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So heiß war der Winter noch nie!
Sinken die Temperaturen, müssen erst die Funken fliegen, damit uns – endlich – warm wird: So steckt die Kinderärztin Jamie bei Ali Hazelwood mit ihrem Ex-Sandkastenfeind Marc in einem tosenden Wintersturm fest. Und der ist inzwischen hot as hell geworden ... Bei Tessa Bailey sucht eine alleinerziehende Mutter auf keinen Fall mehr als einen Friend-with-Benefits – und bekommt mit dem Farmer Luke ganz das Gegenteil. Wildes Schneetreiben macht es bei Olivia Dade möglich, dass Collegedozentin Nina endlich ihrem Crush William nahekommt. Bei Alexandria Bellefleur wird Everleigh von einem heißen Feuerwehrmann aus der Feiertagskrise gerettet. Und Alexis Daria lässt die unanständigen Fantasien, die Evie für ihren Nachbarn hegt, zauberhafte Wirklichkeit werden.
Romantische Storys, so voller Festtagsdrama und heißem Winterzauber, dass sie selbst das frostigste Herz zum Schmelzen bringen
Von den Romance-Bestsellerautorinnen Ali Hazelwood, Tessa Bailey, Olivia Dade, Alexandria Bellefleur und Alexis Daria
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Seitenzahl: 385
Veröffentlichungsjahr: 2025
Als kleiner Bruder ihrer besten Freundin war er Jamies Kindheitsnemesis, bis er fortging und zum gar nicht mehr kleinen Tech-Milliardär wurde. Doch sie wird immer diejenige bleiben, die ihm das Herz gebrochen hat. Und nun sind sie leider eingeschneit … Eine bezaubernde Winter Romance von Ali Hazelwood.
Single all the Way: Eine Alleinerziehende aus der Großstadt, die von Männern genug hat. Ein hünenhafter Farmer auf der Suche nach der Frau fürs Leben – wenn sich Gegensätze wirklich anziehen, wird es bei Tessa Bailey glühend heiß, ganz gleich zu welcher Jahreszeit ...
Bei Alexis Daria beschert ein netter Nachbar der Comiczeichnerin Evie nicht nur heiße Träume, sondern einen spicy Dezember – denn wer glaubt eigentlich noch daran, dass es Santa gibt?
Mehr Katastrophen als Everleigh kann man in einem einzigen Winter wirklich nicht erleben. Aber dann kommt der unwiderstehliche Feuerwehrmann Griffin ins Spiel – und Alexandria Bellefleur lässt Funken ohne Ende fliegen …
Heimliche Crushes, Weihnachtsleckereien der besonderen Art und höllisches Winterwetter bringen Collegedozentin Nina und ihren Kollegen William in einer einmalig warmherzigen Story von Olivia Dade zusammen.
Ali Hazelwood ist die Queen of Romance. Ihre Bücher sind TikTok-Sensationserfolge und internationale Bestseller.
Tessa Bailey ist eineNew-York-Times-Bestsellerautorin und eine echte TikTok-Sensation. Ihre Liebesgeschichten sind immer eine Garantie für Spice, Humor und Happy Ends.
Olivia Dade wuchs als hemmungsloser Büchernerd auf, stets lesend die Welt um sich herum ignorierend. Zurzeit lebt und schreibt sie in der Nähe von Stockholm.
Alexandria Bellefleur ist eine preisgekrönte Bestsellerautorin von Contemporary Romances zum Dahinschmelzen und Schwärmen.
Alexis Daria eine mehrfach ausgezeichnete internationale Bestsellerautorin. Sie lebt in New York und liebt Broadway-Musicals mindestens so sehr wie Pizza.
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Ali Hazelwood, Tessa Bailey, Olivia Dade, Alexandria Bellefleur, Alexis Daria
Under the Mistletoe – Die zwangsläufige Zeit der Liebe
Aus dem Amerikanischen von Anna Julia Strüh, Nina Bellem, Bettina Hengesbach und Melike Karamustafa
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Ali Hazelwood — Cruel Winter with You
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Dank
Tessa Bailey — Merry Ever After
Kapitel 1 — Evie
Kapitel 2 — Lukas
Kapitel 3 — Evie
Kapitel 4 — Lukas
Kapitel 5 — Evie
Kapitel 6 — Luke
Epilog — Evie Sieben Jahre später
Olivia Dade — All by My Elf
Dank
Alexandria Bellefleur — Merriment and Mayhem
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Dank
Alexis Daria — Only Santas in the Building
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Epilog — Erster Weihnachtstag
Dank
Impressum
Cruel Winter with You
Die unhaltbare Frostigkeit der Liebe
Wäre die Welt, wie sie sein sollte, würde sich Marc Compton benehmen wie ein totaler Arsch.
Ich verlange nicht viel. Ein bisschen hämische Schadenfreude vielleicht. Nervtötend hochgezogene Augenbrauen. Ein spöttisches »Na sieh mal einer an, wer da einfach so an Heiligabend auftaucht.« Ich bin nicht wählerisch: Mit jeder dieser Varianten würde ich mich unendlich viel besser fühlen.
Aber nein. In all seiner hoch aufragenden Attraktivität öffnet Marc die Tür, und als ich in sein wunderschönes Gesicht aufblicke, kann ich nichts anderes erkennen als echte Überraschung, ausgerechnet mich auf der schneebedeckten Veranda seiner Eltern vorzufinden.
Überraschung, die rasch in Sorge übergeht.
Als wolle er mir gar nichts Böses. Als hege er überhaupt keinen Groll gegen mich wegen all dieser furchtbaren Sachen, die ich vor ein paar Monaten zu ihm gesagt habe, gefolgt von meiner vermasselten, absolut unzureichenden Entschuldigung.
Allerdings müsste er, um einen Groll gegen mich zu hegen, überhaupt erst einmal an mich denken. Was wahrscheinlich einfach nicht mehr der Fall ist.
»Jamie?«, sagt er, seine Stimme unpassend warm in der eisig kalten Dunkelheit. Es ist noch vor sechs, aber die Sonne geht so früh unter, dass es genauso gut mitten in der Nacht sein könnte. »Was zur Hölle machst du bei diesem Wetter hier draußen?«
Eine gute Frage. Auf die ich – eine besonnene Fachfrau, die unter Druck einen kühlen Kopf bewahrt, regelmäßig Leuten das Leben rettet und es manchmal sogar schafft, einen ganzen Pilateskurs zu überstehen, ohne in Tränen auszubrechen – durch und durch eloquent antworte: »Ähm, ja …«
Marc neigt den Kopf zur Seite.
Sieht mich mit einem Ausdruck an, der unangenehm an Mitleid erinnert.
