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Birgit Read

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Beschreibung

Sarah von Malsheim steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem Traummann. Sie ist Teil der Familie Rosenheim, einer vornehmen reichen Familie, in der strenge Regeln gelten. Sarah ist wie ihre Großmutter Lena eine Rebellin. Dass sie Heiko von Lohen, einen Mann aus standesgemäßen Kreisen liebt und heiraten möchte, erspart ihr Diskussionen mit ihrer dünkelhaften Tante Aline. Alles scheint in geordneten Bahnen zu verlaufen, bis Sarah eines Tages von ihrer sterbenden Großmutter einen Umschlag erhält. Dessen Inhalt wird Sarah und ihre Mutter nach Afrika führen und die Familie bis in ihre Grundfeste erschüttern.

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Kurzbeschreibung:

Sarah von Malsheim steht kurz vor der Hochzeit mit ihrem Traummann. Sie ist Teil der Familie Rosenheim, einer vornehmen reichen Familie, in der strenge Regeln gelten. Sarah ist wie ihre Großmutter Lena eine Rebellin. Dass sie Heiko von Lohen, einen Mann aus standesgemäßen Kreisen liebt und heiraten möchte, erspart ihr Diskussionen mit ihrer dünkelhaften Tante Aline. Alles scheint in geordneten Bahnen zu verlaufen, bis Sarah eines Tages von ihrer sterbenden Großmutter einen Umschlag erhält. Dessen Inhalt wird Sarah und ihre Mutter nach Afrika führen und die Familie bis in ihre Grundfeste erschüttern.

Birgit Read

Unter der Sonne Nigers

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Birgit Read

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Lektorat: Catherine Beck

Korrektorat: Mandy Linde

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-230-7

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

In Erinnerung an Umoya, einen Whippetrüden, der mir mit seinem Namen die Inspiration zu dieser Geschichte gab.

Prolog

Februar 1956 – im Nordosten von Niger

Der Tag neigte sich dem Ende zu. Über der Savannenlandschaft wehte ein leichter Wind. Umoya, ein junger Krieger der Kioi, hockte auf einem Felsbrocken und beobachtete den Horizont.

Als der zwanzigste Sommer nach seiner Geburt begann, war die Ausbildung, die ihn befähigte, eine Familie zu versorgen, abgeschlossen. Nun wartete nur noch eine letzte Aufgabe auf ihn.

Es war der fünfte Tag seiner Reise. Umoya bereitete sich auf das abendliche Ritual vor, mit dem er der Natur seine Demut bekunden wollte. Er breitete das Schultertuch, mit dem er tagsüber seinen Kopf vor der sengenden Sonne schützte, auf der Erde aus, und sank auf die Knie. Er tat einige tiefe Atemzüge, schloss die Augen und breitete die Arme aus. So dankte er der Natur für ihre Gaben, die ihn, sein Volk und seine Familie am Leben erhielten, und bat um Hilfe bei der Erfüllung seiner Aufgabe.

Morgen würde er sein Ziel erreichen, die Flussmündung des noguni palai, was so viel wie fließendes Wasser bedeutete. Hier sollte er ein befruchtetes Krokodilei stehlen und es zum Dorf seines Stamms bringen. Erst wenn er diese Aufgabe, die ihn endgültig zum Mann machte, gemeistert hatte, durfte er heiraten und eine Familie gründen.

In seinem Dorf wartete Afeni, seine Braut, auf ihn. Kurz nach ihrer Geburt war sie ihm versprochen worden. Erst einmal hatte er sie aus einiger Entfernung gesehen, als seine Familie vor zwei Jahren ihr Dorf besucht hatte. Sie hatte breite Hüften und große Brüste. Gut, um Kinder zu gebären und sie zu nähren. Darauf kam es an. Sein Vater hatte ihm erklärt, was er tun musste, um Kinder zu zeugen. Daran, dass sein Glied des Öfteren steif wurde, hatte sich Umoya gewöhnt. Auch wie er sich Erleichterung verschaffen konnte, wusste er. Wie es mit einer Frau sein würde, das konnte er sich nicht vorstellen.

