Alter und Wesen und zudem außerordentlich gut versorgt, keinerlei Gedanken an eine zweite Heirat hegte, bedarf keiner Erklärung, da die Öffentlichkeit ohnehin zu unmäßiger Missbilligung neigt, wenn eine Frau sich abermals verheiratet, mehr, als wenn sie es unterlässt; dass jedoch Sir Walter allein blieb, bedarf einer Erläuterung. So sei denn kundgetan, dass sich Sir Walter (nach ein oder zwei heimlichen Enttäuschungen bei sehr unvernünftigen Anträgen) brüstete, als guter Vater wolle er um seiner lieben Töchter willen nicht noch einmal heiraten. Für eine Tochter, seine älteste, hätte er tatsächlich auf allerlei verzichtet, wozu er sonst nicht neigte. Elizabeth hatte mit sechzehn, soweit möglich, Befugnisse und Ansehen ihrer Mutter übernommen, und da sie äußerst hübsch und ihm sehr ähnlich war, hatte sie immer großen Einfluss auf ihn gehabt, und sie waren bestens miteinander ausgekommen. Die anderen beiden Kinder bedeuteten ihm viel weniger. Mary hatte sich ein wenig Bedeutung erzwungen, indem sie Mrs. Charles Musgrove wurde, aber Anne, deren vornehmen Geist und liebenswürdiges Wesen jeder wahrhaft verständige Mensch hochgeachtet hätte, war in den Augen von Vater und Schwester ein Niemand. Ihr Wort hatte kein Gewicht, ihre Bedürfnisse mussten immer hintanstehen – sie war nur Anne.
Für Lady Russell jedoch war sie eine innig geliebte und hochgeschätzte Patentochter und Lieblingsfreundin. Lady Russell hatte sie alle gern, aber nur in Anne meinte sie die Mutter aufleben zu sehen.
Noch vor einigen Jahren war Anne Elliot ein sehr hübsches Mädchen gewesen, aber ihre Jugendfrische war früh verwelkt, und selbst als sie noch in voller Blüte stand, hatte ihr Vater wenig Bewundernswertes an ihr gefunden (ihre zarten Gesichtszüge und sanften dunklen Augen waren so ganz anders als die seinen!), sodass es jetzt, wo sie blass und dünn geworden war, nichts gab, was ihm Wertschätzung abnötigte. Er hatte noch nie große Hoffnungen gehegt und hegte jetzt gar keine mehr, ihren Namen jemals auf einer weiteren Seite seines Lieblingsbuches zu lesen. Eine ebenbürtige Verheiratung hing also einzig von Elizabeth ab, denn Mary hatte sich lediglich mit einer alten, achtbaren, sehr vermögenden Gutsbesitzerfamilie verbunden, die Ehre war also ganz aufseiten der anderen, nicht auf ihrer. Elizabeth würde eines Tages standesgemäß heiraten.
Manchmal ist eine Frau mit neunundzwanzig schöner als zehn Jahre zuvor, und wenn sie nicht krank ist und keine Sorgen hat, ist dies im Allgemeinen ein Alter, in dem noch kaum ein Reiz verloren gegangen ist. So auch bei Elizabeth, die noch dieselbe hübsche Miss Elliot war, zu der sie sich vor dreizehn Jahren entwickelt hatte, und man mag es Sir Walter nachsehen, wenn er ihr Alter vergaß, oder ihn zumindest nur bedingt für einen Narren halten, wenn er sich und Elizabeth angesichts des äußeren Verfalls aller anderen für so jugendfrisch erachtete wie eh und je, denn er sah deutlich, wie seine Familie und sein Bekanntenkreis alterten: Anne hager, Mary plump und alle Gesichter ringsum immer ärger. Und die rasche Vermehrung der Krähenfüße an Lady Russells Schläfen bereiteten ihm seit geraumer Zeit Sorgen.
Elizabeths Selbstzufriedenheit reichte nicht an die ihres Vaters heran. Seit dreizehn Jahren war sie die Herrin auf Kellynch Hall und beaufsichtigte und leitete den Haushalt mit einer unerschütterlichen Ruhe und Entschiedenheit, die niemanden auf den Gedanken gebracht hätte, sie könnte jünger sein, als sie tatsächlich war. Seit dreizehn Jahren fungierte sie als Gastgeberin, legte die Haushaltsregeln fest, stieg als Erste in die vierspännige Kutsche und verließ unmittelbar hinter Lady Russell alle Salons und Speisezimmer in der Gegend. Dreizehn Winter mit ihren wiederkehrenden Frösten hatten gesehen, wie sie jeden maßgeblichen Ball eröffnete, den die dünngesäte Nachbarschaft zustande brachte, und dreizehn Frühjahre hatten ihre Blüten gezeigt, während sie alljährlich für ein paar Wochen Vergnügung in der großen Welt mit ihrem Vater nach London fuhr. An all dies erinnerte sie sich, sie war sich bewusst, dass sie neunundzwanzig war, und das bereitete ihr Kummer und Sorge. Sie war sehr wohl zufrieden damit, dass sie so hübsch war wie eh und je, aber sie spürte die gefährlichen Jahre nahen und hätte gern verlässlich gewusst, dass in den nächsten ein, zwei Jahren ein blaublütiger Herr um sie werben würde, wie es sich gehörte. Dann würde sie das Buch aller Bücher wieder so freudig in die Hand nehmen wie in ihrer frühen Jugend; jetzt mochte sie es nicht. Immer mit dem Datum ihrer Geburt konfrontiert zu sein, ohne dass eine andere Heirat folgte als die der jüngsten Schwester, verleidete ihr das Buch, und manchmal, wenn ihr Vater es aufgeschlagen neben ihr auf einem Tisch hatte liegen lassen, klappte sie es mit abgewandtem Blick zu und schob es beiseite.
Zudem hatte sie eine Enttäuschung erlebt, die ihr dieses Buch und insbesondere die Geschichte ihrer Familie unweigerlich in Erinnerung rief. Die Enttäuschung hatte ihr der mutmaßliche Erbe zugefügt, ebenjener William Walter Elliot, Esq., für dessen Rechte ihr Vater so großzügig eingetreten war.
Kaum hatte sie als blutjunges Mädchen erfahren, dass er der künftige Baronet sein würde, da sie selbst keinen Bruder hatte, beschloss sie, ihn zu heiraten; auch ihr Vater hatte dies immer gewollt. Als Jungen hatten sie ihn nicht gekannt, doch bald nach Lady Elliots Tod hatte Sir Walter die Bekanntschaft gesucht, und obwohl seine Annäherungsversuche auf wenig Begeisterung stießen, versuchte er es beharrlich weiter, voller Nachsicht für die sittsame Zurückhaltung der Jugend, und bei einem ihrer Frühlingsausflüge nach London, Elizabeth war gerade voll erblüht, hatte man Mr. Elliot die gegenseitige Vorstellung aufgezwungen.
Er war damals ein sehr junger Mann, der gerade mit seinem Jurastudium beschäftigt war; Elizabeth fand ihn außerordentlich angenehm, und die Pläne zu seinen Gunsten festigten sich. Er wurde nach Kellynch Hall eingeladen, das gesamte restliche Jahr war von ihm die Rede, und man erwartete ihn, doch er kam nicht. Im darauffolgenden Frühjahr wurde er wieder in London besucht, für unverändert angenehm befunden, wieder ermutigt, eingeladen und erwartet, und wieder kam er nicht; und als Nächstes hörte man, er habe geheiratet. Anstatt sein Glück dort zu suchen, wo es dem Erben des Hauses Elliot bestimmt war, hatte er sich Unabhängigkeit erkauft, indem er eine reiche Frau von niederer Herkunft ehelichte.
