Und wo mein Haus? Kde domov muj - Peter Kurzeck - E-Book

Und wo mein Haus? Kde domov muj E-Book

Peter Kurzeck

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Beschreibung

Frankfurter Hauptbahnhof, Bahnsteige, Gleise, die Eisenbahn nach Gießen. Wie immer in Peter Kurzecks fließender Erinnerungsprosa lässt der Anblick der Züge innere Bilder aufsteigen. Hier nimmt er uns mit auf Bahnfahrten mit der Mutter in das zerstörte Gießen, noch vor der Währungsreform. Der Fünfjährige kommt vom Dorf und ist dort das Flüchtlingskind. Gießen, das heißt Trümmerlandschaften und Schwarzmarkt, beängstigend und aufregend zugleich. Zu Hause lernt die Schwester schreiben, liest der Vater Faust, näht die Mutter ununterbrochen. Die Familie immer nur geduldet, angewiesen auf das Wohlwollen der Hauswirte, böhmische Lieder im Ohr. Später geht der Erzähler bei der US Army zusammen mit Osteuropäern absurden Tätigkeiten nach, und so beginnt ein ganz anderes Leben. In diesem von Rudi Deuble mit Originalnotizen aus dem Nachlass herausgegebenen, als Band 8 des »Alten Jahrhunderts« vorgesehenen Roman erzählt Peter Kurzeck aufregend und mit Witz aus dem Gießen der Nachkriegszeit und den Displaced Persons bei der US Army.

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Seitenzahl: 230

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Inhalt

[Cover]

Titel

Motto

[1]

[2]

[3]

[4]

Notizen und Dokumente

Nachwort des Herausgebers

Glossar

Autor:innenporträt

Herausgegeben und mit einem Nachwort

Kurzbeschreibung

Impressum

Das alte Jahrhundert 8

Und wo mein haus?

[1]

In Gießen, sagte ich. Sooft man hinkommt, als ob sie alles erst im letzten Moment schnell wieder aufgestellt hätten. Überstürzt. Hastig. Mit vielen Fehlern. Heimlich. Man soll es nicht merken. Auch wie immer nicht ganz fertiggeworden. Wieder nicht. Löcher, leere Plätze, ein blinder Fleck. Da behelfen sie sich mit Verbots- und mit Baustellenschildern. Plakate. Ein Bretterzaun. Manche Ecken nur vorgetäuscht. Ungeschickt vorgetäuscht. Höfe, ein Durchgang, ein kleiner Platz, Seitenstraßen. Haben sie nicht mehr geschafft. Oder wollten sich diesmal nicht soviel Mühe damit. Lohnt sich nicht. Geht auch so. Schnell eine alte Wand hin. Mit Kreidefenstern. Ein Versatzstück. Und die Ferne nur aufgemalt. Als ob es ein trüber Tag, sagte ich. Feucht die Luft. Wie in einer alten Waschküche vor dreißig Jahren in Oberhessen auf dem Land. Sollte eigentlich Nebel, aber der Nebel gelingt ihnen meistens nicht. Den Himmel auch nur schnell hingepfuscht. Ein Praktikantenhimmel. Vom jüngsten Lehrling, der ebenso eifrig wie ungeschickt. Oder nehmen einen gutwilligen Tölpel von Handlanger. Hier links oben in der Ecke, siehst du ja, sagen sie ihm und er kriegt einen Schreck, so wie hier der Anfang ist. So soll es werden. Und ihm einen großen Farbkübel mit einer schmierigen graubraunen Brühe hin. Zu seinem Schreck dazu. Und drei abgenutzte dreckige Pinsel. Eher Besen als Pinsel. Für den heutigen Himmel. Links oben der Anfang aber, sagte ich, war ein winziger hellblauer Fleck. Kaum mehr als ein Randstreifen, eine Handbreit, ein Punkt. Und jetzt fängt von dem mißglückten Nebel alles zu tropfen an. Alles feucht. Feucht und grau. Wellt sich so. Fängt an abzufärben – wie kann es sein, daß die Wirklichkeit, sagte ich, gleich so aufquillt und abfärbt?

