Unten am Fluss – »Watership Down« - Richard Adams - E-Book
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Unten am Fluss – »Watership Down« E-Book

Ричард Адамс

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Beschreibung

»Dieses Buch hat es verdient, unsterblich zu werden.« Der Spiegel Die weltbekannte Saga vom Exodus der Kaninchen. Das Thema könnte nicht zeitgemäßer sein, denn genau dort, wo sie leben, entsteht ein Neubaugebiet: Der junge Fiver spürt, dass seinem Volk das Verderben droht. Nur seine engsten Freunde kann er überreden, mit ihm den Kaninchenbau zu verlassen und sich auf die Suche nach einer neuen Heimat zu machen. Doch auch ein unerwarteter Gefährte schließt sich ihnen an. Was sie unterwegs durchleben, ist so beispielhaft wie fesselnd: zahllose Abenteuer, falsche Freunde, Meuterei, Verrat und Heldentum, Schlachten mit hohem Blutzoll – und schließlich der glückliche Einzug ins Land der Freiheit und des Friedens.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Buchumschlag von ”Watership Down“ mit einer Illustration eines Kaninchens, dem Autor Richard Adams und dem deutschen Titel “Unten am Fluss”.

Der Autor

RICHARD ADAMS studierte in Oxford Literatur und Geschichte. Er erzählte seinen Töchtern Juliet und Rosamond Geschichten über Kaninchen und begann schließlich, sie aufzuschreiben. Nach dem Welterfolg von Watership Down gab er seine Tätigkeit beim englischen Amt für Umweltschutz auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Richard Adams starb 2016 in Oxford.

HENNING AHRENS, geb. 1964, veröffentlicht als Autor Lyrik und Prosa; zuletzt erschien sein Roman Mitgift. Er übersetzt Lyrik, Kinder- und Jugendbücher sowie zahlreiche Romane aus dem Englischen, darunter solche von Saul Bellow, Jonathan Safran Foer und Richard Powers.

Richard Adams

Unten am Fluss – »Watership Down«

Roman

Aus dem Englischen vonHenning Ahrens

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Die Originalausgabe erschien 1972unter dem Titel Watership Downbei Rex Collins, London

© 1972 by Richard Adams© der deutschsprachigen Ausgabe2023 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Autorenfoto: © PA Images | Alamy Stock PhotoE-Book powered by pepyrusISBN 978-3-8437-2963-5

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Inhalt

Titelei

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Landkarte

Dank

Hinweis

Teil 1

1 – Die Hinweistafel

2 – Das Oberkaninchen

3 – Hazels Entscheidung

4 – Der Aufbruch

5 – Im Wald

6 – Die Segnung von El-ahrairah

7 – Der Lendri und der Fluss

8 – Die Überquerung

9 – Die Krähe und das Bohnenfeld

10 – Die Straße und das Gemeindeland

11 – Beschwerlicher Weg

12 – Der Fremde auf der Wiese

13 – Gastfreundschaft

14 – »Wie Bäume im November«

15 – Die Geschichte von des Königs Salat

16 – Silverweed

17 – Der glänzende Draht

Teil 2

18 – Der Watership Down

19 – Furcht im Dunkeln

20 – Eine Honigwabe und eine Maus

21 – »Da muss sogar El-ahrairah weinen«

22 – Die Geschichte des Prozesses gegen El-ahrairah

23 – Kehaar

24 – Nuthanger Farm

25 – Die Befreiungsaktion

26 – Fivers Vision

27 – »Um das begreifen zu können, muss man es selbst erlebt haben.«

28 – Am Fuß des Hügels

29 – Rückkehr und Aufbruch

Teil 3

30 – Ein neuer Aufbruch

31 – Die Geschichte von El-ahrairah und dem Schwarzen Kaninchen von Inlé

32 – Über den Eisenweg

33 – Der große Fluss

34 – General Woundwort

35 – Tastend

36 – Fernes Donnergrollen

37 – Das Donnergrollen rückt näher

38 – Donnergrollen über den Köpfen

Teil 4

39 – Die Brücken

40 – Der Rückweg

41 – Die Geschichte von Knurrkläff Wuff und Elf Bunthund

42 – Neuigkeiten bei Sonnenuntergang

43 – Der große Spähtrupp

44 – Eine Botschaft von El-ahrairah

45 – Wieder auf der Nuthanger Farm

46 – Bigwig hält die Stellung

47 – Der Himmel in der Schwebe

48 – Deus ex Machina

49 – Hazel kehrt heim

50 – Zu guter Letzt

Epilog

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Landkarte

Dank

Ich danke sowohl meiner Familie als auch meinen Freunden, Reg Sones und Hal Summers, die das Buch vor dem Erscheinen lasen und wichtige Hinweise gaben, von Herzen für die Unterstützung.

Mrs Margaret Apps und Miss Miriam Hobbs, die sich der Mühe unterzogen, den kompletten Text abzutippen, und mir eine große Hilfe waren, bin ich ebenfalls zu aufrichtigem Dank verpflichtet.

Sämtliche Informationen über Kaninchen und ihre Lebensweise habe ich Mr R. M. Lockleys bemerkenswertem Buch The Private Life of the Rabbit zu verdanken. Wer sich über die Wanderungen der Jährlinge, die Funktion der Kinndrüsen, die Kaubewegungen beim Fressen des Blinddarmkots, die Folgen einer überbevölkerten Kolonie, die Absorption von Föten durch die Mutter, den energischen Kampf der Rammler gegen Hermeline und andere Aspekte des Kaninchendaseins informieren möchte, sollte zu diesem Standardwerk greifen.

Hinweis

Wie alle anderen Orte in diesem Buch existiert auch die Nuthanger Farm. Mr und Mrs Cane, ihre Tochter Lucy und die Mitarbeiter der Farm sind allerdings frei erfunden, Parallelen zu mir bekannten Personen, ob lebend oder verstorben, wären rein zufällig.

Teil 1

Die Wanderung

1 – Die Hinweistafel

Chorführer:

Was schreist du »pfui!« – es sei denn, Ekliges sucht deine Seele heim.

Kassandra:

Das Haus strömt Mordgeruch aus frisch vergossnen Bluts.

Chorführer:

Wie das? Dies riecht doch nur nach Opfertieren auf dem Herd.

Kassandra:

Die gleiche Ausdünstung, ganz deutlich, wie den Gräbern sie entsteigt.

Aischylos,

Agamemnon

Die Schlüsselblumen waren verblüht. Am Waldrand, wo sich die Bäume lichteten und der Boden zu einem morschen Zaun und einem gleich dahinter verlaufenden, brombeerverkrauteten Graben abfiel, waren zwischen Eichenwurzeln und Bingelkraut nur noch vereinzelte fahlgelbe Flecke zu sehen. Der obere Abschnitt des Hangs, der sich hinter dem Zaun erstreckte, war von Kaninchenlöchern übersät. Das Gras war stellenweise komplett verschwunden, überall hatten sich Köttel angesammelt, zwischen denen nur Kreuzkraut gedieh. Gut hundert Meter weiter unten, am Fuß des Hangs, verlief ein schmaler Bach, halb erstickt durch Sumpfdotterblumen, Brunnenkresse und Bachbunge. Ein Feldweg querte ihn auf einer Backsteinüberführung und zog sich auf dem anderen Ufer bis zum Lattentor in einer Dornenhecke hinauf. Das Tor führte auf einen Weg.

Die Wolken glühten rötlich im Sonnenuntergang des Maitags, eine gute Stunde, dann würde es dämmern. Auf dem ausgedörrten Hang saßen zahlreiche Kaninchen. Einige knabberten vor ihrem Loch am mageren Gras, andere wagten sich auf der Suche nach übersehenen Schlüsselblumen und Löwenzahn weiter nach unten. Da und dort hatte eines sich auf einem Erdhaufen der Wiesenameisen aufgerichtet, horchte mit gereckten Löffeln und witterte, die Nase im Wind. Am Waldrand zwitscherte eine Amsel, von dort drohte also keine Gefahr, und am Fuß des Hangs, wo sich der Bach durch offenes Gelände schlängelte, war alles friedlich und still. Für die Kolonie bestand kein Anlass zur Sorge.

Oben in der Grabenböschung, dicht beim Weißdorn mit der zwitschernden Amsel, verbarg sich eine kleine Anzahl Löcher hinter den Brombeeren. In einem hockten zwei Kaninchen Seite an Seite im grünlichen Zwielicht. Nach einer Weile wagte sich das größere hinaus, sprang im Schutz der Brombeeren in den Graben und von dort auf den Hang. Kurz darauf folgte das zweite Kaninchen.

Das erste blieb an einer sonnigen Stelle sitzen und kratzte sich mit dem Hinterlauf rasant an einem Löffel. Mit einem Jahr war es noch nicht ausgewachsen, wirkte aber weit weniger geplagt als andere »Randlinge« – also Kaninchen im ersten Lebensjahr, die sich, von den Älteren drangsaliert, irgendwie durchschlagen müssen, meist im Freien, am Rand der Kolonie, weil sie sich weder durch Größe oder Gewicht auszeichnen noch Eltern haben, die eine bedeutende Rolle spielen. Der junge Rammler wirkte selbstbewusst. Seine Art, sich aufzurichten und umzuschauen und mit den Vorderpfoten über seine Schnauze zu streichen, hatte etwas Gewitztes und Lebhaftes. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass keine Gefahr drohte, legte er die Löffel an und mümmelte Gras.

