Unheilbringer - Steve Nolte - E-Book

Unheilbringer E-Book

Steve Nolte

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Beschreibung

Seht die Zeichen. Hört die Prophezeiung. FÜRCHTET DEN Unheilbringer! Grassierende Seuchen. Zerstörte Ernten. Blut in den Flüssen. Mysteriöse Todesfälle. Die Zeichen scheinen eindeutig: Der Rote Stern, jener schicksalhafte Unheilbringer, jenes grausige Omen aus grauer Vorzeit, läutet das Ende der Welt ein. Sollte die uralte Prophezeiung sich tatsächlich erfüllen? Und falls ja, an welche Version der Prophezeiung soll man sich halten? Fragen, die man Cord Tonka eigentlich nicht stellen sollte. Endlich in Cimberia, der Hauptstadt des Erbkaiserreiches, angekommen, steht er einmal mehr vor scheinbar unlösbaren Aufgaben. Neben einem Kongress der Gelehrten, der nichts anderes als die Sicherstellung des Fortbestehens allen Lebens im Angesicht der drohenden Vernichtung zum Gegenstand hat, bekommt er es mit alten Feinden, neuen Freunden und einer perfiden Intrige zu tun, die nicht nur sein Leben bedroht. Doch ein Mann wie Cord gibt nicht so einfach auf. Immerhin hat er seinen Hammer, seinen nordischen Charme und nicht zuletzt einen ebenso mächtigen wie unberechenbaren Nekromanten auf seiner Seite. Was soll da schon schiefgehen? Nun ja: Vermutlich alles, was schiefgehen kann. Ein unheilbringender Komet. Ein überforderter Deichvogt. Ein apokalyptisches Komplott. Ein haarsträubendes Abenteuer! Die Fortsetzung der Kult-Fantasy-Saga aus Deutschland!

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Über den Autor

Steve Nolte (Jahrgang 1985) heißt eigentlich anders, wollte aber immer schon ein eigenes Pseudonym haben. Das Schreiben begleitet ihn bereits seit vielen Jahren – inzwischen bisweilen sogar beruflich. Er arbeitet als Redakteur, Texter, Lektor und in anderen mehr oder weniger seriösen textbasierten Funktionen und wohnt mit seiner schönen Frau und zwei verfressenen Katzen in Dortmund. Seine erste Romanreihe, deren zweiten Band Sie nun in Händen halten (übrigens danke, dass Sie sich für den Unheilbringer entschieden haben, Sie sind ziemlich cool), wurde bereits von mehreren Personen gelobt.

Jetzt aber schnell umblättern, dann geht's auch schon los!

http://steve-nolte.de/

Erkennst du nicht die Zeichen, kannst du sie nicht versteh'n?

Am fernen Horizont die Feuer, kannst du sie denn nicht seh'n?

Ein kalter Wind durch kahle Gassen.

Kalte Öfen in Häusern längst verlassen.

Weder Musik noch Gespräch dringt an dein Ohr.

Niemand blieb zurück, gähnend offen steht das Tor.

Keine Stadt mehr, eine Totenhalle.

Keine Welt mehr, eine Todesfalle.

Man sagt, das Ende sei nah, man sagt, es komme schnell.

Man sagt, das Ende sei da, es brenne rot und hell.

Erkenne die Zeichen, du musst sie versteh'n.

Am Horizont die Feuer, du musst sie seh'n.

Des Bardenkönigs Abgesang, Fragment, ca. 7000 v. K. E.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel I – Dicker Mann in großer Stadt

Kapitel II – Alles hat ein Ende,

Kapitel III – Ein Freund, ein guter Feind

Traumzeit

Kapitel IV – Menagerie à quatre

Kapitel V - Große Geister denken gleich

Interludium

Interludium

Kapitel VI – Viel Rauch um alles

Epilog

Prolog

Schaut man des Nachts zum Himmel auf, sieht man, so der Himmel denn klar ist, eine Vielzahl an Sternen. Wie Diamanten auf einem schwarzen Tuch funkeln sie zumeist. Weiß, kalt, edel, vollkommen – und unendlich weit entfernt.

Ihre Farbe mag bisweilen ins Bläuliche übergehen. Eventuell auch ins Gelbliche.

Ein roter Stern dagegen ist eine außerordentliche Seltenheit – zumindest werden dies neunundneunzig von einhundert eifrigen Sternenguckern bestätigen. Man mag sogar so weit gehen, die Existenz eines solchen anzuzweifeln.

So ein roter Stern, selbst wenn es einen gäbe, wäre vermutlich weit entfernt, winzig klein und auch nicht von wirklich kräftiger roter Farbe. Eher weiß mit leichtem Rotstich, wenn überhaupt.

Er würde kaum leuchten wie ein Rubin, den man vor Sonnenlicht hält.

Kaum funkeln wie frisches Blut im Schnee.

Und doch entsprach jene Beschreibung dieser Tage exakt dem, was Millionen von Wesen am Himmel ihrer Welt sehen konnten.

Noch war der Rote Stern kaum größer als ein Fingernagel.

Und doch schien er täglich zu wachsen. Zunächst unmerklich, bis er dann sozusagen über Nacht die Größe einer Kirsche angenommen hatte.

Einer sehr grellen Kirsche, die zu lodern schien.

Worum handelte es sich bei diesem Roten Stern, der nicht fix am Horizont stand wie seine weißen, gelben, blauen Artgenossen?

Viele kleine Leute und auch die Gelehrten waren sich recht schnell einig, womit sie es zu tun hatten. Vor vielen Jahrtausenden bereits kursierten Theorien, schon zu Zeiten, als die Macht der Dlaerden sich noch auf ihrem Höhepunkt befand.

Ziemlich schnell war klar, dass es sich um keinen Stern handelte, auch wenn einige Völker ihn für immer den Roten Stern nennen würden.

Bei einigen Völkern ist es Sitte, sich bei Sichtung einer Sternschnuppe etwas zu wünschen. So eine Sternschnuppe ist ja nun nichts anderes als ein Komet oder anderweitiger Himmelskörper, der im Äther sein Leben aushaucht. Sofern man von Leben sprechen kann, was ja bei einem seelenlose Stück Stein – oder woraus solch ein Komet oder anderweitiger Himmelskörper auch immer geschaffen sein mag – kaum der Fall ist.

Dieses Phänomen ist bekannt und erforscht. Eine Sternschnuppe im herkömmlichen Sinne ist ein positives Zeichen. Ein Glücksbringer.

Was diesen Roten Stern betraf, diese Feuerkugel, die mit unfassbarer Geschwindigkeit durch den Jöl-Raum jagte und dabei ihren diffusen Schweif hinter sich herzog wie einen Schleier aus Blut, so kamen dieser Tage nur wenige auf die Idee, ihn für einen Überbringer guter Nachrichten zu halten.

Wenn man sich bei seinem Anblick etwas wünschte, dann wohl nur, dass er bald wieder verschwinden und keinen Schaden anrichten möge.

Trotzdem funkelte es in den alten, aber immer noch sehr scharfen Augen der Dlaerdin, als sie den Roten Stern betrachtete. Sie betrachtete ihn schon eine ganze Weile. Meist mit dem bloßen Auge – alt, aber noch immer scharf, wie erwähnt –, manchmal aber auch über die okularen Gerätschaften, die sie hier oben in ihrem selbstgewählten Exil über die Jahrtausende hinweg angesammelt hatte.

Dieser Rote Stern, sie erinnerte sich an ihn aus ihrer Jugend. Sie erinnerte sich, dass er nie über ihn gesprochen hatte. Wie sehr sie es auch versuchte, über den Stern wollte ihr Mann, ihr Ehemann, ihr Rhomyir, nie sprechen. Irgendwann hörte sie auf, danach zu fragen.

Und irgendwann war Rhomyir nicht mehr da, um ihre Fragen zu hören.

Rhomyir. Wo immer er sein mochte, sie hoffte, es ging ihm gut.

Natürlich konnte sie nicht sicher sein, dass er noch lebte. Die da unten sagten, er sei tot. Nannten sie die Witwe. Unter anderem.

Ja, sie lachten über sie. Nicht nur die Menschen, sogar die Dlaerden. Nannten sie eine Närrin, die noch immer auf die Rückkehr eines Toten wartete.

Nun. Sie mochten recht haben oder nicht. Sie würden Erlora nie davon überzeugen.

Solange sie keinen gegenteiligen Beweis hatte, war ihr Mann am Leben.

Solange sie daran glauben konnte, konnte sie weiterleben.

Weiterleben und auf ihn warten.

Auf ihn warten und auf das Gelingen des großen Plans, den sie nun maßgeblich unterstützte.

Sie schmunzelte, während der Drezr Hrazela am dunklen Nachthimmel über dem Monhed-Gebirge loderte. Er warf nur sehr vereinzelt sein rötliches Licht auf die schneebedeckte Kuppe der Stummen Wächterin; er war noch zu weit weg, als dass der Effekt wirklich wahrnehmbar gewesen wäre.

Noch war er zu weit weg. Aber das würde nicht mehr lange so bleiben.

Und wenn er kam, würden die Dlaerden bereit sein.

Die Herrschaft der Menschen war zu Ende. Sie wussten es nur noch nicht.

Wenn der Plan dieses arroganten jungen Dlaerden Früchte trug, würden sie in Chaos und Schrecken fliehen.

Wenn Zerek Dûms Plan aufging, war der Weg frei für die neue Ära des dlaerdischen Volkes.

Der Rote Stern kam.

Er kam.

Und die Dlaerden würden ihre Rache haben.

Der Unheilbringer würde die jungen Völker in Angst versetzen und ihre Vernichtung einläuten.

Erlora kicherte in sich hinein.