Das zog Sir Walters Missbilligung nach sich. Er fand, als Oberhaupt der Familie hätte er um Rat gefragt werden sollen, insbesondere, nachdem er bereit gewesen war, den jungen Mann so öffentlich unter seine Fittiche zu nehmen. «Man muss sie ja zusammen gesehen haben», sagte er, «einmal bei Tattersall und zweimal in der Lobby des Unterhauses.» Er verlieh seiner Empörung Ausdruck, doch fand dies augenscheinlich wenig Beachtung. Mr. Elliot hatte nicht versucht, sich zu entschuldigen, und so wenig es ihn bekümmerte, dass er von der Familie nicht mehr beachtet wurde, so wenig befand ihn Sir Walter einer Beachtung für würdig. Jeder Verkehr zwischen ihnen erstarb.
Diese höchst peinliche Geschichte mit Mr. Elliot machte Elizabeth auch nach mehreren Jahren noch wütend; sie hatte den Mann um seiner selbst willen gemocht und mehr noch, weil er der Erbe ihres Vaters war, und ihr ausgeprägter Familienstolz konnte nur in ihm einen angemessenen Ehemann für die älteste Tochter von Sir Walter Elliot sehen. Von A bis Z gab es keinen Baronet, den ihre Gefühle so bereitwillig als ebenbürtig anerkannt hätten. Doch er hatte sich so miserabel benommen, dass sie auch jetzt, im Sommer1814, ihren Gedanken nicht erlaubte, sich noch einmal mit ihm zu befassen, obwohl sie wegen seiner verstorbenen Frau Trauerflor trug. Über die Schande seiner ersten Ehe hätte man vielleicht hinwegkommen können, da es nun keinen Grund mehr gab, eine Fortführung durch irgendwelche Nachkommenschaft zu befürchten – aber er hatte noch Schlimmeres begangen. Sie hatten (wie üblich durch die Vermittlung lieber Freunde) erfahren, dass er sich höchst respektlos über sie alle geäußert hatte, höchst abschätzig und verächtlich von dem edlen Geblüt gesprochen hatte, dem er angehörte, und dem Titel, den er später einmal tragen würde. Dies war unverzeihlich.
Solcherart waren Elizabeth Elliots Gemütsbewegungen und Empfindungen, solcherart die Sorgen und Aufregungen, die die Eintönigkeit und Vornehmheit, den Wohlstand und die Leere ihres Alltags durchzogen und für Abwechslung sorgen mussten; dies waren die Gefühle, die einem langen, ereignislosen Dasein in immer demselben ländlichen Kreis Würze verliehen und die Mußestunden füllen mussten, in denen es weder außer Haus Nützliches zu tun gab noch daheim Talente oder Fertigkeiten, mit denen man sich befassen konnte.
Doch nun gesellte sich hierzu eine weitere sorgenvolle Beschäftigung. Ihr Vater war in Geldnöten. Sie wusste, wenn er nun den Adelskalender in die Hand nahm, so tat er dies, um sich von den hohen Rechnungen der Kaufleute und den unliebsamen Andeutungen seines Anwalts Mr. Shepherd abzulenken. Die Ländereien von Kellynch waren einträglich, entsprachen allerdings nicht Sir Walters Vorstellungen von dem, was ihr Besitzer brauchte. Zu Lady Elliots Lebzeiten hatten Methode, Mäßigung und Wirtschaftlichkeit geherrscht, was ihn gerade noch im Rahmen seiner Einkünfte hielt, aber mit ihr war auch all solche Redlichkeit gestorben, und von da an hatte er diesen Rahmen fortdauernd überschritten. Es war ihm nicht möglich gewesen, weniger auszugeben; er hatte nur getan, was ein Sir Walter Elliot unbedingt tun musste. Aber auch wenn er sich nichts vorzuwerfen hatte, so war er doch schrecklich in Schulden geraten und bekam dies obendrein so oft zu hören, dass der Versuch, es noch länger vor seiner Tochter zu verheimlichen, wenigstens teilweise misslingen musste. Im letzten Frühjahr hatte er in London ein paar Andeutungen gemacht; er war sogar so weit gegangen, zu sagen: «Können wir uns einschränken? Hast du eine Idee, ob es irgendeine Sache gibt, bei der wir uns einschränken könnten?», und zugegeben, Elizabeth hatte im ersten Aufruhr weiblichen Schreckens ernsthaft darüber nachgedacht, was man tun könnte, und schließlich zwei Bereiche genannt, in denen sich sparen ließe: Sie schlug vor, ein paar überflüssige Almosen zu streichen und von der Neueinrichtung des Salons abzusehen. Zu diesen Notlösungen kam noch der glückliche Einfall hinzu, Anne kein Geschenk mitzubringen, wie es sonst jedes Jahr üblich gewesen war. Doch so gut jede dieser Maßnahmen für sich auch war, sie reichten nicht für das wahre Ausmaß des Elends, das Sir Walter ihr bald darauf in seiner ganzen Größe gestehen musste. Elizabeth wusste nichts durchgreifend Wirksames vorzuschlagen. Sie fühlte sich schlecht behandelt und war unglücklich, genauso wie ihr Vater, und beide waren außerstande, irgendwelche Mittel zu ersinnen, die ihre Ausgaben verringern konnten, ohne die eigene Würde einzubüßen oder in unerträglichem Maß auf ihre Annehmlichkeiten zu verzichten.
Sir Walter konnte nur über einen kleinen Teil seiner Ländereien frei verfügen, aber selbst wenn jeder Quadratzoll verkäuflich gewesen wäre, hätte das die Sache nicht geändert. Er hatte sich dazu herabgelassen, seinen Besitz mit Hypotheken zu belasten, soweit dies in seiner Macht stand, aber er würde sich niemals dazu herablassen, etwas zu verkaufen. Nein, niemals würde er seinem Namen solch eine Schande machen. Der Besitz Kellynch sollte in Gänze und ungeteilt übergeben werden, so wie er ihn erhalten hatte.
Mr. Shepherd, der in der nahen Marktstadt wohnte, und Lady Russell, beides vertraute Freunde, wurden herbeigebeten, um gute Ratschläge zu erteilen, und Vater und Tochter schienen zu hoffen, dass der eine oder die andere etwas ersinnen würde, was sie aus ihrer Geldverlegenheit brächte und ihre Ausgaben verringerte, ohne dass ihr Stolz oder ihre verwöhnten Vorlieben beeinträchtigt würden.
Kapitel 2
Wie auch immer Mr. Shepherds Einfluss oder Blick auf Sir Walter beschaffen sein mochte – er war ein höflicher, vorsichtiger Anwalt und zog es vor, dass Unangenehmes von anderen vorgebracht wurde. So lehnte er es ab, auch nur den kleinsten Hinweis zu geben, und bat einzig um die Erlaubnis, eine bedingungslose Empfehlung für das hervorragende Urteilsvermögen von Lady Russell auszusprechen, von deren allseits bekanntem gesunden Menschenverstand er sich Vorschläge zu genau den resoluten Maßnahmen versprach, die er am Ende ergriffen sehen wollte.
