Und das soll man glauben? - Andreas Malessa - E-Book

Und das soll man glauben? E-Book

Andreas Malessa

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Beschreibung

Bibel lesen – weil wir alle darin vorkommen

Die einen nehmen jedes ihrer Worte wörtlich, für andere bieten ihre Geschichten nur krudes Zeug aus alter Zeit – und beide Gruppen verstehen die Bibel falsch. Andreas Malessa zeigt hier, wie man das Buch der Bücher als aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts wertschätzen kann, ohne seine Vernunft an der Garderobe abgeben zu müssen. Folgt man dem ebenso unterhaltsamen wie kundigen Essay des Autors, wird einem die Bibel schnell zu einem Leitfaden für moderne ethische Gewissensfragen. Gerade weil man sie »kritisch«, d.h. unterscheidend, lesen lernt. Sie ist ein Klassiker des Lebenswissens, der auch heute noch zu einer Welthaltung anleitet, die dem Glück im Dasein und in der Gemeinschaft dient. Malessas Sachbuch nimmt den Frommen die Angst vor den eigenen Zweifeln und öffnet Skeptikern einen neuen Blick auf einen Klassiker der Weltliteratur, ohne den es die Geschichte, die Kunst und die Kultur der westlichen Welt nie gegeben hätte.

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Seitenzahl: 190

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Kennedy hat gelogen, der Mann war gar kein Berliner! Oder? – Die Wucht und Wirkung der Zusage Kennedys begreift man nur, wenn man ihren historischen Kontext und Symbolgehalt kennt; wenn man das wörtlich Gesagte vom sinnhaft Gemeinten unterscheidet. Ist das mit berühmt-berüchtigten Sätzen von Moses, Jesus und Paulus auch so?

Der moralische Kompass, an dem sich Milliarden Menschen orientieren, wurde und wird bestimmt von – der Bibel, der »Heiligen Schrift« für Juden und Christen. Doch während die einen sie wörtlich nehmen, halten andere sie für krudes Zeug. Gibt es für aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts eine »Les-Art« zwischen Fundamentalismus und Wurschtigkeit?

Ja, meint Andreas Malessa und feilt freundlich, frech und fachkundig einen Verständnis-Schlüssel zum ungelesensten Bestseller der Weltliteratur, ohne den es die westliche Kunst und Kultur nie gegeben hätte und der auch Nichtreligiöse zu einer Welthaltung von Humanität und sozialer Verantwortung anleitet. Humorige Schulterblicke nicht ausgeschlossen.

Andreas Malessa ist Hörfunkjournalist bei ARD-Sendern, ev. Theologe, Buchautor von Sachbüchern, Biografien und satirischen Kurzgeschichten. Seine TV-Talkformate, Dokumentarfilme, Hörbücher, Vorträge und die Musicals »Amazing Grace« und »Martin Luther King« aus seiner Feder stehen für Kompetenz und Humor, wenn es um die Interpretation biblischer Texte geht.

Andreas Malessa

UND DAS SOLL MAN GLAUBEN?

Warum ich der Bibel trotzdemvertraue

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber an den aufgeführten Zitaten ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall nicht gelungen sein, bitten wir um Nachricht durch den Rechteinhaber.

Copyright © 2023 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umsetzung E-Book: Greiner & Reichel, Köln

Covermotiv: Caravaggio, eigentlich Michelangelo Merisi (1571–1610)

»Der ungläubige Thomas«, um 1601, Öl auf Leinwand, 107 x 146 cm, Potsdam, SPSG, Bildergalerie von Sanssouci; © der Vorlage: akg-images, Berlin

ISBN 978-3-641-31173-5V003

www.gtvh.de

In diesem Buch finden Sie keine Gendersternchen, Doppelpunkte in der Wortmitte, Unterstriche, Binnen-Versalien oder Endungs-X. Das ist keine Ablehnung der dringend notwendigen Bemühungen, Chancengleichheit für alle herzustellen, im Gegenteil: Diesem Ziel fühle ich mich als Autor verpflichtet.