Sein Begleiter wirkte nicht so entspannt. Er war klein, hatte große Augen und einen stieren Blick, und seine Art, den Kopf zu heben und zu schwenken, schien nicht der Vorsicht, sondern einer permanenten nervösen Anspannung geschuldet zu sein. Seine Schnauze zuckte unablässig, und als eine Hummel hinter seinem Rücken zu einer blühenden Distel summte, fuhr er so erschrocken herum, dass zwei Kaninchen in ihre Löcher flitzten, bevor er von einem dritten Kaninchen, das in seiner Nähe fraß, erkannt wurde.

»Ach, das ist bloß Fiver«, sagte der Rammler, dessen Löffel schwarze Spitzen hatten, und fraß weiter. »Der Kleine hat mal wieder Schiss vor Schmeißfliegen. Also, Buckthorn, was wolltest du gerade erzählen?«

»Fiver?«, fragte das andere Kaninchen. »Wieso der Name?«

»Fünfköpfiger Wurf, du weißt schon. Er war der Letzte – und der Kleinste. Ein Wunder, dass er noch am Leben ist, aber wie ich immer sage: Ein Mensch würde ihn übersehen, ein Fuchs würde ihn verschmähen. Bislang hat er überlebt, durchaus eine Leistung, wie ich zugeben muss.«1

Das kleine Kaninchen hoppelte auf den langen Hinterläufen zu seinem Bruder.

»Wollen wir weiter nach unten, Hazel?«, fragte es. »Ich weiß nicht, woran es liegt, aber in unserer Kolonie stimmt heute Abend etwas nicht. Kommst du mit zum Bach?«

»Meinetwegen«, antwortete Hazel. »Vielleicht gibt es dort noch Schlüsselblumen. Wenn jemand eine entdeckt, dann du.«

Sein langer Schatten fiel hinter ihm aufs Gras, als er den Hang hinunterlief. Sie hielten vor dem Bach und begannen, am Rand des Feldwegs zu fressen.

Fiver wurde rasch fündig. Schlüsselblumen gelten unter Kaninchen als Köstlichkeit, und Ende Mai sind sie im Umkreis einer Kolonie meist so gut wie verputzt. Diese war im hohen Gras verborgen und noch nicht erblüht. Sie wollten sie gerade fressen, als zwei größere Kaninchen, die sich hinter der nahen Viehtränke aufgehalten hatten, angesaust kamen.

»Schlüsselblume?«, sagte eines. »Prima – die ist für uns. Los, haut ab«, ergänzte es, als Fiver zauderte. »Bist du taub oder was?«

»Fiver hat sie entdeckt, Toadflax«, sagte Hazel.

»Und wir fressen sie«, entgegnete Toadflax. »Schlüsselblumen sind für die Owsla2 – das ist euch klar, oder? Wenn nicht, bringen wir es euch schnell mal bei.«

Fiver war schon davongehoppelt. Hazel holte ihn ein und sagte: »Ich habe die Nase gestrichen voll. Es ist immer dasselbe. ›Das ist meine Schlüsselblume, siehst du meine Klauen?‹ ›Das ist mein Bau, siehst du meine Zähne?‹ Sollte ich je in der Owsla sein, dann werde ich Randlinge mit mehr Respekt behandeln.«

»Immerhin kannst du damit rechnen, in die Owsla aufgenommen zu werden«, meinte Fiver. »Du legst noch an Gewicht zu, ich dagegen nicht.«

»Glaubst du, ich würde dich jemals im Stich lassen?«, fragte Hazel. »Manchmal überlege ich ernsthaft, unserer Kolonie den Rücken zu kehren. Aber was soll’s, lass uns den Blödsinn vergessen und den Abend genießen. Wollen wir über den Bach? Auf der anderen Seite ist weniger los, dort wären wir ungestört. Außer, du findest es gefährlich«, fügte er hinzu.

Seine Worte legten nahe, dass er sich auf Fivers Urteil verließ, und Fivers Antwort bestätigte dies.

»Nein, dort es ist ungefährlich«, erwiderte Fiver. »Ich begleite dich. Wenn ich eine Gefahr spüre, sage ich’s – aber das habe ich vorhin nicht gemeint. Ich finde nur, dass etwas Bedrückendes auf unserer Kolonie lastet – als würde sich ein Gewitter zusammenbrauen. Ich kann es nicht genau benennen, aber es beunruhigt mich.«

Sie flitzten über die Backsteinüberführung. Auf dem anderen Ufer war das Gras üppig, der Boden aber zu feucht, also hoppelten sie auf der Suche nach einer trockenen Stelle den Hang hinauf. Die Sonne, die vor ihnen unterging, warf die Schatten der Bäume lang auf das Gras. Vor dem Lattentor, das oben auf dem Hang auf eine Straße führte, hielt Hazel an und machte große Augen.

»Was ist das, Fiver? Schau mal!«

Der Boden war aufgewühlt. Zwei frische Erdhaufen erhoben sich im Gras. Dicke, nach Teeröl und Farbe stinkende Pfosten, fast so hoch wie die Stechpalmen, hielten eine Tafel, die ihren Schatten auf den Hang warf. Neben einem Pfosten lagen noch ein Hammer und einige Nägel.

Beide Kaninchen hoppelten zur Tafel und kauerten sich gegenüber in ein Brennnesseldickicht. Sie rümpften die Nase, weil irgendwo im Gras eine Zigarettenkippe lag. Fiver erschauderte plötzlich und duckte sich tief.

»Oh, Hazel! Hier hat es seinen Ursprung! Jetzt weiß ich’s – etwas Schlimmes steht bevor! Etwas Furchtbares – und es rückt immer näher.«

Er begann, ängstlich zu wimmern.

»Was denn? Was meinst du? Hast du nicht gesagt, hier sei es ungefährlich?«

»Ich weiß nicht, was auf uns zukommt«, antwortete Fiver kläglich. »Im Moment droht noch keine Gefahr. Aber bald – sehr bald. Oh, Hazel, sieh nur! Der Hang! Er ist voller Blut!«

»Sei nicht albern, das ist der Sonnenuntergang. Hör auf, so zu reden, Fiver, du machst mir Angst!«

Fiver hockte zitternd und weinend zwischen den Brennnesseln. Hazel versuchte, ihn zu beruhigen, und zerbrach sich den Kopf darüber, was seinen Bruder so verstört hatte. Wenn er solche Angst hatte, warum brachte er sich dann nicht in Sicherheit wie jedes vernünftige Kaninchen? Fiver wurde immer verzweifelter, er fand keine Worte mehr. Schließlich sagte Hazel: »Fiver, du kannst hier nicht hocken und heulen. Außerdem wird es dunkel. Wir sollten in den Bau zurückkehren.«

»In den Bau zurückkehren?«, wimmerte Fiver. »Glaubst du, er würde verschont bleiben? Er bleibt nicht verschont! Glaub mir, die Hänge sind voller Blut …«

»Schluss damit«, sagte Hazel energisch. »Ich passe auf dich auf. Und wir müssen jetzt zurück, egal, was dich quält.«

Er flitzte den Hang hinab, sprang über den Bach und rannte zur Viehtränke. Dort musste er warten, denn Fiver, von der Stille des Sommerabends umgeben, war hilflos und vor Angst wie gelähmt. Und als Hazel ihn endlich bis zum Graben bugsiert hatte, wollte er nicht unter die Erde. Hazel musste ihn förmlich ins Loch stoßen.

Die Sonne war hinter dem gegenüberliegenden Hang versunken. Der Wind wurde kälter, es kam Regen auf. Bald darauf wichen alle Farben aus dem Himmel, und es wurde dunkel. Die große Tafel knarrte im nächtlichen Wind (als wollte sie beweisen, dass sie sich nicht ins nächtliche Dunkel aufgelöst hatte, sondern dort blieb, wo man sie befestigt hatte), aber es gab niemanden, der die wuchtigen schwarzen Lettern hätte lesen können, die sich gerade wie Klingen über die weiße Grundierung zogen. Sie besagten:

Auf diesen sechs Hektar Bauland in idealer Lage entstehen hochwertige, moderne Wohnhäuser.

Bauträger: Sutch & Martin Limited, Newbury, Berkshire.

2 – Das Oberkaninchen

Der trübe Staatsmann, gramgebeugt und sorgenschwer,Schlich weiter wie ein nächtlich’ Nebelmeer,Nicht ging er, noch verharrte er.

Henry Vaughan,

The World

Hazel erwachte ruckartig in der Dunkelheit und Wärme des Baus. Er trat mit den Hinterläufen aus, weil er glaubte, jemand würde ihn angreifen. Er witterte aber weder Frettchen noch Wiesel, und der Fluchtimpuls blieb aus, und nach einer Weile begriff er, dass Fiver strampelnd und krallend über ihn hinwegzuklettern versuchte, als wollte er panisch einen Drahtzaun überwinden.

»Fiver! Fiver, wach auf, du Dummkopf! Ich bin’s, Hazel. Du tust mir weh. Aufgewacht!«

Er drückte ihn zu Boden. Fiver wehrte sich, dann erwachte er.