Alles falsch! Fängt schon am Bahnhof an. Gleich bei der Ankunft. Oder vorher. Im Zug schon. Sogar schon vor der Abfahrt. Auch wenn man es nicht gleich merkt. Man ist noch in Frankfurt. Vielleicht der Vortag und man fühlt sich auf Schritt und Tritt belauert-verfolgt-überwacht. Die Abreise – bleibt es dabei? Morgen? Heute? Hätte doch gestern schon? Oder fährt er nun doch nicht? Also ich, sagte ich. Und wer mag das sein, der da von mir immerfort in der dritten Person spricht? Und räuspert sich dauernd. Wie in meinem Kopf drin. Als ob man vor einem Schatten im Spiegel erschrickt? Der eigene Schatten? Dann in Frankfurt am Hauptbahnhof. Selbst ein Schatten, ein flüchtiger Schatten zwischen anderen flüchtigen Schatten. Vergänglich. Die Fahrkarte hat man schon. Hat den vorigen Zug verpaßt und deshalb noch Zeit. Haufen Volks. Kommt dir hier sonst auch immer alles so seltsam und trügerisch vor? Wie eilig die Leute es haben. Und sind doch nur bezahlte Statisten. Gern würdest du jemand finden, dem du sagen kannst, daß du jetzt nach Gießen fährst. Besonders wenn du länger nicht dort warst. Dann erst recht. Du hättest am Westbahnhof einsteigen sollen! Aber die Züge, die am Westbahnhof halten, brauchen bis Gießen jedesmal eine Ewigkeit. Oder man wartet, will einsteigen und dann halten sie doch nicht. Du stehst auf dem Bahnsteig und der Zug rollt langsam vorbei. Und hier am Hauptbahnhof in der Bahnhofshalle jede Ecke von früher, alles was dir jetzt einfällt, ist nicht mehr da. Die alte Buchhandlung nicht mehr da. Und die, die danach da war, auch längst weg. Das Bahnhofspostamt. Die Telefonzentrale. Tabak- und Zeitungsläden, Café, Restaurant und Cafeteria – alles weg oder zehnmal umgebaut. Nicht wiederzuerkennen. Unauffindbar. Nur höchstens die alte Milchbar. Gegenüber vom Gleis 16. Altmodisch. Und so klein. Hinter einer Scheibe aus Milchglas, damit man sie gut übersehen kann. In alten verblichenen Farben. Haben sie vergessen, sie abzuschaffen? In dieser Milchbar immer eine Frau. Freundlich, hilfsbereit, nicht mehr jung. Schon länger nicht. Macht die ganze Arbeit allein. Bedienung, spülen, putzen, aufräumen. Schlecht bezahlt. Einmal ist sie aus Mannheim, einmal aus Pirna bei Dresden (aber schon zwanzig Jahre im Westen) und einmal aus Rijeka. Aber trotzdem immer die gleiche Frau, sagte ich. Sogar auch immer der gleiche Kittel. Vielleicht gibt es nur diesen einen und deshalb wäscht sie ihn jeden Tag. Und muß ihn über Nacht auf der Heizung trocknen. Und der Spüllappen auch derselbe. Jetzt gehst du und sagst ihr, daß du nach Gießen fährst. Heute! Jetzt gleich! Eigentlich schon mit dem vorigen Zug, aber der hat nicht gewartet. Du kommst hin. Einen Espresso. Mit Carina, sagte ich, immer eine Erdbeermilch. Nach Gießen, sagst du. Auf einem Wandbrett die trüben Gläser und daneben ein ärmliches kleines Küchenradio aus Kunststoff. Zurückhaltend. Leise. Mit einer Hausfrauensendung aus dem Jahr 1957. Nach Gießen, jetzt gleich! Aber die Frau legt den Spüllappen aus der Hand und erzählt dir, daß ihre einzige Tante gestorben ist. Heut Morgen erst. Oder ihr Wohnungsnachbar. Sechzehn Jahre Tür an Tür. Sie kann es noch gar nicht fassen. Oder daß sie gebürgt hat für eine frühere Arbeitskollegin. Für einen Kleinkredit. Und jetzt hält die die Raten nicht ein. Nach Gießen also. Sie hört es, aber in ihrer Erschütterung kann sie dir dazu nix sagen. Sie weiß, wo es liegt, aber ist nie dort gewesen. Kommt auch wahrscheinlich nie hin. In aller Frühe allein auf dem Klo gestorben. Das Herz, sagt sie. Das Alter. Eine Tante, die bei ihr die Mutterstelle vertreten hat. Und wieviel Raten noch offen sind von dem Kredit. Und daß sie sich nichts dabei gedacht hat. Eine Bürgschaft. Hier unterschreiben! Und wischt die Theke, einen Aschenbecher, zwei Gläser und ihre Hände mit dem Spüllappen ab. Von rechts nach links und von oben nach unten den ganzen Tag wischt sie damit ab. Dann mußt du zum Zug. Sowieso schon der übernächste. Die anderen Züge längst abgefahren, längst weg. Und keinen Trost für die Frau? Was sollst du ihr sagen? Das alles schon schlimm genug! Sowieso! Und wird höchstwahrscheinlich nur immer noch schlimmer! Es ist auch gar nicht die Frau, die sonst immer da ist. Nur zur Aushilfe eine Aushilfe. Die Frau, die sonst immer da ist, ist im Krankenhaus. Erst Blinddarm, dann hat sie sich im Krankenhaus im Flur Arm und Bein gebrochen. Und jetzt muß man abwarten, ob sie dort nicht auch noch eine gefährliche Gelbsucht geholt hat. Unheilbar. Hepatitis C. Und dann erst wird sich herausstellen, daß sie in keiner Krankenkasse drin ist.

