Unter dem Halbmond - Helmuth von Moltke - E-Book

Unter dem Halbmond E-Book

Helmuth Von Moltke

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Beschreibung

Die "Briefe aus der Türkei" des späteren Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke (1800 - 1891) sind ein einzigartiges Dokument über den Untergang des großen Osmanischen Reiches. Durch eine Kabinettsorder des Preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. als Instrukteur der türkischen Truppen 1835 nach Konstantinopel kommandiert, um ein Heer nach europäischem Muster zu schaffen, das den Bestand des Osmanischen Reiches sichern soll, stößt der junge Generalstabsoffizier auf abenteuerliche Verhältnisse. Der türkische Sultan Mahmud II. glaubt, mit preußischer Hilfe die rebellischen Kurden niederhalten und die an den abtrünnigen Pascha von Ägypten, Mehmed Ali, verlorenen Provinzen wiedergewinnen zu können. Bei seiner Beratungstätigkeit bereist Moltke in den folgenden Jahren bis 1839 die Dardanellen, um Vorschläge für ihre Befestigung zu machen. Es folgen Kleinasien, die Europäische Türkei, Bulgarien, die Dobrudscha. Moltke wird Berater der Taurus-Armee, die Jagd auf Kurden macht, durchquert Ost-Anatolien, Nord-Syrien, Mesopotamien, fährt auf einem Floß von Schaf- und Ziegenhäuten den Tigris hinab, berichtet darüber nach Hause und zeichnet mit leichter Hand die topografischen Gegebenheiten auf. Und er erlebt seine erste Schlacht, die gegen seinen Rat angenommen und verloren wird: Das durch Seuchen dezimierte Heer der Türken, dessen zum Dienst gepresste Soldaten bei jeder Gelegenheit desertieren, wird innerhalb weniger Stunden am Fuße der Hügel von Nisib vernichtet. Moltkes Aufzeichnungen über seine Reisen und über die kriegerischen Erlebnisse im Vorderen Orient faszinieren nicht allein durch hohen literarischen Rang. Sie bilden darüber hinaus die einzige authentische zeitgenössische Darstellung der Agonie des Osmanischen Reiches im Spannungsfeld der Großmächte.

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Dr. Helmut Arndt, dem Herausgeber, gelangen als Kenner und Liebhaber historischer Reiseliteratur schon mehrfach bemerkenswerte Wiederentdeckungen, so Alfred E. Brehms »Reisen im Sudan« und Vivant Denons »Mit Napoleon in Ägypten«, die beide in der Reihe »Alte abenteuerliche Reiseund Entdeckungsberichte« erschienen sind.

Helmuth von Moltke (1800 - 1891) wurde auf einem Gut bei Parchim in Mecklenburg geboren. Nach dem Besuch von Kadettenanstalt und Kadettenakademie in Kopenhagen wurde er 1819 Leutnant. Drei Jahre später trat er in preußische Dienste, und besuchte von 1823-26 die Allgemeine Kriegsschule in Berlin. Nachdem er diverse Posten bekleidet hatte, bewilligte man dem vielseitig interessierten Moltke eine Bildungsreise. Just als er sich in Konstantinopel aufhielt, erreichte ihn der Auftrag, als militärischer Berater des Sultans zu fungieren. Im für die Türken erfolglosen Krieg gegen Mehmet Ali sammelte er Kriegserfahrung. Nach seiner Rückkehr hatte er verschiedene Stellungen in Generalstäben inne. 1857 wurde er mit der Führung der Geschäfte des Großen Generalstabs betraut. Diese Funktion erfüllte er mehr als dreißig Jahre, 1870 wurde Moltke in den Grafenstand erhoben. Er erwies sich als genialer Feldherr der großen Massenheere: Seine Maximen waren die klare Regelung der Zuständigkeiten in der obersten Führung bei relativer Unabhängigkeit der Armeeführer, exakte Planung des Feldzugs, Vernichtung des Gegners in einer Umfassungsschlacht bei der Vereinigung der getrennt marschierenden Heeresteile. Gemeinsam mit Otto von Bismarck und Albrecht von Roon gilt er als einer der drei Reichsgründer.

Zum Buch

Helmuth von Moltkes »Briefe aus der Türkei« sind ein einzigartiges Dokument über den Untergang des Osmanischen Reiches. Durch eine Kabinettsorder des Preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. als Instrukteur der türkischen Truppen 1835 nach Konstantinopel kommandiert, um ein Heer nach europäischem Muster zu schaffen, stößt der junge Generalstabsoffizier auf abenteuerliche Verhältnisse. Der türkische Sultan Mahmud II. glaubt, mit preußischer Hilfe die rebellischen Kurden niederhalten und die an den abtrünnigen Pascha von Ägypten, Mehmed Ali, verlorenen Provinzen wiedergewinnen zu können. Bei seiner Beratungstätigkeit bereist Moltke in den folgenden Jahren bis 1839 die Dardanellen, um Vorschläge für ihre Befestigung zu machen. Es folgen Kleinasien, die Europäische Türkei, Bulgarien, die Dobrudscha. Moltke wird Berater der Taurus-Armee, durchquert Ost-Anatolien, Nord-Syrien, Mesopotamien, fährt auf einem Floß von Schaf- und Ziegenhäuten den Tigris hinab, berichtet darüber nach Hause und zeichnet mit leichter Hand die topografi schen Gegebenheiten auf.

ALTE ABENTEUERLICHE REISEBERICHTE

Helmuth von Moltke als Lieutenant im Leibregiment (Selbstbildnis)

Helmuth von Moltke

UNTER DEMHALBMOND

Erlebnisse in der alten Türkei1835 – 1839

Herausgegeben und eingeleitetvon Helmut Arndt

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überhttps://dnb.d-nb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013Der Text basiert auf der Ausgabe Edition Erdmann, Wiesbaden 2008Editorisch begleitet von Dr. Lars Hoffmann, MainzRedaktionelle Mitarbeit: Gudrun Kolb-Rothermel, LenningenCovergestaltung: Nele Schütz Design, MünchenBildnachweis: Hubert Sattler At Meidan à ConstantinopleeBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0068-6www.marixverlag.de

INHALT

Einleitung des Herausgebers

Kapitel 1

Besuch beim Pascha von Neu-Orsowa – Reise durch die Walachei – Bukarest

Kapitel 2

Zustand der Walachei – Die Spuren langer Knechtschaft – Konsulate – Geringe Einwirkung der Regierung auf das Land – Vergleich mit Serbien

Kapitel 3

Walachische Schlitten – Gjurgewo – Rustschuk – Reise mit dem Tataren – Schumla – Türkische Bäder – Der Balkan – Adrianopel – Ankunft in Konstantinopel

Kapitel 4

Fahrt von Konstantinopel auf dem Bosporus nach Bujukdere

Kapitel 5

Besuch beim Seraskier Pascha

Kapitel 6

Spaziergang durch Tophane – Öffentliche Briefschreiber – Galata

Kapitel 7

Chosref Pascha

Kapitel 8

Die Frauen und die Sklaven im Orient

Kapitel 9

Armenisches Familienleben – Spaziergang am Bosporus

Kapitel 10

Die politisch-militärische Lage des Osmanischen Reiches im Jahre 1836

Kapitel 11

Die Dardanellen – Alexandra Troas

Kapitel 12

Reise nach Brussa

Kapitel 13

Zweite Reise nach den Dardanellen – Die Steinkugel und der jonische Fischerkahn

Kapitel 14

Smyrna und seine Umgebung – Das türkische Dampfschiff

Kapitel 15

Der thrakische Chersones

Kapitel 16

Der Boghas oder der nördliche Teil des Bosporus

Kapitel 17

Die Bastonade

Kapitel 18

Die Wasserleitungen von Konstantinopel

Kapitel 19

Die Tauben in der Moschee Bajasids – Die Hunde in Konstantinopel – Die Begräbnisplätze

Kapitel 20

Audienz beim Großherrn

Kapitel 21

Die Pest

Kapitel 22

Reise des Großherrn

Kapitel 23

Stilleben von Bujukdere – Der Tschibuk

Kapitel 24

Zweite Audienz beim Großherrn

Kapitel 25

Der Turm von Galata

Kapitel 26

Reise durch Rumelien, Bulgarien und Dobrudscha – Der Trajanswall

Kapitel 27

Altertümer zu Konstantinopel – Die St. Sophia – Der Hippodrom – Das Forum Constantinum – Säulen und Kirchen – Die Stadtmauer

Kapitel 28

Reise nach Samsun – Die Häfen des Schwarzen Meeres – Dampfschiffahrt

Kapitel 29

Amasia – Die Felsenkammern

Kapitel 30

Tokat – Siwas

Kapitel 31

Der Anti-Taurus oder die kleinasiatische Hochebene

Kapitel 32

Ankunft im Hauptquartier der Taurus-Armee

Kapitel 33

Malatia und Asbusu – Paß über den Taurus – Marasch

Kapitel 34

Das turkmenische Lager – Der mittlere Lauf des Euphrats – Rumkaleh – Biredschik – Orfa

Kapitel 35

Reise auf dem Tigris bis Mossul – Die Araber – Zug mit der Karawane durch die Wüste von Mesopotamien

Kapitel 36

Zug gegen die Kurden

Kapitel 37

Ritt durch das Gebirge vom Tigris an den Euphrat – Reise auf dem Euphrat durch die Stromschnellen – Asbusu

Kapitel 38

Die orientalische Tracht

Kapitel 39

Reise nach Iconium – Die Siebenschläfer – Der Erdschiesch und Cäsarea – Kara-Djehennah – Iconium – Die cilicischen Pässe – Der Bischof von Tomarse – Der Awscharenfürst

Kapitel 40

Der Ramasan – Türkische Reiterkünste

Kapitel 41

Die Winterquartiere

Kapitel 42

Reise nach Orfa – Das Dscheridwerfen – Die Höhlen – Das Schloß des Nimrod

Kapitel 43

Konzentrierung der Taurus-Armee

Kapitel 44

Versammlung des Korps zu Biredschik

Kapitel 45

Das Lager

Kapitel 46

Die Schlacht bei Nisib

Kapitel 47

Rückkehr nach Konstantinopel – Empfang beim Wesir – Audienz beim Sultan Abdul-Medschid

Kapitel 48

Sultan Mahmud II

Kapitel 49

Reise durchs Schwarze Meer und auf der Donau bis Orsowa

Zeittafel

Bibliografie

Verzeichnis der Bildquellen

EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

— 1 —

Die orientalische Krise der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beruht auf dem Niedergang und Zerfall des Osmanischen Reiches. Die Ideen der Französischen Revolution von der Freiheit des Individuums und dem Selbstbestimmungsrecht der Nation hatten vor dem Schutzwall des Islam nicht haltgemacht. Das aus diesen Vorstellungen geborene Nationalitätsprinzip äußerte auf das in sich morsch gewordene Reich seine zersetzende Wirkung. Trotz einer langen Reihe von Niederlagen in der Auseinandersetzung mit seinen europäischen Gegnern umfasste das Osmanische Reich am Beginn des Jahrhunderts noch immer den gesamten Balkan südlich der Donau, Kleinasien, Nordafrika, Ägypten sowie die übrige arabische Welt bis zu den Grenzen Persiens. Doch zunehmend begannen einzelne Teile, sich aus dem türkischen Reichsorganismus zu lösen. 1798 besetzte Napoleon Ägypten und marschierte in Syrien ein, auf dem Balkan blieben Österreich und Russland in gegenseitiger Rivalität eine ständige Bedrohung, unter ihrem Einfluss bricht Serbien unter Karageorgewitsch und Obrenowitsch in Revolte aus und es bildet sich 1812 ein kleines autonomes Fürstentum im Tal der Save. 1821 bricht der griechische Aufstand aus, der 1830 zur Autonomie und Unabhängigkeit führt, Russland besetzt 1806-1812 Bessarabien sowie die Donaufürstentümer Moldau und Walachei.

