... und was kann man damit später mal machen? - Alex Burkhard - E-Book

... und was kann man damit später mal machen? E-Book

Alex Burkhard

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Beschreibung

Pflichtlektüre! Die Frage kennt wohl jeder, der mal mit Geisteswissenschaften Kontakt hatte: "... und was kann man damit später mal machen?" Alex Burkhards Geschichten geben darauf keine endgültigen Antworten, doch geben sie die Frage auf höchst originelle Weise weiter. Und das ist ja auch eine Erkenntnis. Wenn man eine Geisteswissenschaft studiert, werden einem die wirklich elementaren Fragen nicht von den Dozenten, sondern von den Mitmenschen gestellt. ... und was kann man damit später mal machen? gewährt einen sehr humorvollen, manchmal auch poetischen und nachdenklichen Einblick in die Gedanken- und Alltagswelt eines Geisteswissenschaftlers. Eine Welt, die sich am Ende gar nicht so sehr von der anderer Menschen unterscheidet, denn Alex Burkhard betrachtet das Leben stets mit einem höchst wachen Blick fürs kuriose Detail. Ein komischer Autor, den man unbedingt entdecken sollte! 26 pointierte Geschichten, die sich zusammenfügen zu einem chaotisch-liebevollen Gesamtbild eines Studenten zwischen Gegenwartsmeistern und Zukunftsfragen.Oder anders gesagt: Ob es sich lohnt, Geisteswissenschaften zu studieren, wissen wir nicht. Aber es lohnt sich auf jeden Fall, Alex Burkhard zu studieren.

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Seitenzahl: 180

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Alex Burkhard

... UND WAS KANN MAN DAMITSPÄTER MAL MACHEN?

ALEX BURKHARD

... UND WASKANN MAN DAMITSPÄTER MALMACHEN?

26 GESCHICHTEN VON A BIS ZFÜR GEISTESWISSENSCHAFTLER UND ALLE ANDEREN,DIE AUCH NICHTS ANSTÄNDIGES GELERNT HABEN.

ALEX BURKHARD

Jahrgang 1988, wird immer älter geschätzt. Aufgewachsen im Westallgäu, ging er, kreativ wie er schon immer war, zum Studieren nach München. Seit 2007 liest er bei den Münchner Lesebühnen »Westend ist Kiez« sowie »Stadt, Land, Fluss« und steht als Slam-Poet, Autor und Moderator auf diversen Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum. Dabei hat er oftmals sehr schöne Schuhe an.

1. Auflage November 2013

© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2013

www.satyr-verlag.de

Cover: Paul Bokowski

(unter Verwendung eines Fotos von fred34560 – Fotolia.com)

Autorenfoto Backcover: Marvin Ruppert

E-Book-Ausgabe (EPUB)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de

Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.

ISBN: 978-3-944035-13-0

INHALT

... UND WAS KANN MAN DAMIT SPÄTER MAL MACHEN?

Antworten (ver)suchen

Bewerbungsgespräche führen

Contenance wahren

Diskutieren

Eindruck

Freundschaften pflegen

Geschichten erzählen

Hausmann werden

In die journalistische Richtung gehen

Jobs für die Mafia

Kunst

Lasagne

Menschen beobachten

Nichts

Ordnung halten

Philosophieren

Quellenanalysen

Reisen

Schluss

Taxi fahren

Ungewöhnliche Ideen umsetzen

Versumpfen

Wissen anwenden

X-beinige Hunde ausführen

You Never Can Tell

Zufrieden sein

Setzen Sie sich!

Sitzen Sie?

Lehnen Sie sich ruhig zurück!

Sie sollen bequem und leger sitzen.

Rauchen können Sie.

Wichtig ist, dass Sie mich ganz genau hören.

Hören Sie mich genau?

Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, was Sie interessieren wird.

(Bertolt Brecht, Gedichte für Städtebewohner)

ANTWORTEN (VER)SUCHEN

Hier fängt die Geschichte an.

(Walter Moers, Die Stadt der träumenden Bücher)

»Und was kann man damit später mal machen?«, fragt das Mädchen.

»Na ja«, sage ich. »So genau kann man das nicht sagen. Man hat halt einen Uni-Abschluss, und dann sieht man weiter.«

»Aha«, sagt das Mädchen und geht.