Afenis Vater hatte seine Tochter in Umoyas Dorf gebracht, als der sich auf den Weg zur Prüfung machte. Niemand zweifelte daran, dass er erfolgreich zurückkehren würde. Das ganze Dorf würde sich während seiner Abwesenheit mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigen.

Umoya gehörte zum Stamm der Kioi, der sich aus acht Dörfern zusammensetzte. In jedem Dorf lebten zwei bis drei Großfamilien. Je mehr Kinder zu einer Familie gehörten, desto angesehener war sie. Geheiratet wurde nur innerhalb des Stamms, und die Kinder wurden direkt nach der Geburt einander versprochen. Die Versammlung der Weisen, die die Ehen genehmigen musste, achtete darauf, dass Mann und Frau nicht zu nah verwandt waren. Nach der Hochzeit blieben die Männer im Dorf. Verheiratete Frauen zogen in das Dorf ihrer Männer.

Umoya freute sich darauf, eine Familie zu gründen. Sein Vater hatte es auf neun Jungen und sieben Mädchen mit zwei Ehefrauen gebracht. Umoya war der Letztgeborene und als Einziger noch unverheiratet.

Sein Name bedeutete Wind und stammte aus der Sprache der Zulu. Man gab ihm diesen Namen, weil er sich den Weg in die Welt schnell wie der Wind gebahnt hatte. Seine Mutter hatte ihn am Fluss während des Wäschewaschens geboren, und seine Tante Zuri hatte ihn aus seiner Mutter herausgezogen und ihn in Tücher gewickelt. Mit seiner geschwächten Mutter auf dem Rücken und ihm in einem Tuch an ihren Körper gebunden, hatte Zuri sie beide nach Hause getragen.

Er beendete sein Ritual und bereite sich auf die Nacht vor. Morgen würde er das Ufer des noguni palai erreichen. Dann kam es darauf an, ob er das, was sein Vater und seine Brüder ihm über das Anschleichen an gefährliche Tiere und die Anzeichen für Gefahren beigebracht hatten, verinnerlicht hatte. Doch zunächst konzentrierte er sich darauf, einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Die Dunkelheit kam schnell.

Als der Morgen graute, die Sonne über den Rand des Horizonts lugte und das dumpfe Gebrüll eines Löwen über die Savanne schallte, machte sich Umoya auf die letzten Kilometer seiner langen Reise. Noch war es angenehm kühl. Die letzten Tage war es tagsüber ungewöhnlich heiß für die Jahreszeit gewesen. Gegen Mittag erreichte er sein Ziel. Seine Aufgabe erfüllte er mit Leichtigkeit. Ein Krokodilnest war schnell gefunden. Es lag gut erreichbar am Ufer. Bald schon verließ die Mutter das Nest, um im trüben Wasser des noguni palai nach Nahrung zu suchen. Diese Gelegenheit nutzte er und stahl eines der zahlreichen Eier aus dem Hügelnest. Schnell wie der Wind war er aus der Gefahrenzone verschwunden und machte damit seinem Namen alle Ehre. Mit der Beute in seinem ledernen Sack machte er sich auf den Heimweg.

Am dritten Tag seiner Heimreise war er einen Augenblick unvorsichtig und wurde von einer Schlange gebissen. Eine kurze Strecke schleppte er sich durch die Savanne, bis er vor Schmerzen halb wahnsinnig unter einer Akazie zusammenbrach und das Bewusstsein verlor.

Die Götter waren ihm gnädig. Der Jeep eines Savannenkrankenhauses war auf dem Rückweg von einer Besorgungstour. Ein einheimischer Nigrer auf dem Beifahrersitz entdeckte ihn, und sie nahmen ihn mit ins Krankenhaus.

Als Umoya die Augen aufschlug, sah er smaragdgrüne Augen über sich, in denen Freudentränen glitzerten.

Juni 2010 – Starnberger See

Sarah von Malsheim saß auf der Eingangstreppe des jahrhundertealten Anwesens ihrer Familie am Starnberger See und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Neben ihr blühten Rosenstöcke und verbreiteten ihren Duft. Die lange Auffahrt zum Haus säumten Hibiskus Sträucher, die gerade ihre volle Blütenpracht in den verschiedensten Farben entfalteten. Zwischen den Blättern der mächtigen Eichen, die das Ende des Gartens begrenzten, glitzerte der Starnberger See.