Wiederholt skeptisch: »Ja?«
»Ähm, ja …« Versierte Konversation ist so was von mein Ding. Vermutlich werde ich irgendwann einen Preis dafür bekommen. »Also, ich meine … Ja. Genau. Ich bin’s. Jamie.«
»Wie beruhigend, dass du nicht von einer teuflischen Doppelgängerin verkörpert wirst.« Er tritt einen Schritt zurück und winkt mich mit bestimmter Geste rein. »Komm.«
»Nein!«, sage ich – der Falte nach zu schließen, die sich auf seiner Stirn bildet, deutlich zu vehement. Ich setze noch mal neu an: »Nein, danke. Ich kann nicht bleiben. Ich muss nach Hause zurück, bevor der Sturm richtig schlimm wird.«
»Es ist Ende Dezember im nördlichen Illinois. Der Sturm ist schlimm.« Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, was er hinter mir sieht beziehungsweise nicht sieht: weite Strecken ohne Sicht, einzig unterbrochen von dicken, wütenden Schneeflocken, die als wilde Turbinen im Licht der Straßenlaternen herumwirbeln. Der Soundtrack – gelegentlich knarrende Äste, das unablässige Heulen des Windes – macht die Szenerie nicht besser. »Du musst reinkommen, Jamie.«
»Also eigentlich hat mein Dad mich hergeschickt, um einen Kupferbräter auszuleihen. Sobald du ihn mir gibst, werde ich einfach wieder gehen.« Ich lächle in der Hoffnung, dass Marc Mitgefühl zeigen und die Sache beschleunigen wird. Schließlich bin ich nur ein Mädchen. Von ihrem alleinerziehenden Vater den unbarmherzigen Elementen ausgeliefert, um eine gefährliche, aber fundamental wichtige Aufgabe zu erfüllen: das Zuhause ihrer besten Freundin aus Kindertagen zu plündern, um ein magisches Küchenutensil zu beschaffen.
Ich verdiene Mitgefühl.
Besonders, da besagte beste Freundin nicht einmal den Anstand besitzt, hier zu sein. Tabitha ist mit ihren Eltern und ihrem Mann auf einer All-inclusive-Kreuzfahrt irgendwo in der Karibik und schlürft vermutlich in genau diesem Moment die pure Wonne aus einer Kokosnuss. Dieses Weihnachten ist Marc der einzig anwesende Compton. Tabithas kleiner Bruder, der …
Also, zunächst mal ist er alles andere als klein. Schon seit einer ganzen Weile nicht mehr. Und er ist vor ein paar Tagen aus Kalifornien hergeflogen, um sich um Sondheim zu kümmern, die altersschwache, ausgesprochen pflegebedürftige und dazu noch misanthropische Katze der Comptons.
Ich habe Tabitha gefragt, warum sie nicht einfach einen Katzensitter engagiert, doch ihre Antwort war nur: »Warum sollten wir, wenn wir Marc haben?« Offensichtlich scheint es ganz normal für einen Tech-Mogul zu sein, Weihnachten allein mit einem Haustier zu verbringen, das davon träumt, Augäpfel direkt aus den Höhlen ihrer Besitzer zu fressen.
Und da sind wir nun. Von acht Milliarden Menschen auf diesem schwebenden Felsen von einem Planeten ist Marc der Einzige, der einen Kurzschluss in meinem Hirn zu verursachen vermag. Und ganz zufällig ist er auch das Einzige, was zwischen mir und meiner Beute steht.
»Bitte sag mir, dass du nicht für einen Kupfertopf zwei Meilen durch einen Schneesturm gelaufen bist.«
»Bin ich nicht. Dads Haus ist viel näher« – etwa fünfhundert Meter, schätze ich –, »und was ich brauche, ist ein Kupferbräter.«
»Herrje.« Er reibt sich die Nasenwurzel und lehnt sich an die Tür.
»Wahrscheinlich ist er in der Küche. Und Dad braucht ihn, um den Schinken im Ofen zu machen. Also wenn du ihn bitte holen könntest …«
»Wer um alles in der Welt besitzt einen Kupferbräter?«
»Deine Mom.« Ich verliere langsam die Geduld. »Weil diese Dinger toll sind. Sie wollte einen, also haben Tabitha und ich zusammengelegt und ihr letztes Jahr einen zu Weihnachten geschenkt.« Wenn es mir recht überlege, hätte ich ihm das wohl besser nicht sagen sollen. Der, den Tabitha und ich gekauft haben, war eigentlich viel zu teuer für uns, aber Marc macht sich wahrscheinlich gerade eine Notiz im Geiste, seinem Butler zu sagen, dass er ein Bäckerdutzend anfertigen lassen soll. Sieben für seine Eltern und sechs für meinen Dad, mit Gold überzogen und mit Smaragden besetzt. Mit eingestanzten Initialen.
Es ist so was von schräg. Marc – Marc, die Sportskanone, der sich mit seinem Charme mitten in die größten Schwierigkeiten und gleich wieder hinausmanövrierte, der mit seinen Noten immer nur gerade so durchkam, der das Studium hingeschmissen hat – wurde mit dreiundzwanzig stinkreich und bezahlte prompt die Hypothek seiner Eltern ab, nachdem er mit seiner Firma angefangen hatte, Kohle zu scheffeln. Jetzt verdient er Millionen. Milliarden. Fantastilliarden. Ich weiß es nicht mal; so gut ich in Mathe auch sein mag, derart große Zahlen übersteigen mein Vorstellungsvermögen.
Derweil können Tabitha und ich – pflichtbewusste, wohlerzogene, überambitionierte Töchter – uns selbst Küchengeräte der nicht-überwältigenden Art kaum leisten.
Ich räuspere mich. »Also, je früher du mir den Bräter gibst, desto …«
»Hallo du da! Bist du nicht das Malek-Mädchen?«
Ich wende mich dem Nachbarhaus zu, wo eine vage bekannte ältere Gestalt den Kopf aus einem Fenster im oberen Stock streckt. Ich brauche einen Moment, um sie einzuordnen, doch als ich es tue, muss ich mir ein Seufzen verkneifen. »Ähm, hi, Mrs. Nos…«
Moment, heißt sie wirklich Mrs. Nosy, oder haben wir sie bloß Frau Neugierig genannt, weil sie uns ständig mit Werther’s Original bestochen hat, um den neuesten Tratsch über unsere Eltern aus uns rauszuquetschen?
»Norton«, flüstert Marc, als hätte er meine Gedanken gelesen.
»Hi, Mrs. Norton. Jep, ich bin Jamie Malek.«
»Du siehst keinen Tag älter aus als damals, als du zum Studium fortgegangen bist. Wie lange ist das jetzt her? Zehn Jahre?«
Ich versuche zu lächeln, doch mein großer Jochbeinmuskel ist womöglich erfroren. »Ja. Sie sehen auch toll aus, Ma’am.« In Wahrheit kann ich sie kaum sehen. Der Schneesturm hat Fahrt aufgenommen und taucht alles, was mehr als ein paar Meter entfernt ist, in blendendes Weiß.
»Du bist Anwältin, richtig? Wie dein Vater?«
»Jamie ist Ärztin«, korrigiert sie Marc ein bisschen ungeduldig. »Sie ist dabei, ihre Facharztausbildung in Kinderheilkunde abzuschließen.«
»Ach ja. Du musst es natürlich wissen.« Sie sieht mit scharfem Blick zwischen uns hin und her. »Ich hatte vergessen, dass ihr beide nach San Francisco gezogen seid. Ihr seht euch bestimmt oft, nicht?«
Mein Magen krampft sich zusammen. Denn jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für Marc und mich, einen wissenden Blick auszutauschen und in Gelächter auszubrechen. Vielleicht sogar zu sagen: Oh, Mrs. Nosy, wenn Sie wüssten, was bei unserem letzten Treffen passiert ist. Wir sollten es Ihnen erzählen. Das würde Ihnen das Weihnachtsfest versüßen. Sie würden uns mit einer ganzen Lasterladung Bonbons belohnen.