»Wie war das?«, frage ich meine Dozentin, die neben mir am Skandinavistik-Stand steht und mit der zusammen ich am Tag der offenen Tür der Uni für das Fach werben soll.

»Besser«, sagt sie. »Besser. Immerhin hast du dieses Mal den Uni-Abschluss erwähnt.«

»Ja«, sage ich. »Und ich habe es vermieden, die Worte ›beschissen‹ und ›Bachelorstudium‹ zu kombinieren.«

»Ja, du bist auf dem richtigen Weg.«

Warum ich hier stehe, weiß ich nicht so genau, vermutlich hat es etwas mit der Hiwi-Stelle zu tun, die ich seit Kurzem inne habe, und mit den Pfefferkuchen, die an unserem Stand ausliegen, um potenzielle Erstsemester anzulocken.

Warum ich schon kurz nach Studienbeginn eine Hiwi-Stelle habe, weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht haben sie mein schon lichter werdendes Haar gesehen und dachten, ich sei bereits in meiner Abschlussphase. Oder es liegt daran, dass ich noch Magisterstudent bin und sie wissen, dass ich deshalb viel Zeit habe.

»Ich finde ja Wikinger voll interessant«, sagt ein Typ gerade zu meiner Dozentin. »Macht man bei euch auch so Wikingerzeug?«

»Ja«, antwortet sie, »es gibt eine Einführung in die Literatur und Kultur des skandinavischen Mittelalters, da kriegst du das volle Programm. Wikinger, Sagas, Eddadichtung mit Riesen und Trollen ...«

»Und was kann man damit später mal machen?«, fragt die Mutter des Typen.

»Man kann zum Beispiel an der Uni bleiben und forschen oder eine Funktion im Literaturbetrieb übernehmen. Auch Übersetzer, gerade von wissenschaftlichen Texten, werden immer wieder gebraucht. Es gibt aber auch viele, die in die journalistische Richtung gehen.«

Irgendwie klingt das besser als das, was ich dem Mädchen vorhin gesagt habe. Trotzdem zieht die Mutter den Typen weg. Es scheint, als sei sie nicht der Meinung, dass sich sechs Semester beschissenes Bachelorstudium lohnen, wenn man danach auch noch selber schauen muss, welchen Beruf man wählen will.

»Mach dir nichts draus«, sage ich zu meiner Dozentin und reiche ihr einen Pfefferkuchen, »wir sind auf dem richtigen Weg.«

»Findest du? Warum flüchten dann immer alle zum Nachbarstand, wenn wir ihnen sagen, dass sie mit unserem Studiengang nicht Arzt oder Vorstandsvorsitzender von BMW werden können?«

Am Nachbarstand verteilen die BWL-… na ja, sagen wir mal Menschen essbares Geld. »Wir bringen Sie auf den richtigen Weg!«, steht auf dem Spruchband, das über ihrem Stand prangt. Dahinter ein Sternchen wie bei einer Werbung für den ultimativ günstigen Handyvertrag. Ein zweites, ungleich kleiner gedrucktes Sternchen an der Seite verkündet kaum noch lesbar: »Heute fressen Sie das Geld, später wird das Geld Sie fressen.«

»Ich finde ja Wikinger voll interessant«, sagt der Typ von vorhin dort gerade zu einem der Anzüge. »Macht man bei euch auch so Wikingerzeug?«

»Nein«, sagt der, »aber wenn wir mit dir fertig sind, kannst du dir dein eigenes Langschiff kaufen.«

»Das klingt doch toll, Typ«, sagt die Mutter des Typen.

»Bei uns lernst du, wie du Runensteine lesen kannst«, raune ich dem Typen zu und ernte einen mitleidigen Blick vom Nachbarstand. Aber noch gebe ich nicht auf: »Und wir feiern immer Midsommar im Englischen Garten, mit skandinavischen Liedern und Gerichten. Und im Winter das Luciafest ... mit skandinavischen Liedern und Gerichten.«

»Wenn wir mit dir fertig sind«, sagt einer der Anzüge, »kannst du dir skandinavische Gerichte kaufen. Ach was, du kannst dir Skandinavien kaufen.«

»Das klingt doch toll, Typ«, sagt die Mutter des Typen.