»Oh, Hazel! Ich habe geträumt. Es war schrecklich. Du warst auch dabei. Wir saßen auf dem Wasser, trieben auf einem breiten, tiefen Strom, und dann begriff ich, dass wir auf einer Holztafel saßen – wie die beim Tor –, weiß und von schwarzen Strichen bedeckt. Da waren auch andere Kaninchen, Rammler und Zibben. Als ich nach unten guckte, stellte ich fest, dass die Tafel nicht aus Holz, sondern aus Knochen und Draht bestand; und ich schrie, und du sagtest: ›Schwimmt – alle müssen schwimmen‹; und dann suchte ich dich überall und fand dich endlich und wollte dich aus einem Loch in der Böschung ziehen, aber du sagtest: ›Das Oberkaninchen muss allein aufbrechen‹, und danach wurdest du vom Wasser in eine dunkle Röhre geschwemmt.«

»In eine dunkle Röhre geschwemmt? So ein Blödsinn. Können wir jetzt weiterschlafen? Du hättest mir fast die Rippen gebrochen.«

»Hazel – die Gefahr, das drohende Unheil. Es ist nicht gebannt. Es ist da – überall. Glaubst du, ich könnte es einfach vergessen und wieder einschlafen? Wir müssen verschwinden, bevor es zu spät ist.«

»Verschwinden? Von hier? Aus der Kolonie?«

»Ja. Möglichst rasch. Egal wohin.«

»Nur du und ich?«

»Nein, alle.«

»Die ganze Kolonie? Sei nicht albern. Niemand würde mitkommen. Man würde dich für verrückt erklären.«

»Dann wird das Unheil über sie hereinbrechen. Bitte hör auf mich, Hazel. Glaub mir, uns droht etwas Schlimmes. Wir müssen weg.«

»Dann sollten wir zum Oberkaninchen, damit du ihm alles erzählen kannst. Oder ich. Dein Anliegen wird ihm aber ganz und gar nicht gefallen, fürchte ich.«

Hazel lief im abschüssigen Gang voran, danach bergauf bis zu dem Vorhang aus Brombeerranken. Einerseits mochte er Fiver nicht glauben, andererseits wollte er dessen Warnung nicht missachten.

Es war kurz nach ni-Frith, also Mittag. Die gesamte Kolonie hielt sich unter der Erde auf, die meisten schliefen. Hazel und Fiver legten eine kurze Strecke im Freien zurück, dann schlüpften sie auf einem sandigen Fleckchen in ein breites Loch, und wieder ging es in die Tiefe. Der Gang führte bis weit unter den Wald. Zwischen Eichenwurzeln wurden sie von einem großen, massigen Rammler gestoppt, der zur Owsla gehörte. Auf seinem Kopf spross ein hohes Fellbüschel, das ihm ein kurioses Aussehen verlieh. Er hieß Bigwig, wurde aber auch Thlayli3 genannt.

»Hazel?«, fragte Bigwig und beschnupperte ihn im tiefen Zwielicht, das zwischen den Baumwurzeln herrschte. »Du bist Hazel, richtig? Was willst du hier? Und zu dieser Tageszeit?« Er ignorierte Fiver, der weiter hinten im Gang wartete.

»Wir möchten das Oberkaninchen sprechen«, sagte Hazel. »Es ist wichtig, Bigwig. Kannst du uns behilflich sein?«

»Wir?«, fragte Bigwig. »Will der etwa auch zu ihm?«

»Ja, unbedingt. Du musst mir vertrauen, Bigwig. Ich komme nicht oft mit derlei Anliegen, stimmt’s? Habe ich je darum gebeten, zum Oberkaninchen vorgelassen zu werden?«

»Na schön, weil du’s bist, Hazel. Er reißt mir sicher den Kopf ab, aber ich sage ihm, dass du ein vernünftiger Kerl bist. Er sollte das wissen, aber er wird alt. Warte hier, ja?«

Bigwig lief tiefer in den Gang und hielt vor dem Eingang zu einem großen Bau. Nach einem kurzen Wortwechsel, den Hazel nicht verstand, wurde er hineinbefohlen. Beide Kaninchen warteten stumm, Hazel reglos, Fiver nervös zappelnd.

Name und Titel des Oberkaninchens waren in dem Wort Threarah zusammengefasst, was »Lord Eberesche« heißt. Er wurde stets »der Threarah« genannt, vielleicht, weil es im Umkreis der Kolonie nur eine einzige Eberesche oder threar gab. Er verdankte seine Stellung sowohl den Kräften seiner Blütezeit als auch einer unter Kaninchen seltenen Besonnenheit und Selbstbeherrschung. Er war bekannt dafür, sich weder durch Gerüchte noch Bedrohungen aus der Ruhe bringen zu lassen. Während der grässlichen Heimsuchung durch die Myxomatose hatte er einen kühlen Kopf bewahrt und alle, die Krankheitssymptome zeigten, konsequent – manche sagten auch gnadenlos – vertrieben. Der Vorschlag, auszuwandern, war an ihm abgeprallt. Stattdessen hatte er der Kolonie eine strenge Isolation verordnet, die sie vermutlich vor der kompletten Auslöschung bewahrt hatte. Und er hatte ein besonders hartnäckiges Hermelin unter Lebensgefahr in die Fasanengehege, also vor die Flinte eines Jagdhüters gelockt. Bigwig hatte recht, er wurde alt, doch er hatte noch alle Sinne beisammen. Als Hazel und Fiver eintraten, empfing er sie höflich. Owsla wie Toadflax schikanierten und drohten gern. Das hatte der Threarah nicht nötig.

»Ah, Walnut. Du bist doch Walnut, richtig?«

»Hazel«, sagte Hazel.

»Hazel, natürlich. Wie nett von dir, dich zu mir zu bemühen. Ich habe deine Mutter gut gekannt. Und dein Freund …«

»Mein Bruder.«

»Dein Bruder.« In diesen Worten des Threarah schwang die dezente Aufforderung mit, ihn kein weiteres Mal zu berichtigen. »Macht es euch bequem. Darf es etwas Salat sein?«

Der Salat des Oberkaninchens war von der Owsla aus einem Garten geraubt worden, der ein gutes Stück jenseits der Felder lag. Randlinge bekamen Salat nie oder nur selten zu Gesicht. Hazel akzeptierte ein Blättchen und mümmelte höflich daran. Fiver lehnte ab und saß dann nervös blinzelnd und zuckend da.

»Wie geht es euch?«, fragte das Oberkaninchen. »Wie kann ich helfen? Heraus mit der Sprache.«

»Nun ja, Sir«, druckste Hazel, »wir sind wegen meines Bruders hier – Fiver. Er spürt, wenn sich ein Unheil zusammenbraut, und nach meiner Erfahrung liegt er meist richtig. Er hat die Überflutung im letzten Herbst vorausgeahnt, und manchmal weiß er im Voraus, wo Schlingen ausgelegt wurden. Und nun meint er, der Kolonie drohe ein schlimmes Unheil.«

»Schlimmes Unheil. Verstehe. Das klingt beunruhigend«, sagte das Oberkaninchen, dem nicht die geringste Beunruhigung anzumerken war. »Und welches Unheil soll das sein?« Er schaute Fiver an.

»Das weiß ich nicht«, antwortete Fiver. »A-aber es ist etwas Schlimmes. Es ist so sch-schlimm, dass es … richtig schlimm ist«, beschloss er kläglich seine Worte.

Der Threarah wartete höflich ab, dann fragte er: »Nun gut, und was rätst du uns?«

»Wir müssen fortgehen«, antwortete Fiver. »Fortgehen. Alle. Sofort. Threarah, Sir, wir müssen alle von hier verschwinden.«

Der Threarah wartete wieder ab. Dann sagte er zutiefst verständnisvoll: »Nun, eine solche Maßnahme habe ich noch nie ergriffen! Das ist ein bisschen viel verlangt, nicht wahr? Oder was meint ihr?«

»Tja, Sir«, sagte Hazel, »mein Bruder denkt nicht wirklich über die Vorahnungen nach. Er ahnt schlicht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie sind natürlich der Einzige, der zu entscheiden vermag, was zu tun ist.«

»Sehr freundlich von dir, das zu sagen. Ich hoffe, es stimmt. Aber, meine Braven, lasst uns kurz überlegen. Es ist Mai, nicht wahr? Alle haben zu tun, die meisten Kaninchen erfreuen sich des Lebens. Weit und breit keine Elil, das jedenfalls wird mir berichtet. Keine Krankheiten, schönes Wetter. Und ihr wollt mir sagen, wir sollen alle quer durchs Land wandern, mit welchem Ziel auch immer, und uns zig Gefahren aussetzen, weil dieser junge … äh … der junge … äh … weil dein Bruder irgendetwas ahnt? Was würden die anderen wohl dazu sagen, hm? Sie wären gewiss hocherfreut, wie?«

»Sie würden Ihre Entscheidung akzeptieren«, warf Fiver ein.

»Sehr freundlich von dir, das zu sagen«, wiederholte der Threarah. »Vielleicht würden sie das, vielleicht auch nicht. Ich müsste die Sache jedenfalls sorgfältig und gründlich erwägen. Denn es wäre, wie sich von selbst versteht, eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Außerdem …«

»Die Zeit drängt aber, Threarah, Sir«, platzte Fiver heraus. »Ich spüre die Bedrohung so deutlich, als hätte ich eine Schlinge um den Hals – eine Schlinge – Hilfe, Hazel!« Er quiekte und wälzte sich im Sand hin und her, wobei er strampelte wie ein in die Falle gegangenes Kaninchen. Er beruhigte sich erst, als Hazel ihn mit beiden Vorderpfoten auf den Boden drückte.

