12,99 €
Wie kann etwas so was von falsch sein – und sich doch so richtig anfühlen?
Maya Killgore ist dreiundzwanzig und noch voll dabei, ihr Leben in den Griff zu bekommen.
Conor Harkness ist achtunddreißig – und Maya kann einfach nicht aufhören, an ihn zu denken.
Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren, was für ein billiges Klischee sie abgeben: Älterer Mann trifft auf jüngere Frau; erfolgreicher Biotech-Startup-Macker trifft auf Studentin, die nicht annähernd klarkommt; seit Urzeiten bester Freund des Bruders auf ein Mädchen, von dem er noch nie gehört hat. Sprich: Zwischen Conor und Maya gibt es ein mehr als offensichtliches Machtgefälle, und Conor wird nicht müde, auf dessen kritische Implikationen hinzuweisen. Jede Art von Beziehung zwischen ihnen wäre in mehr als einer Hinsicht problematisch, und Maya solle doch bitte schön über ihn hinwegkommen. Er hat wirklich deutlich gemacht, dass er sie nicht mehr in seinem Leben haben will.
Trotz allem sind Maya und Conor gezwungen, eine ganze Woche miteinander zu verbringen, weil ihr Bruder Eli ausgerechnet im sizilianischen Taormina heiraten will – in der Idylle einer romantischen Villa an der einmalig schönen Küste des Ionischen Meeres. Und irgendwo zwischen antiken Ruinen, köstlichem Essen und zauberhaft schönen Felsgrotten wird Maya klar, dass Conor etwas vor ihr verbirgt. Als dann die Hochzeit außer Kontrolle zu geraten droht, beschließt sie, dass eine kleine Sommeraffäre genau das Richtige für sie sein könnte – mag sie auch noch so problematisch sein.
Und da nicht alles ist, wie es auf den ersten Blick scheint, hat so manches Klischee sogar das Zeug, sich zu einer ernsthaften Geschichte zu entwickeln …
Eine hot Summer-Romance mit Feelgood-Vibes und unvergesslichem Setting in Italien von Bestsellerautorin Ali Hazelwood.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 521
Veröffentlichungsjahr: 2025
So heiß war der Sommer noch nie!
Eine Lovestory, wie wir sie noch nie von Ali Hazelwood gelesen haben: voller Feelgood-Vibes und mit einem einmalig schönen Setting in Italien
Ali Hazelwood hat unendlich viel veröffentlicht (falls man all ihre Artikel über Hirnforschung mitzählt, die allerdings niemand außer ein paar Wissenschaftlern kennt und die, leider, oft kein Happy End haben). In Italien geboren, hat Ali in Deutschland und Japan gelebt, bevor sie in die USA ging, um in Neurobiologie zu promovieren. Mittlerweile ist sie sogar Professorin, was niemanden mehr schockiert als sie selbst. Ihr erster Roman »The Love Hypothesis – Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe« wurde auf TikTok zum Sensationserfolg und ist ein internationaler Bestseller. Zuletzt erschienen von ihr bei Rütten & Loening »Bride«, »Not in Love« und »Deep End«.Mehr unter AliHazelwood.com; Instagram: @AliHazelwood
Christine und Anna Julia Strüh sind Mutter und Tochter und übersetzen gemeinsam aus dem Englischen. Christine Strüh lebt in Berlin und übertrug u. a. Kristin Hannah und Cecelia Ahern ins Deutsche. Anna Julia Strüh übersetzte ihr erstes Buch mit fünfzehn, lebt heute in Leipzig und überträgt auch Lyrik.
Einmal im Monat informieren wir Sie über
die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehrFolgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:
https://www.facebook.com/aufbau.verlag
Registrieren Sie sich jetzt unter:
http://www.aufbau-verlage.de/newsletter
Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir
jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!
Ali Hazelwood
Problematic Summer Romance – Die hitzige Unzulässigkeit der Liebe
Roman
Aus dem Amerikanischen von Anna Julia Strüh und Christine Strüh
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Widmung
Prolog
7 Tage vor der Hochzeit
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
6 Tage vor der Hochzeit
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
5 Tage vor der Hochzeit
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
4 Tage vor der Hochzeit
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
3 Tage vor der Hochzeit
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
2 Tage vor der Hochzeit
Kapitel 36
Kapitel 37
2 Tage vor der Hochzeit Der Tag der Hochzeit
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Nach der Hochzeit
Kapitel 42
Kapitel 43
Anmerkung der Autorin
Dank
Impressum
Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...
Wieder mal für Jen, die Einzige, die darum gebeten hat. Alles Gute zum Geburtstag. Ich hab sie ganz besonders messy gemacht, nur für dich.
Ich schäme mich, es zuzugeben, aber eine kurze Zeit lang denke ich ernsthaft darüber nach, nicht zur Hochzeit meines Bruders zu fahren.
»Weiß Eli davon?«, fragt meine Freundin Jade.
»Dass ich mir lieber die Seele aus dem Leib kotzen würde, als dabei zu sein, wenn er die Liebe seines Lebens heiratet?«
»Nein. Dass du gehört hast, was er gesagt hat.«
Ich schüttle den Kopf, den Blick starr auf meine Schlittschuhe gerichtet. Manchmal tue ich gern so, als wäre es das Eis, mit dem ich lieber nie etwas zu tun gehabt hätte, und ich hacke darauf mit meinen Kufen ein, wieder und wieder. Ein bisschen rohe Gewalt hat mich schon immer aufgemuntert.
»Maya, dann geh nicht hin. Es sollte kein Ding sein, dort nicht aufzutauchen. Heiratet man nicht genau deswegen im Ausland? Man kommt ganz locker all seinen familiären und sozialen Verpflichtungen nach, indem man einfach alle einlädt, denen man jemals über den Weg gelaufen ist – selbst die grusligen, Puppen sammelnden Tanten und den Cousin dritten Grades mit seinen schweißgetränkten Umarmungen –, und kann gleichzeitig fest davon ausgehen, dass neunzig Prozent der Verwandten und Bekannten ihr Bedauern ausdrücken und sich weigern werden zu kommen. Denn ganz im Ernst, wenn die Leute Tausende Dollar für eine solche Reise übrig hätten, würden sie sie wohl kaum dafür auf den Kopf hauen, beschissene Fondant-Torte an einem Ort zu essen, den jemand anders ausgesucht hat.«
»Theoretisch ja.« Es wäre um so vieles befriedigender, wenn das Eis bluten würde, wenigstens ein bisschen. »Dummerweise ist das nicht der Grund, warum Eli im Ausland heiratet. Tatsächlich bezahlt er allen, die es sich nicht leisten können, den Flug.« Womit hauptsächlich ich gemeint bin. Mein Bruder ist älter als ich und hat einen überaus lukrativen Job – zwei Qualitäten, die er mit allen anderen auf der Gästeliste gemeinsam hat.
Es kann eben nicht jeder der glamourösen, hochexklusiven Welt der Doktoranden angehören, wie ich es tue.
»Moment. Ist die Hochzeit nicht in Italien? Das ist verdammt viel Geld.«
»Tja, ja. Er hat halt genug.«
»Trotzdem. Kann er es nicht einfach horten?« Sie gibt ein würgendes Geräusch von sich. »Ich hasse großzügige Leute.«
»Un-fucking-erträglich.« Ich wirble auf dem Eis zurück, die Arme zu Engelsflügeln ausgebreitet. »Und das Ganze findet in sehr kleinem Kreis statt. Weniger als ein Dutzend enge Freunde, die eine Woche vor der Hochzeit anreisen. Noch etwa dreißig weitere, die zum Rehearsal Dinner kommen. Neulich bin ich kurz schwach geworden – ich bin nicht stolz darauf – und habe Eli angelogen, dass ich angeblich wegen meines letzten Bewerbungsgesprächs für dieses MIT-Projekt noch länger in Austin bleiben müsste. Ich hab gesagt, dass ich erst zur Trauung dazustoßen könnte.« Ich seufze. Falle wieder in Gleichschritt mit Jade. Die Schlittschuhbahn um uns herum ist beinahe menschenleer, und das Eis schimmert gleißend weiß im Licht der Deckenlampen.
