(Un)desired Fear - Svea Lundberg - E-Book

(Un)desired Fear E-Book

Svea Lundberg

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Beschreibung

Oberkommissar Samuel Becker: Als Polizist bin ich es gewohnt, dass bei Einsätzen Unvorhergesehenes passiert. Aber shit, ich hatte nicht erwartet, dabei einem Mann zu begegnen, der meine dunkelsten Fantasien dermaßen befeuert. Dirk, der Türsteher des Men’s Cage, ist sicher fünfzehn Jahre älter als ich und nicht mal unbedingt mein Typ. Dennoch reizt mich seine abweisende Art bis aufs Blut. Ich will seine Hände auf mir spüren und dass er mich niederringt. Meine Grenzen überschreitet. Noch dazu verbirgt sich etwas hinter seiner dunklen Fassade, das mich auch emotional berührt. Aber mich auf ihn einzulassen, wäre riskant. Denn als Sohn des Polizeipräsidenten habe ich ohnehin keinen leichten Stand auf meiner neuen Dienststelle, und niemand darf herausfinden, wonach ich mich heimlich sehne. Außerdem gibt es da noch ein Problem. Einen weiteren Mann: Linus. Der hübsche Barkeeper des Men’s Cage ist mit seinem frechen Lächeln genau mein Typ – und er ist Dirks Ex. Zu allem Überfluss machen die beiden kein Geheimnis daraus, dass sie immer noch Gefühle füreinander haben. Ich will mich nicht zwischen sie drängen, aber von ihnen ablassen kann ich auch nicht. Dafür sind Dirks gnadenlose Begierde zu intensiv und Linus’ zarte Küsse zu kostbar. Kann das mit uns irgendwie gutgehen? ~~~~~ Tauche ein in eine gleichsam düstere und verbotene, aber auch gefühlvolle MMM Liebesgeschichte mit Agegap und einem Hauch Romantic Thrill. Bitte beachte die Content Notes zu Beginn des Romans.

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Impressum
Inhalt
Content Notes
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Epilog
Über die Autorinnen

 

Impressum

Copyright © 2023 Fenja Wächter & Svea Lundberg

 

Fenja Wächter

Kinsheck 7

55450 Langenlonsheim

[email protected]

www.fenjawaechter.de

 

Julia Fränkle-Cholewa (Svea Lundberg)

Zwerchweg 54

75305 Neuenbürg

[email protected]

www.svealundberg.net

 

Covergestaltung: Fenja Wächter

www.fenjawaechter.de

 

Buchsatz: Annette Juretzki

www.annette-juretzki.de

 

Bildrechte:

© gorgev – depositphotos.com

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte sind vorbehalten.

 

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

Inhalt

Oberkommissar Samuel Becker:

 

Als Polizist bin ich es gewohnt, dass bei Einsätzen Unvorhergesehenes passiert. Aber shit, ich hatte nicht erwartet, dabei einem Mann zu begegnen, der meine dunkelsten Fantasien dermaßen befeuert.

 

Dirk, der Türsteher des Men’s Cage, ist sicher fünfzehn Jahre älter als ich und nicht mal unbedingt mein Typ. Dennoch reizt mich seine abweisende Art bis aufs Blut. Ich will seine Hände auf mir spüren und dass er mich niederringt. Meine Grenzen überschreitet. Noch dazu verbirgt sich etwas hinter seiner dunklen Fassade, das mich auch emotional berührt. Aber mich auf ihn einzulassen, wäre riskant. Denn als Sohn des Polizeipräsidenten habe ich ohnehin keinen leichten Stand auf meiner neuen Dienststelle, und niemand darf herausfinden, wonach ich mich heimlich sehne.

 

Außerdem gibt es da noch ein Problem. Einen weiteren Mann: Linus. Der hübsche Barkeeper des Men’s Cage ist mit seinem frechen Lächeln genau mein Typ – und er ist Dirks Ex. Zu allem Überfluss machen die beiden kein Geheimnis daraus, dass sie immer noch Gefühle füreinander haben. Ich will mich nicht zwischen sie drängen, aber von ihnen ablassen kann ich auch nicht. Dafür sind Dirks gnadenlose Begierde zu intensiv und Linus’ zarte Küsse zu kostbar.

 

Kann das mit uns irgendwie gutgehen?

 

Tauche ein in eine gleichsam düstere und verbotene, aber auch gefühlvolle MMM Liebesgeschichte mit Agegap und einem Hauch Romantic Thrill.

 

Bitte beachte die Content Notes zu Beginn des Romans.

Content Notes

In diesem Roman werden Überwältigungsfantasien und Praktiken des sogenannten ›Rape-Plays‹ thematisiert und explizit beschrieben. All das findet in einem Rahmen statt, der auf ›consensual non-consent‹ beruht und in dem die Protagonisten Wert auf Sicherheit legen.

 

Des Weiteren beinhaltet der Roman folgende Themen: toxische Beziehungsmuster, emotionale Manipulation, uneinvernehmlicher Drogenkonsum, Körperverletzung und Freiheitsberaubung.

Kapitel 1

~~~ Samuel ~~~

 

Mit einem letzten prüfenden Blick vergewisserte ich mich, dass meine Waffe ordnungsgemäß gesichert war, bevor ich der Schließfachtür einen kleinen Schubs gab. In das leise Klackern, mit dem diese zufiel, mischten sich Schritte auf dem Gang. Die Geräusche überdeckten mein Gähnen. Mittlerweile hatte ich mich ganz gut in den neuen Schichtrhythmus eingefunden. Der zurückliegende Nachtdienst allerdings hatte mich geschlaucht. Ungewöhnlich für eine Nacht von Montag auf Dienstag war in der Stuttgarter Innenstadt recht viel losgewesen. Zudem hatte ein Einbruch in einen Juwelier meine Streifenpartnerin und mich in Atem gehalten. Eine nennenswerte Pause hatten wir nicht machen können. Es war ein Trubel, den ich gern mochte, eben weil er mich forderte und mir das Gefühl gab, etwas Gutes geleistet zu haben. Am Ende blieb aber doch Erschöpfung.

»War ’ne ereignisreiche Nacht, was?« Beim Betreten der Waffenkammer hatte Pia mein Gähnen offenbar noch bemerkt. Um ihren Mund zuckte ein mitfühlendes Lächeln, sie selbst sah aber auch geschafft aus. Im Gegensatz zu mir trug sie bereits Jeans und Hoodie, in der Hand hielt sie noch ihre eigene HK P2000, die jedoch gerade den Weg ins Schließfach fand.

»Kann man so sagen«, gab ich zurück und lehnte mich seitlich mit der Schulter gegen die Stahlkonstruktion. »Danke noch mal, dass du mich den Fall hast schreiben lassen.«

Im ersten Augenblick wirkte die Miene meiner Streifenpartnerin überrascht aufgrund meiner Aussage. Wohl, weil die meisten Kollegen eher froh waren, wenn nicht zu viel Schreibkram im eigenen ComVor-Fach landete. Doch dann nickte Pia verstehend. »Kein Ding, wird sich gut in deiner Statistik machen.«

Ihre Worte weckten – sicherlich unbeabsichtigt von ihr – ein vages Drücken in meiner Magengegend. Darum ging es mir nicht. Nicht wirklich. Natürlich wollte ich einen guten Eindruck bei meinen Kollegen und Vorgesetzten machen. Aber mir ging es nicht darum, eine ›hübsche Statistik‹ aufzubauen, um mich für eine schnellstmögliche Beförderung oder dergleichen zu qualifizieren. Das war aber eben genau das, was einige – auch Pia – von mir, dem Polizeipräsidentensohn, annahmen: dass ich meine Karriere pushen wollte. Dabei war es mir bei meiner Bitte, den Fall schreiben zu dürfen, vielmehr darum gegangen, mich an einer solchen Anzeige zu versuchen, weil ich es noch nie zuvor gemacht hatte. Außer als Übung beim Studium damals. Ich wollte Erfahrungen sammeln, möglichst vielfältige, um sicher und routiniert in meine neue Stelle im Streifendienst hineinzuwachsen. Erfahrung bedeutete Sicherheit. Sicherheit ermöglichte es mir, verantwortungsvoll zu handeln. Und eben diese Verantwortung hielt ich gern in den Händen. Meistens.

Ehe mein, nach dem anstrengenden Nachtdienst matschiges, Hirn abdriften konnte, beeilte ich mich, zu entgegnen: »Mir ging’s weniger um die Statistik als darum, sich Arbeit zu teilen.« Immerhin hatte Pia den Unfall, mit mehreren Beteiligten, der sicherlich in einer Anzeige superätzend aufzudröseln war, übernommen, zu dem wir gleich zu Beginn des Dienstes gerufen worden waren.

»Hat doch bislang immer gut geklappt zwischen uns«, meinte Pia und ging an mir vorbei zu ihrem Schließfach. Dass sie das so empfand und aussprach, versöhnte mich sogleich wieder mit ihrer vorherigen Vermutung. Auf keinen Fall wollte ich bei meinen Kollegen auf dem Revier den Eindruck erwecken, als sei ich mir für irgendeine Arbeit zu schade. Direkteinsteiger vom Studium und damit bereits mit sechsundzwanzig Jahren Oberkommissar und noch dazu der Sohn des hiesigen Polizeipräsidenten hin oder her, ich fraß auf der Straße genauso jeden Müll wie meine Kollegen auch.

Apropos fressen – ich hatte Durst.

»Trinkst du noch ein Bier mit?« Angesichts des Umstandes, dass meine Streifenpartnerin bereits in Freizeitklamotten neben mir stand, und es somit augenscheinlich eilig hatte, während ich noch Uniform trug, war meine Frage im Grunde überflüssig.

Wenig überraschend schüttelte Pia den Kopf. »Ich muss heim«, erklärte sie mehr dem Waffenschließfach als mir. »Unsere Kleinste ist krank und kann daher nicht in die Kita, und mein Mann muss zu ’nem Kunden.«

Keine Ahnung, was Pias Partner beruflich machte. Obwohl wir seit nunmehr knapp zwei Monaten miteinander Streife fuhren und uns gut verstanden, hatten wir darüber noch nicht gesprochen.

»Ah, blöd. Dann gute Besserung für deine Tochter und lass ja die fiesen Kita-Viren bei euch zu Hause.«

»Witzig …« An der Schließfachtür vorbei warf sie mir einen schiefen Blick zu. Wenn ich diesen richtig deutete, nahm sie mir meine flapsige Bemerkung allerdings nicht übel.

»Na dann …«, mit den Fingerknöcheln klopfte ich zweimal gegen die stählerne Tür, »trotz krankem Kind schöne Frei-Runde. Bis Freitag.«

»Ja, dir auch. Mach’s gut.«

Während Pia noch in meinem Rücken am Schließfach hantierte, verließ ich die Waffenkammer und ging rüber in den Umkleideraum, in dem die Spinde für unsere Uniformteile und Freizeitklamotten standen. Rasch schloss ich meinen auf und sah zu, dass ich erst mal mein Holster loswurde, ehe ich mein Handy aus der Tasche meines Zip-Pullovers fischte. Das Display zeigte jedoch lediglich eine Push-Nachricht von Grindr an. Irgendein NaughtyBoy98 hatte mich in der App angeschrieben. Mein Interesse, nachzusehen, wer sich hinter dem doch recht plakativen Nickname verbarg, hielt sich in Grenzen. Naughty war ja grundsätzlich gut, aber erfahrungsgemäß waren die Typen dann doch einfach nur ein bisschen versaut und nicht so … tabulos, wie ich sie gern gehabt hätte. Oder mir heimlich wünschte, dass sie mich gern hätten.

In einem langen Atemzug stieß ich die Luft aus und ließ mein Handy klackernd in den Spind gleiten. Machte mich daran, mich endlich aus meiner Uniform zu schälen. Wenn ich noch ein paar meiner Kollegen im Aufenthaltsraum erwischen wollte, sollte ich mich so langsam auch mal sputen. Und ein Feierabendbier unter Kollegen erschien mir nach wie vor erstrebenswerter, als NaughtyBoy98 zu schreiben.

 

