Unsere Revolution - Bernie Sanders - E-Book

Unsere Revolution E-Book

Bernie Sanders

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Beschreibung

Bernie Sanders zeigt, dass eine wahre gesellschaftliche Erneuerung nur von links geschehen kann. Seine Ideen eines modernen demokratischen Sozialismus sind wichtiger als je zuvor – für die USA und für die ganze Welt. In der führenden Nation des Westens spielen die Belange der Mittelschicht und der Geringverdiener, aber auch die des Umweltschutzes und der Minder heiten eine empörend geringe Rolle. Doch der Sozialist Bernie Sanders kämpft weiter für eine politische Revolution: für eine Ökonomie, die nicht nur Jobs schafft, sondern auch für gerechte Löhne sorgt; für ein Gesundheitswesen, das allen zugute kommt; für den nachhaltigen Schutz unserer Umwelt — und gegen jede Form von Rassismus. Nur so wird es gelingen, den USA und der ganzen Welt eine bessere Zukunft zu schaffen. Sanders' Buch ist die linkspolitische Agenda für alle, die mit dem Primat der Profitgier und der Willkür des Establishments nicht einverstanden sind und nach neuen Wegen jenseits des Raubtierkapitalismus suchen.

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Das Buch

In der führenden Nation des Westens spielen die Belange der Mittelschicht und der Geringverdiener, aber auch des Umweltschutzes und der Minderheiten eine empörend geringe Rolle. Doch der Sozialist Bernie Sanders kämpft weiter für eine politische Revolution: für eine Ökonomie, die nicht nur Jobs schafft, sondern auch für gerechte Löhne sorgt; für ein Gesundheitswesen, das allen zugute kommt; für den nachhaltigen Schutz unserer Umwelt – und gegen jede Form von Rassismus. Nur so wird es gelingen, den USA und der ganzen Welt eine bessere Zukunft zu schaffen. Sanders‘ Buch ist die linkspoliti-sche Agenda für alle, die mit dem Primat der Profitgier und der Willkür des Establishments nicht einverstanden sind und nach neuen Wegen jenseits des Raubtierkapitalismus suchen.

Der Autor

Bernard »Bernie« Sanders, geboren 1941 in New York, vertritt seit 2007 den Bundesstaat Vermont im Senat, wo er der Fraktion der Demokratischen Partei angehört. Von 1991 bis 2007 war er Mitglied des Repräsentantenhauses. Sanders trat in den Vorwahlen der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2016 an. Mit seiner Wahlkampagne gewann er insbesondere viele junge und linke Wähler für seine Reformvorstellungen. Sanders bezeichnet seine politische Orientierung als »Democratic Socialism«.

Frank Born, geboren 1965, studierte Kommuni-kationswissenschaft, Anglistik und Kunstwissenschaft. Er arbeitet als freier Übersetzer vorwiegend geistes- und sozialwissenschaftlicher Werke, u.a. von Daniel Dennett, Judith Butler und Slavoj Žižek.

Karen Genschow, geboren 1974, studierte Hispanistik. Sie lebt und arbeitet als freie Autorin und Lektorin in Frankfurt am Main und übersetzte u.a. Bücher von Slavoj Žižek.

Klaus-Dieter Schmidt, geboren 1950, studierte u.a. Mathematik und Germanistik und arbeitet als Übersetzer. Er übersetzte z.B. Bücher von Ian Kershaw, Kofi Annan und Niall Ferguson.

BERNIE SANDERS

Unsere Revolution

Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft

Aus dem Amerikanischen von Frank Born, Karen Genschow und Klaus-Dieter Schmidt

Ullstein

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Our Revolution bei Thomas Dunne Books, an Imprint of St. Martin’s Press, New York.

Abbildungen:Alex Pintair, Ambient Photography: Bildteil 9AP: S. 206 (David McFadden)Aristotle Torres: Bildteil 7Bernie Sanders: Bildteil 1, 2, 3, 5Chicago Sun-Times: Bildteil 4Getty Images: Bildteil 8 (Win McNamee)Reuters: Bildteil 13 (Jim Young)Revolution Messaging: Bildteil 10, 12 (Arun Choudhary), 14 (Eric Elofson), 15 (Hilary Hess)USA Today: Bildteil 6 (Gannett)

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Hinweis zu Urheberrechten

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ISBN 978-3-8437-1575-1

© 2017 für die deutsche Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin© 2016 by Bernard SandersLektorat: Jan Martin OgiermannCovergestaltung: Rudolf Linn, KölnTitelfoto: © Jim Steinfeldt-Gettyimages

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Buch widme ich meinen Eltern Eli und Dorothy Sanders sowie meiner gesamten Familie: meiner Gattin Jane, meinem Bruder Larry, meinen Kindern Levi, Heather, Carina und Dave und deren Ehepartnern Raine, Marc, Blake und Liza sowie meinen Enkeln Sunnee, Cole, Ryleigh, Grayson, Ella, Tess und Dylan. Ihre Liebe und Unterstützung war mir stets eine große Hilfe.

Dieses Buch ist außerdem den Hunderttausenden von Freiwilligen gewidmet, die sich auf vielfältige Weise und in hohem Maße dafür engagiert haben, dass unser Wahlkampf ein Erfolg wurde. Ihr habt mich optimistisch gestimmt, was die Zukunft unseres Landes angeht. Gebt nicht auf. Der Kampf muss weitergehen.

INHALT

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Widmung

Einleitung

TEIL EINSMEIN WEG BIS ZUR PRÄSIDENTSCHAFTSKANDIDATUR

1 | Wie wir werden, wer wir sind

2 | Mein politisches Leben in Vermont

3 | Nachdenken über die Kandidatur

4 | Präsidentschaftswahlkampf

TEIL ZWEIEINE AGENDA FÜR EIN NEUES AMERIKA:WIE WIR UNSER LAND UMGESTALTEN

1 | Die Überwindung der Oligarchie

2 | Der Niedergang der amerikanischen Mittelschicht

3 | Der manipulierten Wirtschaft ein Ende machen

4 | Gesundheitsversorgung für alle

5 | Höhere Bildung bezahlbar machen

6 | Kampf dem Klimawandel

7 | Eine echte Strafrechtsreform

8 | Einwanderungsreform jetzt!

9 | Die Schwächsten schützen

10 | Die Medienkonzerne und die Bedrohung unserer Demokratie

Fazit

Danksagung

Zitierte Quellen

Feedback an den Verlag

Empfehlungen

EINLEITUNG

Als wir unseren Präsidentschaftswahlkampf im April 2015 begannen, wurden wir vom politischen Establishment und den Medien als marginale, nicht ernstzunehmende Kampagne belächelt. Schließlich repräsentierte ich als Senator einen kleinen Staat und war kaum bekannt. Unsere Kampagne verfügte über geringe Mittel und kaum organisatorische Reichweite – dabei nahmen wir es mit dem gesamten Establishment der Demokraten auf. Außerdem kandidierten wir gegen den mächtigsten politischen Apparat des Landes: Die Clinton-Maschine hatte für Bill Clinton zweimal den Sieg errungen und für Hillary Clinton beinahe die Nominierung zur demokratischen Präsidentschaftskandidatin 2008.

Als unser Wahlkampf im Juli 2016 endete, war endgültig erwiesen, dass die Experten falschgelegen hatten, und zwar auf ganzer Linie. Wir hatten Geschichte geschrieben und einen der folgenreichsten Wahlkämpfe in der jüngeren Geschichte des Landes geführt, einen Wahlkampf, der Amerika in grundlegender Weise verändern sollte.

Wir erhielten über dreizehn Millionen Stimmen in Vorwahlen und auf Parteitagen in ganz Amerika. Wir gewannen in 22 Staaten, etliche davon mit überwältigender Mehrheit. Wir konnten 1846 Delegierte für den Nominierungsparteitag der Demokraten gewinnen, insgesamt 46 Prozent.

Bezeichnenderweise erhielten wir in fast jedem Staat eine starke Mehrheit unter den jüngeren Wählern, der Zukunft Amerikas. Wir gewannen große Stimmenanteile unter Weißen, Schwarzen, Latinos, asiatischen Amerikanern und Ureinwohnern. Wir schrieben die Agenda für das Amerika von morgen.

Am 25. April 2016 berichtete die Washington Post über eine Umfrage des Harvard Institute of Politics: »Die von den Forschern der Harvard University erhobenen Daten legen nahe, dass Sanders’ Wahlkampf nicht nur für unerwartet umkämpfte Vorwahlen bei den Demokraten gesorgt hat, sondern auch die Art und Weise verändert hat, wie Millennials über Politik denken«, so der Leiter der Umfrage John Della Volpe. Der Senator aus Vermont rücke »nicht eine Partei nach links; er rückt eine Generation nach links. Unabhängig davon, ob er gewinnt oder verliert, beeinflusst er in jedem Fall das politische Denken einer Generation, der größten in der amerikanischen Geschichte.«

In einer Zeit, in der die Politikverdrossenheit groß, die Wahlbeteiligung abgrundtief niedrig ist und Millionen Amerikaner sich vom politischen Prozess abwenden, zog unser Wahlkampf die tatkräftige Unterstützung Hunderttausender Freiwilliger in allen Staaten des Landes an. Unsere Veranstaltungen waren die größten des gesamten Wahlkampfs, und insgesamt nahmen mehr als 1,4 Millionen Menschen an unseren öffentlichen Kundgebungen teil.

