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Unbekannt ist kein klassischer Roman. Es sind Momente von Menschen, die viel zu lange stark sein mussten - bis ihre Namen aus unserer Welt verschwanden. Es wäre einfacher gewesen, sich diese Worte auszudenken. Doch Unbekannt blickt zurück auf wahre Augenblicke - auf Geschichten, die so niemals hätten geschehen dürfen. Es geht um Suizid - leise, unbemerkt, erschütternd. Um all die Wege, auf denen ein Mensch verschwindet, ohne dass jemand fragt, warum. Es erzählt von Einsamkeit, Leistungsdruck, Mobbing, Missbrauch, emotionaler Kälte - und von einer Gesellschaft, die das alles weiß, aber lieber schweigt. Die Geschichten handeln von Kindern und Jugendlichen, aber auch von jungen Idols und K-Pop-Stars - gefeierte Gesichter, die wir bewundern, während wir vergessen, dass auch sie nur Menschen sind. Auch sie sind allein, auch sie brechen irgendwann. Schmerz macht keinen Unterschied zwischen dem, der verehrt wird, und dem, den niemand sieht. Ein Echo handelt von den Toyoko Kids - Jugendlichen, die auf den Straßen von Shinjuku überleben, fotografiert wie Attraktionen, während niemand fragt, warum sie dort sind. Andere Schatten erzählen von Schulhöfen, Wohnzimmern und Backstageräumen - Orten, an denen eigentlich Träume sein sollten. Stattdessen herrschen dort Gewalt, Druck, Mobbing. Junge Menschen zerbrechen - langsam, still, sichtbar. Und doch wird es geduldet. Oft bleibt nur ein letzter, verzweifelter Schritt - einer, der alles beendet. Viele sind inspiriert von Begegnungen und Erfahrungen aus den Monaten, in denen ich in Japan gelebt habe. Andere aus Beobachtungen und Erlebnissen, die ich mit mir trage. Jeder Moment steht für sich, doch gemeinsam ergeben sie ein erschütterndes, stilles Bild. Dieses Buch ist kein Urteil, keine Anklage - sondern ein leiser Ruf nach Mitgefühl. Jede Geschichte endet mit einem Nachrauschen. Einem leisen Versuch zu begreifen, warum sich diese Tür für immer schloss. Warum diese Namen lautlos verschwanden. Hinter ihnen stand ein Leben, das wir nie kannten. Gedanken, die bleiben, wenn alles vorbei ist. Was bleibt, ist eine Schlagzeile. Wenige Worte im Nachrichtenticker. Doch diese Menschen waren mehr als ihre letzten Momente - auch wenn wir ihre Namen nicht kennen. Die wahre Tragödie ist, dass wir sie hätten kennen können. Unbekannt richtet sich an alle, die bereit sind hinzusehen - und die aushalten können, was sie dort finden. Es will nicht trösten. Es will sichtbar machen, was zu oft im Dunkeln bleibt.
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für all jene, deren Lichter erloschen sind, bevor die Welt ihr Strahlen ganz erfassen konnte. Dieses Buch ist ihnen gewidmet – den leisen Stimmen, die in der Dunkelheit verhallten, den Seelen, die in ihrer Not keinen anderen Ausweg sahen. Mögen ihre Geschichten uns lehren, genauer hinzusehen, zuzuhören, wo Worte fehlen, und Mitgefühl zu zeigen, wo es am dringendsten gebraucht wird.
Wir dürfen sie nicht vergessen – niemals.
Ihre Namen, ihr Lachen, ihre Träume. Sie waren mehr als ihre letzten Momente. Sie waren ein Teil dieser Welt, und sie werden es immer sein.
Für das, was war.
Für das, was hätte sein können.
Vorwort
Unbekannt
Prolog
1
2
3
Nachrauschen
4
5
6
7
8
Nachrauschen
9
10
11
Nachrauschen
12
13
14
15
Nachrauschen
16
17
18
Nachrauschen
unbekannt.
Nachwort
Ein Schritt
Wenige Monate bevor ich nach Japan zog, um mein Leben neu zu beginnen, hatte ein junges Mädchen dort beschlossen, ihres zu beenden. Sie sprang von einem Hochhaus – mit gerade einmal 17 Jahren. Tage und Wochen vergingen, und obwohl dies weder der erste tragische Vorfall war noch der letzte sein würde, ließ mich dieser eine nicht mehr los. Warum ausgerechnet dieser? Ich weiß es bis heute nicht. Nächtelang lag ich wach, weinte um einen Menschen, den ich nie getroffen hatte, um ein Leben, das kaum begonnen hatte. Nicht einmal den Ort, an dem es geschah, hatte ich je betreten.