»Und?«
»Und er hat mich angestarrt, als hätte ich seinen Hund gekniffen, ihm erzählt, dass die Zahnfee in echt nicht existiert, und gleichzeitig noch versucht, ihm den Fuß in den Arsch zu rammen – ein Ausdruck schieren Verrats.«
»Er weiß deine Anwesenheit so sehr zu schätzen? Wie kann er es nur wagen?«
»Ich war außer mir vor Wut. Und ich dachte, mein Bruder und ich wären beide seelenlose, pragmatische Leute, die nicht viel auf Rituale geben. Dabei ist es keinesfalls so, dass ich nicht vorhätte, ihm und seiner Angetrauten mindestens die nächsten fünf bis acht Dekaden auf die Nerven zu gehen.«
»Offenbar hat ihn die Liebe noch mehr, als du es befürchtet hast, zum Weichei gemacht. Aber keine Sorge, meine Liebe.« Jade kommt mit einer schwungvollen Bewegung vor mir zum Stehen und versperrt mir den Weg. »Bei mir bist du an der richtigen Adresse. Ich habe reichlich Erfahrung darin, wie man sich aus Sachen rauswindet.«
»Okay. Lass hören.«
»Die effektivste Art, einer Verpflichtung zu entgehen, ist eine Unpässlichkeit, die die drei Us erfüllt.« Sie zählt sie an den Fingern ab. »Unangenehm. Unerwartet. Und vor allem: unheimlich ansteckend.«
Ich blinzle. Sie fährt unbeirrt fort:
»Zunächst muss deine Krankheit dich so plötzlich befallen, dass du es auf gar keinen Fall vorausahnen konntest. Sie muss auf andere übertragbar sein und dir das Reisen unmöglich machen. Und, was das Wichtigste ist, sie muss richtig peinlich sein. Ich rede von Juckreiz an den fiesesten Stellen. Gerüchen. Körperflüssigkeiten. Es muss so würdelos daherkommen, dass niemand auf die Idee käme, du könntest lügen, denn warum solltest du das makellose Bild von dir zerstören …«
»Jade.« Ich nehme ihre Hände in meine. »Ich danke dir. Das sind unschätzbar hilfreiche Hinweise.«
»Gern geschehen. Ich denke darüber nach, einen Workshop zu geben.«
»Aber: Ich hab dir nicht davon erzählt, weil ich Wege suche, wie ich mich vor dieser Hochzeit drücken könnte.«
»Oh. Nicht?«
Ich atme tief durch. »Wenn mein Bruder will, dass ich komme, werde ich hingehen. Punkt.«
»Ah. Verstehe.« Ein tiefes Seufzen. »Weißt du noch, als du ihn gehasst hast?«
»Jep. Und ich vermisse es mehr als je zuvor.« Ich zwinge mich, mit den Achseln zu zucken. »Aber es ist nicht länger als eine Woche. Ganz ehrlich, ich stelle mich nur ein bisschen an.«
»Bist du sicher?«
Ich nicke und gleite weiter übers Eis. Einen Moment später holt sie mich ein. »Aber vergiss nicht, dass plötzlich auftretender Durchfall sich als dein bester Freund erweisen kann.« Sie hakt sich bei mir unter. »Könnte noch nützlich werden, wenn du dich je in der Nähe von Conor Harkness wiederfindest.«
Durch eine glückliche Fügung des Schicksals, die ich sehr zu schätzen weiß, ist das allerliebste Geschöpf meines Bruders im gesamten Universum ein Hund.
Oder … vielleicht entspricht das nicht ganz der Wahrheit. Die Laufbahn von Elis Leben kennt nur ein einziges Gravitationszentrum: Rue, seine Verlobte. Und nachdem ich sie zwei Jahre lang beobachtet, studiert, geneckt, angestarrt und gestelzte Unterhaltungen mit ihr geführt habe, muss ich zugeben, dass ich ihm das schwer übel nehmen kann. Rue ist einzigartig und kompliziert und loyal und still, und die meisten Leute mögen sie nicht besonders.
Früher dachte ich, sie wäre kühl. Ich machte mir Sorgen, dass ihre Beziehung zu meinem Bruder zum Ungleichgewicht verdammt wäre und damit enden müsse, dass sie ihm das Herz bricht. Doch mit der Zeit ist mir klar geworden, dass sie alles für ihn tun würde – selbst mit bewundernswerter Geduld interessiert tun, wenn seine kleine Schwester zum vierten Mal in einem Monat mit der Idee spielt, sich einen Pony schneiden zu lassen.
Jetzt verstehe ich sie, und ich habe sie seiner Liebe für würdig befunden.
Doch der Vierbeiner war schon vor Rue da. Tiny ist ein gutmütiger, sechsjähriger, zweihundert Pfund schwerer Hund aus dem Tierheim, und seine Hobbys sind schnarchen, sich vollsabbern und völlig ungeniert und durchaus aggressiv seine Zuneigung zeigen. Als Eli begann, darüber nachzudenken, dass es vielleicht schön sein könne, mit der Familie und den engsten Freunden im Ausland zu heiraten, war es Rue, die sagte: »Ja, aber wir sollten uns lieber was in der Nähe suchen.«
»Warum?«
»Du willst doch bestimmt, dass Tiny dabei sein kann.«
Wahrlich: seiner Liebe würdig.
Glücklicherweise reist Tiny mit Begeisterung, wodurch die Option Europa auf dem Tisch blieb. Unglücklicherweise erlaubt nicht jede Fluggesellschaft das Mitführen von Hunden, die so groß sind wie ein Bär und ihre Albträume wegbellen, wenn sie vom Gestank ihrer eigenen Fürze geweckt wurden. Tinys unterdurchschnittliche Schlafhygiene tut mir schrecklich leid, dennoch bietet sie mir den Hauch einer Chance, an der ich mich festklammere wie eine Klette im Tornado.
»Ich habe eine passende Airline gefunden«, sagte ich Rue und Eli ein paar Wochen vor der Hochzeit. »Ich würde erst einen Tag nach euch ankommen, aber sie bieten besonderen Komfort für große Hunde. Tiny hätte es bequem. Und ich könnte ihn begleiten.«
Ich lächelte Tiny an, dessen Kopf auf meinen Knien ruhte. »Hey, mein perfekter Junge. Willst du einen Roadtrip mit Tante Maya machen?«
Sein Schwanz rotierte so heftig, dass ich fast erwartete, er würde abheben.
So schaffe ich es, diese höllische Woche um einen Tag zu verkürzen und mit dem einzigen Typen abzuhängen, der mir nie das Herz gebrochen hat. »Tiny Archibald Killgore«, sage ich zu ihm, als er sich im Gang herumdreht und sich von den siebzehn neuen besten Freunden, die er auf diesem Flug gewonnen hat, den Bauch kraulen lässt. »Du wirst mich nie enttäuschen.«
Mein Traummann springt bei kurzzeitigen Turbulenzen auf meinen Schoß und vergisst, wieder zu gehen.
Von Austin mit einer Zwischenlandung zum Aeroporto di Catania zu reisen dauert etwa fünfzehn Stunden. Ich entscheide mich bewusst dagegen, mir an Bord WLAN zu kaufen. Statt also den ganzen Flug panisch mit Jade zu texten, konzentriere ich mich auf das, was getan werden muss: mich aufs Schlimmste gefasst zu machen.
Welche Verteidigungsmaßnahmen auch immer ich gegen Conor Harkness aufgebaut habe, sie müssen dringend gestärkt werden.
Ich habe nie daran gezweifelt, dass er auf der Hochzeit sein würde. Er ist immerhin der engste Freund meines Bruders, wenn man Tiny nicht mitzählt. (Was ich tue.) Sie sind beide Gesellschafter oder Zaren, oder was auch immer ihr Titel sein mag, von Harkness, einer auf Biotech spezialisierten Firma, die irgendwelchen abstrakten Scheiß macht, von dem ich keine Ahnung habe, der aber, wie man mir mehrfach versichert hat, absolut legal ist und jede Menge Geld bringt. Conor ist in mehrfacher Hinsicht, die mir noch jemand richtig erklären muss, der Grund, warum die Hochzeit in Sizilien stattfindet und nicht in Canyon Lake oder Galveston, Texas.
Es war klar, dass er Elis Trauzeuge sein würde.
Und wie ich Jade erklärt habe: »Das Problem ist nicht Conor an sich.«
Obwohl sich selbst das wie eine Lüge anfühlt. Während ich über den Wolken eine schier unendliche Parade koffeinhaltiger Getränke von der Flugbegleiterin entgegennehme, wird mir klar, dass Conor für jemanden, der kein Problem darstellt, unverhältnismäßig viel Raum in meinem Kopf einnimmt, und es gefällt mir ganz und gar nicht, wie viel Hirnschmalz ich jemandem widme, der seit Jahren nicht an mich gedacht hat.
Stimmt nicht, ertönt da eine pedantische, den zeitlichen Ablauf allzu genau erfassende Stimme. Zumindest letzten August hat er an dich gedacht.
Das ist ein so was von klischeehafter Character Trope – die Anfang-zwanzig-Jährige, die für den besten Freund ihres Bruders schwärmt, der ganz zufällig fünfzehn Jahre älter ist als sie. Aber vielleicht werde ich mich diese Woche davon reinwaschen. Mein Leben umkrempeln. Alles ausmerzen – Conor und den ganzen Scheiß zwischen uns. Als würde man Bleiche trinken: Es wird ganz gewiss unangenehm, vielleicht bringt es mich sogar um, aber wenn nicht, werde ich danach so viel stärker sein.
Oder kritisches Organversagen erleiden. Was soll’s, ich bin kein Arzt.
Doch immerhin kann ich davon träumen – selbst als sich wenige Stunden später am Flughafen von Catania mein persönliches Albtraumszenario materialisiert. Tiny verzaubert noch die Flugbegleiter bei der Tiertoilette mit seinem Charme, und mein Handy sucht nach einem Netzwerk, mit dem es sich verbinden kann. Ich blicke mich um, lasse die warmherzigen Begrüßungen, die lauten Gesten und das gemütliche Tempo Italiens auf mich wirken, und als die ersten Nachrichten in meiner Hand vibrieren, tippe ich auf die letzte von meinem Bruder.
ELI: Ein Fahrer wird euch abholen und zur Villa fahren.
Klingt gut, schreibe ich zurück.
Dabei klingt es potenziell echt übel. Es ist dieses euch, was mir Sorgen bereitet: Denn Eli könnte sich ebenso sehr auf mich und Tiny beziehen wie auf mich und einen anderen Gast. Und in diesem Fall will ich einen Namen. Idealerweise, ohne danach fragen zu müssen.