Infolge unserer Siege in einer Reihe von Staaten hat die Demokratische Partei nun in mindestens fünf Bundesstaaten neue Vorsitzende, die im Zuge dieser politischen Revolution gewählt wurden. Außerdem bewerben sich – getragen und motiviert durch unsere Kampagne – progressive Kandidaten um die verschiedensten Ämter, von Schulbeiräten bis zum Kongress, und viele von ihnen werden gewinnen – frisches Blut, neue Energie im politischen Leben.

Und wir stellten unter Beweis – was die amerikanische Politik für immer verändern könnte –, dass man eine konkurrenzfähige landesweite Graswurzelkampagne führen kann, ohne bei Millionären und Milliardären um Wahlkampfspenden zu betteln. Wir waren das einzige Lager, das keinen Super-PAC hatte – und stolz darauf. Dass wir ca. acht Millionen Wahlkampfspenden von Einzelpersonen erhielten, die im Durchschnitt 27 Dollar betrugen, war beispiellos. Diese Spenden kamen von 2,5 Millionen Amerikanern, die mehrheitlich Niedrig- oder Durchschnittsverdiener waren.

Während des Wahlkampfs forcierten wir Diskussionen über Themen, die das Establishment viel zu lange unter den Teppich gekehrt hatte. Wir lenkten die Aufmerksamkeit auf die grotesk ungleiche Verteilung von Einkommen und Wohlstand in diesem Land und auf die Notwendigkeit, die großen Banken zu zerschlagen, die unsere Wirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatten. Wir legten unsere entsetzliche Handelspolitik offen, unser ruiniertes Justizsystem und den Mangel an bezahlbarer Gesundheitsversorgung und höherer Bildung für unsere Bürger. Wir sprachen die globale Krise des Klimawandels an, die Dringlichkeit einer umfassenden Einwanderungsreform, die Notwendigkeit einer neuen Außenpolitik, die Diplomatie über Krieg stellt, und vieles mehr.

Die Unterstützung, die uns zuteilwurde, zeigt vor allem auch, dass wir uns keineswegs jenseits des Mainstreams befanden. Sie legte offen, dass Millionen von Amerikanern eine mutige, progressive Agenda wollen, die es mit den Milliardären aufnimmt und eine Regierung bildet, die für uns alle da ist und nicht nur für die großen Wahlkampfspender.

Der breite Rückhalt, den wir für unser Programm erhielten, veränderte die Demokratische Partei und zwang Hillary Clinton dazu, ihre Position in verschiedenen Fragen der unseren anzunähern. Sie begann ihren Wahlkampf als Befürworterin des Freihandelsabkommens Trans-Pacific Partnership und der Keystone-Ölpipeline. Am Ende war sie gegen beides. Als Ergebnis der Verhandlungen zwischen den beiden Lagern nach den Vorwahlen vertrat Hillary Clinton mutige Positionen zur höheren Bildung und dem Gesundheitssystem, womit sie sich unserer Position annäherte.

Unsere Kampagne hatte auch großen Einfluss auf die Formulierung des bislang progressivsten Parteiprogramms in der Geschichte der Demokratischen Partei. Obwohl sie innerhalb der Partei die Minderheit bildeten, prägten unsere Unterstützer einen Großteil des Programms. Hier eine Auswahl von dem, wofür die Demokratische Partei 2016 eintritt:

▮  ein Mindestlohn von fünfzehn Dollar, Ausweitung der Sozialleistungen und Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze, die für den Wiederaufbau unserer bröckelnden Infrastruktur benötigt werden;

▮  die Zerschlagung der »Too big to fail«-Banken und die Schaffung eines neuen Glass-Steagall Act, der nach dem Finanzcrash von 1929 die Bankgeschäfte reguliert hatte;

▮  die Schließung von Steuerschlupflöchern, die es multinationalen Unternehmen erlauben, ihr Geld in Offshore-Steuerparadiese zu verschieben;

▮  die Bekämpfung des Klimawandels durch eine Kohlendioxidsteuer und die Transformation unseres Energiesystems weg von fossilen Brennstoffen;

▮  eine große Strafrechtsreform, die die Abschaffung der Todesstrafe, das Ende der privatisierten Gefängnisse einschließt und eine Legalisierung von Marihuana anstrebt;

▮  eine umfassende Reform der Einwanderungsgesetze;

▮  die umfangreichste Agenda aller Zeiten zum Schutz der Rechte amerikanischer Ureinwohner.

Während des fünfzehn Monate dauernden Wahlkampfs wiederholte ich einen Punkt immer und immer wieder: In dieser Kampagne ging es nie nur um die Präsidentenwahl, so wichtig dieses Ziel auch war. Es ging darum, Amerika zu verändern. Es ging darum, dass echter Wandel nie von oben nach unten stattfindet. Er findet immer von unten nach oben statt. Er findet statt, wenn Millionen einfache Leute bereit sind, aufzustehen und für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Genau das macht die Geschichte der Gewerkschaften aus. Es macht die Geschichte der Frauenbewegung aus. Es macht die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung aus. Es macht die Geschichte der Schwulenbewegung aus. Es macht die Geschichte der Umweltbewegung aus. Es macht jede ernsthafte Bewegung für Gerechtigkeit aus. Und es macht jede politische Revolution aus.

Ich beendete die Kampagne sehr viel optimistischer mit Blick auf die Zukunft unseres Landes, als ich sie begonnen hatte. Wie hätte es anders sein können? Auf den Feldern Kaliforniens sprach ich mit Tausenden Berufstätigen jeden erdenklichen Hintergrunds, die zusammengekommen waren, um unser Land zu verändern. Es waren Landarbeiter, Umweltschützer, Schwulenaktivisten und Studenten. Sie wissen, und ich weiß, dass wir stärker sind, wenn wir zusammenstehen und es den Demagogen nicht erlauben, uns entlang unserer ethnischen Zugehörigkeit, unserem Geschlecht, unserer sexuellen Orientierung oder unserem Geburtsort zu spalten.

Wir sahen, wie in Portland, Maine, Menschen stundenlang im Freien Schlange standen, um in der Vorwahl ihre Stimme abzugeben. In Arizona mussten manche Leute fünf Stunden warten – aber sie blieben und wählten. Im ganzen Land wehren sich Menschen und kämpfen für die lebendige Demokratie, die wir so sehr brauchen, und gegen das Abdriften in die Oligarchie. In New York lief ich die Kette der streikenden Arbeiter von Verizon entlang, die entschlossen waren, dem Unternehmen die Kürzung ihrer Zusatz- und Sozialleistungen sowie das Outsourcen von Arbeitsplätzen nicht durchgehen zu lassen. Sie standen auf gegen empörende Profitgier. Sie standen als stolze Einheit zusammen. Und sie siegten.

In Washington, D. C. demonstrierte ich mit Niedriglohnarbeitern, die der Welt sagten, dass sie von dem Hungerlohn, der zurzeit als Mindestlohn gezahlt wird, nicht leben können. Dass wir den Mindestlohn auf ein existenzsicherndes Niveau anheben müssen. Ihre Botschaft und ihr Kampf hallen im ganzen Land wider.

Dieses Buch erzählt von unserer epochemachenden Kampagne. Aber noch wichtiger: Es schaut in die Zukunft. Es weist einen neuen Weg für Amerika, der sich auf Prinzipien wirtschaftlicher, sozialer, ethnischer und ökologischer Gerechtigkeit gründet. Es ist ein Weg, den wir fortsetzen, und ein Kampf, den wir gewinnen müssen – für unsere Kinder und Enkelkinder.

Dieser Kampf geht weiter.

TEIL EINS

MEIN WEG BIS ZUR PRÄSIDENTSCHAFTS-KANDIDATUR

EINS

WIE WIR WERDEN, WER WIR SIND

Brooklyn

Ich wuchs in einer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung mit Mietpreisbindung auf; mein älterer Bruder Larry und ich schliefen jahrelang auf Sofas im Wohnzimmer. Während der Vorwahlen 2016 in New York hielten wir eine Kundgebung in der Straße, in der ich aufgewachsen war, East Twenty-Sixths Street, um die New Yorker daran zu erinnern, dass ich aus Brooklyn stamme. 56 Jahre nach meinem Weggang hatte ich die Gelegenheit, die Wohnung zu besuchen, in der ich meine ersten achtzehn Jahre verbracht hatte. Sie war merkwürdig geschrumpft – ganz klein erschien sie mir auf einmal. Küche und Esszimmer waren winzig; man konnte sich schwerlich unsere vierköpfige Familie vorstellen, die dort zusammen zu Abend aß. Das ganze Gebäude sah schäbiger aus, als ich es in Erinnerung hatte. Und wie viele Wohnungen es auf jeder Etage gab …

In einer meiner ersten Erinnerungen stehe ich auf dem Bürgersteig vor dem Wohnblock auf dem Kings Highway im Flatbush-Viertel von Brooklyn. Über die Straße zog eine Militärparade, der Zweite Weltkrieg war gerade zu Ende, ich war vier Jahre alt.

Dieser Krieg, Hitler und der Holocaust trugen mit Sicherheit dazu bei, dass mein Leben schließlich genau diese Entwicklung genommen hat. Ich erinnere mich an die Fotos der Familie meines Vaters in Polen, die von den Nazis getötet worden war; ich erinnere mich an ein Telefonat mitten in der Nacht, bei dem mein Vater die gute Nachricht erhielt, dass einer seiner Cousins noch am Leben war und sich in einem Flüchtlingslager aufhielt. Ich erinnere mich, wie ich jedes Mal weinte, wenn ich die Fotos in einem Buch über die Vernichtung der Juden betrachtete. Ich erinnere mich an Menschen aus der Nachbarschaft mit tätowierten Nummern auf ihren Armen: Überlebende aus den Konzentrationslagern. Ich erinnere mich an die Aufregung in der Gemeinde bei der Gründung des Staates Israel 1948.