Lady Russell beschäftigte sich voller Sorge und Eifer mit diesem Thema und dachte viel und ernsthaft darüber nach. Sie war eine Frau von eher solidem als raschem Verstand und hatte große Schwierigkeiten, in diesem Fall zu einer Entscheidung zu kommen, da sich hier zwei Grundsätze ins Gehege kamen. Sie selbst war eine streng rechtschaffene Person mit einem feinen Ehrbegriff, aber ihr lag auch daran, Sir Walters Gefühle zu schonen; sie sorgte sich um den guten Ruf der Familie und hatte aristokratische Vorstellungen davon, was ihnen zustand, jedenfalls soweit ein vernünftiger, pflichtgetreuer Mensch solche Vorstellungen hegen kann. Sie war eine wohlwollende, nachsichtige, tugendhafte Frau, zu inniger Liebe fähig, tadellos in ihrem Benehmen, hatte klare Ansichten von dem, was sich schickte, und Manieren, die als Richtschnur für gute Erziehung galten. Sie war kultiviert und im Allgemeinen vernünftig und unbeirrbar – nur beim Thema Abstammung hatte sie Vorurteile. Sie hatte eine Vorliebe für Adelstitel und gesellschaftliche Bedeutung, und das machte sie ein wenig blind für die Fehler derer, die derlei besaßen. Da sie selbst nur die Witwe eines Knights war, maß sie der Baronetswürde großen Wert bei,4 und ihrer Meinung nach hatte Sir Walter, unabhängig von seinen Rechten als alter Bekannter, aufmerksamer Nachbar, konzilianter Grundbesitzer, Ehemann ihrer teuren Freundin und Vater von Anne und ihren Schwestern, eben weil er Sir Walter war, angesichts seiner derzeitigen Schwierigkeiten ein Anrecht auf sehr viel Mitgefühl und Rücksichtnahme.
Sie mussten sich einschränken, darüber herrschte kein Zweifel. Aber ihr lag sehr daran, dies so schmerzlos wie möglich für ihn und Elizabeth durchzusetzen. Sie verfasste Wirtschaftspläne, stellte genaue Berechnungen an und tat etwas, worauf sonst niemand verfallen war: Sie beriet sich mit Anne, die sich nach Ansicht der anderen in keiner Weise für das Problem interessierte. Sie fragte sie und folgte bis zu einem gewissen Grad ihrem Rat, als sie den Sparplan entwarf, der schließlich Sir Walter vorgelegt wurde. Bei Annes Verbesserungsvorschlägen ging es stets mehr um Ehrbarkeit als um gesellschaftliches Ansehen. Sie strebte drastischere Maßnahmen an, eine umfassendere Änderung der Lebensführung, eine raschere Befreiung von der Schuldenlast und weit größere Gelassenheit in allen Belangen, solange es nicht Recht und Gerechtigkeit betraf.
«Wenn es uns gelingt, deinen Vater zu alledem zu überreden», sagte Lady Russell mit Blick auf ihr Papier, «kann viel erreicht werden. Wenn er diese Vorschriften akzeptiert, ist er binnen sieben Jahren schuldenfrei, und ich hoffe, wir können ihn und Elizabeth überzeugen, dass Kellynch Halls hohes Ansehen von diesen Kürzungen nicht berührt wird; und dass Sir Walter Elliots wahre Würde in den Augen vernünftiger Menschen alles andere als verloren geht, wenn er wie ein Mann mit Grundsätzen handelt. Was tut er denn anderes als das, was so viele unserer bedeutendsten Familien getan haben oder tun sollten? Er ist kein Einzelfall, und es ist ja oft das Schwerste am Leiden, dabei allein dazustehen, genauso wie im Handeln. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns durchsetzen. Wir müssen ernst und entschieden auftreten; schließlich muss der Mensch, der die Schulden zu verantworten hat, sie auch zahlen. Und wenn die Verschuldung vielfach auf das Empfinden eines Gentlemans und Familienoberhaupts zurückzuführen ist wie bei deinem Vater, ist ein Mann in noch größerem Maße seinem ehrlichen Ruf verpflichtet.»
Nach diesem Grundsatz, so wünschte sich Anne, sollte ihr Vater handeln, sollten seine Freunde ihm gut zureden. Sie hielt es für unerlässlich, die Ansprüche der Gläubiger so schnell zu befriedigen, wie dies bei einer weitgehenden Einschränkung zu erreichen war, und sah in allem, was sich mit weniger zufriedengab, nichts Würdevolles. Sie wollte, dass es ihm verordnet wurde und er es als Pflicht empfand. Sie hielt Lady Russell für sehr einflussreich, und entsprechend der strengen Selbstverleugnung, zu der sie sich von ihrem eigenen Gewissen aufgefordert fühlte, glaubte sie, es könne doch nicht viel schwerer sein, die anderen zu einer vollständigen Umkehr zu bewegen als zu einer halbherzigen. Wie sie ihren Vater und Elizabeth kannte, würde es sie kaum weniger schmerzen, sich von einemPaar Pferde zu trennen, als auf beide Gespanne zu verzichten – und so weiter, die ganze Liste von Lady Russells allzu gemäßigten Einschränkungen hindurch.
Wie Annes strengere Forderungen aufgenommen worden wären, braucht uns nicht zu kümmern. Schon die von Lady Russell hatten keinerlei Erfolg: Nicht auszuhalten, untragbar. «Wie?! Jeder Bequemlichkeit im Leben beraubt? Reisen, London, Dienstboten, Pferde, Essen – Einschränkungen und Sparmaßnahmen überall! Leben ohne die Annehmlichkeiten auch nur eines Privatiers!» Nein, lieber wolle er sofort aus Kellynch Hall ausziehen, als unter solch schandbaren Bedingungen dortzubleiben.
«Aus Kellynch Hall ausziehen.» Dieser Gedanke wurde sofort von Mr. Shepherd aufgegriffen, der außerordentlich interessiert daran war, dass Sir Walters Einschränkungen tatsächlich verwirklicht wurden, und der fest glaubte, ohne einen Ortswechsel würde man nichts erreichen. Da der Einfall von ebenjener Seite gekommen sei, die hier das Sagen habe, gestehe er ohne alle Bedenken, dass er der nämlichen Meinung sei. Auch ihm komme es so vor, als könne Sir Walter seinen Lebensstil in einem Haus, das einen so gastfreundlichen und altehrwürdigen Ruf zu verteidigen habe, nicht wesentlich ändern. An jedem anderen Ort könne Sir Walter nach Gutdünken entscheiden, und man werde seine Lebensweise als vorbildlich betrachten, gleichgültig, wie er sein häusliches Umfeld gestalte.
Sir Walter würde also Kellynch Hall verlassen, und nach wenigen von Zweifeln und Unschlüssigkeit geprägten Tagen war die große Frage, wohin er ziehen sollte, beantwortet, und es wurden erste Pläne für diese wichtige Veränderung geschmiedet.