Die Türken hatten die europäischen Gebiete ihres Reiches einst mit Gewalt ihrer Herrschaft unterworfen, ein Regime der Eroberer installiert. Als einverleibte Provinzen wurden sie ausgebeutet und nach den Prinzipien des Islam regiert, ohne dass jemals der Versuch einer Bekehrung oder Assimilierung der Völker unternommen wurde. Griechen, Bulgaren, Rumänen, Serben und Kroaten behielten die Freiheit christlicher Religionsausübung, nur albanische Stämme wurden teilweise dem Islam integriert. Doch religiöse Toleranz bedeutete keinesfalls Respekt, sondern nur Ausdruck der Verachtung für den Andersgläubigen. Die osmanische Verwaltung beinhaltete als Funktion die Aufrechterhaltung der äußeren Ruhe und prompte Steuereintreibung. Die Masse der christlichen Bevölkerung zeigte demgegenüber nur die elementaren Reflexe von Ablehnung und Hass gegenüber den türkischen Beamten und Soldaten, ihr ging es darum, Leben und Eigentum gegen Bedrückung, Razzien und Repressalien der türkischen Belagerer zu schützen. Liberalismus und Nationalismus haben daher auf dem Balkan einen andersartigen Sinn als in Mitteleuropa; hier sind es die Kirchen, in denen sich der Widerstand gegen die Herrschaft des Sultans formiert.

Hinzu tritt die Politik der großen Mächte, die die unabweisbare Entwicklung der Zergliederung des Osmanischen Reiches mehr oder weniger gefördert hat; anders jedoch als die Volksströmungen, wie sie im Philhellenentum des europäischen Bildungsbürgertums zum Ausdruck kommen, steht auf Seiten der legitimistisch eingestellten Regierungen nicht Vorliebe für diese vom „Joch der Ungläubigen“ zu befreienden christlichen Völker und Staaten, sondern das eigene machtpolitische Interesse. Bei wechselnden realpolitischen Konstellationen und divergierenden Motiven beobachten die Befreier der Balkanvölker einander eifersüchtig, sodass die Mächte, die prinzipiell auf den Untergang des Osmanischen Reiches hinarbeiten, sich doch wiederum mit allen Mitteln für die Aufrechterhaltung eben dieses Gebildes einsetzen, um einen glücklicheren Rivalen nicht zu mächtig werden zu lassen. Die das Jahrhundert durchziehenden Probleme der Meerengen-Frage und des Protektorats über die Christen im Orient sind in diesem Zusammenhang zu sehen. So ist denn das Überleben des Osmanischen Reiches weniger den Bemühungen seiner eigenen Reformer als der Uneinigkeit der europäischen Mächte über die Verteilung der Beute zu danken. Nationalitätsprinzip und Großmachtpolitik sind die beiden Pole, zwischen denen sich die orientalische Frage im 19. Jahrhundert bewegt.

Die Umwälzungen der Jahrhundertwende, Napoleonische Kriege, Restauration und Konstitutionalismus hatten den eigentlichen islamischen Volkskörper der Türkei kaum berührt, die Kenntnis der Verhältnisse Europas und seiner modernen Strömungen blieb beschränkt, die Reformbemühungen gering. Im Bewusstsein der Türken schien das Reich machtvoll wie zuvor, wenn sie überhaupt die Notwendigkeit eines Wandels einsahen, so akzeptierten sie allenfalls Reformen traditioneller Art. Für die meisten Osmanen der Oberschicht, gewiss aber für die Untertanen des Sultans allgemein, erschienen westliche Neuerungen unerwünscht, und die Aufstände in den weiten Bereichen des Landes richteten sich großenteils gegen die wenigen Modernisierungsbestrebungen, die dem alttürkischen System nicht konform waren und die gerade deswegen für den osmanischen Niedergang verantwortlich gemacht wurden. Es sollte noch lange bis zum Berliner Kongress des Jahres 1878 und der sich bildenden Jungtürkischen Bewegung dauern, ehe man die Unumgänglichkeit grundlegender Reformen im Bereich von Staat und Gesellschaft einsah.

Frühe Ansätze zur Reform sind zu erkennen; auch die Mission Moltkes in der Türkei gehört in diesen Bereich, zeitlich fällt sie mit dem Höhepunkt der Auseinandersetzung Sultan Mahmud II. mit seinem ägyptischen Vasallen Mehmed Ali zusammen.

Diese ersten Reformen wurden unter den Sultanen Selim III. und Mahmud II. (1789-1839) eingeleitet und getragen. Ihr Konzept beruhte auf der Zerstörung alter Institutionen wie des Janitscharenregimes und deren Ersetzung durch neue, dem Westen entlehnte Einrichtungen und Techniken. Selim III. hatte eingesehen, dass keine durchgreifende Reorganisation stattfinden konnte, ohne dass Macht und Einfluss der Janitscharen und Ulemas gebrochen würden. Unter dem Namen Nizam-i-Djedid, d.h. „Neue Ordnung“, schuf er eine europäisch aufgebaute Miliz und bereitete mit ihrer Hilfe einen Staatsstreich vor, doch das Unternehmen misslang. Unter dem Beifall der hauptstädtischen Massen und mit Unterstützung der islamischen Geistlichkeit zogen die Janitscharen, verbündet mit den Garnisonen der Bosporusfestungen, gegen das Serail des Sultans, der Mufti erklärte ihn des Thrones für unwürdig und Selim wurde zum Märtyrer seiner Sache. Um ein Jahr überlebte er seinen Fall als Haremsgefangener und wurde am 28.7.1808, als seine Anhänger unter Führung von Mustafa Bairakdar, dem Statthalter von Rustschuk, sich zu seiner Befreiung anschickten, auf Befehl seines Vetters und Nachfolgers Mustafa IV. ermordet. Doch Bairakdar, der starke Mann des Augenblicks, setzte Mustafa IV. ab und berief dessen jüngeren Bruder Mahmud zur Sultanswürde. Nach wenigen Monaten schon erstarkte die Reaktion: Volk und Janitscharen verbanden sich, Bairakdar wurde in seinem Palast verbrannt, der fanatisierte Pöbel verlangte Mahmuds Entfernung und Mustafas Wiedereinsetzung, nur durch sofortige Hinrichtung des Bruders und durch feierliche Bestätigung aller Rechte und Privilegien der Truppe konnte Mahmud Thron und Leben retten.

Wiederum für ein Menschenalter schien die Reform aufgeschoben.

Sultan Mahmud II. kannte Geduld. Von Natur aus freundlich, ja gutmütig, stellte er Freundschaft, Anhänglichkeit und Dankbarkeit zurück, wenn es die Staatsräson gebot. Ebenso wie er aus politischer Opportunität Verrätern und Feinden verzieh, wusste er andererseits seinen Groll zu konservieren, bis er ihm – nach Jahren – freien Lauf lassen konnte. Menschenleben erschienen ihm staatlichen Notwendigkeiten gegenüber wertlos. Von allen europäischen Monarchen des 19. Jahrhunderts hat wohl er die meisten Hinrichtungen befohlen. Dieser Rigorosität verdankt die Türkei innenpolitisch ihr Überleben im 19. Jahrhundert. „Il commence par la queue“, hieß es in den perotischen Diplomatenkreisen von seinem Reformwerk, dennoch ist es dank seiner Durchsetzungskraft zumindest partiell geglückt: Dem Gesetz wurde im Osmanischen Reich eine gewisse Achtung verschafft, die Pforte begann, sich dem Bild eines modernen Staates anzugleichen, sie trat nach außen in das Europäische Konzert ein.

Nicht gewillt, die Macht der Janitscharen bestehen zu lassen, ließ Mahmud ihre Einheiten unangetastet und stellte daneben wiederum moderne Truppenkörper auf, Sekban-i-Djedid, in denen er sämtliche höheren Offizierschargen mit ergebenen und zuverlässigen Leuten besetzte. An der Spitze stand Hussein Aga, ein Mann von athletischen Körperkräften, der vom Lastträger zum Generalissimus aufgestiegen war. Diese Truppe wurde von europäischen Militärexperten ausgebildet, Organisation, Disziplin, Bewaffnung und taktische Schulung waren am Muster der europäischen Armeen ausgerichtet. Um sie möglichst wenig mit den traditionellen Institutionen in Konflikt geraten zu lassen, erfolgte ihre Finanzierung durch neugeschaffene Behörden aufgrund einer Sondersteuergesetzgebung. Die Kasernen der neuen Truppe lagen versteckt in den Vorstädten Konstantinopels und im anatolischen Hinterland, damit sie so wenig wie möglich von den Janitscharen und den konservativen Schichten bemerkt würden. Auch zahlenmäßig mussten sie beschränkt bleiben, die neuen Eliteformationen überstiegen zunächst keine 10 000 Mann.