Es gab keinen Zweifel an meinem Jüdisch-Sein: der Verlust von Familienmitgliedern, darunter kleine Kinder wie ich, im Holocaust; der Aufstieg eines rechten Extremisten in freien Wahlen in Deutschland; ein Krieg, der über fünfzig Millionen Menschen getötet hatte, darunter mehr als ein Drittel der Juden auf der Welt. Das alles hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck in meinem Leben und Denken.

Mein Bruder Larry, sechs Jahre älter als ich, führte mich in die Politik und in vieles andere mehr ein. In meinem Leben hat er eine unermesslich große Rolle gespielt, und ich bin für immer dankbar für seine Liebe, seinen Rat und seine Lebensweisheit. In den letzten fünfzig Jahren hat er mit seiner Familie in Oxford, England, gelebt, wo er als Sozialarbeiter tätig war. Vor zehn Jahren wurde er zum Landkreisabgeordneten für die Grünen gewählt und später wiedergewählt; jetzt engagiert er sich für die Beibehaltung eines starken staatlichen Gesundheitssystems in England.

Meine Mutter brachte Larry das Lesen bei, als er noch sehr klein war, und er ist sein Leben lang ein unersättlicher Leser gewesen. Als ich vier oder fünf war, las er mir zum ersten Mal vor. Wir lagen sonntags morgens lange im Bett und arbeiteten uns durch einen Stapel Comics. Er war mein Mentor und, wie so mancher ältere Bruder, auch mein Peiniger. Er war sehr schlau, wusste immer all die Antworten, die ich nicht kannte, und er ließ es mich spüren.

Wenn man ausgehen und sich mit Freunden treffen möchte, kommt es hin und wieder vor, dass man sich um den kleinen Bruder kümmern und ihn mitnehmen muss. Das ist kein Vergnügen. Samstags, wenn meine Eltern ausgegangen waren, musste Larry auch das Mittagessen für mich zubereiten. Ich fand seine Kochkünste großartig, die Spaghetti mit Ketchup und sein Schokoladenpudding waren herausragend.

Meine Eltern waren keine großen Leser, und es gab zu Hause nicht viele Bücher. Wir liehen uns Bücher aus der Stadtbibliothek, aber es war Larry, der die ersten Bücher nach Hause brachte und ins Bücherregal stellte. Noch wichtiger war allerdings, dass er mir half, zu verstehen, worum es in einigen dieser Bücher ging. Er war ein guter Lehrer und öffnete mir an vielen Stellen die Augen.

Meine Eltern waren nicht besonders politisch, wählten aber immer die Demokraten, so wie das gesamte jüdische Viertel, in dem wir lebten. Larry brachte als Student am Brooklyn College die Politik mit nach Hause, er wurde Mitglied der Young Democrats und machte 1956 Wahlkampf für Adlai Stevenson.

Während meiner Präsidentschaftskampagne war ich erfreut, dass Larry, seine Frau Janet und sein Sohn Jacob mich zu einigen unserer Veranstaltungen begleiten konnten. Ich war sogar noch stolzer, als er als Delegierter für die Demokraten im Ausland (Democrats Abroad) mit Tränen in den Augen seine Stimme für meine Nominierung abgab.

War meine Familie »arm«? Nein. Hatten wir (wie Wirtschaftsexperten sagen würden) ein frei verfügbares Einkommen? Mit Sicherheit nicht. Mein Vater war Verkäufer bei Keystone, einer Firma für Farben und Lacke. Mit siebzehn Jahren war er aus Polen in die USA gekommen, ohne einen Cent in der Tasche. Er hatte immer Arbeit und verdiente genug, um seine Frau Dorothy und seine beiden Söhne durchzubringen, aber nicht viel mehr als das. Geld (genauer gesagt: der Mangel an Geld) war immer ein Streitpunkt zu Hause; immer wieder gab es Diskussionen zwischen meinen Eltern, schmerzliche, erbitterte Diskussionen, die sich in das Gehirn des kleinen Jungen einbrannten.

»Bernard, geh bitte Lebensmittel holen, hier hast du die Einkaufsliste«, sagte meine Mutter. Und als pflichtbewusster zwölfjähriger Sohn ging ich los, die Besorgungen zu machen. Ich ging aber in das falsche Geschäft, nämlich in den kleinen Laden gleich um die Ecke statt in den größeren an der Nostrand Avenue, der günstiger war. Als ich zurückkam und meine Mutter sah, dass ich zu viel bezahlt hatte, war das Geschrei groß. Das Geld musste zusammengehalten und durfte nicht verschwendet werden.

Als ich dreizehn war, wollte ich eine Lederjacke haben, wie sie gerade Mode war. Jeder trug eine, und ich hatte den aufgetragenen Mantel meines Bruders satt. »In Ordnung«, sagte meine Mutter, »du bekommst eine Lederjacke.« Es wurde eine Einkaufstour durch die Hölle. Wahrscheinlich ist mir aus diesem Grund bis heute Einkaufen immer noch derart verhasst, dass ich nach spätestens einer halben Stunde in einem Kaufhaus die Flucht ergreife – meine Frau kann das bestätigen. Meine Mutter nahm mich damals auf der Suche nach dem günstigsten Angebot in mindestens ein Dutzend Geschäfte mit. Wir gingen zuerst in verschiedene Läden auf der Einkaufsstraße Kings Highway, dann fuhren wir mit der U-Bahn zu den großen Kaufhäusern in der Innenstadt von Brooklyn und Manhattan. Es gab keine Lederjacke in ganz New York, die ich nicht anprobiert hätte. Schließlich kauften wir die Jacke – natürlich – im allerersten Geschäft, das wir am Morgen besucht hatten. Wenn ich heute daran denke, kann ich darüber lachen, damals konnte ich es nicht.

Das Einkommen der Familie bestimmte die Qualität deines Baseball-Handschuhs, die Marke deiner Turnschuhe und auch, welches Auto dein Vater fuhr. Es bestimmte natürlich auch, ob man in einer Sozialwohnung oder einem »Privathaus« lebte. Erst als ich sehr viel älter war, wurde mir klar, dass ein gewöhnliches Einfamilienhaus in der Regel nicht eigens als »Privathaus« bezeichnet wird. Dort, wo ich aufwuchs, spielte diese Unterscheidung aber ganz eindeutig eine Rolle. Diejenigen von uns, die in einer Mietwohnung lebten, gehörten zur Arbeiterklasse, die in den Privathäusern zur Mittelschicht; das war einer der Klassenunterschiede in meiner Kindheit, an die ich mich erinnern kann.

Ich verbrachte einen Großteil meiner Kindheit damit, auf der Straße oder auf Schulhöfen zu spielen; die Straße war unsere Welt, und wir gingen nie aus dem Haus ohne einen kleinen Gummiball. Anders als heute gab es keinerlei Aufsicht durch Erwachsene, und wir organisierten alle unsere Spiele selbst. Wir spielten stundenlang: Verstecken, Punchball, Hockey und Stickball – mit Auszeit, wenn ein Auto vorbeifuhr, und strengen Regeln für den Fall, dass der Ball unter einem geparkten Auto stecken blieb. Wir rollten Murmeln in die Löcher auf Gullydeckeln; wenn man eine Murmel in das mittlere Loch bugsierte, gewann man zehn Murmeln.

Wir spielten mit unseren Bällen an Häuserwänden, Bürgersteigen, Rinnsteinen, Stufen. Wir spielten gewöhnliches Handball und chinesisches Handball; wir tauschten Baseballkarten; wir machten Wettrennen. Auf dem Schulhof der einige Blocks entfernten Grundschule 197, die ich besuchte, spielten wir Softball und Basketball, bis wir so erschöpft waren, dass wir uns kaum nach Hause schleppen konnten. Gegen den Durst legten wir für eine große Flasche Brause zusammen. Beim Spielen auf der Straße und den Spielplätzen Brooklyns lernte ich nicht nur, was ein passabler Ballspieler und Sportler können sollte, sondern erwarb auch fundamentales Wissen über Demokratie und Selbstbestimmung. Niemand beaufsichtigte uns, niemand trainierte uns, niemand pfiff unsere Spiele. Wir waren allein, alles wurde von uns Kindern selbst organisiert und bestimmt. Die Gruppe klärte Unstimmigkeiten, traf alle Entscheidungen und lernte, mit ihnen zurechtzukommen.

»Welches Spiel spielen wir?« … »Gute Idee, machen wir das.« … »Kann ich mir deinen Baseball-Handschuh leihen? … Wer hat einen Ball und einen Schläger mitgebracht? … War der Ball drin, oder war er im Aus? … War das Foul oder fair?«

Es gab keine Diskussion darüber, wer auf welcher Seite spielte. Alle wussten, wer der beste Basketballspieler war, welcher der zweitbeste und welcher der drittbeste, wenn die Mannschaften gewählt wurden – so lief es. Im Dreier-Basketball schied die unterlegene Mannschaft aus, eine neue kam herein und forderte die Sieger heraus. So waren die Regeln, und es funktionierte. Heute denke ich, dass wir eine erstaunlich demokratische und selbstbestimmte Gemeinschaft waren, die mir eine Menge darüber beibrachte, wie man mit Menschen zusammenarbeitet.