»Entschuldigung«, sage ich plötzlich, denn mein Handy klingelt.

»Hallo, hier sind Felix, Volker, Sacha und Fabian. Uns ist zu Ohren gekommen, dass du schreibst und in dem Allgäuer Kaff, in dem du aufgewachsen bist, mal ein paar Texte vorgetragen hast, die gar nicht so scheiße waren. Willst du bei unserer Lesebühne mitmachen? Is’ echt voll geil!«

»Entschuldigung, wer ist da?«, frage ich.

»Felix, Volker, Sacha und Fabian. Aber Fabian brauchst du dir nicht merken, der steigt eh bald aus.«

»Warum das denn?«

»Er wird in ’nem guten Jahr Vater.«

Ich überlege kurz, doch auch danach macht es noch keinen Sinn.

»Und was ist eine Lesebühne?«, frage ich.

»Wir vier – und hoffentlich auch du bald – lesen einmal im Monat vor Publikum neue Texte vor, die wir selber geschrieben haben, meistens jeder zwei. Von den Texten her ein bisschen wie Poetry Slam, nur mit Stammbesetzung und ohne Wettbewerb. Is’ echt voll geil!«, sagen Felix, Volker, Sacha und Fabian. »Sind immer ziemlich viele Zuschauer und gute Stimmung und spätestens nach ’nem Jahr kann man auch alte Texte lesen, das merkt dann keiner mehr.«

»Das klingt doch toll, Alex«, sagt die Mutter des Typen, deshalb sage ich zu.

Ich weiß zwar nicht, wer Felix, Volker, Sacha und Fabian sind, aber sie klangen nett. Und viele Freunde habe ich noch nicht gefunden, seit ich zum Studieren hierhergezogen bin. Sebastian vielleicht, meinen Mitbewohner, aber der ist fast nie zu Hause.

»Es gibt aber auch viele, die in die journalistische Richtung gehen«, sagt meine Dozentin unterdessen zu einem anderen Anzug. Es erinnert mich ein bisschen an Age of Empires, als man seine Gegner, anstatt sie anzugreifen, mithilfe von Mönchen ganz einfach bekehren konnte.

»Und wusstet ihr«, springe ich ihr deshalb sofort fun-factend zur Seite und zitiere die Skandinavische Literaturgeschichte, »dass sich Ende des 19. Jahrhunderts viele skandinavische Künstlerkreise in Deutschland gebildet haben? Berlin war die Kultur- und Kunstmetropole, ›während Münchens Attraktivität eher in billigen Wohnungen, gutem Bier und Arbeitsruhe bestand.‹1«

»Entschuldigen Sie, haben Sie gerade ›billige Wohnungen‹ gesagt?«, fragen ungefähr dreihundert Mütter von Typen auf einmal.

»Ja klar, nehmen Sie einfach die U133 ins Jahr 1880«, sage ich und nehme mir noch einen Pfefferkuchen.

»Alex, die sind nicht für dich«, sagt meine Dozentin.

»Wenn wir mit dir fertig sind«, sagt einer der Anzüge, »kannst du dir die U133 kaufen.«

»Das klingt doch toll, Typ«, sagt die Mutter des Typen.

Warum ich immer noch hier stehe, weiß ich nicht so genau. Vermutlich tut mir meine engagierte Dozentin leid und ich möchte sie nicht alleine lassen. Vielleicht halte ich mich aber auch lieber von Leuten umgeben in der Uni auf und esse Pfefferkuchen, als nach Hause zu gehen und zu merken, dass ich in der neuen Stadt noch fast niemanden kenne. Außer einen Mitbewohner, der fast nie zu Hause ist.

»Und was kann man damit später mal machen?«, frage ich meine Dozentin vorsichtig, als wir später wieder ungestört an unserem Stand stehen.