»Tut mir aufrichtig leid, Oberkaninchen«, sagte Hazel. »So ist er manchmal. Er kommt gleich wieder zu sich.«

»So ein Jammer! So ein Jammer! Armer Kerl, er sollte wohl besser heimkehren und sich ausruhen. Ja, du bringst ihn jetzt besser nach Hause. Wirklich sehr freundlich, dass du dich hierherbemüht hast, Walnut. Das weiß ich zu schätzen. Und ich werde alles, was ihr an mich herangetragen habt, gründlich bedenken, glaubt mir. Bigwig, bleibst du bitte noch kurz?«

Während Hazel und Fiver niedergeschlagen im Gang davonschlichen, bekamen sie mit, wie das Oberkaninchen im Bau einen schärferen Ton anschlug, gelegentlich unterbrochen durch ein »Ja, Sir« oder »Nein, Sir«.

Wie Bigwig prophezeit hatte, wurde ihm der Kopf abgerissen.

3 – Hazels Entscheidung

Was liege ich hier? … wir liegen hier, als sei es uns erlaubt, der Ruhe zu pflegen … Und auf welches Alter warte ich noch für mich selbst?

Xenophon, Anabasis

»Hast du tatsächlich geglaubt, das Oberkaninchen würde auf euch hören, Hazel? Das wäre etwas viel verlangt, oder?«

Es war wieder Abend, und Hazel und Fiver fraßen gemeinsam mit zwei Freunden am Waldrand. Das Kaninchen mit den schwarzen Löffelspitzen, Blackberry, am Vorabend durch Fiver aufgeschreckt, hatte Hazels Beschreibung der Hinweistafel aufmerksam gelauscht und angemerkt, Menschen würden derlei Dinge als Botschaften oder Zeichen hinterlassen wie Kaninchen ihre Markierungen in einem Gang oder Durchschlupf. Ein anderer Nachbar, Dandelion, hatte das Gespräch wieder auf den Threarah und dessen Gleichgültigkeit gegenüber Fivers Befürchtungen gebracht.

»Keine Ahnung, was ich erwartet habe«, sagte Hazel. »Ich war zum ersten Mal beim Oberkaninchen. Ich dachte nur: ›Vielleicht hört er nicht auf uns, aber wir hätten wenigstens alles versucht, um ihn zu warnen.‹«

»Haben wir denn wirklich Anlass zur Sorge?«

»Ganz sicher. Wie du weißt, kenne ich Fiver seit der Geburt.«

Blackberry wollte etwas einwerfen, als sich ein anderes Kaninchen geräuschvoll durch das Bingelkraut am Waldrand schlug, im Graben durch die Brombeeren brach und auf der anderen Seite die Böschung erklomm. Es war Bigwig.

»Hallo, Bigwig«, sagte Hazel. »Dienstfrei?«

»Ja, dienstfrei«, sagte Bigwig, »wahrscheinlich für immer.«

»Wie meinst du das?«

»Ich bin nicht mehr bei der Owsla. So meine ich das.«

»Hoffentlich nicht wegen uns.«

»Doch, irgendwie schon. Der Threarah kann unangenehm werden, wenn er an ni-Frith wegen einer Angelegenheit aus dem Schlummer gerissen wird, die er für banalen Unsinn hält. Und er weiß nur zu gut, wie er jemanden zusammenstauchen kann. Viele Kaninchen hätten wahrscheinlich nichts gesagt und ihm nach dem Mund geredet, aber ich fürchte, das ist nicht mein Ding. Ich habe entgegnet, die Privilegien der Owsla seien mir schnuppe, und ein kräftiges Kaninchen könne die Kolonie jederzeit mit guten Aussichten verlassen. Er riet mir, nichts zu überstürzen und darüber nachzudenken, aber ich werde abhauen. Salat klauen entspricht nicht meiner Vorstellung von einem guten Leben, ganz zu schweigen davon, im Bau Wache zu schieben. Ich bin stinksauer, das kann ich euch sagen.«

»Bald klaut niemand mehr Salat«, merkte Fiver leise an.

»Ah, da bist du ja, Fiver«, sagte Bigwig, der ihn erst jetzt bemerkte. »Prima, ich habe dich gesucht. Was du zum Oberkaninchen gesagt hast, beschäftigt mich. Ist das bloß ein Riesenblödsinn, mit dem du dich wichtigtun willst, oder ist es wahr?«

»Es ist wahr«, antwortete Fiver. »Und es wäre mir lieber, wenn es anders wäre.«

»Soll das heißen, du verlässt die Kolonie?«

Die Unverblümtheit, mit der Bigwig auf den Punkt kam, stieß alle vor den Kopf. Dandelion murmelte: »Die Kolonie verlassen – Frithrah!« Und Blackberry stellte die Löffel auf und sah Bigwig und danach Hazel eindringlich an.

Nach einer Weile ergriff Hazel das Wort. »Fiver und ich werden die Kolonie noch heute Abend verlassen«, erklärte er entschieden. »Ich weiß nicht genau, wohin, aber wer uns begleiten will, kann gern mitkommen.«

»Alles klar«, sagte Bigwig, »ich bin dabei.«

Hazel hätte nie mit der unumwundenen Zusage eines Angehörigen der Owsla gerechnet. Bigwig, ging ihm durch den Kopf, wäre bestimmt nützlich, wenn es hart auf hart ginge, könnte sich im Umgang aber als schwierig erweisen. Er war jemand, der sich von einem Randling nichts befehlen ließe – vermutlich würde er nicht mal einer Bitte nachkommen. »Wenn ich die Kolonie verlasse, dann nicht, um mich von jemandem wie Bigwig herumkommandieren zu lassen«, dachte Hazel, »Owsla hin oder her.« Er sagte aber nur: »Wunderbar. Gut, dich an unserer Seite zu wissen.«

Er ließ den Blick über die anderen Kaninchen gleiten, die entweder Bigwig oder ihn selbst anstarrten.

»Ich bin auch dabei«, sagte Blackberry nach einer Weile. »Aber nicht allein wegen dir, Fiver. In dieser Kolonie gibt es schlicht zu viele Rammler, für Kaninchen, die nicht in der Owsla sind, ist das Leben also kein Vergnügen. Schon komisch, denn du fürchtest dich davor, zu bleiben, und ich habe Angst davor, mich auf den Weg zu machen. Da Füchse, dort Wiesel, Fiver mittendrin – adieu, öde Alltagsroutine!«

Er rupfte ein Wiesenknopfblatt ab, das er gemächlich fraß, um seine Angst zu vertuschen; jeder seiner Instinkte warnte ihn vor den Gefahren der unbekannten Weiten jenseits der Kolonie.

»Wenn wir Fiver glauben«, merkte Hazel an, »heißt das auch, dass eigentlich keiner von uns bleiben dürfte. Bis zu unserem Aufbruch sollten wir also versuchen, möglichst viele davon zu überzeugen, sich uns anzuschließen.«

»Ich kenne ein, zwei Angehörige der Owsla, die uns vielleicht begleiten«, sagte Bigwig. »Sie sind genauso jung und unzufrieden wie ich. Im Erfolgsfall bringe ich sie mit. Ich bezweifele aber, dass sie wegen dir mitkommen, Fiver. Man muss dich selbst gehört haben, um dir zu glauben. Mich hast du überzeugt. Du hast eine Botschaft empfangen, ganz klar, und ich glaube an so etwas. Warum es dir nicht gelungen ist, den Threarah zu überzeugen, ist mir ein Rätsel.«

»Der Threarah lehnt alles ab, worauf er nicht selbst gekommen ist«, meinte Hazel. »Aber er kann uns egal sein. Wir müssen andere überzeugen, mit uns fortzugehen, und fu Inlé versammeln wir uns wieder hier, an diesem Ort, um aufzubrechen: Die Zeit drängt. Die Bedrohung – welcher Art auch immer – rückt näher, und wenn der Threarah mitbekäme, dass du andere Owsla bearbeitest, Bigwig, würde ihm das nicht gefallen. Genauso wenig Hauptmann Holly. Auf kleine Lichter wie uns können sie verzichten, auf jemanden wie dich aber nicht. Ich an deiner Stelle würde mir sehr gründlich überlegen, mit wem ich rede.«

4 – Der Aufbruch

Der junge FortinbrasHat nun, von wildem Feuer heiß und voll,An Norwegs Ecken hier und da ein HeerLandloser Abenteurer aufgerafft,Für Brot und Kost, zu einem Unternehmen,Das Herz hat […].

Shakespeare, Hamlet

Fu Inlé bedeutet »nach Mondaufgang«. Kaninchen haben natürlich keinen genauen Begriff von Zeit oder Pünktlichkeit. Damit sie gemeinsam handeln können, braucht es ein telepathisches Gefühl, das sie erfasst und in ihnen reift, bis allen bewusst wird, dass sie bereit sind. Die Schwalben versammeln sich im September zwitschernd auf Telefonleitungen, fliegen einzeln oder als Gruppen über die Stoppelfelder und bilden immer längere Spaliere über dem vergilbenden Gras der Wegränder – Hunderte Vögel, die sich in wachsender Aufregung zu kleinen Schwärmen verbinden, die wiederum zu einem riesigen, ungeordneten Schwarm verschmelzen, im Zentrum dicht gedrängt, an den Rändern ausfransend, ständig auseinanderstiebend und wieder zusammenfindend wie Wolken oder Wellen. Erst wenn die Mehrheit der Vögel (wenn auch nicht alle) merkt, dass die Zeit reif ist, brechen sie auf, dann treten sie ihren langen Zug nach Süden an, den viele nicht überleben; wer dies beobachtet hat, ist Zeuge des telepathischen Gefühls zwischen Geschöpfen geworden, die sich weniger (wenn überhaupt) als Individuen begreifen, sondern vielmehr als Teil einer Gemeinschaft, jenes Gefühls, das sie ohne bewusste Entscheidung oder Willensanstrengung handeln lässt. Wer dies beobachtet hat, hat den Engel gesehen, der den ersten Kreuzzug nach Antiochien trieb und die Lemminge dazu bringt, sich ins Meer zu stürzen.