Die zweite unvergessene Lektion ist das Verhältnis, das die Kinder in der Nachbarschaft und das gesamte Viertel zu den Brooklyn Dodgers hatten. Manchmal, wenn ich unterwegs bin, werde ich gefragt, welche Baseball-Mannschaft ich als Kind angefeuert habe. Ist diese Frage wirklich ernst gemeint? Es gab nur eine, und die gehörte zur Familie. Gil Hodges als First Baseman, Jackie Robinson oder Junior Gilliam als Second Baseman, Pee Wee Reese (mein Lieblingsspieler) als Shortstop, Billy Cox als Third, Gene Hermanski im linken Spielfeld, der Duke im Mittelfeld, Carl Furillo rechts, Roy Campanella hinter dem Schlagmal. Auf dem Wurfhügel hatten wir Preacher Roe, Don Newcombe, Carl Erskine, Johnny Podres, Clem Labine, Joe Black, Sandy Koufax und viele andere. Diese Namen sind unauslöschlich in mein Gedächtnis geprägt; sechzig Jahre sind seitdem vergangen, und ich denke an diese mythischen Figuren, als wäre es gestern gewesen.

Es wäre für jeden aus unserem Viertel undenkbar gewesen, die Namen der Spieler nicht zu kennen, ihre Treffer, die Statistiken der Pitcher. Wir wussten, gegen wen sie an welchem Tag und wo sie spielen würden, wer pitchen würde und wie viele Spiele ihnen noch zum ersten Platz fehlten. Dank der Baseballkarten, die wir tauschten, wussten wir manches über ihr Privatleben. Die meisten Informationen über die Dodgers kamen aus dem Radio und von den Fernsehkommentatoren Red Barber und Vin Scully, die uns ebenso vertraut waren wie die Spieler.

Ebbets Field, wo die Dodgers spielten, war eine halbe Stunde mit der U-Bahn entfernt, und wir gingen an mehreren Samstagen oder Sonntagen pro Saison ins Stadion, manchmal für einen Doppelspieltag (Doubleheader). Für gewöhnlich bekamen wir die unüberdachten 60-Cent-Plätze, manchmal die Plätze für 1,25 Dollar über der ersten Base-Line. Gelegentlich warteten wir am Spielereingang, um Autogramme zu bekommen. Ich kann mich noch an einen erschöpften Jackie Robinson erinnern, der das Stadion verließ.

Man muss kein Soziologe sein, um zu verstehen, welchen Einfluss die Dodgers auf die Menschen in Brooklyn hatten, auf die Beziehungen zwischen den ethnischen Gruppen und auf unseren Gemeinschaftssinn. Als Kinder wussten wir alle, dass Jackie Robinson, Don Newcombe und Roy Campanella schwarz waren, aber viel wichtiger war, dass sie herausragend Baseball spielten. Wir waren keine eingefleischten Liberalen, sondern wir wollten einfach nur, dass die Dodgers gewannen – und selbstverständlich gehörten die Spieler zur Familie. Zu der Zeit, als die Dodgers kurz vor ihrem Weggang nach Los Angeles standen, kursierte in Brooklyn eine Redewendung: Die drei schlimmsten Menschen in der modernen Geschichte sind Adolf Hitler, Joseph Stalin und Walter O’Malley, aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Der Weggang der Dodgers, den der Clubeigentümer O’Malley eingefädelt hatte, war verheerend für das Viertel und die ganze Stadt; er hinterließ eine klaffende Lücke.

Es war mir, offen gesagt, schwer zu begreifen, wie die Dodgers überhaupt weggehen konnten. Die Mannschaft hieß Brooklyn Dodgers, so wie die Brooklyn Bridge oder das Brooklyn College – wie konnte man etwas wegnehmen, das ein wesentlicher Teil des Lebens der Menschen in Brooklyn war und ihnen so viel bedeutete? Ich nehme an, O’Malleys vernichtende Entscheidung, die Dodgers aus Brooklyn herauszureißen, um an der Westküste größere Profite zu erzielen, war eine meiner ersten bewussten Erfahrungen mit den Mängeln des Kapitalismus.

Aber meine Kindheit spielte sich nicht nur auf den Straßen Brooklyns ab. Ich werde nie den Sommer vergessen, als ich dreizehn Jahre alt war und meine Eltern mich ins Ten-Mile-River-Pfadfindercamp in Narrowsburg im Staat New York schickten. Das war eine günstige Möglichkeit für Kinder, während der Sommerferien aus der Stadt herauszukommen. Mein erster Sommer im Camp war für vier Wochen geplant, aber nach zwei Wochen war ich wieder zu Hause, weil ich an Heimweh gelitten hatte. Im folgenden Jahr sollte ich für zwei Wochen fahren und blieb vier; ich hatte eine großartige Zeit. Beim letzten Mal blieb ich sechs Wochen und weinte, als ich zurück in die Stadt musste.

Als Kind war ich im Pfadfindernachwuchs, wo meine Mutter Gruppenleiterin war, und später im Trupp 356 der Pfadfinder. Unser Trupp machte gelegentlich Wanderungen und kochte im Freien, aber an das Sommercamp kamen solche Unternehmungen nicht heran. Die Pfadfinderlager waren eine herausragende Erfahrung für mich. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich dem Leben im Freien und in der Natur ausgesetzt: in einem Schuppen ohne Eingangstür wohnen, die Nächte in einem Schlafsack auf einer mit Stroh gefüllten »Matratze« verbringen, wandern, campen, zum ersten Mal im Leben einen sternbesäten Himmel betrachten, etwas über das Wissen der Indianer erfahren, im See schwimmen, mit Kanus fahren, gemeinsam in einem riesigen Speisesaal essen, Volkslieder singen.

Einmal saßen mein Kojennachbar und ich auf unseren Betten und lasen Comics, als sich eine ziemlich große schwarze Schlange über das obere Bett zu meinem Freund hin schlängelte. Die Schlange bewegte sich geradewegs auf seine Schulter zu, wir rannten wie der Blitz – eine echte Erfahrung für einen Jungen aus Brooklyn.

Die Pfadfinderlager veränderten mein Leben, denn ich erfuhr, dass ich das Leben in der Natur wirklich sehr mochte, und das vergaß ich nicht mehr. Ich bezweifle, dass ich nach Vermont gegangen wäre, einem der ländlichsten Staaten der USA, wenn ich nicht bei den Pfadfindern gewesen wäre. Die James Madison High School machte mir deutlich weniger Spaß als die Grundschule. Die Schule war viel größer, und anders als auf der Grundschule 197, wo ich alle Kinder mein ganzes Leben lang gekannt hatte, gab es hier viele neue Gesichter. Ich war ein guter Schüler, aber kein herausragender. Sozialkunde interessierte mich mehr als Mathe und Naturwissenschaften. Ich ließ mich als Schulsprecher aufstellen. Ich kann mich erinnern, wie ich im Schlafzimmer auf und ab lief, während ich mit meiner Mutter an der Rede arbeitete, die ich vor der Schülerschaft halten wollte. Mein wichtigster Programmpunkt war ein Aufruf an die Schule, ein südkoreanisches Waisenkind zu adoptieren. Ich verlor die Wahl, aber der Schüler, der gewann, griff meine Idee am Ende auf, und unsere Schule »adoptierte« das Kind.

Eine der größten Enttäuschungen meines jungen Lebens war, es nicht in die Basketballmannschaft der Schule zu schaffen, die unter der legendären Führung ihres langjährigen Trainers Jamie Moskowitz regelmäßig zu den besseren Mannschaften der Stadt gehörte. Zuerst war ich überglücklich, als ich es in meinem ersten Jahr in die Juniormannschaft schaffte; ich kam mit einem wunderschönen Trikot mit der Nummer 10 nach Hause. Aber dann folgte die Katastrophe: Während eines Trainings zu Beginn der Saison informierte mich der Trainer, dass ich ausscheiden würde. Keine Juniormannschaft, keine Schulmannschaft, kein schönes Trikot – eine vernichtende Erfahrung.

Ich kann mich nicht genau erinnern, warum, aber danach schloss ich mich den Leichtathletik- und Geländelauf-Mannschaften an. Als Kind hatte ich immer eine gute Kondition gehabt und konnte endlos lange laufen. Leichtathletik und Laufen waren nicht so sexy wie Basketball, es kamen keine Massen zum Training, wir bekamen nicht halb so viel Aufmerksamkeit. Aber es erwies sich als aufregende und bedeutsame Erfahrung für mich. Ich genoss es sehr und wurde auch ganz gut.

Die U-Bahn-Fahrten von Brooklyn zum Van Cortlandt Park in der Bronx für die Geländeläufe waren lang. Hunderte Läufer traten an der Startlinie an, und nach dem Startschuss ging die wilde Jagd in die Wälder für den Zweieinhalbmeilen-Lauf los. Man nahm den Geruch des Laubs auf dem Boden und die tiefen Atemzüge der angestrengten Körper wahr. Der letzte Kick war die lange gerade Strecke zur Ziellinie, an Läufern vorbei, die noch erschöpfter waren als ich – großartige Erfahrungen, die ich nie vergessen werde.

Ich war ein guter Läufer, nicht nur im Geländelauf, sondern auch über eine und eine halbe Meile. Die Meile lief ich in 4,37 Minuten, schnell genug für den dritten Platz bei den New Yorker Stadtmeisterschaften. Ich gewann auch einige Wettkämpfe auf Stadtteilebene. Laufen wurde ein wichtiger Teil meines Lebens. Hart zu trainieren und nicht aufzugeben, selbst wenn man vollkommen erschöpft ist, gab mir die Disziplin, die mich für den Rest meines Lebens begleitet hat.