Nahezu zwanzig Jahre mussten nach der Thronbesteigung Mahmuds vergehen, ehe er an die Beseitigung der Janitscharen denken konnte. Am 18. Juni 1826 sollte eine erste Revue der neuen Truppen stattfinden. In den Janitscharenquartieren kam es daraufhin zur Meuterei. Die Unteroffiziere der Janitscharenortas gaben das Zeichen zur Erhebung. Die großen Kessel, die traditionellen Feldzeichen, wurden aus den Kasernen geholt und auf dem Atmeidan, dem alten Hippodrom, aufgestellt. Ziel war, sich der Person des Sultans zu bemächtigen, ihn zur Bestätigung der Privilegien zu nötigen, bei Widerstand dagegen ihn samt seinen Ministern einschließlich der vornehmsten Ulemas niederzumachen, sodann alle Christen, die Raja wie die Europäer, umzubringen, ihr Vermögen zu plündern und ihre Frauen und Töchter in die Sklaverei zu verkaufen. Ausdruck dieser alttürkischen, barbarischen Vorstellung waren mehr als 100 Pfähle mit den Namen derjenigen, die darauf gespießt werden sollten; man fand sie nach dem Aufstand in den Quartieren.

Doch das Unternehmen misslingt: Großwesir und Janitscharen-Aga, die man in der Nacht als Geiseln nehmen wollte, gelingt es, sich über das Goldene Horn zu retten, ihre Häuser zwar werden verwüstet, der Harem geschändet, die Dienerschaft niedergemacht. Noch vor Morgengrauen versammeln sich die Großwürdenträger im Serail des Sultans, der mit seinen Höfen und Gärten eine Stadt für sich bildet, von zwei Seiten vom Meer umschlossen, nach der dritten gegen die Stadt durch eine Mauer mit Zinnen und Türmen verteidigt. Auf der Diwanssitzung wird der Beschluss gefasst, wie zum Kampf gegen die Ungläubigen das Chyrka-i-Scherif, die heilige Fahne des Propheten, aufzupflanzen. Allmählich treffen die neuen Truppen vom Bosporus her ein, die von Top-Hane kommende Artillerie zu Fuß und zu Pferde mit 25 Feldgeschützen, das Korps der Bombardiere, die Pioniere; die anatolischen Milizen ordnen sich zum Angriff. Die heilige Fahne des Propheten mit der herkömmlichen Eskorte wird unter dem Geleit der Scherife und Softas zur Achmed-Moschee geführt, öffentliche Ausrufer durcheilen die Straßen und fordern das Volk auf, sich um das Banner des Islam zu scharen, die Religion und den Sultan zu schützen. Anders als 1807 ergreift das Volk für den Sultan Partei. Als eine Aufforderung an die Janitscharen, sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben, ohne Antwort bleibt, erfolgt der Befehl zum Angriff. Die moderne Artillerie legt die aus Holzbalken und Fachwerk aufgeführten Kasernen am Atmeidan in Brand. Eine nun ausgesandte Deputation der Janitscharen wird in Stücke gehauen.

Sultan Mahmud II. hält gründliche Abrechnung mit den Mördern seiner Vorfahren. Der Mufti spricht einen feierlichen Fluch über sie aus und erklärt ihre Tötung für ein gottwohlgefälliges Werk. Es folgt ein furchtbares Blutbad unter den Rebellen.

Des Abends bildet die Kaserne am Atmeidan einen rauchenden Trümmerhaufen voller Leichen, jeder Widerstand hat längst aufgehört und noch dauert das Gemetzel fort. Die Tore der Stadt sind geschlossen, an ein Entkommen ist nicht zu denken. Aus allen Verstecken werden Janitscharen zum Hippodrom gezerrt und einem Kriegsgericht vorgeführt. Das Verfahren ist summarisch: sie alle werden kaltblütig erdrosselt und die Leichen ins Marmarameer geworfen.

Am folgenden Freitag, dem 16. Juni 1826, zieht der Sultan der Sitte gemäß mit Pomp und Feierlichkeit zum Mittagsgebet in die Moschee. Mahmud zeigt sich dem Volk als Sieger. Gleichzeitig werden die Kessel der Janitscharen, bisher Gegenstand der Verehrung, öffentlich mit Kot besudelt, die Fahnen zu Boden getreten und zerrissen, die charakteristische, den Ärmel des Nationalheiligen Hadji Bektasch nachahmende Filzmütze der Janitscharen durch die Straßen geschleift und ein Firman veröffentlicht, der die Vernichtung des Korps und seine Ersetzung durch die neue Truppe ausspricht.

Insgesamt 6000 Janitscharen waren abgeschlachtet worden, selbst die marmornen Leichensteine, die die Janitscharenmütze trugen, wurden gegen allen türkischen Brauch bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen; es war untersagt, das Wort „Jenitscheri“ laut auszusprechen. Auch sonst dauerten die Hinrichtungen fort. Seit seinem Regierungsantritt hatte Mahmud eine Liste Missliebiger und Verdächtiger anlegen lassen, aufgrund dieser Proskriptionen wurden in wenigen Tagen weitere 4000 Menschen erdrosselt. Der den Janitscharen nahestehende Derwischorden der Bektaschi wurde aufgelöst, die Klöster geschleift, der Scheich enthauptet, sein Kopf öffentlich ausgestellt, 200 Derwische umgebracht. Die Janitscharenortas in der Provinz ließen sich beinahe widerstandslos entwaffnen. Die Köpfe der Verurteilten begleiteten die Berichte in die Hauptstadt, selbst die höheren Janitscharen-Offiziere, die sich vor 19 Jahren an dem Aufstand gegen Selim III. beteiligt hatten, wurden aufgespürt und hingerichtet.

Die Reaktion hiergegen konnte nicht ausbleiben, seit August 1826 begann sich der Widerstand in herkömmlicher Weise durch Brandstiftungen kundzutun, die in wenigen Wochen große Teile der Weltstadt vernichteten; vor allem die reichsten und blühendsten Quartiere, die Bazare, die Regierungsgebäude, die Wohnungen der Minister, das Armenische Patriarchat verwandelten sich in Asche. Ein neuer Firman ordnete drakonische Maßnahmen an.

Gegen Ende des Jahres hatten sich die Verhältnisse stabilisiert, die Verteidigungskraft des Osmanischen Reiches nach außen war jedoch für Jahre entscheidend geschwächt. Durch das Massaker, das raqa-i-hayriyye, „das wohltätige Ereignis“, wie es in der Türkei hieß, konnten die Reformer freier handeln als früher und ihre Maßnahmen fortan in allen Bereichen des osmanischen Lebens in Angriff nehmen, ohne eine Reaktion fürchten zu müssen.

Militärisch allerdings waren die Auswirkungen verheerend. Die bestehende Armee war vernichtet, die neuen Truppen sollten zunächst auf 8 Divisionen, d.h. rund 100 000 Mann regulärer Infanterie gebracht, die Artillerie verstärkt werden. Selbst diese geplanten Stärken waren noch völlig unzureichend für das ausgedehnte Reich. Da Freund und Feind in gleicher Weise die militärische Unterlegenheit auszunutzen begann, befand sich die Türkei bis 1840 in totaler Hilflosigkeit. Die Folge war ein Machtvakuum, das die orientalische Krise um den „Kranken Mann am Bosporus“ heraufbeschwören und letztlich erst mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs enden sollte.

Während sich diese umwälzenden Veränderungen in Konstantinopel abspielten, bestimmten in den Außenbeziehungen der Aufstand der Griechen und das Verhältnis zu Russland in den nächsten Jahren das Schicksal der Pforte.

1820 bereits war Ali, Pascha von Janina, der seit Jahrzehnten in seinem albanischen, von Epirus bis Thessalien reichenden Paschalik eine fast autonome Stellung einnahm, in Konflikt mit Konstantinopel; er band durch seine Revolte größere Teile der schwachen osmanischen Streitkräfte in Mazedonien. Zwar gelang es Churchid Pascha, den Aufstand niederzuschlagen und Ali Pascha ermorden zu lassen; allein die Griechen fühlten sich ermutigt: auf der Halbinsel Morea, dem Peleponnes, flammte Empörung gegen die jahrhundertelange Türkenherrschaft auf. Bald griff die Bewegung auf die Ägäis und nach Kreta über. Im Besitz erheblicher finanzieller Mittel, gelang es den Aufständischen, eine überlegene Flotte auszurüsten. Hilfe dazu kam aus den reichen Fanarioten-Familien Konstantinopels, die als Bankiers der Sultane Einfluss und Vermögen besaßen; auch die wohlhabenden griechischen Kolonien außerhalb des Osmanischen Reiches in Marseille, Genua, Venedig, Odessa und Moskau gaben ihre Unterstützung. Der Korfiote Graf Kapodistrias, von 1816-1822 Außenminister des Zaren, gewährleistete eine gewisse Rückendeckung Russlands, der traditionellen Schutzmacht der Orthodoxie in der Levante. Eine rasch gebildete griechische Nationalversammlung verkündete am 13.1.1822 die förmliche Unabhängigkeitserklärung des Landes. Der Agon, wie die Neugriechen emphatisch ihren Freiheitskampf nannten, bewies alle Schrecken und Exzesse eines barbarischen Bürgerkrieges, wechselweise überboten sich griechische und türkische Heerführer an Habgier und Grausamkeit.

Griechische Freiheitskämpfer

Der fanatisierte Istanbuler Pöbel reagierte auf die griechische Erhebung mit Christenpogromen in der Hauptstadt: 1821 wurde der griechische orthodoxe Patriarch Gregor mit anderen Bischöfen hingerichtet, die Leichen in vollem Ornat hängte man am Portal der Patriarchatskirche auf. Der russische Gesandte in Konstantinopel entging nur durch die Ergebenheit seiner Janitscharen-Wache den Misshandlungen der aufgebrachten Menge.

Die türkischen Truppen rückten 30 000 Mann stark im Frühsommer 1822 nach Argos vor, die osmanische Flotte besetzte Chios, wo es zu den im Gemälde von Delacroix dargestellten Massakern kam, in denen Türken auf der Insel furchtbare Gräueltaten verübten: Nach zeitgenössischen Berichten sollen 23 000 Menschen erschlagen und weitere 47 000 als Sklaven verkauft worden sein, in den Registern des Zollamtes von Chios wurde amtlich der „Export“ von 30 000 Sklaven verzeichnet.

Kein Wunder, wenn die öffentliche Meinung Europas auf Seiten der Griechen stand. Von Gymnasium und Universität mit dem antiken Griechenland vertrauter als mit dem byzantinisch-christlichen Ostrom, erblickten die Gebildeten in jedem Klephten-Anführer einen Mikiades oder Leonidas. Die Romantik sah den Gegensatz von Christentum und Islam, die Liberalen und Revolutionäre Europas begeisterten sich am Kampf des unterdrückten Volkes für die Republik gegen eine morsche Zwangsherrschaft des Großherrn. Populär war die Griechenbegeisterung auch in Deutschland: Liberale, Romantiker, Klassiker, so unterschiedlich ihre Auffassungen sein mochten, fanden sich im Hilfsverein für Griechenland zusammen. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen stiftete inkognito 1200 Friedrichdors, der Homer-Übersetzer Voß gab 1000 Gulden, und der renommierteste Poet der Zeit, Lord Byron, stellte sich – im Kostüm eines griechischen Freiheitskämpfers – an die Spitze seiner eigens ausgerüsteten Expedition; er wurde schon nach wenigen Monaten in Missolunghi vom Fieber dahingerafft.