~~~~~

 

Als ich rund eine Stunde später das Tor zum Vorgarten aufsperrte, dankte ich mir selbst im Stillen für meine Vernunft, es bei einem einzigen Bier belassen zu haben. Mit mehr im Kopf wäre ich sicherlich auf der viertelstündigen U-Bahn-Fahrt vom Schlossplatz bis zur Weinsteige eingeschlafen. Einer der Gründe, weswegen ich nach dem Nachtdienst lieber in zivil als in Uniform heimfuhr. Auch wenn das dann bedeutete, ein Ticket lösen zu müssen.

Die rund fünf Minuten Fußweg von der Haltestelle bis zu dem schicken Einfamilienhaus samt Einliegerwohnung, welches meine Eltern vor einigen Jahren hier Auf dem Haigst gebaut hatten, hatten nichts an meiner Müdigkeit geändert. Ich hätte schier im Stehen einpennen können, wenn … ja, wenn nicht just in dem Moment, in dem ich den Fuß auf die erste der drei Treppenstufen zu meiner Wohnung hinab setzte, die Haustür rechts neben mir geöffnet worden wäre. Mein Vater trat hindurch. Höchst geschniegelt und gestriegelt in seiner eindeutig frisch gebügelten Uniform und mit den Schulterklappen mit dem goldenen, vom Eichenlaub umrankten Stern.

»Ah, guten Morgen, Samuel.« Schwungvoll zog er die Tür hinter sich ins Schloss.

Ich hingegen verharrte auf der obersten Stufe und nuschelte ihm lediglich ein »Morgen« entgegen. Meinem Körper kam es eher wie Nacht vor und überhaupt war mein Vater für seine Verhältnisse spät dran. »Nicht auf dem Weg ins Präsidium?«, mutmaßte ich daher. So viel Kombinationsfähigkeit brachte mein müdes Hirn gerade noch zustande.

»Nein. Ein Termin mit dem Präsidenten des PP Einsatz.«

Weshalb besagter Termin, hinterfragte ich in diesem Moment nicht. Im Grunde war es mir auch gleichgültig. Mein Vater hatte seinen Job, ich hatte den meinen. In meinen Augen.

»Dann bestell schöne Grüße, falls du jemanden von meinen ehemaligen Kollegen oder Vorgesetzten siehst«, fügte ich dennoch hinzu. In meinen Augen war nichts an dieser Bitte. Auch wenn ich natürlich wusste, dass mein Vater nach wie vor der Meinung war, dass ich mit den drei Jahren, die ich nach dem Studium freiwillig in der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit geleistet hatte, ›wertvolle Zeit auf meinem Karriereweg verschenkt hatte‹. Das waren in etwa seine Worte gewesen. Denn immerhin hatte ich ›nicht mal nennenswerte Ambitionen gezeigt, eine Truppführerstelle zu bekommen‹.

»Natürlich. Wie läuft es mit deinen Vorgesetzten auf dem Revier?«

War klar, dass er nur nach denen fragte und nicht nach meinen Kollegen. Ebenso wie klar war, dass er mich und das, was ich im Dienst leistete, ohnehin im Auge behielt.

»Alles gut so weit. Hatte letzte Nacht mit meiner Streifenpartnerin einen Einbruch in einen der Juweliere an der Königstraße. Waren erste Streife vor Ort. Jochen sagte, Pia und ich hätten gute Arbeit geleistet.«

Mein Vater richtete den Kragen seines Diensthemdes. »Sicher hast du das. Ich hoffe, dein Dienstgruppenleiter merkt sich das.«

Das hoffte ich auch – aus etwas anderen Gründen als mein Vater. Mir war in erster Linie wichtig, dass Jochen sah, dass meine Streifenpartnerin sich im Einsatz auf mich verlassen konnte. Ebenso wie ich mich auf sie.

»Bestimmt«, gab ich nur dumpf zurück. »Ich muss echt ins Bett.« Vage nickte ich in Richtung der Tür zu meiner Einliegerwohnung. »Viel Erfolg bei deinem Termin.« Ohne auf eine weitere Entgegnung zu warten, trat ich die restlichen Stufen nach unten, kramte den Schlüssel aus meiner dünnen Jacke hervor.

»Kommst du heute oder morgen mal wieder zum Essen hoch? Deine Mutter würde sich freuen.«

Klar würde sie das. Nachdem ich während meiner Zeit bei der BFE oft tage- und nächtelang in der BePo gewesen war, genoss sie es, mich wieder zu Hause zu wissen. Dabei rechnete ich es ihr allerdings hoch an, dass sie es absolut respektierte, dass ich meine eigene Wohnung und mein Privatleben hatte.

»Mach ich«, versprach ich meinem Vater über die Schulter hinweg und schob mich ins Wohnungsinnere. »Bis dann.«

Durch die Tür, die ich hinter mir zuschob, vernahm ich noch seine Verabschiedung.

Gähnend trat ich mir die Sneakers von den Füßen und schälte mich aus meiner Jacke. Mein Handy ließ ich absichtlich auf der Kommode neben der Tür liegen. Denn meine Kumpels hatten ein untrügliches Gespür dafür, sich ausgerechnet dann bei mir zu melden, wenn ich zwischen Früh- und Nachtdienst oder nach dem Nachtdienst am Pennen war. So kompliziert war mein Schichtrhythmus eigentlich nicht, aber merken konnte ihn sich anscheinend partout niemand aus meinem Freundeskreis.

Auf dem Weg rüber ins Schlafzimmer nahm ich noch eine Flasche Wasser aus der schmalen Abstellnische zwischen Eingangsbereich und Küche mit. Meine Klamotten fanden halbwegs unachtsam ihren Weg auf den Hocker im Eck neben dem Fußende meines Bettes. Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich nur noch in Boxerbriefs darauf sinken, schloss die Augen. Ich wollte mich schon unter die Decke wühlen, doch etwas stimmte ganz und gar nicht. Zu hell!

Großes Kino, Samuel, Jalousien runterlassen, wäre ’ne sinnvolle Maßnahme.

Etwas umständlich angelte ich die Fernbedienung vom Nachttisch. Nur Sekunden später summte die Elektrik und hüllte den Raum so weit in Dunkelheit, dass ich nur noch vage Schemen sehen konnte. Allerdings sorgten weder die Weichheit der Matratze noch die angenehme Wärme unter der Decke oder die Dunkelheit um mich herum dafür, dass ich wie eigentlich erwartet sehr bald in den Schlaf fiel. Das genaue Gegenteil war der Fall: Ich konnte nicht pennen. Trotz Müdigkeit, mein Hirn war wach. Nicht hellwach, aber zumindest zu wach. Ein Problem, dass ich bereits zu meiner Zeit in der BFE immer mal wieder gehabt hatte: Mir fiel es schwer, runterzufahren. Dem Druck nachzugeben und mal alle Anspannung rauszunehmen. Einfach loszulassen.

Aber hey, zum Glück kannte man(n) ja eine relativ sichere Methode.