Chicago

Es war gegen Mitternacht am Flughafen LaGuardia. Ich war neunzehn Jahre alt und trat meine erste Flugreise an, mit dem billigsten Ticket, das ich hatte ergattern können, nach Chicago. Ich verabschiedete mich von meinem Vater; ängstlich und voller Bedenken ging ich von zu Hause fort, um an der University of Chicago zu studieren.

Meine Mutter war einige Monate zuvor gestorben, und ich wollte weg aus Brooklyn und dem Brooklyn College, wo ich das erste Jahr studiert hatte. Einer meiner Freunde studierte schon in Chicago, ich bewarb mich also und wurde angenommen. Das Institut hatte offensichtlich freie Plätze im zweiten Studienjahr, so dass sie sogar einen jungen Mann aufnehmen konnten, der ihre hohen akademischen Standards nicht erfüllte. Das Flugzeug landete um drei Uhr morgens, und ich machte mich auf den Weg vom Flughafen Midway ins Viertel Hyde Park im Süden Chicagos.

Der Besuch der Universität öffnete mir für vieles die Augen und veränderte mein Leben. Nicht zuletzt diese Erfahrung formte aus mir – ob nun zum Guten oder zum Schlechten – die Person, die ich heute bin. Zugleich war es auch eine schwierige Zeit. Mein Vater hatte in Polen mit sechzehn Jahren die Schule verlassen. Da er die Wirtschaftskrise erlebt hatte, war er immer in Sorge ums Geld und den Lebensunterhalt. Er hätte es bevorzugt, wenn ich nicht auf die Uni gegangen wäre, sondern mir nach der Schule einen sicheren Job gesucht hätte. Meine Mutter war Hausfrau und hatte in New York die Highschool, aber keine weitere Ausbildung absolviert. Die meisten unserer Freunde und Nachbarn hatten einen ähnlichen Hintergrund.

An der Universität von Chicago waren die meisten meiner Kommilitonen Kinder von Akademikern; ihre Eltern waren erfolgreiche Freiberufler oder Unternehmer. Ich fühlte mich ziemlich fehl am Platz und der Sache nicht gewachsen; manchmal war ich sehr einsam.

Während ich diesen persönlichen Kampf führte, eröffnete mir die Universität Chicago eine Reihe von Möglichkeiten, in deren Genuss ich nie zuvor gekommen war. Ich mochte viele meiner Dozenten, aber meine intellektuellen Interessen zogen mich aus dem Hörsaal und hin zu Themen, die eher nicht Teil des Lehrplans waren. Mit der Harper Library hatte die Universität eine der besten Bibliotheken im Land; dort verbrachte ich sehr viel Zeit, tief zwischen den Regalen verkrochen.

Während ich auf die Seminare und Examen oft nicht gut vorbereitet war und eher unspektakuläre Noten erhielt, las ich viel über alle möglichen anderen Themen. Ich befasste mich mit Geschichte, Soziologie, Psychologie, Ökonomie und Politik und las über Aspekte der amerikanischen Geschichte, von denen ich nie zuvor gehört hatte. Ich erfuhr, dass Amerika nicht immer (wie es in der Hymne heißt) das »Land der Freien und die Heimat der Tapferen« gewesen war und dass unser Land in seiner Geschichte nicht immer auf der richtigen Seite gestanden hatte. Ich las auch viele Biographien.

Ich war überwältigt von der Anzahl der Zeitschriften und Magazine, die in einem großen, schönen Raum auf dem Campus auslagen. Wer hätte ahnen können, dass es so viele Zeitschriften gab – über jedes denkbare Thema und aus der ganzen Welt? Ich kam oft in den Lesesaal, um für die Seminare zu lernen, blieb aber am Abend häufig an einer der Zeitschriften im Lesesaal hängen. Hier las ich zum ersten Mal The Nation, Monthly Review, The Progressive und andere progressive Zeitschriften, und meine politischen Ansichten begannen sich herauszubilden.

Ich fing auch an, kritisch zu lesen. Als ich auf der Highschool war, hatte der Hinweis genügt, etwas habe »in der Zeitung gestanden«, um eine Diskussion für sich zu entscheiden. Nun merkte ich zu meinem Erstaunen, dass die verschiedenen Publikationen verschiedene Ansichten vertraten und dass das, was in der Zeitung stand, nicht notwendig der Wahrheit entsprach.

Aber ich las nicht nur, ich lief auch. Während des ersten Jahres an der Uni trat ich der Geländelauf- und der Leichtathletik-Mannschaft bei und machte mich gar nicht schlecht. Obwohl Leichtathletik an der University of Chicago keine große Rolle spielte, war die Ausstattung viel besser, als ich es gewohnt war. Es gab prächtige Innen- und Außenanlagen, und ich war erstaunt, dass man die verschwitzten Laufklamotten in einen Korb werfen konnte und sie am nächsten Tag gewaschen und zusammengelegt zurückbekam. In meiner Zeit in der Leichtathletik-Mannschaft lief ich die halbe Meile in unter zwei Minuten, meine persönliche Bestleistung.

Ironischerweise lernte ich während meiner Zeit in Chicago, obwohl ich viele interessante Seminare besuchte und lange Stunden zwischen den Regalen der Bibliothek verbrachte, viel mehr außerhalb des Campus: in den Organisationen, denen ich beitrat, und durch die Aktivitäten, an denen ich teilnahm. An der Universität wurde ich Mitglied der Young People’s Socialist League (YPSL), der Student Peace Union (SPU) und des Congress of Racial Equality (CORE).

Durch diese Organisationen lernte ich, Politik neu zu betrachten. Es ging nicht nur darum, etwas gegen Rassismus, Krieg, Armut und andere soziale Übel zu tun. Es ging vielmehr um eine Dynamik von Ursache und Wirkung und eine Vernetzung aller Aspekte der Gesellschaft. Die Dinge geschahen nicht zufällig, sondern es gab einen Zusammenhang zwischen Reichtum, Macht und der Aufrechterhaltung des Kapitalismus.

Wie kam die allgemeine Bevölkerung an die Informationen, die sie benötigte, um politische Entscheidungen zu treffen? Schließlich wurden die Medien von großen Unternehmen kontrolliert. Wie wurden Politiker gewählt? Schließlich spielten Interessen von Vermögenden und Großunternehmen hier eine Rolle. Wem nützten geringe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen? Ging es beim Rassismus allein um irrationale Vorurteile, oder ergab sich ein wirtschaftlicher Vorteil aus der Trennung der Rassen? Wer traf die Entscheidung, einen bestimmten Krieg zu führen, und wer profitierte davon? Drehte sich ein gutes Leben tatsächlich darum, immer mehr Geld zu verdienen, damit wir immer mehr konsumieren konnten?

In jener Zeit begegnete ich einigen wunderbaren Menschen, darunter Aktivisten, die sich für Bürgerrechte, Arbeiterinteressen und Friedensfragen engagierten. Ich nahm sogar schon an meinem ersten Wahlkampf teil, wobei ich erfolgreich für die Wiederwahl des Stadtrats Leon Despres arbeitete, eines unabhängigen Stadtverordneten und Herausforderers von Bürgermeister Richard J. Daleys Demokraten. In diesem Wahlkampf bekam ich einen Eindruck davon, was eine mächtige Politikmaschine bewirken konnte, die in ein System der Patronage eingebunden ist. In dieser Zeit bekam ich auch einen Teilzeitjob bei einer Gewerkschaft mit Sitz in Chicago, der United Packinghouse Workers of America.

Die frühen 1960er Jahre (in die meine Studienzeit fiel) waren für die Bürgerrechtsbewegung turbulente Jahre. Menschen meines Alters, die in Organisationen wie dem Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) aktiv waren, wurden in Mississippi, Alabama und dem gesamten Süden verhaftet und verprügelt, weil sie für die Aufhebung der Rassentrennung und für das Wahlrecht kämpften. Ich trat der CORE-Campusgruppe bei und wurde schließlich Vizepräsident; ein Kommilitone, Bruce Rappaport, war der Präsident.

Neben der finanziellen Unterstützung für die Bürgerrechtsbewegung in den Südstaaten begann sich unsere CORE-Gruppe mit dem Rassismus in Chicago zu befassen. Die University of Chicago befand und befindet sich noch immer inmitten eines großen afroamerikanisch geprägten Stadtviertels. Es stellte sich heraus, dass die Universität einer der größten Wohnungseigentümer in der Gegend war und Immobilien besaß, in denen die Rassentrennung praktiziert wurde.

Unsere CORE-Gruppe schickte weiße und schwarze Paare zu den universitätseigenen Wohnungen, unter dem Vorwand, man suche nach einer Bleibe. Schon ein paar Stunden später wurde einem weißen Paar eine ganze Auswahl an freien Wohnungen in demselben Haus angeboten. Nach erfolglosen Verhandlungen mit der Universität über die Aufhebung der Rassentrennung in ihren Wohnhäusern organisierte unsere Gruppe ein Sit-in vor dem Verwaltungsgebäude. Es war eines der ersten Bürgerrechts-Sit-ins im Norden der USA.