Die europäischen Kabinette sahen alledem so gut wie untätig zu.

Für Metternich – ebenso für Zar Alexander I. – blieb die Pforte die legitime Obrigkeit. Ausschlaggebend war, dass durch die Ereignisse auf dem Balkan das politische und soziale Gleichgewicht in Europa keine Störung erfuhr. Die Türken sah man in Wien „als die besten, erprobtesten und ruhigsten Nachbarn, gegen die die Grenze so sicher sei wie gegen das Meer“. „Über unsere Ostgrenze hinaus zählen drei- bis vierhunderttausend Gehenkte, Erwürgte, Gepfählte nicht viel. Die Türken fressen die Griechen, und die Griechen köpfen die Türken“, lautete Fürst Metternichs lakonisches Verdikt.

England verhielt sich entsprechend seinen Interessen ambivalent.

Der Premier George Canning, der „Spartakus von Downing Street“, wie Heine ihn nannte, sah sich berufen, Englands Einfluss für Freiheit und nationale Selbstbestimmung einzusetzen. Demgegenüber erheischte die Sicherheit Indiens die Erhaltung des Osmanischen Reiches. Die Sicherung des Zugangs nach Indien nötigte außenpolitisch zur Stabilisierung und damit zur Aufrechterhaltung der bestehenden Machtverteilung in den zwischen Europa und Indien liegenden Gebieten des Nahen und Mittleren Ostens.

Für Frankreich hatte vor dem Hintergrund der Napoleonischen Expedition nach Ägypten noch die koloniale Rivalität des 18. Jahrhunderts und der Gedanke an eine Erschütterung der englischen Herrschaft in Indien gestanden. Die Erinnerung an ihre kolonialmaritimen Ambitionen ermutigte die Franzosen, immer wieder auf diesen Schauplatz zurückzukehren. So war Frankreich zur Hauptstütze für Mehmed Alis Ägypten geworden. Sein Erscheinen auf dem griechischen Schauplatz löste weitreichende Folgen im Verhältnis der Mächte aus.

In der Erkenntnis der Unterlegenheit seiner eigenen militärischen Machtmittel hatte Mahmud II. – wenngleich widerstrebend – Mehmed Ali zur Hilfe aufgeboten, der eine starke moderne Flotte und ein schlagkräftiges, europäisch instruiertes Heer besaß. Gegen die Zusage der Belehnung mit Kreta entsandte der Pascha seinen Adoptivsohn Ibrahim Pascha, einen genialen, skrupellosen Heerführer, der 1824 Kreta rasch eroberte. Im Februar 1825 landeten 20 000 Mann ägyptische Expeditionstruppen in Morea und brachten im Laufe des Sommers fast den gesamten Peleponnes in ihre Hand, die Halbinsel wurde einer Wüste gleichgemacht, Weinberge und Olivenhaine zerstört, die Bevölkerung ermordet oder zu Tausenden in die Sklaverei verschleppt. 1826 führte Ibrahim sein Heer von Patras gegen das seit Langem von türkischen Truppen belagerte Missolunghi. Auch hier blieb ihm der Erfolg treu: am 23. April 1826, nach elfmonatiger Belagerung, kapitulierte die Stadt. Als im Jahre darauf die Akropolis von Athen fiel, schien das Schicksal des griechischen Aufstands besiegelt. Nur eine Intervention der Großmächte vermochte noch eine Wende zu bringen.

In der Tat hatte die Reihe von überlegenen Siegen Ibrahims die Mächte so beunruhigt, dass sie sich zu gemeinsamem Vorgehen zusammenschlossen. Als am 1. Dezember 1825 in Taganrog Zar Alexander I. starb – oder doch für die Welt verschwand –, machte sein energischer Nachfolger Nikolaus I., obschon auch er in den Griechen nur Rebellen sah, den Aufstand zum Hebel seiner Orientpolitik. Das Petersburger Kabinett verlangte im Frühjahr 1826 in ultimativer Form vom Diwan die Wiedergutmachung der gegen die Rechte Russlands begangenen türkischen Eingriffe, die Wiederherstellung der Bestimmungen des Bukarester Friedens von 1812, d.h. die Mitwirkung Russlands in der Regierung der Donaufürstentümer bei der Belehnung der Hospodare und Grenzberichtigungen in Bessarabien und an der tscherkessisch-abchasischen Küste. Im Vertrage von Akkerman, einem kleinen Grenzort in Bessarabien, musste sich die Türkei den russischen Forderungen beugen, die Unterwerfung der Pforte wurde am 6. Oktober 1826 unterzeichnet.

Mittlerweile hatte das Jahr 1826 der vereinigten turko-ägyptischen Streitmacht entscheidende Erfolge im Kriege gegen die Griechen gebracht. Gegenüber den wiederholten Vorstellungen der britischen Diplomatie – der englische Botschafter bei der Pforte, Sir Stratford Canning, schlug bald den englischen Staatsmännern so geläufigen Ton eines befreundeten wohlwollenden Ratgebers, bald den eines eifernden Schulmeisters an – in der griechischen Frage Nachgeben zu zeigen, erwies sich der Diwan als taub. Zwar liefen die britischen Absichten zunächst nur auf eine autonome Stellung der Griechen innerhalb der türkischen Monarchie hinaus, wie sie Walachen, Moldauer und Serben bereits besaßen, dennoch nahm der Sultan den Schritt ungnädig auf und entließ als Ausdruck seiner fehlenden Konzessionsbereitschaft den wegen seiner Mäßigung bei den Europäern beliebten Minister des Äußeren, Said Effendi.

Ein verwundeter Grieche in der Schlacht von Navarino

1827 endlich kam es unter dem Druck der Öffentlichkeit zur Tripelallianz der drei Mächte Russland, England, Frankreich in London (6. Juli 1827), in der sich die Mächte zur Intervention zugunsten der Griechen verpflichteten. Danach sollte die Pforte zum Waffenstillstand gezwungen werden und Griechenland Autonomie gegen einen jährlichen Tribut gewähren; eine entsprechende gemeinsame Note wurde dem Diwan am 16. August 1827 überreicht. Sie gab den Türken 15 Tage Frist. Um ihrem Ultimatum Nachdruck zu verleihen, zogen die Mächte ihre Mittelmeergeschwader zusammen.

Zu seinem Unglück erschien dem Diwan die militärische Lage der türkisch-ägyptischen Truppen günstig. Zwar war der ehemals russische Minister Graf Capodistrias zum Präsidenten der griechischen Republik gewählt, mit dem Fall Athens jedoch wich der Enthusiasmus bald dem Egoismus und der Uneinigkeit im griechischen Lager. Nachdem eine vereinigte türkisch-ägyptische Flotte von 92 Segeln aus Alexandrien ausgelaufen und die Seeherrschaft in der Ägäis und vor der griechischen Küste gesichert war, konnte Mahmud II. sich nach Jahren am Ziel glauben.

Die Vernichtung dieser Flotte in der Seeschlacht von Navarino am 20. Oktober 1827 durch die drei alliierten Flottendivisionen unter Befehl des englischen Admirals Codrington setzte allen Hoffnungen, den Aufstand zu unterdrücken, ein jähes Ende. Die Katastrophe von Navarino, bei der Türken und Ägypter 50 Schiffe und 6000 Menschen verloren, führte zum Abbruch der Beziehungen und zum unmittelbaren Ausbruch des russisch-türkischen Krieges von 1828. Die Reaktion der europäischen Höfe war geteilt. Kaiser Franz I. von Österreich sprach von einem Meuchelmord, und auch in England bezeichnete der König in seiner Thronrede die Seeschlacht als „untoward event“. Wenn sie auch die Unabhängigkeit Griechenlands entschied, so bedeutete sie zugleich den Krieg zwischen der Pforte und dem Zarenreich.

Am 20. Dezember erließ der Sultan einen Hatti-Scherif, der sich wie eine Verkündigung des Heiligen Krieges las, Russland scharf angriff, ja den erpressten Vertrag von Akkerman als unausführbar bezeichnete. Christenverfolgungen sowie die Austreibung von 12 000 Armeniern aus Konstantinopel nach Kleinasien bildeten die türkische Reaktion auf die Niederlage. Unmittelbar nach der russischen Kriegserklärung vom 14. April 1828, die Mitte Mai in Konstantinopel eintraf, begannen die Feindseligkeiten.

Die Armee des Zaren, ungefähr 100 000 Mann, stand unter dem Befehl des Feldmarschalls Fürst Wittgenstein, dem als Generalstabschef Diebitsch zur Seite stand, jener General, der in den Freiheitskriegen mit dem Preußen Yorck von Wartenburg die Konvention von Tauroggen geschlossen hatte. Am 7. Mai überschritten die Russen den Pruth, die Stimmung war in Erinnerung an frühere glückliche Feldzüge vortrefflich. Die Türken mussten ihre Kriegsmacht erst sammeln, an regulären Truppen besaß der Sultan 80 000 Mann, hinzu kamen 30 000 Mann irregulärer Albanesen und Bosniaken und 35 000 von den Paschas nach dem alten System in Rumelien und Anatolien ausgehobene Milizen. Im Verlauf des Feldzuges 1828 gelang es den osmanischen Streitkräften unter dem Seraskier Hussein Pascha, dem Janitscharenvertilger, ihre Donaufestungen Schumla, Silistra, zunächst auch Varna, zu halten und den Übergang über den Balkan zu sperren. Der „Spaziergang nach Konstantinopel“ erwies sich als verlustreiches Unternehmen. Glücklicher operierten die Russen in Asien, hier gelang die Eroberung der Festungen Kars und Erzerum, man war im Vormarsch auf Trapezunt. Im Sommerfeldzug 1829 jedoch gelang es General Diebitsch, Reschid Pascha, den türkischen Oberbefehlshaber, bei Schumla zu umgehen, am 20. August zogen russische Truppen in Adrianopel, der alten Hauptstadt des Osmanischen Reiches ein. Die starke Garnison streckte kampflos die Waffen. Anfang September standen die russischen Vorhuten nur noch wenige Tagesmärsche vor Konstantinopel.