Hazel und Fiver verließen ihren hinter Brombeeren verborgenen Bau schon eine Stunde vor Mondaufgang und huschten durch den Graben. Sie wurden von einem dritten Kaninchen begleitet, Hlao – Pipkin –, ein Freund Fivers. Hlao bezeichnet Mulden im Gras, in denen sich Feuchtigkeit sammelt, etwa die kleinen Senken, in denen Löwenzahn oder Disteln wurzeln. Auch er war klein und ängstlich, und Hazel und Fiver hatten den größten Teil des Abends damit verbracht, ihn zum Mitkommen zu überreden. Pipkin hatte erst nach langem Zögern eingewilligt. Er fürchtete sich vor dem, was ihnen nach Verlassen der Kolonie zustoßen könnte, und er hatte beschlossen, zu seinem Schutz immer dicht bei Hazel zu bleiben und dessen Anweisungen genau zu befolgen.

Die drei saßen noch im Graben, als Hazel hörte, wie sich oben etwas regte. Er blickte auf.

»Wer da?«, fragte er. »Dandelion?«

»Nein, ich bin’s, Hawkbit«, antwortete das Kaninchen, das über die Böschung äugte. Es sprang und landete mit einem dumpfen Aufprall zwischen ihnen. »Erinnerst du dich an mich, Hazel? Wir haben während des Schnees im letzten Winter einen Bau geteilt. Dandelion hat erzählt, dass ihr die Kolonie heute Abend verlasst. Wenn das stimmt, komme ich mit.«

Hazel erinnerte sich an Hawkbit – ein träges, nicht besonders kluges Kaninchen, dessen Gesellschaft während der fünf Schneetage extrem langweilig gewesen war. Andererseits, dachte er, konnten sie es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Vielleicht hatte Bigwig ein oder zwei Kaninchen überzeugen können, aber die Mehrheit würde wohl nicht aus der Owsla stammen. Stattdessen wären es Randlinge, die ihr Leben ändern wollten, weil sie nicht besonders viel davon hatten. Er ging einige von ihnen in Gedanken durch, als Dandelion erschien.

»Je rascher wir abhauen, desto besser«, sagte er. »Mir ist nicht wohl bei der Sache. Nachdem ich Hawkbit überzeugt hatte, wollte ich weitere ansprechen, musste aber feststellen, dass dieser Toadflax mir durch den Gang gefolgt war. ›Was treibst du hier, wenn ich fragen darf?‹, wollte er wissen, und er hat mir sicher nicht geglaubt, als ich meinte, ich würde nach Kaninchen suchen, die die Kolonie verlassen wollten. Er wollte wissen, ob ich etwas gegen den Threarah im Schilde führe, und er wurde schrecklich wütend und misstrauisch. Das hat mich eingeschüchtert, und deshalb habe ich niemanden mehr angesprochen und nur Hawkbit mitgebracht.«

»Ist schon gut«, sagte Hazel. »Ich kenne Toadflax, und es wundert mich, dass er gefragt hat, ohne vorher zugeschlagen zu haben. Wir warten trotzdem noch. Blackberry müsste gleich da sein.«

Die Zeit verstrich. Sie hockten stumm da, während sich die Schatten, die der Mond aufs Gras warf, nach Norden bewegten. Schließlich, Hazel wollte schon den Hang hinab zu Blackberrys Bau eilen, verließ dieser sein Loch, gefolgt von nicht weniger als drei Kaninchen. Eines, Buckthorn, war Hazel gut bekannt. Er war kräftig und zäh und wäre nach dem Erreichen seines vollen Gewichts zweifellos in die Owsla aufgenommen worden. Hazel war froh, dass er mitkam.

»Andererseits ist er oft ungeduldig«, dachte er, »oder es wurmt ihn bis heute, beim Kampf um eine Zibbe unterlegen zu sein. Sollten wir in einen Kampf verwickelt werden, dann hätten wir mit ihm und Bigwig allerdings gute Chancen.«

Die anderen beiden Kaninchen kannte er nicht, und ihre Namen – Blackberry stellte sie als Speedwell und Acorn vor – sagten ihm auch nichts. Was keineswegs überraschend war, denn es handelte sich um typische Randlinge – sechs Monate alt und mager, mit der argwöhnischen, angespannten Ausstrahlung jener, die stets zu kurz kommen. Sie betrachteten Fiver voller Neugier. Nach allem, was Blackberry erzählt hatte, erwarteten sie, dass Fiver das drohende Verhängnis in einem Sturzbach poetischer Worte schildern würde. Stattdessen wirkte er gefasster und normaler als alle anderen. Die Gewissheit des Aufbruchs hatte ihm eine Last von den Schultern genommen.

Wieder schlich die Zeit dahin. Blackberry hoppelte zum Farnkraut, kehrte zur Böschung zurück und hampelte nervös und schreckhaft herum. Hazel und Fiver blieben unten im Graben und zupften halbherzig am Gras. Endlich hörte Hazel, worauf er gewartet hatte; ein Kaninchen – oder waren es zwei? – kam aus dem Wald auf sie zu.

Kurz darauf erschien Bigwig im Graben, gefolgt von einem forsch wirkenden, vierschrötigen Kaninchen, vermutlich etwas älter als ein Jahr. In der Kolonie kannten es alle vom Sehen, denn es hatte graues Fell mit weißen Flecken, die, als es sich wortlos kratzte, im Mondschein glänzten. Es war Silver, ein Neffe des Threarah, seit einem Monat in der Owsla.

Hazel war froh, dass Bigwig nur Silver mitgebracht hatte – ein stiller, zuverlässiger Kerl, der seinen Platz unter den Veteranen noch nicht gefunden hatte. Als Bigwig erklärt hatte, sich in der Owsla umhören zu wollen, hatte Hazel Bedenken gehabt. Andererseits würden sie außerhalb der Kolonie Gefahren trotzen müssen, ein paar gute Kämpfer wären also nützlich. Und wenn Fiver recht hätte, also die gesamte Kolonie bedroht wäre, dann müssten sie jedes Kaninchen, das sich ihnen anschließen wollte, mit offenen Armen empfangen. Sich um Kaninchen wie Toadflax zu bemühen wäre aber zwecklos.

»Egal, wo wir uns am Ende ansiedeln«, dachte Hazel, »ich lasse ganz sicher nicht zu, dass man Pipkin und Fiver schikaniert und herumschubst, bis sie jedes Risiko in Kauf nehmen, nur um zu entkommen. Ob Bigwig das auch so sieht?«

»Du kennst Silver, richtig?«, unterbrach Bigwig Hazels Gedanken. »Ein paar jüngere Owsla haben ihn gemobbt – sie haben ihn wegen seines Fells verhöhnt und behauptet, er sei nur dank des Threarah aufgenommen worden. Eigentlich hatte ich erwartet, noch ein paar überzeugen zu können, aber in der Owsla scheint nahezu jeder das Gefühl zu haben, besser könne es ihm nicht gehen.«

Er warf einen Blick in die Runde. »Viele sind wir ja nicht. Sollen wir das wirklich durchziehen?«

Silver schien etwas sagen zu wollen, als im Unterholz des Waldes ein Getrappel ertönte. Dann tauchten drei weitere Kaninchen auf. Sie bewegten sich zielstrebiger und energischer als jene, die zuvor erschienen waren. Der Größte lief an der Spitze, die anderen beiden folgten gehorsam. Hazel, der sofort spürte, dass sie ein anderes Ziel verfolgten als er und seine Gefährten, richtete sich erschrocken auf. Fiver murmelte ihm ins Ohr: »Oh, Hazel, sie sind da, um …«, verstummte aber sofort. Bigwig wirbelte zu den Ankömmlingen herum, seine Schnauze zuckte rasant. Alle drei hielten direkt auf ihn zu.

»Thlayli?«, sagte der Anführer.

»Du kennst mich«, entgegnete Bigwig, »und ich kenne dich, Holly. Was willst du?«

»Du bist verhaftet.«

»Verhaftet? Was soll das heißen? Wieso?«

»Anstiftung zur Meuterei und Verbreitung abweichlerischer Ideen. Silver, du bist auch verhaftet, weil du Toadflax heute Abend keinen Bericht erstattet und deine Pflichten einem Kameraden aufgebürdet hast. Mitkommen, alle beide.«

Bigwig griff sofort an, er kratzte und trat. Holly wehrte sich. Seine zwei Begleiter waren bereit einzugreifen, sobald sich eine Lücke auftat. Da stürzte sich Buckthorn kopfüber von der Böschung in den Kampf. Im Sprung schickte er einen Gegner mit dem Tritt eines Hinterlaufs zu Boden, danach kämpfte er gegen den anderen. Kurz darauf landete Dandelion mit voller Wucht auf dem Kaninchen, das von Buckthorn umgeworfen worden war. Beide Gegner wichen zurück, sahen sich um und hetzten die Böschung hinauf in den Wald. Holly entwand sich Bigwig, hockte sich auf die Hinterläufe, scharrte mit den Vorderpfoten und knurrte, wie es wütende Kaninchen tun. Er wollte etwas sagen, aber Hazel baute sich vor ihm auf.