Erst ein unerwartetes Gewicht auf ihrer Schulter ließ sie innehalten und den Blick abwenden.

Einer ihrer Zqeebies sah sie gurrend an.

Sie nickte. „Du hast ganz recht, mein kleiner Freund. Zeit, die Dinge anzupacken.“

Mit einem letzten, geradezu verschwörerischen Blick auf den Unheilbringer ließ die Witwe die klirrende Kälte der eisigen Bergnacht hinter sich.

Ging hinein.

Und bereitete das Frühstück zu.

Ihre Schützlinge waren hungrig.

Laut schnurrend, gurrend und fiepend hüpften sie um den dampfenden Kochtopf herum.

Auch Erlora war hungrig. Sie war es schon seit vielen Jahren, aber es war ihr bis vor Kurzem nie aufgefallen.

Ihr Hunger war groß. Er war fast übermächtig.

Anders als bei den Zqeebies konnte ihr Hunger jedoch nicht mit Haferbrei gestillt werden.

Kapitel I – Dicker Mann in großer Stadt

Während sie mit all den anderen Reisenden am Osttor gewartet hatten, war Cord tatsächlich über seinen finsteren Gedanken eingepennt. Als er nun schmatzend und sabbernd aufwachte, stellte er verklärt guckend fest, dass es allen anderen bis auf Ingo und Megasthenes (sowie Lona, die mit verschränkten Armen auf Friedels Kopf saß wie eine Art magisches Fahrtlicht) ebenso ergangen zu sein schien. Drescher und Botukall schliefen Arm in Arm und die Katze hatte es sich zwischen ihnen bequem gemacht. Ronny lag lang ausgestreckt auf dem Rücken und schnarchte vernehmlich. Cord nickte müde und selig, die Art von Seligkeit, die es nur in diesem süßen Moment zwischen Schlaf und vollständigem Erwachen gibt. Dann trafen ihn seine Sorgen, diese miesen Scheißer, die sich gegen ihn verbündet hatten, wie ein leichter Jab in die Magengrube. Seine Mission fiel ihm wieder ein. Treffe dich mit Arno und seiner Gesandtschaft an der Kreuzung nahe Grauasch. Reitet zusammen weiter nach Cimberia. Finde dich im Warmen Herd ein, wo euch eure Betten erwarten. Am nächsten Tag findet die Conferenz statt. Einfach genug, Breitarsch. Aber wie viele Teile von Hergers Anweisungen können zum jetzigen Zeitpunkt noch erfüllt werden? Zähl mal nach!

Er hatte Megasthenes bereits im Vorfeld mitgeteilt, wo sie erwartet wurden. Falls irgendein Nordler aus irgendeiner der Gesandtschaften es geschafft hatte, würden sie ihn wohl dort finden, und so hatte der Magier ein festes Ziel im Kopf, als er sein Gefährt durch die engen Straßen der Außenbezirke Cimberias steuerte. Wie der Alte sie ohne Aufsehen durch die Stadttore bugsiert hatte, hatte Cord nicht mitbekommen, aber er hatte den Wachen sicherlich eine aberwitzige Geschichte aufgetischt, an die sie sich lange erinnern würden. Cord tat den Gedanken mit einem Schulterzucken ab. Er sollte nicht noch einmal daran denken.

Anders als die meisten Neuankömmlinge, die mit ihnen in der Schlange vor dem Tor gewartet hatten, mieden sie die breite Handelsstraße, die direkt ins Zentrum führte, und schlugen einen Weg in die stilleren Gassen ein. Eng waren sie und die Bebauung mutete bereits hier durchaus massiv an (zumindest für jemanden, der auf dem Dorf aufgewachsen war), doch gab es hier draußen immerhin noch zahlreiche größere Plätze, auf denen wohl ansonsten Märkte abgehalten wurden, und immer wieder waren die Bebauungslücken groß genug, dass man ein wenig weiter schauen konnte. Natürlich ragte der weiße Dorn der Warte ohnehin über allen Dächern und Giebeln auf und war im Grunde in der gesamten Stadt zu sehen, aber hier hatten sie noch die Chance, sie und das Collegium selbst zumindest für kurze Augenblicke komplett zu erspähen.

Wie Cimberia selbst, war auch der Sitz der geistigen Elite der Dlaerden von drei Mauern umgeben – und natürlich von einer unsäglichen Ansammlung von Bretterbuden, die man bis hierhin riechen konnte. Das Dlaerdenghetto. Cord verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, dass sie morgen da durchmussten. Oh, du armes Schwein. Denk mal lieber an die Spackos, die da jeden Tag wohnen müssen.

Dann verfinsterte sich seine Miene noch mehr, als die ersten dicken Regentropfen auf ihn niederprasselten. Es hatte die letzten Stunden über fortwährend gedonnert und offenbar hatte das Unwetter endlich beschlossen, seine langgezogene Drohung wahrzumachen und sich über die Welt zu ergießen. Alle sollten nun scheinbar was von seiner ungezähmten Kraft haben. Entsprechend zuckten ab sofort in einer Tour Blitze über die schiefen Dächer der Fachwerkhäuser, die bis zu drei Stockwerke hoch zu beiden Seiten des Kopfsteinpflasters aufragten. Donner grollte so laut, dass es in Cords Magen vibrierte. Passanten steuerten eilig trockenere Gefilde an – sofern es solcherlei Gefilde für sie gab. Der Regen ließ das Pflaster glänzen und gluckerte alsbald in nicht zu verachtenden Strömen in den Rinnstein. Ja, hier hat’s eine Kanalisation! Die feinen Herren! Flüsse aus Scheiße, aber unter Tage, wo sie keiner sieht. Eine Metapher für den ganzen feinen Laden hier. Mann, Breitarsch, ich freue mich drauf, was wir hier alles erleben werden. Aber, wie du gesagt hast, wir beschränken die Erlebnisse auf ein Minimum. Schnell rein, schnell raus. Wie beim Sex! Hähä!

Das Collegium ließen sie alsbald hinter sich – zumindest für den heutigen Tag. Cord wandte sich noch ein letztes Mal um und sah für die Dauer eines Blitzzuckens eine hochgewachsene junge Dlaerdin in einer Seitengasse stehen. Sie trug einen schäbigen Schlechtwetterumhang über einer prächtigen Rüstung, in der sich das grelle Blitzlicht spiegelte, und sah genau in seine Richtung. Eine Sekunde lang erblickte er sie in aller Deutlichkeit, konnte ein jedes Detail ergründen, Entfernung hin oder her. Dann verschluckte die Nacht sie wieder.

Cord warf Megasthenes einen Seitenblick zu, doch der alte Mann schien nichts bemerkt zu haben. Wohl bemerkte er Cords Blick und schaute ihn fragend an, doch der Nordler winkte ab. „Fahr einfach.“

Die Bewohner dieser äußeren Bezirke wirkten nicht besser in Schuss als die kleinen Leute, die in ähnlichen Vierteln einer Hansestadt vergleichbarer Größe (nicht, dass Noord oder selbst Grimholm Cimberia in Sachen Größe und Einwohnerzahl das Wasser hätten reichen können) ihr Dasein fristeten. Was hier in den frühen Abendstunden von Gasse zu Gasse zog, hatte sich zum Schutz vor Regen und Kälte die Kapuzen, schäbigen Hüte und sonstigen Kopfbedeckungen tief ins Gesicht gezogen. Cord für seinen Teil war den Menschen dankbar dafür, denn sah man doch mal ein Gesicht zur Gänze, wurde man mit einem wenig erbaulichen Anblick belohnt – wie zum Beispiel, als tatsächlich einmal ein Städter auf die Kutsche zustolperte, um ein paar Gulden bettelte und dabei eine Sammlung an Narben, Warzen, Pocken und Pickeln zur Schau stellte, dass ein Tröll neidisch geworden wäre. Apropos: Friedel schnaubte dem Kerl eine Portion Schleim ins Gesicht, die offenbar nicht so ätzend war wie das Sekret, mit dem er den Tröll im Fleischfresserforst in eine stinkende Pfütze verwandelt hatte, die aber trotzdem Blasen auf seinem Gewand warf und ihn dazu animierte, das Weite zu suchen. Schnabelbären waren nützliche Tiere, so viel musste Cord eingestehen.

Sie folgten den verschlungenen Straßen Richtung Stadtkern. Cord hielt Ausschau nach dem Wirtshaus, das sie suchten, musste allerdings feststellen, dass Cimberia anscheinend nicht vorhatte, es ihnen in dieser Hinsicht leicht zu machen. Wenn es in diesem Moloch einen Typus von Lokalität in Hülle und Fülle gab, dann wohl das Wirtshaus und seine Artverwandten. Je näher sie dem Zentrum kamen, desto größer und schöner wurden die Gaststätten. Die meisten waren im Stil der hiesigen Almhütten und Bergbauernhöfe gehalten und für ein Nordlerauge gab es verdächtig wenige Anker, Schiffsabbildungen und Fischwortspiele auf den Schildern über den Pforten und an den Hausfassaden zu sehen. Angesichts der unmittelbaren Nähe Cimberias zum Monhed-Gebirge war die alpine Natur der Namen der meisten Absteigen hier aber durchaus verständlich.

So passierten sie den Singenden Steinbock, den Schwammerlsammler, das Haus Enzian, den Kaiserhof, Cimberts Rast, das Rössli, den Blutschink, Mummes Bierstube und sogar den Wolpertinger. Letzteres Lokal warb auf einem besonders prächtig bemalten Schild mit hausgebrautem Bockbier und frischen Schweinshaxen. Die merkwürdig verschnörkelte vereinfachte Kaiserschrift war eine Beleidigung für Cords Augen, aber der Gedanke an ein deftiges Mahl ließ seinen Magen knurren. Mit einem Blick auf das namensgebende Maskottchen des Gasthauses, ein groteskes Mischwesen, das wie ein Hase mit Wolfszähnen, Geweih und Flügeln aussah und das offenbar jemand ausgestopft und über die Eingangspforte genagelt hatte, wo Wind und Wetter nicht sonderlich gnädig zu ihm gewesen waren, seufzte er vernehmlich.