Die Hauptstadt wurde von Panik ergriffen. Desertion, Verrat und Meuterei beherrschten die Szene; Mahmud II. traf Vorbereitungen zur Flucht nach Kleinasien. Das volkstümlichste Ziel der russischen Politik seit Katharina der Großen, die Meerengen, lag zum Greifen nahe.

Doch Nikolaus blieb nüchtern und vorsichtig; er begriff, dass indirekte Beherrschung der Türkei für den Augenblick leichter und gefahrloser war, als sich durch Einnahme Konstantinopels Schwierigkeiten mit den Balkanchristen und europäische Verwicklungen zu schaffen. Dazu war er kriegsmüde. Bei einem Familienbesuch in Berlin akzeptierte er das Angebot seines Schwiegervaters, Friedrich Wilhelm III., am Goldenen Horn zu vermitteln. Der Chef des preußischen Generalstabs, General von Müffling, begab sich nach Konstantinopel. Am 22. August 1829 kam es zur Entsendung türkischer Bevollmächtigter nach Adrianopel, und am 14. September wurde im Hauptquartier General Diebitschs der Frieden unterzeichnet, nicht ohne dass noch im letzten Stadium preußische Vermittlung durch Intervention des Gesandten Royer erforderlich geworden wäre. Zwar war Preußens früherer Einfluss in Konstantinopel seit der Katastrophe von Jena geschwunden, aber das erfolgreiche Eingreifen der preußischen Diplomatie beim Friedensschluss von Adrianopel schuf engere Beziehungen des Sultans zum Berliner Hof, die sich in der Realisierung seiner militärischen Reformgedanken auswirken sollten.

Russland erhielt die Donaumündung sowie einige Küstenplätze in Transkaukasien, während es Kars und Erzerum zurückgab. Die Türkei musste die ungeheure Summe von 10 Millionen Dukaten Kriegsentschädigung zahlen. Bis zu ihrer Abzahlung behielt Russland das Recht, die Donaufürstentümer zu besetzen. Die Türkei versank im nächsten Jahrzehnt in Abhängigkeit von Russland. Der Vertrag von Adrianopel entschied zugleich die griechische Frage. Durch den Beitritt der Pforte zum Londoner Schlussprotokoll vom 3. Februar 1830 wurde der Süden des heutigen Griechenland zur unabhängigen Erbmonarchie, Thessalien und Epirus, Kreta und die Inseln der Ägäis verblieben der osmanischen Herrschaft. Der Wittelsbacher Prinz Otto von Bayern übernahm 1833 als erster griechischer König die Herrschaft.

Der Friede von Adrianopel befreite die Türkei für den Augenblick von äußeren Verwicklungen, stürzte jedoch das erschöpfte Land in innere Wirren. Von den der Türkei verbliebenen Inseln befanden sich Samos und Kreta in offener Empörung. Bei seiner finanziellen und militärischen Erschöpfung fand der Sultan wiederum keinen anderen Ausweg, als seinem mächtigsten Vasallen, Mehmed Ali von Ägypten, die Statthalterschaft über Kreta zu übertragen. Mit der französischen Eroberung Algeriens 1830 verlor die Pforte ein weiteres, wenngleich seit Jahrhunderten nur noch nominelles Souveränitätsrecht auf die Barbaresken-Staaten. Der Aufstand der Albanesen wütete heftiger als zuvor, in Bosnien gärte es, im entlegenen Irak verweigerte der Statthalter von Bagdad, Daud Pascha, den Gehorsam, in Syrien strebte Abdalla Pascha von Akkon unverhohlen nach Unabhängigkeit; selbst in den der Pforte ergebenen Paschaliks bedurfte es nur eines unternehmenden Mannes, um stets latente separatistische Tendenzen zu schüren. Mehmed Ali schien entschlossen, seine Stunde zu nutzen.

Prinz Wilhelm und Zar Nikolaus vor der Neuen Wache in Berlin

Dem Pascha von Ägypten war eine Macht zugewachsen, die dem Sultan von Jahr zu Jahr bedrohlicher wurde. In den Jahren der Anarchie nach dem Abzug der Franzosen zu Beginn des 19. Jahrhunderts herrschte in Ägypten das Chaos: Briten, Türken, Mamelukken verbündeten und bekämpften sich in rasch wechselnden Faktionen; sie alle plünderten das Land, innere Ordnung und Sicherheit drohten unterzugehen, als es Mehmed Ali gelang, das Amt das Paschas von Ägypten für sich zu erringen. Er machte sich bald zum unumschränkten Herrn Ägyptens; berüchtigt ist das Massaker in der Zitadelle von Kairo, bei dem der Großteil der Mamelucken ermordet wurde.

Ob Mehmed Ali im Sinn hatte, für Ägypten die formelle Unabhängigkeit zu erringen und sein Reich weiter auszubauen, ist nicht sicher. Für europäische Auffassungen war sein Verhältnis gegenüber Sultan Mahmud, als Vasallen zum Suzerän, nicht leicht zu erfassen, und da man es nicht mit orientalischen, islamischen Augen sah, hat man bei dem Pascha oft Absichten vermutet, die er so nicht besaß. Er konnte nie danach trachten, den Sultan zu stürzen, dazu fehlte ihm das nach türkischen Begriffen Essentielle, das Blut Osmans. Auch die Unabhängigkeit von der Hohen Pforte hat er erst in späteren Jahren angestrebt, als er die Unversöhnlichkeit Mahmuds erkennen und fürchten musste, dass man seinen Nachkommen die erbliche Stellung in Ägypten nicht belassen würde. Zuvor hatte er sein Vasallitätsverhältnis willig akzeptiert, weil es ihm vor allzu begehrlichen Ansprüchen der europäischen Mächte Schutz gab, auch wohl weil er eine Zerstückelung des osmanischen Reichskörpers ablehnte. Als der Sultan nach der Vernichtung der Janitscharen und seiner Flotte bei Ausbruch des russischen Krieges 1828 fast wehrlos dastand, mochte Mehmed Ali geglaubt haben, ihm unentbehrlich zu sein, und mit Hilfe seiner Anhänger im Diwan für sich den Posten des Seraskiers von Rumelien, für seinen Adoptivsohn Ibrahim den des Seraskiers von Anatolien erstrebt haben, um so als erblicher Majordomus Einfluss auf die Geschicke des Reiches zu erlangen; nach der Kalifatswürde zu streben, hat der einstige Tabakhändler aus Kawalla bei allem Selbstbewusstsein niemals die Vermessenheit gehabt.

Mehmed Alis Einzug in Kairo

Mehmed Ali war ein ehrgeiziger, aufgeklärter Mensch, der mit einer Reihe von Reformen eine moderne und schlagkräftige Armee und einen relativ effizienten Verwaltungsapparat schuf. Die Einrichtung von Staatsmonopolen und ein Industrialisierungsprogramm dienten vornehmlich den Bedürfnissen der neuen Armee und der Exportförderung. Sie boten die Basis für die Expansionskriege, die er auf Betreiben des Großherrn unternahm, der ihn voll Misstrauen gegen seinen mächtigen Vasallen – nur zu gern an Krisenherde entsandte.

1811 mobilisierte er ihn gegen die Wahhabiten auf der Arabischen Halbinsel; nach anfänglichen Rückschlägen sicherte Mehmed Ali den Besitz der Heiligen Städte, triumphierend zog er vor seiner Rückkehr nach Kairo 1815 in Mekka ein. An die völlige Besetzung des innerarabischen Raumes konnte er nach der endgültigen Niederwerfung der Wahhabiten nicht denken, aber der ägyptische Einfluss reichte doch nicht nur von den Küsten des Roten Meeres bis zum Jemen, sondern strahlte auch ins Innere aus und beherrschte damit die Wege zum Persischen Golf und nach Mesopotamien. Mit der Schaffung einer Flotte auf dem Roten Meer und der Eroberung des Sudans 1821 bis 1822 – in einem raschen Feldzug wurden Nubien, Dongola, Sennar und Kordofan unterworfen – erreichte Ägypten eine Hegemonialstellung, wie sie so später keine raumfremde Macht mehr eingenommen hat.

Als daher Mehmed Ali für seine Beteiligung am griechischen Unabhängigkeitskrieg keinerlei Kompensation für die Mühen und Kosten des verlustreichen Feldzugs von der Pforte zugestanden erhielt, der mit der Vernichtung seiner Flotte in der Bucht von Navarino geendet hatte, revanchierte er sich mit teilnahmsloser Untätigkeit während des russisch-türkischen Krieges. Zwar hatte man im Diwan eine Zeitlang erwogen, ihn an die Spitze der Kriegsführung gegen Russland zu stellen. Chosrew Pascha jedoch, Kriegsminister und allmächtiger Günstling des Sultans, war Mehmed Alis persönlicher Todfeind. Das Jahrzehnt der Auseinandersetzung zwischen Alexandrien und Konstantinopel bekommt nicht zuletzt dadurch eine pikante Note, dass Chosrew, 1801 zum Pascha von Ägypten ernannt, den damaligen Bimbaschi Mehmed Ali zunächst protegierte, dann aber von ihm überspielt und von seinem Platz verdrängt wurde. Chosrew hatte den Verlust seiner ägyptischen Position nie verschmerzt, nun, nach zwanzig Jahren, vereitelte er Mehmed Alis weitreichende Pläne. Dieser hielt im Gegenzug die türkische Flotte in Alexandrien zurück. Die Trümmer der bei Navarino zerstörten Geschwader waren 1827 dorthin zur Wiederherstellung überführt worden. Erst nach dem Frieden von Adrianopel beeilte er sich, dem Sultan nicht allein dessen Schiffe zurückzusenden, sondern er ließ auch drei eigene Fregatten und eine Million spanischer Taler nach Konstantinopel abgehen, nicht ohne zugleich ebenso höflich wie bestimmt auf der Notwendigkeit einer gesonderten ägyptischen Seemacht zu bestehen. Den Argwohn des Großherrn konnte er dadurch keineswegs beschwichtigen, zumal er forciert aufrüstete und die Belehnung mit dem südlichen Syrien für geleistete Dienste in Griechenland verlangte.

Seit Längerem hatte er im Sinne, Syrien zu gewinnen. Für seine Industrieprojekte benötigte er die Rohstoffe des wohlhabenden Landes: Holz für den Schiffsbau, Seide und Öl für den Export. Zur geopolitischen Abschirmung seiner arabischen Eroberungen und zur Sicherung Ägyptens musste ihm an einer Pufferzone zum Osmanischen Reich gelegen sein, sodass er Vorwände suchte, in Syrien einzufallen.