Es hatte drei Alternativen gegeben: London, Bath oder ein anderes Haus auf dem Lande. Anne hatte sich Letzteres gewünscht. Ein kleines Haus in der näheren Umgebung, wo sie weiterhin mit Lady Russell verkehren könnten, in Marys Nähe wären und das Vergnügen hätten, manchmal einen Blick auf den Rasen und die Bäume von Kellynch zu werfen, dieserart waren ihre Wünsche. Aber wie immer wollte es Annes Schicksal, dass etwas beschlossen wurde, was ihrer Neigung gänzlich zuwiderlief. Sie verabscheute Bath und konnte sich nicht vorstellen, dass es ihr zuträglich war, und nun sollte Bath ihr Zuhause werden.
Sir Walter hatte London anfangs für besser erachtet, doch Mr. Shepherd, der ihm London nicht zutraute, hatte es ihm ziemlich geschickt ausgeredet und ihm Bath schmackhaft gemacht. Diese Stadt war für einen Gentleman in seiner misslichen Lage wesentlich ungefährlicher, dort genoss er auch bei vergleichsweise geringen Kosten hohes Ansehen. Zwei wesentliche Vorteile bot Bath gegenüber London, und die hatten natürlich den Ausschlag gegeben: Es lag näher an Kellynch, nur fünfzig Meilen entfernt, und dort pflegte auch Lady Russell einen Teil des Winters zu verbringen. Diese war bei der Planung des Umzugs von Anfang an für Bath gewesen, und zu ihrer großen Zufriedenheit ließen sich Sir Walter und Elizabeth davon überzeugen, dass es ihnen weder an Bedeutung noch an Vergnügungen fehlen würde, wenn sie sich dort niederließen.
Lady Russell wusste von den Wünschen ihrer lieben Anne, konnte aber nicht darauf eingehen. Es wäre von Sir Walter zu viel verlangt gewesen, sich in der eigenen Nachbarschaft zu verkleinern. Auch Anne hätte die Demütigung deutlicher gespürt, als sie jetzt ahnte, und für Sir Walter wäre sie entsetzlich gewesen. Und was Annes Abneigung gegen Bath betraf, so hielt sie diese für ein Vorurteil und Missverständnis, das erstens von dem Umstand herrührte, dass Anne nach dem Tod ihrer Mutter dort drei Jahre zur Schule gegangen war, und zweitens davon, dass sie in dem einzigen Winter, den sie später mit ihr, Lady Russell, dort verbracht hatte, zufällig nicht besonders guter Laune war.
Kurzum, Lady Russell mochte Bath und neigte zu der Annahme, dass es ihnen allen gefallen würde, und was die Gesundheit ihrer jungen Freundin betraf, so wäre jede Gefahr gebannt, wenn sie die warmen Monate bei ihr in Kellynch Lodge verbrachte; es war also eine Ortsveränderung, die Körper und Geist guttun würde. Anne war zu selten von zu Hause fort gewesen, hatte zu wenig gesehen. Ihre Gemütsverfassung war nicht die beste. Dies würde ein größerer Bekanntenkreis ändern. Lady Russell wollte, dass mehr Menschen Anne kennenlernten.
Dass ein anderes Haus in dieser Gegend für Sir Walter nicht erstrebenswert war, wurde von einem wesentlichen Teil des Plans bekräftigt, der zum Glück gleich zu Anfang festgeschrieben wurde. Er musste sein Haus nicht nur verlassen, sondern es auch in andere Hände geben, eine Tapferkeitsprüfung, die selbst stärkeren Naturen als Sir Walter zu viel abverlangt hätte. Kellynch Hall musste vermietet werden. Dies war jedoch ein strenggehütetes Geheimnis, über das kein Sterbenswörtchen aus dem Familienkreis nach außen dringen durfte.
Sir Walter hätte die Demütigung nicht ertragen, wenn sein Vorhaben, das Haus zu vermieten, bekannt geworden wäre. Mr. Shepherd hatte einmal das Wort «Inserat» fallen lassen, wagte dies aber kein zweites Mal anzusprechen. Sir Walter wies den Gedanken, es auf irgendeine Weise anzubieten, verächtlich zurück. Er verbat sich die winzigste Andeutung, dass er dergleichen vorhabe, und wollte es allein unter der Voraussetzung vermieten, dass ihn ein ganz und gar untadeliger Interessent von selbst darum bat, zu Sir Walters eigenen Bedingungen und als große Gunst.
Wie schnell finden wir Gründe, etwas gutzuheißen, was uns zupasskommt! Noch aus einem zweiten guten Grund war Lady Russell außerordentlich froh, dass Sir Walter und seine Familie aus der Gegend fortzogen. Elizabeth hatte sich in letzter Zeit mit einer Frau angefreundet, von der sie sie lieber getrennt sah. Es handelte sich um eine von Mr. Shepherds Töchtern, die nach einer unglücklichen Ehe, obendrein belastet mit zwei Kindern, ins Haus ihres Vaters zurückgekehrt war. Sie war eine raffinierte junge Frau, die die Kunst beherrschte, anderen zu gefallen – zumindest die Kunst, den Bewohnern von Kellynch Hall zu gefallen; sie war Miss Elliot jederzeit willkommen und schon mehr als einmal zu einem längeren Besuch eingeladen worden, obwohl Lady Russell, die diese Freundschaft für höchst unangebracht hielt, angedeutet hatte, sie möge vorsichtiger und zurückhaltender sein.
Lady Russell hatte wenig Einfluss auf Elizabeth und schien sie eher deshalb zu lieben, weil sie sie lieben wollte, nicht weil Elizabeth es verdiente. Sie hatte von ihr nie mehr als oberflächliche Aufmerksamkeit erfahren, nichts, was über Höflichkeit hinausging, hatte nie Erfolg gehabt, wenn sie ihre Ansicht gegen eine vorgefasste Neigung durchsetzen wollte. Wiederholt hatte sie angelegentlich versucht, Anne bei den Reisen nach London mitzuschicken, denn sie spürte überdeutlich, wie ungerecht und schändlich diese egoistischen Abmachungen waren, die Anne ausschlossen; und bei so manchem nichtigeren Anlass hatte sie sich bemüht, Elizabeth ihre verständigere Meinung und ihre Erfahrung zugutekommen zu lassen, doch immer vergebens. Elizabeth wollte ihren eigenen Weg gehen, und Lady Russell zum Trotz hatte sie ihn nie entschiedener verfolgt als bei der Wahl Mrs. Clays, als sie die Gesellschaft einer so liebenswürdigen Schwester verschmähte und ihre Zuneigung und ihr Vertrauen einer Frau schenkte, für die sie eigentlich nur distanzierte Höflichkeit hätte übrighaben dürfen.
In Lady Russells Augen war Mrs. Clay ihrer Lebenslage wegen eine wenig passende und angesichts ihres Charakters eine sehr gefährliche Freundin, und ein Umzug, bei dem Mrs. Clay zurückblieb und Miss Elliot in Reichweite vieler weit passenderer Gefährtinnen gelangte, war deshalb ein Vorhaben von allergrößter Wichtigkeit.