„Die Viecher sahen bei uns zu Hause anders aus“, sagte er und dachte an das Exemplar im Keller von Burg Wachmoor.

„Das ist ein Drecksladen, da gehen wir nicht rein“, sagte Megasthenes bestimmt.

„Mal drin gewesen?“

„Einmal, danach hatte ich zwei Tage lang Scheißerei. Kann an der süßen Plörre gelegen haben, die sie hier Bier nennen! Außerdem haben die doch tatsächlich den letzten lebenden Wolpertinger erlegt und wie eine Trophäe über die Tür gehängt.“ Der Nekromant wirkte gekränkt.

„Bier und Haxen gehen immer“, murmelte Cord vor sich hin. Mit einem Blick auf den Magier fügte er etwas lauter hinzu: „Ich hatte dich nich für einen Tierfreund gehalten.“

„Bin ich auch gar nicht so sehr, auch wenn ich meinen Friedel liebe. Aber die wollten mir nicht den Kadaver verkaufen, damit ich ihn studieren konnte. Und als ich dann ihr Bier verunglimpft habe, besaßen sie die Frechheit, mich aus der Stadt zu jagen – mich! Obwohl das auch etwas damit zu tun haben könnte, dass ich versucht habe, den Wolpertinger wieder zum Leben zu erwecken.“ Er grinste gedankenverloren.

„Ungeheuerlich. Du kannst auch Tiere wiederbeleben?“

Der Nekromant zuckte die Schultern. Sie schwiegen für eine Weile.

Einige Abzweigungen später, Cord wusste längst nicht mehr, ob sie auf dem richtigen Weg waren, kamen sie endlich an ihr Ziel. Ob der Magier sie mit irgendeiner Art sechstem Sinn navigiert hatte, Cord sich tatsächlich unbewusst die richtige Wegbeschreibung gemerkt hatte oder ihnen letztlich doch mal wieder das Glück hold war, blieb ein Geheimnis. Wenn es Glück gewesen war, hatten sie ihre Ration dieses kostbaren Guts aber anscheinend mit Erreichen des Ziels für diesen Tag aufgebraucht.

Das Gasthaus, ihr Ziel, war nur eine rauchende Ruine. Wie durch ein Wunder hatten die Nebengebäude nichts abbekommen, aber der Treffpunkt, den die Nordlerdelegationen miteinander vereinbart hatten, war bis auf die Grundmauern niedergebrannt.

„Die haben wohl ihren eigenen Namen zu wörtlich genommen“, mutmaßte Lona, die sich den Brandort aus der Luft anschaute, leise. Die Schwingen der Fee bewegten sich geradezu lautlos und die schweren Regentropfen schienen sie samt und sonders zu verfehlen.

„Zum warmen Herd. Ich find das einen schönen Namen“, steuerte Drescher bei und sprang mit einem Ächzen vom Bock der Kutsche. Der große Hauskerl spuckte aufs Pflaster und stupste mit der Spitze seiner Mordaxt in der Asche herum, die der Regen in schwarze Schmiere verwandelt hatte.

„Klingen einladend“, nickte Botukall. Der Westerner lächelte undurchsichtig. In seinem finsteren Gesicht wirkte dies wie immer äußerst beunruhigend.

„Und wo schlafen wir jetzt?!“, kreischte Ronny theatralisch und wedelte mit den schlaksigen Armen. Da der Epiphagus keinen Kopf hatte und sein Gesicht auf der Brust trug, sah es bisweilen so aus, als wüchsen ihm seine dürren Ärmchen aus den Ohren. „Ich bin müde wie ein Shirugge! Nax’oss’ollapaz!“ Er drohte den Regenwolken mit der Faust. Niemand schenkte ihm Beachtung.

„Kurios, dass die Bretterbuden links und rechts daneben noch stehen. Scheinen nicht mal angesengt.“ Megasthenes tippte sich sinnierend mit dem langen Zeigefinger an die Lippen und marschierte auf ab wie ein Policey-Vollstrecker, der einen Kriminalfall bearbeitete. Kriminalfall, das war ein neues Trendwort aus der Großstadt – angeblich hatten sie in Meerholm eine Einheit auf die Beine gestellt, die Verbrechen aufklärte. Cord verstand das Konzept nicht so ganz, aber angeblich wollte die Stadtwache von Grimholm bald nachziehen und ebenfalls eine solche Truppe von Kriminalisten ins Leben rufen. Klar doch. Die lassen sich in der Hauptstadt doch nicht von den Emporkömmlingen in Meerholm überflügeln! Diesen … diesen Hipstern!

Cord schüttelte den Kopf und trat dem Nekromanten in den Weg, der natürlich prompt gedankenverloren in ihn hineinlief. „Eh?“, machte der Magier.

„Magische Brandstiftung?“, fragte Cord mit mäßigem Interesse. Ihm war schnuppe, was dem Wirtshaus zugestoßen war, ihm ging es mehr darum, dass sie nun keinen Treffpunkt mehr hatten. Und ohne Treffpunkt konnten sie in einer derartig großen Stadt auch direkt ihre Sachen packen. Oder wir klopfen morgen Abend einfach so an die Tür des Collegiums und verlangen, eingelassen zu werden. Angeblich müssen die hohen Dlaerden, die keine Collegen sind, einen albernen Tanz aufführen, um reinzukommen. Wir könnten bis morgen was einstudieren. Und einen Gelehrten haben wir doch. Vielleicht können wir denen vorschlagen …

Es kostete ihn einigen Willen, seine Kopfstimme komplett auszublenden, aber er schaffte es. Für den Moment war da eine wohlige Stille in seinem Oberstübchen.

Sein seliges Lächeln schien den Nekromanten zu beunruhigen. „Denkbar … Brandstiftung … ja … ein Brandherd, eingedämmt durch ein magisches … Kraftfeld?!“, antwortete er daher etwas stockend.

„Sollte das bereits des Rätsels Lösung sein?“ Lona setzte sich auf Cords Schulter. Er warf ihr einen Seitenblick zu.

„Is mir wumpe, ganz ehrlich. Was mir nich wumpe is, is Folgendes: Wo sind unsere Leute? Hat es ein Teil der Delegation geschafft? Oder sind da drinnen alle verbrannt?“

„Verbrannt sind da drinnen nur der Wirt, ein paar Schankmägde und ein betrunkener Söldner, den sie nicht aufwecken konnten. Alle anderen Gäste sind mit kleinen Verbrennungen und einem Husten davongekommen.“

Cord und die anderen wandten sich um und erblickten einen ältlichen kleinen Mann in einem zinnoberfarbenen Überrock, schreiend bunten, sehr enganliegenden Hosen und einem überbordenden Hut mit Fasanenfeder. Seine Säufernase war so groß wie eine Kartoffel und genauso geformt, seine Schnurrbartenden waren wohl einst hochgezwirbelt gewesen, ragten ihm aber nun feucht und eklig in die Mundwinkel. Er schaute wichtig drein.

„Und wer bist du, Opa?“, fragte Cord freundlich.

„Ich bin ein Kenner der hiesigen Lokalitäten“, antwortete der alte Geck mit wackelnden Augenbrauen und deutlichem Hauptstadtakzent. Sicherlich ein Angehöriger irgendeiner angesehenen Familie. Oder gar der Patriarch eines Patriziergeschlechts? Ein Schwippschwager des Imperators? Wen kümmerte es?

„Glückwunsch. Hast du gesehen, ob ein paar Nordler hier abgestiegen sind?“

„Nein, mein Herr.“ Er machte eine steife, entschiedene Abwehrgeste, überbetont wie ein Theaterschauspieler. „Dieses Etablissement habe ich nicht mehr besucht, seit ich ein junger Mann war.“

„Müssen lang her sein“, warf Botukall ein und sein Tonfall deutete ehrliches Interesse an.

Der alte Mann, dem dies sehr wohl aufgefallen war, und der wie alle alten Leute stets nach Zuhörern suchte, die er zu Tode langweilen konnte, lächelte, lüftete seinen Hut in Richtung des Westerners und ging zu ihm herüber. „Da habt Ihr ganz recht, mein guter Mann! Lasst mich erzählen …“

„Das kannste vergessen! Schieb ab, für deine Lebensgeschichte haben wir keine Zeit.“ Cord bedeutete ihm mit dem Daumen, in welche Richtung er möglichst abschieben sollte.

Der Alte schaute angefasst, rückte seinen Hut zurecht, schob das Kinn vor und stakste erhobenen Hauptes davon. Die hölzernen Trippen, die er unter seine albernen Schnabelschuhe geschnallt hatte, machten dabei einen Heidenlärm, der durch die Gasse hallte.

„Cimberia“, knurrte Megasthenes kopfschüttelnd.

„Warum jemand würde anziehen Schuhe solche unpraktische?“ Botukall kratzte sich den krausen Kopf.

„Selbst im Norden tragen wir diese Scheißdinger seit mehr als hundert Jahren nich mehr“, sagte Drescher ungläubig.

„So ist eben die Mode, Leute. Zyklisch, alles kommt wieder. Hehe – wie unser periodischer Kometenfreund, oder?“ Megasthenes grinste und schien in den dichten Wolken Ausschau zu halten.