»Alex, ich habe seit ein paar Jahren meinen Abschluss, und statt sinnvoll zu forschen oder irgendwo Geld zu verdienen, stehe ich hier an einem Infostand für Skandinavistik rum«, sagt sie. »Sieht das aus, als hätte ich eine Antwort gefunden?«

Ich schätze, es wird also wohl noch eine ganze Weile dauern, bis ich jemandem diese Frage beantworten kann. Aber ich bin Magisterstudent, ich habe also noch ein paar Semester dafür Zeit. Ich nehme mir einen weiteren Pfefferkuchen und laufe am BWL-Stand vorbei zur U-Bahn. Und ein bisschen fühlt es sich so an, als wäre ich trotz allem auf dem richtigen Weg.

1 Heitmann, Annegret. 2006. Die Moderne im Durchbruch (1870–1910). In: Skandinavische Literaturgeschichte. Jürg Glauser, Hg. S. 183-229, hier: 201. Stuttgart und Weimar: Verlag J. B. Metzler.

EINDRUCK

Mir liegt wirklich nichts ferner, als Erwartungen zu erfüllen.

(Luc Spada, Abführung der lebenswichtigen Mittelmäßigkeit)

Sebastian ist wieder einmal nicht zu Hause, deshalb sitze ich alleine vor meinem Laptop und schaue Breaking Bad. Irgendjemand hat mir diese Serie empfohlen, ach, was sage ich »irgendjemand«: meine Schwester, die immerhin in der ProSieben-Onlineredaktion arbeitet und trotzdem ein herzensguter Mensch ist, meine Schwester hat sie mir empfohlen, mehrfach und eindringlich. Und wenn meine Schwester sagt »Ja, ich weiß, ich schau eigentlich auch nicht viele Serien [sic], aber Breaking Bad, Alex, Breaking Bad ist so anders, es ist so toll, du musst es einfach schauen, es ist mit nichts vergleichbar, vor allem die Cliffhanger!«, dann glaube ich ihr das.

Also schaue ich eine Folge Breaking Bad, und dann schaue ich noch eine Folge und noch eine, und irgendwann möchte ich schlafen gehen, und dann schaue ich noch eine Folge. ›Verdammt‹, denke ich mir, ›was soll denn der Scheiß? Diese Serie kann nichts!‹ Aber wie meine Schwester, die wirklich sehr cool ist und seit Monaten in einem Text erwähnt werden will, es behauptet hat, hat sie, also die Serie, geniale Cliffhanger.

Der Begriff »Cliffhanger« steht für eine Situation oder eine Serie selbst, in der eine »Episode gerade im spannendsten Moment abbricht.«2 Ich finde es sehr unfair, dass das offenbar alles ist, was man können muss, um interessant zu wirken und Leute zu fesseln. Aus Trotz beschließe ich, morgen die Probe aufs Exempel zu machen und der Welt ein paar Cliffhanger zu verpassen.

Diese müssen natürlich einhergehen mit einem ansonsten eher durchschnittlichen Drehbuch. Ich gehe also in Stoffhosen, Longsleeve und Dreitagebart zum Bäcker und stelle mich in die Schlange. Doch je näher ich der Theke komme, desto nervöser werde ich. Ich beginne, mich paranoid umzusehen und geistesabwesend meine Bestellung vor mich hin zu murmeln. Die ersten Leute drehen sich zu mir um, doch ich werde nur immer unruhiger. Als ich dran bin, bekomme ich kaum den Mund auf, so sehr zittere ich. Viele der Kunden zücken ihr Handy, um im Notfall Hilfe zu holen. Immerhin. Die junge, attraktive Verkäuferin, von der sich jeder fragt, warum sie in einer Bäckerei arbeitet – aber hey, vielleicht wartet sie nur darauf, dass sie jemand Bestimmtes, ein lässiger Mann mit Stoffhosen, Longsleeve und Dreitagebart zum Beispiel, dort herausholt –, fragt mich, was ich will. Stumm formen meine Lippen einen Satz.

»Ich habe Sie nicht verstanden«, sagt sie, und ich flüstere meinen Satz nun etwas lauter, doch immer noch zu leise. Meine Beine werden schwammig.

»Mein Gott, was haben Sie denn?«, fragen mehrere Leute auf einmal. Ich winke die Verkäuferin, die auf natürliche, unverfängliche Art und Weise wirklich sehr hübsch ist, nasenspitzennah an mich heran und flüstere schwach, aber laut genug, damit es jeder hören kann: »Ich sag Ihnen, was ich will.«

Ich schlucke.