Kapitel 3
«Gestatten Sie mir die Bemerkung, Sir Walter», sagte Mr. Shepherd eines Morgens in Kellynch Hall, während er die Zeitung sinken ließ, «dass der gegenwärtige Zeitpunkt für uns sehr günstig ist. Dieser Frieden wird uns eine Reihe wohlhabender Marineoffiziere an Land spülen. Und sie alle brauchen ein Zuhause. Besser als jetzt könnte es gar nicht sein, man hat eine große Auswahl an Pächtern, sehr soliden Pächtern, Sir Walter. Im Krieg hat es so mancher zu einem stattlichen Vermögen gebracht. Wenn uns ein reicher Admiral über den Weg liefe, Sir Walter –«
«Dann könnte er von Glück reden, Shepherd», erwiderte Sir Walter, «mehr hab’ ich dazu nicht zu sagen. Für den wäre Kellynch Hall eine Prise, die allergrößte Prise, ganz gleich wie viele Schiffe er zuvor gekapert hätte, wie, Shepherd?»
Pflichtschuldigst lachte Mr. Shepherd über diesen Witz, dann fuhr er fort: «Ich wage zu behaupten, Sir Walter, dass mit den Herren von der Marine sehr gut zu verhandeln ist. Ich bin ein wenig vertraut mit ihren Methoden, Geschäfte abzuwickeln, und ich gestehe unumwunden, dass sie überaus großzügig denken und nicht weniger wünschenswerte Pächter darstellen als andere Personen, auf die man zufällig stößt. Deshalb, Sir Walter, erlaube ich mir folgenden Vorschlag: Falls infolge irgendwelcher Gerüchte Ihre Absichten nach außen gedrungen sind – was man für möglich erachten muss, denn wir wissen ja, wie schwierig es ist, Taten und Pläne des einen Teils der Welt vor der Entdeckung und Neugier des anderen Teils zu bewahren, Berühmtheit hat ihren Preis, ich, John Shepherd, könnte jede beliebige Familienangelegenheit geheim halten, denn niemand fände es der Mühe wert, mich zu beobachten, aber auf Sir Walter Elliot sind Blicke gerichtet, denen man nur allzu schwer entkommt –, ich wage also zu behaupten, dass es mich nicht sonderlich überraschen würde, wenn trotz all unserer Vorsicht Gerüchte über die Wahrheit nach außen gedrungen wären. Dies einmal angenommen, werden, wie ich gerade ausführen wollte, zweifellos Anfragen erfolgen, und ich denke, solche von unseren wohlhabenden Marinebefehlshabern wären es durchaus wert, dass man sich mit ihnen befasst. Und vielleicht darf ich noch hinzufügen: Ich kann jederzeit in zwei Stunden hier sein, um Ihnen die Mühe einer Antwort zu ersparen.»
Sir Walter nickte nur. Doch gleich darauf stand er auf, ging im Zimmer auf und ab und bemerkte spöttisch: «Unter den Herren der Marine gibt es wahrscheinlich nur wenige, die angesichts eines solchen Hauses nicht ins Staunen gerieten.»
«Zweifelsohne würden sie sich glücklich schätzen, wenn sie sich hier umsähen», sagte Mrs. Clay, denn Mrs. Clay war ebenfalls anwesend. Ihr Vater hatte sie mitgebracht, denn nichts war für Mrs. Clays Gesundheit so förderlich wie eine Kutschfahrt nach Kellynch. «Aber ich gebe meinem Vater recht, dass ein Seemann ein höchst wünschenswerter Pächter wäre. Ich habe viele Männer dieses Berufs kennengelernt, und sie sind nicht nur großzügig, sondern auch in jeder Hinsicht ordentlich und gewissenhaft. Wenn Sie gedenken, Ihre wertvollen Gemälde hierzulassen, Sir Walter, wären sie vollkommen sicher. Alles im Haus und seiner Umgebung würde pfleglichst behandelt. Beete und Heckengarten würden beinahe so vortrefflich gehalten wie jetzt. Sie brauchen nicht zu befürchten, Miss Eliot, dass Ihre schönen Blumen vernachlässigt würden.»
«Was all dies betrifft», erwiderte Sir Walter kühl, «angenommen, ich ließe mich dazu bewegen, mein Haus zu vermieten, so habe ich hinsichtlich der damit verbundenen Nutzungsrechte noch keinerlei Beschlüsse gefasst. Ich verspüre keine große Neigung, einem Pächter entgegenzukommen. Natürlich stünde ihm der Park offen, und die wenigsten Marineoffiziere oder auch alle anderen Männer dürften je eine solch beträchtliche Fläche zu ihrer Verfügung gehabt haben. Etwas anderes ist die Nutzungseinschränkung des Rasens, die ich vielleicht verfüge. Der Gedanke, dass mein Heckengarten jederzeit zugänglich ist, missfällt mir, und Miss Elliot würde ich raten, hinsichtlich ihrer Blumenbeete auf der Hut zu sein. Ich bin kaum gewillt, einem Pächter von Kellynch Hall sonderlich entgegenzukommen, das sage ich Ihnen, ob er nun Seemann ist oder Soldat.»
Nach einer kurzen Pause wagte Mr. Shepherd zu erwidern: «In all diesen Fällen gibt es übliche Gepflogenheiten, die das Prozedere zwischen Hauseigentümer und Pächter klar und einfach gestalten. Ihre Interessen, Sir Walter, sind in besten Händen. Verlassen Sie sich auf mich, ich sorge dafür, dass kein Pächter mehr als die ihm zustehenden Rechte erhält. Ich versteige mich zu der Behauptung, dass Sir Walter Elliot nicht halb so besorgt um sein Eigentum sein kann, wie es John Shepherd für ihn ist.»
Hier meldete sich Anne zu Wort.
«Ich finde, dass die Marine, die so viel für uns getan hat, mindestens in gleichem Maße Anspruch auf die Behaglichkeiten und Sonderrechte hat, die ein Zuhause bieten kann, wie andere Männer. Die Seeleute arbeiten überaus hart für ihr Wohlergehen, das müssen wir doch zugeben.»
«Sehr richtig, sehr richtig. Was Miss Anne sagt, ist sehr richtig», lautete Mr. Shepherds Antwort und «Oh, gewiss» die seiner Tochter.
Doch Sir Walter bemerkte nur: «Zweifellos ist dieser Beruf ein sehr nützlicher, allerdings sähe ich es nicht gern, wenn einer meiner Freunde ihm nachginge.»
«Ach!», kam die Antwort und mit ihr ein verwunderter Blick.