Allerdings glaube ich nicht, dass eine Verkomplizierung der Sprache und erschwerte Lesbarkeit die Ungerechtigkeiten beseitigen. Nur aktives Handeln im Alltag schafft Veränderung.

Deshalb nutze ich an vielen Stellen die weibliche und die männliche Form, an manchen die geschlechtsneutrale Verlaufsform, an anderen nur die weibliche oder nur die männliche Schreibweise.

Inhalt

Vorwort

Für wen ist dieses Buch?

Was will dieses Buch?

Wer schreibt das?

KAPITEL 1

Was ist Ihnen heilig?

KAPITEL 2

Warum sagten Sie Ja?

KAPITEL 3

Ist das Kultur oder kann das weg?

Lernen lernen

Sprechen hören

Lesen können

Anschaulich werden

Symbole verstehen

Musik genießen

KAPITEL 4

Wer schrieb zuerst was über Jesus?

KAPITEL 5

Soll ich das wörtlich nehmen?

KAPITEL 6

Hatte Eva einen Bauchnabel?

KAPITEL 7

Kennen Sie Widersprüche in der Bibel?

KAPITEL 8

Warum sagt ihr »Junge, Junge!«, wenn ihr staunt?

KAPITEL 9

Und? Wie ist er denn so?

KAPITEL 10

Haben Sie Ihre Frau nicht mitgebracht?

KAPITEL 11

Darf man Briefe an andere lesen …

KAPITEL 12

Kennen Sie die Bhagavad Gita?

KAPITEL 13

War Kennedy ein Berliner?

KAPITEL 14

Gab es verplemperte Jahre Ihres Lebens?

KAPITEL 15

Macht ihr einfach, was ihr wollt?

Statt eines Nachworts

Anmerkungen

Vorwort

Für wen ist dieses Buch?

Für Singles, die beim Smalltalk oder Daten gefragt werden, woran sie glauben. Und gerne eine Antwort hätten, warum an nix oder woran doch.

Für Paare, die im Alltag merken, dass Werte und Grundsätze nicht nur vage gefühlt, sondern benannt und kommuniziert werden müssen. Die aus der Bibel z. B. oder gerade die lieber nicht?

Für Eltern, die überlegen, ob sie ihre Kleinkinder bedenkenlos in kirchliche Kitas schicken können, wo von Adam und Eva, von Noahs Artenschutz in einem Holzkahn, von Völkerwanderungen auf Meeresgrund und einem ans Kreuz genagelten Sohn erzählt wird.

Für Familien, die überlegen, ob Heiligabend und Ostern simple Folklore-Feste sind oder was da noch dran sein könnte.

Für Berufstätige, die beobachten, dass erfolgreich multikulturelles Teamwork abhängig ist vom Menschenbild. Was Frauen, Männer und Diverse von sich selbst denken. Aufgrund ihrer Traditionen. Und ihrer religiösen Überzeugungen. Manchmal direkt aus der Bibel.

Für politisch Interessierte, die im Freundeskreis diskutieren, was ökologisch, wirtschafts-, familien- und sozialpolitisch »christlich« und was »unchristlich« ist und ab wann das »christliche Abendland« keins mehr ist.

Für Kulturbeflissene, die in Kunstwerken dauernd auf biblische Bilder und Zitate stoßen. Von Michelangelo über Thomas Mann bis zu Jesus Christ Superstar und Netflix-Blockbustern. Muss man die kennen, die Quellen?

Für Kirchgänger, die im Gottesdienst mehr erwarten als Spruchkarten-Weisheiten und staunen, wie Bibelstellen auch ausgelegt werden können.

Für Internet-Surfer, die sich wundern, warum Verschwörungsfreaks, Kulturkämpfer und Untergangsprediger Bibelverse verwenden, mit denen alles und das jeweilige Gegenteil davon behauptet wird.

Für alle, die eine dicke »Heilige Schrift« im Bücherregal haben und sich fragen warum. Also warum sie »heilig« sein soll.

Für Liberale, die fürchten, dass man ein Fundi wird, wenn man der Bibel vertraut.