Kurzentschlossen strampelte ich die Decke wieder von mir, griff mit einer Hand an den Bund meiner Boxerbriefs und mit der anderen nach meinem Schwanz. Der kannte mein nicht gerade tägliches, aber eben doch vertrautes Einschlafritual natürlich und erwachte bereits mit einem feinen Ziehen. Ganz kurz kam mir der Gedanke, dass ich nun vielleicht doch mal nachschauen könnte, was NaughtyBoy98 geschrieben hatte. Aber noch mal aufzustehen, um mein Handy aus dem Flur zu holen, war keine Option, und wer wusste schon, ob besagter Kerl überhaupt mein Typ war. Zumal die meisten Kerle, die rein optisch absolut meinem Beuteschema entsprachen, nicht das befriedigen konnten, wonach ich mich heimlich sehnte. Auf mein Kopfkino hingegen war stets Verlass.

Schwer stieß ich die Luft aus und ließ mich tiefer ins Kissen sinken, während ich beherzt zupackte und meinen langsam anschwellenden Schaft zu massieren begann. Druck aufbaute, nur um mich irgendwann von diesem überwältigen zu lassen. Begleitet von Fantasien, in denen ich gezwungen war, nachzugeben. Fantasien, die so viel dunkler waren, als das Zimmer um mich herum.

Kapitel 2

~~~ Linus ~~~

 

Unschlüssig, ob ich Dirk eine Nachricht schicken sollte, dass ich mich verspätete, hielt ich mein Handy in der Hand und kaute auf meiner Wange herum. Dirk mochte keine Verspätungen. Eigentlich mochte er es überhaupt nicht, wenn etwas anders lief, als abgesprochen war, oder wenn seine sorgfältig gepflegten Routinen durchbrochen wurden. Das führte nur dazu, dass der ohnehin recht stille Griesgram noch brummiger und schweigsamer wurde, was ich wiederum heute echt nicht gebrauchen konnte. Nicht, wenn ich ihm das mit Sven und mir beichten wollte. Etwas, das ich auch meinen Eltern noch irgendwie beibringen musste. Die Trennung von Dirk vor ein paar Monaten hatten sie nämlich überhaupt nicht nachvollziehen können, weil wir doch so gut zusammenpassen würden. Tatsächlich hatten wir das auch: rein auf der Beziehungsebene betrachtet. Nur war das leider nicht alles, denn im Bett harmonierten wir nicht wirklich miteinander. Das konnte ich meinen Eltern allerdings schlecht auf die Nase binden. In ihren Augen war ein bodenständiger Mann wie Dirk genau das, was ich brauchte. Da sahen sie auch gern über den Altersunterschied von fast zwanzig Jahren hinweg. Hauptsache, ihr Sohn war gut aufgehoben.

»Was ist los?«, fragte Sven und riss mich aus meinen Grübeleien, an denen ich ihn ganz bestimmt nicht teilhaben lassen würde. Dafür nahm er solche Sachen zu persönlich. Er warf mir einen abwartenden, jedoch flüchtigen Blick zu, immerhin fuhr er.

Sven war das genaue Gegenteil von Dirk. Nicht nur, dass er mit Anfang zwanzig in meinem Alter war, sondern vor allem, was das Verhalten betraf. Sven war der typische Partygänger, der sich bei seinem Aussehen auch nie Gedanken um zu wenig Aufmerksamkeit machen musste – das galt sowohl für Frauen als auch für Männer. Er war der hübsche Sonnyboy, der jeden in seinen Bann zog, während Dirk ein Bär von einem Mann Anfang vierzig war, der trotz seiner brummigen Art Geborgenheit vermittelte.

»Ach nichts.«

Die feinen Linien auf Svens Stirn vertieften sich, ebenso die steile Kerbe zwischen seinen Augenbrauen. »Dafür starrst du dein Handy gerade aber schon ziemlich lange an.«

»Jaaa, das …« Ich seufzte, gab mich geschlagen und schickte Dirk eine kurze Vorwarnung bezüglich meiner Verspätung. Für die war eigentlich Sven verantwortlich, weil er seine Autoschlüssel in meinem Chaos daheim erst hatte finden müssen.

Fairerweise: Ich hatte auch nicht mehr gewusst, wo sie gestern Abend gelandet waren, als wir ein wenig angetrunken und ziemlich geil ineinander verschlungen in meine Wohnung gestolpert waren und uns die Klamotten vom Leib gerissen hatten.

Okay, wenn ich es so betrachtete, trug ich vermutlich eine gewisse Mitschuld. Aber Sven hätte erst gar nicht mehr fahren dürfen!

Ich ließ das Handy sinken und wischte mir meine verschwitzten Hände an den Bermudas ab. Für Ende Mai war es tagsüber schon echt schön warm, solange die Sonne schien und kein Wind ging. Heute war keine Wolke am Himmel, was bedeutete, dass Dirk und ich nachher vermutlich gemütlich im Garten am Koiteich sitzen würden.

»Ist wirklich alles klar?«

Was das ›sich Gedanken um mich machen‹ anbelangte, standen sich Dirk und Sven in nichts nach. Das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihnen. Denn selbst in der Art, wie sie dann reagierten, unterschieden sie sich wieder. Bei Dirk war es mir immer leichtgefallen, mich ihm anzuvertrauen – mit Ausnahme eines gewissen Themas und auch jetzt würde es alles andere als einfach werden. Das jedoch aus anderen Gründen und nicht, weil ich nicht grundsätzlich gern mit Dirk über die Dinge sprach, die mich beschäftigten.

»Ja, ja«, sagte ich rasch und rang mich sogar zu einem Lächeln durch. Sven war nun mal nicht Dirk. »Du kannst mich da vorne an der Ecke rauslassen.«

Er schnaubte widerwillig. »Ich kann dich auch bei deinem Kollegen absetzen.«

»Ne, ne. Lass mal lieber …«

»Willst du verhindern, dass er mich sieht oder ich ihn?«

»Äh, beides«, gab ich zu und lächelte entschuldigend. »Aber wenn du ihn kennenlernen willst, kannst du mich gern mal auf der Arbeit besuchen kommen.«

Das schlug ich allerdings nur vor, weil ich wusste, dass er das niemals tun würde. Sven konnte dem ganzen – nach eigener Aussage – ›BDSM-Kram‹ überhaupt nichts abgewinnen, weshalb ihm auch das Men’s Cage suspekt war. Wir hatten sogar schon mehr als ein Gespräch darüber geführt, dass ich dort wirklich nur hinter der Bar arbeitete und nicht in irgendwelche ›Spielchen‹ verwickelt war. Darauf würde er nicht klarkommen. Ebenso wenig auf Dirk. Vor allen Dingen, wenn er wüsste, dass ich mal etwas mit ihm gehabt hatte, was noch gar nicht sooo lange her war. Allerdings ahnte Sven das bestimmt schon. Immerhin war Dirk die einzige Person, bei der ich an unseren Treffen festhielt – allein. Nur Zeit für Dirk und mich, ohne Sven, der sonst immer dabei war, wenn ich mit Ausnahme meiner Arbeit aus der Wohnung ging. Für die zweisamen Treffen mit Dirk nahm ich Svens Unmut und Eifersucht in Kauf. Wofür ich bei meinen Freunden nicht den Nerv hatte. Anfangs hatten sie darüber noch gestichelt, es aber irgendwann akzeptiert, dass sie mich nicht mehr ohne Sven zu Gesicht bekamen. Oder aufgegeben – wie man es nahm. Allerdings sahen wir uns auch nicht mehr allzu oft, weil wir meistens in Svens Bekanntenkreis unterwegs waren.

Sven hielt an der von mir gewünschten Ecke an. »Ne du, lass mal stecken. Da lasse ich dich lieber hier raus, auch, wenn ich es immer noch seltsam finde.«

»Das darfst du«, erwiderte ich, lehnte mich zu ihm rüber und drückte ihm rasch einen Kuss auf den Mund.

»Eh«, protestierte er, als ich mich schon wieder zurückziehen wollte, schob seine Finger in meine Haare und hielt mich fest.

Ein Kribbeln erwachte in tieferen Regionen. Dafür mochte ich es einfach zu gern, wenn er mir energisch zeigte, was er wollte und über mich bestimmte. Damit gab er mir genau das Gefühl, was mir bei Dirk gefehlt hatte: begehrt zu werden.

Mit einem Lachen gab ich nach, öffnete meine Lippen und ließ seine Zunge ein.

»Danke fürs Fahren«, raunte ich ihm zu und stieg aus.

»Kein Ding. Soll ich dich auch abholen kommen?«

»Pff, immer diese Studenten, haben Zeit ohne Ende.«

Er grinste breit. »Also? Das Mittagessen wird ja nicht so lange dauern, oder?«

Ich zuckte unbestimmt mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich meld mich, wenn ich wieder daheim bin.«

Bevor Sven etwas erwidern konnte, schlug ich die Tür zu. Er nickte mir zu und ich hob die Hand, blieb noch stehen, bis er weg war.

Kaum, dass sein Auto außer Sicht war, fühlte ich mich schlagartig richtig mies. Wie sollte ich Dirk das bloß erklären? Seit wir uns an so etwas Ähnlichem wie einer Beziehung versucht hatten, verbrachten wir immer einen von unseren zwei freien Tagen gemeinsam. Aber jetzt, mit Sven, wurde das zunehmend komplizierter, weil das nun einmal auch Zeit war, in der wir etwas zusammen unternehmen konnten. Dabei war ich mir gerade nicht sicher, ob ich wirklich auf den Tag mit Dirk verzichten wollte und konnte.

Ich schaute die Straße entlang, die gesäumt war von Einfamilienhäusern, und folgte schweren Herzens dem Bürgersteig.

»Hey, Dirk, ich habe jemanden kennengelernt«, murmelte ich vor mich hin und schüttelte den Kopf. »Ich hab einen neuen Freund«, klang auch mies. Genauso wie: »Ich werde zukünftig ab und an mal absagen müssen. Kommst du klar?«

Natürlich tat er das, er war ein erwachsener Mann, der vor mir schon ein Leben geführt hatte und der gern für sich war. Daran hatte auch ich nichts geändert. Dirk war und blieb ein Eigenbrötler, der zufrieden war. Die Frage war viel eher, ob ich damit klarkam.

Ich betrat die Steinplatten eines gepflegten Vorgartens. Sein Garten und sein Haus waren tatsächlich etwas, worauf Dirk großen Wert legte. Noch bevor ich die Tür erreichte und überhaupt klingeln konnte, wurde sie bereits geöffnet.

Dirk musterte mich eingehend aus seinen dunklen Augen, in denen so viel Wärme lag, dass sie zu mir herüberschwappte und mich meine Sorgen vergessen ließ. Wortlos öffnete er seine Arme für eine Begrüßung und ich schlüpfte nur zu gern hinein.

»Hi«, sagte ich, schmiegte mich an seine breite Brust und schloss die Augen.

Sein Vollbart kratzte sachte an meinem Hinterkopf und zerzauste vermutlich meine Haare noch ein wenig mehr. Es war mir egal. Im Gegensatz zu Sven legte Dirk keinen Wert auf eine aalglatte Frisur.

Deutlich spürte ich Dirks starke Arme um mich und genoss die Nähe zu ihm in vollen Zügen – was ich nicht tun sollte.

Ich hatte einen Freund, der das hier Gott sei Dank nicht sah. Sven war nicht Dirk und er weckte auch nicht das Gefühl von Geborgenheit in mir, wie es Dirk nun einmal tat.

Der tätschelte mir den Rücken. »Alles in Ordnung bei dir?«

Widerwillig löste ich mich von ihm. Es war doch auffällig und berührte mich, dass er es immer mir überließ, wann unser Kuscheln vorbei war. »Ja. Ja. Alles gut. Habe nur verschlafen.« Das war nicht einmal gelogen.

Karl sah das wohl anders, wenn ich seinen grimmigen Blick aus seinen gelben Augen richtig deutete.

»Hallo, Karlchen«, flötete ich und ging in die Hocke, um Dirks Kater zu begrüßen.

Ein wenig tadelnd, wie mir schien, reckte die graue Main Coon doch noch ihr Köpfchen und rieb sich an meiner Hand.

Auf dem Boden kniend und Katze streichelnd, schaute ich zu Dirk auf. Dirk, der mich immer noch musterte, als ob er genau wissen würde, dass ich ihm etwas verheimlichte. Ich hielt es keinen Moment länger aus.

»Ich habe jemanden kennengelernt«, platzte es aus mir heraus.

»Okay.«

Da war nicht einmal ein Zucken in seiner Mimik oder ein Schwanken in seiner Stimmlage. Nichts.

»Wir sind zusammen.«

»Ja, das war jetzt anzunehmen.«

»Und?«, fragte ich vorsichtig und stand auf, während sich Karl an meine Beine schmiss.

Dirk krauste die Stirn, was ihn in Verbindung mit seinem Vollbart noch grimmiger wirken ließ. »Was ›und‹?«

»Ja, was sagst du dazu?«

»Was soll ich groß sagen? Du hast mir bisher überhaupt nichts über ihn erzählt.«

Ich holte Atem und brach doch ab. Hörbar klappten meine Zähne aufeinander. »Soll ich das denn? Also, dir von ihm erzählen?«

»Wenn du das möchtest«, erwiderte Dirk, als sei für ihn wirklich nichts weiter dabei. »Du bist jung und ein netter Kerl, Linus, es war klar, dass du früher oder später einen Freund haben würdest.«

Ich schluckte hart. »Und was ist mit dir?«, fragte ich leise und tatsächlich zupfte ein wehmütiges Lächeln an Dirks Lippen.

»Ich komme schon klar. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten oder hast du Hunger? Ich habe zwar bereits eine Kleinigkeit vorbereitet, aber wir können auch was bestellen, falls du da mehr Lust drauf hast.«

Ich lachte. Ein wenig verhalten vielleicht. Das war genau die Art des Umsorgtwerdens, für die ich ihn noch immer liebte. Nur hatte das allein nicht für eine funktionierende Beziehung gereicht.

»Ne, ne, ich esse liebend gern alles, was du kochst.« Selbst aus einem ollen Salat zauberte Dirk etwas, das sich in einem Nobelrestaurant sehen lassen könnte.

 