Dann verlasse ich den Laden.

Es scheint wirklich zu funktionieren! Ich war der Mittelpunkt des Interesses, ohne wirklich etwas zu sagen zu haben. Sofort will ich mehr Menschen begeistern. Als mich ein Tierschützermädchen an der U-Bahn-Station fragt, ob ich irgendwo unterschreiben würde, fange ich voller Elan an, das Formular auszufüllen, doch je weiter ich nach unten vordringe, desto langsamer werde ich.

»Mein Gott, was mache ich da nur?«, flüstere ich matt.

»Unterschreiben Sie hier«, sagt das Mädchen.

»Ich kann nicht«, flüstere ich.

»Warum denn nicht?«, fragt es.

»Der Kugelschreiber, den Sie mir da gegeben haben ...«, flüstere ich, trembling, wie der Engländer sagen würde, ein wunderbares Wort, trembling with fear.

»Was ist denn mit dem?«, fragt das Mädchen mit ängstlicher Stimme, doch da bin ich schon verschwunden.

Denn ich bin in der Stadt mit einer oberflächlich gut aussehenden Frau zum Essen verabredet. Dabei ist es völlig egal, was sie sagen wird, denn mein Drehbuch steht schon vorher Wort für Wort fest.

»Was machst du denn so?«, fragt sie.

»Ich kann es dir nicht sagen«, flüstere ich verzweifelt.

»Okay«, sagt sie irritiert. »Wollen wir mal bestellen?«

»Das würde mir das Herz brechen«, flüstere ich, vermeintlich kühl, doch voll unterdrückter Leidenschaft.

»Was ist denn mit dir los?«, fragt die Frau.

»Du würdest es nicht verstehen«, flüstere ich leise. Meine Augen füllen sich mit Tränen.

»Was würde ich nicht verstehen?«, fragt die Frau aufgeregt.

»Ich könnte nie wieder in den Spiegel schauen«, flüstere ich tonlos.

»Ist alles okay bei dir? Was willst du mir sagen?« Langsam wird sie unruhig. Aber sie geht nicht, sie hängt an meinen Lippen.

»Na gut, ich sage es dir«, flüstere ich. Ihre Augen weiten sich. Ich merke, wie sie ihre Finger knetet.

»Wir müssen noch zwei Minuten überbrücken, damit die Gesamtlänge der Folge passt«, flüstere ich, gegen die Tränen kämpfend.

»Welche Folge?«, fragt sie aufbrausend. »Jetzt sag endlich, was los ist!«

»Okay«, flüstere ich und nehme ihre nun zitternde Hand. »Vertraust du mir?« Sie nickt nur noch stumm.

»Es ist –«, setze ich an, dann gehe ich aufs Klo.

Als ich wiederkomme, sind alle Gäste um unseren Tisch versammelt. Mit einer Eindringlichkeit, von der aus es nicht mehr weit zur physischen Gewalt sein kann, werde ich genötigt, zu sagen, was mir fehle.

»Ich studiere Skandinavistik«, flüstere ich hoffnungslos, und die Menge applaudiert frenetisch.

Trotzdem beschließe ich, vorsichtshalber nach Hause zu gehen. Als ich am Tierschutzstand vorbeikomme, laufe ich zu dem Mädchen, das völlig verkrampft den Kugelschreiber in seiner Hand hält und apathisch vor sich hin starrt, schaue ihm tief in die Augen und flüstere bedeutungsschwanger: »Der ist leer.«

Anschließend gehe ich zum Bäcker. Sämtliche Kunden von heute Morgen sind wieder, oder immer noch, wer weiß das schon genau, im Laden. Ich gehe an ihnen vorbei und winke die Verkäuferin nasenspitzennah zu mir hin. Meine Beine werden schwammig, ich schlucke und flüstere schwach: »Ein Walnussbrot.«

Alle um mich herum atmen erleichtert auf.