In Asien sind Selbstmorde tragischerweise allgegenwärtig. Man hört davon, liest darüber – beinahe täglich. Und doch fühlte es sich diesmal anders an. Vielleicht war es ein Suizid zu viel, auch wenn jeder einzelne schon einer zu viel ist. Vielleicht war es die Tatsache, dass es wieder ein Teenager war – ein junger Mensch, der Hoffnung hätte haben sollen, eine Zukunft vor sich.
Ich konnte und wollte nicht begreifen, wie jemand, der noch so viel vor sich hatte, sich selbst auf solch brutale Weise aus dem Leben reißen konnte. Also begann ich zu suchen – nach Antworten, nach einem Verstehen, das mir bislang verwehrt geblieben war. Ich tauchte ein in die Geschichten dieses Landes, versuchte, seine Menschen zu verstehen, beobachtete den Alltag und erkannte den Schmerz all jener, die keinen anderen Ausweg mehr sahen. Monatelang zog ich durch unzählige Teile Tokios und hörte den Menschen zu. Ich hörte ihre Worte – aber vor allem hörte ich, was sie nicht sagten.
In aufregenden und manchmal auch nur flüchtigen Gesprächen waren es oft meine Fragen, die unbeantwortet blieben. Fragen nach dem Wohlbefinden meines Gegenübers versandeten, als wären sie nie gestellt worden – stattdessen schenkte man mir ein Lächeln und warme Worte. Immer wieder versuchte ich, die schützende Fassade des Ausweichens zu durchbrechen, hinter die lächelnden Gesichter zu blicken – wohl wissend, dass Lächeln in Japan Teil des respektvollen Miteinanders ist. Doch manchmal wirkte es, als sei es auch ein Schutz vor Fragen, die niemand stellen will. Mit jedem Tag, an dem ich die Gesichter Tokios beobachtete, meine Fragen vorsichtiger stellte und genauer hinsah, brachen kleine Risse in dieser perfekten Hülle auf.
Diese Erfahrungen, diese Gedanken, meine Recherchen, all die Schicksale – und ein ganz bestimmter Moment – wurden zum Ursprung dieses Buches, das einen Blick in das Innenleben von Menschen wirft, die an den Rand gedrängt wurden. Es zeigt, was sich hinter einem Lächeln verbergen kann – und wie schwer es ist, eine Fassade aufrechtzuerhalten, wenn innen längst alles zu zerbrechen beginnt. Nur noch einen Schritt vom Ende entfernt, buchstäblich. Wenn auch nicht immer, so ist es doch meist ein perfektes Bild, hinter dem ein erbarmungsloser Sturm tobt. Der Mensch lächelt, er funktioniert, er spielt ein makelloses Schauspiel – und die Welt wird zur Bühne, die Mitmenschen zu Statisten. Doch nicht, weil er täuschen will, sondern weil er keine andere Wahl sieht. Weil es von ihm erwartet wird. Weil das System so leise funktioniert, dass niemand mehr nachfragt.
Doch genau zwischen all dem Ungesagten liegt auch jener Moment, an dem ein Mensch nichts mehr sieht als Dunkelheit – und sein eigener Tod zur einzigen Tür wird, die sich noch zu öffnen scheint. Unbekannt erzählt nicht aus der Ferne, sondern geht dorthin zurück, wo alles beginnt. In die Stille zwischen den Sätzen, in das kaum hörbare Flüstern des Alltags. An jene unscheinbaren Stellen, wo etwas zerbricht, ohne dass es jemand merkt.
Mit einem Blick dorthin, wo man sonst lieber wegschaut, auf eine Wirklichkeit, die oft ignoriert wird, weil sie unbequem ist. Nicht, um zu erklären, sondern um zu verstehen. Ich möchte keine Stimme ersetzen, die verstummt ist. Aber ich möchte bewahren, was nicht vergessen werden darf. Damit diese Leben nicht übersehen werden, als hätte es sie niemals gegeben. Denn auch wenn jeder Mensch seine eigene Geschichte trägt, ist das, was viele durchlitten haben, bis heute erschütternd real. Mobbing. Ausgrenzung. Psychischer und sozialer Druck. Seelische und körperliche Gewalt. Und nicht selten alles zugleich.