Meistens auf Gleis dreizehn die Züge nach Gießen. Dreizehn oder vierzehn, sagte ich. Alte Eisenbahnwagen. Die Züge nach Gießen immer ein bißchen dreckiger als die anderen Züge. Außen und innen. Und die Fenster seit Jahren nicht mehr geputzt worden. Gerade auf diesem Bahnsteig hört man die Lautsprecher nicht so gut. Man versteht sie nicht. Wie aus dem Jenseits die Ansagen. Wie für Gespenster. Die große Bahnsteiguhr steht. Und das hohe Hallendach gerade hier mit einer Plane. Daneben Sperrholz und Dachpappe. Ein Gerüst. Unwillkürlich zieht man den Kopf ein. Wo bleibt denn der Zug? Je länger du stehst, umso unwirklicher Bahnsteig und Gleise. Geradezu unwahrscheinlich. Nicht nur das Dach hinter Plane und Abdeckung verborgen, auch die Eisenträger sehen unecht aus. Die Ferne der Bahnhofsausfahrt ein Spiegeleffekt. Entweder kommt der Zug ewig nicht, also steht man und wartet. Oder man sitzt drin und er fährt nicht ab. Sitzen noch andere Leute drin? Manchmal am späten Vormittag ist der ganze Wagen leer. Auch die nächsten zwei leer. Trotzdem soll man glauben, daß es ein richtiger Zug ist? Aus der Provinz kommen schäbige Pendlerzüge. Morgens. Vollbesetzt. Überfüllt. Aus Gießen, aus Kassel. In aller Frühe. Bringen die Leute zur Arbeit. Aus dem Vogelsberg, aus Oberhessen, aus ganz Nordhessen. Und genauso aus Darmstadt und Mannheim. Aus Hanau, Offenbach, Mainz, Aschaffenburg, Gelnhausen, Fulda. Jeden Tag. Kommen aus allen Richtungen. Bringen die Leute zur Arbeit nach Frankfurt. Und fahren dann leer oder fast leer zurück. Noch früh, noch nichtmal halb sieben. Zurück und gleich den nächsten Schwung holen. Steigt man in Frankfurt in so einen Morgenzug, der leer zurückfährt: Die Luft schwer vom Rauch. Volle Aschenbecher. Butterbrotpapier, leere Plastiktüten und gelesene Zeitungen. Überall Zeitungen. Früher, sagte ich, haben die Leute vom Land die Zeitungen mit Achtung gelesen. Sich Mühe gegeben dabei. Nach jedem Umblättern glatt gestrichen und am Ende sie sorgsam wieder zusammengefaltet. Wie es sich gehört. Auch das benutzte Butterbrotpapier. Die Zeitungen und das Butterbrotpapier abends mit heimgenommen. Müd heim am Abend. Auch wenn nach und nach die ganze Familie die Zeitung gelesen hat, sah sie danach immer noch aus wie neu. Wurde sorgsam aufbewahrt. Beinah wie die Zeit selbst. Erst in der Küche. Ein sauberer kleiner Stapel. Und dann auf einem großen Stapel noch lang im Keller. Als Wertgegenstand. Gutes trockenes Altpapier. Ein Wert an sich. Und kann man für alles mögliche noch. Oft mehrere Familien. Nachbarn, Verwandtschaft. Und teilen sich eine Zeitung. Haben gemeinsam sie abonniert. Niemand hätte eine gelesene, oft ja nur oberflächlich und halb gelesene Zeitung im Zug liegengelassen. Erstens aus Anstand nicht. Und zweitens weil die Zeitung ja Geld kostet. Und auch nach einem Jahr hat sie noch einen gewissen Wert. Wenn man so ein Butterbrotpapier mit Achtung behandelt, leistet es einem jahrelang gute Dienste. Und die Tütchen auch. Kann man immer wieder verwenden. Jetzt morgens die Züge voll mit Abfall, Resten und Zeitungen. Fing mit der Bildzeitung an. Inzwischen alle möglichen Gratisblättchen und Beilagen. Aber auch der Gießener Anzeiger und die Gießener Allgemeine. Zeitungen aus Marburg, aus Wetzlar, aus Biedenkopf. Die HNA, die Alsfelder Zeitung, die Frankfurter Neue Presse und sogar die Rundschau. Liegen auf allen Sitzplätzen. Daneben und auf dem Fußboden leere Frühstücksbrottüten, Zigarettenschachteln, Kippen, Chips, Krümel, Kaugummipapierchen, Papierservietten, Pappbecher, Trinkkartons, Trinkstrohhalme, Flaschen, Büchsen, Dosen, Schokoriegelfolie und Erdnußvakuumverpackungshüllen. Mandarinen-, Orangen-, Bananenschalen. Zerrissene Lottozettel. Übervolle Abfallbehälter. Gehen nicht mehr zu. Werden nie ausgeleert. Die Sitze eingedrückt wie von dicken Unsichtbaren, die die ganze Zeit reglos dahocken. Und darüber schwebt blau der Rauch. Ihr Atem wird jetzt kalt. Die Pendler zwar ausgestiegen und mit U-Bahn, S-Bahn, Straßenbahn weiter. Und in den Vorortbussen. Sind längst bei der Arbeit. Aber ihre Geister immer noch hier. Rauchen, kauen, dösen und lesen Zeitung. Und weil du eh und je dazugehört hast, weil du einer von ihnen bist, hörst du sie immer noch reden. Vom Fernsehen. Zeitungszeug. Politik, Kommunales, Sport und die Werbung. Anzeigen. Fremde Wörter. Aber auch vom Wetter und wie das Korn steht. Sind alle einmal Bauern gewesen. Und bei den meisten ist es noch nicht so lang her. Und wenn du sie gut kennst und hörst ihnen länger zu, dann sagen sie eine Weile lang gar nichts. Sitzen und atmen. Und dann nur noch ihre Namen. Immer wieder. Im Schlaf, im Halbschlaf, vielleicht auch im Jenseits noch. Immer wieder. Namen, Geburtsdatum, Wohnort, Arbeitgeber. Und was sie da bei der Arbeit jeden Tag machen. Wie zu sich selbst. Innerlich. Und wenn du genau hinhörst, auch das, was sie im wirklichen Leben nie oder fast nie oder äußerst ungern nur sagen. Stundenlohn, Wochen- und Monatslohn und was sie am Ende am Zahltag mit heimbringen. Manchmal ein bißchen mehr, aber nie genug. Handlanger. Sogar die mit gebügelten Hemden, mit Aktenkoffer und Schlips und Kragen. Auch die nur bessere Handlanger. Handlanger bei der Bank, bei Siemens, Braun, AEG, bei den Farbwerken und im Kaufhof. Wie müde Seelen die Rauchwolken über den gelesenen Zeitungen. Pendlerseelen. Müssen ihr Frühstücksbrot immer schon im Zug essen, damit sie gleich bei der Ankunft im Bahnhof schnell noch was kaufen können. Für zum Mitnehmen. Für dann bei der Arbeit. In der Pause und zwischendurch. Und dann noch was für gleich jetzt hier im Stehen, im Gehen. Nur schnell das Wechselgeld einstecken und dann direkt in den Mund! Weil ihnen immer alles nie genug ist, sagte ich. Früher auch schon nicht. Niemals. Immer nur eilig abgespeist worden und sich selbst nicht gekannt.