»Gott, wir dachten, Sie würden mit ihr Schluss machen«, sagen manche, oder: »Mann, sind wir froh, dass Sie keinen Krebs haben.«

Irgendjemand fragt mich, ob ich morgen wieder hier sei, und ich sage, dass das durchaus passieren könne, er solle vorsichtshalber alles stehen und liegen lassen und hier auf mich warten. Alle holen ihr Smartphone aus der Tasche und schreiben, wie krass sie das mitgenommen habe und dass sie es trotzdem auf keinen Fall hätten verpassen wollen. Manche versuchen, mir aufgrund meiner überragenden dramaturgischen Fähigkeiten unzählige Trophäen, Transparente und Meisterschalen aus Pappe zu überreichen. Nur die Verkäuferin schaut mich etwas verstört an.

»Ein Walnussbrot wollen Sie?«, flüstert sie langsam.

»Ja«, flüstere ich.

»Tja, da habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die gute ist, dass Walnussbrot sehr gesund ist.« Sie stockt. Ihre Augen scheinen feucht zu werden.

»Die schlechte Nachricht ist –«, flüstert sie, dann verlässt sie den Laden.

2 Wilpert, Gero von. 2001. Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag. S. 138.

BEWERBUNGSGESPRÄCHE FÜHREN

Wir plauderten miteinander, wie es seit alters her zwei junge Menschen tun, die sich zugeneigt sind.

(Sven Kemmler, Und was wirst du, wenn ich groß bin?)

»Hallo«, sage ich.

»Hallo«, sagt die Frau, die ich seit fünfundzwanzig Minuten vom Nebentisch angestarrt habe.

»Hallo«, sage ich wieder.

»Hallo«, sagt die Frau, die seit fünfundzwanzig Minuten, vielleicht auch länger, ich weiß nicht, seit wann sie schon hier sitzt, ich bin ja erst vor fünfundzwanzig Minuten gekommen, in eine andere Richtung geschaut hat.

»Hallo«, sage ich wieder. Ich hätte wirklich dieses Rhetorikseminar besuchen sollen, für das ich eine Werbung in der U-Bahn gesehen habe.

»Hallo«, sagt die Frau und sieht aus, als wäre ihr gerade bewusst geworden, dass es nicht schlecht war, fünfundzwanzig Minuten in eine andere Richtung als die meine geschaut zu haben.

»Ich habe Referenzen«, sage ich und ziehe den Wisch aus der Tasche, den mir mein ehemaliger Vermieter gegeben hat.

»Er hat seine Miete immer pünktlich bezahlt?«, liest die Frau fragend.

»Ja«, sage ich. »Das zeugt doch von Zuverlässigkeit.«

»Ja«, sagt sie. »Das stimmt, das ist wichtig.«

»Ich habe ihm als Dank ein Messingschild geschenkt, auf dem steht: ›In diesem Haus wohnte der völlig zu Unrecht unbekannte Schriftsteller Alex Burkhard von 2008 – 2009.‹«

Die Frau schaut mich fragend an.

»Und hier«, fahre ich fort und ziehe ein weiteres Blatt Papier aus meiner Mappe.

»Das Bad war immer sauber«, liest sie.

»Ja«, sage ich. »Das ist auch wichtig.«

»Ja«, sagt die Frau, »das stimmt. Das Bad sollte sauber sein.«

»Was machst du denn so in deiner Freizeit?«

»Sollte nicht ich diejenige sein, die die Fragen stellt?«

»Das stimmt«, sage ich.

»Was machst du denn so in deiner Freizeit?«, fragt sie.

»Poetry Slam«, sage ich.

»Was ist das?«, fragt die Frau.

»So ’ne Art Dichterwettstreit. Also Leute lesen in einem bestimmten Zeitlimit ihre selbst geschriebenen Texte vor, und das Publikum entscheidet, wer gewinnt.«

»Klingt langweilig.«

»Ja«, sage ich. »Tut mir leid.«

»Und was machst du beruflich?«, fragt die Frau.

»Ich bin noch Student«, sage ich.

»Und was studierst du?«

»Skandinavistik«, sage ich.

»Okay«, sagt die Frau. »Und was kann man damit später mal machen?«

»Man kann zum Beispiel an der Uni bleiben und forschen oder eine Funktion im Literaturbetrieb übernehmen. Auch Übersetzer, gerade von wissenschaftlichen Texten, werden immer wieder gebraucht. Es gibt aber auch viele, die in die journalistische Richtung gehen«, sage ich. »Und du so?«

»Pädagogik.«

»So kann man sich irren«, sage ich.