~~~ Dirk ~~~

 

»Das war mal wieder echt schön und vielen lieben Dank fürs Zuhören«, sagte Linus und umarmte mich innig.

Wie jedes Mal, wenn er mich berührte, nahm mein Herz einen zusätzlichen Takt auf und wohlige Wärme breitete sich in meinem Inneren aus. Es tat gut, für jemanden – ihn – da sein zu können. Trotzdem mischte sich mit einem Mal ein kaltes Piksen dazu. Ich war eben nicht der kuschelige, bärige Typ, der ihn auch mal härter anpackte, den Linus sich wünschte und der ihm gewissermaßen auch einen Rahmen für sein Leben vorgab. Was ich dagegen suchte, war jemand, der genau wusste, wohin er wollte und der sich behaupten konnte. Es zumindest versuchte, um dann von mir doch überwältigt und damit einhergehend um ein Vielfaches härter angepackt zu werden, als Linus das mochte. Was das anbelangte, waren er und ich wie Tag und Nacht. Anscheinend konnten wir nicht ohneeinander, aber zusammen funktionierten wir auch nicht. Mir fehlte etwas, wodurch er sich unzulänglich fühlte – was ich wiederum verstehen konnte und mich noch ein klein wenig mehr für meine Vorlieben verachtete.

Ich drückte seinen zierlichen Körper an mich. Sachte nur, um Linus nicht doch wehzutun. Mit einem Lächeln löste er sich von mir.

»Na dann, hab noch einen schönen Abend«, wünschte er mir.

»Mhm. Dir … euch auch.«

Linus’ Lächeln wurde breiter, sodass selbst seine Augen mich anstrahlten. »Gehst du noch zum Training, oder?«

Ich brummte nur unbestimmt, was er jedoch als ›ja‹ deutete. Schließlich tat ich das an meinem freien Tag immer.

»Okay, bis morgen auf Arbeit dann. Bye.« Er winkte mir im Rausgehen.

»Tschüss.«

Ich schloss die Tür, hielt jedoch noch einen Moment die Klinke fest.

Linus hatte einen Freund …

Einen, den er über irgendwelche ominösen Onlineplattformen kennengelernt hatte. Grindr. Laut Linus war das normal und das mochte auch so sein. Wenn ich mich recht entsann, hatte auch meine Schwester ihren Freund über eine solche Plattform getroffen und die beiden waren schon wirklich lange zusammen. Ich hatte mit diesem ganzen Onlinekram bisher nichts am Hut gehabt und würde das auch nie. Menschen verursachten Probleme und bauten so schon Scheiße, und mir konnte keiner erzählen, dass das in einem anonymen Rahmen, den das Internet und diverse Foren boten, besser wurde. Im Gegenteil.

Ich drehte mich um, sackte schwer mit dem Rücken gegen die Tür und atmete tief durch. Das waren meine Ängste und Sorgen und nicht Linus’, und laut ihm war sein Freund wohl in Ordnung. Mir blieb nichts anderes übrig, als es hinzunehmen. Wobei ich mir gerade nicht sicher war, was das größere Problem darstellte: Die Art, wie Linus und sein Freund sich kennengelernt hatten, oder dass Linus nun vergeben war. Gut möglich, dass ein verschwindend geringer Teil in mir auf etwas anderes gehofft hatte. Denn manchmal fühlte sich mein Haus, das gleichzeitig meine sichere Burg war, erschreckend leer und einsam an. Vor allem, wenn Linus kurz vorher dagewesen war.

An die Tür gelehnt sank ich zu Boden, was Karl zum Anlass nahm, quer durch den Flur zu mir zu stolzieren. Er war selten weit, wenn er die Haustür hörte. Kurzerhand warf er sich auf meinen Schoß und rekelte sich auf meinen Beinen. Gedankenverloren kraulte ich ihm durchs Fell. Die wenigsten Katzen, die ich kannte, mochten das. Aber Karl war eben Karl und fiel genauso aus dem Rahmen wie ich mit meinen Vorlieben, wodurch ich mich ein klein wenig besser fühlte.

Ganz kurz haderte ich mit mir, ob ich ins Fitnessstudio fahren sollte. Gewichte konnte ich auch daheim stemmen und eigentlich war mir gerade nicht danach, meine Burg zu verlassen. Aber wenn ich mich einmal abkapselte und einigelte, fand ich nur schwer wieder da raus und hier war auch niemand, der mich notfalls aus dem Loch zog, sollte ich wirklich reinfallen. Gewohnheiten und Routinen halfen dagegen. Also würde ich mich daran halten.

Ein paar Minuten hatte ich allerdings noch.

»Wir könnten uns auf der Couch einkuscheln oder uns etwas an den Teich setzen«, schlug ich Karl vor, der im Gegensatz zu mir bereits äußerst zufrieden wirkte.

Ich hob ihn auf meine Schulter hoch und stand zusammen mit ihm auf.

