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Bastian: Anstrengende Mandanten sind nichts Ungewöhnliches für mich. Aber dieser Matt übertrifft alles mit seiner provokanten Art. Gehört wohl zu seinem freizügigen Job dazu. Ich sollte das gar nicht an mich heranlassen, immerhin weiß ich, dass mir ein Mann wie er niemals geben könnte, wonach ich mich sehne. Aber verdammt, irgendetwas hat er an sich, weswegen ich in seiner Nähe immer wieder meine Contenance verliere. Bis ich ihm eines Tages ein unüberlegtes und verruchtes Angebot mache … Wie konnte ich ihm nur diese Wette vorschlagen? Matt: Bastian Hohenwarth entspricht wirklich jedem Klischee eines Anwalts: Er ist aalglatt, distanziert … und verdammt heiß. Auf eine zugeknöpfte Art. Dass wir immer wieder aneinandergeraten, macht den Reiz, ihn zu verführen, nur größer. Aber leider bin ich mit meinen rechtlichen Problemen auf ihn angewiesen. Die Wette mit ihm lasse ich mir trotzdem nicht entgehen: einen Tag an seiner Seite, ohne mich zu blamieren. Er hat ja keine Ahnung, wie wenig Schamgefühl ich besitze. Stellt sich eher die Frage, ob er mir einen ganzen Tag – und eine Nacht – lang gewachsen ist. Denn bei dem Event, zu dem ich ihn begleiten soll, gibt es wenig Raum, um einander nicht näherzukommen … ~~~~~ In »The Fake-Date-Arrangement – Wette (nicht) mit einem Anwalt« erwarten dich romantische Spaziergänge am Wasser, impulsive Küsse im Hausflur, hitzige Wortgefechte und spannungsgeladene Momente in Szeneclubs. Haters to Lovers Vibes und Gegensätze, die sich anziehen, inklusive. »Lawyers & Lovers« ist eine gefühlvolle und prickelnde MM Romance Reihe. In jedem Band findet ein anderer Anwalt seinen Mann fürs Leben, sodass alle Bände der Reihe unabhängig voneinander gelesen werden können. Hier und da tauchen jedoch bekannte Gesichter am Rande wieder auf.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Copyright © 2025 Svea Lundberg
Julia Fränkle-Cholewa
Zwerchweg 54
75305 Neuenbürg
www.svealundberg.net
Lektorat: Tanya Carpenter
Covergestaltung:
Fenja Wächter / www.fenjas-coverdesign.de
Bildnachweise:
© Dragosh - stock.adobe.com
© Daniel Fröhlich - stock.adobe.com
© kaiskynet - stock.adobe.com
Buchsatz:
Annette Juretzki / www.annette-juretzki.de
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte sind vorbehalten.
Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
Bastian:
Anstrengende Mandanten sind nichts Ungewöhnliches für mich. Aber dieser Matt übertrifft alles mit seiner provokanten Art. Gehört wohl zu seinem freizügigen Job dazu. Ich sollte das gar nicht an mich heranlassen, immerhin weiß ich, dass mir ein Mann wie er niemals geben könnte, wonach ich mich sehne. Aber verdammt, irgendetwas hat er an sich, weswegen ich in seiner Nähe immer wieder meine Contenance verliere. Bis ich ihm eines Tages ein unüberlegtes und verruchtes Angebot mache … Wie konnte ich ihm nur diese Wette vorschlagen?
Matt:
Bastian Hohenwarth entspricht wirklich jedem Klischee eines Anwalts: Er ist aalglatt, distanziert … und verdammt heiß. Auf eine zugeknöpfte Art. Dass wir immer wieder aneinandergeraten, macht den Reiz, ihn zu verführen, nur größer. Aber leider bin ich mit meinen rechtlichen Problemen auf ihn angewiesen.
Die Wette mit ihm lasse ich mir trotzdem nicht entgehen: einen Tag an seiner Seite, ohne mich zu blamieren. Er hat ja keine Ahnung, wie wenig Schamgefühl ich besitze. Stellt sich eher die Frage, ob er mir einen ganzen Tag – und eine Nacht – lang gewachsen ist. Denn bei dem Event, zu dem ich ihn begleiten soll, gibt es wenig Raum, um einander nicht näherzukommen …
In »The Fake-Date-Arrangement – Wette (nicht) mit einem Anwalt« erwarten dich romantische Spaziergänge am Wasser, impulsive Küsse im Hausflur, hitzige Wortgefechte und spannungsgeladene Momente in Szeneclubs. Haters to Lovers Vibes und Gegensätze, die sich anziehen, inklusive.
»Lawyers & Lovers« ist eine gefühlvolle und prickelnde MM Romance Reihe. In jedem Band findet ein anderer Anwalt seinen Mann fürs Leben, sodass alle Bände der Reihe unabhängig voneinander gelesen werden können. Hier und da tauchen jedoch bekannte Gesichter am Rande wieder auf.
Bisher innerhalb der Reihe »Lawyers & Lovers« erschienen:
Band 1: »Intoxicated Love – Spiel (nicht) mit einem Anwalt« (c) Svea Lundberg (Arjen & Dean)
Band 2: »Disrupted Heartbeats – Spiel mit den Herzen« (c) Lili B. Wilms (Leif & Gael)
Band 3: »The Fake-Date-Arrangement – Wette (nicht) mit einem Anwalt« (c) Svea Lundberg (Bastian & Matt)
Band 4: »The Boyfriend-Arrangement – Ein Escort für den Anwalt« (c) Lili B. Wilms (Alvaro & Martin)
Liebe*r Leser*in,
ich freue mich, dass du dieses Buch in der Hand hältst und in Bastians und Matts Geschichte eintauchen möchtest. Ehe du das tust, möchte ich dir noch ein paar Infos vorab geben:
Bei »The Fake-Date-Arrangement« handelt es sich um Band 3 der LAWYERS & LOVERS Reihe, die ich gemeinsam mit meiner Kollegin und Freundin Lili B. Wilms schreibe. Alle Bände der Reihe sind in sich abgeschlossen und unabhängig voneinander lesbar, da in jeder Geschichte ein anderer Anwalt seine Liebe fürs Leben findet. Bastian und Matt aus »The Fake-Date-Arrangement« tauchen allerdings als Nebencharaktere in Lilis »The Boyfriend-Arrangement« auf, sodass wir dir sehr ans Herz legen wollen, beide Romane zu lesen. Ebenso wirst du in diesem Buch hier kleine Teaser auf Lilis Roman und auch auf einen der noch folgenden LAWYERS & LOVERS Bände finden.
Bevor du nun mit dem Roman startest, möchte ich dich noch auf die Content Notes aufmerksam machen.
In diesem Buch wird der Konsum von Rauschmitteln (Alkohol und Poppers) geschildert. Außerdem werden internalisierte Queerfeindlichkeit, Bi-Erasure und toxische Heteronormativität thematisiert.
Ich hoffe, du hast viel Freude mit Bastians & Matts Geschichte!
Viele schöne Lesestunden wünscht dir
Svea
APRIL
Es gab wirklich nicht viel, was mich beim Wichsen hätte unterbrechen können. Wäre jemand hereingekommen, hätte ich wahrscheinlich nur gegrinst und so etwas gesagt wie: »Sorry, Business«, und denjenigen gebeten, mir nicht ins Bild zu laufen. Aber ein Anruf von meinem neuen Steuerberater gehörte definitiv zu den Dingen, die mich zumindest kurz innehalten ließen.
Die Hand noch um meinen harten Schwanz geschlossen, starrte ich aufs Display meines Smartphones. In der Ecke rechts oben leuchtete nach wie vor der Button für die Aufnahme. Mittig blinkte allerdings: Steuerbüro Wulff ruft an. Grandios mieses Timing! Mein Schwanz pochte und ich war so verdammt kurz davor, meinen Followern den perfekten Solo-Cumshot zu liefern. Je länger das Summen des Vibrationsalarms jedoch anhielt, desto weniger Lust hatte ich, zu kommen. Sogar mein Schwanz schien abgeturnt von dem Anruf und büßte ein wenig an Härte ein.
Die vom Steuerbüro waren aber auch wirklich hartnäckig. Müsste nicht langsam mal meine Mailbox anspringen?
Schnaubend ließ ich meinen Schwanz los und griff mit der anderen Hand – der nicht von Speichel und Lusttropfen feuchten – nach dem Smartphone. Es aus der Halterung zu pfriemeln, war einhändig gar nicht mal so einfach. Kaum hatte ich es geschafft, erstarb die Vibration und die Displayanzeige verschwand. Echt jetzt?
Ich war wirklich versucht, Smartphone und Stativ direkt wieder aufzustellen und da weiterzumachen, wo mich – vermutlich – eine Mitarbeiterin der Steuerkanzlei unterbrochen hatte. Aber ich musste nicht nach unten sehen, um zu wissen, dass ich gerade wieder von vorne anfangen konnte. Nicht, dass ich keinen Harten mehr hätte – auf meine Standkraft war Verlass. Zumindest meistens. Aber ›kurz vor Orgasmus‹ war definitiv etwas anderes.
Mit einem Tippen aufs Display beendete ich kurzentschlossen die Aufnahme, vergewisserte mich allerdings, dass sie gespeichert war. Ich würde nachher einen neuen Clip drehen – mit Cumshot dieses Mal – und die beiden Aufnahmen zusammenschneiden. Wenn ich Kamera und Licht anders positionierte, hatte ich so zumindest den Vorteil, das Wichsvideo aus zwei unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen zu haben. Immer das Positive sehen!
Ich zog die Box mit Papiertüchern zu mir heran, die auf dem Couchtisch stand, und wischte mir rasch die Hand ab. Überlegte nur ganz kurz, ob ich mir zumindest schnell eine Shorts überziehen sollte. Aber scheiß drauf! Ich hatte ja nicht vor, einen Videocall zu machen.