Aber dafür bleibt keine Zeit. Tinys dicker Stapel Papiere wird von Zollbeamten inspiziert, und wir werden aus dem Security-Bereich gedrängt, in Richtung einer Handvoll vorpubertärer Mädchen, die Espresso aus winzigen Tassen herunterkippen, als wären es Shots. Ich umklammere den Griff meines Koffers, auf alles gefasst, und das ist auch gut so. Als ich einen gelangweilt aussehenden Mann, der ein Schild mit der Aufschrift Killgore-Party hochhält, und die braunhaarige Frau neben ihm erspähe, sackt mir das Herz in die Hose. Immerhin nicht, wie ich einen Moment lang befürchte, bis zum Mittelpunkt der Erde.
Also. Genau die Person, von der ich gehofft hatte, ihr entgehen zu können. Direkt vor mir.
»Maya, richtig?«, fragt die Frau und macht ein paar anmutige Schritte auf mich zu. Ihr breites Lächeln bringt ein Grübchen in ihrer linken Wange zum Vorschein. »Ich bin Avery.« Ich sage nicht Ich weiß, weil das ziemlich arm rüberkäme, als wäre ich die Art Mensch, die einen Großteil ihrer Zeit damit verbringt, die Freundin ihres Schwarms online zu stalken, um letztlich nichts als belanglose Dinge über die beiden rauszufinden.
Natürlich bin ich genau diese Art Mensch, aber ich werde versuchen, dieses Geheimnis mit mir ins Grab zu nehmen. Jade hat klare Anweisungen, alles auf meinen Geräten zu löschen, sobald ich ins Gras beiße.
»Ich habe so viel von dir gehört, Avery.« Das ist das Wahrste, was mir einfällt. Ich erwarte, dass sie mir die Hand schüttelt, aber sie zieht mich in eine liebevolle Umarmung, die mich inständig wünschen lässt, meine von der Reise überstrapazierten Poren würden auch nur eine Sekunde aufhören zu transpirieren.
»Es ist so schön, dich endlich zu treffen. Kaum zu glauben, dass wir das nicht schon längst getan haben.« Sie ist ein bisschen kleiner als ich, und wir passen nicht richtig zusammen. Ihre Nase drückt gegen meine Schulter. Meine krausen Haare hängen ihr in den Mund. Als ich mich zurückziehe, komme ich mir in meiner mit Fell gesprenkelten Jogginghose und einem UT-Crop-Top unbeholfen und schäbig vor.
Ich sollte mich unnahbar geben. Eisig höflich. Das Problem ist, dass Avery echt nett wirkt, und ich mag nette Leute. »Es ist so komisch«, sage ich, »dass wir beide in Austin wohnen …«
»… und uns zum ersten Mal in Italien begegnen. Ich weiß. Und das, nachdem ich so viel über Elis Schwester gehört habe.«
»Die Gerüchte sind stark übertrieben.«
Sie sieht mich fragend an. »Gerüchte worüber?«
»Alles.«
Sie lacht, melodisch, ein bisschen heiser. Scheiße, ich glaube, sie ist sexy. »Nein, nein – dein Bruder und Minami sind so stolz auf dich. All die Start-ups, die dich anwerben wollten, und dieser Award, den du gewonnen hast, und diese MIT-Sache – alle bewundern dich so sehr. Ich war so traurig, dich als Einzige noch nicht kennengelernt zu haben.«
»Ich fürchte, das ist meine Schuld. Du hast erst letzten Sommer bei Harkness angefangen, oder? Ich habe fast das ganze letzte Jahr in der Schweiz verbracht. Bin gerade erst vor ein paar Wochen zurückgekommen.«
»O ja, es ist schwierig, dich zu fassen zu kriegen.« Ihr Achselzucken ist genauso schön und gepflegt wie der Rest von ihr, selbst direkt nach einem transatlantischen Flug. Ich will sie nicht in Verlegenheit bringen, indem ich ihren strahlenden Teint und ihre kein bisschen verquollenen Augen anstarre, also zwinge ich mich, mich umzusehen. Lasse die Wiedersehen auf mich wirken, den Turm von Babel aus Sprachen, Umarmungen, Küssen und noch mehr Umarmungen. Elis Fahrer geht vor Tiny in die Hocke und tätschelt ihm den Kopf – ein williger neuer Untergebener unseres Königs.
Averys Blick bleibt auf mich gerichtet. »Sorry, ich sollte nicht so starren, aber es ist … bemerkenswert.«
»Was?«
»Wie ähnlich du Eli siehst.«
Ich lache. »Ja, das höre ich oft.« Ich bin es gewohnt, zuerst als Eli Killgores kleine Schwester erkannt zu werden und erst später als eigenständige Person. Was mir nicht viel ausmacht.
»Du siehst aus wie er, aber auch …«
»Aber auch überhaupt nicht wie er?«
»Ja. Verblüffend.«
Ich gebe ihr meine Standardantwort. »Das liegt an den lockigen schwarzen Haaren. Und den blauen Augen.« In Wahrheit ist es mehr als das. Eli und ich haben dasselbe Kinn, scharfe Eckzähne, zu lange Beine. Wir teilen kräftige Augenbrauen, Amorbogen und die berühmt-berüchtigte Killgore-Nase, römisch geformt und schmal. Sie ist der Hauptdarsteller unseres Gesichts. »Eine wichtige, stolze Nase«, pflegte Dad zu sagen, und ich schüttelte jedes Mal den Kopf und googelte Make-up-Tutorials, um ein süßes kleines Näschen zu zaubern, oder rechnete mir aus, wie lange ich für eine Schönheits-OP sparen müsste. Als wir dreizehn waren, bot Jade an, mir mit einem Hockeyschläger ins Gesicht zu schlagen, um zu sehen, ob es sich dadurch »vielleicht umverteilen würde«. Verzichte.
Dann, eines Tages, wachte ich auf und entschied, dass mein Gesicht gut ist, wie es ist. Dad wäre so glücklich, zu wissen, dass ich meine Killgore-Gene endlich akzeptiere, sogar damit prahle.
»Ich liebe diese Familienähnlichkeit.« Avery lacht verlegen. »Aber ich werde aufhören, darüber zu reden. Es ist nur, du bist echt hübsch, und er ist …« Sie runzelt die Stirn, als sei ihr gerade aufgegangen, wo ihr Satz hinführt.
»Nein, nein, ich verstehe schon.« Ich winke ab, denn ich weiß, was sie so aus dem Konzept bringt: dass Eli und ich aus denselben Teilen bestehen, aber die daraus entstehenden Collagen einen so krass unterschiedlichen Eindruck hinterlassen. Dass dieselben Gesichtszüge an dem einen gut aussehend und an dem anderen schön wirken können. Es hilft nicht, dass er traditionell maskulin ist, während mein Stil so süß wie irgend möglich rüberkommt.
»Weißt du was?«, sagt sie. »Ich glaube, wir zwei werden uns hervorragend verstehen.«
Ich schlucke schwer. Weil sie so nett zu mir ist. Bei der Vorstellung, eine Beziehung zu dieser Frau aufzubauen, die …
»Los?«, unterbricht uns der Fahrer. Er ist etwas älter. Rund. Scheint nicht gut genug Englisch zu sprechen, um unserem Gespräch zu folgen, aber du liebe Güte, was für eine starke Bindung zu Tiny er schon hat. »Los«, wiederholt er nachdrücklicher und zeigt zum Ausgang.
»Ja, bitte«, sagt Avery.
Auch ich nicke. Erleichtert.
Er deutet mit fragendem Blick auf meinen Koffer. Als ich den Kopf schüttle, zwinkert er mir zu, greift sich Averys Gepäck, und zusammen treten wir in die strahlende Hitze Siziliens hinaus.
Zum ersten Mal bin ich nach Europa gegangen, als ich fast siebzehn war. Ich hatte früher als die meisten anderen meinen Highschool-Abschluss gemacht, vom unstillbaren Drang getrieben, endlich aus Austin wegzukommen. Raus aus Texas! Raus aus den Staaten! Und zwar sofort!
Lasst mich. Verdammt noch mal. Hier raus.
Eine Entscheidung, die nicht besonders gut durchdacht war. Ich habe mich nicht an der University of Edinburgh eingeschrieben, weil ich eine renommierte Forschungsinstitution suchte, die ein wissenschaftliches Umfeld bot – auch wenn das durch einen Glückstreffer trotzdem der Fall war. Die Wahl meiner Uni ließ sich auf drei Kriterien herunterbrechen: Würde sie mir einen Platz mit finanzieller Unterstützung bieten? Wären die Kurse auf Englisch? Und: Wäre sie weit genug von dem schwarzen Loch meiner schlimmsten Erinnerungen entfernt? Die University of Edinburgh war zufällig die Erste, die alle Bedingungen erfüllte, und ich fing an zu packen, sobald ich die Zusage bekam.
Ich verhielt mich nicht gerade vernünftig. Andererseits: Es wäre für jede Teenagerin, deren beide Elternteile innerhalb von zwei Jahren gestorben waren und die von heute auf morgen bei ihrem Bruder einziehen musste, der ihr völlig fremd war, eine Herausforderung, sich nicht unvernünftig zu benehmen.
Es war eine schwierige Zeit. Vor der Krankheit, vor dem Unfall, war ich Moms beste Freundin und Dads kleines Mädchen gewesen. Und ich vermisste sie so sehr, schleppte solche Berge von Kummer mit mir herum, dass ich ständig das Gefühl hatte zu ersticken. Nur eines ließ mich zu Atem kommen: meine Wut. Sie durchdrang meinen Brustkorb und verschaffte meiner Lunge kleine Luftlöcher. Sie ermöglichte es mir zu funktionieren. Sie hielt mich am Leben.