«Ja. Ich finde ihn in zweifacher Hinsicht anstößig. Ich habe zwei triftige Gründe, ihn abzulehnen. Erstens weil er Personen von zweifelhafter Geburt zu ungebührlichem Ansehen verhilft und Männer zu Titel und Ehren bringt, von denen ihre Väter und Großväter nicht zu träumen gewagt hätten; und zweitens weil es die kraftvolle Jugend eines Mannes aufs Ärgste verkürzt. Ein Seemann altert früher, das habe ich mein Leben lang beobachten können. Bei keinem Beruf läuft ein Mann so sehr Gefahr, durch den Aufstieg eines anderen beleidigt zu werden, mit dessen Vater zu sprechen sein eigener Vater für unter seiner Würde gehalten hätte, und er läuft Gefahr, vor der Zeit ein Gegenstand des Abscheus zu werden. Im letzten Frühling kam ich in London mit zwei Männern zusammen, treffenden Beispielen für das, wovon ich spreche: Lord St. Ives, dessen Vater, wie wir alle wissen, ein Landpfarrer war, der nichts zu beißen hatte – diesem Lord St. Ives musste ich Platz machen! Und ein gewisser Admiral Baldwin, die beklagenswerteste Gestalt, die man sich vorstellen kann. Das Gesicht mahagonifarben, rau und zerfurcht, nur Falten und Runzeln, auf jeder Seite neun graue Haare und auf dem Scheitel nur ein Stäubchen Puder. ‹Um Himmels willen, wer ist denn dieser alte Bursche?›, fragte ich einen Freund, der neben mir stand, Sir Basil Morley. ‹Alter Bursche?›, rief Sir Basil. ‹Das ist Admiral Baldwin. Was meinen Sie, wie alt er ist?› – ‹Sechzig›, sagte ich, ‹oder vielleicht zweiundsechzig.› – ‹Vierzig›, erwiderte Sir Basil, ‹vierzig, mehr nicht.› Stellen Sie sich meine Verblüffung vor; ich werde Admiral Baldwin nicht so bald vergessen. Noch nie habe ich ein so erbärmliches Beispiel dafür gesehen, was das Leben auf See anrichten kann, aber bis zu einem gewissen Grad ist es bei allen gleich: Sie sind sämtlich übel zugerichtet, allen möglichen Weltgegenden und jedem Wetter ausgesetzt, bis ihr Anblick eine Zumutung ist. Bedauerlich, dass man ihnen nicht den Garaus macht, bevor sie Admiral Baldwins Alter erreichen.»
«Aber, Sir Walter!», rief Mrs. Clay. «Das ist gar zu streng. So haben Sie doch ein wenig Mitleid mit den bedauernswerten Männern. Es ist uns nicht allen gegeben, gut auszusehen. Gewiss, das Meer macht einen Mann nicht schöner, Seeleute altern beizeiten, das habe ich bereits gemerkt, sie verlieren rasch ihr jugendliches Aussehen. Doch ist das nicht bei vielen Berufen der Fall, vielleicht bei den meisten? Soldaten im aktiven Dienst sind keineswegs besser dran; und selbst in den friedlicheren Berufen überlassen die Mühen und Plagen des Geistes (wenn auch nicht des Körpers) das Aussehen eines Mannes nicht allein dem natürlichen Wirken der Zeit. Der Anwalt trottet sorgenerfüllt dahin, der Arzt ist Tag und Nacht auf den Beinen und reist ungeachtet des Wetters umher, und selbst der Geistliche – » Hier hielt sie einen Augenblick inne, um nachzudenken, was auf den Geistlichen zutreffen könnte. «Und selbst der Geistliche muss sich in verpestete Zimmer begeben und seine Gesundheit sowie sein gutes Aussehen dem Ungemach einer giftigen Luft aussetzen. Ja, obgleich jeder Beruf vonnöten und auf seine Weise ehrbar ist, bin ich seit Langem davon überzeugt, dass es nur denen gegeben ist, die keinem Beruf nachgehen müssen, die ein regelmäßiges Leben auf dem Land führen, sich ihre Zeit selbst einteilen, den selbstgewählten Betätigungen nachgehen und auf dem eigenen Besitz leben können, ohne die Not, sich ständig um immer mehr zu bemühen – dass es also nur denen gegeben ist, meine ich, die Segnungen der Gesundheit und ihr gutes Aussehen bis zuletzt zu bewahren. Mir sind sonst keine Männer bekannt, die nicht etwas von ihrem angenehmen Äußeren einbüßen, sobald sie nicht mehr gänzlich jung sind.»
Mr. Shepherd hatte in seinem Bestreben, Sir Walters Wohlwollen gegenüber einem Marineoffizier als Pächter zu wecken, anscheinend einen sechsten Sinn gehabt, denn die allererste Bewerbung um das Haus kam von einem Admiral Croft, den er kurz darauf bei der vierteljährlichen Gerichtssitzung in Taunton kennenlernte; von einem Londoner Kollegen hatte er sogar schon einen Hinweis auf den Admiral erhalten. Laut dem Bericht, den er eilends in Kellynch erstattete, stammte Admiral Croft aus Somersetshire, hatte ein recht hübsches Vermögen erworben und wollte sich nun in seiner Heimat niederlassen. Nach Taunton war er gekommen, um einige inserierte Häuser in der Nähe zu besichtigen, doch hatte ihm keines gefallen. Zufällig hatte er gehört (genau wie er gesagt habe, bemerkte Mr. Shepherd, seien Sir Walters Angelegenheiten nicht unter Verschluss geblieben), zufällig also hatte er gehört, dass Kellynch Hall möglicherweise vermietet werde, und als er von seiner (Mr. Shepherds) Verbindung zu dem Besitzer erfuhr, machte er sich mit ihm bekannt, um nähere Erkundigungen einzuholen. Im Laufe eines ziemlich langen Gesprächs hatte er ein so starkes Interesse an dem Haus bekundet, wie dies nach einer bloßen Beschreibung überhaupt möglich war, und Mr. Shepherd mit einer eingehenden Schilderung seiner persönlichen Verhältnisse jeglichen Beweis dafür geliefert, dass er ein höchst zuverlässiger, wünschenswerter Pächter wäre.
«Und wer ist Admiral Croft?», lautete Sir Walters kühle, argwöhnische Frage.
Mr. Shepherd verbürgte sich dafür, dass er aus einer Familie von Gentlemen stammte, und nannte einen Wohnsitz, und Anne fügte nach einer kleinen Pause hinzu: «Er ist ein Konteradmiral der Weißen Flottille5. Er hat bei Trafalgar gekämpft6 und ging anschließend nach Ostindien; dort war er, glaube ich, mehrere Jahre stationiert.»
«Dann nehme ich als erwiesen an», bemerkte Sir Walter, «dass sein Gesicht so orange ist wie die Stulpen und Schulterkragen an der Livree meiner Dienstboten.»
Mr. Shepherd beeilte sich zu versichern, Admiral Croft sei gesund und munter, ein gutaussehender Mann, freilich ein wenig wettergegerbt, aber nicht schlimm, und in all seinen Anschauungen und Manieren ein echter Gentleman, höchst unwahrscheinlich, dass er bei den Vertragsbedingungen auch nur die geringsten Schwierigkeiten machen werde, er wolle nur ein behagliches Zuhause, in das er möglichst bald einziehen könne; er wisse, dass er für seine Bequemlichkeit zahlen müsse, wisse, welche Miete ein vollmöbliertes Haus dieses Ranges erzielen könne, hätte sich nicht gewundert, wenn Sir Walter mehr verlangt hätte, habe sich auch nach dem Landgut erkundigt, würde sich über das Jagdrecht freuen, bestehe aber nicht darauf, habe gesagt, er nehme schon mal ein Gewehr zur Hand, bringe aber niemanden um, ein echter Gentleman.
Wortgewandt wies Mr. Shepherd auch auf den Familienstand des Admirals hin, der ihn als Pächter besonders geeignet erscheinen ließ. Er sei verheiratet, habe aber keine Kinder, genau wie es wünschenswert sei. Nur eine Frau, meinte Mr. Shepherd, kümmere sich in dem erforderlichen Maße um ein Haus; er frage sich, ob die Möblierung ohne eine Hausherrin nicht noch gefährdeter wäre als mit vielen Kindern. Nichts auf Erden konserviere Möbel so gut wie eine Frau ohne Kinder. Er habe Mrs. Croft ebenfalls kennengelernt, sie habe den Admiral nach Taunton begleitet und sei beinahe während der gesamten Unterredung zugegen gewesen.