In dieser Zeit wurde ich während einer Demonstration unserer (in der gesamten Stadt aktiven Gruppe) für die Aufhebung der Rassentrennung im öffentlichen Schulwesen festgenommen. Dieser Kampf zog sich in Chicago noch jahrelang hin, später beteiligte sich auch Martin Luther King daran. Die Chicagoer Schulen waren insgesamt schlecht, aber in den schwarzen Vierteln in der Regel noch schlechter. Anstatt den schwarzen Kindern zu erlauben, aus ihren überfüllten Schulen in die weißen Schulen auszuweichen, erfand die Schulverwaltung mobile Klassenzimmer, um die Rassentrennung aufrechtzuerhalten. Hunderte von Chicagoern protestierten. Während unserer Demonstration legte die Polizei eine Bannmeile fest, deren Übertretung zur Festnahme führte. Einige von uns überschritten sie trotzdem und wurden in Gefangenentransporter gesteckt. Ich verbrachte die Nacht im Gefängnis; am Morgen stellte die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) die Kaution für uns, und wir kamen frei.

Im Zuge meiner Bürgerrechtsaktivitäten war ich auch an einer Protestbewegung gegen Polizeigewalt beteiligt. In dieser Funktion machte ich eine unangenehme Erfahrung mit der Chicagoer Polizei, als einige Polizisten mir in ihrem Einsatzwagen folgten und Flugblätter einkassierten, die ich verteilt hatte und in denen zu einer öffentlichen Kundgebung gegen Polizeigewalt aufgerufen wurde. Sie nannten mich – in einer Sprache, die zur damaligen Zeit üblich wurde – einen »Unruhestifter von außerhalb« (outside agitator). Einige Jahre später, während des Parteitags der Demokraten 1968, wurde die ganze Welt Zeuge des Polizeieinsatzes während der berüchtigten Straßenkämpfe. Ihre Brutalität überraschte mich nicht.

Im August 1963 nahmen ich und einige Kommilitonen eine lange Busfahrt auf uns, um an dem von Martin Luther King angeführten »Marsch auf Washington für Arbeit und Freiheit« teilzunehmen. Für mich war es ein unvergessliches Erlebnis, nicht zuletzt wegen der herausragenden Rolle einer der größten Führungspersönlichkeiten unserer Geschichte. Martin Luther King Jr. war ein überaus mutiger Mann, der dem Weg folgte, den sein Gewissen und sein Verstand ihm wiesen. Selbstverständlich war er ein wichtiger Anführer der Bürgerrechtsbewegung, der gegen enorme Widerstände dazu beitrug, die Rassentrennung in den Südstaaten zu überwinden und das Wahlrechtsgesetz von 1965 durchzusetzen. Aber er war noch viel mehr als das. Er verstand, dass in diesem Land nur dann echte Gerechtigkeit für die Menschen aller Hautfarben erreicht würde, wenn wir ein Wirtschaftssystem schüfen, das allen und nicht nur einigen wenigen nützt. Wie er dem Land oft in Erinnerung rief, war es sinnlos, die Rassentrennung in einem Restaurant abzuschaffen, wenn die schwarzen Arbeiter nicht genug Geld hätten, um sich einen Besuch dort leisten zu können.

Gegen den starken Widerstand seiner Geldgeber und »liberalen« Unterstützer erhob King seine Stimme gegen den Vietnamkrieg. Wie hätte er in seinem Glauben an die Gewaltlosigkeit überzeugend bleiben sollen, wenn er sich nicht gegen diesen brutalen Krieg gewandt hätte? Wie hätte er seine Forderung nach einem Wandel der nationalen Prioritäten beibehalten können, wenn er sich nicht gegen das aufgeblasene Militärbudget ausgesprochen hätte, während die Armen an Hunger, Krankheit und mangelnder Gesundheitsversorgung litten?

King, der es mit dem gesamten Establishment aufnahm, stürzte sich kopfüber in Neuland und zog die Feindschaft der Medien auf sich. Er verlangte eine Debatte über Armut, über die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen. Er lehnte es ab, nur Anführer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu sein, und wurde stattdessen ein großer Anführer, der schwarz war. Wir sollten nicht vergessen, dass King am 4. April 1968 nicht auf einer Bürgerrechtsdemonstration, sondern während des Kampfs um gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen für die Müllmänner von Memphis, Tennessee, erschossen wurde. Kurz vor seinem Tod hatte er außerdem eine Demonstration der Armen für Menschen aller Hautfarben in Washington organisiert. Ich werde nie vergessen, wie ich am 28. August 1963 zusammen mit Hunderttausenden anderen auf der National Mall stand, und Kings »I have a dream« hallt noch immer in meinem Kopf nach. Sein Lebenswerk inspiriert mich nach wie vor.

Im Juni 1964 heiratete ich meine Kommilitonin Deborah Shilling. Mein Vater war im Jahr zuvor gestorben und hatte mir und meinem Bruder etwas Geld hinterlassen. Deborah und ich kauften ein 85 Morgen großes Waldgrundstück in Middlesex, Vermont, für 2500 Dollar. Wir arbeiteten hart, um die alte Waldarbeiterhütte auf dem Grundstück in ein bewohnbares Haus zu verwandeln. Es gab keinen Strom und kein fließendes Wasser, also bauten wir ein hübsches Toilettenhäuschen. Wir badeten in einem – wirklich kalten – Bach mitten in den Wäldern.

Nach unserem Abschluss an der Universität reisten Deborah und ich nach England, Griechenland und Israel. In England besuchten wir Summerhill, die legendäre, von A. S. Neill 1921 ins Leben gerufene alternative Schule. Summerhill beruhte auf dem höchst demokratischen und vernünftigen Prinzip, dass Schule den Bedürfnissen der Kinder entsprechen sollte und nicht umgekehrt. Die Kinder sollten so weit wie möglich lernen, was sie wollten und wie sie es wollten, und hatten in den Schulangelegenheiten ein Mitbestimmungsrecht. Neill war seiner Zeit weit voraus und glaubte daran, dass das intellektuelle und emotionale Temperament der Kinder am Leben erhalten und nicht gebrochen werden müsse, wie es so viele Schulen taten.

In Griechenland verbrachten wir einige Zeit in Athen, wo wir das touristische Programm absolvierten, uns vom Parthenon und anderen historischen Monumenten sowie vom griechischen Essen begeistern ließen. Da wir einige von Nikos Kazantzakis’ Romanen gelesen hatten, unternahmen wir auch einen Abstecher nach Kreta, wo wir in den ländlichen Gegenden einen Lebensstil entdeckten, der noch derselbe wie im vorangegangenen Jahrhundert zu sein schien.

In Israel arbeiteten wir einige Zeit in verschiedenen Kibbuzen, was eine einzigartige Erfahrung mit einer vollkommen anderen Kultur als der mir vertrauten war. Ich liebte es, Grapefruits zu pflücken, in der Fischzucht Fische mit dem Netz zu fangen und alle möglichen Feldarbeiten zu verrichten. Am meisten war ich aber von der Struktur der Gemeinschaft beeindruckt. Die Menschen dort lebten nach ihren demokratischen Grundwerten. Der Kibbuz gehörte allen Menschen, die ihn bewohnten, die »Chefs« wurden von den Arbeitern gewählt, und die wichtigen Entscheidungen für die Gemeinschaft wurden demokratisch getroffen. Ich weiß noch genau, wie beeindruckt ich davon war, wie jung und lebendig die älteren Menschen dort aussahen. Demokratie war anscheinend gut für die Gesundheit.

Vermont

1968 zog ich, mehr oder weniger auf Dauer, nach Vermont. Deborah und ich hatten uns scheiden lassen, und ich lebte mit Susan Mott zusammen. Wir hatten uns kennengelernt, als wir beide für ein staatliches Programm zur Förderung benachteiligter Kinder in New York arbeiteten. Am 21. März 1969 wurde unser Sohn Levi Noah Sanders in St. Johnsbury, Vermont, geboren.

Einer meiner interessanteren Jobs in dieser Zeit war meine Recherchearbeit in der Steuerverwaltung von Vermont, das damals von Gouverneur Phil Hoff regiert wurde. Dies war meine Einführung in das Thema Steuerpolitik. Hoff war der erste demokratische Gouverneur in Vermont seit hundert Jahren. Er war auch einer der progressivsten Politiker im Land in einem hohen Amt. Etliche Jahre später hatte ich das Vergnügen, Phil und seine Frau Joan näher kennenzulernen.

Während dieser Jahre arbeitete ich als Journalist für verschiedene Zeitungen in Vermont. In der Gegend von St. Albans im Norden Vermonts schrieb ich für eine Wochenzeitung und erfuhr eine Menge, indem ich einfach Passanten ansprach und Interviews auf der Straße führte. Ich entdeckte, dass die Ansichten der einfachen Menschen, ob gut oder schlecht, nicht unbedingt mit denen der Politiker übereinstimmten. Ich war überrascht über die Unterstützung, die jemand wie George Wallace erfuhr, immerhin ein Befürworter der Rassentrennung.

In dieser Zeit begann ich auch, für das Bauunternehmen von John Rogers in Barre, Vermont, zu arbeiten. Johns Familie war zum Teil indianischer Abstammung und seit Generationen in Vermont ansässig. Er war ein exzellenter Zimmermann und Maurer, der mir viel über den Bau von Häusern und Silos beibrachte. Er machte mich auch mit der Lebensart von Vermont bekannt, die ich nun zu übernehmen begann. John und ich waren in verschiedenen Welten groß geworden, was immer zu großartigen Diskussionen in seinem Truck führte, wenn wir gemeinsam zu den Baustellen fuhren.