Zum Steuerbüro Wulff war ich durch Lucys Empfehlung gekommen. Weil sie meinte, Herr Wulff kenne sich ›mit unserem Business‹ aus und gehe vorurteilsfrei an die Sache heran. Man konnte durchaus darüber streiten, ob FSK-18-Video-Content für OnlyFans zu drehen und als Prostituierte in der Herbertstraße zu arbeiten, wirklich dasselbe Business war. Heruntergebrochen wohl schon: Sex für Geld. Etwas, das man vor einem Steuerberater – und dem Finanzamt – erst mal erklären musste.
Im Gegensatz zu mir selbst nahm die Sekretärin nach nur zweimaligem Freizeichen ab.
»Steuerbüro Wulff, Dürr am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?«
›Sie könnten das nächste Mal warten, bis ich abgespritzt habe‹ – das sagte ich natürlich nicht.
»Matt Vogt, hallo. Sie haben eben versucht, mich zu erreichen.«
»Matt …« Die gerunzelte Stirn war ihr regelrecht anzuhören. »Ah, ja, Matthias Vogt, richtig?«
Ich verdrehte die Augen darüber, dass sie auf meinen vollen Namen bestand. Aber okay, penibel zu sein, gehörte wahrscheinlich zur Berufsbezeichnung eines Steuerberaters und seiner Angestellten. Retrospektiv betrachtet wäre ich froh gewesen, mein ehemaliger Steuerberater hätte ordentlicher gearbeitet.
»Ja.«
»Gut, dass Sie zurückrufen. Herr Wulff hat die Unterlagen geprüft, die Sie vorbeigebracht haben und es … gibt da ein Problem. Er bittet Sie, zu einem persönlichen Termin vorbeizukommen.«
Okaaay, das klang irgendwie nicht gut. Ich hatte mit meinem alten Steuerberater schon länger ein ungutes Gefühl gehabt, weil er schlicht unzuverlässig gewesen war, was terminliche Absprachen anging und ich ihm mehrfach hatte hinterhertelefonieren müssen. Was noch nerviger war, als wenn er einen Dreh gecrasht hätte. Außerdem war immer ziemlich deutlich gewesen, was er von meinem zweiten beruflichen Standbein hielt. Alles Gründe, um mich nach einer besseren Alternative umzuhören. Damit, dass es nun ›ein Problem‹ gab, das meine persönliche Anwesenheit erforderte, hatte ich nicht gerechnet.
»Hab ich unwissentlich Steuern hinterzogen?«, fragte ich und grinste schief, stellte dabei allerdings fest, dass meine Stimme nicht amüsiert klang. Mein Herzklopfen war auch nicht nur aufs vormalige Wichsen zurückzuführen.
»Ich darf Ihnen keine Auskünfte geben, Herr Vogt. Das bespricht mein Chef persönlich mit Ihnen. Wie könnten Sie es sich denn einrichten, vorbeizukommen?«
»Ginge heute?«, hakte ich direkt nach. Mal abgesehen davon, dass ich heute und morgen im Betrieb frei hatte und demnach zeitlich flexibler war, wollte ich dieses Gespräch definitiv schnell hinter mich bringen. Oder alternativ gar nicht wissen, was ich – unwissentlich! – verbrochen hatte.
»Hmm …« Das Rascheln von Papier drang leise durch die Verbindung und ließ vermuten, dass Frau Dürr in einem Kalender blätterte. Faszinierend, ich hatte ja gedacht, das sei heutzutage alles digital. »Siebzehn Uhr?«
»Heute? Ja. Ja, das geht auf jeden Fall.«
»Gut, dann bis später, Herr Vogt.«
»Ja, bis dann. Ciao.«
»Auf Wiederhören.«
Langsam ließ ich das Handy sinken. Hinter meinen Rippen pochte mein Herz einen nervösen Takt. Mein Schwanz indessen hatte endgültig die Segel gestrichen. Jetzt hatte ich definitiv keinen Nerv mehr, einen Cumshot zu drehen.
~~~~~
»Ich habe bitte was?« Meine Stimme war lauter, als ich es beabsichtigt hatte. Über den massiven Schreibtisch hinweg starrte ich Herrn Wulff ungläubig an.
Seine Miene indessen blieb stoisch. »Die Umsatzsteuer vier Jahre lang doppelt bezahlt. Oder eigentlich viereinviertel, wenn man die Zahlung miteinrechnet, die Sie im aktuellen Jahr bereits für das erste Quartal geleistet haben.«
Das war doch …
»Wie kann so etwas denn passieren?«
Zugegeben, zu viel bezahlt zu haben, war besser, als aus Versehen Steuern hinterzogen zu haben, aber …
»Das sind ja«, fiel ich Herrn Wulff ins Wort, noch ehe der mir eine Antwort geben konnte, »mehrere tausend … zehntausende Euro.« Keine Ahnung, wie viel genau. Ich hatte null Plan von all diesem Finanz- und Buchhaltungskram. Ich war früher schon immer an der jährlichen Steuererklärung schier verzweifelt, als ich nur meinen Vollzeitjob als Tischler gehabt hatte. Genau aus diesem Grund hatte ich mir sofort, als OnlyFans den ersten Gewinn abgeworfen hatte – der nebenbei bemerkt ein unerwartet großer Batzen gewesen war – einen Steuerberater gesucht. Weil mein Kumpel, der mir bis dato meist mit der Steuererklärung geholfen hatte, meinte, eine selbstständige Tätigkeit mit anzugeben, traue er sich selbst nicht zu. Da es dabei einige Stolpersteine gab.
Ja, offensichtlich war ich über einen davon ganz gehörig auf die Fresse gefallen. Trotz Steuerberater!
Mittlerweile hatte Herr Wulffs Gesichtsausdruck beinahe etwas Mitleidiges an sich. »Dreißigtausend«, präzisierte er meine lapidare Einschätzung.
»Bitte? Fu–«, den Fluch schluckte ich gerade noch rechtzeitig hinunter. »Fulminant viel, meine ich.«
Herr Wulff nickte. »Um auf Ihre Frage zurückzukommen, wie so etwas passieren kann: Leider gibt es immer wieder Fälle, in denen ich feststellen muss, dass Kollegen«, die Art, wie er das Wort betonte, zeigte deutlich, dass er meinen ehemaligen Steuerberater nicht wirklich als einen solchen betrachtete, »nicht mit dem Reverse Charge Verfahren vertraut sind.«
»Reverse-was?« Ich kannte nur die Sexstellung Reverse-Cowgirl – oder eben Cowboy.
»Reverse Charge«, wiederholte Herr Wulff geduldig. »Nicht Sie als Content Creator sind verpflichtet, die Umsatzsteuer abzuführen, sondern die Firma, die die Plattform betreibt, muss dies tun. Es gab hierzu sogar vor einiger Zeit ein Urteil des EuGH.« Er maß mich mit einem fragenden Blick und ergänzte dann: »Europäischer Gerichtshof.«
Ja, das wusste ich auch, war ja nicht blöd. Nur völlig unwissend, was all diesen Steuerkram anging. Ich verkniff mir allerdings jeglichen Kommentar, war gerade schlicht ein wenig überfordert mit der Info, dass ich anscheinend jahrelang viel zu viel Kohle an den Staat abgedrückt hatte.
»Wie kann so etwas nicht auffallen?«, sprach ich laut aus, was mir durch den Kopf ging.
»Nun, wie gesagt, offenbar kannte sich Herr …«
»Tamm.«
»… Herr Tamm nicht mit dem Reverse Charge Verfahren aus und hat sich schlicht nicht um das Urteil des EuGH gekümmert. Tatsächlich war es bis dato eine Streitfrage, welche Art der Leistung Content Creator bei Platformen wie OnlyFans erbringen. Das EuGH geht von einer Leistungskommission aus und hat damit bestätigt, dass es sich um B2B-Dienstleistungen handelt, die Sie an die Plattforminhaber erbringen und die wiederum an die Abonnenten. Das bedeutet, dass Content Creator mit einem steuerlichen Wohnsitz innerhalb der EU keine Umsatzsteuer abführen müssen.«
Nun rauchte mein Kopf erst recht. Zumindest sinnbildlich.
»Wie sind Sie bei Ihrem ehemaligen Steuerberater gelandet, sagten Sie?«
Verwirrt von dem Gedankensprung blinzelte ich Herrn Wulff einmal an. »Äh … Google.« Tatsächlich hatte ich damals einfach nach einem Steuerberater in der Umgebung gesucht und den genommen, der mit dem Fahrrad oder den Öffentlichen am einfachsten zu erreichen war. Nicht meine klügste Entscheidung offensichtlich.
»Verstehe. Dann ist es ja gut, dass Sie nun hier sind.«
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Das hoffe ich.«
»Ganz gewiss.« In einer geschäftigen Geste schob Herr Wulff die Ärmel seines Hemdes nach hinten. »Also, was wir nun tun werden, ist, alle offenen Veranlagungen zu ändern, und sämtliche Steuerbescheide rückwirkend zu prüfen.«
Erneut beschleunigte mein Herzschlag den Takt. »Bedeutet, ich bekomme das Geld zurück?«
Herr Wulff wiegte den Kopf zur Seite. »Nun ja, so einfach ist das leider nicht. Grundsätzlich können wir für Sie die Umsatzsteuer aufgrund dieses EuGH-Urteils zurückfordern. Wir müssen allerdings prüfen, inwieweit die Bescheide bereits rechtskräftig sind, beziehungsweise eine Aufhebung des Vorbehalts einer Nachprüfung beinhalten.«
Jesus, ey, ich verstand echt nur Bahnhof.
»Aber keine Sorge«, sein schmales Lächeln bekam nahezu etwas Väterliches. Oder Mitleidiges, aufgrund meiner vollkommenen Unwissenheit. War mir gerade aber auch ziemlich egal, solange ich meine Kohle wiederbekam. »… wir sind an Ihrer Seite.«
Die Hoffnung, die vage in mir aufkeimte und den vormaligen Schreck linderte, mischte sich mit einem anderen Gefühl: Zorn.