Selbst damals, so benommen und orientierungslos und jung ich auch war, verstand ich, dass weder meine Wut noch meine Strategien zu ihrer Bewältigung gesund waren, dass ich die Leute von mir stieß, die mich liebten, dass meine ständigen Ausbrüche nur in einem einsamen Ende für mich münden würden. Aber diese Wut war alles, was ich hatte. Die Therapie half, aber nicht genug. Genau wie die Medikamente. Also rebellierte ich. Ich widersetzte mich meinem Bruder, der genauso verloren war wie ich. Ich sagte furchtbare Dinge, reagierte impulsiv und machte unglaublich viel dummen, riskanten Scheiß.
Ich erinnere mich nicht gern an diese Zeit. Wie ich einmal einen Ausflug mit meinen Freunden gemacht habe und vierundzwanzig Stunden lang vom Erdboden verschwand, ohne mich darum zu scheren, dass mein Bruder krank vor Sorge war. Wie ich Elis Unitrikot ruiniert habe, um mich dafür zu rächen, dass er mich vor den Nachbarn angeschrien hatte. Wie ich meine Jungfräulichkeit auf Ecstasy mit irgendeinem namenlosen Typen verloren habe, der behauptete, Führerscheine wären ein Trick der Regierung, um uns überwachen zu können. Einfach gesagt mag ich die Person nicht, die ich früher war, auch wenn ich versuche, meinen Kummer nicht als Entschuldigung vorzuschützen: Ich verhielt mich dumm und egoistisch, und ich bereue vieles an meinem Verhalten im Alter von zwölf bis … Womöglich befinde ich mich noch immer in meiner Reue-Ära. Jedenfalls versuche ich noch immer, es wiedergutzumachen.
Und dennoch erwies es sich als gute Entscheidung, nach Schottland zu ziehen, und wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich sie wieder treffen. Auf mich allein gestellt zu sein gab mir den Freiraum, den ich brauchte, und ließ mich auf eine Weise, die ich nicht vorhersehen konnte, wieder klar im Kopf werden. Als ich mit zwanzig nach Austin zurückkehrte, war ich ein besserer Mensch.
Ich schrieb mich an der University of Texas ein, um meinen Master in Physik zu machen. Zog bei meinem Bruder ein und fand nicht nur heraus, dass er ein ziemlich cooler Typ ist, sondern auch, dass er geradezu krankhaft vergesslich ist, was das Kündigen von Streaming-Diensten angeht, so dass ich bald Zugang zu endlosem Entertainment hatte. Ich meldete mich wieder bei ein paar Freunden aus der Highschool, die ich in meinem Drang abzutauchen geghostet hatte, darunter auch Jade. Ich fing wieder mit dem Schlittschuhlaufen an, übernahm ehrenamtlich die Anfängerkurse für die Kinder in der örtlichen Eishalle, fand heraus, dass ich gern alte Möbel instand setze, und ging mindestens zweimal die Woche zum Ziegenyoga. »Sie haben ein schönes Erwachsenenleben auf den Ruinen einer beschissenen Jugend aufgebaut«, sagte meine Therapeutin einmal, und der Gedanke gefällt mir. Die Vorstellung vom Leben als etwas, das man wählen, Tag für Tag gestalten, kultivieren und nähren kann. Achtsam zu sein, statt nur zu reagieren.
Und dann, vor knapp einem Jahr, meldete sich meine Promotionsberaterin bei mir und erzählte mir von einer einmaligen Gelegenheit: ein Lehrpraktikum im Bereich der computergestützten Physik. Strömungslehre. Der Jupitermond Io und all diese köstlich aktiven Vulkane. Genau mein Ding.
Für die Stelle müsste ich in einen Vorort von Genf ziehen.
»Scheiße, das ist doch großartig«, sagte Eli, als ich ihm davon erzählte, so euphorisch lächelnd, als hätte er ein Bierliga-Hockeyspiel gewonnen. Stolz. Jubelnd. Begeistert. »Als Lehrkraft bei CERN kannst du dein Leben lang angeben, Maya. Besser geht’s nicht.«
»Vielleicht. Aber als ich zum letzten Mal so weit fortgezogen bin, bin ich quasi weggelaufen und hab die Tür hinter mir zugeknallt. Jetzt schon wieder abzuhauen fühlt sich an, als … Ich weiß auch nicht.«
Er sah mir fest in die Augen. Legte mir die Hand auf die Schulter. »Das ist was ganz anderes. Diesmal gehst du auf etwas zu. Du läufst nicht weg.« Und damit hatte er nicht unrecht. Allerdings war Eli nicht über alles im Bilde.
Ist er immer noch nicht.
* * *
»Gut?«, fragt der Fahrer, deutet auf die Klimaanlage und sucht meinen Blick im Rückspiegel. Als der Wagen um eine Kurve biegt, schwingt der kleine Lufterfrischer-Baum hin und her. Arbre Magique, behauptet er fröhlich. »Mehr? Mehr kalt?«
Ich schüttle den Kopf und lächle, was mir schon mein zweites Zwinkern am heutigen Tag einbringt.
Flirten wir etwa? Werde ich eine heiße Affäre mit einem rüstigen Siebzigjährigen (oder einem ziemlich mitgenommenen Fünfzigjährigen) anfangen? Sind ältere Männer mein toxisches Muster, von dem ich nicht lassen kann? Werde ich …
»Atemberaubend, nicht?«, fragt Avery, und ich bin ernsthaft erleichtert, aus dieser Gedankenspirale gerissen zu werden.
»Ja. Wie kann diese Gegend das Recht haben, so schön zu sein.«
Wir sind fast in Taormina, unserem Zielort, der nur etwa eine Stunde vom Flughafen entfernt ist. Obwohl ich während meines Studiums unzählige von billigen Flugpreisen und noch billigeren Hostels befeuerte Wochenendausflüge durch ganz Europa unternommen habe, die stets nur einen Herzschlag davon entfernt schienen, in eine Orgie auszuarten, war ich noch nie in Süditalien oder auf einer der hier gelegenen Inseln. Je weiter wir uns nun von Catania entfernen, desto fester drücke ich meine Nase ans Fenster. Die Hügel rollen an uns vorbei, bedeckt von Olivenhainen und Weingärten, so gesund und rund und üppig im spätmorgendlichen Sonnenlicht, dass ich mich fast verhöhnt fühle. Felder gehen in Dörfer aus weißem Stein über, umgeben von dichtem Wald und reicher Vegetation, und dann …
Mein Gott, das Meer.
»Wie heißt dieses Meer noch mal?«, frage ich Avery mit Blick auf das schimmernde Wasser, von dem das Sonnenlicht zurückgeworfen wird. Nicht Tyrrhenisches Meer. Auch nicht Mittelmeer. »Ionenmeer?«
»Ionisches Meer«, berichtigt sie mich. Ihr Ton ist auf unauffällige Weise nachsichtig, wie man es von intelligenten, in sich ruhenden Leuten kennt, die anderen nicht das Gefühl geben wollen, ignorant oder unterlegen zu sein. Die gesamte Fahrt über war sie nichts als reizend. Tiny himmelt sie an, und sie erwidert seine Zuneigung: Sie ist nicht mal zurückgewichen, als er ihr mit seiner Schlabberzunge einen Kuss auf die Wange verpasst hat. Diese Frau muss sofort etwas Anstößiges tun – ich brauche dringend eine Rechtfertigung, fiese Sachen über sie zu denken. Ich werde dich nicht mögen, Avery. Hör auf, so toll zu sein.
»Ach ja, richtig. Bist du zum ersten Mal hier?«
Sie nickt. »Normalerweise zeige ich anderen nicht schon so früh, was für ein Nerd ich bin, aber …« Sie holt ein Buch aus ihrer Kunstledertasche, dessen verformter, rissiger Rücken davon zeugt, wie viel darin gelesen wurde. Einer dieser altmodischen Reiseführer, die die Leute früher benutzt haben, bevor wir das Internet in der Tasche hatten. Dutzende Haftmarker schauen daraus hervor. Taormina lautet der Titel.
Ich verziehe meine Oberlippe. »Das ist widerlich nerdy. Bitte sag mir, dass du es nicht auch noch mit Anmerkungen versehen hast.«
»Oh.« Sie blinzelt verblüfft. Ihr Gesicht nimmt ganz kurz einen verwirrten, verletzten Ausdruck an, der jedoch schnell verschwindet. »Ähm, nein. Ich hab mir nur ein paar Notizen gemacht.«
»Gut. Denn das wäre sehr …« Ich ziehe etwas aus meinem Rucksack. »Cringe.«
Es ist derselbe Reiseführer. Derselbe Verlag, derselbe Titel. Ein bisschen ramponierter, da ich lieber Eselsohren mache, als Kleberchen zu benutzen, aber gelbe Post-its voller Notizen – Botanischer Garten, würde Rue gefallen; Wanderung, wenn möglich; Zu der Zeit geöffnet? – ragen in alle Richtungen daraus hervor. Avery mustert ihn, dann blickt sie mit einem Grinsen zu mir auf, als das Taxi vor einer Villa hält.
Ich erkenne draußen zwei Männer, und mein Magen krampft sich zusammen.
»Sind wir gerade beste Freundinnen geworden?«, fragt sie grinsend.
Genau davor habe ich Angst.