John wusste nicht nur viel über das Bauen, sondern kannte auch jeden Millimeter im mittleren Vermont. Wie die meisten Bewohner des Landes liebte er die Natur; in der warmen Jahreszeit durchstreiften er und seine Familie die Gegend mit dem Auto, Geländewagen oder Motorrad, und im Winter zogen sie auf ihren Schneemobilen los. Jahre später hatte ich die Gelegenheit, die unglaubliche Schönheit Vermonts im Winter zu erleben, als ich mit einem Schneemobil durch die Wälder fuhr.

1969 lebten Susan, Levi und ich in einem kleinen Haus, das wir in Stannard, Vermont, gekauft hatten. Stannard hatte weniger als zweihundert Einwohner und lag im Northeast Kingdom, einem der ärmsten, wildesten und schönsten Teile des Staates. Es gibt keine Geschäfte, keine Schulen, keine Post, keine asphaltierten Straßen in Stannard, und im Winter wird die Schotterstraße, die über die Berge nach Lyndonville führt, wegen Schnee und Eis gesperrt.

Ich lernte eine Menge, als ich in Stannard lebte. Ich lernte die Schönheit von Wanderungen über ruhige Schotterstraßen zu schätzen, Hirsche in den Feldern zu beobachten und Wege zu entdecken, die zu den Überresten alter, vor Jahrzehnten aufgegebener Bauernhöfe führten. Ich lernte etwas über die Freundschaften, die entstehen, wenn man in abgeschiedenen Gegenden lebt, fünf Meilen entfernt vom nächsten Geschäft oder der Tankstelle. Menschen sind auf Menschen angewiesen, und das brachte einen anderen Gemeinschaftssinn hervor, als ich ihn bisher gekannt hatte.

Ich lernte, wie man in der Kälte überlebt und wie man ein Baby warm hält, wenn die Außentemperatur zwanzig Grad unter null beträgt und die Kälte durch die schlecht isolierten Wände dringt. Ich lernte sehr schnell, warum die Leute Plastikfolien an ihren Fenstern befestigten. Das war nicht schön, aber effizient, um die Kälte auszusperren. Ich lernte, über die Runden zu kommen, wenn die Leitungen einfrieren und man kein fließendes Wasser hat; wie man Plastikkanister mit Wasser schleppt, damit man sich waschen, das Geschirr spülen und die Toilette benutzen kann. Ich lernte, wie man nach einer kalten Nacht ein Auto flottmacht, wenn die Reifen am Boden festgefroren sind.

Eines Tages besuchte ich einen Nachbarn, der von Amts wegen für die Straßenräumung nach Schneefällen verantwortlich war. Das war kein unbedeutender Posten. Wenn die Straßen nicht frei waren, konnten die Menschen nicht zur Arbeit, zum Arzt oder in die Schule gehen. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, als ich sah, wie er eine Autobatterie in seine Küche trug und in den Ofen schob – ich war sicher, er war verrückt geworden. War er aber nicht: Die Zündflamme im Ofen hielt die Batterie über Nacht warm, was ihm erlaubte, den Schneepflug am Morgen anzulassen, ganz egal, wie kalt es in der Nacht gewesen war.

ZWEI

MEIN POLITISCHES LEBEN IN VERMONT

Ich liege wohl richtig, wenn ich sage, dass mein politisches Leben einen anderen Verlauf genommen hat als das aller anderen Mitglieder des Kongresses. Nicht nur, weil ich diesem länger angehöre als jeder andere Unabhängige in der Geschichte und meine ersten Besuche in Washington alle mit der Bürgerrechtsbewegung und Antikriegsdemonstrationen zu tun hatten oder weil ich erst das Kapitol betrat, nachdem ich in den Kongress gewählt worden war, sondern vor allem, weil ich meinen Weg weit entfernt vom politischen Establishment begonnen habe.

Mein ältester Freund ist Jim Rader. Wir kennen uns seit der Zeit an der University of Chicago, später vertiefte sich unsere Freundschaft, als wir uns des Öfteren auf Versammlungen in Vermont Ende der 1960er Jahre über den Weg liefen. 1971 erwähnte Jim mir gegenüber, dass er an einer Versammlung der Liberty Union Party teilnehmen würde, einer kleinen Partei in Vermont. Winston Prouty, Senator für Vermont, war im September gestorben, und es sollte eine vorgezogene Wahl geben, um seinen Nachfolger zu wählen. Robert Stafford, Vermonts einziger Abgeordneter im Repräsentantenhaus zu dieser Zeit, gab sein Mandat auf, um sich um Proutys Sitz zu bewerben, was bedeutete, dass es zwei freie Sitze gab. »Hast du Interesse, zu dem Treffen zu gehen?«, fragte Jim. »Die Partei wird über Themen sprechen, die im Wahlkampf eine Rolle spielen sollen, und die Kandidaten nominieren.« – »Warum nicht«, erwiderte ich – eine folgenreiche Entscheidung.

Das Treffen der Liberty Union wurde im Goddard College im mittleren Vermont abgehalten. Die vierzig oder fünfzig Anwesenden waren naturgemäß ziemlich dogmatisch und diskutierten eifrig. Alles andere als schüchtern warf ich mich ins Getümmel. Ich erinnere mich, wie wir über Wirtschaft, Bildung, den Vietnamkrieg und etliche andere Themen debattierten.

Dann waren die Nominierungen an der Reihe. Wer würden die Kandidaten der Liberty Union für den Kongress werden? Es gab nicht allzu viele Interessenten. Doris Lake, zusammen mit ihrem Mann Peter Diamondstone eine der Parteigründerinnen und -gründer, wurde für das Repräsentantenhaus nominiert – und ich für den Senat! Willkommen in der Graswurzelpolitik. Willkommen in der Politik von Vermont.

Es ist überflüssig zu erwähnen, dass meine Kampagne kein Geld und keine Organisation hatte, und die wenigsten in der Partei hatten eine Ahnung davon, was es bedeutete, für ein Amt zu kandidieren. Aber wir machten das Beste aus den Mitteln, die uns zur Verfügung standen, und lernten eine Menge dazu. Unter anderem konzentrierte sich unser Wahlkampf auf wirtschaftliche Gerechtigkeit, die Ablehnung des Vietnamkriegs und Frauenrechte.

Wenn ich heute daran zurückdenke, wird mir klar, dass meine Kampagne nicht nur eine sehr lehrreiche Erfahrung war und mir viel Vergnügen machte, sondern dass sie zugleich die Grundlage legte für all das, was ich seitdem politisch unternommen habe. Während meines Wahlkampfs befasste ich mich so intensiv wie möglich mit den wichtigen Themen im Land, was ich sehr genoss, und ich sagte meine Meinung darüber. Ich dachte nicht darüber nach, wen ich empören könnte. Es war mir egal, wie ich aussah. (Vor einigen Jahren wurde ich von irgendeinem Blatt zum am schlechtesten gekleideten Senator gekürt – glauben Sie mir, verglichen mit damals sehe ich heute aus wie ein Dressman.)

Vermont ist ein kleiner Staat, aber es gab Radiosender und Zeitungen, die Interviews in den meisten größeren Städten durchführen konnten, und wir ergriffen jede Gelegenheit, die sich bot, um unsere Ansichten darzulegen. Ich erinnere mich an mein erstes Radiointerview; es wurde von WVMT in Colchester geführt, einem der größeren Sender des Staates. Der Journalist war Jack Barry, ein bekanntes Gesicht in den Vermonter Medien, und ich war total nervös. Die Zuhörer mochten mit dem, was ich sagte, einverstanden sein oder nicht, aber woran sie sich zweifellos erinnern, ist das Klopfgeräusch. Ich war so nervös, dass mein Knie die ganze Zeit über zitterte und gegen die Tischplatte stieß. Der Tontechniker wedelte ständig mit den Armen, um mich zum Aufhören zu bewegen, aber es ging nicht. Mein erstes Radiointerview – poch, poch, poch!

Im weiteren Verlauf der Kampagne wurde ich besser und konzentrierter. Ich fühlte mich immer wohler, wenn ich an den Straßenecken stand und Broschüren verteilte. Ich stellte fest, dass ich gerne mit fremden Leuten über Politik sprach. Auch in den Debatten stellte ich mich halbwegs geschickt an. Ich trat gegen den Abgeordneten Robert Stafford an, der als klarer Favorit galt. Angesichts der heutigen Richtung der Vermonter Politik mag es unglaublich erscheinen, aber 1971 war in dem Staat noch niemals ein Demokrat in den Senat gewählt worden. Randy Major, ein Abgeordneter im Vermonter Parlament, wollte es versuchen.

Während dieses Wahlkampfs erhielt ich einen ersten Einblick, wie die Berichterstattung über Politik funktioniert. Randy, in der Wahl ein klarer Außenseiter, fand einen kreativen Weg, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Es war Winter in Vermont, und er sagte, er würde »mit den Skiern herumfahren und die Wähler treffen«. Und dieser Trick funktionierte. Während seiner Kampagne sprachen die Medien stets vom skifahrenden Kandidaten. Da stand ich und hielt Vorträge über die drängendsten Probleme der Menschheit, während die Fernsehkameras sich auf die Blasen an Randys Füßen richteten. Es versteht sich von selbst, dass weder Randys Skitouren noch meine Vorträge viel ausrichteten. Im Januar 1972 gewann Bob Stafford die außerordentliche Wahl mit 31 Prozent. Obwohl ich weniger als tausend Dollar für den Wahlkampf ausgegeben hatte, wurde ich Dritter, mit allerdings nur zwei Prozent der Stimmen. Der republikanische Kandidat für den Kongress, Richard Mallary, erlangte ebenfalls einen haushohen Sieg.