»Und mein ehemaliger Steuerberater? Kann ja nicht sein, dass ich jahrelang dafür bezahlt habe, dass er seinen Job nicht anständig macht.«
Das war ja beinahe so, als würde ich der Kundschaft in der Holzbaufirma ein Regal anfertigen, das zusammenbrach, sobald sie eine Vase darauf abstellten. Okay, zugegeben, der Vergleich hinkte – but I’m sorry, was sollte das?
»Nun, in meinen Augen liegt hier eine klare Pflichtverletzung vor. Sie können durchaus in Betracht ziehen, Schadensersatz von diesem Herrn Tamm zu fordern.«
»Können Sie das auch übernehmen?« Noch als ich die Frage stellte, ahnte ich die Antwort bereits.
Herrn Wulffs Miene verdüsterte sich ein wenig. »Nein. Dazu werden Sie einen Anwalt konsultieren müssen.«
Mist! Ich hatte eigentlich wenig Lust, mich noch mal auf jemanden zu verlassen, den ich nicht kannte. Mit Herrn Wulff war es okay, weil ich wusste, dass er bereits Lucy und – laut ihr – einige ihrer Kolleginnen gut beraten hatte. Außerdem gab er mir allein dadurch ein gutes Gefühl, dass er mich wegen meines Jobs nicht schräg anschaute.
»Haben Sie eine Rechtsschutzversicherung?«
»Äh … bestimmt.« Dunkel meinte ich, mich daran zu erinnern, so etwas abgeschlossen zu haben. Hoffte ich zumindest. »Können Sie mir einen Anwalt empfehlen?« Auf Googlebewertungen würde ich mich definitiv nicht mehr verlassen.
Herr Wulff seufzte. »Unter uns gesagt haben viele Steueranwälte weniger Ahnung von Steuerrecht als wir Steuerberater. In meinen Augen sollten wir unsere Mandanten vollumfänglich vertreten dürfen. Aber nun ja, vor den Gerichten herrscht leider Anwaltspflicht.«
Na ganz grandios! Das klang ja wenig vertrauensschürend.
»Da es also nicht anders möglich ist, wenden Sie sich an die Kanzlei Hartmann & Hohenwarth. Mit dieser haben wir schon einige Male zufriedenstellend zusammengearbeitet.«
»Zufriedenstellend?«
Schmunzelnd begegnete Herr Wulff meinem skeptischen Blick. »Wirklich zufriedenstellend. Herr Hohenwarth ist ein guter Anwalt. Ein bisschen verstockt vielleicht. Aber das muss Sie ja nicht kümmern. Der Ehrgeiz steht ihm quasi auf die Stirn geschrieben. Er wird sich an diesem Herrn Tamm festbeißen.«
»Na dann … Geben Sie mir die Nummer, oder …?«
»Meine Damen können alles in die Wege leiten, wenn Sie das möchten.« Er nickte in Richtung der breiten Glasfront, die sein Büro vom Empfangsbereich der Steuerkanzlei abtrennte und damit zu Frau Dürr und deren Kollegin.
Kurz zögerte ich, weil es mir ›aus Gründen‹ nicht so ganz behagte, das aus der Hand zu geben.
Als hätte Herr Wulff meine Zweifel gespürt, setzte er hinzu: »Herr Hohenwarth – oder vielmehr eine der Sekretärinnen – wird sich dann bei Ihnen melden. Zeitnah, hoffe ich. Ich sage meinen Damen, dass sie Druck machen sollen.«
»Okay, gut.« Ein wenig beruhigter atmete ich aus und konnte spüren, wie meine Schultern hinabsanken. Entspannt war ich allerdings weiß Gott nicht. Ich hoffte, dieser Herr Hohenwarth machte einen guten Job. Auf keinen Fall konnte es angehen, dass dieser Möchtegern-Steuerberater-Tamm ungeschoren davonkam. Ich war eigentlich kein rachsüchtiger Typ. Aber ey, dreißigtausend! Ich kam darauf immer noch nicht klar.
Während der Barista meinen gewünschten Latte macchiato mit einem Schuss Karamellsirup versüßte, schob ich mein Portemonnaie zurück in meine Gesäßtasche. Zupfte anschließend mein in unterschiedlichen Grautönen kariertes Sakko wieder zurecht. In diesem war es, da ich darunter einen feinen Rollkragenpullover aus Kaschmir trug, im Inneren des Cafés zu warm. Aber draußen wehte seit der vergangenen Nacht ein für die Hafenstadt typischer frischer Wind.
Über den Tresen hinweg schob mir der Barista meinen mitgebrachten To-go-Becher zu. »Schönen Tag, bis morgen«, kommentierte er den Umstand, dass ich tatsächlich fast jeden Morgen auf dem Weg zur Kanzlei hier meinen Kaffee mitnahm. Außer, ich hatte schon früh morgens einen Termin bei Gericht.
»Danke, ebenso.« Ich ging einen Schritt beiseite, um dem nächsten Kunden in der Schlange Platz zu machen. Im selben Moment, in dem eine Frau, geschätzt etwa in meinem Alter, in meinen Weg trat.
»Hi. Sie sind öfter hier, oder?« Vielsagend deutete sie auf den To-go-Becher. Keines dieser Pappteile, die man bei einer einmaligen Bestellung erhielt, sondern einer aus Bambus, den ich stets in meiner Aktentasche hatte.
»Ja.«
»Gut.« Sie lächelte mich so breit an, als freute sie sich tatsächlich über diesen Umstand. »Dann kannst du mir vielleicht bei der Muffinauswahl helfen.«
Warum sollte ich? Woher sollte ich wissen, welchen Muffin sie mochte? Und vor allem: Warum duzte sie mich plötzlich?
Ich setzte bereits zu einer distanzierten Entgegnung an, doch etwas in ihrer Miene ließ mich stocken.
Sie legte den Kopf leicht schief, sodass ihr einige Strähnen ihrer blonden, lockigen Haare über die Schulter rutschten, und blinzelte mich von unten herauf an. »Welchen magst du am liebsten?«
Jetzt fiel auch bei mir der Groschen: Sie flirtete mit mir. Verdammt.
»Alle Sorten mit Karamell«, antwortete ich wahrheitsgetreu und bemühte mich um ein weiches, entschuldigendes Lächeln. Mit nur leicht gesenkter Stimme fügte ich hinzu: »Und ich mag Männer.«
Auf ihrer ebenmäßigen Stirn erschien eine kleine Falte. Keine Sekunde später weiteten sich ihre Augen minimal. »Oooh … Mist!« Ein Auflachen begleitete ihren Fluch. In einer kessen Bewegung warf sie ihre Haare zurück. »Tut mir leid. O Gott, nein, also nicht, dass du auf Männer – argh, ich rede Blödsinn. Ich wollte dich nicht in eine unangenehme Situation bringen.«
»Dito.«
»Trotzdem …«, erneut bekam ihre Miene etwas Kesses. »Schade.«
Ein winziger Teil in mir stimmte ihr zu. Nicht, weil ich selbst oder mein nahes Umfeld ein Problem mit meiner Homosexualität hatte. Eher im Gegenteil. Mein Outing vor meiner Familie und Freunden vor Jahren war erfreulich unspektakulär verlaufen. Meine Kolleginnen in der Kanzlei hatten es ebenso beiläufig aufgenommen. Dennoch flüsterte mir etwas im Inneren zu, dass meine privaten Ziele zu erreichen als heterosexueller Mann so viel einfacher wäre. Dass ich meine Idealvorstellung von einer beständigen Partnerschaft mit einer Frau schon längst hätte Wirklichkeit werden lassen können. Völlig unabhängig von dieser Frau vor mir, die – rein objektiv betrachtet – durchaus dem Wunschbild so einiger Hetero-Männer entsprach: schlank, blond, strahlendes Lächeln, selbstbewusst-aufgeschlossene Art. Scheiße ja, wäre ich nicht schwul, würde ich sie daten wollen.
All das sprach ich natürlich nicht laut aus.
Ich schenkte ihr lediglich ein Lächeln. »Sie werden sicherlich die richtige Wahl treffen – beim Muffin. Schönen Tag.«
»Danke. Dir … Ihnen auch. Ich denke, ich nehme einen Herzhaften.«
Wir nickten einander noch einmal zu, ehe ich mich endgültig ab- und sie sich der Vitrine zuwandte, und ich mich an der Schlange vor der Theke vorbei nach draußen schob. Sofort kroch wieder der bissige Wind über meine Haut und auch wenn der Kaschmir gut warmhielt, beschleunigte ich meine Schritte. Die kurze Unterhaltung im Café hatte mich maximal zwei Minuten gekostet. Aber ich hasste es, später als gewöhnlich in die Kanzlei zu kommen.
Exakt drei Minuten später erreichte ich die Kanzlei am Alsterufer. Ich ließ es mir nicht nehmen, kurz vor der Eingangstür des Gebäudes stehen zu bleiben und das erst vor wenigen Wochen neu angebrachte Schild zu betrachten.
Hartmann & Hohenwarth Rechtsanwälte
Beruflich gesehen hatte ich die nächste Stufe auf der Leiter dessen, was ich erreichen wollte, erklommen, indem ich Junior-Partner in der Kanzlei geworden war. Also griff ich nach dieser Zufriedenheit in meinem Inneren und drängte den Nicht-Flirt mit der Frau von vorhin in eine entlegene Gehirnwindung zurück. Stieß energisch die Tür auf und überquerte den breiten Flur hin zu den Fahrstühlen und der Treppe. Für den Weg in den ersten Stock nahm ich Letztere.