„Ist diese Aussicht nicht wundervoll?“, fragte Sarah ihre Freundin Damina, die neben ihr saß.

„O ja ... das ist sie“, seufzte sie. „Ist dir eigentlich klar, welch ein Glück du hast, dass du hier aufwachsen durftest? Und dass du hier leben kannst, so lange du möchtest?“

„Hey, wieso so schwermütig? Was ist los mit dir?“ Sarah sah ihre Freundin fragend an.

„Ach, nichts. Mir wird nur gerade klar, wie bescheiden mein eigenes Leben ist.“

„Im Gegensatz zu mir kannst du deinen Kindern erzählen, dass du dir alles, was du erreicht hast, allein erarbeitet hast.“

Damina lächelte gequält. Sie finanzierte sich das Studium als Kellnerin in einer Bar und putzte in einem Fitnessstudio. Sarah brauchte über Geld nicht nachzudenken. Sie war in eine wohlhabende Adelsfamilie hineingeboren worden, in der man sich über Geld kaum Gedanken machte. Höchstens, wie man es am gewinnbringendsten vermehren konnte. Sie konnte sich ganz auf das Medizinstudium konzentrieren, während sich Damina zusätzlich zum Studium darum kümmern musste, dass ihr Kühlschrank nicht leer blieb.

Heiko von Lohen, den Sarah wie wahnsinnig liebte, hatte ihr gestern einen Heiratsantrag gemacht. Gleichzeitig weinend und lachend hatte sie ja gesagt. Ihr Leben verlief gerade außergewöhnlich gut, während Damina weder einen Freund noch Aussicht auf eine baldige Hochzeit hatte.

„Ich muss jetzt leider.“ Damina erhob sich und streckte die Arme nach Sarah aus. „Lass dich mal drücken. Mein Bruder hat eine Verabredung, und ich muss mich um Mutter kümmern. Du weißt ja, sie hat sich vor drei Wochen ein Bein gebrochen, und ich kümmere mich seitdem abwechselnd mit ihm um sie.“

„Ich möchte, dass du meine Trauzeugin wirst“, sagte Sarah unvermittelt. „Sag ja ...!“

„Äh – was? Ich? Das – das geht nicht. Ich habe nichts zum Anziehen ...“, stammelte sie.

„Ich heirate doch noch nicht morgen. Bis dahin haben wir dir was Schönes besorgt. Mach dir keine Gedanken. Sag mir nur, ob du möchtest.“

„Na klar möchte ich, ich ...“, schluchzte Damina und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

„Hör auf, sonst muss ich noch mitheulen.“

„Ich freu mich so für dich. Heiko und du, ihr passt perfekt zusammen. Ihr seid ein Traumpaar.“

„Ja, das sind wir wohl. Ich liebe ihn über alles.“ Verträumt umfasste Sarah an die antike Schmuckspange, die ihr Kleid zierte.

„Jetzt muss ich aber wirklich los“, sagte Damina mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. „Wir telefonieren!“

„Ciao, ich rufe dich an.“

Mit ihrem roten Ford Fiesta, der vor lauter Rost fast auseinanderfiel, fuhr Damina röhrend dem Ausgangstor zu. Sarah sah ihr hinterher, bis die Klapperkiste um die Ecke entschwunden war, drehte sich auf dem Fußballen um und lief die Treppe zur Veranda hinauf.

„Oma!“, rief sie in der Eingangshalle. Alles blieb still. Kein Wunder. Seit einiger Zeit hörte ihre Oma schlechter. „Omama ...“, rief sie lauter. Dabei zog sie den ersten Buchstaben in die Länge.

„Hat mich jemand gerufen?“, ertönte die klare Stimme ihrer Oma Lena, die im letzten Monat ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hatte.

„Ja, Oma, ich habe dich gerufen. Ich muss dringend mit dir reden.“ Sie blieb vor der Treppe stehen und sah hinauf. Die Hände auf das Geländer der Galerie gestützt, sah Lena Rosenheim amüsiert auf ihre Enkelin herab.

„Was kann ich für dich tun?“

Nur jede zweite Stufe nehmend, hüpfte Sarah die Treppe hinauf und zog Lena auf eines der Biedermeiersofas, die im ganzen Haus zu finden waren und dazu dienten, dass die ältere Generation der Familie zwischen den Gängen von Zimmer zu Zimmer Pausen einlegen konnten.