Cords Augen folgten seinem Blick, aber der Unheilbringer war ausnahmsweise nicht zu sehen. Dafür bekam er Regen ins Gesicht. Er zog die Kapuze des lachhaft bunten Umhangs, den er in dem namenlosen Dörfli vor der Stadt gekauft hatte, über den Kopf und schaute missmutig drein.

„Ich will nicht wissen, was ihre Frauen hier über ihre Füße ziehen müssen – ich habe Abscheuliches über die weibliche Mode der Menschen gehört.“ Lonas Kommentar trat eine Diskussion los, die Cord nicht mitbekommen wollte. Während er unfreiwilligerweise mithörte, dass Megasthenes wenige Dinge attraktiver fand, als ein langes, wohlgeformtes Frauenbein in hochhackigen Stiefeln und Ronny darüber dozierte, wie ungesund Schuhe im Allgemeinen seien (ohnehin war er kein Fan von Kleidung – wenn es gesellschaftlich akzeptiert gewesen wäre, wäre er nackt herumgelaufen, wie der große Kopflose ihn einst geschaffen hatte), ging er einige Schritte die Gasse herunter.

Wie ging er nun vor? Er konnte schlecht an jede Tür klopfen und in jeder Klause, Pinte, Taverne und Kneipe nach einem Nordler suchen, der ihm bekannt vorkam. Er ging im Kopf die Leute durch, von denen er einigermaßen sicher wusste, dass sie sich auf die große Reise begeben hatten. Zu seinem Leidwesen stellte er fest, dass er fast alle nicht ausstehen konnte – was aber meist auf Gegenseitigkeit beruhte. Wollte er diese Spackos überhaupt finden? Er blickte in eine große Pfütze, die sich auf dem gepflasterten Gehweg gesammelt hatte. Ein Straßenköter trank gerade daraus und sah ohne Scheu zu ihm auf. Cord nickte ihm zu wie einem alten Kameraden. Der Hund fiepte leise und trank weiter.

Fakt war noch immer, dass er einen Auftrag hatte. Er war davon überzeugt, dass das Treffen im Collegium von äußerster Wichtigkeit war. Das ungute Gefühl wich nicht von seiner Seite und stachelte ihn dazu an, weiterzumachen. Er musste seine Schützlinge finden, die Gelehrten zusammentrommeln und mit ihnen morgen zum Collegium gehen. So würden sie hoffentlich herausfinden, wie groß die Gefahr war. Und ob man sie abwenden konnte.

Also los, Dicker. Dann setz dich mal in Bewegung. Die Sonne ist schon untergegangen und viel Zeit bleibt uns nicht mehr. Wer sagt denn, dass wir nicht an jede Tür klopfen können?

Er nickte langsam. Na klar. Es stimmte. Wer sagte denn, dass sie das nicht tun konnten?

„Hey, Leute!“, rief er und wandte sich um. Die angeregte Diskussion kam spontan ins Stocken – was nicht so wild war, denn Megasthenes hatte Ronny am Kragen gepackt und die beiden schienen kurz davor zu sein, sich zu prügeln, während die anderen mit einer Mischung aus Schock und Belustigung zusahen. Cord schüttelte den Kopf. Was für ein Haufen Spacken!

„Aufgemerkt, ihr Blitzbirnen. Ich habe einen Plan.“

„Oho“, machte Ronny, aber da war kein Sarkasmus in seiner Stimme, während er sein schäbiges Wams richtete. Es hatte keine karierten Hemden in seiner Kragenweite gegeben.

„Jaha!“, machte Cord bestätigend und nickte vor sich hin, weil er den Faden verloren hatte. Aber kein Problem, denn seine Kopfstimme soufflierte wie immer gerne: „Wir klappern jetz jede Absteige in dieser stinkenden Stadt ab.“ Eigentlich stank die Stadt für Stadtverhältnisse nicht besonders, was wohl vor allem der Kanalisation geschuldet war. „Und zwar bis wir entweder unsere Leute gefunden haben oder jemanden, der sie gesehen hat und uns Auskunft geben kann.“

„Toller Plan, aber das wird ewig dauern“, gab Ronny zu bedenken. „Wir sollten uns aufteilen!“

„Ein prächtiger Vorschlag“, knirschte Megasthenes. „Welcher Tag ist heute?“, fragte er unvermittelt.

„Mittwoch!“, rief Botukall hilfreich.

„Njummeltag!“, rief Drescher, als wolle er seinen Kumpel korrigieren.

„Die Pfeifen hier nennen ihn Kaiserdank“, seufzte Cord.

„Und wir Epiphagen glauben nicht an die Benennung einzelner Tage!“, warf Ronny mit überlegender Miene ein. Wiederum beachtete ihn niemand.

„Wunderbar“, sagte Megasthenes. „Ich habe einen dringenden Termin, der keinen Aufschub duldet.“

„Wie konntest du wissen …?“, setzte Cord an, aber der alte Mann unterbrach ihn mit einer Geste.

„Wichtiger Termin, aber geht ihr ruhig suchen, ich finde euch, wenn ich muss.“ Er stapfte zur Kutsche, kletterte ächzend in den Laderaum und ruschelte eine kurze Weile darin herum, ehe er mit einem Leinenbeutel über der Schulter zurückkehrte. „Wir sehen uns eher, als ihr denkt!“

„Das fürchte ich auch“, murmelte Cord und sah dem Zauberer nach, der winkend in einer Seitenstraße verschwand. Dann sah er fragend Ingo an, der nur ratlos den Kopf schüttelte.

„Also“, sagte Cord und klatschte in die Hände. „Wir teilen uns auf. Aber zuerst stellen wir die Kutsche unter. Ich kenne einen vertrauenswürdigen Mann, der uns helfen wird. Wenn sein Stall nich niedergebrannt is. Am besten bleibt Ingo als Wache zurück. Sind zu viele Goldklunker im Mobil, um es unbeaufsichtigt zu lassen. Dann gehen Botukall und Drescher in die Weingasse und klappern dort alle Pinten auf Backbord ab, angefangen mit dem Besoffenen Stier. Lona, Ronny und ich fangen in entgegengesetzter Richtung auf Steuerbord in der Bierstraße an – und zwar in der Gamsbar. Wir treffen uns in der Mitte. Sagen wir … im Zwölfender, der liegt in der Doppelwacholderallee.“

„Diese Stadt sehr verrückt!“, stellte Botukall fest.

„Irgendwelche Fragen?“ Cord sah in die Runde und als niemand bejahte, gingen sie los.

Ingo führte Friedel samt Kutsche am Zügel und die anderen trotteten vor, neben oder hinter dem Megasthomobil her. Gesprochen wurde wenig. Cord schaute sich um. Dunkle Gassen, windschiefe Häuser, Regen, kalter Wind, zwielichtige Gestalten, die sich in den Schatten herumdrückten. Die eine oder andere Hure, die ihnen lustlos und durchnässt eine Aufforderung zurief. Für ein berühmtes Amüsierviertel war hier heute nicht besonders viel los.

Fachwerkhäuser mit teils abenteuerlichen Auskragungen reihten sich eng an simpler konstruierte Holzhütten, die eindeutig auf dem Fundament ehemaliger Dlaerdenbehausungen standen. Aber auch vollständig gemauerte Häuser hatte es hier, es war ein bunter Mix aus verschiedenen architektonischen Stilen und Epochen, die viel über den Geschmack des Besitzers aussagten – über seinen Geschmack und natürlich insbesondere über die Größe seines Geldbeutels.

Und ja, es gab wirklich verdammt viele Wirts- und Freudenhäuser hier, letztere zwar ohne große Schilderkennzeichnung, dafür aber immer noch sehr gut an den eindeutigen roten Laternen zu erkennen. Cimbert selbst hatte seinem Volk stets geboten, sich ordentlich zu vermehren, um dem Reich immer neue Bürger zu schenken, aber Prostitution genoss hier einen ebenso zwiespältigen Ruf wie an den meisten anderen Orten, die Cord bisher besucht hatte. Immerhin folgte dies hier einer gewissen Logik, denn aus wie vielen geschäftlichen Zusammenkünften mit Nutten gingen schon Kinder hervor? Nun, vermutlich aus weitaus mehr, als er annahm, wenn er so darüber nachdachte.

Er grübelte immer noch, als sie an dem großen Stall ankamen, der glücklicherweise noch immer dem Findari Schnub gehörte. Sie begrüßten sich per Faustschlag und Cord handelte gute (noch immer horrende, aber immerhin nicht beleidigende) Konditionen aus. Während er Ingo den Kobold bezahlen ließ, wanderte sein Blick über die zahlreichen Boxen, in denen Pferde, Esel und andere Reit- und Lasttiere geparkt waren. Auch einige Fuhrwerke waren hier untergestellt worden und wurden von finster guckenden Findari mit Armbrüsten und Äxten bewacht. Cord kannte keinen der Kerle, aber sie sahen fähig aus. Er empfand noch immer großen Respekt für dieses Volk. Und auch Schnub war immer ein Findari gewesen, auf den man sich als Geschäftsmann verlassen konnte. Trotzdem ließ er vorsichtshalber Ingo als Wachposten hier, klopfte dem Untoten linkisch auf die Schulter und beschrieb ihm noch den Weg zum Zwölfender, ehe er und die anderen sich auf den Weg machten. Immerhin hatten sie zu tun!