Sobald ich die hochmodernen Kanzleiräumlichkeiten betrat, sahen die beiden Sekretärinnen, die an diesem Morgen da waren, auf und begrüßten mich mit einem nahezu einstimmigen: »Guten Morgen, Sebastian.«
Wir waren bereits seit einiger Zeit per Du, immerhin arbeitete ich seit inzwischen zweieinhalb Jahren in dieser Kanzlei. Dennoch hatte ich keiner der Rechtsanwaltsfachangestellten bislang angeboten, mich ›Bastian‹ zu nennen. Die erste Silbe meines Vornamens hielt die Distanz einer geschäftlichen Beziehung aufrecht.
»Guten Morgen.«
Während ihre Kollegin sich wieder ihrem PC zuwandte, hielt Nicole meinen Blick. »Gestern Abend ist noch ein neuer Fall reingekommen. Eine Steuerberaterhaftungssache. Der Geschädigte will Schadensersatzansprüche gegenüber dem ehemaligen Steuerberater geltend machen. Ich hab dir die Akte zugeschoben.«
»Wie hoch ist die Streitsumme?« Meinen To-go-Becher stellte ich kurz auf der piekfein geputzten Oberfläche der Kaffeestation neben der Tür ab, um mir ein Glas Wasser einzuschenken.
»Etwa dreißigtausend im Gesamten.«
Mit einem etwas zu lauten Klirren stellte ich die Wasserkaraffe, in der neben Zitronenscheiben auch einige frische Minzeblätter schwammen, ab. Mir lag die Entgegnung auf der Zunge, dass den Fall eigentlich Lydia, unsere Teilzeitkraft, bearbeiten könnte. Nicole hatte das aber wohl schon kommen sehen und setzte hinzu: »Den Fall hat die Steuerkanzlei Wulff geschickt.«
»Verstehe. Ist in Ordnung.« Mit besagter Steuerkanzlei hatten wir – oder vielmehr: ich – schon öfter zusammengearbeitet. Herr Wulff war ein wenig … speziell in der Zusammenarbeit. Wusste alles besser.
»Rufst du den Mandanten mal kurz an?«
»Klar, mach ich.«
Den Fall würde ich dann eben irgendwo zwischenschieben.
Nachdem ich mich in meinem Büro eingerichtet hatte – Aktentasche, Kaffee und Wasser abgestellt und mein Sakko abgelegt –, warf ich einen Blick in besagte Akte. Ich wollte mir lediglich kurz einen Überblick verschaffen, blieb jedoch direkt hängen. Mein potenzieller neuer Mandant – ein Matthias Vogt – war Content Creator. Bei OnlyFans. Also irgend so ein Influencer-Typ. Vielleicht einer, der freizügige Bilder teilte. Wenn die Menschheit etwas nicht brauchte, dann waren es Influencer. Ich hatte gute Lust, die Akte direkt wieder zu schließen. Allerdings hielt mich das Klingeln meines Telefons davon ab.
Mit Schwung rollte ich den Drehstuhl am Schreibtisch entlang einen halben Meter zur Seite und nahm nach einem kurzen Blick aufs Display ab.
»Ja, Nicole?«
»Entschuldige, Sebastian, dein Mandant Rolf Bischof hat eben angerufen und den Termin heute um neun Uhr dreißig abgesagt.«
Ich verkniff mir ein Schnaufen. Bischof hatte in einem beachtlichen Maße Steuern hinterzogen. Der sollte jeden verfluchten Termin, den er bei mir bekommen konnte, wahrnehmen. Aber gut, seine Entscheidung.
»Hat er einen neuen vereinbart?«
»Er sagte, er meldet sich.«
›Langsam, aber stetig geht die Menschheit zu Grunde …‹ »Okay, danke, Nicole.«
»Ah, noch was: Du hast noch nicht in die Akte reingeschaut, oder?«
»Doch, liegt vor mir auf dem Bildschirm.«
»Oh, prima. Ich habe eben vergessen zu sagen, dass ich gestern schon kurz mit Herrn Vogt telefoniert hatte. Er will unbedingt persönlich vorbeikommen.«
Wegen dreißigtausend zu viel gezahlter Umsatzsteuer? Das rechtliche Vorgehen gegen seinen Steuerberater und die Finanzbehörden war nun wirklich etwas, das wir per Mail oder maximal Videocall besprechen konnten. Ich verstand ja durchaus, dass für viele Menschen der Kontakt zu Anwälten ungewohnt und vielleicht auch einschüchternd war. Nervig waren solche Termine dennoch – und Teil des Jobs.
»Na schön. Wenn es ihm so wichtig ist, soll er um neun Uhr dreißig kommen.« Wenn er sich das so kurzfristig nicht einrichten konnte, konnte es ihm ja auch kein so dringendes Bedürfnis sein.
Ein nervtötendes Brummen, das sich anfühlte, als liefe ein Presslufthammer direkt neben meinem Kopf, riss mich mehr als nur unsanft aus dem Schlaf. Schlaf, der verdammt noch mal viel zu kurz gewesen war. Was zur Hölle?
Mit einem gequälten Stöhnen wälzte ich mich auf die andere Seite des Bettes. Ivos Bettes. Kopfschmerzen und ein leicht flaues Gefühl im Magen zeugten deutlich davon, dass ich in der vergangenen Nacht alles andere als nüchtern gewesen war, als ich mich hineingelegt hatte. Aber eben auch nicht so besoffen, als dass ich nun nicht wüsste, wo ich war.
Das zu erraten, war zugegebenermaßen auch nicht schwer. Wenn ich in Hamburg feiern ging, schlief ich in gut achtzig Prozent der Fälle danach bei Ivo. In zehn Prozent fuhr ich mit der Bahn oder dem Fahrrad nach Hause und in den restlichen zehn Prozent blieb ich bei irgendeiner Eroberung.
Ergaben achtzig, zehn und zehn tatsächlich hundert? Das Denken fiel mit dem ohrenbetäubenden Vibrieren meines Handys auf dem Nachtschränkchen direkt neben meinem Kopf verdammt schwer.
»Alter … geh ran oder schalt es aus«, raunzte Ivo in meinem Rücken.
Ich gab nur ein Gurgeln von mir, das ich selbst nicht verstand und tastete mit noch halb geschlossenen Augen nach dem Smartphone. Ein Wunder, dass ich es dabei nicht runterwarf.
Ich räusperte mich einmal, dennoch krächzte ich mehr ins Telefon, als dass ich sprach. »Ja, hallo?«
»Rechtsanwaltskanzlei Hartmann und Hohenwarth, Hansen am Apperat. Herr Vogt?«
Mit einem Mal saß ich kerzengerade im Bett – schneller, als für meinen Kreislauf gut war. Zischend stieß ich die Luft aus. »Ja! Ja, ich bin dran.«
»Herr Vogt, ich melde mich, weil heute kurzfristig ein Termin bei einem unserer Rechtsanwälte freigeworden ist.«
Das war super …
»Um neun Uhr dreißig.«
… superfrüh. Kacke! Wie viel Uhr war es eigentlich?
Rasch hielt ich das Handy vom Ohr weg, damit ich aufs Display sehen konnte. Sieben Uhr vierundfünfzig – Jesus! Das bedeutete, dass Ivo und ich vor gerade mal knapp drei Stunden zu ihm nach Hause gekommen waren.
Fieberhaft zwang ich mein weder waches noch gänzlich nüchternes Hirn dazu, auszurechnen, ob ich es innerhalb von eineinhalb Stunden nach Hause, unter die Dusche und wieder nach Hamburg hinein schaffen würde. Nope!
»Herr Vogt?«
»Ja! Ich meine, ja, ich nehme den Termin.« Nachdem mir die Sekretärin gestern gesagt hatte, dass der früheste nächste Termin kommende Woche sein würde und es ohnehin nicht üblich wäre, dass ich den mich betreuenden Anwalt jemals persönlich zu Gesicht bekam – außer bei einer möglichen Gerichtsverhandlung – war das trotz miesen Timings die einzig logische Antwort.
»Gut. Sie wissen, wo die Kanzlei ist?«
»Äh …«
Sie betete die Adresse herunter. Die lag direkt am Alsterufer. »Kommen Sie mit dem Auto?«
»Nein. S-Bahn.«
»Die nächste fußläufig erreichbare Haltestelle ist Dammtor.«
»Okay, danke. Muss ich was mitbringen?« Wenn Sie jetzt irgendwelche speziellen Unterlagen brauchte, hatte ich ein Problem.
»Die Unterlagen der Steuerkanzlei Wulff liegen uns soweit vor. Insofern Sie keine neuen Bescheide bekommen haben …?«
In einem langen Atemzug stieß ich die Luft aus. »Nein. Okay. Danke.« Hatte ich schon gesagt, oder? »Bis nachher.«
»Einen schönen Tag für Sie, Herr Vogt.«
Jesus, die waren alle so förmlich. Aber hey, wenigstens hatten sie schneller als erwartet zurückgerufen. Das war im Gegensatz zu diesem Möchtegern-Steuerberater-Tamm schon mal ein Pluspunkt.
»Hey, Ivo.« Im Sitzen drehte ich mich halb zu ihm um und bekam doch nur seinen Hinterkopf und ein Bein zu sehen, das er unter der Bettdecke hervorstreckte. »Ich geh bei dir duschen und zieh mir ’nen Kaffee, ja?«
Er brummte nur etwas ins Kissen, das ich dann einfach mal als Zustimmung nahm.
Mit noch immer leichtem Pochen im Kopf wühlte ich mich vollends unter der Decke hervor und schwang die Beine aus dem Bett. Zum Glück wusste ich, wo Ivo seinen Aspirin-Vorrat aufbewahrte. Mein Blick blieb an meinen Klamotten von gestern hängen, die ich neben Ivos über die Kommode neben dem Schrank geworfen hatte. Die, die ich gestern beim Feiern getragen hatte und die gleich aus mehreren Gründen unpassend für einen Termin beim Anwalt waren. Aber tja, Ivo musste ich gar nicht erst nach Klamotten fragen. In seine würde ich zweimal reinpassen. Okay, eineinhalb Mal. Und ich war kein Hänfling, sondern schlank-durchtrainiert.