Mein Bruder erwartet uns an einem Tisch auf der Steinveranda, im Schatten eines hölzernen, mit leuchtend pinkfarbenen Bougainvilleen bedeckten Spaliers, eine Hand über den Augen, den Kopf lachend zurückgeworfen. Ihm gegenüber sitzt Conor Harkness, noch mitten in der Geschichte, die Eli offensichtlich solches Vergnügen bereitet.
Es ist gut, dass ich das schon in der ersten Minute dieses Urlaubs hinter mich bringe. Sobald ich die erste Interaktion mit Conor überstanden habe, wird der Ton vorgegeben sein, alles Weitere wird ein Kinderspiel. Bestimmt will er das auch: eine einvernehmliche, stillschweigende Einigung auf freundliche Gleichgültigkeit. Die höfliche Heuchelei, dass sich unsere Beziehung einzig und allein um Eli dreht.
»Unglaublich«, sagt Avery, immer noch auf dem Rücksitz des Autos.
»Was?«
»Dass Hark etwas anderes als sein lockeres Business-Outfit trägt. Ein Vorbote der Apokalypse.« Sie öffnet die Tür und tritt hinaus. Tiny folgt ihr und trampelt über mich hinweg, um in die Arme des einzigen Menschen zu rennen, für den er uns alle im Straßengraben verscharren würde. Ich steige gerade rechtzeitig aus, um zu sehen, wie er meinen Bruder mit der ungezügelten Gewalt seiner Liebe anspringt.
»Es ist weniger als achtundvierzig Stunden her, dass du ihn zum letzten Mal gesehen hast«, murmle ich vor mich hin und kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Zeig doch etwas Anstand, Tiny.«
Dann höre ich eine unbekannte Stimme, die selbst das hypnotische Zirpen der Grillen übertönt. »… denke nicht, es ist zu viel verlangt, dass der Unternehmensinhaber, wenn mein Büro ein vertrauliches Informationsmemorandum schickt, sein Team die nötigen Prozesse durchführen und ein Pitch Deck erstellen lässt. Oder liege ich da falsch, Hark?« Die Worte schallen aus einem Handy, das auf Lautsprecher gestellt ist und mit dem Display nach oben auf dem Tisch liegt.
»Redet er mit …?«, flüstert Avery in Richtung Eli, der es irgendwie schafft, trotz Tinys stürmischen Geschlabbers zu nicken.
»O ja.«
Sie grinst. »Der arme Molnar. Lebt er noch? Sollen wir schon mal ein Grab schaufeln?«
»Noch nicht, aber ich mache mir Sorgen um seine geistige Gesundheit.«
»Ja, da liegst du tatsächlich falsch«, sagt Conor und starrt das Telefon an, als wäre es ein verwildertes Kind, das in seinen Garten pinkelt. Sein Gesichtsausdruck zeigt diese ganz besondere Mischung aus Erschöpfung und Abscheu, zu der nur Leute mit altem Geld fähig sind. Sein Profil, das mich immerhin genug beeindruckt hat, um mich über die Anatomie des Jochbeins und seine Beziehung zum Oberkieferknochen zu belesen, ist noch genauso wie beim letzten Mal, als ich ihn gesehen habe. Offenbar hat er sich vor nicht allzu langer Zeit rasiert. Vielleicht heute Morgen. »Aber Fehler kann ich verzeihen, Tomas. Das Problem ist, wie überaus ermüdend diese Diskussion ist.«
Eli verzieht amüsiert das Gesicht. Averys Grinsen wird breiter.
»Ich werde nicht meine Vizepräsidenten oder meine quantitativen Analysten bitten, eine Woche mit Ad-hoc-Analysen und einem gottverdammten Makkaroni-Bastelprojekt zu vergeuden, das du dir an den Kühlschrank hängen kannst«, fährt Conor fort. »Wenn du so tun willst, als wärst du ernsthaft beim Kapitalanhäufungsspiel dabei, mach das in deiner Freizeit. Wir wissen auf den ersten Blick, dass der Eigenkapitalcheck unseren Schwellenwert nicht erreichen wird.«
»So läuft das nicht, Hark.«
»Genauso läuft es bei uns. Unser Investmentprozess ist rigoros, und wir werden nicht eine Gewinn-und-Verlust-Rechnung rückwärts lösen, damit der Freund deiner Tochter einen Cashflow für ein Start-up kriegt, das nie genug Marktanteil erzielen wird, um rentabel zu sein.«
»Als Partner habe ich ein Mitspracherecht …«
»Nicht bei einem so großen Interessenkonflikt. Nicht, wenn niemand sonst den Deal unterstützt. Nicht als beschränkt haftender Teilhaber. Es gibt da diese Sache namens Wörter, und die haben eine Bedeutung.«
Eli und Avery tauschen stilles Gelächter aus, und ich lasse den Blick in die Ferne schweifen, genieße den Ausblick. Der so atemberaubend ist, dass Conors irisch angehauchtes Finanzsprech in den Hintergrund rückt.
Die Villa Fedra, wo die Hochzeitsgesellschaft wohnen wird, wurde auf einem Hügel erbaut. Wie die meisten historischen Anwesen in Taormina thront sie oberhalb einer Felsküste – meinem Reiseführer zufolge zum Schutz vor Piraten und um in der glühenden Sommerhitze Siziliens möglichst viel von der Meeresbrise zu profitieren. Da ich das gelesen hatte, habe ich damit gerechnet, dass die Landschaft schroff und zerklüftet sein würde. Aber ich hätte mir nie vorstellen können, wie steil die Küste an diesem Punkt ist. Wie abrupt die felsigen Klippen zu den schmalen weißen Sandstränden hin abfallen, wie endlos weit das Meer sich erstreckt.
Das Ionische Meer, wie ich jetzt weiß.
Es ist zu viel. Zu schön. Das türkisfarbene Wasser und die dunkelgrünen Bäume sind einfach zu strahlend, wie eine KI-generierte Postkarte. Aber als ich mich ein paar Meter vom Auto entferne und mich vorbeuge, die Hände flach auf der Steinbalustrade, die errichtet wurde, um zu verhindern, dass beduselte Besucher versehentlich an der Felswand zerschmettern, weht mir ein kräftiger Wind ins Gesicht.
Und da geht selbst meinem gejetlaggten, halb komatösen Gehirn auf, dass dieser Ort echt ist. Und so unmöglich das erscheint, ich bin hier. Als ich den Kopf nach Südwesten drehe, wird diese Realität allerdings wieder zweifelhafter, denn hier dominiert der Ätna den Ausblick. Der aktivste Vulkan in ganz Europa. In seiner gedrungenen, sanft ansteigenden Präsenz. Die immer mehr ansteigt und steigt und steigt, bis sie in einem schwarzen Gipfel kulminiert, der so beängstigend wie majestätisch ist.
»Das ist doch lächerlich«, murmle ich vor mich hin. Flüstere ich dem Vulkan zu. Der Luft. Der gesamten sizilianischen Meereslandschaft.
»Ja, oder?« Eli stützt die Ellbogen auf das Geländer neben mir. Zu seinen Füßen jagt Tiny fieberhaft den neuen Gerüchen nach. »Ich fühle mich seit unserer Ankunft nur noch schäbig und hässlich.«
Ich drehe mich zu der Villa um, betrachte die mit Efeu und Blauregen bewachsene weiße Fassade und vergleiche sie in Gedanken mit dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Lieber Pfau, darf ich dir Truthahn vorstellen? »Wir wurden in einer rattenverseuchten Bruchbude großgezogen, was?«
»Und wir wussten es nicht mal.«
»Was waren das nur für pflichtvergessene Eltern, die nicht mal einen Zitronenhain im Hof gepflanzt haben?« Ich greife nach dem Baum zu meiner Linken, der in einem farbenfrohen Keramikgefäß eingetopft ist, und streiche mit den Fingerspitzen über ein glänzendes Blatt. Als ich es zur Seite schiebe, entdecke ich eine Zitrone, prall und saftig und ein bisschen pornografisch. Ihr Duft parfümiert die Luft um uns herum und mischt sich mit der salzigen Meeresluft und etwas, das mich an … Thymian erinnert. Das Gestrüpp, das sich die Klippe hinunterrankt, als versuche es, von uns wegzukommen, ist ein spontan wachsender Thymianstrauch. Das war’s, ich bin verliebt. »Sieh dich vor, Eli. Rue lässt dich womöglich für diese Zitrone sitzen.«
»Zu spät. Die Zitrone und ich sind schon durchgebrannt.«
Ich lächle, und er legt mir einen Arm um die Schultern und drückt mich an sich. Normalerweise umarmen wir uns nicht oft, aber ich bin aus allen möglichen Gründen neben der Spur, und die Geste ist tröstlich. »Ich bin froh, dass ihr hier heiratet. Ich weiß, ich habe unausstehlich rumgegiftet, als du mir gesagt hast, dass ihr nicht einfach sechs Stunden im Standesamt von Austin Schlange stehen und Plastikringe austauschen würdet. Aber das hier fühlt sich wirklich …«
»… nach mehr als einer Schnapsidee an?« Ich nicke, er zieht sich zurück. »Als hätte ich mir tatsächlich Zeit genommen, um in aller Öffentlichkeit zu feiern und zu zeigen, wie sehr ich Rue liebe?«
»Urgh, lass ihn bitte in der Hose.« Er versucht, mir durch die Haare zu wuscheln, und ich muss lachen. »Außerdem hat es nicht den Anschein, als hättest du dir freigenommen.«
»O doch, ich schon. Aber bei Hark ist es leider angeboren, dass er seine Mails nicht nicht checken kann. Was okay ist, da es eine angenehme Freizeitaktivität für mich ist zuzuhören, wie er Streits vom Zaun bricht.«
Ich wende den Blick ab. »Wo sind alle anderen? Ich dachte, Avery und ich wären die letzten Nachzügler.«
»Wart ihr auch. Die meisten holen Schlaf nach. Irgendwer ist in die Stadt gefahren, und Rue macht mit Tisha einen Strandspaziergang.«
Ich sehe zur Klippe. Immer noch sehr steil und zu einem großen Teil mit Moos und Sträuchern bewachsen. »Sind sie runtergesprungen?«
Er zeigt auf einen Punkt etwas weiter die Küste hinunter, wo die Steigung sanfter wird und eine Steintreppe in die feste rotbraune Erde eingelassen ist. Sie nimmt mehrere Wendungen, bevor sie an einem, wie es aussieht, Privatstrand endet. »Oh, cool.« Ich folge der Küstenlinie mit dem Blick, und da sehe ich es. Direkt dort in der Bucht, kaum hundert Meter vom Meer entfernt, liegt eine felsige kleine Insel, bewachsen von üppiger Vegetation.