Nach einer Viertelstunde erreichten sie die Bierstraße, die trotz ihres einfallsreichen Namens und trotz des schlechten Wetters voller Menschen und anderer halbwegs intelligenter Wesen aus allen Ecken des Kontinents war. Sie machte ihrem einfallsreichen Namen alle Ehre: In der Luft lag ein Geruch nach Grut und Hopfen, begleitet von einem Hauch von Urin. Selbst die Regenpfützen schienen eine leichte Schaumkrone zu haben. Einen in der Krone hatten indessen die meisten Feierwütigen, die hier herumliefen (oder besser -wankten). Cord sah einige Mitglieder der Landbevölkerung, die ganz ähnlich gekleidet waren wie er und sich grüßend an die Strohhüte tippten, Bierkrüge in den Fäusten und angetrunkene Dirnen in den Armen. Aber natürlich waren auch eindeutig als solche zu erkennende Cimberianer unterwegs, die meisten auf Trippen über das nasse Pflaster stapfend und in teure bunte Tuche gekleidet. Je auffälliger, desto besser schien das Motto zu lauten. Cord sah breitkrempige Hüte, voluminöse Barette und Ballonmützen, gezwirbelte, geölte Bärte und Locken, enge Beinlinge, die nichts der Fantasie überließen, und prachtvolle, unpraktische Röcke mit Stehkrägen und gefalteten Rückenteilen. Zu dieser Retromode waren die absurd langen und lächerlich nach oben gebogenen Schnabelschuhe angesagt, die schon der Alte vorhin getragen hatte. Die altmodischen Trippen schützten diese vor Straßenschmutz und sahen noch dazu enorm blöde aus. Cord musste den Herren der Modeschöpfung hier wohl oder übel die volle Punktzahl für Geschmacklosigkeit geben. Nicht, dass er sich eigentlich ein Urteil hätte erlauben dürfen, wie er da in seinem scheußlichen Karohemd, den Krachtledernen und dem groben Umhang wie ein Bauer durch die Pfützen platschte und seinen Blick über das anwesende Weibsvolk wandern ließ.

Neben offensichtlichen Huren waren auch zahlreiche feierwütige Edeldamen unterwegs – oder zumindest Frauen, die sich wie welche kleideten. Enge und tief geschnittene Kleider mit zahlreichen Stickdetails, ausgeprägten Schleppen und großen Gürteln schienen hier der letzte Schrei zu sein. Aber auch die Mädels vom Lande waren in stattlicher Zahl auf den Beinen und ihre einfachen, farbenfrohen Trachtenkleider wirkten im direkten Vergleich mit dem Prunk der Stadtweiber vielleicht derbe, aber auch, so fand jedenfalls Cord, millionenfach sympathischer und anziehender.

Dazwischen trieben sich laut lachende, brutal aussehende Westerner in Fellhosen und Lederwesten herum, zudem einige pechschwarze Ossis, teilweise in getigerte Pferdehäute gehüllt. Dazu gesellten sich immer wieder Personen beiderlei Geschlechts mit eindeutig nordischen Gesichtszügen, die Cord aber nicht weiterhelfen konnten oder wollten. Zahlreiche Händler der Hanse hatten sich in Cimberia niedergelassen, da diese hier unter anderem ein großes Kontor unterhielt. Viele dieser Leute waren bereits in der vierten oder fünften Generation hier und hatten mit echten Nordlern nicht mehr viel gemein. Kein Wunder, dass sie keine Ahnung hatten und es sich sogar herausnahmen, Cord ein wenig arrogant zu mustern. Blutleere Pfeifenreiniger, allesamt! Wir finden die schon alleine, Breitarsch, nur weiter!

Was er hier nicht sah, waren Dlaerden. Viel mehr sah er zahlreiche Schilder, auf die man krude, aber dennoch deutlich erkennbare Dlaerden gepinselt hatte, nur um sie dann mit einem unmissverständlichen Balken aus blutroter Farbe durchzustreichen. Silbrig gerüstete Mitglieder der Stadtwache und einige Nachtwächter mit gelben Mänteln, langen Hellebarden und tröstlich leuchtenden Laternen patrouillierten und beäugten Cord und seine Begleiter misstrauisch, wirkten aber eher so, als hätten sie lieber die Papiere eines Dlaerden kontrolliert als einen bulligen Nordler und seinen kopflosen Kameraden. Trotzdem zogen sie einige Blicke auf sich. Lona hatte sich dennoch geweigert, sich in einer der praktisch ins Innenfutter seines Umhangs eingearbeiteten Taschen zu verstecken. Cord gefiel der Stolz der Fee, die sich mit großer Selbstverständlichkeit auf seine Schulter setzte und jeden Passanten mit feurigen Blicken geradezu dazu aufzufordern schien, sie schräg anzugucken. Seltsamerweise schien kaum jemand Notiz von ihr zu nehmen, obschon sie im Dunkeln auffällig genug leuchtete. Ronny derweil erregte etwas mehr Aufsehen, war merkwürdig still und sah sich immer wieder mit großen Augen um. Cord wusste nicht, wie lange der Knilch im Tröllkäfig gesessen hatte, aber seiner Reaktion auf die paar windschiefen Zechhäuser zufolge musste es lange gewesen sein.

Die Gamsbar war eine verrauchte Pinte, in der einige müde Zecher saßen und wenig enthusiastisch dem Zitherspiel eines hageren Wirts mit ungesunder Gesichtsfarbe lauschten. Dieser lud sie ein, sich zu setzen, seinen selbstgemachten Aufgesetzten zu trinken und ein wenig zuzuhören, schließlich spiele er gleich seinen großen Klassiker, einen selbstkomponierten Gassenhauer, bei dem kein Auge trocken bleibe. Cord wollte ohnehin ablehnen, denn das Publikum wirkte weniger lebendig als viele der Zombies, die er vor ein paar Tagen erledigt hatte, aber wenn er sich noch unsicher gewesen wäre, hätte ein Blick auf einen der Stammgäste genügt, um zu einer sofortigen Entscheidung zu gelangen.

Der Mann hatte einen verfilzten Bart und ein Tausend-Fuß Stieren wie ein Dschungelkriegsveteran. Er sah Cord aus rotunterlaufenen Augen an und schüttelte einfach nur langsam und verzweifelt den Kopf. Rettet euch!

Cord, Ronny und Lona verließen rückwärtsgehend das Lokal.

Der nächste Laden war die Kaiserkopfklause, die sich im Untergeschoss eines alten Gemäuers aus Kalkstein befand. Im Bogenfeld des Portals hatte ein überraschend begabter Bildhauer mehrere Dutzend Mal das Antlitz Cimberts in unterschiedlichen Gemütsregungen verewigt.

„Verfluchte Tat!“, entfuhr es Ronny, der die Köpfe mit angewidertem Blick musterte.

„Ich mag besonders den erstaunten Cimbert“, kicherte Lona, deren Humor Cord mehr und mehr gefiel (nicht, dass er nicht immer noch ein wenig Schiss vor ihr hatte, er war schließlich kein kompletter Tölpel), und deutete auf einen grenzdebil glotzenden Cimbert, dessen Züge eindeutig entgleist wirkten.

„Das sieht nach genau unserem Laden aus“, sagte er schmunzelnd und stieß die merkwürdig fehl am Platz wirkenden Schwingtüren auf, die ein Import aus einem der sonnenverbrannten Steppenkönigreiche im Westen sein mussten. Prompt rannte ein stockbesoffenes Männlein, das sich kaum mehr auf seinen viel zu hohen Trippen halten konnte, in Cord rein.

„Diese Stadt ist zu klein für uns drei!“, lallte der Kerl mit in den Nacken geworfenem Kopf und schien große Mühe zu haben, Cord zu fixieren. Dieser machte sich nicht mal die Mühe, etwas Launiges zu erwidern, sondern packte den Trunkenbold einfach am Kragen seines bunten Rocks und schleuderte ihn durch die schwingende Tür nach draußen, wo er in einer Pfütze landete. Kaum einer der Zecher nahm Notiz von diesem Zwischenfall, nur eine ältere Dame, die sich stickige Luft mit einem Fächer zufächelte, nickte Cord kurz zu.

Im Laden selbst war absolut tote Hose. Mehrere junge Männer und Frauen in schicken Kleidern rauchten irgendein stinkendes Kraut aus bunten Wasserpfeifen, bei denen es sich ebenfalls um Importe handeln musste. Ein Angebot, mal zu ziehen, lehnte Cord streng ab. Nicht, dass er dem Tabak abgeneigt gewesen wäre, er liebte das schwarze Kraut, das man im Norden rauchte, aber er vertrug das Zeug nicht besonders und beschloss, nicht eine Sekunde länger als nötig in dieser verstunkenen Qualmbude zu bleiben. Eine Angestellte, die mit aufreizend kurzem Rock und unmöglich großem Bauchladen durch den Laden spazierte und verschiedene Rauchwaren veräußerte, wies ihn auf das Sonderangebot des Tages hin: ‚Fünf Apfel‘, eine offenbar leicht halluzinogene Mischung aus Tabak, Kräutern, Heilpflanzen und der Essenz aus fünf exotischen Apfelsorten.

„Müsste das nicht ‚Fünf Äpfel‘ heißen?“, fragte Ronny mit diesem gewissen Oberlehrerblick, den er bisweilen aufsetzte, wenn er sich seiner Sache ganz sicher war.

Die Blondine zuckte die Schultern und musterte den Kopflosen unbeeindruckt. „Vielleicht heißt es auch ‚Fünfapfel‘ und wird zusammengeschrieben – so als Eigenname, weißt du.“

„Wieso ist es dann hier auf dem Schildchen nicht zusammengeschrieben?“

Das Mädel rollte demonstrativ mit den Augen. „Hör mal, hast du vor, ‚Fünf Apfel‘ zu kaufen oder nicht?“

„Ich würde es in Erwägung ziehen, wenn ich von derlei Verbrechen gegen die Grammatik der Hohen Zunge keine Gänsehaut unter den Fußsohlen kriegen täte! Ich habe mir geschworen … hey!“

Cord hatte den Epiphagus hinten am Kragen gepackt und war weitergegangen. Er war eindeutig nicht angesagt genug für diesen Schuppen. Trotzdem gehen wir jetzt zum Wirt und fragen mal nach, Breitarsch, wir sind ja nicht zum Spaß hier.