Das alles geschieht nicht irgendwo – sondern in Klassenzimmern, auf Pausenhöfen, in Wohnungen, auf Straßen, ja sogar in Firmen und Backstage-Bereichen. Es passiert mitten unter uns – genau dort, wo man es am wenigsten vermutet. Nicht im Schatten, sondern im Alltag. Und es kann jeden treffen. Genau deshalb dürfen wir unsere Augen nicht verschließen.
Was war, lässt sich nicht zurücknehmen. Doch zwischen den Zeilen liegt vielleicht ein Schatten jener Geschichten, die nie laut werden durften. Und wenn sie hier Gestalt finden, dann nicht, um Antworten zu geben – sondern um Fragen zu hinterlassen, die lange genug überhört wurden.
Es liegt an uns.
Wer durch die Seiten dieses Buches streift, begegnet Menschen, deren Namen einfach verschwunden sind. Aus Schutz, sagen wir. Aus Rücksicht. Und ja – das ist richtig so. Niemand sollte im Moment tiefster Verletzung auch noch öffentlich ausgestellt werden. Und doch geschieht etwas Seltsames mit einem Menschen, wenn er keinen Namen trägt – er verschwindet. Wird ein Fall. Ein Vorfall. Eine kurze Nachricht, die man liest – und vergisst. „Unbekannt“ steht dann dort, wo einmal ein Leben war. Ein Name, ein Lachen, eine Geschichte. Und je unbekannter sie werden, desto leichter fällt es, wegzusehen. Desto weiter rücken sie von uns weg, selbst wenn sie direkt unter uns gelebt haben.
Deshalb ist dieses Buch nach ihnen benannt, nach all den Menschen, deren Namen nicht mehr ausgesprochen werden. Es heißt Unbekannt – nicht, weil sie es wirklich waren. Nicht, weil man ihre Namen nicht kennen könnte, weil ihre Geschichten keine Bedeutung hätten. Sondern weil die Welt ihre Namen vermisst. Weil niemand sie mehr nennt. Weil ich nicht möchte, dass sie verschwinden. Nicht spurlos. Nicht lautlos. Nicht als Randnotiz, als bloße Zahl in einer Statistik, als kurzer Moment in einem Nachrichtenportal.
Es geht nicht darum, ihre Gedanken zu kennen oder ihre Entscheidungen zu deuten. Niemand kann wirklich fühlen, was ein anderer Mensch gefühlt hat. Niemand kennt jedes Schweigen, jede Träne. Und niemand sollte sich anmaßen, für jemanden zu sprechen, der gegangen ist. Ihre Stimme gehört ihnen. Ihr Schmerz, ihre Würde, ihre Geschichte. Aber Schweigen ist keine Option. Nicht, wenn es um Leben geht, die aus unserer Mitte verschwunden sind, ohne dass jemand hingesehen hat.
Dieses Buch möchte einen Raum schaffen, in dem das Echo vergangener Schritte noch hörbar bleibt – getragen von Empathie, Verantwortung und Achtung. Ich wünsche mir, dass wir sie nicht vergessen. Dass das, was sie durchlebt haben, nicht lautlos vergeht. Damit ein Mensch nicht erst dann gesehen wird, wenn es zu spät ist. Unbekannt ist ein leises Zeichen für all jene, die spüren, dass etwas nicht stimmt – aber keine Worte dafür finden.
Die Worte in diesem Buch sind nicht erfunden – auch wenn es manchmal leichter und mir lieber gewesen wäre. Auch wenn Orte verändert wurden, um zu schützen. Wenn Umstände und Details verschoben wurden, um niemanden bloßzustellen. Die Wunden sind echt. Die Spuren, die sie hinterlassen haben, schmerzen.
Diese Momentaufnahmen sind entstanden aus Erlebnissen, aus Begegnungen und Schicksalen. Aus Augenblicken, die nicht spurlos an mir vorbeigezogen sind. Sie spiegeln Erfahrungen wider, die ich während meiner Zeit in Japan gesammelt habe – auf Wegen, durch Nächte hindurch, in Momenten, die sich eingebrannt haben. Und sie sind getragen von einem ehrlichen Interesse an dem, was eben oft nicht gesehen wird. In Japan, das ein Teil meines Herzens geworden ist. Und auch in Südkorea – einem Land, dessen Geschichten mich ebenso berührt haben und dem ich mit tiefem Respekt begegne.
Diese Worte wollen nicht bloßstellen. Und sie wollen nicht verurteilen. Sie wollen sichtbar machen – das, was oft übersehen wird. Diese Zeilen richten sich gegen niemanden. Nicht gegen Japan. Nicht gegen Südkorea. Nicht gegen irgendein Land. Sie sind aus Zuneigung geschrieben. Aus Verbundenheit. Aus ehrlicher Bewunderung für die Kulturen – und für die Menschen, die in ihnen leben.