Selbst mit ausgefahrener Markise schien genug Tageslicht durch die Panoramafenster ins Wohnzimmer hinein. Lediglich auf Socken trat ich auf die Terrasse hinaus, machte es mir auf den Loungemöbeln bequem und beobachtete, wie die bunten Koikarpfen ihre Bahnen zogen. Das beruhigte ungemein.

Kapitel 3

~~~ Samuel ~~~

 

»Kommst du nicht mit duschen?« Ein Handtuch bereits lässig über eine seiner breiten Schultern gelegt und eine Duschgeltube in der Hand, warf Sinan mir einen überrascht fragenden Blick zu, als ich, statt mich ebenfalls vollends auszuziehen, nach meiner dünnen Softshelljacke griff. Mit einem Kopfschütteln schlüpfte ich in diese hinein. Mein Funktionsshirt klebte noch feucht an meiner verschwitzten Haut.

»Nee, ich lauf heute heim und spätestens die Weinsteige hoch werd ich eh wieder schwitzen.«

Sinan grinste schief. »Noch nicht genug ausgepowert? Du solltest dein Maximalgewicht erhöhen.«

»Und du«, neckend boxte ich gegen einen seiner massiven Oberarme an dem nun, direkt nach dem Training, die Muskelfasern noch markanter hervortraten, »solltest an deiner Kondition arbeiten.«

Er lachte nur, sagte aber nichts mehr dazu. Wohl, weil wir beide wussten, dass wir in dieser Hinsicht unterschiedliche Ansätze verfolgten. Während Sinan der typische Fitnessstudiopumper war, legte ich eher Wert auf eine gute Kraft-Ausdauer. Imposante Muckis brachten mir letztlich nichts, wenn ich im Dienst einem flüchtigen Täter nicht hinterherkam.

»Na dann … bist du Sonntagabend bei Basti dabei? Oder musst du arbeiten?«

Wie fast jeden Sonntag, an dem ein Spiel der NFL übertragen wurde, trafen sich die meisten meiner Kumpels zum Football schauen – und ausnahmsweise hatte ich sogar mal Zeit.

»Denk schon. Ich hab Freitag, Samstag Dienst.«

»Nice! Dann bis Sonntag.« Sinan klopfte mir kumpelhaft auf die Schulter, ehe er sich abwandte und quer durch die Umkleide rüber zu den Duschen ging.

Ich packte noch rasch meinen restlichen Kram – Sportschuhe, Trinkflasche und das verschwitzte Handtuch – in meine Sporttasche, schlüpfte in meine Sneakers und warf mir die Tasche über die Schulter. Auf dem Weg zum Ausgang des Fitnessstudios winkte ich zweien der Mitarbeiter zu und trat dann hinaus in die kühle, aber für Mai doch angenehme Abendluft. Das schöne Wetter der letzten Tage und des heutigen war auch der Grund, weswegen ich beschlossen hatte, die rund vier Kilometer vom Studio nahe des Charlottenplatzes bis hoch ins Wohngebiet Auf dem Haigst zu laufen. Bahn fuhr ich schließlich so oder so genug. Zwar stand inzwischen keine Sonne mehr am Himmel, dennoch war es trotz verschwitzter Klamotten noch warm genug. Zumindest insofern ich in Bewegung blieb.

Am Charlottenplatz hielt mich eine der Fußgängerampeln auf. Obwohl die klassische Feierabendzeit längst durch war, herrschte hier einiges an Verkehr. Ich verbot es dem Polizisten in mir, die Autos und deren Fahrer an der großen Kreuzung allzu genau ins Visier zu nehmen. Stattdessen schweifte mein Blick wie automatisch rüber zu dem dezenten, aber doch zumindest für meine Augen auffallenden Leuchtbanner in einer der Seitenstraßen, deren erste Gebäude von meinem Standpunkt aus gerade so einzusehen waren.

Men’s Cage – der blau-schwarz leuchtende Schriftzug über der Tür übte nicht zum ersten Mal eine gewisse Anziehungskraft auf mich aus. Verdammt, hatte sich mein Unterbewusstsein echt hinter der Schön-Wetter-Ausrede versteckt und mich hierhin gelotst?

Ich wollte mich gerade dazu zwingen, direkt wieder wegzuschauen und meine Aufmerksamkeit auf die Ampelschaltung zu richten, die beiden Männer vor dem Club machten es mir jedoch unmöglich. Der eine von ihnen, der allein schon aufgrund seines massigen Aussehens ins Auge stach und eindeutig der Security war, bugsierte einen geschniegelten Kerl in Jackett vor sich her. Offensichtlich gab es da eine Unstimmigkeit, die erst mal nicht spektakulär wirkte, aber dennoch meinen Dienstmodus anknipste. Aus dem Augenwinkel registrierte ich, dass der Verkehr um mich herum zum Stillstand kam.

Die Fußgängerampel sprang auf Grün und ich überquerte rasch die Straße, den Blick dabei wieder rüber auf das Geschehen vor dem Men’s Cage gerichtet. Der Security hatte den Mann im Jackett mittlerweile losgelassen, nicht ohne augenscheinlich sehr deutliche Worte an diesen zu richten. Der Kerl trat zwei Schritte zurück, ich steuerte dennoch genau auf die beiden zu. Dienstlicher Instinkt oder … irgendetwas anderes – es war in diesem Moment gleichgültig, der Kerl im Jackett jedenfalls schien doch nicht so leicht klein beigeben zu wollen. Mit einer Hand erbost gestikulierend, trat er dem Security erneut entgegen. Dessen Stimme schwappte tief und bestimmend zu mir herüber. Nach außen hin unbeeindruckt von dem Gebaren seines Gegenübers baute er massiv wie ein Fels vor der Clubtür auf. Stand jetzt brauchte er meine Unterstützung wohl kaum, mein Diensteid verbot es mir aber auch, einfach weiterzugehen.

»Meine Herren, gibt’s hier ein Problem?«

Der Security sah zu mir und für einen winzig kurzen Moment band er damit meine gesamte Aufmerksamkeit. Sekundenbruchteile nur, ehe ich mich darauf fokussierte, dass der Mann im Anzug zu mir herumfuhr. Er maß mich mit einem abschätzigen Blick, stufte mich wohl als ›größenwahnsinniger Schaulustiger‹ ein und wandte sich wieder dem Security zu.

»Sie können Ihrem Chef sagen, dass Sie beide von meinem Anwalt hören werden!«

Ich schnaubte. Halb belustigt, weil ich mir unweigerlich bildlich vorstellte, wie der Typ seinem Rechtsbeistand erklärte, dass er aus einem Sexclub geflogen war, und halb genervt. Es war die übliche Leier, die meine Kollegen und ich uns oft genug im Dienst anhören durften. ›Sie hören von meinem Anwalt, ich kenne meine Rechte, bla bla …‹, und am besten noch: ›Wissen Sie, ich studiere Jura!‹

Der Laut aus meinem Mund war wohl laut genug gewesen, dass der Kopf des aufgebrachten Herrn noch einmal zu mir schnellte. Ein eindeutiger Und-was-wollen-Sie-eigentlich-Blick. Mittlerweile stand ich einen halben Meter neben den beiden.

Der Security brummte nur eine unbestimmte und wenig beeindruckt wirkende Entgegnung, die ich trotz der geringen Distanz nicht verstand. Der Kerl im Jackett wohl auch nicht, was ihn nur noch mehr auf die Palme zu bringen schien. Er fluchte, griff mit einer Hand an die Arschtasche seiner Jeans, außerhalb meines Blickfeldes.

»Hey!« In einer schnellen Bewegung zog ich die Sporttasche von meiner Schulter. »Hände bleiben da, wo ich sie sehen kann!«

Der Kerl zischte. »Was –?«

»Polizei! Hände aus den Taschen!« Noch während ich ihn anraunzte, nestelte ich hastig am Reißverschluss meiner Sporttasche. Dabei stets bereit, diese fallen zu lassen und den Kerl, wenn notwendig, zu packen und gegen die Hauswand zu stellen.

Das Überraschungsmoment war augenscheinlich auf meiner Seite. Der Typ starrte mich nur an. Auch der Blick des Securitys haftete auf mir, aber auf den konnte ich mich gerade wirklich nicht konzentrieren.

Rasch zog ich meinen Geldbeutel hervor, ließ ihn aufklappen, sodass ich dem Mann im Jackett meinen Dienstausweis vorhalten konnte. Er schnaubte, sagte jedoch kein Wort mehr, sondern starrte mich regelrecht in Grund und Boden. Oder versuchte es zumindest.

»Also, gibt’s hier ein Problem?« Erst jetzt erlaubte ich es mir, auch einen kurzen Seitenblick zu dem Security zu werfen. Der stand noch immer unumstößlich da, musterte mich. Seine markante Miene dabei so stoisch, dass ich nicht mal zu sagen vermochte, ob er gerade angepisst war oder doch positiv über mein unaufgefordertes Eingreifen dachte.

»Kein Problem«, entgegnete er, verschränkte dabei seine Arme vor der Brust, die sicherlich nicht nur durch die dunkle Lederjacke so breit wirkte. »Ich hab lediglich vom Hausrecht Gebrauch gemacht und diesen Gast wegen unangebrachten Verhaltens vor die Tür gesetzt. Was er auch verstanden hat. Richtig?« Bei den letzten Worten bohrte er einen mahnenden Blick ins Gesicht des besagten Gastes.

Desen Kiefer mahlten. Sekundenlang. Ehe er ein gepresstes: »Ja. Sicher«, hervorstieß.

»Keine Beschwerden darüber?«, hakte ich dennoch in betont ruhigem Tonfall nach.

Der Kerl schüttelte den Kopf, seine Miene nach wie vor verbissen.

Kurz überlegte ich, trotzdem die Personalien des Kerls aufzunehmen. Doch das hätte auch bedeutet, einen Fall aufmachen zu müssen, und wenn beide Parteien nun der Meinung waren, dass die Sache geklärt war …

»Na dann, schönen Tag noch.« Demonstrativ schob ich meinen Geldbeutel zurück in meine Sporttasche und wandte dem Typen die Schulter zu. Jedoch nur so weit, dass ich ihn aus dem Augenwinkel im Blick behalten konnte.

Ein letztes Schnauben, ein letzter erboster Augenkontakt, ehe er sich tatsächlich abwandte und leise vor sich hin fluchend die Straße entlang marschierte.

Ich behielt ihn noch für einige Sekunden im Blick, bis ich mich ebenfalls vollends umwandte. Dem Security zu, der zu meiner Überraschung noch immer viel mehr mich zu mustern schien, als dass er dem Typen hinterher sah. Seine Miene blieb dabei nahezu bar jeder Emotion und doch nicht … kalt oder gar leer.

Fragend zog ich die Brauen hoch, erwartete, dass er etwas sagte. Oder fragte. Dass er irgendetwas tat.

»Polizist also, hm?«, war schließlich alles, was er brummelte.

»Ja. Polizeirevier 1. Theodor-Heuss-Straße.« Vermutlich wusste er Letzteres. Es gab sicherlich keinen Club – egal welcher Art – in Stuttgart, dessen Personal noch nie in irgendeiner Form mit der Polizei in Kontakt gekommen war. Und der Mann vor mir wirkte nicht, als mache er seine Arbeit erst seit gestern.

Ich schulterte meine Sporttasche, zögerte jedoch. Ich hätte jetzt einfach gehen können, mein Job hier war erledigt – wenn ich überhaupt wirklich einen gehabt hatte. Aber irgendetwas in mir suchte fieberhaft nach einem Grund, noch ein bisschen hier stehen zu können, um … Ja, um was genau zu tun?

In einer vagen Geste nickte ich mit dem Hinterkopf in die Richtung, in der der Kerl im Jackett davongegangen war. »Hat der schon öfter Stress gemacht?«

Der Security schüttelte den Kopf. »War das erste Mal.«

»Auch, dass er hier im … Men’s Cage war?« Shit, warum genau ging mir der Name eigentlich so schwer über die Lippen? In meinem Magen flatterte es leicht. Vielleicht hätte ich eine Banane oder einen Müsliriegel mit zum Sport nehmen sollen.

»Nein.«

Wow, der Mann war ja gesprächig. Aber gut, letztlich ging mich das alles auch nichts an. Nicht, wenn ich keinen offiziellen Fall draus machte und dafür gab es schlicht keinen Grund. Dass ich jedoch diese Auseinandersetzung miterlebt hatte, gab mir zumindest eine potenzielle Ausrede, weshalb ich überhaupt hier, vor einem BDSM-Club für ›men only‹ stand und mit dem Türsteher quatschte. Oder versuchte, es zu tun. Warum ich das wirklich tat, hinterfragte ich an der Stelle lieber gar nicht erst. Weil ich es einerseits ohnehin wusste und andererseits doch ahnte, dass die heimliche Sehnsucht, die mich hierhin zog, auch hier nicht in dem Maß gestillt werden würde, wie ich es mir manchmal zusammenfantasierte. Einfach, weil es dazu ein ganz bestimmtes Kaliber von Mann bräuchte, das selbst in einem BDSM-Club nicht so leicht zu finden war. Zumindest, was meine bisherigen – zugegebenermaßen überschaubaren – Erfahrungen anbelangte.

»War noch was?«

Ich sollte den Kopf schütteln und tat es doch nicht, weil mir in diesem Moment ein absolut abstruser Gedanke durch eben jenen schoss: Vielleicht findet man solche Männer nicht in einem BDSM-Club, sondern davor.

Mit Mühe verkniff ich mir das ungläubige Schnaufen über mich selbst und ließ den Blick nicht forschend über den Mann vor mir schweifen. Stattdessen sah ich ihm fest ins Gesicht. »Was ist denn passiert, dass Sie den Typen vor die Tür gesetzt haben?«

Zum ersten Mal zeigte die Miene meines Gegenübers eine nennenswerte Regung: Er kniff die Augen zusammen, zog die Stirn in kritische Falten. »Fragen Sie aus dienstlichem Interesse?«

Gefühlt würde jede Antwort, die ich nun gab, die falsche sein. Also entschied ich mich für die ehrlichste: »Nicht nur.«

Ich war mir fast sicher, er würde mir nun erklären, dass mich das gelinde gesagt einen Scheiß anging – womit er recht hätte. Doch zu meiner Überraschung nickte er nach einem langen Moment kaum merklich. Mann, war der Kerl schwer zu lesen!

»Übergriffiges Verhalten und uneinvernehmliche Handlungen. Mehr sage ich dazu nicht, insofern das hier keine dienstliche Befragung gibt. Dann würde ich die allerdings auch nicht auf der Straße führen.«

Er hatte ja so recht mit allem, was er sagte. Und ich hätte wirklich, wirklich meine Klappe halten sollen, aber irgendetwas an dieser Situation – an ihm? – veranlasste mich dazu, nach einem: »Verstehe«, und einem Nicken, noch hinzuzusetzen: »Aber nun ja … manchmal will man ja vielleicht, dass etwas uneinvernehmlich passiert.«

Der Blick, der mich daraufhin aus seinen dunklen Augen traf, war mit keinem anderen Wort als ›bohrend‹ zu beschreiben. Ich meinte, ganz kurz nur ein Aufflackern in seiner Miene sehen zu können, ehe diese sich noch mehr verschloss.

»Nein.« Das einzelne Wort kam hart aus seinem Mund. »Das will niemand.«

Mir lag bereits das: »Woher wollen Sie das wissen?«, auf der Zunge, doch ich zügelte mich gerade noch, lenkte ein. »Nicht uneinvernehmlich im eigentlichen Sinne. Eher … einvernehmlich uneinvernehmlich. Gewissermaßen.«

Wieder meinte ich, in seiner Miene dieses Lodern zu sehen, das selbst seine Augen für einen kurzen Moment verdunkelte. Aber es waren eben nur Sekundenbruchteile, viel zu vage, um mir wirklich sicher zu sein. Der Rest seines Gesichts, seiner aufrechten, in sich ruhenden und stark wirkenden Körperhaltung ließ keinerlei Rückschluss zu.

»Mein Job ist es nicht, die Vorlieben der Clubmitglieder zu hinterfragen«, entgegnete er immer noch in dieser leicht brummenden Tonlage, die mir ein feines Kribbeln im Nacken bescherte. Oder mir wurde so langsam in meinen verschwitzten Klamotten einfach nur kalt. »Ich schreite ein, wenn jemand gegen klar festgelegte Absprachen verstößt, und das war der Fall.«

Ich nickte rasch. »Das stelle ich nicht in Frage.«

»Gut. Dann schönen Abend noch.«

Das war deutlich – und er noch immer so was von im Recht. Dennoch – oder gerade deshalb – nagte seine durchaus schroffe Beendigung unseres Gesprächs, das nicht mal ein wirkliches gewesen war, an mir. Ich hasste es, so abgespeist zu werden. Eine provokante Entgegnung schluckte ich jedoch hinunter.

»Ebenso«, entgegnete ich nur mit sicherlich hörbarer Kühle in der Stimme und drehte mich um.

 