Pendlerzüge. Kommen voll an. In aller Frühe. Und fahren leer zurück. Fahrgäste für die Rückfahrten erst vom späten Vormittag an. Auf dem Heimweg. Reisende mit Traglasten. Vom Land. Aus der Wetterau und aus dem Vogelsberg. Und müssen in Friedberg umsteigen. Oder aus Oberhessen und aus dem Westerwald. Dann fahren sie bis Gießen mit und steigen in Gießen erst um. Vielleicht hält der Zug sogar auch in Fronhausen. Andernfalls in Marburg und dann weiter in die Schwalm und nach Laasphe, Biedenkopf, Treysa und Ziegenhain. Bauern und ehemalige Bauern. Auch wenn man sie nicht kennt, kennt man doch ihre Gesichter. Müssen Dialekt sprechen. Platt, heißt es. Tun auch denken im Dialekt. Eine mühsame Sprache. In jedem Dorf anders. Wuhär, wuhii und wann sie heute Morgen aufgestanden sind. Hau ze Mojed. Was sie in Frankfurt oder sonst da und dort zu schaffen hatten. Aber mit Vorsicht – also Obacht geben. Immer auf der Hut sein. Schleppen Zeug mit. Immer schleppen sie Zeug mit. Und Herrgott, daß sie nur ja nicht verpassen, in Friedberg zum Umsteigen rechtzeitig auszusteigen. Sind bescheiden, die geborenen Untertanen. Noch aus der Kaiserzeit. Aber brauchen im Zug viel Platz für sich und ihr Zeug. Auch so schwere Schuhe an. Reden laut und scharren mit den Füßen. Rote Gesichter. Hände wie Dachziegel. Nicht nur die Schuhe, sogar ihre Hosen und Jacken knarren. Nur unter sich, mit Bekannten reden sie. Sonst sagen sie lieber nix. Einen Stumpen anrauchen. Sich eine Pfeife stopfen. Oder die Augen zu. Fahren wir jetzt? Nur ein kleines Momentchen die Augen zu. Weil sie so ungewohnt untätig dasitzen, so bequem auf gepolsterten Eisenbahnwaggonsitzbänken. Und weil sie so früh aufgestanden sind und heut schon so viel gesehen haben, du heiliger Himmel. Und sind in der Fremde gewesen. Und weil der Zug so sacht rüttelt und schaukelt (bäßche moj aach!), deshalb sind sie jetzt eingenickt. Sitzen und schlafen und schnaufen im Schlaf. Für gewöhnlich, wenn sie unter sich sind, reden sie vom Wetter und von der Ernte und von den Preisen. Und müssen Wetter und Ernte und Preise mit dem Wetter, den Ernten und Preisen von früher vergleichen. Straßenbau, Handwerker, Krankheiten, Bauarbeiten. Der Anbau und der Anbau vom Anbau. Und wie sie 1951 den Stall umgebaut haben. Herrgott. Umgebaut und gehörig vergrößert. Wer gestorben ist und wie es im Krieg und nach dem Krieg war. Und jetzt, auch wenn sie im Schlaf hier sitzen (eingeschlafen, weil sie müd sind und niemand mit ihnen spricht), jetzt sieht man das alles trotzdem (derweil der Zug fährt) über ihre Schlafgesichter hin sich bewegen. Beinah wie Schatten und Licht. Sie schlafen und träumen, der Zug fährt mit ihrem Schlaf dahin. Viele Wagenladungen voll mit Schlaf. In den Zügen, in die sie nachher beim Umsteigen einsteigen müssen, da sind sie ganz unter sich. Nach Nidda, nach Schotten, nach Hungen, nach Laubach, nach Lich. Über Lollar und Londorf nach Grünberg und über Buseck und Reiskirchen nach Grünberg und weiter nach Alsfeld, Bad Hersfeld und Fulda. Nach Hofgeismar auch und nach Homberg an der Efze. Einmal wäre einer, der mit der Eisenbahn nach Homberg an der Efze wollte, um ein Haar nach Homberg im Westerwald gefahren. Über Herborn und Dillenburg. Der falsche Zug und er hätte womöglich noch nachzahlen müssen. Und wäre am Abend vielleicht gar nicht mehr rechtzeitig heimgekommen. Wer weiß, ob so einer in so einem Fall überhaupt nochmal heimfindet? Manche von diesen Nebenlinien gibt es schon gar nicht mehr. Da muß man dann mit dem Bus weiter oder kommt der Schwiegersohn und holt einen ab. Er wird es schon nicht vergessen. Mit dem Auto ein paar Minuten nur, aber ohne Auto kommt man kaum hin. Immer weniger Eisenbahnzüge auf diesen Nebenlinien. Und auch die alten Bauern aus den entlegenen Gegenden sterben jetzt langsam aus. Fahren wir schon?