Immerhin hatte ich eine Jacke mitgenommen. Die würde ich dann eben über- und in der Kanzlei besser nicht ausziehen.
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Überpünktlich stand ich bereits um Viertel nach neun vor dem Gebäude am Alsterufer. Ein edel wirkendes Schild mit der Aufschrift Hartmann & Hohenwarth Rechtsanwälte bewies, dass ich an der richtigen Adresse war. Bei wem genau ich den Termin hatte, wusste ich allerdings nicht. Herr Wulff hatte einen Herrn Hohenwarth erwähnt, die Sekretärin vorhin aber keinen Namen genannt. Ich hatte mir die Kanzlei vorab online angesehen. Die dort arbeitenden Anwälte waren zwar namentlich mit Fachgebiet aufgeführt, aber ich hatte keine Fotos gefunden. Nur irgendwelche Feng Shui Bilder, die wohl die angenehme Atmosphäre der Kanzlei herausstellen sollten. Mich beeindruckten die kein bisschen. Auf Tamms Website hatte auch alles ganz toll und seriös ausgesehen.
Scheiße, ich war wirklich nervös. Nicht so schlimm wie vor meinem Termin bei Herrn Wulff, als ich aufgrund der Andeutungen seiner Sekretärin noch befürchtet hatte, ich hätte mich in echte Schwierigkeiten manövriert. Aber mein Herz pochte zu schnell und das flaue Gefühl im Magen war nicht nur den Drinks der vergangenen Nacht geschuldet. Wenigstens war ich dank Dusche, Kaffee und Aufregung hellwach.
Kurz überlegte ich, ob ich noch ein paar Schritte am Alsterufer entlanggehen sollte, um den Kopf frei zu bekommen. Aber vermutlich würde das nichts bringen und vielleicht hatte der Anwalt ja schon etwas früher Zeit für mich.
Durchatmend straffte ich die Schultern und betrat das Gebäude. Den Fahrstuhl ignorierte ich, laut Beschilderung befand sich die Kanzlei ohnehin im ersten Stock.
Vor der Tür zögerte ich. Keine separate Klingel. Klopfte man da, ehe man eintrat?
Kurzentschlossen pochte ich einmal gegen die Tür und schob sie dann direkt auf. Trat ein und fand mich in einem ebenso großzügigen wie modernen Eingangsbereich wieder. Über den schicken Tresen hinweg lächelte mich eine Sekretärin an.
»Guten Tag! Wie kann ich Ihnen helfen?«
Mit ein paar raschen Schritten überbrückte ich die Distanz. »Matt Vogt, ich habe um halb zehn einen Termin.«
»Ah, ja.« Sie nickte geschäftig. »Herr Hohenwarth ist noch in einem Gespräch.«
Mist. War wohl nichts mit: ›vielleicht komme ich früher dran‹.
Sie erhob sich und machte Anstalten, hinter dem Empfangstresen hervorzukommen, erlaubte mir so einen Blick auf ihren eleganten Jumpsuit. »Darf ich Ihnen Ihre Jacke abnehmen?«
Aus reinem Reflex griff ich an den Reißverschluss meiner Jacke, besann mich gerade noch. »Ah. Nein, danke. Ich lasse sie erst mal an.«
Die Sekretärin stockte, sichtlich überrascht. Ihr kurzärmeliger Jumpsuit bewies, dass die Kanzleiräume angenehm temperiert waren.
»Möchten Sie ein Wasser? Kaffee?« Sie wies auf die Getränkestation.
Noch mehr Koffein würde meiner Nervosität nicht zuträglich sein und Wasser … war eben Wasser. Zu einem Konter-Shot hätte ich eher Ja gesagt.
»Ich brauche nichts, danke.«
Sie zeigte lediglich ein kurzes Blinzeln. »Wie Sie wünschen. Dann nehmen Sie gern dort drüben Platz. Herr Hohenwarth ist gleich für Sie da.«
»Danke.« Ich folgte ihrem Fingerzeig und ging rüber in den offen gestalteten und mit einigen Grünpflanzen bestückten Wartebereich, setzte mich dort. Dabei ließ ich den Blick über die gerahmten Schriftstücke an der gegenüberliegenden Wand schweifen. Es waren irgendwelche Plaketten von Fokus und Wirtschaftswoche, die Herrn Hohenwarth unter anderem als TOP Anwalt und ›Ones to Watch‹ betitelten. Das war vermutlich eine spezielle Auszeichnung für Junganwälte oder so.
Ich verzog den Mund. Konnte man auf solche Auszeichnungen etwas geben?
Wenn ich mich richtig erinnerte, war auf der Website der Kanzlei ein Lebenslauf zu finden. Da ich ohnehin nichts anderes zu tun hatte, um die Wartezeit zu füllen, rief ich diesen noch einmal auf.
Sebastian Ahmad Hohenwarth – das Geburtsdatum verriet, dass besagter Anwalt nur eineinhalb Jahre älter war als ich selbst. Den Schulabschluss – Abitur natürlich – überflog ich nur. Studiert hatte er an der Humboldt-Universität zu Berlin. Keine Ahnung, ob das eine besonders angesehene Uni für Jura war, aber … Abschluss mit Prädikat. Ich schnaubte, zumindest innerlich. Wurde dem Jurastudium nicht nachgesagt, es sei knüppelhart? Schien also ganz so, als sei mein Anwalt ein Musterstudent gewesen. »Der Ehrgeiz steht ihm quasi auf die Stirn geschrieben« – war das nicht, was Herr Wulff gesagt hatte?
Hätte ich studiert, hätte ich definitiv ebenso viel Zeit auf Partys wie in der Bibliothek verbracht. Aber dafür hätte ich sowieso direkt nach der Realschule noch einen weiteren Abschluss draufpacken müssen, und das hatte damals keine Sekunde zur Debatte gestanden. Pauken, generell stillsitzen, war nicht meins. Was Jahre später das Fachabi und die Meisterschule zu einer persönlichen Herausforderung gemacht hatte.
Sebastian Hohenwarth hingegen war – das verriet der Lebenslauf ebenfalls – mit seinen einunddreißig bereits Junior-Partner in dieser Kanzlei. ›Bereits‹, weil zumindest mir das früh erschien. Vermutlich war er –
Meine Gedanken wurden vom Geräusch einer sich öffnenden Tür unterbrochen. Automatisch sah ich in den Eingangsbereich – und direkt auf ein Prachtexemplar von Mann, das gerade aus einem der angrenzenden Büros trat. Dunkle, nahezu schwarze Haare, ein glattrasiertes, ebenmäßiges, aber doch auch markantes Gesicht. Volle Lippen und eine Brille, die die Wangenknochen nur unterstrich. Ebenso wie der schlicht schwarze und doch edel wirkende Rollkragenpullover, der sich an einen schlanken, aber eindeutig trainierten Torso schmiegte. Unter einem Ärmel zeichnete sich eine Armbanduhr ab. Zusammen mit der dunklen Jeans und braunen Lederschuhen wirkte das Outfit nahezu bieder und dennoch … Scheiße, der Mann war heiß. Von vorne und ebenso von hinten, wie ich feststellen durfte, als er sich der Kaffeestation zuwandte und ein Glas Wasser einschenkte.
Nervosität hin oder her, grinsend lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück. Darauf bedacht, nicht zu offensichtlich auf den wirklich guten Arsch in der Jeans zu starren.
Mister Ich-würde-gern-wissen-wie-du-unter-deinem-zugeknöpften-Outfit-aussiehst wandte sich mit dem neu befüllten Wasserglas in der Hand der Sekretärin zu.
»Ist Herr Vogt schon da?«
Shit, war das etwa Sebastian Hohenwarth?
Sie nickte in Richtung des Wartebereichs und damit zu mir. »Ja.«
Okay, das war mein Anwalt. Mein scheiße heißer, zugeknöpfter Anwalt.
Er allerdings machte sich nicht mal die Mühe, mich eines kurzen Blickes zu würdigen, sondern sagte lediglich: »Gut, du kannst ihn reinschicken«, ehe er wieder in sein Büro ging. Ohne, dass ich ihm noch einmal auf den Hintern starrte. Was für ein schnöseliger … Arsch-Arsch.
Auf einem Post-it vermerkte ich noch rasch ein paar Stichpunkte des Telefonats, welches ich soeben geführt hatte, und klebte es in die Akte, ehe ich diese schloss und beiseite legte. Stattdessen einen Notizblock zu mir heranzog. Die Akte meines nächsten Termins hatte ich elektronisch auf dem Bildschirm. Schritte direkt vor meinem Büro bestätigten, dass Nicole den potenziellen Mandanten zu mir hereingeschickt hatte.
»Guten Tag, Herr Vogt«, sagte ich in das klickende Geräusch der Tür hinein, die er offensichtlich hinter sich schloss.
»Hallo. Herr Hohenwarth?« Seine Stimme hatte – nicht nur durch das fragende Anheben am Ende – einen angenehmen Klang.
Seine Schritte vermischten sich mit dem leisen Rascheln der Unterlagen.
»Setzen Sie sich.«
Erst, als er direkt vor meinem Schreibtisch stand, sah ich auf – und stockte selbst in der Bewegung, mich niederzulassen. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte, wie Matthias Vogt aussehen würde. Ich hatte gar nichts erwartet. Oder zumindest nicht das.
Himmel, nein, natürlich hatte ich erwartet, dass er gut aussah. Taten Influencer das nicht immer? Zumindest fast immer oder zumindest mit Tonnen an Make-up?
Matthias Vogt trug definitiv kein Make-up. Unter seinen Augen zeichneten sich leichte Schatten ab, die auf zu wenig Schlaf hindeuteten. Das tat dem Umstand jedoch keinen Abbruch, dass er wirklich gut aussah. Mit seinem symmetrisch-markanten Gesicht, in dem alles von den Brauen bis zum Dreitagebart penibel gepflegt wirkte. Mit den etwas längeren, in weichen Wellen zurückgestrichenen Haaren wirkte er wie ein Mann aus einer Parfümwerbung. Allerdings nicht die glattgebügelte, sondern die lässige Version eines solchen.