Aus einer Laune heraus schickte er Ronny vor, der sich größte Mühe gab, gelassen und weltmännisch zu wirken und den Wirt, der eine unmögliche kunstvolle Lockenpracht nach neuestem Adelsstandard auf der Birne trug, möglichst unauffällig zu befragen.

„Was fragt er so dumm, ist er etwa ein Spion?“, fragte der Wirt ihn bereits nach weniger als einer Minute.

Cord, der sich ein Bier bestellt hatte, um die Nerven zu beruhigen, verdrehte die Augen. „Wir kommen aus dem Norden und suchen unsere Freunde, das is alles.“

Der Wirt musterte ihn und seine Provinzlerklamotten mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der jeden Tag mehrere Stunden vor dem Spiegel verbringt, um sich zurechtzumachen. Der Kerl war sogar offensichtlich geschminkt.

„Dein Haarschnitt schreit zwar Torfstecher aus Inzestsiel, aber deine Klamotten sind absolut vorletzte kaiserliche Saison – Bauernschick aus der Berghütte. Wo auch immer du herkommst, Schätzchen, in meinem Laden hast du absolut nichts verloren. “

Cord lächelte falsch, leerte den Krug in einem Zug (Huh! Ha!, machte die Kopfstimme aus unerfindlichen Gründen) und beugte sich zu dem Wirt mit dem Modetick vor.

„Jetz hör mir mal zu, du Fummeltrine. Ich bin nich hier, um den Modewettbewerb zu gewinnen…“

„Der startet auch erst um zehn Glocken“, fiel ihm der Wirt ins Wort. „Und du hättest wahrlich keine Chance, Schätzchen“, fügte er mit einem weiteren Von-oben-bis-unten-und-zurück-Blick auf Cords Garderobe hinzu.

Der Modesünder hieb mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser in die Luft sprangen. Der Wirt sah erschrocken drein.

„Ich such meine Freunde. Hast du sie gesehen? Sie sind im Warmen Herd untergekommen, bevor es den … nun, bevor der Feuer gefangen hat.“

„Ich weiß nur, dass das ein komisches Feuer war. Griff nicht auf die umstehenden Gebäude über.“ Die Augen des Wirts wanderten immer wieder zu einem Punkt hinter Cord, sodass diesem sofort klar war, dass sich ein Rausschmeißer näherte. Er warf mit einer lässigen Bewegung den Umhang zur Seite und legte die linke Hand auf den Nierendolch, den er am Gürtel trug. Unter dem Umhang trug er seinen Kriegshammer quer über dem Rücken, aber er war sich recht sicher, dass er ihn nicht brauchen würde. Halb drehte er sich zu einem glatzköpfigen Mann mit Stiernacken um, der eine Keule in der Hand hielt.

„Du bist mir ja ein ganz Hinterfotziger. Kommst von hinten durch die kalte Küche, wie?“ Der Türsteher guckte stumpf, sein Blick suchte den des Wirts. Cord legte den Kopf schief und versperrte ihm damit die freie Sicht auf seinen Chef. „Guck mich an, wenn ich dir sage: Holst du den Knüppel aus dem Sack, kitzle ich dich mit dem Messer, Plätenheini. Also mach dich dünn!“

„Ist schon gut, Botho“, murmelte der Wirt und der Schlägertyp wandte sich mit einem Schulterzucken ab.

„Kein Grund, handgreiflich zu werden.“ Die Zähne des Wirts waren makellos. „Trinkt ein Bier auf Kosten des Hauses. Nehmt etwas Geselchtes. Ich kann euch Folgendes sagen: Die Gäste aus dem Warmen Herd habe ich nicht gesehen. Aber Kelle kennt so gut wie jeden Nordler, der in der Stadt ist. Der Kaiser weiß, wie er das macht.“ Der Wirt fasste sich an die Brust und sah auf eine Holzfigur des Ersten und Einzigen, die auf einem der Schnapsschränke hinter dem Tresen stand.

Eine große, knackige, unterkühlt schauende Schankmagd, die ungewöhnlich teuer gekleidet war, stellte ihnen zwei große Krüge Bier hin. Mit einem Blick auf Lona fügte sie noch ein Schnapsglas voll bernsteinfarbenem Gerstensaft hinzu.

„Das ist nicht dein Ernst, Schwester“, piepste Lona, aber die Frau schien sie nicht zu hören, und da es ohnehin erstaunlich war, dass jemand die Fee erkannte und bediente, gab sie sich brummelnd damit zufrieden. Cord sah der Kellnerin intensiver und länger nach, als notwendig gewesen wäre, griff sein Bier und trank simultan mit seinen Gefährten, die beidhändig ihre jeweiligen Trinkgefäße zu den Lippen hoben.

Der Nordler schmatzte und musterte den Wirt. „Weiß der Kaiser auch, wo man diesen Kelle findet? Oder kannst du mir das sagen?“

„Man sagt, der Kaiser weiß alles. Von jedem. Und allem.“ Der Wirt lächelte mit einer Miene, die wohl geheimnisvoll wirken sollte, auf Cord aber lediglich den Effekt hatte, seinen Blutdruck gefährlich ansteigen zu lassen. Der Wirt verstand offenbar den Wink und beeilte sich hinzuzufügen, dass Kelle sich für gewöhnlich in einer der Kneipen in der Bierstraße oder in der Weingasse aufhielt. So weit, so wenig nützlich. Cord warf dem Wirt ein Stück Bruchsilber aus seinem persönlichen Hört hin und gemeinsam marschierten sie zur Türe.

„Schöner Laden, mieses Management“, knurrte Cord zum Abschluss. „Und etwas, das Geselchtes heißt, werde ich niemals essen! Und wenn es wie die Möse einer Meerjungfrau schmeckt!“

Lona verzog angeekelt das Gesicht. „Ist das tatsächlich eine Redewendung bei euch oder hast du dir das gerade ausgedacht?“

Cord grinste, tatsächlich ein wenig peinlich berührt ob dieses prolligen Aussetzers, und zuckte lediglich die Schultern.

„Wenn ihr noch bleibt, gebe ich euch ein paar Tipps, was euren Stil betrifft“, rief ihnen der Wirt hinterher. „Ihr könnt es brauchen! Kleider machen Leute hier in Cimberia. Tipp Nummer Eins gibt es gratis: Es gibt keine schöne Kleidung für Kopflose!“

Ronny spie dem Wirt etwas in seiner Sprache entgegen, das wie ein Weltuntergangszauber klang. Dann marschierte er sichtlich zufrieden hinter Cord her nach draußen.

„Manchmal frage ich mich, wie dieser Pöbel hier hereinkommt“, echauffierte sich die Dame mit dem Fächer am Eingang.

„Durch die Tür, Gnädigste“, grinste Ronny frech. „Durch die Tür!“

Er mag einen Kopf kürzer sein, aber ich finde Gefallen an diesem Knilch, auch wenn die meisten seiner Scherze echt übel sind. Das könnte ein lustiger Abend werden!

Das wurde er nicht. Auch die folgenden Schuppen brachten ihnen nicht den gewünschten Erfolg. Weder in vielversprechend benannten Tavernen wie Pillemanns Eck (entgegen Cords Vorstellung keine Männerbar, aber der starke Uringeruch ließ sie Reißaus nehmen) noch im Café Klatsch (hier klatschte es bei Ankunft keinen Beifall, aber die zweihundert Jahre Verließ, die an der Theke saßen, konnten zumindest sagen, dass sie in letzter Zeit keine Nordler weggeklatscht hatten), im Gruthaus („Wir sind Grut.“) oder in der Löwenstube (wer immer den Löwen auf dem Eingangsschild gemalt hatte, hatte in seinem Leben noch keinen gesehen – Cord stellte mit Genugtuung fest, dass er den feinen Hauptstadtpinkeln hier offenbar einiges voraus hatte, immerhin wusste er, dass ein Löwe nicht wie eine verhungerte, verwachsene Hauskatze aussah, die vor eine Wand gelaufen war) wurden sie fündig. Niemand hatte Kelle gesehen. Niemand wusste, wo die Nordler abgestiegen waren.

Es hilft wohl alles nix, Breitarsch. Wir werden anfangen müssen, ein paar Knochen zu knacken. Und sind sie nicht willig, so brauchen wir Gewalt, Alter!

Es kam zunächst nicht dazu. Nicht, dass es nicht genügend Gelegenheiten gegeben hätte. In einer echten Absteige, die nicht mal einen Namen hatte, forderte eine muskulöse Westfrau, die Cord unbedingt Botukall würde vorstellen müssen, ihn zum Armdrücken heraus. Obwohl er mittlerweile ein halbes Dutzend Bier und einige Gläser Wein intus hatte (das meiste davon hatte wie ‚Knüppel aufn Hund‘ geschmeckt, wie man im Norden sagte, aber jeder Alkohol war besser als kein Alkohol nach all den Strapazen der letzten Tage), lehnte er dankend ab.

Im Lahmen Einhorn wurde ein Pfeilwurfspiel gespielt, das leicht hätte ins Auge gehen können. Aber das tat es nicht. Cord und Ronny spielten eine Runde und Lona versuchte, mittels ihrer telepathischen Fähigkeiten etwas aus den Gästen herauszuholen, ohne dass die etwas dagegen tun konnten oder überhaupt Verdacht schöpften. Lonas leerem, unfassbar gelangweiltem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien in den Köpfen der Anwesenden allerdings nicht viel los zu sein.