Die ganze Zeit drauf gewartet und es dann nichtmal gleich gemerkt. Wir fahren. Schon die Bahnhofsausfahrt passiert. Stellwerke, Weichen, Gleise, Fabriken und Lagerhallen. Und traurige alte Mietshäuser, zu denen man sich jedesmal viele Leben ausdenken muß. Schon der Westbahnhof vorbei und am Rand von Bockenheim die Wiesen und Schrebergärten am Bahndamm. Die Ginnheimer Wiese. Der Bahnhof von Eschersheim, sagte ich in Eschersheim an diesem langen Samstagnachmittag (und muß schon immer schneller sprechen!). Die vielen alten Vorortbahnhöfe. Die meisten leer und mit blinden Fenstern. Werden nicht mehr gebraucht. Ein paarmal die Nidda. Vor Bad Vilbel Wiesen mit Obstbäumen. Vorbei, schon vorbei und immer schneller der Zug. Den Taunus sieht man und dann fährt der Zug durch die Wetterau. Felder, Hügel, ein Dorf und gleich nochmal das gleiche Dorf, weil sie vorher den Kirchturm vergessen hatten. Ein paarmal die B 3 und Autos auf der B 3. Alles maßstabgerecht. Auch die Lastwagen. Sogar die Aufschriften auf den Lastwagen sehen echt aus. Spielzeugecht. Immer wartet man auf ein paar Einzelheiten von früher. Ganz deutlich hat man sie im Gedächtnis. Ein Bild. Wiesen mit Obstbäumen. Gärten am Dorfrand. Einen Hang, Hügel, die Ferne. Und einen Feldweg, der zwischen den Wiesen auf diese Ferne zurennt. Eine Brücke, ein Bach, Weiden, ein Erlengehölz. Bohnenstangen, ein Holzstapel und eine Scheune bei einem alten Haus. Du siehst alles vor dir. Du kannst dich genau erinnern. Schon hundertmal dran vorbei. Aber entweder hast du es gerade diesmal verpaßt und mußt also bald wiederkommen. Oder das gibt es alles schon lang nicht mehr und nur du mußt immer weiter drauf warten und daran denken und danach suchen. Wir fahren! November. Schnee, Schneereste und grün die Wintersaat auf den Feldern. Krähenhimmel. Dann wieder Frühling und Obstblütenzeit und der Himmel voll Lerchen. Und gleich auch schon das erste Heu. Und dann das Korn. Kornfelder bis an den Horizont. Und der Sommerwind drüberhin. Das Korn reif und schon von allen Seiten gierig die Mähdrescher. Stoppelfelder. Der Sommer vorbei. Wieder Herbst. Noch ein Jahr. Herbst, Nebel, Dämmerung, Regen und einmal ein großer Mond bei den Scheunen am Dorfrand. Schnee, der erste und dann immer mehr Schnee und auch schon die nächsten Kornfelder wieder. Fliegt alles vorbei, sagte ich. Immer schneller vorbei. Und stürzt so nach hinten weg. Ihr wißt ja, die Zeit, sagte ich. Genau wie der Zug. Immer schneller die Zeit. Und nimmt alles!