Um seine schön geschwungenen Lippen zuckte der Anflug eines Lächelns. Amüsiert?
Rasch unterbrach ich den viel zu lange andauernden Blickkontakt und ließ mich auf meinem Bürostuhl nieder. Er tat es mir gleich, wie ich aus dem Augenwinkel beobachten konnte, während ich vorgab, noch einmal seine Akte zu überfliegen. Er trug noch seine Jacke. Eine dunkelblaue Blousonjacke mit auffällig rot-weiß abgesetzten Reißverschlüssen.
»Legen Sie ruhig ab.« Ihm die Jacke abzunehmen, wäre Nicoles Aufgabe gewesen.
»Äh, danke. Passt schon so.«
Ich kam nicht umhin, die Brauen hochzuziehen. Mein Büro war wie jeden Tag auf einundzwanzig Grad temperiert. So, dass es am Schreibtisch sitzend und in dem dünnen Rollkragenpullover, den ich trug, gerade nicht zu warm war. In einer Jacke, mit was auch immer darunter, sicherlich schon.
»Ich bin überrascht, dass ich so schnell einen Termin bei Ihnen bekommen habe.«
Erneut sah ich von der Akte auf. Ihm über meinen Schreibtisch hinweg direkt in die Augen. Sie waren von einem hellen Braun. Der Blick daraus aufmerksam. Abwartend.
»Ja, manchmal geht es rascher als üblich. Dürfte Ihnen doch recht sein, oder?«
»Na ja … ja.« Er zog die Stirn in Falten, wirkte beinahe unwillig. Zum Teufel aber auch, dass ihn diese leicht verkniffene Mimik nur noch attraktiver machte. »Müssen Sie sich nicht erst in meinen Fall einarbeiten?«
Unterstellte der Kerl mir gerade unterschwellig, ich hätte mich nicht eingearbeitet und wisse demnach nicht, was zu tun war?
»Nein«, entgegnete ich glatt. »Mit Verlaub, Ihr Fall ist nichts Besonderes. So etwas erledigen wir in der Kanzlei quasi nebenbei.«
Seine Miene wechselte im Takt von Sekundenbruchteilen zwischen misstrauisch zu geschockt und wieder zurück zu … noch misstrauischer.
Zugegeben, meine Aussage war wenig taktvoll. Allein, dass er auf einen persönlichen Termin bestanden hatte, zeigte, dass die ganze Situation nicht alltäglich für ihn war – und ihn vielleicht sogar verunsicherte. Tja, wäre er mal bei der Auswahl seines Steuerberaters kritischer vorgegangen. Das konnte ich ihm natürlich nicht laut ausgesprochen vorwerfen. Es wunderte mich nur immer wieder, wie leichtfertig Leute mit dem Thema Steuern umgingen. Unwissenheit schützte nun mal vor Strafe nicht. Oder wie in seinem Fall: vor einem monetären Schaden.
Innerlich seufzend lenkte ich ein: »Ich meine, Steuerberaterhaftungen wie diese sind gewissermaßen Routine.«
Er biss sichtbar die Zähne aufeinander, was seine ohnehin schon markante Kieferlinie noch deutlicher hervortreten ließ. Seine hellbraunen Augen bohrten sich regelrecht in meine.
War es doch zu warm in meinem Büro? Mir war warm.
Prüfend ließ ich den Blick zur Tür schweifen, neben der sich das Bedienfeld für die Klimaanlage befand.
»In Routinen schleichen sich leicht Fehler ein.«
Mein Blick zuckte zurück zu ihm, ohne dass ich die angezeigte Temperatur realisiert hatte. Mir lag bereits eine bissige Entgegnung auf der Zunge, doch ich schluckte sie hinunter. Verdammt, was hatte dieser Mann an sich, dass ich meine Contenance verlor?
Ich verkniff mir das zu geräuschvolle Ausatmen. »Okay, hören Sie, Herr Vogt, wir sind in dieser Kanzlei auf sämtliche steuerrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Fragen spezialisiert. Ich kann Ihnen guten Gewissens versichern, bei uns in besten Händen zu sein. Ihr Steuerberater, Herr Wulff, hat Sie nicht umsonst an unsere Kanzlei verwiesen. Dieses Erstgespräch soll dazu dienen, eine vertrauensvolle Basis zu schaffen. Ich werde mein Bestes tun, Ihre Fragen zu beantworten und mögliche Unsicherheiten auszuräumen. In Ordnung?«
Ich sah ihn schlucken und verdammt, nein, ich blickte dabei nicht direkt auf die Bewegung seines Kehlkopfes. Wandte mich stattdessen noch einmal dem Bedienfeld neben der Tür zu. Einundzwanzig Grad. Alles bestens. Mir war einfach nur … warm. Ihm sicherlich auch.
»Möchten Sie wirklich nicht Ihre Jacke ablegen?«
Wieder zuckte es um seinen Mund. Eine Geste, die ich jedoch nicht zu entschlüsseln vermochte. Bis sie abermals zu einem amüsierten, fast schon herausfordernden Schmunzeln wurde.
»Auf Ihre Verantwortung.« Er griff an den Reißverschluss und ich … saß wieder nur da und sah ihn an. Zum Teufel, was war das denn für ein Vibe zwischen ihm und mir? War das … – flirtete er? Oder zündeten bei mir seit dem Flirtversuch der Frau im Café vorhin irgendwelche Synapsen falsch? Er hatte sicherlich nicht …
Er trug nicht wirklich ein transparentes … Nichts unter seiner Jacke.
Oder eben doch.
Über seinen schlanken und doch bis in den letzten Muskel ausdefinierten Oberkörper spannte sich ein Shirt aus feinem Mesh-Gewebe, das wirklich alles von ihm sehen ließ. Zumindest so weit, wie die Tischplatte zwischen uns es zuließ.
Mit schier innerer Gewalt riss ich meinen Blick von seinen Nippeln, die sich überdeutlichen durch den graublau schimmernden Stoff abzeichneten, los und zwang ihn zurück in sein Gesicht. In seine Augen, die wirkten, als wollte er in mein Hirn eindringen, um meine Gedanken zu lesen.
»Der Anruf Ihrer Sekretärin kam ein wenig überraschend, wissen Sie. Ich war nicht darauf vorbereitet, heute etwas anderes zu tun, als auszuschlafen und dann zu arbeiten.«
»Dann ist das«, Himmel, meine Stimme kratzte in meinem Hals, »Ihre Arbeitskleidung?«
Nun grinste er wirklich. »Das … oder weniger.«
Das sollte mich nicht verwundern, wenn er Content für OnlyFans produzierte. Und interessieren sollte es mich auch nicht. »Freizügige Bilder also, um den Bekanntheitsgrad zu pushen, ja? Bewerben Sie eine bestimmte Marke?« Unweigerlich musste ich sofort wieder an teures Parfüm denken. Er wäre wie gemacht dafür, aus einem Ozean aufzutauchen, sich die Haare aus der Stirn zu streichen und dann so etwas zu sagen wie: ›Entdecke deine Männlichkeit mit –‹
»Mich. Ich vermarkte mich selbst. Oder vielmehr meinen Körper. Ich teile Sexclips auf OnlyFans.« Er legte den Kopf leicht schief, durchbohrte mich und ich zerfloss schier in meinem Pullover. »Ich nahm an, Sie hätten bereits aus der Akte herausgelesen, dass ich Sexworker bin.« Wieder war da dieser unterschwellig misstrauische Tonfall in seiner Stimme.
Sexworker – kam es mir nur so vor oder betonte er das Wort? Den Sex.
Die Hitze peinlicher Berührtheit trieb Worte zu schnell über meine Lippen. »Darin steht nicht, welchen Content Sie genau produzieren.«
»Ich kann Ihnen gern einen Gutscheincode für ein Probeabo geben, wenn Sie es genauer wissen wollen.«
Das war … unerhört.
Ich schnaubte. »Mit Verlaub, Herr Vogt, mir ist gleich, was Sie auf dieser Plattform treiben.« Wobei es ›treiben‹ dann wohl sehr passend traf. Meine Aussage war eine glatte Lüge. Es war mir nicht egal, es war … nichts, womit ich mich befassen wollte. Befassen wollen sollte.
»Fakt ist«, sprach ich weiter und versuchte damit, mich zurück in sicheres Fahrwasser zu manövrieren, »dass die Umsätze, die Sie über diese Plattform generiert haben, doppelt versteuert worden sind. Solange ich nicht die vollständigen Unterlagen gesehen habe, kann ich keine verbindl–«
»Ich dachte, Herr Wulff hätte die Unterlagen weitergeleitet.« Mit einem Mal war der leicht provokante Ausdruck aus seiner Miene gewichen. An dessen statt blitzte wieder so etwas wie Unsicherheit durch.
»Herr Wulff hat noch nicht genau beziffert, wie hoch der Schaden aufgrund der Steuerberaterhaftung ist. Das hängt davon ab, welche Bescheide bereits rechtskräftig sind und welche noch angepasst werden können. Hat er Ihnen das nicht erklärt?«
»Doch. Doch, hat er.«
»Gut. Letztlich ist nur das, was nicht mehr vom Finanzamt zurückgeholt werden kann, der tatsächlichen Schadenssumme zuzurechnen. Das zu ermitteln, ist Aufgabe Ihres Steuerberaters. Ihres neuen Steuerberaters.«
Wieder nickte er.
»Wie gesagt, solange ich nicht die vollständigen Unterlagen gesehen habe, kann ich keine verbindliche Aussage machen. Auf den ersten Blick deutet aber alles darauf hin, dass Herrn Tamm eine erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung unterlaufen ist, da er sich offenbar nicht auf den neuesten Stand der EuGH-Rechtsprechung gebracht hat. Es ist somit ziemlich sicher, dass deshalb eine Haftung besteht.«
Bei meinen letzten Worten sanken Herrn Vogts Schultern sichtbar nach unten. Mit einem einzelnen Blinzeln hinderte ich meinen Fokus daran, wieder auf seine definierte Schulterlinie zu rutschen.