Doch ich schweige. Wie gelähmt. Lasse Marc ganz allein antworten: »Genau. Wir wohnen quasi zusammen. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden, unter Jamies Nase bildet sich schon ein Rotzzapfen. Frohe Weihnachten Ihnen und Ihrem Mann.«
Eine Minute später bin ich in der Küche der Comptons und habe keine Ahnung, wie ich dort gelandet bin. Marc, dessen Toleranz für Bullshit-Talk noch nie größer als ein durchschnittlicher Röhrenpilz war, muss mich reingezogen haben. Jetzt steht er vor mir und macht meinen Parka auf, als wäre ich ein Kleinkind, das noch nicht gelernt hat, was ein Reißverschluss ist.
»Ich muss …«
»Zurück nach Hause, schon klar.« Er zieht mir die Mütze vom Kopf und hält inne, als die Masse blonder Locken darunter hervorquillt.
Die Fachausbildung macht mich fertig, ich habe kaum Zeit zu essen, geschweige denn, zum Friseur zu gehen. Meine Haare sind länger, als sie je waren, zum ersten Mal in meinem Leben trage ich sie schulterlang, nicht meinen üblichen Bob. Marc ist das anscheinend aufgefallen, denn er nimmt eine Strähne, zwirbelt sie zwischen den Fingern und starrt sie mit intensivem Blick an, womit er mich an etwas erinnert, was er mir gesagt hat, als wir noch sehr jung waren.
Du hast die schönsten Haare auf der ganzen Welt. Es ist bescheuert, dass du sie nicht länger wachsen lässt.
Mit all dieser Aufmerksamkeit von ihm fühle ich mich direkt überhitzt. Eine echte Leistung bei diesem Wetter.
»Du bist komplett durchgefroren«, murmelt er und lässt die Locke fallen. »Ich hab im Wohnzimmer ein Feuer angezündet. Stell dich davor …«
»Aber was ist mit dem …«
»… während ich nach dem Bräter suche«, fügt er hinzu, als wäre ich vorhersehbarer als die vierteljährliche Steuer-Deadline. »Ich fass es nicht, dass dein Dad dich in einem verdammten Schneesturm geschickt hat.«
»Das macht mir nichts aus«, sage ich. Obwohl es mir schon was ausmacht.
Sehr viel sogar.
»Du musst nicht zu allem Ja sagen, was er von dir verlangt. Vor allem, wenn es gefährlich ist.« Marcs volle Lippen pressen sich zu einer schmalen Linie zusammen und verziehen sich dann ganz leicht – dieser Hauch von Humor, der so typisch für ihn ist, dass mein Herz ein paar Schläge aussetzt. »Du magst ja nicht mal Schinken, Jamie.«
Ich stoße ein Lachen aus. Natürlich weiß er das. »Dad probiert ein neues Rezept aus.«
»Aha …« Er wickelt mir den Schal vom Hals. »Solange das neue Rezept nicht die fünfundzwanzig Zentimeter Schnee wegschmelzen lässt, die es heute Nacht geben wird, hätte er dich trotzdem nicht dort rausschicken sollen.«
»Also bitte, so viel sind fünfundzwanzig Zentimeter nun auch wieder nicht.«
Er hebt eine dunkle Augenbraue.
Einen Herzschlag später erkenne ich, warum, und laufe knallrot an. »O mein Gott.«
»Ein hartes Urteil, Jamie.«
»Das hab ich nicht gemeint!«
»Verstehe.«
»Nein, wirklich, ich meinte – Schnee, fünfundzwanzig Zentimeter …«
Mein Handy klingelt, und ich gehe sofort ran, so dankbar für die Unterbrechung, dass ich glatt eine Sekte zur Anbetung von Mobilfunknetzen gründen könnte.
»Hi, Dad … Jep, ich hab es zu den Comptons geschafft. Ich mache mich gleich auf den Rückweg … Ja, werd ich. Natürlich.« Ich blicke zu Marc, dessen Gesichtsausdruck nichts als missbilligend ist. Nein, noch immer kein Fan von Dad. »Marc, ich soll dich daran erinnern, dass du morgen zum Weihnachtsessen vorbeikommen solltest und … Ja, Dad. Ich verspreche, dass ich mir alle Mühe geben werde, ihn mitzubringen. Nein, ich werde ihn nicht entführen, wenn er sich weigert, ich … Okay, alles klar. Ich schwöre, wenn ich ihn nicht überreden kann, werde ich ihn bis zu unserem Haus hinter mir herschleifen.« Mit einem Augenrollen lege ich auf und werfe mein Handy auf meine Klamotten, die Marc auf der Küchentheke aufgetürmt hat. Sich da wieder reinzuschälen, wird unangenehm werden, aber ich muss zugeben, dass es ganz schön ist, wenn mein Körper sich kurz mal nicht anfühlt, als würden eine Million kleine Eispickel auf ihn einstechen. »Ähm, möchtest du zum Weihnachtsessen vorbeikommen?«, frage ich, obwohl ich die Antwort schon kenne.
»Nein.«
»Verstehe.«
Er sieht mich erwartungsvoll an.
»Was?«
»Ich warte auf die gewaltsame Entführung, die mir versprochen wurde.«
»Oh. Okay.« Ich betrachte seine hochgewachsene Statur. Wie sich sein Kompressionsshirt um seinen Bizeps spannt. Seine muskulösen Oberschenkel unter seiner Jeans. »Sagen wir einfach, dass ich es versucht habe – du mich aber mutig, wie du bist, überwältigt hast.«
»War es knapp?«
»O ja. Ich hatte dich ein paar Sekunden lang im Schwitzkasten.«
»Aber dann bist du auf einer Bananenschale ausgerutscht?«
Ich lache. Bei dem Geräusch leuchtet Mars Gesicht auf; dieses breite Grinsen, das die Luft zwischen uns auf einmal zu verdichten scheint, und …
Er wendet den Blick nicht ab. Starrt und starrt mich an, als sei er bereit, mich mit den Augen zu verzehren. So war er schon immer, wenn es um etwas geht, das er will – heißhungrig. Überlebensgroß. Begierig. Und genau aus diesem Grund ist es nicht gut für mich, hier zu sein, bei ihm. Marc bringt mein Herz zum Stolpern und meinen Körper zum Glühen und mein Hirn zum Aussetzen, und das ist nichts, was ich haben und dann wieder hergeben kann. Wenn ich mit ihm zusammen bin, werde ich gierig und leichtsinnig, und …
Es ist sowieso zu spät. Ich hatte meine Chance, und ich habe es vermasselt.
»Ich muss gehen«, sage ich und starre auf den gefliesten Boden. »Könntest du …«
Ich werde von einem lauten Krachen unterbrochen, gefolgt von einem metallischen Dröhnen. Erschrocken drehe ich mich um und stoße ein Keuchen aus, als ich durch das Küchenfenster sehe, was passiert ist: Im Hof der Comptons ist ein Ast der massiven Eiche abgebrochen und auf die Veranda gestürzt.
Nun liegt er auf den Terrassenmöbeln, die ein bisschen … platt aussehen. Und irgendwie zerschmettert. In so viele Teile.
Shit. Ich muss schnell nach Hause, bevor das Wetter völlig außer Kontrolle gerät. Wo zur Hölle ist dieser Bräter? Mit großen Augen schaue ich zu Marc, und mir wird klar, dass er mal wieder meine Gedanken gelesen hat. Denn er weiß genau, was ich sagen will, und kommt mir zuvor.