Für Konservative, die fürchten, dass man der Bibel untreu wird, wenn man den Liberalen glaubt. Und für alle dazwischen, die zu wenig von dem wissen, wovon sie meinen, es nicht glauben zu können.

Was will dieses Buch?

Unterhaltsam erzählen, warum es sich lohnt, über die Bibel Bescheid zu wissen. Nicht »unnützes Angeberwissen für die Frühstückspause« zu haben, sondern laienverständliches Fachwissen. Dieses Buch will Recherche statt Gerüchte (»Irgendwo in der Bibel steht aber …«), Fakten statt Vereinnahmung (»Gott sagt in seinem Wort ganz klar …«), Infos statt Ignoranz bieten (»uralt und irrelevant«) – augenzwinkernd satirische Schulterblicke nicht ausgeschlossen.

Dies Buch will sogar Lust aufs Selberlesen machen!

Wer schreibt das?

Ein Journalist, der nach seinem Studium der Evangelischen Theologie in Hamburg 30 Jahre beim Deutschlandfunk und beim SWR-Fernsehen die Themen Religion, Kultur und Soziales aktuell bearbeitet hat. In Reportagen, Radiofeatures, Talkformaten und Dokumentarfilmen. Und dabei Menschen kennenlernte, die seine aus Familie und Studium mitgebrachte Wertschätzung der Bibel kritisch hinterfragten und – im Kern bestärkten. Jemand, der erlebt hat, dass man nicht »an« die Bibel glauben muss, aber »der« Bibel »trauen« kann.

Würde mich freuen, wenn es anderen auch so geht.

Andreas Malessa

KAPITEL 1

Was ist Ihnen heilig?

Das fragte ich Studierende an der Filmakademie Ludwigsburg. Lauter junge Kreative, kluge Kinofreaks, mehrheitlich eher »Nicht-so-religiöse« – und bekam erstaunlich spontan und direkt als Antworten:

»Die Erinnerung ans Ferienhaus meiner Kindheit«;»Sex mit meiner jetzigen Partnerin«;»Die Brosche meiner Oma«;»Mein Tagebuch«.

Na bitte, dachte ich. Origineller als »Das Reinheitsgebot für deutsches Bier« oder das schwäbische »Heilix Blechle«! Wobei Bier und Blech ja tatsächlich sehr typisch dafür stehen, was unter »Heiligkeit« verstanden wird: Das Objekt meiner Verehrung soll bitte »rein« und »unversehrt« bleiben. Beide, das Getränk und das Gefährt, sind schutzwürdig und bewahrenswert und sollten notfalls gegen Verunreinigung und Beschädigung verteidigt werden.

Als ich in Ludwigsburg die Regiestars von morgen fragte, ob ich über ihre Kindheitserinnerung oder über ihren Sex einmal spotten dürfe, ob ich die Brosche mir selbst anstecken oder das Tagebuch ironisch zitieren solle – da hieß es ebenso blitzschnell und freundlich drohend: »Wehe! Das wagen Sie nicht«.

Hm. Ein Raum, ein Erlebnis, ein Gegenstand, eine Schrift.

Warum senken Touristen ihre Plauderlautstärke oder beenden ihre genervten Streitereien, wenn sie eine Kathedrale betreten? Warum werden Leute rot oder finden es peinlich, wenn jemand am Stammtisch erotische Einzelheiten krakeelt? Warum versteckt man wertvolle Gegenstände und verwahrt private Notizbücher in abschließbaren Schubladen? Weil es Räume, Erlebnisse, Objekte und Texte gibt, die wir »ehrfurchtgebietend« finden. Weil offenbar alle Menschen, ob gläubig oder nicht, ein Bedürfnis danach und ein Gespür dafür haben, dass etwas »heilig« bleiben soll. Unser deutsches Wort kommt her vom griechischen »hagios« und meint »umzäunt«, »besitzmarkiert«, »zugehörig«, »unterschieden«. Der altdeutsche »Hag«, das Grundstück, der Garten, meinte dasselbe.