»Heilige Scheiße. Ich dachte nicht, dass wir so nah dran sind. Ist das …?«
Eli nickt. »Die Isola Bella.«
Als ich zum ersten Mal darüber gelesen habe, dachte ich noch, dass die Einheimischen durchaus ein bisschen mehr Einsatz bei der Namensgebung hätten zeigen können. Aber jetzt, da ich sie vor mir sehe, wird mir klar, dass Schlichtheit durchaus ihren Wert hat. Denn die Isola Bella ist … wirklich schön. Und es ist eine Insel – glaube ich zumindest. Ein runder, zerklüfteter Hügel aus Grün und Grau, vollständig umgeben vom Meer. Die einzige Ausnahme ist ein dünner Streifen kieseligen Sandes, der sie mit dem Festland verbindet.
»Ist gerade Flut?«
Eli zuckt mit den Achseln. »Keine Ahnung. Warum?«
»Ebbe«, sagt eine tiefe Stimme hinter uns. »Die Sandbank war heute Morgen unter Wasser.«
Tja. Ich schätze, damit habe ich es so lange hinausgezögert, wie es möglich war.
Ich atme aus, setze meine gelassenste Miene auf und drehe mich um. »Hey, Conor«, sage ich fröhlich. Was … eine Entscheidung ist, wenn man bedenkt, dass der Rest der Welt ihn Hark nennt.
Alte Gewohnheiten, was soll’s.
»Maya«, sagt er.
Nicht Hi, Maya oder Maya, hey. Im Gegensatz zu mir verspürt er auf jeden Fall nicht das Bedürfnis, seine Nachrichten mit übertrieben enthusiastischen Satzzeichen zu sprenkeln. Conor lächelt kaum jemals, obwohl ich mich weigere, das persönlich zu nehmen. So ist er halt – grimmig, ungeduldig, mitunter gemein. Möglicherweise eine Folge der emotional dystopischen Familie, die ihn großgezogen hat. Unter Umständen könnte es aber auch eine bewusst gewählte Businessstrategie sein, so eindringlich und beängstigend und zornerfüllt wie nur irgend möglich rüberzukommen, um das Reicher-Typ-Portfolio perfekt zu verkörpern. Ich dachte immer, die Anzüge würden hierbei den größten Teil der Arbeit erledigen, aber selbst in der whiskeyfarbenen Hose und dem schlichten weißen T-Shirt, die er jetzt trägt, könnte man ihn nie für einen Software-Entwickler oder einen Philosophieprofessor halten.
Ganz im Ernst, er ist alles andere als mein Typ. Zu überarbeitet. Zu unfähig, sich locker zu machen. Zu zielstrebig. Zu arschig.
Und dennoch war ich die letzten drei Jahre meines Lebens in ihn verliebt. Ich war schon immer stur, aber das ist echt verquer. Sklerotisch. Toxisch.
Mein Hirn ist seinetwegen ins Stolpern geraten, als ich zwanzig war, und hier bin ich nun. Immer noch. Trotz alldem, was seither passiert ist.
All die Lehrer, die meinem Bruder gesagt haben, wie clever ich sei, und hier stehe ich nun und komme mir einfach nur verdammt dumm vor.
»Wie läuft’s mit dem Studium?«, fragt er. Er hat ja so was von ein Händchen dafür – unschuldige Fragen zu stellen, die mich auf meinen Platz verweisen. Was seiner Ansicht nach ein Planschbecken ist. Weit weg von den Erwachsenen. Weit weg von ihm.
»Großartig.« Ich lächle und ignoriere demonstrativ, wie vertraut Avery die Hand auf seinem Oberarm ruhen lässt. Du wusstest, dass das passieren würde, erinnere ich mich. Körperkontakt ist völlig normal zwischen Leuten, die gern zusammen sind.
Ich weiß nicht mehr, wann ich ihn das letzte Mal berührt habe.
»Avery, hast du gesehen, wie nahe die Isola Bella liegt?«, frage ich meine neue Freundin.
»Ja! Ich freue mich schon darauf, sie zu erkunden.« Sie runzelt die Stirn. »Aber ich hab auch ein bisschen Angst. Ich kann nicht besonders gut schwimmen.«
»Wir können zusammen hingehen«, biete ich an.
»Das wäre toll.«
»Ich dachte, vielleicht später, nach einem kurzen Schläfchen …«
»Meine Güte, Maya«, sagt Eli lachend. »Wir werden eine ganze Woche hier sein und haben so gut wie gar nichts vor. Schlaf heute einfach nur deinen Jetlag aus. Komm, ich zeig dir dein Zimmer.« Er nimmt einen Koffer vom Fahrer entgegen und tritt mit Tiny im Schlepptau zwischen die zwei geriffelten weißen Säulen am Eingang des Hauses.
»Eli, das ist mein Koffer«, ruft Avery und eilt ihm nach.
»Shit … okay, aber warum zeige ich dir nicht einfach dein Zimmer, Avery? Hark, nimmst du Mayas Koffer? Sie kann sich einfach irgendeins der freien Zimmer aussuchen.«
Conor antwortet nicht. Doch er reicht dem Fahrer ein paar Scheine, tauscht ein paar Worte mit ihm aus, die ich nicht verstehe, und greift sich meine Tasche.
Na schön. Na schön.
»Du sprichst Italienisch?«, frage ich ihn betont munter, ohne dabei zu klingen, als wolle ich mir am liebsten die Milz aus dem Leib reißen und elendig verbluten, und darauf bin ich stolz.
»Jep.«
»Kommt das daher, dass … Moment, war die Nanny, von der du mir erzählt hast, Italienerin? Die immer Schinken in der Dusche aufgehängt hat?«
»Lisa wäre zutiefst empört über die Andeutung, dass sie je irgendetwas anderes als Prosciutto essen würde.«
Wir betreten das Marmorfoyer, und Stille senkt sich über uns.
»Sind Schinken und Prosciutto nicht das Gleiche?«, frage ich, weil ich die Stille nicht ertrage. Komm schon, Conor, denke ich. Hilf mir mal. Geben wir den Ton an. Höfliche Fremde bis zum Ende der Woche. »Wer kann das überhaupt auseinander…«
»Prosciutto ist eine spezielle Schinkenart«, sagt er. Nicht unfreundlich, aber kurz angebunden.
»Ah.« Wenigstens sind wir jetzt drinnen. Und wenn ich mit einem schicken dreistöckigen Gebäude aus dem neunzehnten Jahrhundert eines anfangen kann, dann ist es, die atemberaubenden architektonischen Details zu kommentieren, um den Mangel an Gesprächsstoff wettzumachen.
»Sieh dir dieses Fresko an.«
»Kaum zu glauben, wie kunstvoll die Decke ist.«
»Ich frage mich, ob der Kronleuchter noch funktioniert.«
Es ist ausgesprochen nervig, vielleicht sogar ein bisschen demütigend, dass Conor nur auf direkte Fragen reagiert. Er lässt mein Geplapper die Stille füllen und führt mich die Treppe hinauf. Ich folge ihm. Beobachte seine durchtrainierten Ehemaliger-Ruderer-Schultern, während er mühelos meine Tasche trägt. Seine dichten dunkelbraunen Haare, von noch mehr grauen Strähnen durchzogen als beim letzten Mal, als ich ihn gesehen habe. Die sich vertiefende Falte zwischen seinen Augenbrauen, die mich dazu bringt, noch mehr zu plappern.
»Für solche Fenstertüren würde ich sterben.«
»Ob es irgendjemand merken würde, wenn ich den Teppich stehle?«
»Ist das eine Bibliothek?«
Ich bin sicher, dass es hier Bedienstete gibt, doch wir begegnen niemandem. Eli hat wohl ein Zimmer im zweiten Stock für Avery ausgesucht, vielleicht in der Nähe von Conors. Das würde jedenfalls erklären, warum Conor mich ganz nach oben in die dritte Etage bringt. Wie weit er geht, nur um mich zu meiden, hat mich schon immer beeindruckt.
»Ist das hier okay?«, fragt er und unterbricht meinen Monolog über den Mosaikboden des Korridors, indem er auf eine Tür zeigt. Ein verzierter silberner Schlüssel steckt im Schloss. Als ich nicke, trägt er meine Tasche hinein.
»Vielen Dank. Eli hatte recht, ich bin wirklich erschöpft. Ich sollte mich besser hinlegen, bevor ich zusammenklappe.« Was eine eindeutige Aufforderung zu gehen sein sollte. Doch Conor schließt die Tür hinter sich, seine dunklen Augen plötzlich hart.