»Jamie, lass mich eins klarstellen.« Sein Ton ist ruhig und sehr, sehr endgültig. »Falls du glauben solltest, ich würde dich nicht festbinden und in meinem Schlafzimmer einsperren, statt dich bei diesem Wetter auch nur einen Fuß vor die Tür setzen zu lassen, kennst du mich nicht im Geringsten.«
Das Problem ist, dass ich genau das tue.
Marc kennen, meine ich.
Ich kenne ihn ausgesprochen gut, und zwar seit ich ihm am Tag seiner Geburt, in dem einzigen Krankenhaus in unserer Heimatstadt, das nach Hustensirup und Schwimmbad roch, zum ersten Mal begegnet bin. Damit wurde er zum Star meiner frühesten Erinnerung, in der mich Dad auf einen großen Polstersessel setzte und Mrs. Compton mir ein formloses Bündel mit der Warnung überreichte: »Sei vorsichtig, Jamie. Pass auf, dass du den Kopf stützt – ja, genau so.« Ich war zweieinhalb. Tabitha, die ungefähr sechs Monate älter war als ich, hatte kurz zuvor ihren dritten Geburtstag mit einer Planschbecken-Party gefeiert.
Doch Tabitha war nicht da. Sie war mit ihren Großeltern zu Hause, wegen einer, wie es ihre Eltern nannten, »ganzen Serie von Wutanfällen, einzig und allein, um Aufmerksamkeit zu erregen«. Tabitha selbst würde das später als »Verweigerung aus Gewissensgründen gegen eine aufgezwungene, völlig unnötige Expansion« umschreiben. Man hatte ihr mitgeteilt, dass in Kürze ein neues Familienmitglied eintreffen würde, und sie war keinesfalls gewillt, jene Ressourcen zu teilen, die ihr kindlicher Verstand als endlich ansah, wie zum Beispiel Spielzeug, Frosted Flakes und elterliche Liebe.
So traf ich ihren neuen Bruder noch vor ihr, und ich konnte es kaum erwarten, ihr zu berichten, dass sie, was die Konkurrenz anging, rein gar nichts zu befürchten habe. Die rote Kreatur, die sich in meinen Armen wand, hatte ein zerknautschtes Gesicht, eine faltige Nase, picklige Wangen, geknickte Ohren, Haare wie ein alter Mann und war mit weißlichen Krusten übersät. Sie erinnerte mich an die Zuckerplätzchen, die Dad zu Weihnachten backte, vor allem an die, die es nicht im Idealzustand aus dem Ofen schafften. Verunglückt, nannte er sie.
Die Beschreibung passte. Das Ding auf meinem Schoß war eindeutig vom Glück verlassen.
»Wie heißt sie?«, fragte ich Mrs. Compton.
»Er«, berichtigte mich Dad. »Er ist ein Junge, Schatz.«
Plötzlich ergab alles Sinn. »Deshalb ist er so hässlich.«
Die Erwachsenen brachen in Gelächter aus – ganz schön fies, dachte ich, immerhin war das arme Baby schon mit dem großen Nachteil geboren, kein Mädchen zu sein. Ich ignorierte sie, bis Mr. Compton fragte: »Jamie, weißt du, wie wir ihn genannt haben?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Marc. Marc Evan Compton.«
Und vielleicht erkannte das Baby bereits seinen eigenen Namen, denn genau in diesem Moment öffnete er seine grauen Augen und packte nach ein paar ungeschickten Versuchen meinen Zeigefinger. Hi, schien sein starrer Blick zu sagen.
Und: Bleib bei mir.
Und vielleicht sogar: Ich mag dich.
Er war klein, aber stark. Und sofort überkamen mich eine tiefe Zuneigung und der überwältigende Drang, ihn zu beschützen. Alles ist gut, schwor ich ihm im Stillen. Ich werde deine Freundin sein. Ich werde Tabitha dazu bringen, auch deine Freundin zu sein. Und ich werde dich lieb haben. Auch wenn du das Hässlichste bist, was ich je gesehen habe.
Es war ein von Herzen kommendes, aufrichtiges Versprechen. Das ich in den nächsten paar Jahren ungefähr eine Million Mal brach. Denn in einer tragischen Wende des Schicksals stellte sich Marc Evan Compton dazu noch als das absolut Schlimmste heraus.
*
Mehrere, sehr gutgläubige Jahre lang war ich eine Marc-Apologetin.
»Ich bin sicher, er hat das nicht mit Absicht gemacht«, sagte ich einer wutschäumenden Tabitha jeden Morgen auf dem Weg zur Schule. »Dass er deine Vitamingummibärchen gegen Abführmittel getauscht hat, meine ich.«
Oder dass er den Hamsterkäfig mit deinem Lieblingsshirt ausgelegt hat.
Dass er dir mit einer Plastikgabel ins Auge gestochen hat.
Dass er dich im Wäscheschrank eingesperrt hat.
Dass er alle Nachbarskinder dazu angestiftet hat, dich Dummbitha zu nennen.
Dass er eurem Hund beigebracht hat, deiner Lieblingsbarbie den Kopf abzubeißen.
Dass er dir drei Portionen Mac and Cheese auf den Schoß gekotzt hat.
Dass er Insekten in dein Bett geschmuggelt hat.
Ich dachte mir Entschuldigungen aus, weil Marc mir gegenüber nie so gemein war. Jene instinktive Liebe, die mich am Tag seiner Geburt überkommen hatte, wurde erwidert. Dad und Mr. Compton waren beste Freunde seit der Highschool, und unsere Familien standen sich schon immer nahe. Mom hatte uns direkt nach meiner Geburt verlassen, und Dad, der einen sehr anspruchsvollen Job hatte, wusste all die Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu schätzen, die die Comptons zu bieten hatten. Tabitha und ich waren natürlich unzertrennlich. Aber ich hatte auch diese besondere Verbindung mit Marc.
»Ich wünschte, du würdest bei uns wohnen«, sagte er mir, wenn ich nach einer Wochenendübernachtung aus Tabithas Zimmer kam.
Und: »Du bist mein Lieblingsmensch auf der ganzen Welt.«
Und: »Wenn wir erwachsen sind, will ich dich heiraten.«
Nichts dergleichen würde passieren. Ich hatte mir schon einen Ehemann ausgesucht: Alan Crawford, einen älteren Jungen, der ein Stück die Straße hinunter wohnte (oder, falls das nichts werden sollte, Lance Bass von NSYNC). In meinen Augen war Marc nur ein kleiner Junge. Den ich nichtsdestotrotz süß fand. Ich brachte ihm das Alphabet bei und sich selbst die Schuhe zu binden. Im Gegenzug schrie er ein Kind an, das mich auf dem Spielplatz geschubst hatte, und schenkte mir jedes Jahr etwas zum Valentinstag.