~~~~~

 

Eine gute Stunde später ließ ich mich frisch geduscht und mit einer riesigen Schüssel voll Bananenquark mit Haferflocken auf mein Sofa sinken. Ich tastete mit einer Hand nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein, während ich mir mit der anderen bereits den ersten Löffel in den Mund schob. Ich hatte wirklich Kohldampf!

Das unbestimmte Flattern im Magen, das mich seit der Begegnung vor dem Men’s Cage begleitete, blieb allerdings auch nach einem zweiten, dritten und vierten Löffel. Unwillig verzog ich den Mund, entschied mich nach kurzem Herumzappen für die neueste Folge eines Autosportmagazins und angelte mit der nun fernbedienungslosen Hand mein Smartphone vom Tisch. Wo wir gerade beim Herumzappen waren, konnte ich ja auch gleich noch ein bisschen Herumswipen …

Zwischen weiteren Löffeln Bananenquark öffnete ich Grindr und wischte direkt mal den ersten Kerl, den mir die App vorschlug, nach nur einem flüchtigen Blick beiseite. Ja, zugegeben, wenn’s ums Onlinedating und potenzielle Sexdates ging, war ich oberflächlich. Zumindest im ersten Moment. NaughtyBoy98 hatte ich eine Chance gegeben, weil er mich optisch durchaus angesprochen hatte. Aber nach ein paar Mal hin und her texten war der lose Kontakt auch schon wieder eingeschlafen. Nicht primär, weil ›naughty‹ sich bei ihm anscheinend ausschließlich auf eine Vorliebe für dirty talk beschränkte, sondern einfach, weil es gefühlt schon beim Schreiben nicht richtig matchte. Ein ansprechendes Profilbild war dann eben doch nicht alles. Aber nun mal das erste Kriterium, wonach ich in der App Ausschau hielt. Dementsprechend swipte ich auch noch bei den nächsten drei Kerlen weiter, beim vierten allerdings blieb ich hängen.