«Und sie schien mir eine sehr redegewandte, vornehme, kluge Frau zu sein», fuhr er fort, «sie stellte mehr Fragen nach dem Haus, den Vertragsbedingungen und der Miete als der Admiral selbst und wirkte geschäftlich versierter; außerdem, Sir Walter, habe ich erfahren, dass sie ebenso wie ihr Mann Verbindungen zu unserer Gegend hat, das heißt, sie ist die Schwester eines Herrn, der einmal in unserer Nähe gewohnt hat, das hat sie mir selbst erzählt. Sie ist die Schwester des Gentlemans, der vor einigen Jahren in Monkford gewohnt hat. Meine Güte, wie hieß er noch? Im Augenblick entsinne ich mich nicht seines Namens, obgleich ich ihn erst kürzlich gehört habe. Penelope, Liebes, kannst du mir helfen? Wie hieß der Herr, der in Monkford gewohnt hat, Mrs. Crofts Bruder?»
Doch Mrs. Clay unterhielt sich so angeregt mit Miss Elliot, dass sie die Frage nicht hörte.
«Ich weiß beileibe nicht, wen Sie meinen, Shepherd; ich kann mich an keinen Gentleman erinnern, der in Monkford gewohnt hat seit der Zeit des alten Gouverneurs Trent.»
«Meine Güte! Wie seltsam! Ich werde wohl bald meinen eigenen Namen vergessen. Ein Name, der mir so vertraut ist! Kannte den Herrn gut, habe ihn hundertmal gesehen. Einmal kam er, das weiß ich noch, und hat sich aufgrund des Übergriffs eines Nachbarn meinen Rat eingeholt. Der Knecht eines Bauern war in seinen Obstgarten eingebrochen – Mauer umgerissen, Äpfel gestohlen, auf frischer Tat ertappt – und kam später, entgegen meiner Beurteilung, mit einem gütlichen Vergleich davon. Sehr seltsam, wirklich!»
Einen Augenblick wartete sie ab, dann fragte Anne: «Sie meinen Mr. Wentworth?»
Mr. Shepherd war ihr zutiefst verbunden.
«Wentworth hieß er, genau! Das war Mr. Wentworth! Er war Vikar in Monkford, Sir Walter, vor einiger Zeit, vor zwei oder drei Jahren. Kam wahrscheinlich ungefähr im Jahre fünf hierher. Bestimmt erinnern Sie sich an ihn.»
«Wentworth? Ah ja – Mr. Wentworth, der Vikar von Monkford. Sie haben mich durch die Bezeichnung Gentleman irregeführt. Ich dachte, Sie sprächen von einem Gutsbesitzer. Mr. Wentworth war ein Niemand, ich erinnere mich. Ohne irgendwelche Verbindungen, hatte nichts zu tun mit der Familie Strafford. Man fragt sich, wie so viele unserer adligen Namen dermaßen alltäglich werden konnten.»
Da Mr. Shepherd merkte, dass diese Verbindung der Crofts ihm bei Sir Walter nichts nützte, erwähnte er sie nicht mehr, sondern kehrte voller Eifer zu den Umständen zurück, die unbestreitbarer zu ihren Gunsten sprachen: Ihr Alter, ihre Anzahl und ihr Vermögen, das erhabene Bild, das sie sich von Kellynch Hall gemacht hatten, und ihr angestrengtes Bemühen, sich dieses Mietangebot zu sichern. Er ließ es so aussehen, als reiche für sie nichts an das Glück heran, Pächter von Sir Walter Elliot zu sein – zweifellos ein ungewöhnlicher Glücksbegriff, hätte man annehmen können, sie seien in Sir Walters Meinung über die Ansprüche eines Pächters eingeweiht gewesen.
Doch das Ganze war von Erfolg gekrönt, und obwohl Sir Walter immer scheel auf jeden blicken würde, der im Sinn hatte, dieses Haus zu bewohnen, und fände, so jemand hätte es noch viel zu gut getroffen, wenn er es zu einem Höchstpreis mieten durfte, konnte Mr. Shepherd ihn zu der Erlaubnis überreden, die Sache weiterzuverfolgen, und erbat sich die Ermächtigung, Admiral Croft aufzusuchen, der noch immer in Taunton weilte, und einen Termin für die Hausbesichtigung zu vereinbaren.
Sir Walter war nicht besonders klug, aber doch welterfahren genug, um zu ahnen, dass ein Pächter, der in allen wesentlichen Punkten noch tadelloser wäre, als es Admiral Croft zu sein versprach, wohl kaum auftauchen würde. So viel sagte ihm sein Verstand, und seine Eitelkeit half zu seiner Beruhigung noch ein wenig nach, denn des Admirals gesellschaftliche Stellung war zwar ziemlich hoch, aber nicht zu hoch. «Ich habe mein Haus an Admiral Croft vermietet» klänge hervorragend, sehr viel besser als an einen bloßen Mr. Ein Mr. benötigte immer eine zusätzliche Erklärung (abgesehen vielleicht von einem halben Dutzend im ganzen Land). Ein Admiral spricht für sich, wird aber gleichzeitig einen Baronet nie in die zweite Reihe verweisen. Bei allen Verhandlungen und Gesprächen würde Sir Walter Elliot immer den Vorrang erhalten.
Ohne Rückfrage bei Elizabeth konnte nichts unternommen werden, doch diese wünschte sich allmählich so sehr einen Umzug, dass sie froh war, wenn er durch einen griffbereiten Pächter fest vereinbart und zügig durchgeführt wurde, und so kam von ihrer Seite kein Wort, das die Entscheidung hinausgezögert hätte.
Mr. Shepherd erhielt umfassende Handlungsvollmacht, und als es endlich vollbracht war, ging Anne, die alles aufmerksam mit angehört hatte, aus dem Zimmer, um an der frischen Luft ihre erhitzten Wangen zu kühlen. Und während sie durch ihr Lieblingswäldchen spazierte, sagte sie mit einem leisen Seufzer: «Noch ein paar Monate, dann wird vielleicht er hier entlanggehen.»
Kapitel 4
Er, das war nicht Mr. Wentworth, der ehemalige Vikar von Monkford, selbst wenn es verdächtig danach aussah, sondern ein Kapitän Frederick Wentworth, sein Bruder, der nach der Schlacht vor San Domingo7 zum Kommandanten befördert, aber nicht sofort in Dienst genommen worden war und deshalb im Sommer 1806 nach Somersetshire gekommen war. Da seine Eltern nicht mehr lebten, hatte er für ein halbes Jahr in Monkford ein Zuhause gefunden. Er war damals ein bemerkenswert schöner junger Mann, sehr klug, tatkräftig und scharfsinnig, und Anne ein ausnehmend hübsches Mädchen, freundlich, bescheiden, geschmackvoll und feinfühlig. Schon die Hälfte dieser Reize auf beiden Seiten hätte genügt, denn er hatte nichts zu tun, und sie hatte kaum jemanden, den sie lieben konnte, doch als solch üppige Vorzüge aufeinandertrafen, konnte der Erfolg nicht ausbleiben. Sie lernten sich kennen, und als sie sich kannten, verliebten sie sich rasch und heftig. Schwer zu sagen, wer von ihnen den anderen anbetungswürdiger fand oder wer glücklicher war: Sie, als sie seine Liebeserklärungen und Anträge erhielt, oder er, als er erhört wurde.