»Du sollst meine beste Freundin sein«, erinnerte mich Tabitha etwa einmal die Woche. »Ich wusste gleich, dass dieser Stinkstiefel mir die Hälfte von allem stehlen würde. Aber ich hätte nicht gedacht, dass du dazugehörst.«
Doch ich liebte sie beide. Über Jahre hinweg versuchte ich, nicht Partei zu ergreifen, selbst als zur Beziehung zwischen Tabitha und Marc auch Vorfälle mit allergieauslösenden Substanzen im Mittagessen, Reißzwecken auf dem Stuhl und ständige Androhungen gegenseitiger Vernichtung zu gehören begannen. »Du musst dich nicht zwischen ihnen entscheiden, Schatz«, sagte Dad. »Das sind nur typische Geschwisterrivalitäten. Eine Phase, aus der sie rauswachsen werden. Sitz es einfach aus.«
Und genau das tat ich – bis wir zwölf waren, Marc neun war, und es zum Eiervorfall kam.
Bis zum heutigen Tag behauptet Marc, es sei keine Absicht gewesen. Dass er nicht gewusst habe, dass »unsere bescheuerte Schule auf diese völlig gestörte Idee kommen würde, so zu tun, als wäre ein Ei ein Baby, und es eine Woche lang von den Schülern herumtragen zu lassen, ohne es kaputt zu machen«. Aber unsere bescheuerte Schule kam nicht nur auf diese völlig gestörte Idee, wir wurden auch noch dafür benotet. Ganze dreißig Prozent unserer Gesamtnote in Familienkunde hingen von diesem verdammten Ei ab.
Und das war der Grund, warum ich Tabitha, als ich eines Morgens in die Küche der Comptons kam und Marc dabei erwischte, wie er es aß – Spiegelei auf Toast, mit Tomaten als Beilage – nicht davon abhielt, Rache zu nehmen. Ich sah stillschweigend zu, wie sie ihm nachrannte. Sagte nichts, als sie sich auf ihrem Bruder stürzte, obwohl er damals schon größer war als wir. Lehnte mich an die Tür und verschränkte die Arme vor der Brust, als sie ihn an den Haaren zog. Und nachdem das Geschrei Mr. Compton auf den Plan gerufen hatte, nachdem er seine Kinder getrennt hatte, nachdem er sich an mich gewandt und gefragt hatte: »Jamie, was ist passiert?«, sagte ich ihm die ganze Wahrheit.
»Marc hat angefangen.«
Er bekam Hausarrest, obwohl ich nicht mehr weiß, wie lange. Und doch erinnere ich mich in erstaunlicher Klarheit an den verletzten Ausdruck in seinem Gesicht und die instinktive Gewissheit, dass dies das Ende einer Ära war.
Im Jahr darauf erwarteten mich statt Geschenken zum Valentinstag peinliche Spitznamen, ständige Hänseleien und eine neu entdeckte Rivalität mit dem kleinen Bruder meiner besten Freundin.
*
Rückblickend war Marc weniger ein »schwieriges« Kind als vielmehr ein unterfordertes mit sehr viel Energie. Permanent gelangweilt, ein bisschen cleverer, als gut für ihn war, und definitiv zu talentiert im Umgang mit Computern. Er wurde in jeden Sportkurs auf Erden gesteckt und war in allen gut. Dennoch war da diese ewige Unruhe in ihm, und die ständigen Pranks und der unaufhörliche Unfug halfen, sie zu lindern.
»Dieses Verhalten ist typisch für begabte Kinder«, sagte eine von Dads Freundinnen einmal. Sie war Psychologin, und ich mochte sie sehr. Genau genommen mochte ich sie von allen Frauen, die er mit nach Hause brachte, am liebsten. Eine Weile hatte ich gehofft, sie würde meine Stiefmutter werden, aber keine von Dads Beziehungen hielt länger als ein paar Jahre – was ein Problem war, da ich nicht anders zu können schien, als stets eine tiefe Zuneigung zu jeder Einzelnen von ihnen zu entwickeln. Aber aus dem einen oder anderen Grund verließen ihn seine Partnerinnen immer, und obwohl sich Dad schnell erholte, fühlte ich mich nach ihrem Weggang immer allein, verlassen und vielleicht auch ein bisschen schuldig. War es mein Fehler? Hatte ich zu sehr geklammert? Hätte ich mich verdrücken sollen, wenn sie vorbeikamen? Hatte Mom mich deshalb direkt nach meiner Geburt verlassen?
Oder vielleicht war das auch einfach, was Beziehungen ausmachte. Vielleicht waren sie immer flüchtig. Zerbrechlich. Vergänglich. Der Mühe nicht wert.
Mit der Zeit entwickelte ich meine eigenen Bewältigungsstrategien. Das Einzige, worauf ich einen Einfluss hatte, war mein Verhalten; also musste ich mich so zuvorkommend und leistungsstark geben wie irgend möglich, und wenn ich das schaffte, würden die Leute vielleicht in Erwägung ziehen, bei mir zu bleiben. Und wenn nicht … Ich lernte, dankbar für das zu sein, was sie hinterließen. Ich bin Dads Freundinnen dankbar dafür, dass sie mir beibrachten, wie man angelt, wie man ein Tampon wechselt, wie man Brot backt. Und natürlich, dass Marc Compton im Grunde ein missverstandenes Genie war.
Die Hinweise darauf sah ich selbst. Die Schnelligkeit, mit der er seine Hausaufgaben machte, wenn er im Anschluss daran draußen mit seinen Freunden abhängen durfte. Die Bücher, die er, auf das Sofa gefläzt, las, sämtlich zu anspruchsvoll für sein Alter. Die chirurgische Präzision seiner Seitenhiebe, als wisse er genau, was er sagen musste, um die betreffende Person zu Tode zu nerven.
Als aus dem Jungen, den ich geliebt hatte, plötzlich irgendetwas zwischen einem kleinen Plagegeist und einem üblen Typen geworden war, verbrachten Tabitha und ich immer mehr Zeit bei mir zu Hause, und das schien ihm sehr recht zu sein. Ein paar Jahre lang schien er meinen Namen zu vergessen und sprach mich nur noch mit Four Eyes, Shorty, Nerd, Cheese Grater und ein paar anderen Schimpfwörtern an, die das körperliche Merkmal hervorhoben, das gerade am prominentesten an mir war (und am meisten Unsicherheit hervorrief). Schließlich entschied er sich für ein Po-fixiertes Butt Paper, nachdem ich zwei demütigende Stunden lang mit Klopapier an der Schuhsohle herumgelaufen war. Marc war es, der mich darauf aufmerksam gemacht hatte – Tabitha war krank, und offenbar hatte ich keine anderen vertrauenswürdigen Freunde –, doch der Spitzname blieb hängen. Allerdings hätte es noch viel schlimmer für mich ausgehen können, wenn man bedachte, dass er Tabitha als Her Royal Shittiness und sie ihn als Mom und Dads Oopsie Baby bezeichnete.
Ich hielt so gut es ging dagegen. Nannte ihn Marky, was er, wie ich wusste, hasste. Auch er durchlebte ein paar seltsam aussehende Jahre – er war schlaksig, extrem groß und dünn, seine Knochen zu lang für seinen Körper und zu prominent für sein Gesicht. Doch ich wollte ihn immer noch beschützen, und tief im Innern wusste ich, dass die ständigen Hänseleien seine Art waren, in Kontakt mit uns zu bleiben. Dann wurden wir älter, Marc war mehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt, und die Sticheleien gingen in etwas Trägeres über – etwas, das sich stark danach anfühlte, als ignoriere er uns –, und auf einmal vermisste ich sie beinahe.
Und dann kam er an die Highschool.
*
»Wie kann es sein, dass mein beschissener kleiner Bruder so beliebt ist und wir nicht?«, fragte mich Tabitha im Sportunterricht, mitten in einer Partnerdehnübung.