Vom Bildschirm schaute mir ein Kerl Anfang zwanzig mit braunen, leicht verwuschelt wirkenden Haaren und einem wirklich süßen Lächeln entgegen. Die Geste jungenhaft und verschmitzt in einem. Das Bild zeigte noch den Anschnitt seines nackten Oberkörpers, ließ eine schlanke Statur erahnen. Das war mein Typ! Nicht der massive Kerl von Security.

Ich schob mir eine weitere Bananenscheibe mit etwas Quark in den Mund und blinzelte das Handydisplay an. Den Kerl, der mir von dort aus zulächelte und der rein optisch so gar nichts mit besagtem Türsteher gemein hatte.

Während ich noch die Banane mit meiner Zunge am Gaumen zerdrückte, der intensiven Süße dort nachspürte, musterte ich XOlinusXO eingehend. Als ob mir die bloße Betrachtung seines Profilbildes Auskunft darüber geben könnte, ob und wenn ja, wie gut wir beide wohl miteinander matchen würden. Darauf zu hoffen, dass ein Kerl wie er mir das geben könnte, wonach ich mich in meinen dunkelsten Wünschen sehnte, hatte ich ja ohnehin fast schon aufgegeben. Und das war beileibe nicht die Schuld der Kerle, mit denen ich es bislang probiert hatte. Es war niemandes Schuld.

Vielleicht waren meine Fantasien ja auch eben nur das: Hirngespinste, die ich gern mal als Kopfkino beim Wichsen heranzog, aber im Realen nie ausleben würde. Nicht so und sicher nicht mit … ihm. Dem Türsteher des Men’s Cage. Zur Hölle, warum drifteten meine Gedanken ständig wieder zu ihm?

Dieser Mann entsprach nicht mal wirklich meinem Beuteschema. Zumindest nicht dem, welches mich normalerweise anzog, wenn es um ›normale‹ Dates ging. Nur dass mich ›normale‹ Typen und ›normaler‹ Sex eben nie lange fesseln konnten. Was ich heimlich suchte, war alles andere als ›normal‹ und es war nicht gerade so, als hätte ich das nicht bei Männern wie ihm bereits zu finden versucht. Aber irgendetwas hatte er an sich, das so ein winzig kleines Flämmchen in mir schürte. Diese Einbildung, er hätte so eine Aura, mit der er es schaffen könnte, dieses Flämmchen zu entfachen. Und zu einem verdammten, verheerenden Flächenbrand werden zu lassen.

Ich sollte mir das gar nicht vorstellen. Nicht mit ihm und vielleicht auch … generell nicht als etwas ansehen, das real werden könnte. Manches blieb eben doch besser innerhalb der eigenen Fantasie.

Und hey, Fantasien – wenn auch gänzlich andere – konnte der Kerl vor mir auf dem Display durchaus beflügeln. Rasch tippte ich sein Profil an und fand dort tatsächlich weitere Fotos. Unter anderem eines, das ihn in Badeshorts, mit einem Volleyball unter dem Arm, an einem Sandstrand zeigte. Offen grinste er in die Kamera.

Kurz entschlossen klickte ich die Bildergalerie weg, öffnete stattdessen das Messenger-Fenster und tippte: Hey du … :-)

 