Ich sterbe ein klein wenig.
Ich sterbe ganz arg, denn er fragt: »Bist du high?«
»Ich …« Ich blinzle, unsicher, ob ich ihn richtig verstanden habe. »Wie bitte?«
»Hast du Drogen genommen? Aufputschmittel? Machst du das immer auf langen Flügen?«
»Ich … sorry, was?«
»Keine Sorge, ich werde nicht den Drogenfahnder spielen. Aber wenn es ein Problem gibt …«
»Nein. Warum zur Hölle denkst du, ich hätte Drogen genommen?«
Er tritt näher an mich heran, zwingt mich, den Kopf in den Nacken zu legen. Er war schon immer zu groß für meinen Geschmack – sowohl körperlich als auch geistig. »Du bist manisch. Deine Pupillen sind erweitert. Seit du aus dem Taxi ausgestiegen bist, und du redest wie ein Wasserfall …«
»So bin ich nun mal.«
Er lacht, ein dunkler Ton, der den Raum erfüllt. »Maya.«
Hinter diesem Wort steckt so viel. Maya, komm schon. Ich weiß, wie du bist. Ich kenne dich, Maya.
Und ja. Das tut er. Er kennt mich. Und genau deshalb sollte er wissen, dass ich bei der Hochzeit meines Bruders niemals Drogen nehmen würde. »Ich bin nicht high. Und du könntest ruhig ein bisschen dankbarer sein.«
Er runzelt die Stirn. »Wem sollte ich dankbar sein?«
»Mir. Dafür, dass ich versuche, easy zu sein.«
»Easy?« Ein amüsiertes Schnauben. »Du warst in deinem ganzen Leben noch nie easy.«
»Das bin ich sehr wohl.«
»Maya.« Wieder dieser Ton. Er schüttelt den Kopf und sieht auf mich hinunter, als käme es ihm überhaupt nicht in den Sinn, dass es mir eventuell darum gehen könnte, zumindest so zu tun, als wäre die Stimmung zwischen uns nicht total angespannt, unbehaglich und heikel. »Schlaf dich aus. Und hör auf, dich wie ein hyperaktives Kind zu benehmen, das zu viel von irgendwas hatte. Das ist alles andere als easy.« Er wendet sich zum Gehen, nicht mal genervt genug, um wütend zu sein. So abweisend, wie er mir gegenüber immer war.
Und da beschließe ich, dass ich, wenn er dieses Spiel spielen wird, genauso gut schwierig sein kann. »Es war Avery, oder?«
Er erstarrt, von mir abgewandt. »Was?«
»Sie war der Grund, warum du den Kontakt zu mir abgebrochen hast.«
Conor dreht sich sehr, sehr langsam um.
Langsam genug, dass ich mein Gesicht zu einem neutralen Ausdruck arrangieren kann – nicht zu wütend, nicht zu verletzt.
Er erinnert sich also auch an unser letztes Gespräch. Seine Worte am Telefon – präzise, formell, endgültig. Die lange Stille, bevor ich eine Antwort herausbrachte. Mein leicht ungläubiges Lachen. »Ich habe jemanden kennengelernt, Maya. Und ich fürchte, sie könnte die Beziehung zwischen dir und mir missverstehen.«
Ich habe einfach aufgelegt. Und es bereut, als er nicht noch einmal anrief – weder in jener Nacht noch in den nächsten zehn Monaten. Es ist doch klar, dass meine Aggressionsprobleme da gesund und munter vor sich hin gedeihen.
Nur eine einzige beiläufige Frage an Eli war nötig, um herauszufinden, dass dieser Jemand, den Conor kennengelernt hatte, Avery war, aber das war auch schon alles, was ich über ihre Beziehung in Erfahrung bringen konnte. Conor würde nie im Leben irgendwelche Social-Media-Accounts, die er ohnehin nicht hatte, mit Bildern romantischer Wochenendausflüge updaten, und bei Eli weiter nachzubohren hätte diesen nur Verdacht schöpfen lassen.
Ich versuchte noch mehrmals, mich bei Conor zu melden. Schließlich waren wir gute Freunde. Trotz seiner Angst, dass sie falsch ausgelegt werden könnte, war unsere Beziehung explizit nicht romantisch gewesen. Doch Conor durchschaute das sofort. Statt ranzugehen, wenn ich anrief, schickte er mir Textnachrichten, die eines sehr deutlich machten: Er war für mich da, aber er würde mir eher eine Million Dollar überweisen, als fünf Minuten mit mir zu reden.
Und heute, nach fast einem Jahr Funkstille, begegnet er meinem Blick und sagt bedächtig: »Avery und ich sind schon seit Monaten nicht mehr zusammen.«
»Ich weiß.« Ich lächle trotz des bitteren Geschmacks in meinem Mund. »Interessante Geschichte: Minami und Sul kommen vor ein paar Wochen vorbei. Fangen an, über euch zu reden. Wie schade es doch sei, dass es mit euch nicht funktioniert hat. Dass sie denken, es habe nur an schlechtem Timing gelegen. Sie sind sicher, dass euch diese Reise wieder zusammenbringen wird.«
Conor schließt die Augen, und seine Nasenflügel blähen sich vor Wut. Sein Temperament flammt fast genauso schnell auf wie meines. »Die sollen sich um ihren eigenen gottverdammten Kram kümmern.«
Ich zwinge mich, mit den Achseln zu zucken. »Ich kann ihren Standpunkt nachvollziehen. Avery ist echt nett. Dazu noch in einem angemessenen Alter.«
»Maya.«
»Wie alt ist sie eigentlich?« Jetzt bin ich an der Reihe, die Arme vor der Brust zu verschränken. In seine Komfortzone einzudringen. Dieses Gespräch hat eine gefährliche Richtung eingeschlagen. In meinem Bestreben, ihn genauso zu verletzen, wie er mich verletzt hat, habe ich womöglich meinen Selbsterhaltungstrieb verlegt. »Ich frage nur, weil wir beide wissen, dass ein nicht existierender Altersunterschied für dich die Hauptvoraussetzung für eine erfolgreiche Beziehung ist.«
»Maya.«
»Was?« Ich neige den Kopf zur Seite. »Wir sind immerhin Freunde. Da ist es doch normal, dass ich neugierig bin. Ich wüsste gern, was mein Freund an diesem Mädchen mag, das …«
»Genau das – sie ist kein Mädchen.« Conors Kiefer mahlt. Als er fortfährt, sind die Frequenzwellen der Wut in seiner Stimme spürbar. »Nichts davon ist relevant. Avery und ich sind einfach Kollegen und befreundet. Ich bin hier, um Elis Hochzeit zu feiern, und ich habe weder Interesse daran, meine Beziehung mit ihr wiederaufzunehmen noch die mit dir.«
Es ist ein Schlag in den Magen. Ich befehle jedem Muskel in meinem Gesicht, eine Statue zu mimen, aber das letzte Wort trifft mich so hart, dass ich ein Stückchen zurücktaumle.
Was Conor natürlich nicht entgeht. Er wendet sich ab, die Sehnen in seinem Hals plötzlich straff gespannt. »Verdammte Scheiße, Maya.« Er fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Einen Herzschlag lang sieht er genauso am Boden zerstört aus, wie ich mich fühle. »Es ist fast ein Jahr her, dass wir das letzte Mal miteinander geredet haben. Du warst monatelang im Ausland. Du hast … Du bist an einem Punkt, wo bei dir alles läuft.«
»Was hat das mit irgendwas zu tun?« Ich hasse es, wie kleinlaut ich klinge.
»Ich dachte, du hättest damit abgeschlossen.«
»Womit?«
»Deinen Gefühlen für jemanden wie …«
»Jemanden wie dich, Conor?« Ich schüttle lachend den Kopf. Ernsthaft amüsiert. »Nur so aus Neugier, glaubst du, mein Gehirn hätte noch kein Langzeitgedächtnis entwickelt? Oder nur, dass ich nicht fähig bin, anhaltende Gefühle …«
»Genug«, unterbricht er mich in scharfem Ton. Sieht mir in die Augen und sagt: »Ich werde diesen Raum jetzt verlassen und davon ausgehen, dass du high bist.«
»Ich bin nicht …«
»Und«, schneidet er mir erneut das Wort ab, »wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen, erwarte ich, dass du wieder runtergekommen bist von was immer das hier ist und aufhörst, dich wie die kindische Göre zu benehmen, die du, wie du mich so gern erinnerst, nicht bist.«
Damit dreht er sich auf dem Absatz um und marschiert zur Tür.
»Conor«, rufe ich ihm nach, und da er nicht stehen bleibt, rede ich einfach weiter: »Du warst mein bester Freund. Und ich war deine beste Freundin. Mir wird immer etwas an dir liegen. Damit kann ich nicht aufhören.«
Ich glaube, ein kurzes Zögern, ein Stocken in seiner Bewegung wahrzunehmen, doch vielleicht bilde ich mir das nur ein. Denn er wendet sich nicht noch einmal um. Lässt mich allein zurück. Ich starre ihm nach, die Fäuste fest geballt, die Zähne zusammengebissen, und murmle leise: »Fuck.«
* * *
Meistens fühlt es sich für mich so an, als wären Eli und Conor schon beste Freunde gewesen, bevor ich meinem Bruder auch nur begegnet bin.