»Na ja, wir sind nicht unbeliebt.«
Sie warf mir ihren besten Ist-das-dein-fucking-Ernst?-Blick zu, aber ich gab nicht nach.
»Tab, es ist alles gut. Wir haben Freunde. Boyfriends. Wir haben uns – und tolle Noten, genug außerschulische Sachen, unsere Band und die National Honor Society. Wir schreiben für die Schulzeitung, und neulich hat Mrs. Niles gesagt, wir seien ihre Lieblingsschülerinnen …« Auf einmal wurde mir klar, wie schrill und verzweifelt ich klang, und ich hörte auf weiterzureden.
Ich hatte die elfte Klasse zur Hälfte überstanden. Wegen irgendwelcher völlig unverständlichen Annahmen des Schulbezirks war Marc nur zwei Klassen unter uns. Und hatte schockierenderweise in kürzester Zeit die gesamte Schule in seinen Bann gezogen.
»Warum zur Hölle haben mich in den letzten zwei Wochen drei Mädchen – von denen eins im letzten Schuljahr ist – nach seiner Nummer gefragt? Warum hängt die halbe Fußballmannschaft bei mir zu Hause mit ihm ab?«
Ich blinzelte erstaunt. »Ist Marc nicht gerade erst ein Freshman?«
»Ja!«
»Hmm. Vielleicht solltest du seine Kontaktdaten dann eher nicht einer Senior geben.«
»Ich gebe seine Nummer weder einer Senior noch sonst einem Mädchen, aber ich muss verstehen, warum sie sie haben wollen und warum er einen riesigen Freundeskreis hat, der anscheinend nichts Besseres zu tun hat, als um sieben Uhr morgens bei uns vorbeizukommen und ihn zur Schule zu fahren!«
Ich schloss die Lider und versuchte, mir das Bild Marc Comptons vor Augen zu rufen. Er war inzwischen weniger kindlich als noch vor einem Jahr, so viel war klar. Seine Stimme war nicht mehr so piepsig und überschlug sich auch nicht mehr so oft. Er hatte ein irgendwie schiefes Lächeln und schien sich in seinem Körper wohlzufühlen, und wenn ich es wirklich drauf anlegte, konnte ich vielleicht sogar nachvollziehen, was diese Mädchen an ihm fanden. »Na ja, sein Aussehen ist wohl inzwischen dort angekommen, wo es hinwollte. Er ist sportlich und charismatisch, und wahrscheinlich macht es Spaß, mit ihm abzuhängen.«
»Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er eine Schnecke geküsst hat.«
»Oh, ich war dabei. Ein meinungsprägender Moment, den diese Mädchen nicht miterlebt haben. Wir kennen den wahren Marc, aber wer sonst kann das von sich behaupten?«
Tabitha verdrehte die Augen, murmelte etwas davon, dass die Menschheit verloren war, und dehnte weiter ihren Quadrizeps.
Doch etwas hatte sich verändert. In der Schule beachtete Marc mich überhaupt nicht mehr – nicht einmal, um sich über mich lustig zu machen –, und ich wechselte in diesem Jahr weniger Worte mit ihm als mit dem Mechaniker bei Jiffy Lube, der mein Auto reparierte. Selbst wenn ein Racheengel vom Himmel gefallen und drei meiner Finger abgehackt hätte, hätte ich unsere Interaktionen noch an einer Hand abzählen können.
Die erste fand in der Cafeteria statt, als ich hilflos meine Taschen abklopfte und zu meinem Schrecken feststellte, dass ich mein Portemonnaie in meinem Spind vergessen hatte.
»Tut mir so leid«, sagte ich zu der notorisch schlecht gelaunten Lunch-Lady. »Ich hole es schnell und bin gleich wieder …«
»Ich mach das schon, Butt Paper«, erklang eine vertraute, aber überraschend tiefe Stimme hinter mir. Eine Handvoll Scheine landete auf meinem Tablett, doch als ich mich umdrehte, um mich zu bedanken, war Marc schon ins Gespräch mit jemand anderem vertieft und ich vergessen.
Das zweite Mal war ein paar Monate später. Ich machte gerade in der Küche der Comptons meine Hausaufgaben und hatte jemanden hereinkommen hören, sah jedoch nicht auf, weil ich davon ausging, es wäre Tabitha. Als ich ein paar Minuten später den Blick hob, stand er direkt vor mir und starrte mich schweigend an, mit einem sanften Lächeln auf den Lippen.
Seltsam.
»Ähm, Tabitha telefoniert gerade mit CJ«, erklärte ich.
»Ah.« Das Wort kam ein bisschen heiser heraus, und er räusperte sich. Ich wunderte mich, dass er nicht gleich wieder ging. Stattdessen sagte er: »Niall Holcomb, was?«
»Wie bitte? Oh.« Niall und ich dateten die letzten zwei Jahre an der Highschool. Er war der perfekte erste Freund – immer nett, nie aufdringlich, beschäftigt genug, um nicht zu viel von jemandem zu verlangen, dessen oberste Priorität immer die Wissenschaft sein würde. Mit anderen Worten: von mir. Wie Marc spielte er Basketball. Genau genommen hatte Marc sich quasi seinen Platz im Team unter den Nagel gerissen. »Ja«, sagte ich. Ich war überrascht, dass ihm aufgefallen war, dass Niall und ich zusammen waren, da wir uns ziemlich bedeckt gehalten hatten.
Marc presste die Lippen zusammen. »Behandelt er dich gut?«
»… Ja?«
»Ist das eine Antwort oder eine Frage?«
»Ja. Das tut er.« Ich blinzelte verwirrt. »Warum? Willst du mir ein dunkles Geheimnis über ihn verraten? Ist er ein Soziopath? Versteckt er eine Familie grusliger Porzellanpuppen in seinem Spind? Hat er immer Kabelbinder dabei? Fußpilz?«
Marc lachte. »Ich wünschte, das könnte ich. Aber er ist ein echt cooler Typ.«
»Warum wünschst du dir dann, du hättest etwas Ungutes über ihn zu erzählen?«
Er zuckte die Achseln. Erklärte nicht, warum. »Was habt ihr eigentlich vor, du und Tab?«
»Ich warte auf sie, damit wir zusammen zu unserer Bandprobe fahren können.«
»Ah.« Er nickte, ging an mir vorbei und holte sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Er war so groß; kaum zu glauben, dass er mal winzig genug gewesen war, um ihn in den Armen zu halten. All das, was noch vor wenigen Jahren in seinem Gesicht im Ungleichgewicht gewesen war, hatte sich in etwas fast verstörend Attraktives verwandelt, besonders in Kombination mit seinen dunklen Haaren und grauen Augen. »Wie läuft’s mit der Posaune?«, fragte er.
»Schlecht.«
»Warum?«
»Weil ich sie nicht spielen kann.«
»Komm schon, Butt Paper. Sei nicht so streng zu dir.«
»Dein Ernst, Marky? Ich spiele Tuba.«
Ich sah, wie er sich ein Lächeln verkniff. »Ist das nicht das Gleiche?«
»Nope.«
»Wirklich?«
»Wirklich.« Ich holte tief Luft. »Das wird dich wahrscheinlich schockieren, aber deshalb haben sie verschiedene Namen.«
»Kann nicht wahr sein.« Er schüttelte den Kopf und versuchte gar nicht mehr, seine Belustigung zu verbergen.