Kapitel 4

~~~ Dirk ~~~

 

Kurz nach Mitternacht verließ der letzte Gast das Men’s Cage und ich schloss die Tür von innen ab. Für einen Donnerstag war das durchaus eine normale Uhrzeit, wenn man bedachte, dass einige der Gäste eben doch noch am nächsten Tag arbeiten mussten.

Mit dem Arm schlug ich den dicken Vorhang zur Seite, der den Windfang, in dem sich auch die Schließfächer befanden, und den Barbereich voneinander abtrennte. Linus war noch dabei, einen Tisch abzuwischen, aber die Theke war bereits fertig.

»Schluss für heute«, sagte er und strahlte mich an. »Feierabendbier?«

Ich schüttelte den Kopf. »Später«, knurrte ich mürrischer als beabsichtigt und das lag nicht daran, dass ich den Schulte rausgeworfen hatte. »Muss erst noch kurz mit Maik reden.«

»Ah, wegen der Sache mit Herrn Schulte?«

Ich brummte nur missmutig. Über Zwischenfälle, und waren sie noch so klein, wollte unser Chef immer informiert werden. Etwas, das ich ungemein an ihm schätzte, weil er jedes übergriffige Verhalten ernst nahm. Was mich jedoch wirklich ärgerte, war vielmehr meine Reaktion dem Polizisten gegenüber. Ihm war es vielleicht gar nicht aufgefallen, aber tatsächlich hatte er es geschafft, mich innerlich aufzuwühlen.

Im Gegensatz zu Tim, dem anderen Barkeeper des Clubs, fragte Linus nicht weiter nach und ich war verdammt froh darüber.

»Schönen Feierabend dir«, wünschte ich ihm und wuschelte ihm im Vorbeigehen durch seine braunen Haare, stockte im Schritt. Seine Haare zu zerzausen war keine bewusste Geste gewesen, aber eine, die ich sofort bereute. Immerhin hatte er jetzt einen Freund, da war das Verhalten unangebracht, oder?

Keine Überlegungen, die meine Laune hoben. Aber Linus’ Strahlen nach zu urteilen war es wohl okay, was mich ungemein erleichterte und gleichzeitig auch ein wenig besänftigte. Auch, wenn er jetzt quasi vergeben war und das vieles irgendwie … schwieriger machte.

»Das Bier kann ich mir gleich auch selbst holen«, sagte ich.

Gut möglich, dass er Besseres vorhatte, als auf mich zu warten.

»Mhm.«

Überzeugt klangt das nicht und ganz eventuell war er nachher ja doch noch da, wie ein kleiner, verräterischer Teil in mir hoffte.

Hastig umrundete ich die Bar und verließ den Raum über einen schmalen Flur, der gerade so das Mindestmaß eines Fluchtwegs erfüllte. Zumindest, wenn niemand Kisten darin abstellte.

Mit einem verstimmten Brummen nahm ich die aufeinandergestapelten Wasser- und Bierkisten und trug sie ins Lager, wo sie hingehörten. Was das anbelangte, gaben sich Linus und Tim nichts und ich konnte es gewissermaßen verstehen. Der Weg ins Lager war nun einmal weiter und wenn viel los war, ging es mit Kisten im Flur schneller. An den Sicherheitsaspekt dachte dabei erst einmal keiner.

Ich stellte die Kisten ordnungsgemäß ab, ehe ich den Sicherungskasten öffnete und die Beleuchtung des Clubs ausschaltete. Maik legte Wert darauf, Energie zu sparen. Weniger aus Kostengründen – denn da könnte er es sich locker leisten, das ganze Gebäude im amerikanisch-weihnachtlichen Stil erstrahlen zu lassen und das 24/7 an dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr. Nein, für Maik spielte der Umweltaspekt eine große Rolle und entsprechend ressourcenschonend ging er um.

Auf dem Weg den Flur entlang, zog ich meine Lederjacke aus und klopfte an die Bürotür.

»Ja?«, klang von drinnen und ich öffnete sie.

Maik gehörte zu den Personen, die schon von sich aus Autorität ausstrahlten, was sein respekteinflößendes Erscheinungsbild noch unterstrich. Selbst wenn er über den Rand seiner Brille hinweg aufsah, tat das seinem grundsätzlichen Auftreten keinen Abbruch. Er war jeden Abend hier und saß wie üblich hinter seinem Schreibtisch. Ich hatte ehrlicherweise keine Ahnung vom Job eines Clubbesitzers. Von daher fragte ich mich nicht zum ersten Mal, was er die ganze Zeit über trieb, wenn er hier war – außer vielleicht sich in seinem eigenen Club zu vergnügen. Aber im Gegensatz zu seinen wesentlich jüngeren Subs spielte Maik meines Wissens nach nur noch selten. Das mochte möglicherweise seiner Lebenserfahrung und einer damit verbundenen Müdigkeit geschuldet sein. Während ich meine Neigungen einsperrte, hatte er sie jahrzehntelang ausgelebt. Für ihn hatte es nach eigener Aussage seinen Reiz verloren und mir war es das Risiko nicht wert. Einvernehmlich uneinvernehmlich konnte eben auch sehr schnell drüber sein und dann wurde es zu einem ernsthaften Problem.

»Ah, Dirk. Setz dich«, sagte Maik, der irgendwelchen Papierkram in den Händen hielt, den er dann zur Seite legte.

Ich kam der Aufforderung nach und kaum, dass ich saß, schob Maik mir eine Mappe über den Tisch hinweg zu.

»Da kam wieder Infopost mit Seminaren und Weiterbildungsmöglichkeiten. Gib Bescheid, wenn dich irgendetwas davon anspringt.«

»Ich schau’s mir an«, versprach ich ihm, obwohl ich die Mappe nicht sofort an mich nahm. Sowohl er als auch ich legten Wert darauf, dass ich auf dem Laufenden blieb.

»Hat Elias schon mit dir geredet?«, fragte ich.

Natürlich konnten sich Maiks Subs im Club vergnügen, wie sie wollten, aber tatsächlich hatten sie auch die Aufgabe, einen Blick auf die Gäste zu werfen und mich notfalls zu informieren. Wie es Elias vorhin getan hatte.

»Mhm. Das Konzept, dass eine einmalige Einladung zu einer Session zu dritt nicht grundsätzlich gilt, hatte Herr Schulte wohl noch nicht verinnerlicht. Hast du es ihm noch einmal deutlich gemacht?«

»Hab ich …« Ich zögerte, inwiefern ich meine Vermutung aussprechen sollte.

»Aber?«, hakte Maik nach.

Ich neigte meinen Kopf und zuckte dann mit den Schultern. »Was ich glaube oder nicht, tut nichts zur Sache.«

»Dirk, wir kennen uns lange genug und in der Regel ist auf deine Menschenkenntnis Verlass. Also lass mich bitte nicht noch mal nachfragen.«

»Ich denke, dass da Gefühle im Spiel sind.«

Maik seufzte verstimmt und rieb sich die Stirn.

»Du wolltest es hören …«, sagte ich grinsend, obwohl meine Annahme nur dazu führen würde, dass es bald wieder Stress geben würde. Wenn ich Pech hatte, würde der dann nicht mehr so leicht aus der Welt zu schaffen sein wie heute.

»Wie kommst du darauf? Gab es noch irgendwelche Probleme?«

Eigentlich war es klar gewesen, dass Maik nachhakte, und eigentlich ging es hier gerade um Herrn Schulte. Trotzdem glitten meine Gedanken bei der Frage unweigerlich ab.

›Nicht uneinvernehmlich im eigentlichen Sinne. Eher … einvernehmlich uneinvernehmlich. Gewissermaßen.‹

Ich grummelte über mich selbst, dass mir wieder diese verdammte Aussage durch den Kopf geisterte. Denn das hatte sie zuverlässig den ganzen Abend über getan.

»Dirk?« Erst Maiks Nachfrage führte mir vor Augen, dass ich vor mich hingeschwiegen hatte und ihm noch eine Antwort schuldig geblieben war.

»Nein, keine Probleme.« Außer ein Polizist, der vorrangig mir persönlich auf die Nerven ging. »Ist nur ’ne Vermutung. Schulte kennt die Regeln und er war bisher noch nie auffällig. Dafür hat er schon extrem reagiert, als ich ihn aus dem Raum rausgeholt habe.«

»Hm. Wir werden es beobachten. Noch irgendetwas?«

Ich brummte vor mich hin. »Draußen kam noch ein Polizist dazu. War wohl privat unterwegs und hat es am Rande mitbekommen.«

»Und?«

»Nichts und«, erwiderte ich gereizter als beabsichtigt.

Es war ja nicht das erste Mal, dass ich mir dumme Sprüche anhören musste, oder jemand unterschwellig versuchte nachzuhören, ob nicht doch etwas im Argen lag. Weniger bei dem eigentlichen Vorfall, sondern viel eher im Club selbst. Der Polizist von vorhin schien mir auf den ersten Blick nicht darauf aus gewesen zu sein. Aber wissen tat man es am Ende nie und tatsächlich hatte Maik durchaus ein Interesse daran, auch über solche Vorfälle informiert zu werden. Schließlich riefen wir nicht ohne Grund nur selten die Polizei. In der Regel war nämlich allen Beteiligten daran gelegen, die Dinge im kleinen Kreis zu klären. Daher versuchten wir, im Rahmen unserer Möglichkeiten, auffälliges Verhalten zu unterbinden, bevor es zu einem ernsten und auch rechtlich relevanten Problem wurde.

»Er hat lediglich ein wenig unbeholfen nachgefragt und damit bei mir persönlich einen Nerv getroffen. Das hat nichts mit dem Club zu tun, okay?«

Maik brach in Gelächter aus, was an der Stelle weder hilfreich war noch zur Besserung meiner Laune beitrug. »Den Kerl, der dich aus der Reserve lockt, würde ich echt mal gern treffen.«

»Leck mich, Maik«, knurrte ich und stand auf, um mir mein wohlverdientes Feierabendbier zu gönnen – ohne ihn!

 

Linus saß tatsächlich noch auf einem Barhocker an der Theke und war in sein Handy vertieft. Dass er extra auf mich gewartet hatte, weckte sofort das warme Kribbeln in meinem Bauch und vertrieb jegliche trüben Gedanken. Zumindest in etwa so lange, bis ich bei ihm war und mich gerade noch davon abhalten konnte, von hinten meine Arme um ihn zu schlingen und ihn einfach nur festzuhalten. Aber seit wir nicht mehr zusammen waren, versuchte ich wenigstens einen gewissen Abstand zu halten. Es war absurd, wie schnell ich mich an diese kleinen Gesten gewöhnt hatte. Ihr Fehlen schmerzte extrem und ich fühlte mich plötzlich selbst in Linus’ Anwesenheit allein.

Neben ihm sank ich nieder und griff über die Theke hinweg nach dem Bier, das dort genauso einsam für mich bereitstand.

»Oh, sorry, tut mir leid. War gerade in Gedanken«, sagte Linus und rang sich ein halbherziges Lächeln ab.

Sein Handy legte er allerdings nicht beiseite, weshalb ich nicht nur: »Was ist los?«, fragte, sondern auch einen flüchtigen Blick auf das Display warf, das mir ein gutaussehendes und vor allem erstaunlich bekanntes Gesicht zeigte. Dazu noch einen ziemlich ansehnlichen nackten Oberkörper. Damit war dann geklärt, warum dieser Polizist einen besonderen Blick auf das Men’s Cage geworfen hatte und ebenso konnte ich nun seine Aussagen anders einordnen. Der Kerl stand nicht nur auf Männer, er hatte offenkundig auch andere Vorlieben oder war ihnen gegenüber zumindest offen.

Ich schnaubte und zwang meinen Blick von den feingeschnittenen Gesichtszügen des Kerls und vor allem von dem herausfordernden Blitzen in seinen graublauen Augen weg. Stattdessen widmete ich mich meiner Bierflasche.

»Jaaa, ich weiß, ich hätte mein Grindr-Profil schon lange deaktivieren sollen«, beichtete Linus mir, weil er natürlich nicht wissen konnte, dass meine Reaktion dem Kerl galt. »Bei dir hatte ich das auch!«

Meine Lippen versuchten sich an einem Lächeln, das doch verkümmerte. »Warum hast du es dann jetzt nicht?«, hakte ich nach und überging seine letzte Aussage. Er war mir keine Rechenschaft schuldig. Weder damals noch heute.

»Tja, wenn ich das mal wüsste«, murmelte Linus betrübt und warf mir einen scheuen Blick zu. »Mit dir war das anders …« Da war so ein hoffnungsvolles Funkeln in seinen grünbraunen Augen, das da nicht sein sollte.

»Und?«, erwiderte ich tonlos. »Hat trotzdem nicht funktioniert.«

Linus sah wieder zu dem Kerl auf seinem Display und ich nippte an meinem Bier. »Das hat es leider nicht …«, murmelte er vor sich hin und ich hörte, nein, spürte seine Enttäuschung förmlich, weil ich sie selbst noch immer fühlte.

Auf einer rein emotionalen Ebene harmonierten wir perfekt miteinander. Nur reichte das nicht aus, um eine glückliche Beziehung zu führen. Unsere sexuellen Vorlieben gingen nun einmal weit auseinander. Ich stand auf Überwältigungsszenarien, hätte darauf aber verzichten können. Es war Linus zu heftig, auch wenn er es gern mal härter mochte. Kuschelsex, den ich zwischendurch gern mochte, wiederum war ihm zu soft. Für ein Dazwischen fehlte mir jedoch der Reiz, was sich Linus extrem zu Herzen genommen und auf sich bezogen hatte. Ganz gleich, was ich ihm sagte oder beteuerte. Wir hatten festgehangen und uns letztendlich für die Freundschaft entschieden, weil sie uns beiden zu viel bedeutete, um sie zu verlieren.

»Gestern hast du noch nicht gezweifelt«, stellte ich daher als Freund fest. »Was hat sich geändert?«

»Nichts … denke ich … aber der ist schon heiß.«

»Ist er«, gab ich mit einem schrägen Grinsen zu. »Hättest ihn persönlich treffen können, als ich den Schulte rausgeworfen habe.«

Linus’ Blick flog zu mir. »Du verarschst mich!«

»Nein«, erwiderte ich lachend und wurde doch wieder ernst. »Er hat sich draußen eingemischt. Ist Polizist. Bringt uns gerade aber nicht weiter, was bei dir los ist.«

Linus seufzte gequält. »Ich kann’s dir nicht mal sagen. Sven ist schon gut so, wie er ist. Aber irgendwie fehlt mir was bei ihm, das ich bei dir immer hatte …«

Jedes Wort ätzte sich in mich. »Linus, du bist am Mittwoch noch zu mir gekommen und hast mir freudig von deinem neuen Freund –«

»Den du übrigens nie beim Namen nennst.«

»Ja, will ich nicht, okay?«, raunzte ich ihn an.

Er nickte nur verhalten, was mir umso bewusster machte, wie harsch ich wirklich geklungen haben musste. Aber mein Maß für heute war vermutlich schon vorgestern erreicht gewesen. Denn verdammt, es tat weh und ich mochte seinen neuen Freund rein aus Prinzip nicht! Das war nicht fair, aber die Wahrheit, die ich mir im Stillen gerade eingestand. Ebenso, dass ich ihn vorgestern angelogen hatte, denn womöglich kam ich doch nicht klar.

Schweigend saßen wir nebeneinander und starrten vor uns hin. Linus hatte das Handy weggelegt und traute sich wohl auch nicht, es noch mal anzufassen. Dabei sollte wenigstens er glücklich sein, wenn ich es für mich schon abgehakt hatte.

»Warum ist die Welt heute plötzlich nicht mehr in Ordnung? Hm?«, fragte ich und bemühte mich um einen versöhnlicheren Tonfall.

»Ich habe mich bei dir immer angekommen und geborgen gefühlt, das fehlt mir bei ihm.«