Selbst beim ‚Zünftigen Schlammringen der Weiber‘ im Bierkaiser kam es trotz all der aufgegeilten Männer im Publikum nicht zu Handgreiflichkeiten. Drei verschiedene Gäste servierten Cord vier verschiedene Geschichten zum Verbleib der Gäste aus dem Norden und ihm wurde schnell klar, dass sie nur auf kostenlose Drinks aus waren. Er ließ auch sie am Leben.

Im Einbeinigen Zwerg schließlich veranstaltete ein holzbebeinter Kobold namens Lugi eine Art Tombola, die an Langweiligkeit nicht zu übertreffen war. Alle paar Minuten rief er unmotiviert: „Hat noch einer eine Hand frei?“ und prostete den überraschend zahlreich versammelten Gästen zu. Hier versuchte dann so ein zwielichtiges Kerlchen, Cord um seine Börse zu erleichtern.

Obwohl hier Gewalt angewendet werden musste, war es doch Glück im Unglück: Als er den Knilch in der dunklen Gasse hinter der Kneipe lang genug in eine Pfütze getunkt hatte, dass dieser es mit der Todesangst bekam, offenbarte er ihm, dass er Kelle zuletzt vor einer Woche in einem Wirtshaus gesehen habe, an dessen Namen er sich aber nicht erinnern könne – Suff sei Dank.

Nachdem der Dieb bewusstlos geschlagen worden war und Ronny ihm noch mal schadenfroh in die Rippen getreten hatte (wobei er sicherlich gegen den einen oder anderen ärztlichen Eid verstieß), gingen sie schnurstracks dorthin.

„Kommt es dir nicht komisch vor, dass niemand deine Freunde gesehen hat? Die müssen doch aufgefallen sein!“

„Vielleicht haben sie’s doch nich geschafft“, murrte Cord. „Oder nur so wenige, dass sie eben unauffällig genug waren. Du hast sicher all die Fuhrwerke und das ganze Volk vor den Toren gesehen. Dieses Treffen lockt Bekloppte aus dem ganzen Kontinent an.“

„Die Leute hier sind nicht halb so nett wie die in den Vororten“, sagte der Epiphagus, ohne Cord wirklich zu antworten.

„Nee, aber das is ja überall so. Sollteste aber wissen, wenn du hier studiert hast. Ein ganzes Semester lang oder wie das war.“

„Ich war wohl zu lange in diesem Tröllgefängnis. Da beginnt man, sich die Vergangenheit schöner auszumalen, als sie wirklich war.“

„Soll ich dich zurückbringen?“

Ronny schien für einen Moment schockiert, dann ernsthaft nachdenklich. „Jetzt, wo alle Trölle tot sind, wäre das ein schöner, ruhiger Fleck zum Leben.“

Cord schnaubte. „Ja, von all den hausgroßen Leichen abgesehen. Und den …“ Er schaute auf die leicht angetrunkene Fee, die etwas schwankend auf seiner Schulter saß und auf Krawall gebürstet schien. „… sonstigen aggressiven Waldbewohnern.“

Lona rülpste leise und zeigte Cord den Mittelfinger, eine weit verbreitete Geste, die von ihr kommend durchaus charmant wirkte. Der Deichvogt von Birgerhave musste grinsen. Wenn die Perle nicht so klitzeklein wäre, wäre sie ganz schön … – oh, ich muss aufpassen, was ich denke. Lalalala, Handball, Hansekogge, dem Wirt von vorhin die Fresse polieren. Cord sah entschuldigend zu Lona, doch diese schmunzelte nur sacht und sagte nichts mehr. Schon doof, wenn man nicht genau weiß, wie gut sie wirklich Gedanken lesen kann. Das gefällt mir wiederum gar nicht, Breitarsch. Überhaupt gar nicht.

„Ey samma, kannst du nich aufpassen, wo du hinrennst, du Hornochsurks-!“

Es schien einer dieser Tage zu sein, an dem kleine, streitlustige Besoffene stumpf in Cord hineinrannten. Er hatte den dürren Kerl an der Gurgel gepackt, ehe dieser noch großartig weiterreden konnte. Der Trunkenbold ließ seine Pulle Fusel fallen und schaute Cord verängstigt an.

Dieser zog den kleineren Mann dichter heran und bemerkte sofort dessen starken Körpergeruch und Alkoholatem. Er sah an ihm herab und bemerkte, dass seine Kleidung zwar verschlissen, aber von halbwegs guter Qualität war, vor allem die Stiefel. Und der Dolch, der in seinem Gürtel steckte. Ein Dolch, der ihm merkwürdig bekannt vorkam.

Er sah dem Kerl genauer ins schmale, schmutzige, mit Schürfwunden und kleineren Prellungen bedeckte Gesicht. Es kam ihm ebenfalls merkwürdig bekannt vor.

„Lasso?“, fragte er ungläubig. Als die Augen des Mannes sich weiteten, wusste er, dass er richtiglag. Cord ließ den Kerl los, gab ihm aber noch einen leichten Schubser mit, weil er ihn fast dazu gebracht hatte, ihm volles Pfund eine runterzuhauen.

„Cord, bissu das? Herrje …“, sagte Lasso unartikuliert und schüttelte den Kopf. Er schien eindeutig betrunken, was zu diesem Zeitpunkt keine sonderliche Überraschung war.

„Oder hab ich zu viel gesoffen? Tut gut, dein häss … öh, dein Gesicht zu sehen.“

Cord zeigte ihm die Zähne, was man mit viel Wohlwollen als Lächeln interpretieren konnte.

„Lasso, mein Junge, das beruht ganz auf Gegenseitigkeit.“

Lasso hieß nun mit Geburtsnamen Lasse und trug seinen Spitznamen aufgrund des Umstandes, dass er eigentlich Kuhhirte und Viehtreiber war. Das Wort ‚Lasso‘ kam aus dem Westen und war im Norden so gut wie unbekannt, aber seit Botukall es in Birgerhave eingeführt hatte, war es als Ersatz für den althergebrachten Begriff ‚Seil-mit-dem-man-die-Kuheinfangen-tut‘ hängengeblieben. Irgendwie klang es ein Quäntchen eleganter, wie Cord zugeben musste.

Lasso selbst war kaum mehr als ein Junge und etwas dürr für einen Kuhhirten, aber er war zäh und hatte Ausdauer und was ihm an Verstand fehlte, machte er durch seinen Mut wett. Er gehörte nicht zu den Haustruppen Hergers oder irgendeines anderen nordischen Adeligen, er war auch kein Hansemann oder Matrose, sondern hatte seine spärliche militärische Erfahrung in den mindestens vier Wochen jährlich gesammelt, die er den von Schranzens als Milizionär zu dienen hatte, denn der Heerbann schloss die meisten Hansebürger mit ein. Bürger von niederem sozialen Rang als ‚Unfreie‘ zu bezeichnen galt dieser Tage als unschicklich, traf aber den Kern der Sache wie kein anderes Wort. Frondienst in der Miliz war für sie unumgänglich.

Als Teil der Eskorte Magister Hinnerks und der anderen Gelehrten aus Herger von Schranzens Landen hatte Lasso sie bis zu jenem schicksalhaften Zeitpunkt begleitet, da die Wegelagerer zugeschlagen hatten. Cord hatte ihn und einige weitere denjenigen Banditen hinterhergeschickt, die mit den Pferden abgehauen waren. Das war erst wenige Nächte her, kam Cord aber wie eine Ewigkeit vor.

„Was is mit den anderen? Hinnerk? Trekker? Keno?“

„Hab keinen von denen wiedergesehen. Kappes und Tull sind tot, die waren bis zuletzt bei mir. Die Kerle haben sie umgebracht. Mit Pfeilen. Na ja, Tulls Pferd is über einen Stein gestolpert und er hat sich den Hals gebrochen. Kappes is vom Pferd geschossen worden. Ich hatte keine Zeit, um anzuhalten und nach ihm zu sehen. Hab die Pferdediebe gejagt, bis mir mein eigener Gaul unterm Arsch weggestorben is, ich schwör es bei allen Göttern und meiner alten Frau Mutter, Vogt.“

An Kappes und Tull hatte Cord nie viel gelegen, aber es tat trotzdem ein wenig weh, von ihrem Ableben zu hören. Er schüttelte knapp den Kopf und legte dann eine schwere Hand auf Lassos Schulter.

„Das hast du gut gemacht. Und seither hast du hier versucht, Überlebende zu finden?“ Cords suggestiver Tonfall war wohlwollend und hätte einem klügeren Mann einen Hinweis darauf gegeben, welche Antwort von ihm erwartet wurde, um eine positive Reaktion seitens des Fragestellers hervorzurufen.

„Nee, ich hab gesoffen und rumgehurt, mein Vogt“, antwortete Lasso keck und leicht lallend und grinste dabei ein wenig debil.

Cord seufzte und musterte ihn streng. Nicht wütend, eher enttäuscht. Ein Blick, den er nur bei sehr jungen, sehr unerfahrenen Männern (und bisweilen bei Drescher) einsetzte, und der meist die gewünschte Wirkung zeigte. Selbst Lasso merkte nun, dass dieses Thema ungeeignet für flapsige Antworten war.

„Sorry. Aber es stimmt. Nich, dass ich nich die Augen offengehalten hätte.“

„Uh-huh“, machte Cord. „Sag, Lasso“, fuhr er fort und legte seinen schweren Arm um Lassos Schulter, „wie hast du denn für all den Wein und die Huren bezahlt?“

„Bier.“

„Wie bitte?“

„I-ich hab Bier getrunken.“ Lasso grinste entschuldigend. „Ich mag das süße Starkbier hier. Und den Obstgeist. Schlägt Hilmensieler Hafenpisse allemal!“

Götter, schmeißt Hirn vom Himmel. „Einerlei, Kerl! Hast du unsere Reisebörse genommen oder nich?“ Nun war da doch Wut in Cords Stimme. Natürlich. Er war ein wütender Mann.