»Verschwinde«, sagte Hazel leise, aber entschlossen. »Oder wir töten dich.«

»Hast du eine Ahnung, was du tust?«, entgegnete Holly. »Ich bin Hauptmann der Owsla. Das ist dir klar, oder?«

»Verschwinde«, wiederholte Hazel, »oder du wirst getötet.«

»Wenn hier jemand getötet wird, dann ihr«, erwiderte Holly. Er erklomm wortlos die Böschung und verschwand im Wald.

Dandelion blutete aus einer Schulterwunde. Er leckte sie eine Weile, dann drehte er sich zu Hazel um.

»Sie kommen zurück, Hazel«, sagte er. »Sie alarmieren die Owsla, und dann sind wir geliefert.«

»Wir müssen sofort aufbrechen«, sagte Fiver.

»Ja, höchste Zeit«, meinte Hazel. »Los, runter zum Bach. Dort folgen wir dem Ufer – so bleiben wir beisammen.«

»Wenn du meinen Rat hören willst …«, begann Bigwig.

»Wenn wir noch länger bleiben, kann ich das nicht mehr«, sagte Hazel.

Begleitet von Fiver, führte er die anderen den Hang hinunter. Keine Minute später war die kleine Kaninchentruppe in der Mondnacht untergetaucht.

5 – Im Wald

Die jungen Kaninchen […] müssen fortgehen, wenn sie überleben wollen. Wild und ungebunden, wie sie sind […], wandern sie teils meilenweit […], wandern, bis sie ein geeignetes Umfeld finden.

R. M. Lockley, The Private Life of the Rabbit

Kurz bevor der Mond unterging, schlugen sie sich in den Wald. Sie waren dem Bach durch Felder und Wiesen gefolgt, ein beschwerlicher Weg, auf dem sie wiederholt auseinandergerissen worden waren. Hazel vermutete zwar, dass sie sich weiter von der Kolonie entfernt hatten als irgendjemand zuvor, aber waren sie in Sicherheit? Und während er – nicht zum ersten Mal – auf Verfolger horchte, betrachtete er die dunkle Wand der Bäume, zwischen denen der Bach verschwand.

Kaninchen meiden dichte Wälder, in denen kein Gras gedeiht, weil sie schattig und feucht sind und das Unterholz bedrohlich wirkt. Hazel flößten die Bäume keine Angst ein. Holly dagegen würde wahrscheinlich davor zurückschrecken. Besser, sie folgten dem Verlauf des Bachs, als kreuz und quer über Wiesen und Felder zu irren und zu riskieren, sich in der Kolonie wiederzufinden. Hazel entschied sich für den Wald, ohne dies mit Bigwig abzusprechen, und vertraute darauf, dass ihm die anderen folgten.

»Wenn uns der Bach quer durch den Wald führen würde«, dachte er, »hätten wir die Kolonie hinter uns gelassen und könnten einen Ort für eine Rast suchen. Die meisten wirken noch munter, aber Fiver und Pipkin geht sicher bald die Puste aus.«

Kaum hatte er den Wald betreten, da witterte er feuchtes Laub und Moos, und überall ertönten Geräusche. Der Bach floss zwischen den Bäumen in einen Teich, das Plätschern hallte im Wald wie in einer Höhle. Über ihm raschelten nistende Vögel; Laub rauschte in der nächtlichen Brise; hin und wieder fielen trockene Zweige ab. Und weiter entfernt erklangen Geräusche, die er nicht einordnen konnte; unheimliche Geräusche, verursacht durch Bewegungen.

Für Kaninchen stellt alles Unbekannte eine Gefahr dar. Zuerst erschrecken sie, dann fliehen sie. In diesem Wald erschraken sie so oft, dass sie rasch erschöpft waren. Was verursachte die Geräusche, und wo in dieser Wildnis Zuflucht suchen?

Die Kaninchen scharten sich zusammen. Sie wurden langsamer. Sie verloren den Bach aus den Augen, eilten wie auf der Flucht über mondhelle Stellen und hockten mit großen Augen und gereckten Löffeln im Gebüsch. Der Mond stand jetzt tief, und wenn sein Licht zwischen den Bäumen hindurchfiel, wirkte es gelblicher, zäher, älter.

Hazel hatte sich im dichten Laub unter einer Stechpalme versteckt und beobachtete einen schmalen Pfad, auf beiden Seiten gesäumt von üppigen Weidenröschen und Farnkraut. Eine leichte Brise ließ die Farnwedel schwanken, einige letztjährige Eicheln lagen unter einem Baum. Auf dem Pfad selbst war kein Tier zu sehen, aber was verbarg sich im Farnkraut? Was hinter der nächsten Biegung? Und was würde passieren, wenn sie aus der Deckung der Stechpalme auf den Pfad flitzten? Er wandte sich an den neben ihm sitzenden Dandelion.

»Besser, ihr wartet hier«, sagte er. »Wenn ich die Biegung erreiche, trommele ich. Wenn ich in Gefahr gerate, musst du die anderen in Sicherheit bringen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er die Deckung und flitzte auf dem Pfad davon. Sekunden später erreichte er die Eiche. Dort hielt er inne und sicherte, dann lief er zur Biegung. Der im erlöschenden Mondschein liegende Pfad war auch dort verwaist und fiel sanft bis zu einem finsteren Stechpalmengehölz ab. Hazel huschte ins Farnkraut und trommelte mit den Hinterläufen auf den Boden. Kurz darauf kam Dandelion angesaust. Hazel bemerkte trotz seiner Angst und Anspannung, wie schnell Dandelion war – dieser hatte den Weg blitzartig zurückgelegt.

»Gut gemacht«, flüsterte Dandelion. »Du setzt dich Gefahren aus, um sie uns zu ersparen – wie El-ahrairah.«

Hazel sah ihn dankbar an. Das Lob wärmte sein Herz und machte ihm Mut. Was Robin Hood den Engländern oder John Henry den Afroamerikanern bedeutet, das bedeutet Elil-Hrair-Rah oder El-ahrairah – der Prinz mit den tausend Feinden – den Kaninchen. Onkel Remus könnte durchaus von ihm gehört haben, denn manche Abenteuer von El-ahrairah entsprechen jenen Meister Lampes. Sogar Odysseus könnte sich ein, zwei Tricks vom Helden der Kaninchen abgeschaut haben, der nie um eine Idee verlegen ist, wenn es darum geht, Feinde auszutricksen. Einmal, so heißt es, musste er auf dem Heimweg einen Fluss überqueren, in dem ein großer, hungriger Hecht lebte. El-ahrairah kämmte sich, bis das ausgerupfte Fell für ein Kaninchen reichte, das er aus Lehm geformt hatte. Er stieß es ins Wasser, und der Hecht stürzte sich darauf und schlug seine Zähne hinein, ließ aber angewidert davon ab. Nach einer Weile trieb es ans Ufer. El-ahrairah wartete, dann warf er es noch einmal hinein. Er wiederholte dies innerhalb kurzer Zeit so oft, bis der Hecht genug hatte und El-ahrairah unbehelligt durch den Fluss schwimmen und heimkehren konnte. Manche Kaninchen sagen, er bestimme das Wetter, denn Wind, Feuchtigkeit und Tau sind im Kampf die Verbündeten der Kaninchen.

»Hazel, wir sollten hier rasten«, sagte Bigwig, der sich keuchend zwischen seine kauernden Gefährten schob. »Es ist kein idealer Ort, ich weiß, aber Fiver und die andere halbe Portion, die du mitgeschleppt hast, sind ziemlich alle. Wenn wir keine Rast einlegen, sind sie bald am Ende.«

Tatsächlich waren alle müde. Viele Kaninchen verbringen ihr gesamtes Leben an einem Ort und legen bestenfalls kurze Strecken zurück. Sie leben und schlafen zwar manchmal monatelang im Freien, nur muss ein Loch in erreichbarer Nähe sein, das als Zuflucht dienen kann. Sie kennen zwei Gangarten: Das gemächliche Hoppeln, wenn sie sich an Sommerabenden vor ihrem Bau aufhalten, und die blitzartige Flucht. Schwer vorstellbar, dass Kaninchen ausdauernd eine lange Strecke zurücklegen; dafür sind sie nicht geschaffen. Jungkaninchen bewältigen auf Wanderschaft zwar sehr weite Entfernungen, aber das ist die Ausnahme.

Es war also eher widernatürlich, dass Hazel und seine Gefährten in dieser Nacht einen so weiten Weg zurückgelegt hatten, obendrein zum ersten Mal. Sie hatten versucht, beisammenzubleiben, und doch waren manche hinterhergehinkt. Sie hatten sich, was ihnen schwergefallen war, um eine regelmäßige Gangart zwischen Hoppeln und Rennen bemüht. Seit dem Betreten des Waldes waren sie tief verängstigt. Manche standen kurz vor dem Tharn – eine Lähmung, die verängstigte oder erschöpfte Kaninchen erfasst, ein Zustand, in dem sie starren Blicks mitansehen, wie sich ihre Feinde – Wiesel oder Menschen – nähern, um sie zu töten. Pipkin hockte zitternd und mit schlaffen Ohren unter einem Farn und leckte in seinem Elend eine verrenkt erhobene Pfote. Fiver war besser dran, er wirkte zwar müde, schien aber guten Mutes zu sein. Hazel sah ein, dass sie rasten mussten; weiterzustolpern und womöglich einem Feind zu begegnen, gegen den sie in ihrer Kraftlosigkeit nichts ausrichten konnten, wäre zu riskant. Andererseits könnten sie von ihren Sorgen übermannt werden, wenn sie hier, wo es weder Futter noch Zuflucht gab, ins Grübeln kommen würden. Ihre Ängste würden die Oberhand gewinnen, vielleicht würden sie sich trennen oder gar versuchen, zur Kolonie zurückzukehren. Da hatte er eine Idee.