Es folgte eine kurze Zeit köstlichen Glücks – aber eben nur eine kurze. Bald tauchten Schwierigkeiten auf. Als sie sich an Sir Walter wandten, verweigerte dieser zwar nicht eindeutig seine Einwilligung, sagte auch nicht, dazu dürfe es niemals kommen, zeigte aber seine Ablehnung durch äußerstes Befremden, eisige Kühle, beharrliches Schweigen und die entschiedene Erklärung, er werde nichts für seine Tochter tun. Er hielt es für eine entwürdigende Verbindung, und auch Lady Russell empfand sie als höchst unselig, wenngleich ihr Stolz gemäßigter und verzeihlicher war.
Anne Elliot mit all ihren aus Herkunft, Schönheit und Verstand erwachsenden Rechten wollte sich mit neunzehn wegwerfen? Denn sich mit neunzehn in die Verlobung mit einem jungen Mann zu stürzen, der außer seiner eigenen Person nichts hatte, was ihn empfahl, der keinerlei Reichtum erwarten durfte, allenfalls Erfolg in einer höchst unsicheren Profession, keine Beziehungen, die seinen beruflichen Aufstieg wenigstens später garantierten, das hieße wirklich, sich wegzuwerfen, und das bekümmerte sie sehr. Anne Elliot, so jung, noch so wenigen bekannt, sollte von einem Fremden ohne Beziehungen oder Vermögen weggeschnappt, ja regelrecht hinabgezogen werden in eine zermürbende, sorgenvolle, die Jugend verkürzende Abhängigkeit? Dazu durfte es nicht kommen, wenn diplomatisches, freundschaftliches Eingreifen und die Vorhaltungen einer Frau, deren Liebe beinahe an die einer Mutter reichte und deren Rechte einer solchen glichen, es irgend verhindern konnten.
Kapitän Wentworth besaß kein Vermögen. Er hatte in seinem Beruf Glück gehabt, doch da er großzügig ausgab, was großzügig hereinkam, war kein Geld übriggeblieben. Er war indes zuversichtlich, dass er bald wohlhabend sein würde. Lebhaft und leidenschaftlich, wie er war, wusste er, dass ihm bald ein Schiff unterstellt und er in eine Position gelangen würde, die ihm alles einbrächte, was er brauchte. Er hatte stets Glück gehabt, und so würde es sicherlich auch bleiben. Solche Zuversicht, packend in ihrer Begeisterung und betörend in dem Esprit, durch den sie sich oft verriet, genügte für Anne, aber Lady Russell sah das mit anderen Augen. Sein sanguinisches Temperament und seine Sorglosigkeit wirkten auf sie gänzlich anders. Für sie verschlimmerten sie das Übel noch. Sie stellten ihm zusätzlich ein schlechtes Zeugnis aus. Er war brillant, er war eigenwillig. Lady Russell aber hatte für Esprit wenig übrig, und ihr graute vor allem, was an Leichtsinn grenzte. Sie missbilligte diese Verbindung in jedweder Hinsicht.
Gegen den Widerstand, den diese Gefühle heraufbeschworen, vermochte sich Anne nicht zu behaupten. Obwohl sie jung und sanftmütig war, hätte sie vielleicht der Feindseligkeit ihres Vaters entgegentreten können, auch wenn diese durch kein einziges liebes Wort, keinen freundlichen Blick ihrer Schwester gemildert wurde, doch die wiederholten Ratschläge der geliebten und vertrauten Lady Russell konnten, da sie so beharrlich und liebevoll vorgebracht wurden, nicht ungehört bleiben. Anne ließ sich einreden, dass die Verlobung ein Fehler gewesen sei: Unüberlegt, unpassend, wenig Erfolg versprechend und den Erfolg auch nicht verdienend. Doch sie löste die Verlobung nicht nur aus egoistischen Bedenken. Hätte sie nicht geglaubt, dass sie mehr aus Rücksicht auf sein Wohl als auf ihr eigenes handelte, hätte sie ihn wohl kaum aufgegeben. In ihrem Elend angesichts der Trennung, einer endgültigen Trennung, tröstete sie sich vor allem mit dem Gedanken, dass sie sich zu seinem Wohle klug und selbstlos verhielt, und Trost hatte sie wahrhaftig nötig, denn obendrein musste sie mit dem Schmerz darüber fertigwerden, wie er all das sah. Er ließ sich keineswegs überzeugen, wollte nicht nachgeben und fühlte sich durch diesen aufgezwungenen Verzicht verletzt. Bald darauf verließ er das Land.
Nur wenige Monate umfassten Anfang und Ende ihrer Bekanntschaft, Annes Leid aber endete nicht nach wenigen Monaten. Liebe und Trauer überschatteten lange Zeit alle Freuden der Jugend, und so kam es, dass sie früh ihre rosige Frische und ihren Lebensmut verlor.
Mehr als sieben Jahre waren vergangen, seit diese traurige kleine Geschichte ein Ende genommen hatte, und die Zeit hatte vieles gelindert, vielleicht auch viel von Annes schwärmerischer Verliebtheit, aber dazu war sie einzig auf den Lauf der Zeit angewiesen gewesen, kein Ortswechsel hatte ihr dabei geholfen (außer einem Besuch in Bath kurz nach dem Bruch), nichts Neues, keine Vergrößerung des Bekanntenkreises. Nie war jemand nach Kellynch gekommen, der dem Vergleich mit Frederick Wentworth, so wie sie ihn erinnerte, hätte standhalten können. In der eng begrenzten Gesellschaft der näheren Umgebung hatten ihr wählerisches Gemüt und ihr anspruchsvoller Geschmack keine neue Liebe gefunden, das einzige natürliche, glückliche und taugliche Heilmittel in ihrem Alter. Als sie etwa zweiundzwanzig war, bat sie ein junger Mann, ihren Namen zu ändern – derselbe, der wenig später bei ihrer jüngeren Schwester mehr Gehör fand, und Lady Russell hatte ihre abschlägige Antwort sehr beklagt, denn Charles Musgrove war der älteste Sohn eines Mannes, der an Grundbesitz und gesellschaftlicher Bedeutung in diesem Landstrich nur noch von Sir Walter übertroffen wurde; er war ein unbescholtener, gutaussehender Mann, und wenngleich sich Lady Russell, als Anne neunzehn war, noch etwas mehr gewünscht hätte, wäre sie jetzt froh gewesen, wenn sie mit zweiundzwanzig auf so respektable Weise der Voreingenommenheit und Ungerechtigkeit im Haus ihres Vaters entkommen wäre und sich für immer in ihrer Nähe niedergelassen hätte. Doch in diesem Fall hatte Anne keinen Raum für gute Ratschläge gelassen, und obwohl Lady Russell, wie immer zufrieden mit ihrer eigenen Umsicht, sich das Vergangene nicht ungeschehen wünschte, entwickelte sie nun eine an Hoffnungslosigkeit grenzende Besorgnis, Anne werde niemals mehr von einem fähigen, finanziell unabhängigen Mann dazu überredet werden, in einen Familienstand zu treten, zu dem sie doch durch ihre Warmherzigkeit und Häuslichkeit so besonders geeignet war.
Keine der beiden wusste, wie die andere über diesen wichtigsten Punkt in Annes Verhalten