Hier sei am Rande bemerkt, dass sich die Republikanische Partei von Vermont in den 1970ern in fast jeder Hinsicht von der heutigen Bundespartei unterschied. War Bob Stafford ein Konservativer in Sachen Steuerpolitik? Das war er. Aber er befürwortete auch das Recht auf Abtreibung und engagierte sich sehr in der Bildungs- und Umweltpolitik. Bemerkenswerterweise setzte sich der lebenslange Republikaner und ehemalige Offizier in seinen letzten Lebensjahren, mit 78 Jahren war er damals bereits im Ruhestand, entschlossen für Schwulenrechte ein. Im Jahr 2000 gab es eine erbitterte Debatte darüber, ob unser Staat der erste sein sollte, der ein Gesetz zur Lebenspartnerschaft verabschiedet. Stafford unterstützte dies lautstark, was den Weg für die Unterstützung weiterer Republikaner ebnete und die Verabschiedung erleichterte.

Aber Stafford war nicht der einzige moderate Republikaner in Vermont. Sein Vorgänger war Senator George Aiken, ein liberaler Republikaner, der 35 Jahre lang im Senat saß. Auf Stafford folgte Jim Jeffords, ebenfalls moderat. Viele Menschen erinnern sich noch daran, dass der Senator Jim Jeffords 2001 die Republikanische Partei wegen ihres zunehmenden Rechtsdralls verließ, zu einem Unabhängigen wurde und damit die Mehrheit im Senat zugunsten der Demokraten verschob.

Unzufrieden mit den zwei Prozent der Stimmen, die ich in der außerordentlichen Wahl erhalten hatte, bewarb ich mich sechs Monate später, wiederum für die Liberty Union, in den allgemeinen Wahlen von 1972 um den Gouverneursposten. Diesmal erhielt ich ein Prozent der Stimmen. Ich bewegte mich vom Fleck, allerdings in die falsche Richtung. Während dieser Kampagne war ich zum ersten Mal in einen Präsidentschaftswahlkampf involviert. Dr. Benjamin Spock, der weltbekannte Kinderarzt, war Kandidat der People’s Party und wurde von der Liberty Union unterstützt. Ich machte Wahlkampf mit Spock, als er Vermont besuchte.

Das Jahr 1974 markierte den Höhepunkt für die Liberty Union. Michael Parenti, der seine Dozentenstelle an der University of Vermont wegen seines Widerstands gegen den Vietnamkrieg verloren hatte, machte einen großartigen Wahlkampf für den Kongress und erhielt sieben Prozent der Stimmen. Martha Abbott und Art DeLoy, unsere Kandidaten für die Ämter des Gouverneurs und des Vizegouverneurs, erhielten fünf Prozent. Nancy Kaufman, eine junge Staatsanwältin und Kandidatin der Liberty Union für die Leitung der Justizbehörden (Attorney General), erhielt sechs Prozent.

1974 bewarb ich mich erneut für den Senat, und diesmal waren es umkämpfte Wahlen. Senator George Aiken bewarb sich nicht mehr, und man erwartete allenthalben, dass Richard Mallary an seine Stelle treten würde. Aber ein junger liberaler demokratischer Staatsanwalt namens Patrick Leahy führte einen sehr starken Wahlkampf gegen ihn.

Eines der vielen Dilemmas für Kandidaten dritter Parteien besteht darin, dass sie oft als »Chancenvernichter« betrachtet werden. Das führt dazu, dass manche Menschen zwar mit ihren Ansichten sympathisieren und sie wählen wollen, aber befürchten, dass ein Kandidat, den sie stark ablehnen, die Mehrheit bekommt, wenn sie ihre Stimme »verschwenden«. Auch das trug sicher zu der niedrigen Stimmenzahl bei, die ich erhielt. Ich bekam vier Prozent – weniger, als ich erwartet hatte, aber doppelt so viel, als ich zuvor erreicht hatte. Zu meinem größten Erstaunen gewann Leahy die Wahl. Leahy und ich sitzen heute beide im Senat und sind seit Jahren befreundet. Gelegentlich erinnern wir uns an den Wahlkampf von 1974.

1976 kandidierte ich noch einmal für den Gouverneursposten. Während dieses Wahlkampfs wurde ich von einem der größten Sender im Staat zu einer Fernsehdebatte zur besten Sendezeit eingeladen. Ich schlug mich gut, was dazu beitrug, mein bestes Ergebnis als Kandidat der Liberty Union zu erreichen: sechs Prozent. Diese Wahl sollte sich als die letzte Kampagne mit der Liberty Union Party erweisen. Ich war stolz auf das, was wir erreicht hatten. Ich war stolz darauf, dass wir die Menschen in Vermont auf einige der wichtigsten Themen für unseren Staat und unser ganzes Land hinweisen und ihnen eine progressive Perspektive jenseits des Zweiparteiensystems eröffnen konnten. Ich war stolz auf unsere oftmals erfolgreichen Bemühungen, uns den steigenden Energiepreisen zu widersetzen und streikende Arbeiter zu unterstützen. Außerdem hatten wir, da viele unserer Kandidaten Frauen waren, einen großen Anteil daran, den Sexismus in der Politik unseres Bundesstaats zu brechen. Wir hatten außerordentlich gut abgeschnitten angesichts der begrenzten Mittel und Unterstützer, die wir hatten. Aber es war Zeit, voranzuschreiten; ich kehrte der Politik den Rücken.

Nachdem ich die Politik hinter mir gelassen hatte, suchte ich mir einen neuen Lebensunterhalt und baute ein recht erfolgreiches kleines Unternehmen auf. Mit der Hilfe einiger Mitarbeiter schrieb und produzierte ich Filme über die Geschichte Vermonts und anderer Staaten Neuenglands und verkaufte sie an Schulen. Der Markt war zu klein für große Unternehmen, so dass wir dieses Feld mehr oder weniger allein beackerten. Die Arbeit machte großen Spaß, und mit der Zeit verbesserte ich meine Schreibfähigkeiten und lernte viel über Fotografie, Marketing und Haustürgeschäfte. Ich lernte außerdem eine Menge beeindruckender Lehrer kennen.

1979, nachdem ich erfahren hatte, dass die meisten College-Studenten, mit denen ich sprach, noch nie etwas von Eugene Victor Debs gehört hatten, produzierte ich ein halbstündiges Video über sein Leben und seine Ideen. Debs war ein großer Amerikaner, aber sein Leben und sein Werk sind weitgehend unbekannt. Er war ein Mann von außerordentlichem Mut und großer Integrität, und seine unermüdlichen Bemühungen für die Arbeiter und die Armen legten die Grundlage für viele der Regierungsprogramme, die Franklin D. Roosevelt im Zuge des New Deal, der Wirtschafts- und Sozialreformen in den 1930er Jahren, auflegte.

Debs war der Gründer der Sozialistischen Partei Amerikas und kandidierte sechsmal für die Präsidentschaft. 1920 erhielt er fast eine Million Stimmen, nachdem er seinen Wahlkampf von einer Gefängniszelle aus geleitet hatte, in die er wegen seines Widerstands gegen den Ersten Weltkrieg gesteckt worden war. Das Leben von Eugene V. Debs, seine Vision einer Welt in Frieden, Gerechtigkeit, Demokratie und Brüderlichkeit hat mich immer sehr inspiriert. Eine Plakette von Debs hängt an der Wand meines Washingtoner Senatoren-Büros. Das Video über ihn wurde an Schulen in den ganzen USA verkauft und verliehen, und wir erreichten sogar, dass es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Vermonts gesendet wurde. Zusätzlich produzierte Folkways Records den Soundtrack des Videos auf Vinyl.

Ich mochte mein kleines Medienunternehmen sehr; ich verdiente keine großen Summen, aber ich konnte meine eigenen Entscheidungen treffen, meine Zeit selbst einteilen und eine Menge lernen. Ich freute mich darauf, weiterhin Videos über Aspekte der amerikanischen Geschichte zu drehen, mit denen die Amerikaner wenig vertraut waren. Doch 1980 endete mein Leben als Kleinunternehmer: Ich trat wieder in die Politik ein.

Sozialismus in einer Stadt

Richard Sugarman ist seit vierzig Jahren einer meiner engsten Freunde. Er ist Professor für Religionswissenschaften an der University of Vermont, Philosoph, Autor einer Reihe bedeutender Bücher und Artikel, Baseballexperte und chassidischer Jude. Er verfolgt auch sehr interessiert das politische Geschehen.

Im Spätherbst 1980 hatte Richard eine merkwürdige Idee: »Kandidiere als Unabhängiger für das Amt des Bürgermeisters von Burlington«, schlug er vor, »du kannst gewinnen.« Er hatte meine Ergebnisse der Gouverneurswahl von 1976 analysiert. Im gesamten Staat hatte ich sechs Prozent erlangt, in Burlington zwölf Prozent, und in den Arbeitervierteln der Stadt waren es sechzehn Prozent gewesen. Richard war überzeugt, dass ich eine echte Chance hatte, wenn wir all unsere Aufmerksamkeit auf Burlington konzentrierten.

Wir versammelten eine Reihe politischer Freunde, einige von ihnen aus der Liberty Union, und berieten uns. Es würde ein hartes Rennen werden. Wir würden gegen einen seit fünf Wahlperioden regierenden Demokraten antreten, der es seit Jahren mit keiner ernstzunehmenden Opposition zu tun gehabt hatte, und außerdem gegen das gesamte wirtschaftliche und politische Establishment der Stadt. Wie üblich hatten wir kein Geld und keine Organisation. Wir starteten bei null.