»Gut, wir rasten hier im Farn«, sagte er. »Wie wäre es, wenn du uns eine Geschichte erzählst, Dandelion. Ich weiß, du hast ein Talent dafür. Pipkin kann es kaum erwarten, sie zu hören.«

Ein Blick auf Pipkin, und Dandelion begriff, wieso Hazel ihn darum bat. Pipkin fürchtete sich in diesem unheimlichen Wald ohne jeden Grashalm, vor den Eulen, die nun, kurz vor Tagesanbruch, mit lauten Rufen zu ihren Nestern zurückkehrten, und vor dem ungewöhnlich penetranten Tiergeruch, den sie in der Nähe wittern konnten, doch er verdrängte seine Angst und begann.

6 – Die Segnung von El-ahrairah

Weder war ich grausam,Noch entzog ich ihm die Hand.Er sollte nur lieben, was da war,Bevor die Welt entstand.

Yeats, A Woman Young and Old

»Vor langer Zeit erschuf Frith die Welt. Er erschuf alle Sterne, auch die Welt ist ein Stern. Dies tat er, indem er seine Köttel am Himmel verteilte, deshalb gibt es so viel Gras und so viele Bäume. Frith ließ die Bäche fließen. Wenn er über den Himmel zieht, folgen sie ihm, und wenn er den Himmel verlässt, suchen sie ihn über Nacht. Frith erschuf die Vögel und Tiere, und anfangs waren alle gut Freund. Spatz und Turmfalke lebten in Eintracht, beide fraßen Samen und Fliegen. Genauso Fuchs und Kaninchen, beide fraßen Gras. Und es gab reichlich Gras und reichlich Fliegen, weil die Welt jung war und Frith sein helles und warmes Licht tagsüber ununterbrochen verströmte.

Auch El-ahrairah gehörte damals zu diesen Tieren, und er hatte viele Zibben. Er hatte so viele Zibben, dass man sie nicht zählen konnte, und die Zibben warfen so viele Junge, dass sogar Frith den Überblick verlor, und sie fraßen das Gras und den Löwenzahn und den Salat und den Klee, und El-ahrairah war der Vater von allen.« (Bigwig brummte anerkennend.) »Und nach einiger Zeit«, fuhr Dandelion fort, »nach einiger Zeit wurde das Gras spärlicher, und die Kaninchen zogen in die Welt hinaus, und währenddessen fraßen sie und vermehrten sich.

Da sprach Frith zu El-ahrairah: ›Prinz der Kaninchen, wenn du dein Volk nicht zügeln kannst, muss ich eine Möglichkeit finden, dies zu tun. Ich hoffe, du verstehst.‹ El-ahrairah wollte aber nicht verstehen und erwiderte: ›Auf dieser Welt gibt es keine stärkere Art als meine, denn sie vermehrt sich rascher und frisst mehr als alle anderen. Niemand liebt dein Licht und deine Wärme inniger, was beweist, wie sehr wir Kaninchen Frith, unseren Herrn, verehren. Ihr müsst einsehen, Herr, wie wichtig wir sind, und dürft unser herrliches Leben nicht trüben.‹

Frith hätte El-ahrairah auf der Stelle töten können, verzichtete aber darauf, weil er Gefallen an dessen Schabernack und Streichen fand. Und so beschloss er, ihn nicht durch seine unermessliche Macht zur Vernunft zu bringen, sondern durch einen Trick. Er gab bekannt, eine große Zusammenkunft abhalten zu wollen, bei der alle Tiere und Vögel ein Geschenk erhalten sollten, damit sie sich voneinander unterschieden. Alle Geschöpfe brachen auf zum Ort der Zusammenkunft. Nur hatte Frith dafür gesorgt, dass sie alle zu unterschiedlichen Zeitpunkten eintrafen. Als die Amsel erschien, schenkte er ihr den schönen Gesang, und als die Kuh erschien, erhielt sie ihre spitzen Hörner und ihre Furchtlosigkeit gegenüber allen anderen Geschöpfen. So erschienen alle nacheinander, auch Fuchs und Marder und Wiesel. Und Frith schenkte ihnen die Listigkeit und die Mordlust und das Verlangen, die Kinder von El-ahrairah zu fressen. Als sie Frith verließen, waren sie von dem brennenden Wunsch erfüllt, Kaninchen zu töten.

El-ahrairah war währenddessen damit beschäftigt, zu tanzen und sich zu paaren und zu prahlen, er werde auf der Zusammenkunft ein prächtiges Geschenk von Frith erhalten. Schließlich brach er auf zum Ort der Zusammenkunft. Auf dem Weg dorthin rastete er auf einem weichen, sandigen Hang. Und während er sich ausruhte, flog ein Mauersegler über den Hügel und schrie: ›Du! Du! Du!‹ Denn wie man weiß, ist das seit jenem Tag sein Ruf. El-ahrairah sah zu ihm auf und fragte: ›Was ist mit mir?‹

›Ach‹, antwortete der Mauersegler, ›ich möchte nicht an deiner Stelle sein, El-ahrairah. Denn Frith hat dem Fuchs und dem Wiesel hinterlistige Herzen und spitze Zähne geschenkt, der Katze lautlose Pfoten und Augen, die im Dunkeln sehen können, und sie haben den Ort der Zusammenkunft verlassen, um zu töten und zu fressen, was El-ahrairah sein Eigen nennt.‹ Damit sauste er über die Hügel. In diesem Augenblick hörte El-ahrairah, wie Frith nach ihm rief. ›Wo ist El-ahrairah? Alle anderen haben ihr Geschenk erhalten und sind gegangen, und ich suche ihn.‹

Da begriff El-ahrairah, dass Frith zu klug für ihn war, und er bekam Angst. Er glaubte, Fuchs und Wiesel würden Frith begleiten, und er drehte sich zum Hang herum. Er wollte ein Loch graben, war aber noch nicht weit gekommen, als Frith ohne Begleitung über den Hügel kam. Und er sah El-ahrairahs Hinterteil aus dem Loch ragen, und er sah, wie der Sand beim Graben in Fontänen nach hinten flog. Bei diesem Anblick rief er aus: ›Mein Freund, hast du El-ahrairah gesehen? Ich bin auf der Suche nach ihm, weil ich ihm etwas schenken will.‹ ›Nein‹, antwortete El-ahrairah, ohne zum Vorschein zu kommen, ›ich habe ihn nicht gesehen. Er ist weit weg. Er war verhindert.‹ Also sagte Frith: ›Dann komm du aus dem Loch, damit ich dich an seiner Stelle segnen kann.‹ ›Nein, unmöglich‹, sagte El-ahrairah, ›ich bin beschäftigt. Fuchs und Wiesel sind im Anmarsch. Wenn ihr mich segnen wollt, dann segnet, was aus dem Loch ragt.‹«

Alle Kaninchen hatten diese Geschichte gehört: An Winterabenden, wenn ein eisiger Wind durch die Gänge pfiff und Schneematsch draußen die Mulden der Pfade füllte; und an Sommerabenden im Gras, unter Rotdorn und Holunder, dessen Blüten süßlich nach Verwesung dufteten. Dandelion erzählte so gut, dass sogar Pipkin Müdigkeit und Gefahren vergaß und sich an die Überlebenskraft der Kaninchen erinnerte. Jeder von ihnen sah sich als El-ahrairah, der Frith gegenüber frech werden konnte und damit davonkam.

»Dann«, sagte Dandelion, »spürte Frith seine Verbundenheit mit dem einfallsreichen El-ahrairah, der nicht einmal dann aufgeben wollte, wenn Fuchs und Wiesel nahten. Und er sprach: ›Nun gut, dann segne ich, was aus dem Loch ragt. Hinterläufe, kräftig sollt ihr sein für alle Zeiten und das Leben eures Meisters retten, und eine Warnung für alle komme hinzu. So sei es!‹ Und während er sprach, wurde die Blume von El-ahrairah strahlend weiß und leuchtete wie ein Stern; und seine Hinterläufe wurden lang und kräftig, und er trommelte mit ihnen auf den Hang, bis die Käfer von den Grashalmen fielen. Er zwängte sich aus dem Loch und sauste so blitzschnell über die Hügel wie kein anderes Geschöpf auf Erden. Und Frith rief ihm nach: ›El-ahrairah, dein Volk wird die Welt nicht beherrschen, denn das ist nicht mein Wille. Die ganze Welt wird dein Feind sein, Prinz mit den tausend Feinden, und wenn man dich schnappt, dann wird man dich töten. Aber man muss dich erst einmal schnappen, Grabender, Hellhöriger, Sausewind, Prinz, der alle Gefahren wittert. Sei listig und findig, und man wird deine Art nie vernichten.‹ El-ahrairah missfiel es, veralbert zu werden; zugleich begriff er, dass Frith sein Freund war. Abends, wenn Frith nach getaner Arbeit still und ruhig am roten Himmel steht, verlassen El-ahrairah, seine Kinder und Kindeskinder deshalb ihre Löcher und spielen und fressen unter seinen Augen, denn er ist ihr Freund, und er hat ihnen versichert, niemand werde sie je vernichten.«

7 – Der Lendri und der Fluss

Quant au courage moral, il avait trouvé fort rare, disait-il, celui de deux heures après minuit; c’est-à-dire le courage de l’improviste.