»Das bedeutet also, die Chancen stehen gut, dass ich die zu viel gezahlte Steuer zurückbekomme?«
»Davon ist auszugehen. Wie ich schon sagte –«
»… keine verbindliche Aussage«, vervollständigte er meinen Satz, lächelte dabei schief. Was ihm ebenfalls verdammt gut stand. »Ist mir ehrlich gesagt lieber, als wenn Sie mir hohle Versprechen machen. Von Schwätzern hab ich definitiv erst mal genug.«
Ich schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln. Oder vielmehr eines, von dem ich annahm, es wirke mitfühlend. Nicht, dass mir sein Befinden oder generell das meiner Mandanten am Arsch vorbeiging. Aber nun ja … so ein bisschen Eigenverantwortung und Umsicht auf die eigenen Finanzen …
»Darf ich fragen, wie dringend Sie auf das Geld angewiesen sind?« Ich hatte nicht vor, seinen Fall auf Wochen hinter anderen zurückzustellen, aber ich musste durchaus priorisieren im Angesicht des Aktenbergs, den ich zu bearbeiten hatte.
»Mh, na ja, bis gestern bin ich davon ausgegangen, dass ich dieses Geld nie wiedersehe, weil ich dachte, es sei Steuergeld, das ich nun mal zu zahlen habe. Insofern … Trotzdem ist es ein ordentlicher Batzen Geld – gemessen auch an meinem übrigen Einkommen. OnlyFans ist nicht mein Hauptjob, falls Sie das wissen wollten.«
Wollte ich nicht. Aber nun, da er es ansprach, interessierte es mich doch. »Nein?«, hakte ich daher nach.
»Nein. Also doch, von der Höhe des Einkommens her, ist es mein Hauptjob. Aber nicht von der Stundenzahl her. Keine Sorge!« Beschwichtigend hob er eine Hand. Unweigerlich sackte mein Blick auf seine langen, gepflegten Finger. »Das ist alles korrekt angemeldet und so.« Er lachte leise, fast schon verlegen.
Das war es, was mich so an ihm irritierte: dieses nahezu minütliche Schwanken zwischen Unsicherheit und Herausforderung. Ganz sicher, nichts anderes.
»Jedenfalls … bin ich gelernter Tischler. Ich arbeite in einem Holzbaubetrieb. Allerdings nur noch drei Tage die Woche.«
Und offenbar nicht freitags. Das erklärte, weshalb er beim Hereinkommen gewirkt hatte, als wäre er gestern feiern gewesen. Aber gut, vermutlich feierten Typen wie er sowieso immer, wenn ihnen der Sinn danach stand.
Ich verkniff mir die Frage, wie man vom Tischlersein dazu kam, Sexclips für eine Onlineplattform zu drehen. Ebenso wie ich es mir verbot, noch einmal auf seine Hände zu schauen, die er mittlerweile auf der Tischplatte verschränkt hatte. Bei dem flüchtigen Blick vorhin hatten seine Finger weich gewirkt. Nicht wie die eines Handwerkers.
»Also, Herr Vogt, wenn ich Sie in dieser Sache vertreten soll, müssen Sie mir das Mandat erteilen. Sie bekommen dazu einen Mandatsvertrag plus eine Schweigepflichtentbindungserklärung.«
Aufgrund des erneuten Aufflackerns in seiner Miene setzte ich noch hinzu: »Diese benötige ich, um sämtliche Unterlagen der Steuerbehörden einsehen zu können.«
Er nickte, langsam allerdings. »Verstehe.«
»Sie können beides direkt heute hier unterschreiben.« Ich schickte mich bereits dazu an, nach dem Telefon zu greifen, um Nicole Bescheid zu geben, welche Unterlagen sie gleich herbringen konnte.
»Kann ich die Verträge mit nach Hause nehmen?«
Innerlich verdrehte ich die Augen.
›Verständnis für Menschen, die keine Erfahrungen mit Anwälten haben, Bastian‹, mahnte ich mich selbst in Gedanken.
»Ja. Natürlich.« Ich nahm den Telefonhörer ab.
»Also sehen wir uns wieder, sobald ich unterschrieben habe?«
Warum zum Teufel klang diese eigentlich so banale Frage so … vertraulich aus seinem Mund?
»Sie können die Verträge über Adobe Sign unterzeichnen.«
»Oh, ich bringe sie lieber vorbei.«
»Dann geben Sie sie einfach bei den Sekretärinnen ab.«
»Aber kann ich Sie anrufen?«
Himmel! »Ja, natürlich. Wenn Sie Fragen haben, schreiben Sie am besten eine Mail. Ich werde mich dann melden.«
Sein eindringlicher Blick sagte alles.
»Zeitnah«, setzte ich hinzu. Herrgott! Wenn er jetzt noch darauf pochte, dass ich ihm das versprach, würde ich dieses verfluchte Mandat gar nicht erst annehmen, sondern doch noch Lydia aufs Auge drücken.
Sowohl den Mandatsvertrag als auch die Schweigepflichtentbindungserklärung sauber in einer Mappe verstaut, schob ich Herrn Vogt diese über den Schreibtisch hinweg zu. In derselben Bewegung erhob ich mich.
»Also dann, Herr Vogt, lassen Sie sich übers Wochenende Zeit und sobald die Unterlagen unterzeichnet der Kanzlei vorliegen, kümmere ich mich um alles Weitere. Und halte Sie auf dem Laufenden.«
Schmal lächelnd aufgrund meines Nachsatzes stand er ebenfalls auf. »Danke.«
Über den Tisch hinweg fanden unsere Hände zueinander. Sein Händedruck war fest. Angenehm schmiegten sich seine langen, gepflegten Finger an meinen Handballen.
Ich räusperte mich leicht. »Wiedersehen.«
Unsere Finger drifteten auseinander. Mir kam es schon wieder so warm in meinem Büro vor. Ich sollte checken, ob etwas mit der Klimaanlage nicht stimmte.
»Bis dann.«
Herr Vogt ergriff die Mappe und seine Jacke, hängte sich Letztere locker über den Arm. Wandte sich um. Würde er etwa …?
Er war schon beinahe an der Tür, die ich ihm möglicherweise hätte aufhalten sollen. Eilig trat ich um den Schreibtisch herum.
»Warten Sie.«
Sein Blick zuckte über seine Schulter zu mir. Mit wenigen Schritten war ich bei ihm. Sein Geruch stieg mir in die Nase. Frisch, herb. Vielleicht Boss Bottled. Klassisch, aber gut. Eine Hand legte ich auf die Türklinke.
»Oh, danke. Geht schon.«
Meinem Hirn fiel es gerade unheimlich schwer, Worte zu bilden. »Wollen Sie nicht Ihre Jacke anziehen, ehe Sie hinausgehen?«
Seine Augen weiteten sich. Sie waren wirklich von einem auffallend hellen Braun. Ehe sie sich verengten.
»Mir ist warm. Danke. Ich ziehe sie draußen an.« Im Gegensatz zu seinen Worten haftete seiner Stimme mit einem Mal ein Hauch von Kühle an. Eine, die in meinem Nacken kribbelte.
»Bitte«, zischte ich nur und stieß die Tür mit einem Ruck auf.
Ebenso ruckartig wandte Herr Vogt sich ab und schritt aus meinem Büro. In nichts weiter als diesem Shirt, das seinen Namen nicht verdiente.
Zugegeben, natürlich hatte er eine Hose und Schuhe an. Doch beides verblasste nahezu gegen den Anblick, wie sich seine Muskeln bei jeder Bewegung unter dem hauchdünnen Mesh-Gewebe regten. Ein Anblick, der ganz sicher auch den beiden Sekretärinnen nicht entging. Lediglich aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nicole sich weiter über den Tresen neigte.
Abrupt wandte ich mich ab und zog die Tür meines Büros hinter mir zu.
»Du bist nicht wirklich in dem Outfit durch die ganze Kanzlei spaziert?!« Schnaufend warf Ivo die Hantelstange ab. Sie landete mit einem dumpfen Knall auf dem Hartmattenboden und hüpfte noch zwei, dreimal wenige Zentimeter, ehe sie zum Liegen kam. Mein Kumpel indessen starrte mit pumpender Brust und großen Augen auf mich herab.
»Jepp«, entgegnete ich und fuhr in beständigem Rhythmus fort, die beiden Dumbbells in Schulterhöhe nach oben zu pressen.
»Warum?«
Ich schnaubte nur.
Weit kam ich mit meiner Übung jedoch nicht mehr, weil Ivo sich plötzlich direkt neben der Hantelbank und damit neben mir aufbaute und an die Dumbbells griff, sobald ich sie nach oben gedrückt hatte. Statt seine Frage verbal zu wiederholen, hob er vielsagend die Brauen.
Zischend stieß ich Luft aus. »Lass los, Mann.«
Er tat es und ich setzte schnaufend die Kurzhanteln auf meiner Brust ab. »Ist das nicht offensichtlich?« Von unten herauf funkelte ich meinen Kumpel an.
»Dass du gern provozierst? Ja. Aber deinen Anwa–«
»Es ging nicht darum, ihn zu provozieren.«
Ivos Brauen wanderten nur noch weiter nach oben. Noch einen oder zwei Zentimeter und sie würden in seine kurzgeschorenen Haare hineinkriechen. Gruselige Vorstellung.