Um sich über seines Vasallen Absichten zu unterrichten, entsandte Mahmud im Juli 1830 einen Emissär nach Alexandrien, Pertew Effendi, einen hartköpfigen und scharfblickenden Alttürken, der sich nicht täuschen ließ. Seine Mission erhellte Mehmed Alis Forderungen: Belehnung mit den Paschaliks Akkon und Damaskus. Gestützt auf sein Ansehen in der muslimischen Welt als Befreier der Heiligen Städte und im Vertrauen auf seine Rüstungen und die Allianz mit dem Fürsten des Libanon, Emir Beschir Schehab, zögerte Mehmed Ali nicht länger, in Syrien einzufallen. Mit einem beträchtlichen Heer von 20 000 Mann europäisch geschulter Infanterie und seiner erstklassigen, von unterworfenen Beduinenstämmen gestellten Reiterei, unterstützt von einer Flotte von 27 Linienschiffen, ließ er, nach vorausgegangenen Händeln mit dem Pascha von Akkon, Abdallah, dem Sohn des berüchtigten Djezzar Pascha, der 1799 Akkon gegen Napoleon gehalten hatte, seinen Adoptivsohn Ibrahim im November 1831 in Syrien einrücken. Schon immer war Akkon für die Angehörigen der ägyptischen Mameluckengeschlechter Asyl und Zuflucht gewesen, viele hatten in der Arnauten-Armee Djezzar Paschas Dienste genommen. Abdallah Pascha war vorbereitet; eingeschlossen und belagert, leistete er bis zum 26. Mai 1832 so ausdauernden Widerstand, dass die Pforte zur Verteidigung Zeit gewann. Ibrahim, der vor Akkon nur ein Blockadekorps zurückließ, gelang es, sich der südlichen Hälfte Syriens über Beirut und Damaskus hinaus zu bemächtigen. Bei den Ruinen von Baalbek erwartete er die osmanischen Streitkräfte. Außer den Truppen des Paschas von Aleppo befand sich von Konstantinopel her eine Armee von 60 000 Mann mit 100 Geschützen unter Hussein Pascha, dem Janitscharenvertilger, im Anmarsch. Unter einer fähigen Leitung wäre diese gut bewaffnete und ausgebildete Armee eine Achtung gebietende Macht gewesen. Alle stolzen Hoffnungen indessen, die der Sultan auf sein neues Heer gesetzt hatte, wurden schmählich getäuscht. Verloren ging gleich beim ersten Zusammenstoß mit den Ägyptern im Orontes-Tal die Schlacht von Homs (9. Juni 1832), verloren Antiochien und Aleppo (18. Juli), verloren die Schlacht am Beilan-Pass (29. Juli) und Alexandrette. In Auflösung eilte das türkische Heer dem Taurus zu, und außer Syrien geriet auch Cilicien in Ibrahims Gewalt. Alsbald schob er Truppen in die Pässe des Taurus vor, um nicht nur die gemachten Eroberungen zu sichern, sondern auch die Zugänge zum Hochland von Karamanien zu gewinnen. Zunächst sammelten sich die Trümmer des türkischen Heeres bei Konia, durch den Pascha von Trapezunt wurden 20 000 Mann ausgehoben und endlich in Rumelien 30 000 Mann durch den Großwesir Reschid Mehmed Pascha zusammengebracht, der zwar im russischen Kriege nicht glücklich gekämpft, aufgrund seiner Leistungen in Griechenland und Albanien jedoch als tüchtigster Heerführer der Pforte galt und nun anstelle Hussein Paschas den Oberbefehl erhielt. Im Ganzen verfügte er über 80 000 Mann mit 120 Geschützen gegen Ibrahim. Dessen Erfolge beruhten nicht zuletzt auf der Haltung der Bevölkerung Syriens, die in ihm zunächst den Befreier vom Türkenjoch erblickte. Als größte Unterdrückung war stets die willkürliche und gewaltsame Rekrutierung zur Armee empfunden worden, davon wenigstens hoffte man, nun erlöst zu sein. Gerade darin aber sahen sich die Syrer enttäuscht, da Ibrahim ohne Verzug – auch seinerseits ungleich rationeller und gewaltsamer als unter dem osmanischen System – zu starken Aushebungen schritt. Die daraus resultierende, tiefgehende Unzufriedenheit zwang ihn zwar, eine beträchtliche Besatzungsmacht in Syrien zu belassen, dennoch fühlte er sich bald stark genug, erneut die Offensive zu ergreifen. Er überschritt den Taurus, vertrieb die türkischen Truppen, die ihm den Austritt aus dem Gebirge verlegen wollten, und nahm ohne weitere Gegenwehr Eregli, von den hier bereits türkischen Bevölkerungsteilen mit den gleichen Sympathien empfangen wie zuvor von der arabischen Seite. Am 18. November besetzte er kampflos Konia. Während die Militärs auf beiden Seiten wegen des Einbruchs des Winters in ihren Stellungen verbleiben wollten, befahl der Sultan dem Großwesir, der von Skutari heranrückte, unverzüglich den Gegner anzugreifen. So kam es am 21. Dezember 1832 bei Konia zur Entscheidungsschlacht, in der der Großwesir, der sich zu weit vorgewagt hatte, gleich zu Beginn gefangen und seine Armee trotz tapferen Kampfes durch Umgehung des linken Flügels völlig geschlagen und auseinandergesprengt wurde. Der Weg nach Konstantinopel lag offen!

Obwohl der Tag die Ägypter teuer zu stehen gekommen war – ihre Verluste betrugen 8000 Mann- ließ sich Ibrahim Pascha nicht aufhalten. Ohne noch auf Widerstand zu stoßen, erreichte er Mitte Februar 1833 Kutahja und stand damit acht Stunden vor Bursa. Schutz konnte Mahmud nur noch durch Intervention der Großmächte finden. Als England zögerte, nutzte die russische Diplomatie die Situation. Schon im Dezember war Generalleutnant Murawieff, von Zar Nikolaus gesandt, mit dem Anerbieten russischer Hilfe und Friedensvermittlung eingetroffen. Zwar standen dem der instinktive Hass der muslimischen Bevölkerung gegen den christlichen Erbfeind und auch die Staatsklugheit des Diwans entgegen, der eine direkte Verständigung mit Mehmed Ali dem russischen Schutze vorgezogen hätte, allein der von Chosrew Pascha geschürte Groll des Sultans gegen den abtrünnigen Untertan überwog, der seinerseits in formaler Aufrechterhaltung der Fiktion seiner Ergebenheit an Mahmud wegen der verlorenen Schlacht von Konia ein Kondolenzschreiben richtete.

So erschien auf Anrufen des Sultans eine russische Flottenabteilung am 20. Februar im Bosporus. Russlands Eingreifen hatte inzwischen jedoch die Westmächte alarmiert. Frankreich war derzeit in Konstantinopel nur durch einen Geschäftsträger, England gar nicht vertreten gewesen. Nunmehr wurden als Botschafter Admiral Roussin, bald darauf Lord Ponsonby entsandt. Ersterer erhob Protest gegen die Anwesenheit der russischen Flotte, suchte zugleich jedoch Ibrahim Pascha zum Rückzuge aus Anatolien und Mehmed Ali zum Ausgleich mit dem Sultan zu drängen. Abermals zeigten sich beide unnachgiebig, und als am 25. März Mehmed Alis Erklärung nach Konstantinopel kam, er werde Ibrahim Befehl zum Vormarsch geben, wenn seine Forderungen nicht innerhalb sechs Tagen erfüllt würden, erreichte die Bestürzung den höchsten Grad. Der Sultan erbat vom russischen Gesandten die Entsendung einer zweiten Flotten-Division mit Landungstruppen, zugleich wurde die Friedensvermittlung Roussins angenommen, der am 29. März seinen Bevollmächtigten Varannes mit einem türkischen Unterhändler zu Ibrahim nach Kutahja schickte. Da von ihnen dort dem Ägypter nicht nur Syrien, sondern auch Cilicien mit Adana zugestanden wurde, weigerte sich der Sultan zunächst zwar zu ratifizieren, weil inzwischen am 2. und 14. April zwei weitere russische Flotten-Divisionen eingetroffen waren und 15 000 Mann am asiatischen Ufer des Bosporus bei Hunkiar Iskelessi, gegenüber von Büjükdere ans Land gesetzt hatten, sodass die unmittelbare Gefahr für Konstantinopel beseitigt war. Da aber gleichzeitig eine französische und eine englische Flotte im Golf von Smyrna erschien, genehmigte Mahmud endlich, um weiteren Verwicklungen zu entgehen, am 5. Mai die Friedensbedingungen von Kutahja mit der bedeutungslosen Modifikation, dass Mehmed Ali mit den Paschaliks von Syrien, sein Sohn Ibrahim mit dem von Adana belehnt wurde.

Nicht länger zu zögern, bewog ihn die Ankunft des Grafen Orlof, der als außerordentlicher Botschafter des Kaisers Nikolaus eintraf und den Oberbefehl über die russischen Land- und Seestreitkräfte übernahm. Gleichzeitig war ein russisches Armeekorps in die Donaufürstentümer eingerückt, während Silistria, seit dem Frieden von Adrianopel als Pfand für die von der Pforte zu zahlende Kriegskostenentschädigung, noch immer in russischen Händen war.

Unter diesen Umständen gelang es Orlof, den Sultan zum Abschluss des Vertrages von Hunkiar Iskelessi zu bringen (8. Juli 1833), der in Form einer Defensiv-Allianz die Pforte unter den militärischen Schutz Russlands stellte und sie verpflichtete, zugunsten Russlands die Dardanellen allen fremden Kriegsschiffen zu verschließen.

In London wie in Paris herrschten Bestürzung und Verdruss; die Dardanellen zwar waren von jeher ein mare clausum gewesen, und insofern hatte der Vertrag nichts verändert, aber Schließung und Öffnung der Durchfahrt lagen bislang in der alleinigen Diskretion der Türken. Jetzt griff vertragsgemäß Russlands Einfluss über Konstantinopel auf die Einfahrt ins Mittelmeer über. Der englische Premier Lord Palmerston hat Mehmed Ali niemals verziehen, dass er den Anlass hierfür gegeben hatte.