»Heilig« markiert eine Grenze, definiert das Besondere. Wie ein Schild, das man in den Vorgarten rammt. Wie ein Zaun, der das Öffentliche vom Privaten, das Allgemeine vom Persönlichen unterscheidet. Den Tempel von der Marktbude, den Heiratsantrag von der Alltagsverabredung, den Abendmahlskelch vom Bierseidel, die Verfassung und das Grundgesetz vom Taschenbuchkrimi und der Boulevardzeitung.

Haben Sie jetzt gedacht: »Nö wieso, ist doch alles dasselbe!«? Oder haben Sie gedacht: »Na klar, das muss auch voneinander unterschieden werden!«? Ich vermute: Sie stimmen der Heiligkeit des einen und der Profanität des anderen zu. Wir wollen nämlich, dass das Besondere auch das Besondere bleibt. Etwas »be-sonder-es«. Was Abgesondertes, was Herausragendes, was »Heiliges«. Verehrenswert und schutzwürdig werden solche »heiligen« Räume, Erinnerungen, Gegenstände oder Schriften durch die Bedeutung, die sie für mein Leben und meine Gefühle haben. Ihre »Heiligkeit« muss gar nicht objektiv von einem Gesetz oder von einer Institution definiert und verordnet werden, sondern ihre Heiligkeit ergibt sich subjektiv durch das, was ich an diesen Orten, durch diese Ereignisse, mit diesen Gegenständen oder in diesen Texten erlebte.

Wie stark wir innerlich daran hängen, merken wir manchmal erst, wenn diese hinzugedachte und hinzugefühlte Heiligkeit verloren geht oder zerstört wurde: Unsere Silberhochzeit wollten meine Frau und ich da feiern, wo wir uns kennengelernt hatten. Wir suchten das Studentenwohnheim, unseren Lieblings-Jazz-Club und das schicke Restaurant, in dem uns zum ersten Mal das Wort »Heiraten« über die Lippen gekommen war. Vor mehr als 25 Jahren eben. Eine Art Pilgerfahrt zu unseren »heiligen« Stätten sollte es werden. Und dann? Statt des Studentenwohnheims stand da ein Lidl-Markt! Im ehemals legendären Jazz-Café war jetzt ein Waschsalon! In den Räumen des damals angesagtesten Restaurants gab es jetzt ein Sanitätshaus mit Krücken und Blutdruckmessgeräten im Schaufenster! Wir fühlten uns beinah persönlich beleidigt.

Jeden Freitag legen Jüdinnen und Juden in Deutschland bei Sonnenuntergang die Arbeit nieder, bereiten koschere Speisen für den Sabbat vor, sprechen jahrtausendealte Tischgebete und Segenssprüche, erheben ihr Glas und zelebrieren ein Abendessen, dessen Rituale Dankbarkeit und Ehrerbietung Gott gegenüber ausdrücken.

Jeden Sonntagmorgen betreten katholische Christinnen und Christen ihre Kathedralen und Kirchen, tauchen die Finger ins Weihwasserbecken, bekreuzigen sich und deuten einen Knicks an, eigentlich einen Kniefall, gegenüber dem Altar, dem Tabernakel und dem ewigen Licht. Und selbst in einem eher nüchternen evangelischen Gemeindehaus oder einem freikirchlichen Mehrzweckgebäude ist für Gläubige der Gottesdienst, die Tauffeier, das Abendmahl klar unterscheidbar von einer x-beliebigen Vortragsveranstaltung dort oder einem geselligen Beisammensein bei Wein und Brezeln.

Beide Religionen, Judentum und Christentum, gehen zurück und berufen sich auf ein Buch, das sie »Heilige Schrift« nennen. Weil sie glauben, dass Gott durch die Texte dieses Buches zu ihnen spricht. Präsens. Nicht nur irgendwann mal gesprochen hat, sondern spricht. In Romanen sprechen die Protagonisten, in Ratgebern die Autorinnen und Autoren oder die Zitierten. Die alle gibt es in der Bibel, vor allem aber spricht Gott.