Manchmal ein dichtes Schneetreiben, in dem so ein Zug dahinfährt. Alles weiß und die Flocken fast waagrecht am Fenster vorbei. Direkt schon ein Schneesturm. Und der Zug so langsam. Pfeift, kriecht, pfeift – muß sich vorwärts tasten und kämpfen, als könnte er jeden Moment steckenbleiben im Schnee. Direkt schon übertrieben so ein Wetter. Ein Versehen, ein Irrtum. Als ob man durch Rußland fährt und nicht weiß, warum man jetzt in Rußland ist und wie auch dahingekommen? Rußland oder Sibirien? Aber dann hält der Zug wie immer in Friedberg. Schneehaufen, trübe Lampen. Fünf Leute steigen aus. Ein Friedberger. Zwei aus Nidda und zwei Schottener. Die aus Schotten erkennt man an ihrer dicken Winterkleidung und dem festen Schuhwerk. Gebirgler. Auf Bahnsteig eins ein paar Leute, die frierend auf den wie immer verspäteten Gegenzug warten. Erst denkst du, Schaufensterpuppen. Aber dann, weil es kalt ist, gehen sie wie Laiendarsteller mit großen Schritten auf und ab. Also doch echt? Lebendig? Müssen sich immer wieder den Schnee abklopfen und stampfen vor Kälte. Hoher Schnee. Sogar unterm Vordach – überall Schnee. Und alles längst zur Nacht gerichtet. Wenn du jetzt aussteigst und in die Stadt gehst, dann müssen sie alles nochmal aufstellen. Erst überall Schnee hin, echten Schnee. Und ihn dann mühsam wegschippen. Auf jedem Gehsteig Kinder mit Schlitten und hellen Stimmen. Wird schon dunkel. Immer mehr Kinder. Aus vielen Richtungen kämen sie. Und in allen Gastwirtschaften die Lampen an. Schnee, Berge von Schnee. Schnee und Wintergeschichten. Glühwein und Grog. Himmelhoch Finsternis und Hubschrauber über der Stadt.