Für die nächsten acht Jahre herrschte Ibrahim als Wali über Syrien, wo er die Verwaltung des Landes gründlich reorganisierte. Er stützte sich auf seinen Verbündeten Emir Beschir, den Herrn des Libanon. Die vier syrischen Paschaliks verwaltete er als Einheit und erklärte Damaskus zur Hauptstadt. Er hielt es mit den Notabeln und einigen großen Familien des Landes, was ihm die Eifersucht und Feindschaft der anderen eintrug. Da er mit dem Ausbau der Zentralgewalt zunehmend die Macht der Feudalherren einzuschränken suchte, begann man bald im Verein mit den Osmanen und englischen Agenten, gegen ihn zu konspirieren. Seine Modernisierungsmaßnahmen setzte Ibrahim mit der ihm eigenen Rigorosität durch, sodass sich bald allerorts erheblicher Widerstand regte. Mit seiner bekannten Erklärung vom Dezember 1831 räumte er den religiösen Minoritäten Gleichheit vor dem Gesetz ein, was bei den muslimischen Notabeln auf Ablehnung stieß, sodass die Basis der ägyptischen Herrschaft sich zusehends verengte. Vollends unpopulär machten sich die Ägypter durch ihr System der Staatsmonopole und ständigen Zwangsrekrutierungen. Seit 1834 brachen sporadische Revolten los. Als Moltke in Konstantinopel eintraf, lag der kriegerische Ausbruch des Konflikts von Neuem in der Luft.

— 2 —

Am Beginn steht die Kabinettsordre Friedrich Wilhelm III., die Moltke in die Türkei entsendet. Moltke und seine später mit ihm entsandten Kameraden waren nicht die ersten europäischen Offiziere in der Armee des Sultans, aber ihr Status war ein grundsätzlich anderer als derer, die bisher türkische Dienste genommen hatten. Häufig handelte es sich bei ihnen um Abenteurer, die, aus der eigenen Armee ausgeschieden, meist für dauernd und oft unter Annahme der türkischen Staatsangehörigkeit und Übertritt zum Islam im Reich des Sultans eine neue Heimstatt gefunden hatten.

Am weitesten unter diesen „aventuriers sans consistance“ hat es Karl Detroit aus Brandenburg, der spätere Mehmed Ali gebracht, der im Sommer 1847 als Schiffsjunge von einer Hamburger Dreimastbark in den Bosporus sprang und dreißig Jahre später als türkischer Marschall die Pforte auf dem Berliner Kongress vertrat, von Bismarck ungnädig als „der Magdeburger“ apostrophiert.

Dass es zur Entsendung der Militärmission kam, lag am Zustand des türkischen Heerwesens im Zeitalter der Reform des Osmanischen Reiches. Wie schon gesagt, war es Mahmud II. gelungen, 1826 in einem furchtbaren Blutbad die alte Elitetruppe der Janitscharen auszurotten, um mit Hilfe europäischer Instrukteure ein modernes türkisches Heer nach europäischem Muster zu schaffen. Der Krieg mit Russland 1828/29 bewies, dass ein Überleben des osmanischen Staatskörpers nur durch schnellen Aufbau neuer Streitkräfte gewährleistet erschien. Hierzu war man am Bosporus auf fremde Militärhilfe angewiesen. Bis auf Preußen verfolgten alle Großmächte, Russland, England, Frankreich, Österreich mehr oder minder eigensüchtige Interessen, die mit denen der Pforte kollidierten. Preußen hatte weder territoriale Absichten, noch vertrat es hegemoniale Bestrebungen, dagegen war anerkannt, dass es eine hervorragende Armee besaß.

Zudem beherrschte nichts das Denken Sultan Mahmuds II. in seinen letzten Lebensjahren so sehr wie das Verlangen, Mehmed Ali zu züchtigen und die eigene Herrschaft über die verlorenen Provinzen wiederherzustellen. Hier liegt ein Leitmotiv seiner Außenpolitik wie der Reformbestrebungen auch im militärischen Bereich. Nur so ist seine Schwenkung auf das Bündnis mit dem russischen Erbfeind zu verstehen. Aber die Defensivallianz der Pforte mit dem Zarenreich stellte die Türkei praktisch unter ein militärisches Protektorat.

Es galt daher zunächst, die eigenen militärischen Kräfte neu zu organisieren und die Autorität des Sultans wiederherzustellen, was in Anatolien und Armenien rasch gelang. Zudem mussten für einen Revanchefeldzug gegen Mehmed Ali günstige geographische Vorbedingungen geschaffen werden. Im Sommer 1834 erhielt der Großwesir Mehmed Reschid Pascha Befehl, die Kurden zu unterwerfen, die staatsrechtlich zwar zum Osmanischen Reich gehörten, sich jedoch seit Menschenaltern faktisch vollkommen unabhängig fühlten. Das Unternehmen verlief zumindest im westlichen Kurdistan erfolgreich, sodass die Ägypter die zum Paschalik Diarbekir gehörenden Bezirke Urfa und Rakka räumten. Der große Aufstand gegen die Ägypter in Palästina im Mai 1834, bei dessen Bekämpfung Ibrahim Pascha in Jerusalem eingeschlossen wurde und in eine höchst bedrängte Lage geriet, ließ schon damals die Gelegenheit zur Revanche günstig erscheinen. Doch der Krieg brach nicht aus. Die Haltung der Großmächte entsprach weder den Erwartungen des Sultans noch denen Mehmed Alis. Weder war Frankreich bereit, seinen Günstling am Nil zu weiterem Vorgehen zu ermuntern, noch war Russland gesonnen, der Macht des Sultans zu neuem Aufschwung zu verhelfen.

Russland beherrschte das Geschehen im Orient. In Konstantinopel hatte es den Fuß in der Tür, und ob Krieg oder Frieden zwischen Alexandrien und Konstantinopel bestand, war für den Zaren letztlich gleichgültig. Blieb der Friede erhalten, war die Türkei zu erschöpft, den Status quo in Frage zu stellen. Begann Ibrahim die Feindseligkeit, lag darin Anlass genug, in Konstantinopel wieder auf den Plan zu treten. Lediglich um den Schein zu wahren, trat man in Petersburg für die Aufrechterhaltung des Friedens ein.

Anders Österreich; es besaß im Gegensatz zu Preußen territoriale Interessen, die es gegen russische Ambitionen auf die Donaumündung zu wahren galt. Auch wollte Metternich jegliche Erschütterung seines 1815 geschaffenen Systems eines europäischen Gleichgewichts verhindern. „Cela durera bien toujours autant que moi“ war seine Maxime. So war Mahmud in seinen Kriegsgelüsten zu zügeln. Im Übrigen gab man in Wien dem legitimen Souverän am Bosporus vor dem rebellischen Untertan am Nil den Vorzug.

England war der traditionelle Gegner Mehmed Alis, der der Londoner Kaufmannschaft allein durch seinen Besitz von Euphrat und Rotem Meer, den beiden großen Handelswegen nach Indien, Trotz bot. Um von der Themse an den Ganges zu gelangen, kam man auf der Mittelmeerroute nicht an ihm vorbei. Nachdem alle Bemühungen, die Konzession zur Öffnung eines Verkehrsweges von der Orontes-Mündung zum Euphrat von Mehmed Ali zu erlangen, gescheitert waren, unterlief man mit dem mit der Pforte geschlossenen Handelsvertrag seine Position. Durch die vertraglich vorgesehene Unterdrückung der von dem Pascha in Syrien eingeführten Monopole, die praktisch seine ausschlaggebende substantielle Einnahmequelle darstellten, sollte Mehmed Ali ruiniert und zum Einlenken gezwungen werden. Der britische Botschafter Lord Ponsonby, eine willensstarke Persönlichkeit, schürte zum Krieg, ermutigte Mahmud, bestärkte ihn in seinem verletzten Stolz und stellte das Erscheinen einer englischen Flotte vor Alexandria in Aussicht. Dennoch fürchtete man am Hofe von St. James den endgültigen Bruch, der Konstantinopel erneut unter den Schutz russischer Bajonette bringen musste.

Frankreichs Präferenz dagegen lag bei Mehmed Ali, darin stimmten Volk und Regierung der Juli-Monarchie überein. Sein ehrendes Andenken an Napoleon I., sein Hang zu allem Französischen schmeichelten der Nation. Der Pascha war ein „homme nouveau“, hervorgegangen aus den revolutionären Umwälzungen zu Beginn des Jahrhunderts. Doch blieb auch die Politik des Tuilerienkabinetts inkonsequent, man blickte noch immer mehr auf Konstantinopel als auf Alexandrien. Paris war wie dem übrigen Europa nach der Juli-Revolution an Ruhe und Frieden, am Status quo gelegen.

So suchte Mahmud II. zunächst europäische Offiziere zur Instruktion seiner Armee zu erlangen. Die Wichtigkeit, seine Truppen nach europäischem Standard auszubilden, war ihm seit der Anwesenheit des russischen Korps an den Ufern des Bosporus, wo es unter seinen Augen exerziert und manövriert hatte, deutlicher als je zuvor bewusst. Gegen russische Instrukteure hatte die Pforte Bedenken, der Versuch, französische Offiziere für die Armee des Großherrn zu erbitten, schlug fehl, sowohl der russische Gesandte in Konstantinopel, Butenieff, wie der österreichische Internuntius Stürmer erhoben Einspruch. Auch zeigte sich das französische Kabinett trotz der Fürsprache des Botschafters, Admiral Roussin, nicht bereit, von seiner Politik der Begünstigung Mehmed Alis abzugehen.

Mittlerweile hatte der Sultan durch Reschid Pascha, seinen Botschafter in Paris, die Schrift des französischen Generals Marquis de Caraman über die Preußische Heeresorganisation* erhalten, die, ins Türkische übersetzt, sein lebhaftes Interesse fand. Nach Caraman hatte die Preußische Heeresorganisation das Problem gelöst: „d’avoir une force militaire avec le moins de dépenses possible.“

Bei diesem Stand der Dinge traf Moltke am 23. November 1835 auf seiner Mittelmeerreise in Konstantinopel ein. Einige Tage vor seiner Abreise nach Athen wurde er durch den preußischen Gesandten Graf von Königsmarck dem türkischen Kriegsminister, dem Seraskier Chosrew Pascha, vorgestellt. Die Folge der Audienz war, dass man Moltke um Aufschub der Abreise und der Sultan Friedrich Wilhelm III. um längere Beurlaubung seines Offiziers bat. Angesichts sofortigen Remonstrierens der Gesandten der Mächte beschränkte sich der König darauf, Moltkes Urlaub zunächst um drei Monate unter Belassung des Gehalts zu verlängern.