„I-ich habe eine k-kleine Börse genommen, die konnte ich noch an mich raffen, Chef. Vor der großen Flucht und allem. Es war ein Heidendurcheinander.“

Cord sah ihn noch einen Moment streng an, dann streckte er seine Pratze aus. Lasso verstand nach einigen Sekunden, holte die Börse heraus, in der nur noch vereinzelte Münzen klimperten, und lächelte blöde. Cord nahm den Beutel und steckte ihn weg.

„Was machen wir jetz?“ Lasso sah an Cord vorbei und erblickte den grinsenden Ronny. „Achduscheiße!“, lallte er und wich einen Schritt zurück, plötzlich kreidebleich.

Lona auf Cords Schulter fing mit einem Mal an wie wahnsinnig zu glühen (zum Glück gab sie keine Hitze ab, sonst hätte wohl sein Umhang Feuer gefangen) und winkte Lasso zu, nachdem sie ihn durch dieses kleine Kunststück nochmals gehörig erschreckt hatte. Der Junge zog sein Gürtelmesser, mit dessen Spitze er hektisch fuchtelnd auf die beiden Wunderwesen deutete, und sah Cord panisch und hilfesuchend an. Lona kicherte leise.

Cord machte nur eine abwinkende Geste in Lassos Richtung. „Ich erklär dir alles auf dem Weg.“

Des Redlichen Reisenden Rast war eine große Fachwerkbaute mit ausladenden Ställen, die gut mit allerlei Kutschen und Vieh gefüllt waren. Gelächter und Musik drangen aus dem Innern. Sie hielten zielstrebig auf den hell erleuchteten Eingang zu, als Cord eine Gruppe Männer und Frauen erblickte, die aussahen, als hätten sie kürzlich eine längere Strecke zu Pferd zurückgelegt. Anders als die meisten Bürger, die hier unterwegs waren, trugen sie offen Waffen (Cimberianer, die mit dem Trend gingen, trugen oft lediglich ein Florett, aber allgemein war das Tragen von Waffen in der Stadt zumindest bei den Erbkaiserlichen eher unüblich, wenn auch nicht verboten): Kurzschwerter, Dolche und kurzstielige Äxte. Eine drahtige Frau, die auf einem Bretterzaun hockte, hatte gar ein Langes Messer über den Schenkeln liegen – die zweihändige Waffe eines Bauern, der es verdammt ernst meinte. Wie Bauern sahen diese in Leder und dunkle Wolle gewandeten Gesellen allerdings nicht aus. Und auch nicht wie fahrende Händler. Karawanenwachen? Söldner? Natürlich warfen sie Cord und seinen ungewöhnlichen Begleitern argwöhnische Blicke zu. Ein Narbengesicht mit rabenschwarzem Haar stieß seine Nebenfrau mit dem Ellbogen an, die lang genug von dem Jagdmesser aufsah, mit dem sie sich die Fingernägel säuberte, um kurz aufzulachen.

Cord war gewillt, einfach weiterzugehen und sich nicht um diese Bande zu kümmern, denn sie stank eindeutig nach Ärger (nicht, dass er Schiss gehabt hätte, aber er hatte heute eigentlich keinen Nerv mehr für weitere Gewalttätigkeiten und wollte zudem nicht noch mehr Aufsehen erregen), als sein Blick auf einen Rothaarigen mit scharf geschnittenen Zügen und staubbedecktem Mantel fiel. Allerdings interessierte ihn weder das feuerrote Haar noch die lange Nase oder der alte Mantel des Typs. Ihn interessierte, was er darunter trug.

„Schönes Kettenhemd hast du da“, sagte Cord, als er wenige Schritt von dem Mann entfernt stehengeblieben war. „Bisschen groß für dich vielleicht.“

Der Rothaarige verengte die Augen und sah dadurch kurz so aus, als hätte er Verstopfung. „Geh weiter, du fetter Korndrescher, sonst geht’s dir schlecht. Wir sind nämlich die Rattenbastarde! Du hast vielleicht von uns gehört.“ Er grinste selbstzufrieden und versuchte wohl, gefährlich und verwegen auszusehen.

Hahaha, das wird gut! Die Rattenbastarde! Was soll das denn für ein Namen sein?!

Lasso und Ronny nahmen hinter Cord Aufstellung, schienen die Männer und Frauen aber nicht besonders zu beeindrucken. „Der da sieht etwas kopflos aus, vielleicht haben die sich verlaufen“, trug die Frau mit dem Langen Messer bei, die in einer fließenden Bewegung vom Zaun sprang und die stumpfe Seite der armlangen Klinge lässig auf die Schulter legte. „Verpisst euch in euer Dorf zurück!“

Cord schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Das möchte ich sehen, wie du das hier mit Worten klärst, Breitarsch. Keine Chance. Wenn ich Geld hätte, ich würd alles dagegen setzen.

Als er sie wieder öffnete, lächelte er, auch wenn es überaus angestrengt wirkte. „Klärt mich auf, wenn ich falsch liege, aber sollte ein Kettenpanzer nich eng anliegen? Guckt doch mal, wie das Teil an dieser Spargelstange schlabbert.“

„Da hat er nich so ganz unrecht“, knurrte ein untersetzter Glatzkopf, der einen dicken Lederpanzer und bunte Beinlinge trug. „Kaum Fleisch auf den Knochen, unser Jokko.“ Jokko war ein nordischer Name und auch der Glatzkopf hatte mit vertrautem Akzent gesprochen. Cord runzelte die Stirn, ohne dass sein Lächeln verschwand, eine Gesichtskurbelei, für die er sich an jedem anderen Tag beglückwünscht hätte. Als seine Kameraden anfingen zu grienen, schoss dem jungen Mann das Blut ins Gesicht. In Kombination mit seiner farnartigen Frisur glich sein Kopf jetzt einer Tomate. Ronny murmelte etwas in seiner Sprache.

„Ferner: Is das nich ein Hansewappen auf der Brust dieses Panzers?“, fragte Cord unschuldig. „Steht ihr in Diensten der Hanse?“

„Was geht dich das an, Dickwanst?“, knurrte der Glatzkopf.

„Ich hab jetzt langsam die Schnauze voll“, sagte die Sehnige mit dem Langen Messer.

„Das Kettenhemd“, sagte der Rothaarige nun wütend, „hab ich einem abgenommen, der fast so fett gewesen sein muss wie du! Ich muss es noch umarbeiten lassen. Der Fettsack wird es nicht mehr brauchen, den haben die Moorfliegen gefressen.“

Er grinste, wobei er an einen Fuchs erinnerte, und musterte Cord, dessen Lächeln schlagartig verschwunden war. Auch der junge Mann grinste nicht mehr lang. Er schluckte, als er tiefer in Cords Augen blickte, und die Wahrheit in ihnen erkannte.

„Ach du Scheiße …“, murmelte er.

„Das ist er!“, knurrte der Narbengesichtige. Seine Kameraden und Kameradinnen sprangen auf wie ein Mann (beziehungsweise eine Frau). Stahl blitzte im Schein der Laternen.

Du schuldest mir Geld, Breitarsch, wir hatten gewettet! Lona ist Zeugin! Lona?!

Noch ehe Cord seinen Hammer ziehen konnte, zischte die Fee bereits los und flog der Frau mit dem Langen Messer in den vor Erstaunen geöffneten Mund. Cord wusste nicht, was genau sie dort machte, aber hinter den Wangen der Kämpferin begann es zu leuchten. Ein flackerndes Licht ließ ihre Haut wie ein Stück Pergament wirken, hinter dem eine Kerze brannte. Sie ließ ihre Waffe fallen und taumelte zurück, die Hände an den Wangen, während ihre Freunde zusahen. Zunächst irritiert, dann immer schockierter und fassungsloser. Als sie den Mund zu einem Schrei öffnete, sah man Flammen in ihrem Rachen lodern. Ihr gesamter Kopf glich einer Laterne, die verzweifelt versuchte, die Ewigen Feuer der Unterwelt einzudämmen. Die Hitze musste immens sein; zu immens für ihren Schädel. Sie schrie erbärmlich, als ihr Haar Feuer fing und gleißende Stichflammen aus ihrem aufgerissenen Mund loderten. Blind vor Schmerz – und sicherlich auch rein biologisch blind, denn ihre Augen zerplatzten nun in winzigen Explosionen – taumelte sie in die vage Richtung einer Viehtränke, stolperte dann über selbige und blieb brutzelnd und rauchend über ihr liegen. Nur dem Regen war es wohl zu verdanken, dass der Heuspeicher nicht niederbrannte.

Sekunden später materialisierte Lona aus einer Rauchwolke und sirrte zu Cord herüber, sich den Ruß von der Tunika klopfend. Der Nordler hatte die ganze Zeit mit weit aufgerissenen Augen zugesehen. Er riss sich am Riemen, fummelte ungeschickt seinen Kriegshammer aus der Halterung an seinem Rücken heraus, und drehte sich den Kameraden der soeben Dahingeschiedenen zu. Zwei hatten ihre Waffen weggeworfen und Reißaus genommen. Der Glatzkopf war wimmernd am Zaun herabgesunken und stierte Lona mit einer animalischen, ursprünglichen Furcht in den Augen an, als hätte er Baeflaet höchstselbst erblickt. Lona jedenfalls setzte sich auf Cords Schulter, als wäre nichts gewesen. Das Gefühl war in etwa damit zu vergleichen, einen Skorpion auf der Schulter sitzen zu haben, von dem man wusste, dass er im Grunde zahm und niedlich war, dem man aber nie so ganz vertraute, weil er ein verdammter Skorpion