Nun gut, diese Meinung muss man nicht teilen. Aber die Ehrerbietung, die Menschen diesem Buch entgegenbringen, sollte man respektieren. Weil es um die Bedeutung geht, die seine Inhalte für Leserinnen und Leser haben oder haben können. Die Bibel ist nie »nur ein Buch«. Sie ist immer auch Symbol für den Glauben, die Spiritualität, die jüdisch-christliche Weltanschauung, für ein Menschenbild, ein Wertebewusstsein. Wer eine bestimmte religiöse, kulturelle oder politische Denk- und Lebensweise ablehnt, hasst, verhindern will – fängt meist bei ihren Texten an: Als die Nazis im März und Mai 1933 deutschlandweit mit theatralischer Geste die Bücher jüdischer, liberaler oder linker Autorinnen und Autoren verbrannten – von Anna Seghers, Franz Kafka, Bert Brecht, Kurt Tucholsky, Erich Kästner z. B. – wollten sie ein Zeichen setzen gegen den »undeutschen Geist«, den die Texte ihrer Meinung nach verbreiteten. 110 Jahre vorher, 1823, hatte der Dichter Heinrich Heine geschrieben: »Dies ist ein Vorspiel nur. Wo man Bücher verbrennt, da brennen bald auch Menschen.« Genauso kam es. »Jüdische Autoren verbreiten undeutschen Geist?« Da hätten sie doch zuallererst die Bibel verbrennen müssen, oder?

Der bis 2008 in Köln tätige Sektenprediger Terry Jones und sein Ko-Pastor Wayne Sapp verbrannten im März 2011 einen Koran in ihrer Gemeinde in Gainesville/Florida. Empörte Islamisten in Afghanistan töteten daraufhin sieben UN-Mitarbeitende. Aktivist Udo Ulfkotte vom rechten Netzwerk »Pro NRW« lud Hassprediger Terry Jones prompt nach Deutschland ein. Wenn christliche Fundamentalisten auf muslimische Fundamentalisten prallen, gibt es Tote im Nahen Osten und Riesenrandale in Europa. Um das in Köln zu verhindern, sprach der damalige Außenminister Guido Westerwelle ein Einreiseverbot für den Koranverbrenner aus.

Das tolerante Schweden dagegen erlaubte am 21. Januar 2023 dem Gründer der rechten »Stram Kurs«-Partei, Rasmus Paludan, vor der türkischen Botschaft in Stockholm einen Koran zu verbrennen. Ergebnis: Diktator Erdogan gab sich empört, rieb sich aber die Hände, denn nun konnte er den NATO-Beitritt Schwedens weiterhin blockieren.

Was ist Ihnen heilig?

Wenn auf Internet-Kacheln, in Comics und Karikaturen, in Werbespots und Videoclips, vor allem aber in Satire-Sendungen allerlei Engel und Teufel, Evas und Äpfel, Gottheiten und Jesusse, Marias und Päpste auftauchen; wenn Kabarettisten und Comedians den gekreuzigten Jesus, das Abendmahl oder die Auferstehung verhohnepipeln, dann finden das viele geschmacklos und gotteslästerlich. »Ist denen denn nichts mehr heilig!« lautet dann die spontane Empörung.

»Religiöse Gefühle sind halt empfindlicher als ein Schienbein«, sagte Ex-Verfassungsrichter Ernst Benda. Der § 166 unseres deutschen Strafgesetzbuches, der fälschlich so genannte »Gotteslästerungs«-Paragraph, schützt auch nicht etwa zartbesaitete fromme Seelen, sondern den »öffentlichen Frieden«. Ein weltanschaulich neutraler Rechtsstaat kann auf Strafandrohungen gegen »Blasphemie« verzichten, wenn er einerseits die Religionsfreiheit, andererseits aber auch Meinungs- und Pressefreiheit garantiert. Die Freiheit der Kunst – und der religionskritischen Kabarettisten – kann der Gesetzgeber aber leichter gewähren, wenn sich bei Künstlern und Comedians die Erkenntnis herumspricht, dass jeder Mensch empfindliche Seelenbezirke hat. Geistig erogene Zonen im Kopf und im Bauchgefühl, könnte man sagen. Erinnerungen, die bei Berührung heftig reagieren. »Intimsphäre« nennen wir diesen »Hag«, dieses umzäunte Gärtlein des Ichs. Diese Intimsphäre beginnt körperlich meist an der Badezimmer- oder Schlafzimmertür. Seelisch-geistig aber beginnt sie an den Grenzen dessen, was einem kulturell und religiös schutzwürdig erscheint. Die Bibel zum Beispiel. Die »Heilige Schrift«.