Doch schon im Januar 1836 richtete Mahmud II. ein weiteres Gesuch an Friedrich Wilhelm III. Er erbat nun insgesamt 11 Offiziere und 4 Unteroffiziere als Instrukteure auf drei Jahre. Friedrich Wilhelm III. verhielt sich mit Rücksicht auf Russland zunächst rezeptiv, aber nachdem die Bedenken des Königs – vermutlich durch Zar Nikolaus I. persönlich, der, wenn überhaupt, lieber preußische als andere Offiziere in Konstantinopel sehen mochte – ausgeräumt waren, wurde in Berlin die Auswahl getroffen. Moltke selbst wurde gefragt, ob er „als kommandiert“ in der Türkei bleiben wollte. Da er die Entscheidung seinem Chef General von Krauseneck anheimstellte, erfolgte endlich durch Kabinettsordre vom 8. Juni 1836 statt der Beurlaubung die förmliche Kommandierung nach der Türkei „zur Organisation und Instruktion der dortigen Truppen“.

Nach mancherlei Hin und Her, zumal wegen der Intervention des österreichischen Internuntius in Konstantinopel, der die Berufung preußischer Offiziere mit Argwohn und Eifersucht beobachtete, wurde die Errichtung einer Militärakademie, für die man die preußischen Offiziere vornehmlich berufen wollte, wieder aufgegeben, stattdessen türkische Offizierseleven zur Ausbildung nach Wien entsandt und Preußen um Entsendung lediglich dreier Generalstabsoffiziere als Instrukteure der kommandierenden Paschas in den Provinzen und eines Ingenieur-Offiziers zur Befestigung der Dardanellen gebeten. Erst nach anderthalb Jahren waren in Berlin alle Skrupel soweit erledigt, dass am 5. Juli 1837 der Befehl zur Abreise der ausgewählten Offiziere gegeben wurde. Ende August erreichten die Hauptleute von Vincke, Fischer und von Mühlbach, der Ingenieur-Offizier, nach 14-tägiger Seefahrt den Bosporus.

Anfang September fanden die Audienzen der Preußen beim Sultan statt. Wir besitzen davon eine hübsche Schilderung von Mühlbachs:

»Inzwischen waren dem Seraskier die Namen der Offiziere mit türkischen Buchstaben auf einen Zettel geschrieben, wonach er sich übte, sie auszusprechen. Auch Said Pascha, der zweite Schwiegersohn des Sultans, erschien jetzt, und zwar aus Respekt vor dem älteren Schwager nur in Strümpfen. Erst nachdem dieser fortgegangen war, um den Befehl des Sultans einzuholen, zog er Pantoffeln an.

Endlich, nach halbstündigem Aufenthalt im Mabein, setzte sich der Zug zum Sultan in Bewegung. Voran dessen beide Schwiegersöhne, dann sein erster Geheim-Schreiber mit dem Grafen von Königsmarck, gefolgt von zwei Sekretairen des Sultans mit dem Dragoman des Gesandten, hierauf die vier Offiziere und einige türkische Beamte, dann der Leibjäger und ein Diener des Gesandten, sowie schließlich ein Schwarm von etwa 15 Personen unbekannter Stellung. Auf dem Wege zum Schlosse war ein Portal zu passieren, an dem ein Doppelposten die Honneurs machte, andre herumlungernde Soldaten jedoch sich sehr ungeniert benahmen. Als unter Vortritt eines Stabträgers Sklaven Weintrauben in zierlichen Körben auf den Köpfen vorübertrugen, wurde von den Soldaten aus dem Versteck hinter den Thorflügeln heraus mit affenartiger Geschwindigkeit nach Möglichkeit davon gemaust, ohne daß eingeschritten wurde.

Am Schlosse selbst wieder ein Doppelposten und ein großer Schwarm von Beamten und Dienern, darunter auch die einzige Person, die man in alter orientalischer Kleidung zu sehen bekam, ein schwarzer Eunuche in roten Gewändern, den man vorher den jüngsten Sohn des Sultans auf dem Arme tragend und mit ihm spielend erblickt hatte. Sonst trugen alle Personen in der Umgebung des Sultans, abgesehen vom Fez und den Pantoffeln, europäische Tracht. Die preußischen Offiziere waren auf Wunsch des Sultans nicht in ihren Uniformen, sondern im Frack mit Orden erschienen.

Von orientalischer Pracht war auch im Schlosse nichts zu sehen. Eine einfache, braun gebeizte hölzerne Treppe führte nach dem oberen Stockwerk. Dann ging es durch einen mächtigen, aber nur gelb getünchten und mit einigen Goldleisten verzierten, fast leeren Saal, in dem außer einem Divan und einigen Rohrstühlen sich 4 große, stark mit Fingern betastete Spiegel, ein Kronleuchter und zwei Porzellanvasen, Geschenke aus Petersburg und Paris, befanden. Der Fußboden schlecht parkettiert mit verworfenen Hölzern. Ebenso einfach war auch das Zimmer des Sultans selbst eingerichtet – dieses in einem Ausbau auf der Wasserfront des Schlosses, mit seiner ganzen Tiefe vor dieselbe vorspringend, so daß der Sultan nach drei Seiten hin freie Aussicht auf den Bosporus hatte.

Hier saß er auf einem europäischen Sopha an einem Fensterpfeiler. Die Preußen blieben im Vorgemach zurück, bis die voranschreitenden Türken ihre Ehrfurchtsbezeugungen vollendet hatten. Dann traten sie mit drei stummen Verbeugungen ein, bei denen der Sultan, wie üblich, regungslos blieb. Nur seinen großen ausdrucksvollen Augen war sein Interesse anzusehen. Seine Schwiegersöhne nahmen, im Viereck, ihm zur Rechten, der Gesandte mit dem Dolmetscher in etwas größerer Entfernung ihm zur Linken, die Sekretaire des Sultans hinter dem Gesandten, und die preußischen Offiziere dem Sultan gegenüber Aufstellung. Letzterer trug einen dunkelvioletten Uniformüberrock und weiße Beinkleider mit roten Streifen, darüber einen violetten Mantel mit rotem, in Brillanten gestickten Kragen, der durch eine gleichfalls mit Brillanten besetzte Spange zusammengehalten war. Auf dem Kopfe den Fez.

Der Gesandte hielt eine französische, vom Dolmetscher übersetzte Ansprache, in der er hervorhob, dass der König dem Sultan seine freundliche Gesinnung auch durch die getroffene Auswahl der Offiziere habe beweisen wollen.

Dann folgte die Vorstellung Vincke’s, Fischer’s und Mühlbach’s, wobei dem Sultan der Zettel mit ihren Namen überreicht wurde. Er selbst las sie laut, doch machte ihm offenbar der Name Fischer Mühe. Moltke wurde von ihm der „Baron Bey“ genannt und gelobt. So verlief die halbstündige Audienz sehr befriedigend, und unter drei Verbeugungen rückwärts schreitend verließen die Preußen das Zimmer.“

Gänzlich andersartig als die Karrieren sonstiger europäischer Offiziere, die sich in den weiten, irgendwo stets unruhigen Gebieten des Osmanischen Reiches vollzogen, stellt sich der Status der entsandten preußischen Militärberater dar: In ihren Instruktionen hieß es, dass sie auch während ihrer Abordnung in ihrer jeweiligen Stellung in der preußischen Armee verblieben. Diese Regelung wurde zum Präzedenzfall aller künftigen Militärberater. über militärische Angelegenheiten, die für Preußen von Interesse waren, hatten sie an ihre Chefs nach Berlin zu berichten. Ihrer Chronistenpflicht sind sie, wie ein Blick in die Archive zeigt, vollauf nachgekommen. Im preußischen Generalstab befand sich Moltkes und seiner Kollegen Schlussbericht.*

Die preußische Metropole:Das Palais Friedrich Wilhelms III. Unter den Linden

Materiell waren die Militärberater gut abgesichert: Jedem der Offiziere sicherte die Pforte für die Reise nach Konstantinopel 8000 Piaster (etwa 1600 Goldmark) und ebensoviel für die Rückreise zu, für die Dauer des Kommandos monatlich 2000 Piaster nebst Diener und zwei Reitpferden. Außerdem sollten sie ihr preußisches Gehalt und die Generalstabszulage (6 Mark täglich) weiterbeziehen. Sicher mögen auch für Moltke ökonomische Rücksichten bei der Annahme mitgespielt haben. Man hat ihm später nachgerechnet, dass er nach seiner Rückkehr seine türkischen Ersparnisse, etwa 10 000 Taler, in Eisenbahnaktien angelegt habe.

Als strengste Pflicht galt es, sich von allen politischen Beziehungen fernzuhalten. In der Tat hatten die preußischen Offiziere in türkischen Diensten in der Frage des Krieges gegen Mehmed Ali Distanz zu halten, und so enthielten sie sich korrekt und gewissenhaft, zu Krieg oder Frieden zu raten. Während der Kriegshandlungen auf dem kleinasiatischen Kriegsschauplatz bemühten sie sich, durch ihren Rat den türkischen Waffen zum Siege zu verhelfen, aber meistenteils ohne Erfolg. Die entscheidende Schlacht von Nisib wurde gegen Moltkes Rat nach Anhörung der islamischen Geistlichkeit geschlagen und endete, wie von ihm vorausgesagt, in völliger Katastrophe.

Zutreffend ging man in Preußen von der Ansicht aus, die Offiziere der Mission würden vor allem mit hochgestellten Persönlichkeiten des Osmanischen Reiches in Berührung kommen. Das Ausmaß ihrer Einwirkungsmöglichkeiten würde von der richtigen Auffassung der Aufgaben abhängen. Sie müssten daher „weltkluge Persönlichkeiten sein, mit einem gewissen Grad von Selbstverleugnung, um Einfluß gewinnen zu können, ohne ihn fühlbar und lästig zu machen. Sie müssten jedes Aufsehen vermeiden“. Der schweigsame, selbstironische, zurückhaltende Kapitän von Moltke entsprach diesem Idealtypus in besonderem Maße.

Moltke blieb fast zweieinhalb Jahre in Konstantinopel. Man spürt aus seinen Briefen, wie ihn die alte Metropole fasziniert. Die Hauptstadt des Osmanischen Reiches war eine Weltstadt. Man kann sich den Kontrast zu dem kleinen, engen, vormärzlichen Berlin vorstellen.

Moltkes Arbeiten beginnen mit einer Denkschrift für den Seraskier, „Einführung des preußischen Landwehrwesens in der Türkei“, dann kommen topografische Aufnahmen Konstantinopels, der Umgebung, des Bosporus. Er bereist die Dardanellen, um Vorschläge für ihre Befestigung zu machen, er verfasst Aufnahmen, Denkschriften. Ob sie je gelesen oder verstanden wurden, ist nicht gewiss, aber die Arbeit blieb fruchtbar, wenn nicht für das Osmanische Reich, so doch für den Mann, der sie tat.