Das stimmt natürlich nicht. Eli ist rund vierzehn Jahre älter als ich, doch er ist von zu Hause weggegangen, um an der Uni in Minnesota Hockey zu spielen, als er siebzehn oder so war und ich noch nicht mal vier. Was bedeutet, dass wir an irgendeinem Punkt in den frühen Nullerjahren unter einem Dach gewohnt haben müssen, und das immerhin mehrere Jahre lang. Leider erinnere ich mich kaum daran. Genauer gesagt habe ich genau zwei Kindheitserinnerungen an Eli: wie er mich Pumpkin nannte und wie er einmal bei einem Streit mit Dad so heftig die Tür hinter sich zuschlug, dass ein Bild von SpongeBob und Thaddäus, die Händchen hielten, in meinem Zimmer von der Wand fiel.
Womöglich hat es auch sein Gutes, dass meine Eltern früh gestorben sind, denn ich bin mir nicht sicher, ob sie es ausgehalten hätten zu erleben, wie aus mir ein genauso charmanter und lässiger Teenager wurde wie Eli – sprich: überhaupt nicht. Diesen Scheiß kann man einmal durchmachen, aber zweimal innerhalb von zwei Jahrzehnten? Ich stelle mir gern vor, wie sie, wenn es denn ein Leben nach dem Tod geben sollte, gerade voller Erleichterung mit Piña colada anstoßen.
Wenn man den Geschichten glauben kann, waren die Lieblingsfreizeitbeschäftigungen des jungen Eli: mit Dad streiten, Dad anpissen und Dad zur Weißglut bringen. Für mich klang das immer wie typischer Teenagerkram, aber nachdem Eli ausgezogen war, redete Dad von ihm nur noch als einer Art Rosemaries Baby, das unsere heilige, schutzlose Familie infiltriert hatte, und … na ja. Dad konnte durchaus schwierig sein, aber nie, was sein kostbares kleines Mädchen anging – seine Koboldprinzessin, wie er mich nannte. Er kitzelte mich, wenn ich so tat, als wäre ich genervt von seinem lauten Niesen oder davon, dass er ständig fiese Kommentare über meine Lieblingsfernsehserien abgab, die er nur allzu gern mit mir guckte. Doch zu Eli … Ich mache meinem Bruder keine Vorwürfe dafür, dass er mit Anfang zwanzig weniger oft zu Besuch kam, als er Zehen hat. Schließlich hatte ich dasselbe vor, als ich zum Studium nach Schottland zog.
Ich weiß nicht, ob Eli je ernsthaft davon geträumt hat, Eishockeyprofi zu werden. Aber ich weiß, dass er während des Studiums erkannte, wie viel ihm an biomedizinischer Forschung lag, und dass er nach dem Abschluss eine Hundertachtziggradwende vollzog und aus der Sportskanone … eine pipettenschwingende Sportskanone wurde. Er zog zurück nach Austin, ohne jedoch die Frequenz seiner Besuche zu erhöhen. Stattdessen fing er an, seinen PhD in Chemischer Verfahrenstechnik an der UT zu machen, und dort traf er Conor, der schon ein Jahr im selben Promotionsprogramm war, und Minami, eine Postdoc. Die drei waren sofort beste Freunde.
Nach dem Tod meiner Eltern, als Eli über Nacht zum alleinerziehenden Vater wurde, halfen Minami und Conor ihm sehr. Ich weiß nicht, ob ich noch hier wäre, wenn Minami meinem Bruder nicht gesagt hätte, dass über vierzig Grad Fieber ein guter Grund für den Besuch einer Notaufnahme seien, oder wenn Conor nicht Elis sonstige Aufgaben (und höchstwahrscheinlich auch die Arztrechnungen) übernommen hätte, damit dieser mich zu besagter Notaufnahme fahren konnte.
Danach passierte eine Menge Kram. Woraus sich eine Geschichte mit mehr Perspektiven als denen eines Prismas ergibt, die sich dazu noch über die Jahre beständig veränderte, und irgendwie war Rue schon lange ein Teil davon, noch bevor sie und Eli sich über eine Dating-App kennenlernten. Dummerweise redet niemand Klartext, und ich habe aufgehört zu fragen. Zu den inhaltlichen Stichpunkten gehören in beliebiger Reihenfolge: Eli, Conor und Minami wurden unehrenhaft aus der Uni rausgeschmissen; Conor und Minami verliebten sich – was für Minami irgendwann zu Ende ging, und sie heiratete jemand anderen (Ist Conor deshalb so ein Arsch? Nein. Ich weigere mich, Frauen für das unterirdische Verhalten eines Typen verantwortlich zu machen – wenngleich ich mich dafür verantwortlich mache, dass ich trotz allem immer noch Gefühle für ihn hege, obwohl ich es besser wissen sollte); Eli, Conor und Minami gründeten Harkness, eine Biotech-Firma; Profit.
Es gab eine Menge finanzielle Turbulenzen, als das Unternehmen wuchs und expandierte. Und so wurde ich von einem Vielleicht-können-wir-uns-einen-Trip-nach-Disneyland-leisten-wenn-wir-ein-paar-Jahre-sparen-Kind zu einem Die-Bank-hat-uns-unser-Haus-weggenommen-ich-kann-dir-kein-Geld-fürs-Mittagessen-geben-aber-hier-ich-hab-dir-ein-Sandwich-gemacht-Kind und dann zu einem Jep-ich-kann-deine-Studiengebühren-bezahlen-egal-wo-du-hinwillst-Teenager.
Mit Harkness läuft es gut. Die ersten zehn Jahre oder so waren Eli, Conor, Minami und ihr Ehemann Sul die geschäftsführenden Partner. Dann, vor etwa zwei Jahren, traf mein Bruder Rue und beschloss, weniger zu arbeiten, um mehr Zeit zu haben … sie anzustarren, glaube ich? Dann brachten Minami und Sul ihre Tochter Kaede zur Welt, das süßeste kleine Mädchen des ganzen Universums. Zu dieser Zeit schnappte ich immer öfter den Namen Avery auf.
Sie hat den perfekten Background. Eine langjährige Freundin von Minami. Frühere Beraterin bei einer großen Consultingfirma – wir haben jahrelang mit ihr zusammengearbeitet und mögen ihre Art. Hat vor Kurzem eine langfristige Beziehung beendet und wünscht sich etwas Neues. Ist die Ostküste leid und überlegt, nach Kalifornien umzuziehen. Oder nach Austin.
Avery übernahm Minamis und Suls Aufgabenbereich, während die beiden in Elternzeit waren. Ein paar Monate später hätten sie eigentlich zurückkommen sollen, verkündeten jedoch, nachweislich »das süßeste Kind des ganzen fucking Universums« (ich stimme von ganzem Herzen zu) bekommen zu haben, weswegen sie »ganz viel – also wirklich ganz, ganz viel« Zeit mit ihr verbringen wollten. Und mit der Gewissheit, dass die Kombination ihrer Gene verdammt süße Kinder ergab, dachten sie darüber nach, bald noch eins zu bekommen. Die beiden übernahmen den Betreuungsjob zu gleichen Teilen und waren nicht sicher, ob sie wieder Vollzeit für Harkness arbeiten würden.
So bekam Avery eine feste Stelle.
Ein paar Monate später erzählte mir Conor, den ich zu jener Zeit als meinen engsten Freund ansah, dass er jemanden kennengelernt habe. Und ob ich mich bitte aus seinem Leben verpissen könne?
Und wie ich das konnte. Ich zog in die Schweiz und dachte niemals wieder an ihn. Conor – wer? Conor-Fucking-wer?
»Hey, Girl«, sagt eine Stimme über mir. »Du bist eindeutig kurz davor, jemanden zu ermorden, und auch wenn ich dich nicht von deiner Beute abhalten werde, willst du nicht vielleicht vorher die Details mit mir durchgehen? Ich möchte nur sicherstellen, dass wir bei dem Gerichtsprozess etwas haben, das uns weiterhilft.«
Ich blicke vom stillen Wasser des Swimmingpools auf und schiebe die Sonnenbrille die Nase runter. Auf der hölzernen Terrasse steht in einem hellgelben Bikini, der einen perfekten Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildet, meine allerliebste Anwältin auf der ganzen Welt und sieht aus wie ein Supermodel. Ich betrachte ihre langen, wohlproportionierten Beine, ihre Sanduhrfigur, ihre schwarzen Haare, die in glänzenden Wellen über ihre Schultern fallen. Mein Blick bleibt an ihrem breitkrempigen Strohhut hängen, und mein Stirnrunzeln verwandelt sich in ein Lächeln.
Nyota. Die jüngere Schwester von Tisha, Rues Kindheitsfreundin – und natürlich ebenfalls mit Rue befreundet. Obwohl es Nyotas Lieblingsbeschäftigung ist, die beiden runterzuputzen.
»Ich wusste gar nicht, dass du auch Strafrecht machst«, sage ich und schiebe meine Sonnenbrille wieder hoch.
»Mein Fachgebiet ist zwar Insolvenzrecht, aber nach dem Massaker, das du planst, wirst du mich brauchen.«
Dass ich sie nicht umarme, liegt nur daran, dass sie zu perfekt wirkt, um etwas Unwürdigem wie Chlor ausgesetzt zu werden. Ich sehe zu, wie sie sich auf die Strandliege neben meiner legt, ein Handtuch über die Kopflehne breitet und mir ein seltenes Lächeln schenkt. Der Duft ihres Parfüms – Rose, Verbene – weht in meine Richtung. »Sind deswegen alle verschwunden? Hat das Gemetzel schon stattgefunden? Verdammt, hab ich es verpasst?«