Kommen nun aber 250 Jahre naturwissenschaftliche Forschung daher und die sagen: »Erschaffung der Welt in sechs Tagen? Mumpitz! Alle Tierarten in einem einzigen Holzschiff? Lächerlich! Jungfrau kriegt Kind? Wer glaubt denn so was!« – dann streiten Kopf gegen Herz, Verstand gegen Gefühl und ein kaltherziger Rationalismus tritt die Tür eines gemütlichen religiösen Wohnzimmers ein. Freundlich und gebildet nennt man diesen Vorgang »De-Konstruktion«. Die De-Konstruktion biblischer Texte beginnt schon im kirchlichen Kindergarten, wenn einerseits von der Erschaffung der Welt durch Gott und von Adam und Eva erzählt wird, andrerseits aber Bilderbücher mit Dinosauriern, versteinerten Fossilien und affenähnlichen Urmenschen herumgereicht werden.

Die Dekonstruktion der »Heiligen Schrift« fand und findet auch in den Köpfen gläubiger Menschen statt. Ob sie es zugeben oder nicht. Das bringt Verlustangst und bringt Verletzungsschmerz. Ihr Gefühl sagt: »Die Wissenschaft, die Moderne, der Zeitgeist, die Säkularisierung – alle nehmen mir was weg. Da zerbröseln ethische Orientierung und Grundwerte, da stehen religiöse Haltungen als infantil und blöd dar. Wenn so vieles aus der Bibel nicht mehr stimmt, was stimmt dann überhaupt noch?« Wie heilig also ist die »Heilige Schrift«?

Christinnen und Christen nennen sich so, weil sie sich »Jesus Christus zugehörig« fühlen und sich auf ihn berufen. Von dem wissen sie zwar nur das, was die Bibel von ihm und über ihn erzählt – trotzdem heißt ihre Religion »Christen-tum« und nicht »Bibel-tum«. Klingt albern, könnte aber den »Dekonstruktions-Schmerz« mancher Christenmenschen mildern. Wenn sich ihre Wertschätzung der Bibel nicht daran misst, wie viel »Richtigkeiten« ihnen einleuchtend scheinen, sondern wie viel »Christus« in ihr aufleuchtet. Ausgehend von der Frage: Was war Jesus denn heilig?

Der Jerusalemer Tempel und die Gerätschaften darin? Als eine Frau aus dem Landstrich »Samarien« – Angehörige einer religiösen Minderheit im antiken Israel – Jesus gegenüber einwendet, sie dürfe ja nicht in den Jerusalemer Tempel (leider Frau, leider Samariterin), antwortet er ihr sinngemäß: »Vergiss alle Tempel. Es kommt die Zeit, da begegnet man Gott ›im Geist und in der Wahrheit‹«1. Heißt so viel wie: Ohne festgelegte heilige Orte mit religionsgesetzlich definierten Zutrittsverboten.

Waren Jesus das mosaische Gesetz und seine wortwörtliche Einhaltung »heilig«? Das Gesetz? Ja. Seine wortwörtliche Einhaltung? Nein. Jesus verschärft die Verbote von Mord, Ehebruch und Meineid. Geradezu anmaßend im Gegensatzpaar »Ihr habt gehört, dass …, ich aber sage euch«2. Andrerseits relativiert er das Verbot, am Sabbat zu arbeiten.3

Waren Jesus die gesellschaftlichen Konventionen »heilig«? Jesus schickt seine Mutter weg, als sie ihn nach Hause holen will.4 Jesus kehrt ins Haus der zwei unverheirateten Frauen Maria und Martha ein5; Jesus lässt sich von einem korrupten Beamten einladen und von einer stadtbekannten »Sünderin« öffentlich liebkosen.6 »Ist dem denn gar nichts heilig!«, fragten die religiös und kulturell Konservativen seiner Zeit. Doch! Menschen waren Jesus heilig.