Napoleon

Dandelion hatte seine Geschichte gerade beendet, als Acorn, der am windzugewandten Rand der Gruppe saß, unvermittelt erschrak und mit gereckten Löffeln und zuckenden Nüstern in die Höhe schnellte. Der sonderbar penetrante Geruch war stärker als zuvor, und kurz darauf vernahmen alle, wie sich in der Nähe ein schweres Geschöpf regte. Dann wurden die Farnwedel auf der anderen Seite des Pfades geteilt, und ein länglicher, schwarz-weiß gestreifter, hundeähnlicher Kopf kam zum Vorschein. Die gesenkte Schnauze hing dicht über dem Boden, das Maul schien zu grinsen, dahinter zeichnete sich ein zottiger, schwarzer Körper mit mächtigen Pfoten ab. Die Kaninchen wurden von Augen ins Visier genommen, in denen eine grausame Verschlagenheit funkelte. Das Geschöpf schaute träge in beide Richtungen des dunklen Pfads, danach richtete es seinen beängstigend blutrünstigen Blick wieder auf die Kaninchen. Das Maul tat sich auf, bis die Zähne zu sehen waren, weiß schimmernd wie die Streifen auf dem Kopf. Das Tier starrte sie lange an, und die stummen Kaninchen erwiderten seinen Blick. Schließlich huschte Bigwig, der dem Pfad am nächsten war, zwischen seine Gefährten.

»Ein Lendri4«, murmelte er, während er sich durch die anderen drängelte. »Vielleicht ist er gefährlich, vielleicht auch nicht, aber wir dürfen nichts riskieren. Lasst uns abhauen.«

Sie folgten ihm durchs Farnkraut und stießen nach kurzer Zeit auf einen weiteren, parallel verlaufenden Pfad. Auf den bog Bigwig ein und lief los. Dandelion eilte zu ihm, und beide verschwanden zwischen den Stechpalmen. Hazel und die anderen folgten, so gut es ging; Pipkin, getrieben von seiner Angst, humpelte und stolperte trotz einer schmerzenden Pfote hinterdrein.

Hazel durchquerte das Stechpalmengehölz und folgte dem Pfad um eine Biegung. Dort stoppte er abrupt und richtete sich auf. Bigwig und Dandelion saßen vor ihm auf einer hohen, steilen Böschung. Dahinter verlief ein Gewässer, genauer das Flüsschen Enborne, vier bis fünf Meter breit und zu dieser Jahreszeit einen knappen Meter tief, in den Augen der Kaninchen aber ein unvorstellbar großer Strom. Der Mond war fast untergegangen, die Nacht finster, aber das schwach schimmernde Wasser war zu erkennen, am jenseitigen Ufer zeichnete sich ein schmaler Streifen aus Haselnusssträuchern und Erlen ab. Ein Regenpfeifer rief in der Ferne drei oder vier Mal und verstummte.

Die anderen kamen nacheinander an und blickten von der hohen Uferböschung stumm und reglos auf das Wasser. Die kalte Brise ließ sie erzittern.

»Das ist mal eine Überraschung, Hazel«, sagte Bigwig zu guter Letzt. »Oder hast du das geahnt, als du uns in den Wald geführt hast?«

Hazel erinnerte sich trotz seiner Müdigkeit daran, dass Bigwig auch bockig sein konnte. Er war sicher kein Feigling, würde aber nur dabeibleiben, solange er Gewissheit hatte. Für ihn war Ratlosigkeit schlimmer als jede Gefahr; wenn er ratlos war, wurde er wütend. Fivers Warnung hatte ihn aufgewühlt, und er war dem Threarah gegenüber ausfallend geworden und hatte der Owsla den Rücken gekehrt. Er hatte noch geschwankt, ob er die Kolonie tatsächlich verlassen sollte oder nicht, als Hauptmann Holly erschienen war, und der anschließende Kampf hatte ihn veranlasst, gemeinsam mit den anderen zu verschwinden. Der Fluss verunsicherte ihn jedoch, und wenn er länger im Ungewissen bliebe, würde er Ärger machen. Hazel dachte an die listige Höflichkeit des Threarah.

»Ohne dich wären wir verloren gewesen, Bigwig«, sagte er. »Was war das für ein Tier? Hätte es uns töten können?«

»Ein Lendri«, antwortete Bigwig. »In der Owsla hat man von ihnen erzählt. Sie sind nicht hochgefährlich. Wir können problemlos vor ihnen davonrennen und sie wittern, wenn sie sich nähern. Sie sind schon komisch – wie ich höre, haben manche Kaninchen ihren Bau direkt über ihnen. Trotzdem sollte man sie meiden. Sie graben Kaninchenjunge aus, und wenn sie ein verletztes Kaninchen finden, töten sie es. Sie gehören zu den Tausend, das steht fest. Ich hätte ihn wittern müssen, nur war ich noch nie einem begegnet.«

»Er hatte schon getötet«, sagte Blackberry erschaudernd. »Ich habe Blut auf seinem Maul gesehen.«

»Vielleicht hatte der Lendri Fasanenküken oder eine Ratte geschlagen. Gut, dass er gefressen hatte, sonst wäre er vielleicht doch noch über uns hergefallen. Wir haben richtig reagiert und sind zum Glück mit heilem Fell davongekommen«, sagte Bigwig.

Fiver humpelte mit Pipkin auf sie zu. Beide blieben wie erstarrt stehen und starrten wie die anderen auf den Fluss.

»Und nun, Fiver?«, fragte Hazel. »Hast du eine Idee?«

Fiver senkte den Blick aufs Wasser und zuckte mit den Löffeln.

»Wir müssen rüber«, meinte er. »Nur bezweifele ich, dass ich noch schwimmen kann, Hazel. Ich bin ausgelaugt, und Pipkin ist noch viel erschöpfter als ich.«

»Rüber?«, rief Bigwig. »Rüber? Diesen Fluss überqueren? Wozu denn? Das ist doch reiner Blödsinn.«

Wie alle wild lebenden Tiere können auch Kaninchen schwimmen. Manche tun es aus Vergnügen oder durchqueren Bäche, um auf dem anderen Ufer zu fressen, aber die meisten scheuen davor zurück. Und in diesem Fall konnte niemand die Enborne durchschwimmen, sie waren schlicht zu erschöpft.

»Ich will nicht reinspringen«, sagte Speedwell.

»Warum nicht dem Ufer folgen?«, fragte Hawkbit.

Wenn Fiver sagte, dass sie den Fluss überqueren mussten, dachte Hazel, dann wäre es fahrlässig, dies nicht zu tun. Wie sollte er die anderen überreden? Er zerbrach sich den Kopf darüber, als er merkte, dass er sich unbeschwerter fühlte. Wieso? Hatte er etwas gewittert? Oder gehört? Dann begriff er. Am anderen Flussufer war eine zwitschernde Lerche aufgestiegen. Der Morgen brach an. Eine Amsel ließ ein oder zwei tiefe, träge Töne erklingen, danach gurrte eine Ringeltaube. Kurz darauf hellte sich die Nacht zum grauen Zwielicht auf, und sie konnten sehen, dass sich der Fluss hinten am Waldrand entlangzog. Auf dem anderen Ufer erstreckten sich offene Felder und Wiesen.

8 – Die Überquerung

Der Hauptmann hieß […] die, die schwimmen konnten, sich zuerst ins Meer werfen und entrinnen an Land, die anderen aber, etliche auf Brettern, etliche auf den Trümmern des Schiffs. Und so geschah es, dass sie alle gerettet an Land kamen.

Apostelgeschichte, Kapitel 27

Der obere Rand der sandigen Böschung lag etwa zwei Meter über dem Fluss. Wenn sie geradeaus sahen, blickten sie flussaufwärts, wenn sie nach links sahen, blickten sie flussabwärts. Im Steilhang schien es Brutröhren zu geben, denn sobald es tagte, sahen sie drei, vier Uferschwalben über das Wasser sausen. Eine kehrte bald mit vollem Schnabel zurück, und als sie in der Böschung verschwand, ertönte das Gezeter von Nestlingen. Links und rechts fiel die Böschung ab; flussaufwärts ging sie in einen grasigen Pfad über, der zwischen Bäumen und Wasser dem Ufer folgte. Es waren weder Kiesbänke noch Brücken zu sehen, auch keine Furt, der Fluss strömte ungehindert dahin. Unter ihnen buchtete er sich aus, dort war die Strömung so langsam, dass das Wasser zu stehen schien. Links von ihnen fiel das Ufer zu einer losen Ansammlung von Erlen ab, vor denen der Flusss, der dort nicht besonders tief war, über Steine plätscherte. Weiter entfernt war Stacheldraht zu erkennen; er hegte wahrscheinlich eine Viehtränke wie jene am Bach ihrer heimischen Kolonie ein.

Hazel betrachtete den flussaufwärts führenden Pfad. »Dort unten wächst Gras«, sagte er. »Kommt, wir fressen erst einmal etwas, das wird uns guttun.«