Aber auch aus dem Wunsch, ehrlich zu bleiben. Denn wer einen Ort auf dieser Welt wirklich liebt, sieht nicht nur das Schöne. Sondern auch das Widersprüchliche. Das, was unter der schillernden Oberfläche liegt. Es geht darum, hinzuhören, wo sonst Stille ist. Hinzusehen, wo man gelernt hat, wegzusehen.
Nicht jede Geschichte in diesem Buch steht für alle. Nicht jedes Schicksal ist ein Spiegel für jeden. Aber jede einzelne dieser Geschichten steht für etwas, das zu oft geschieht, um es länger zu ignorieren.
Die Sonne schien mir aus einem ozeanblauen Himmel direkt ins Gesicht. Ihre warmen Strahlen umhüllten meine Haut, doch mir war kalt – in mir war nur noch Kälte. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper, als hätten die feinen Härchen Alarm geschlagen. Es war ein warmer, fast windstiller Sommerabend, doch hier oben fühlte ich den sanften Hauch des Windes, der mich wie eine leise Erinnerung streifte.
In meinen trüben Augen glitzerte die Stadt, langsam umhüllt von der aufziehenden Dunkelheit der Nacht. Von hier oben schienen die Lichter der Häuser wie eine hauchdünne Schicht aus Blattgold, sorgsam über die Straßen und Dächer gelegt. Die Wolkenkratzer ragten wie gigantische Betonnadeln gen Himmel, tief verwurzelt in der weichen Erde Japans und eingerahmt vom tiefschwarzen Schleier der Nacht. Die Abermilliarden Wassertropfen, die sich irgendwo in der Ferne verborgen hielten, schienen ihre Geheimnisse nur dem Mond anzuvertrauen. Doch plötzlich brach der Regen über mir herein, als hätte der Himmel genug von meinem Schweigen. Er warf dicke Tropfen nach mir, die auf meinem blütenweißen Hemd aufschlugen und mit einem lauten Plopp zerplatzten. Die nassen Überreste der Tropfen wurden eilig von den Fasern meiner Schuluniform aufgesaugt. Der Regen wurde lauter, spülte meine Tränen fort und ließ sie in die Tiefe stürzen. Es war, als würde der Himmel zu mir sprechen, mich rufen.
»Ich bin der Wind, und du bist die Sonne.«
Ihr alle wart die Sonne, denke ich. Ihr habt mich langsam ausgetrocknet, mir die Lebenskraft genommen, während ich – der Wind – immer schwächer wurde. Jetzt ist es nur noch mein leises Dasein, das ich in meinen Händen halte. Alles andere, sogar meine Lebenslust, ist mir längst entglitten. Jede Vorstellung von Morgen ist wie ein schwarzes Loch, das sich nicht greifen lässt – nur das Jetzt ist geblieben.
Welcher Gedanke macht den letzten Schritt? Welcher Moment entscheidet, dass es keinen Weg mehr zurück gibt? Bilder formen sich in meinem Kopf, verschwommen und doch schmerzhaft klar. Ich sehe meinen Fuß vor mir ins Nichts treten, suchend nach Halt, nur um ihn nicht zu finden. Der kalte Wind umspielt mein Gesicht, wie die Meeresbrise, die mich einst an unzähligen Abenden tröstete. Ich erinnere mich an den warmen Sand unter meinen Füßen, an das Wasser, das mich umschloss, und an die Art, wie es den Boden unter mir langsam wegspülte, mich tiefer in sich hineinziehen wollte.
Ich lasse meinen Blick noch ein letztes Mal in die Ferne schweifen, der Duft unzähliger Chrysanthemen steigt aus dem Dachgarten an mir empor, kriecht mir langsam in die Nase, wo er sich mit dem Geschmack von feuchter Erde nach dem Regen vermischt. Mein Körper zittert, es ist nur noch ein einziger Schritt. Ein Fuß vor den anderen, als würde man laufen; dem eigenen Leben davonlaufen.
Mein letzter Schritt. Ich klammere mich an einen Regentropfen und falle mit ihm in die Tiefe. Meine Farben zerfließen – mit jedem Tropfen werden sie blasser. Pastellfarbenes Rot vermischt sich mit der Pfütze des Lebens, die sich unter mir ausbreitet. Und doch ist es nicht das Ende. Vielleicht ein Anfang. Irgendwo in der Ferne. Dort, wo der Wind sich neu formt. Und die Sonne nicht länger auf meiner Haut brennt.