Schutzwürdig, bewahrenswert, liebenswert. »Heilig« sind ihm die Menschen nicht, weil wir so talentiert, vernunftbegabt, moralisch fehlerlos oder spirituell sensibel wären. Sondern weil wir »nach dem Bilde Gottes geschaffen«7 sind, also wie »Kinder Gottes« leben könnten.

»Ich bin gekommen, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist«, sagt Jesus über seinen Auftrag.8 Heißt doch: Ich bin gekommen, um euch davor zu schützen, dass Menschenwürde und Menschenwerte, Identität und Sinn verloren gehen. »Selig machen« im Sinne von: »Ich bin gekommen, um euch diesseits und jenseits des Todes bei Gott zu beheimaten.« Folgerichtig sind die im christlichen Teil der Bibel, im sogenannten »Neuen Testament« enthaltenen Briefe an die ersten Gemeinden rund ums Mittelmeer ganz unbekümmert an »die Heiligen von …« adressiert. Dass ihre Briefe selbst eines Tages als »Heilige Schriften« gelten würden, gleichauf mit der hebräischen »Thora«, die ihnen als Juden heilig war – das konnten die Verfasser ja nicht ahnen. …

KAPITEL 2

Warum sagten Sie Ja?

Das fragte ich für eine Reportage kurz vor Valentinstag verheiratete Paare, die gemeinsam (!) Blumen kauften. Erinnern Sie sich doch mal selbst. Oder, falls Sie Single sind, bitten Sie ein befreundetes Ehepaar, es Ihnen zu erzählen: Warum machten Sie Ihre Absicht, füreinander lebenslang verantwortlich zu sein, aktenkundig und rechtsverbindlich?

Das war doch sehr adrenalinhaltig, oder? Erst auf dem Standesamt, dann vor dem Traualtar. In Anwesenheit der Verwandten und vieler Freunde, von ergreifender Musik umbrandet, mit Kloß im Hals und Tränen der Rührung in den Augen? Dabei war das Traualtar-Ja schon das vierte. Den zwei amtlichen Antworten – auf dem Rathaus und in der Kirche – ging doch ein Heiratsantrag voraus, oder? Die berühmte »Willst du?«-Frage. Ob mit Kniefall-plus-Ring oder ohne alles, aber bei Vollmond …? Auch da haben Sie – Herzklopfen, Gänsehaut – ausdrücklich Ja gesagt. Ja gesagt, einander vertrauen zu wollen. Voraussetzung für diesen Heiratsantrag wiederum war ein Einverständnis, an dessen Zustandekommen sich manche Paare lieber gar nicht erinnern, das andere Paare aber als einen heiligen Moment ihres Lebens in Ehren halten: ihr erster Kuss! Auch da stieg der Blutdruck und die Schmetterlinge im Bauch flatterten. Ob ohne Worte oder mit: Es war ein Ja.

Viermal haben Sie sich getraut, einander zu vertrauen. Und wurden infolgedessen immer vertrauter miteinander. Obwohl es weder Beweise noch Garantien gab. Für die Liebe nicht, die Treue nicht, für die Haltbarkeit des Glücks schon gar nicht. Keine Sicherheiten. Es gab nur den Sprung ins Vertrauen.