»Wie meinst du das?«, fragt sie.

»Schon gut«, sage ich, stehe auf und gehe vor die Tür.

»Eigentlich wollte ich heute nichts trinken«, sagt die junge Frau und stützt sich mit einer Hand an ihrer Freundin ab, während die andere die sehr lange Schnur eines Marienkäferluftballons sehr fest hält, fast als hätte sie Angst, er könne es den guten Vorsätzen ihrer Besitzerin gleichtun und unauffällig in die dunkle Nacht verschwinden.

Ich mache Sebastian darauf aufmerksam, dass dies der perfekte erste Satz für eine Erzählung wäre. Er stimmt mir nur bedingt zu, aber er kann nichts dafür, er ist Physiker. Und da er außerdem fast nie zu Hause ist, habe ich beschlossen, ihm einfach dorthin zu folgen, wo er ist, wenn er fast nie zu Hause ist. Gelandet bin ich in einer Absteige im Westend, in der erstaunlich viele hübsche Frauen absteigen. Auch wenn die Frau mit dem Marienkäferluftballon die Kneipe ignoriert und hinter der nächsten Straßenecke verschwindet.

»Was bist du denn heute eigentlich so pissig drauf?«, fragt Sebastian.

»Ach«, sage ich, »ich hatte heute Nacht ein déjà-rêvé. Nicht mal im Schlaf ist man noch sicher. Ich glaube, es geht zu Ende mit mir. Und außerdem hat die nicht enden wollende Wohnungssuche in dieser Stadt mein ohnehin schon abstruses Flirtverhalten nachhaltig beeinflusst.«

»Was soll das denn heißen?«

»Na ja, jedes Mal, wenn ich mit einer Frau rede, verwandelt sich die Unterhaltung nach kurzer Zeit in eine Art Vorstellungsgespräch. Gerade habe ich einer das Messingschild gezeigt.«

»Nicht das Messingschild«, stöhnt Sebastian. »Das findet außer dir niemand lustig.«

»Challenge accepted«, sage ich und gehe wieder rein.

Ich setze mich an den Tresen und bestelle noch etwas zu trinken.

»Heute im Seminar habe ich eine echt hübsche Frau gesehen«, sage ich. »Orangerote Haare, Sommersprossen, Grübchen. Und ich habe mich wie immer einfach nicht getraut, sie anzusprechen. Außerdem weiß ich ja nicht, ob sie einen Freund hat und ob sie es mag, wenn man sie einfach so anspricht, und wenn ja, was sie hören will, einen blöden Macho-Spruch, ein Kompliment, die Wettervorhersage für Samstag, keine Ahnung. Ich könnte ihr natürlich auch einen Brief schreiben, aber dann hält sie mich bestimmt für total altmodisch und so, vielleicht aber auch nicht, ich weiß ja nicht, was sie mag, im Grunde weiß ich nichts über sie, außer dass sie mich fasziniert, aber das reicht wohl nicht, theoretisch könnte sie in einer Sekte sein und mehrmals am Tag zu Odin beten oder in Arkansas per Haftbefehl gesucht werden oder jeden Tag zwölfmal am Odeonsplatz umsteigen, einfach weil ihr Rennen Spaß macht und sie den Anblick von Rücklichtern im U-Bahn-Schacht mag, was weiß ich schon, ich weiß nichts, und das ist total schade, was soll ich nur tun?«

»Entschuldigung, kenne ich Sie?«, fragt der Barmann.

»Wohl kaum, sie ist ja in meinem Seminar an der Uni.«

»Ich meinte Sie«, sagt er und nickt in meine Richtung.

»Ach so«, sage ich. »Nein, ich glaube nicht. Ich bin ja auch in diesem Seminar an der Uni.«

Der Barmann seufzt und stellt mir ein Spezi hin. Da kommt Sebastian wieder in die Kneipe.

»Gehört der zu dir?«, fragt ihn der Barmann.

»Ja. Hat er was angestellt?«

»Nein, er hört nur einfach nicht auf zu reden.«

»Das ist normal, wenn er mehr als zwei Spezi hatte. Das Koffein tut ihm nicht gut.«