»Okay, vielleicht ein bisschen«, lenkte ich ein und richtete mich mit Schwung ins Sitzen auf, legte die Dumbbells zu je einer Seite neben mich auf die Hantelbank. »Ich wollte einfach wissen, wie er reagiert. Hab keinen Bock, mich von einem Anwalt vertreten zu lassen, der ein Problem mit Sexworkern hat.« Oder mit Queerness. Aber darauf, dass Herr Hohenwarth mitbekam, dass ich bi war, hatte ich es nicht angelegt. Weil ich mir ziemlich sicher war, dass er ebenfalls – auch oder ausschließlich – auf Männer stand. Die Art, wie er mich abgecheckt hatte – auch wenn er sich Mühe gegeben hatte, es zu kaschieren – war recht eindeutig gewesen.
Ivo brummte nur ein: »Hm«.
»Dir ist das egal, schon klar«, grummelte ich in mein Handtuch und wischte mir einmal damit über Gesicht und Hals, bis zum Ausschnitt meines Tanktops.
»Jo. Du brauchst mehr Muckis. Pack mal mehr Gewicht drauf.«
»Hä?« Bei diesem Gedankensprung kam ich nicht mit.
»Na, mich kacken die Leute nicht verbal an, weil ich Männer ficke.« Er grinste schief. »Oder mich ficken lasse.«
»In neunzig Prozent aller Fälle.«
Er grinste noch breiter. »Weil sie Schiss haben, ich haue ihnen eine rein, wenn sie mich wegen meiner Vorlieben oder wegen des OnlyFans-Krams schief anschauen. Kann ich empfehlen.« Wie um seine Worte zu untermalen, ging er in die Knie und schloss die Finger mit den Grips um die Hantelstange.
Ich verdrehte indessen die Augen. »Es ist mir egal, was Leute über mich sagen oder denken. Ich hab nur einfach keine Lust, mit ihnen zu arbeiten. Oder mich von so jemandem vertreten zu lassen.«
Erneut ein Brummen von Ivo. Noch einmal stieß er die Luft aus, dann riss er die Hantelstange samt achtzig Kilogramm Gewichtsscheiben in einen sauberen Clean and Push Jerk. Im Leben würde ich an dieses Gewicht nicht rankommen. Strebte ich auch gar nicht an. Über die letzten Jahre hatte ich ein für mich ideales Training gefunden. Eines, das lediglich ein oder zweimal pro Woche aus Pumpen im Fitnessstudio bestand. Und das eigentlich auch nur, weil ich gern zusammen mit Ivo trainierte. Dafür fuhr ich dann auch gern am Wochenende in die Hamburger City. Oder war ohnehin dort zum Feiern. Unter der Woche trainierte ich bei mir zu Hause in Reinbek mit Eigengewicht oder allem, was mir draußen beim Joggen oder Radfahren über den Weg lief. Eine Parkbank, ein günstig hängender Ast … Auf diese Weise hatte ich mir in den letzten Jahren nicht weniger als meinen Traumbody erarbeitet. Klang eitel und eingebildet? Ja, sorry, ich fand mich selbst schon ganz geil.
Sebastian Hohenwarth indessen … zum wiederholten Mal wanderten meine Gedanken dorthin zurück, wie er mich angesehen hatte, als ich – auf seine wiederholte Aufforderung hin wohlbemerkt – meine Jacke ausgezogen hatte. Mir war durchaus klar, dass mein Outfit nicht gerade angemessen für einen Anwaltstermin gewesen war. Andererseits … was zur Hölle ging es andere Leute an, was ich trug, solange ich etwas trug und niemanden belästigte? Außerdem hatte mir mein Outfit die Möglichkeit gegeben, auszutesten, wie mein voraussichtlich zukünftiger Anwalt reagierte. Blöd war nur, dass ich seine Reaktion nach wie vor nicht sicher einordnen konnte. Dass er mich unterschwellig aufgefordert hatte, mir die Jacke anzuziehen, ehe mich die Sekretärinnen sahen, sprach eigentlich Bände. Nur kam es mir eher so vor, als sei es ihm persönlich unangenehm gewesen, als dass es um so etwas wie offizielle Etikette ging. Oder aber ich bildete mir genau das nur ein, weil er in seinem schwarzen Rollkragenpullover – der mit Sicherheit aus Kaschmir und dementsprechend teuer war – so zugeknöpft gewirkt hatte.
Nach weiteren drei oder vier Push Jerks ließ Ivo erneut die Hantelstange fallen. Während er sich ein paar Schlucke Wasser aus seiner Trinkflasche in den Mund spritzte und dann nach zusätzlichen Gewichtsscheiben griff, sinnierte ich weiter über Sebastian Hohenwarth.
»Er ist heiß.«
Mit einer Fünf-Kilo-Scheibe in der Hand blinzelte Ivo mir irritiert zu, sah sich im nächsten Moment suchend um, als erwartete er, ich hätte einen Blickfang hier im Studio erspäht.
Hatte ich nicht. Um kurz vor neun an einem Samstagmorgen war es ohnehin noch recht leer hier. Der Wochenendansturm begann meist erst gegen zehn.
»Mein Anwalt.«
Ivos Kopf ruckte zu mir zurück. »Was? Warum sagst du das nicht gleich?«
»Oh, vielleicht, weil ich die Hoffnung hatte, meine Probleme würden dich auch ohne diese Info interessieren.« Ich hatte ihm zu Beginn unseres Trainings, als wir uns auf dem Laufband aufgewärmt hatten, von dem ganzen Steuerdebakel erzählt. Nachdem wir am Donnerstagabend beim Feiern nicht darüber gesprochen hatten.
Er verdrehte die Augen, liebevoll allerdings. »Das tun sie. Aber mich interessiert auch dein heißer Anwalt. Erzähl mir mehr.«
»So viel zu erzählen gibt’s gar nicht. Ich wollte einfach nur beiläufig die Info zu seinem Hotness-Level mit dir teilen.« Ich zwinkerte Ivo zu und er lachte.
»Men in suits, huh?«
»Eher: man in … äh, Rollkragenpullover.« Was wusste ich denn, was das auf Englisch hieß?
»Okaaay …«
»Und er trägt Brille.«
Ernsthaft schockiert sah Ivo neben der Hantelstange kniend zu mir hoch. »Warte … ich kenne ja durchaus dieses sexy-Lehrerinnen-Ding aus Hetero-Pornos, aber seit wann stehst du auf Typen in Rollkragenpullover und mit Brille?« Ivo spuckte die Wörter aus, als seien empfindlich gegen Zug zu sein oder schlechte Augen zu haben Dinge, die einen Menschen per se unattraktiv machten.
»Es steht ihm.«
»Mhm.«
»Warum erzähl ich dir überhaupt von ihm?« Das war tatsächlich eine berechtigte Frage an mich selbst.
»Weil du überlegst, ihn flachzulegen, und mich deshalb um meine Mei–«
»Bullshit! Er ist mein Anwalt.«
»Na und?«
Schnaubend wuchtete ich die beiden Dumbbells von der Hantelbank, um sie wegzuräumen. Zeit für Bauchtraining.
»Ich weiß nicht mal, ob Anwälte was mit ihren Mandanten anfangen dürfen.«
»Warum nicht? Ein Anwalt ist dazu da, deine Interessen zu vertreten. Und wenn es dein Interesse ist, ihn zu vög–«
»Ivo! Ich habe einfach nur festgestellt, dass er heiß ist. Punkt. Diese ganze Steuerkacke geht mir an die Nieren. Ich werde einen Teufel tun und meinen Anwalt anbaggern.«
»Dann warte, bis er nicht mehr dein Anwalt ist. Der ganze Mist wird sich ja nicht ewig hinziehen.«
»Ich hoffe es!«
»Weil du ihn vernasch–«
»Weil es mich Nerven kostet. Das hat nichts mit ihm zu tun.«
Ivo zuckte mit den Schultern. Dazu sein betont gleichgültiges: »Okay«, zeigten deutlich, dass er mir kein Wort glaubte.
»Ich hasse dich«, skandierte ich wenig ernst gemeint und wandte mich ab.
Ein gepresstes Luftausstoßen hinter mir verriet, dass mein Kumpel sich wieder den Push Jerks widmete.
»Was treibst du heute noch?«, fragte Ivo mich, als wir eine gute Stunde später aus dem Fitnessstudio traten.
»Malte ist übers Wochenende in Hamburg. Er kommt vorbei.«
»Ah. Dreht ihr?«
»Jepp.« Tatsächlich war das meist der einzige Grund, weshalb er und ich uns trafen, wenn er aus Kiel anreiste. Malte und mich verband weniger als eine lose Freundschaft. Wir waren ein paar Mal zusammen etwas trinken gewesen, aber dabei hatte es auf zwischenmenschlicher Ebene nicht besonders gevibet. Vor der Kamera allerdings harmonierten wir gut und unsere Follower mochten unsere Videos. Also rief Malte mich meist ein paar Tage vorher an, wenn er wieder mal in der Stadt war, und wir verabredeten uns für einen Dreh. Dann vögelten wir innerhalb weniger Stunden ein paar Mal, bis wir am Ende des Tages erledigt, aber happy über neues Videomaterial auf Vorrat waren. So simpel konnte es sein.
»Okay, cool.« Ivo klopfte mir auf die Schulter und wir umarmten uns locker. »Man sieht sich.«
»Ja, bis dann.«
Wir gingen in unterschiedliche Richtungen. Er die wenigen hundert Meter zu seiner Wohnung, ich zur nächsten S-Bahn-Haltestelle. Glücklicherweise konnte ich von hier aus mit der S2 bis nach Reinbek durchfahren.
Kaum hatte ich mich in der Bahn auf einen der Sitze gefläzt und mein Handy aus meiner Sporttasche gefischt, um Musik zu hören, vibrierte es in meiner Hand. Rasch steckte ich mir einen der Kopfhörer ins Ohr, ehe ich abnahm.
»Malte, hi. Was gibt’s?« Ich hoffte, er sagte nicht für heute Abend ab. Nachdem ich das Wichsvideo am Donnerstag ›aus Gründen‹ nicht fertig gefilmt hatte, konnte ich dringend Nachschub für meinen OnlyFans-Kanal brauchen.