»Wollen wir wetten?«
»Was ist dein Wetteinsatz?«
»Wenn ich recht habe«, sagte ich ihm, »wirst du den ganzen Sommer lang Dads Rasen mähen.« Das hasste ich so sehr. Ich würde eine Million andere Hausarbeiten übernehmen, um dem zu entgehen.
»Klingt fair. Aber wenn ich recht habe …« Er zögerte. Das amüsierte Beinahe-Lächeln, das sich dauerhaft auf seinem Gesicht breitgemacht zu haben schien, verblasste plötzlich. Einen Augenblick wirkte er fast nervös. Aber auch sehr entschlossen.
»Ja?«, hakte ich nach, ein bisschen atemlos.
»Wenn ich recht habe, dann wirst du auf ein …«
Ich bekam seinen Wetteinsatz nie zu hören, denn in diesem Moment kam Tabitha herein und unterbrach uns. Aber Marc muss wohl unabhängige Recherche betrieben und sich über Blasinstrumente informiert haben, denn obwohl ich ihn nie bei mir zu Hause sah, musste ich in diesem Jahr kein einziges Mal den Rasen mähen.
*
In meinem Abschlussjahr gab es große und kleine Momente mit ihm.
Als das Mädchen, das er datete, mich als Bitch beschimpfte, weil ich sie aus Versehen angerempelt hatte, machte er in weniger als zehn Minuten mit ihr Schluss.
Als ich bei Tabitha übernachtete und nach einem Alptraum nicht wieder einschlafen konnte, fand mich Marc, der sich gerade ein Glas Wasser holte, auf der Couch zusammengekauert, saß stundenlang bei mir und lenkte mich von meinem Alptraum ab, indem er mir die Hintergrundgeschichten jedes Non-Playable-Characters in seinem Lieblingsvideospiel erzählte.
Als ich aus dem Krankenhaus den Anruf bekam, dass es mit meiner Grandma zu Ende ging, weiß ich nicht mehr, was mein Dad am Telefon sagte oder wie ich die Situation den Comptons erklärte. Dieser Tag und die darauffolgenden sind völlig verschwommen, und die einzig bleibende Erinnerung ist, wie Marc jenseits aller Tempolimits fuhr, um mich so schnell wie möglich ins Krankenhaus zu bringen, und die ganze Zeit über meine Hand hielt.
Alles in allem bin ich nicht sicher, ob Marc und ich in unserer Jugend Freunde waren. Aber irgendwie war er immer da, wenn ich ihn brauchte.
Ich brauchte sehr, sehr lange, um zu erkennen, dass das kein Zufall war.
*
Zum Abschlussball kam Marc mit Maddy Rogers als Date, einem sehr schönen, netten, beliebten Mädchen, das es geschafft hatte, Jahrgangsbeste zu werden, sich aber nie hatte merken können, dass mein Name nicht Amy war.
Tabitha und ich waren so damit beschäftigt, was nun auf uns zukäme, dass wir es kaum zur Kenntnis nahmen. Ich würde nach Berkeley gehen, Tabitha und CJ nach Colorado. Niall hatte ein Stipendium fürs Bennington College, und keiner von uns beiden zeigte Interesse daran, es mit einer Fernbeziehung zu versuchen. Dennoch fühlte sich das Ende der Highschool wie ein ziemlich bedeutsamer Meilenstein an, und nachdem wir jahrelang fast widerwärtig brav gewesen waren, beschlossen wir, uns ein bisschen auszutoben. Tabitha und ich logen unsere Eltern an und behaupteten, wir würden beieinander übernachten. Dann nahmen wir unseren hart erarbeiteten Lohn von dem Frozen-Joghurt-Shop, wo wir jobbten, legten mit CJ und Niall zusammen, buchten zwei Hotelzimmer und …
Wurden erwischt.
Jener Augenblick, in dem wir die Hotellobby betraten und Tabithas Eltern auf uns warten sahen, wird als eine der demütigendsten Szenen der Menschheit in die Geschichte eingehen.
»Woher wusstet ihr, dass wir hier sein würden?«, fragte Tabitha ihre Mom vom Rücksitz aus.
»Jamies Dad hat angerufen, um mit ihr zu reden. Und so ist euer ganzes Schloss aus Lügen zusammengebrochen.«
Ich vergrub das Gesicht in den Händen und wünschte mir einen schnellen Tod.
»Schloss?«, schnaubte Tabitha. »Es war ja kaum eine Hütte. Wir wollten uns nur ausnahmsweise mal mit unseren Freunden treffen. Achtzehn Jahre lang waren wir die reinsten Engel! Wir haben kein einziges Mal versucht, uns davonzuschleichen …«
»Wahrscheinlich seid ihr deshalb so schlecht darin«, merkte Mr. Compton an. Guter Punkt.
»Aber wie habt ihr rausgefunden, welches Hotel wir gebucht hatten?«, fragte ich langsam. In einem weiteren kleinen Akt der Rebellion hatte ich einen winzigen Bissen von CJs Haschbrownie gegessen, was mein Hirn träge und meine Umgebung ein bisschen zu zäh machte.
»Haben wir nicht. Aber Marc hat gesagt, dass die meisten Seniors dort hingehen, es war also eine wohlbegründete Vermutung.«
Tabitha sagte nichts, aber selbst in meinem benommenen Zustand machte es mir Angst, wie sich ihr gesamter Körper zu einem Hammer anspannte. Und nachdem uns ihre Eltern zu ihnen nach Hause gefahren hatten (mit dem Versprechen: »Morgen früh, wenn ihr aufwacht, wird Jamies Dad auch da sein, und dann werdet ihr richtig angeschrien«), zögerte sie nicht. Marc schlief schon. Aber Tabitha, angetrieben von Mikes Hard Lemonade und den alkoholabbauenden Enzymen, mit denen sie noch klarkommen musste, platzte in sein Zimmer und schaltete das Licht ein.
»Ich fass es nicht, dass du es ihnen verdammt noch mal erzählt hat«, fauchte sie ihren Bruder an.
Ich folgte ihr und schloss die Tür hinter mir, denn ich wusste, dass wir noch mehr Ärger bekommen würden, wenn die Comptons die beiden streiten hörten.
Als ich mich umdrehte, saß Marc mit freiem Oberkörper und trüben Augen auf der Bettkante. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, gähnte ausgiebig, stellte sich jedoch nicht dumm. »Komm schon, Tab«, sagte er.
»Komm schon? Warum versuchst du ständig, mein Leben zu ruinieren?«
»Sie haben es selbst rausgefunden. Und ihr zwei wart noch spät unterwegs und seid nicht an eure Handys gegangen. Sie hätten die Polizei gerufen.«
»Also hast du ihnen von dem verdammten Hotel erzählt.«
»Ich hab ihnen gesagt, wo andere Seniors hingehen. Ich hatte keine Ahnung, was ihr zwei treibt. Aber wenn ihr vorhabt, wie normale Menschen zu leben und euch öfter zu verdrücken, bringe ich euch gern bei, wie man sich nicht erwischen …«
»Du konntest mir nicht mal diese eine Sache lassen, was?«
»Tab …« Er verdrehte die Augen. »Geh einfach ins Bett.«
»Nein! Wie würdest du dich fühlen, wenn ich dich verpfeifen würde? Wie würdest du dich fühlen, wenn ich deine Geheimnisse verraten würde?«
Marc stand auf und breitete die Arme aus. »Nur zu, aber ich habe keine. Kann ich jetzt weiterschlafen? Es ist nicht meine Schuld, dass ihr zwei in eurem hohen Alter noch Jungfrauen …«
Tabitha bewegte sich so schnell, dass ihr glitzerndes Kleid an eine Sternschnuppe erinnerte. Sie packte die Schublade von Marcs Schreibtisch, holte eine Schachtel heraus und warf sie vor seinem Bett zu Boden.