Bei Stromausfall hätten sie mit dem Nachstellen der Wirklichkeit weniger Mühe. Stromausfall infolge starken Schneefalls. Notbeleuchtung. Ausnahmezustand. Nur höchstens jede zehnte Straßenlampe noch an. Trübrot wie Kohlenglut. Und muß immer wieder zittern und blinzeln. In den Häusern nur Kerzenlicht und hier und da ein paar Öllampen. Seit dem späten Nachmittag die Schneemengen von drei oder vier schneereichen Wintern vom Himmel herunter. In ein paar wenigen Stunden also. Berge von Schnee. Und schneit immer weiter. Aber jetzt nur noch sacht. Die Schneenacht und Stimmen. Sollst du aussteigen? Lang hält der Zug. Aussteigen oder nicht? Weil du dich nicht entscheiden kannst, bleibt er umso länger stehen. Immer eine und noch eine Ewigkeit. Dann fährt er sanft wieder an (eine Diesellok) und jetzt weißt du, du hättest aussteigen sollen. Schon ein paar Kilometer weiter in Bad Nauheim nur noch eine dünne Schneedecke und schwarze Fußstapfen drin. Neuschnee und alle Lichter an. Und verloren am Abend ein paar dunkle Gestalten. Auf dem Bahnsteig unterm Vordach am Rand der Lichter. Jeans, Lederjacken, wattierte Anoraks. Jeans und Turnschuhe. Eher feucht als kalt ist die Luft. Junge Burschen und warten auf den Zug nach Friedberg, nach Bad Vilbel, nach Frankfurt. Oder stehen nur so da. Weil Abend ist und vielleicht auch noch Freitag. Würden gern ein bißchen großartiger herumstehen. Groß und breit wie Sieger. Aber stehen hier, als ob sie zerfließen in dieser naßkalten dämmrigen Luft. Als ob sie gleich wegschmelzen müssen. Genau wie der nasse Schnee. Müssen stehen und frieren und fast vergehen in der Dämmerung. Dem Tag hinterdrein, der schon vorher ging. Sind zu viert, dann zu siebt, dann zu fünft. Erst lang auf dem Bahnsteig, dann in der Bahnhofshalle. Auf der Treppe und vor dem Bahnhof. Flaschenbier, Zigaretten, ein Flachmann. Musik mit? Musik zum Herumtragen. Und ob vielleicht ein paar Typen mit einem Auto kommen? Zwei Autos, ein ganzer Schwarm Mofas und einer mit einem Motorrad. Jugend. Und wohin, wo sollen sie hin an so einem Abend mit nassem Schnee, der nicht bleibt? Nächstens Bundeswehr oder Zivildienst. Nirgendshin. Werden auch nie im Lotto gewinnen. Aber einmal war eine Zeit, da ist der Elvis hiergewesen! Elvis Presley, der echte! Der King! Weiter der Zug und hält dann gleich nochmal. Hält in Butzbach, wo er laut Fahrplan nur durchfahren soll. Verlassen der Bahnhof. Laderampen. Ein leerer Bahnsteig. Drei Bahnsteiglampen und schräg durch ihr Licht immerfort eiliger Schneeregen. Unter den Lampen das nasse Pflaster. Alles naß und die Nacht so schwarz. Wie vergessen der Zug. Steht und steht. Weit und breit kein Mensch. Nur ich und sonst niemand im Zug? Dann ein Bahnbeamter mit einer Taschenlampe. Mit vielen eiligen Fledermausschatten. Am Zug entlang. Nacht und Wind. Und fremd die Zeit, fremd. Wie schon gewesen. Ein anderes Zeitalter. Der Bahnbeamte mit großen Schritten und wie er die Lampe schwenkt. Und jetzt fährt der Zug wieder an. Nacht, Wind, Schneeregen an die Scheiben. Eisern die Räder rattern und ferne Lichter. Wie dunkel war es in Friedberg und hoch über dem dunklen spitzen Dächergewirr der Altstadt angestrahlt Kirche und Burgfried. Sonst alles still und so gut wie unsichtbar in der Finsternis. Versunken in Nacht und Schnee. Wie können bei Stromausfall Kirche und Burgfried angestrahlt sein? Zwölf, fünfzehn Jahre seither und immer noch mußt du zurückdenken. Nicht mehr lang und du wirst dich genau erinnern, wie du damals erst noch gezögert hast und bist dann doch ausgestiegen. Und gehst immer noch durch den hohen Schnee. Still und dunkel die Stadt. Alle Kinder langsam heim. Wie durch den Nachthimmel gehst du und nur ein paar wenige trübe Sterne. Wie lang denn schon keine Sonne mehr? Vielleicht verzaubert die Kinder. Verwunschen. Als Haustür, als Baum und als Stein. Du gehst, als ob du schon immer so gehst. Wer bin ich? Und warum hier?

[2]