Was hat das mit dem Thema dieses Buches zu tun? Die berühmte »Gretchenfrage« ist doch: Gibt es vernünftige Gründe, an Gott zu glauben? Und falls es ihn oder sie oder es gibt – sollte Gott dann unter 8,6 Milliarden Menschen ausgerechnet an mir persönlich interessiert sein? Die Bibel antwortet hier mit »Ja«. Was sofort die Rückfrage aufwirft: »Und das soll ich glauben?!«

Tja. Die deutsche Umgangssprache verwendet »glauben« leider synonym für »vermuten«: Ich glaube, morgen regnet’s. Ich glaube, es ist der Magen. Dabei meinte das Verb im Althochdeutschen »geloben« und bezeichnete ein »willentliches vertrauen«. Kurz: »glauben« kann man nicht müssen. Ich kann es nur wollen.

Noch eine Unterscheidung ist zu machen: Wenn ich eine Ordnungsstrafe bekomme, weil ich geblitzt wurde, oder wenn ich meinen Einkommenssteuerbescheid lese, dann rufe ich manchmal: »Ich glaub’s ja nicht!«. Aber »glauben« ist das falsche Wort. Wenn ich gezwungen bin, eine unvermeidliche Tatsache zu akzeptieren – mein Lebensalter, eine tödliche Krankheit, eine Naturkatastrophe, oder eben meinen Einkommenssteuerbescheid – dann muss ich die »hinnehmen« oder »mich damit abfinden«. Die sarkastische Redewendung »Irgendwann muss jeder dran glauben« führt auch auf die falsche Fährte: Nein, jede und jeder muss irgendwann den Tod gezwungenermaßen erleiden. Mit »freiwilligem Vertrauen« wie beim ersten Kuss, beim Heiratsantrag oder bei der Hochzeit hat das nichts zu tun.

Dem Grundgesetz und dem Strafgesetzbuch muss ich gehorchen. Deren Missachtung oder Übertretung ist strafbewehrt. Den Mietvertrag und die Hausordnung sollte ich befolgen. War so verabredet und ist für alle Beteiligten stressfreier. Dem Versicherungsvertrag kann ich »glauben« im Wortsinn, wenn ich ihn gründlich gelesen habe, die Bedingungen plausibel und den Vertragspartner vertrauenswürdig finde.

Der Bibel aber – der kann ich nur vertrauen wollen. Sie ist nämlich weder Strafgesetzbuch noch Versicherungsvertrag (auch wenn viele Passagen so klingen. Dazu später mehr), sondern im Kern ist sie das Dokument einer Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. In dieser Beziehung übernimmt sie die Funktion eines Briefwechsels: Es gibt ergreifende Liebesbriefe und verstörende Beschwerdebriefe. Von Menschen an Gott, aber auch von Gott an uns. Es gibt dramatische Familienromane, kunstvolle Kurzgeschichten, endlose Verordnungen, zarte Poesie, weise Gebete, berühmte Lieder, noch berühmtere Gleichnisse und Metaphern, es gibt drakonische Drohungen, witzige Anekdoten, zähe Namens- und Bestandslisten und sogar banales Alltagskleinklein.

»Und das alles soll ich glauben?!« Nein. Können Sie nicht, müssen Sie nicht und »alles« haben die wenigstens Menschen gelesen.

Ich schon. Sogar oft schon. Weil ich relativ früh »Ja« sagte. Ja sagte zu der Annahme, dass die Bibel mehr ist als die Summe ihrer literarischen Einzelteile. Eine Textsammlung nämlich, durch die ein tatsächlich lebendiger Gott sein Wesen und Wollen »offenbart«. Das ist unbeweisbar, klar, es ist nur erstmal positiv unterstellt: ein Buch, in dem Gott sich zeigt, bekannt macht, seine Motive und Absichten erläutert und ich dabei erfahre, dass Gott Liebe ist.1 Nicht als abstrakt philosophischer Begriff, sondern spürbar und wirkungsvoll: »Liebe, ausgegossen in unsere Herzen«2.

Warum so viel Vorschussvertrauen? Weil ich ohne diesen Sprung ins Vertrauen keine Erfahrungen mit der Liebe Gottes gemacht hätte. Ohne Vorschussvertrauen zu meiner Freundin hätte es ja auch keinen Kuss, keinen Heiratsantrag, keine Hochzeit und keinen daraus folgenden gemeinsamen Lebensstil gegeben.