Die Schachtel ging auf, und ein paar Dutzend Papiere segelten heraus.
Fotos. Sehr viele. Fotos von …
Ich blinzelte.
War das …?
»Du Arschloch«, knurrte Tabitha. »Hat es Spaß gemacht, mich bei Mom und Dad zu verpetzen? Das hoffe ich für dich, denn ich genieße es sehr, meiner besten Freundin zu erzählen, dass du total in sie verknallt bist. Besonders da sie weiß, dass du nur ein fieses Stück Scheiße bist!«
Ich blickte in der festen Erwartung zu Marc auf, dass er in Gelächter ausbrechen und es abstreiten würde. Doch er hatte keine schlagfertige Erwiderung parat, keinen Seitenhieb. Sein Kiefer verkrampfte sich, als würde er die Zähne zusammenbeißen. Sein Blick blieb auf Tabitha gerichtet, und kurz hatte ich Angst, dass dieser Streit auf eine Art eskalieren würde, mit der ich nicht umgehen konnte. Doch dann sagte er: »Verschwinde aus meinem Zimmer, bevor ich Mom und Dad auch noch sage, dass du betrunken bist.«
»Arschloch«, wiederholte Tabitha und stürmte in einer Woge funkelnder Pailletten hinaus.
Sie ließ mich allein, und ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange, bevor ich zaghaft fragte: »Bin das wirklich ich? Auf den Bildern?«
Marc tat etwas, was ich seit etwa zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte: Er errötete.
»Mein Gott, Jamie.« Sichtlich nervös fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. Es war das erste Mal seit … einer Ewigkeit, dass er meinen richtigen Namen benutzt hatte.
Ich kniete mich hin. Das Kleid, das ich zum Abschlussball getragen hatte, bauschte sich um meine Beine, eine Pfütze aus blauem Tüll und Perlen. Behutsam hob ich eins der Fotos auf. »Daran kann ich mich erinnern. Das ist von …«
»Dem Buchstabierwettbewerb, den du gewonnen hast.« Auch er ging in die Knie. Überraschend sorgsam packte er die Fotos zurück in die Schachtel, als wären sie sein sicherer Hort. Sein Schatz. Nicht für die Augen gewöhnlicher Sterblicher bestimmt.
»Warum?«, fragte ich.
»Warum?« Er hielt inne und begegnete meinem Blick. »Hast du mich gerade wirklich gefragt, warum? Bist du high oder so?«
»Ähm, ja. Könnte sein.« Bestimmt lag es an dem Haschbrownie, dass ich mich so weggetreten fühlte. Als wäre das jemand anderem passiert und ich würde mir nur eine Aufzeichnung ansehen. »Wie ernst ist es dir damit?«, fragte ich sachlich und deutete auf die Schachtel.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Was denkst du?«
Sehr, schlug mein lahmes Hirn vor.
»Aber bild dir nicht zu viel darauf ein«, fügte er ein bisschen kalt hinzu. »Ich stecke wahrscheinlich einfach in einer seltsamen psychosexuellen Entwicklungsphase fest. Ich werde darüber hinwegkommen.«
Richtig. Wahrscheinlich. »Ich …«
»Kannst du jetzt bitte verschwinden?« Er stand auf. Stellte die Schachtel vorsichtig zurück in die Schublade. »Bis meine Psycho-Schwester und ihre Psycho-Freundin reingeplatzt sind, habe ich geschlafen.«
»Oh. Ja. Ich … tut mir leid.« Ich brauchte ein paar Versuche, um mich aufzurichten. Völlig desorientiert machte ich mich auf den Weg hinaus.
Blieb stehen, als ich ihn sagen hörte: »Jamie.«
Wandte mich zu ihm um.
Marcs Mundwinkel zuckten. »Da die Sache nun eh raus ist …« Er nahm sein Handy vom Nachttisch, hob es hoch und machte ein Foto.
Von mir.
In meinem Ballkleid.
»Ich wollte dich und Tab wirklich nicht in Schwierigkeiten bringen«, murmelte er. »Aber ganz eigennützig bin ich froh, dass du die Nacht nicht mit Niall verbracht hast.«
»Ich … warum?«
»Weil ich, als ich dich vorhin in diesem Kleid gesehen habe …« Er atmete langsam aus. Schüttelte den Kopf. »Er hat dich nicht verdient. Niemand hat das.«
Niemand. »Was ist mit dir?«
»Ich verdiene dich am allerwenigsten. Aber ich will dich am meisten. Und ich werde nicht aufgeben. Wie weit ich für dich gehen würde … Eines Tages werde ich es dir zeigen.«
Einen langen Moment stand ich da wie erstarrt.
Dann: »Du kannst jetzt gehen«, sagte er sanft.
Also ging ich.
*
Von: [email protected]
Hey Marc,
es ist so lange her! Ich hab dich in deinem zweiten Jahr an der Highschool überhaupt nicht gesehen, weil du diesen Schüleraustausch nach Singapur gemacht hast, und dieses Jahr war ich zu beschäftigt mit meinen Praktika, um über die Feiertage nach Illinois zu fahren. Tabitha hat mich auf dem Laufenden gehalten, und ich wollte dir zu deinen College-Zusagen gratulieren. Du wirst Boston bestimmt lieben!
Hugs,
Jamie
Von: [email protected]
Danke, Butt Paper. Hoffe, bei dir läuft alles super.
Gesendet von meinem iPhone
*
Das nächste Mal sah ich Marc mit einundzwanzig. Es war in den Winterferien, zweieinhalb Jahre nach unserer letzten Begegnung. Und ich war alles andere als bereit dafür.
Ich hatte gehört, dass er reifer geworden sein sollte. Auch er war erwachsen geworden und das nicht nur, weil er vor dem Gesetz als volljährig galt.
CJ und ich haben Marc in Boston besucht, und wir hatten tatsächlich Spaß. Irgendwie kamen wir auf den ganzen Mist zu sprechen, den er früher gebaut hat, und dann hat er sich allen Ernstes ungefähr eine Million Mal entschuldigt???, hatte mir Tabitha im Sommer getextet. Das macht mir echt Sorgen. Ich meine, wer bin ich denn überhaupt, wenn man mir den Hass auf meinen kleinen Bruder nimmt? Was soll dann der Kern meiner Identität sein?
Und: Warum ist er bloß in allen Dingen so gut? Gott, vielleicht bin doch ich das schwarze Schaf der Familie.
Und: Ich hatte einen Streit mit CJ, und Marc hat angeboten ihn zu verprügeln. Das ist das Süßeste, was je irgendjemand für mich getan hat.
Als Dad, seine aktuelle Freundin und ich die schneebedeckte Einfahrt der Comptons zu ihrer Weihnachtsfeier hinaufliefen, machte ich mich auf einen neuen, verbesserten Marc gefasst.