Und dann in Gießen, sagte ich. Man kommt an und nichts stimmt. Schon am Bahnhof – der gleiche Bahnhof, der meine ganze Kindheit lang schwarz war. Sogar bis in die späten Sechziger Jahre hinein. Aus der Kaiserzeit. Ein Bahnhof aus ungefügem rußig schwarzem Gestein. Mit einem Turm. Ein Turm mit vier mondgleichen Bahnhofsuhren. Und wie schwarz, ernst und eindringlich dieser Turm mich immerfort ansah. Auch aus der Ferne noch. Sogar wenn ich gar nicht da, wenn ich ganz woanders bin. Sobald ich an ihn denke, spüre ich schwer seinen Blick. Und die Bahnhofsspatzen, ganze Scharen von Bahnhofsspatzen auch jederzeit schwarz vom Ruß. So viele, sagte ich, und wie eifrig sie waren. Zuständig für den Bahnhof, den Bahnhofsvorplatz und die ganze Gegend von der Friedrichstraße bis zum Zollamt und zur Margarethenhütte. Schwarz und eifrig und immer ein bißchen heiser die Spatzen. Dampf, Rauchwolken, Krähen, ein Zug pfeift. Tage und Wochen und Jahre, sagte ich, trieb der Bahnhof mit seinem Turm und den Masten, Lichtern und Brücken in diesem Rauch und den Wolken dahin. In seiner eigenen Zeitrechnung. Wie ein Schiff im Sturm, ein riesiges Schiff. Bahnsteige, Gleisanlagen, Lokschuppen, Güterschuppen wie kleine Schlepper, Schaluppen, Barkassen, Kutter, Kais, Molen und Hafenanlagen rings um den Bahnhof her. Mit elf, sagte ich, und ein Zug pfeift. Eine 86er Dampflok. Du hast Schule, Tag, Schulaufgaben, Heimweg und deine Schultasche auch vergessen. Du stehst auf dem schwankenden Bahnhofsbrückchen. Da muß man sich festhalten. Ein Sturm und die Wolken ziehen tief. Die Sonne kommt durch. Gegenlicht. Abend. Der Bahnhof versinkt in Abend und Rauch. Dann alles elektrisch. Der Fortschritt. Ein neues Jahrzehnt. Erst nur von Frankfurt nach Gießen und dann auch weiter nach Norden die Strecke mit Oberleitung. Elektrifiziert. Die ganze Main-Weser-Bahn. Dieselloks für die Nebenstrecken. Und dann den Bahnhof mit Sandstrahlgebläse gereinigt. Danach war er dunkelbraun. Dann noch ein zweites Mal ein paar Jahre später. Reinigen und Renovierung. Jetzt mittelbraun, glatt. Beinah schon ein bißchen zu glatt. Die Nebengebäude abgerissen. Türen und Fußboden neu. Hohe Pendeltüren, die sie alle paar Wochen (wie die Zeit vergeht) anders anstreichen. Orange, braun, hellgrau. Dann wieder andere Türen und giftgrün. Psychologisch. Dann nochmal die vorigen. Vielmehr neue, die aussehen, wie die vorigen. Nicht mehr hell-, eher mittelgrau. Deutschlandgrau. Gehen schwer auf und sagen jedesmal Plob, wenn sie zufallen. Die Bahnhofshalle. Modern. Neu. Überall Werbetafeln, Sichtblenden, künstliche Ecken und Kanten. Zeitgemäß. Man muß mit der Zeit gehen. Sich anpassen. Laufend Bauarbeiten. Ständig viele kleine Veränderungen am und im Bahnhof und auf dem Bahngelände. Weder praktisch noch schön, aber neu. Bunt. Modern. Immer anders. Abwechslung. Fortschritt. So den Bahnhof zehn Jahre lang umgebaut. Angefressen von allen Seiten. Angefressen und schnell Heftpflaster drauf. Und jetzt soll nächstens alles radikal renoviert werden. Neudeutsch. Behördenstil. Würden auch die kirchenhohen Bogenfenster gern zumauern oder wenigstens mit Rigipsplatten und Styropor. Und auf den Sandstein dann Eternit, Blech und Plattenbauplatten. Und die Nebenlinien nach und nach abschaffen. Stillegen. Wie nebenbei. Still und leise. In der Bahnhofshalle und auf den Bahnsteigen Automaten, Befehle, Verbotsschilder. Wie es scheint, immer weniger Spatzen. Auf den Bahnsteigen spazieren die Tauben herum, als seien sie seit Jahrzehnten fest angestellt. In kleidsamen blaugrauen Uniformen. Werden nächstens alle Beamte (werden zum festgesetzten Zeitpunkt als festangestellte Angestellte zu Beamten verbeamtet!). Gibt auch Krähen. Die meisten am Güterbahnhof, also Güterbahnhofskrähen. Fleißig. Breite Schultern. Praktische grauschwarze Arbeitskleidung. Nur als einfache Arbeiter die Krähen. Handlanger. Hilfsarbeiter. Kommen nicht ins Angestelltenverhältnis. Unter gar keinen Umständen. Und werden erst recht nicht Beamte. In Gießen, sagte ich. Soeben die Ankunft. Zuletzt ging alles ganz schnell. Unterführungen, Schrebergärten, eine Brücke, Schienen, Weichen, die Bahnhofseinfahrt. Zwischen den Schienen und auf den Böschungen Schneebeeren, Rainfarn, Disteln, Brennesseln, Ginster. Rauch, Krähen, ein Krähenschwarm. Der Zug fängt zu bremsen an. Drähte, Leitungen, Eisenbahnhimmel, Lichtmasten, ein Signal. Stellwerkhäuschen, Lagerhäuser, riesige runde Lokschuppen, eher Hallen als Schuppen. Abstellgleise, Güterwagen, Rangierloks. Noch eben in der Ferne Gleiberg und Vetzberg mit ihren Burgen. Nur kurz, nur einen Augenblick sieht man sie. Und dann fährt der Zug mit quietschenden Bremsen unter dem Bahnsteigdach ein, ein Durchgangsbahnhof. Der Gegenzug von Kassel nach Frankfurt auf der anderen Seite des Bahnsteigs hat wie immer Verspätung. Die Anschlußzüge warten abfahrbereit auf Gleis 6 und Gleis 9. Sind ins Dösen geraten. Vielleicht bist du eine Weile nicht da gewesen. Und deshalb beim Aussteigen deine Freude. Und jetzt auf dem Bahnsteig. Die Zeit angehalten. Wie in deiner Kindheit starren alle Bahnhofsuhren dich vorwurfsvoll an. Vom Dorf ein paar Jahre in die Stadt ins Gymnasium. Fahrschüler heißt es. Vom Dorf und dort auch fremd. Vom Dorf und arm, aber als Kind, sagte ich, wenn man will, ist man König. Geht leicht.