„Komm, setz dich. Ich muss mit dir reden! Seit Heiko mir den Heiratsantrag gemacht hat, habe ich Unmengen Gedanken in meinem Kopf. Ich weiß nicht, womit ich anfangen soll. Ich brauche deine Hilfe!“

Lena lächelte verständnisvoll. „Denkst du über die Verlobungsfeier nach? Oder schon über die Hochzeit?“

„Über alles. Und das auch noch gleichzeitig. Mir schwirrt der Kopf.“

„Das ist normal. Heiko hat dich erst gestern gefragt, ob du ihn heiraten willst. Schlaf ein paar Nächte drüber und lass dir noch was Zeit, sagen wir – zwei Wochen. Danach setzen wir uns zusammen und überlegen, was zu tun ist. Einverstanden?“

„Einverstanden. Oma – du bist die Beste!“ Stürmisch umarmte sie Lena.

„Schmeiß deine alte Oma nicht um“, sagte sie und verzog ihr Gesicht zu dem typischen Lena-Lächeln, das Sarah so an ihr liebte.

Ihre Oma war für Sarah etwas Besonderes. Es gab nichts, worüber sie nicht mit ihr reden konnte.

Ein sonores „Halloho! Jemand da?“, erklang.

„Heiko!“, schrie Sarah spitz, sodass sich Lena trotz ihrer beginnenden Schwerhörigkeit die Ohren zuhielt. Sarah sauste mit graziösen Sprüngen die Treppe hinunter und schmiss sich in die Arme ihres Bräutigams. Der fing sie auf und wirbelte sie herum. Dann nahm ihren Kopf zwischen die Hände und küsste sie.

„Ich liebe dich“, flüsterte er ihr ins Ohr, als sich ihre Lippen voneinander lösten.

„Ich dich auch. Wie wahnsinnig liebe ich dich.“

Die Familienkonstellation der Rosenheims war ungewöhnlich für eine Familie, die Wert auf Tradition und standesgemäße Verbindungen legte. Als ältestes lebendes Mitglied der Familiendynastie hatte Ingmar Rosenheim vor einigen Monaten seinen siebenundneuzigsten Geburtstag gefeiert. Körperlich mittlerweile stark angeschlagen, funktionierte sein Gehirn trotz seines hohen Alters noch tadellos. Das letzte Wort bei allen wichtigen Entscheidungen hatte nach wie vor er.

Als sein Sohn Karl eines Tages vor vielen Jahren vor ihm gestanden hatte und eine junge Frau namens Lena heiraten wollte, hatte er dieses Ansinnen entschieden abgelehnt.

Nicht nur, dass Lena einem bürgerlichen Elternhaus entstammte, was für ihn Grund genug war, dass sie in seiner Familie nichts zu suchen hatte. Zu allem Überfluss hatte sie auch noch ein verwaistes Negerkind im Schlepptau. Die Reaktionen der gehobenen Gesellschaft hierauf hatte er sich nur zu gut vorstellen können.

„Bist du von allen guten Geistern verlassen, mein Junge!“, hatte er getobt. „Eine Bürgerliche! Mit einem Negerkind! Ich kann nicht glauben, dass du die Frage ernst gemeint hast!“

„Ich liebe diese Frau. Mehr als mein Leben. Sie ist Ärztin – hat dem kleinen Mädchen aus Afrika das Leben gerettet ..., und ich liebe sie beide. Wenn du mich dafür aus der Familie verstößt, werde ich das in Kauf nehmen.“

„Du bist nicht Herr deiner Sinne!“, hatte Ingmar wütend gebrüllt. „Werde erst mal klar im Kopf. Hast du eine Ahnung, was du unserer Familie damit antun würdest? Herzog von Stubbenhardt hat verlauten lassen, dass er seine Tochter gern in unsere Familie einheiraten möchte. Er will dich als seinen Schwiegersohn! Das wäre die ideale Verbindung. Ich habe ihm bereits meine Zustimmung signalisiert. Jetzt kommst du und willst diese – diese Person heiraten!“

Karl war bei dem Gebrüll seines Vaters äußerlich ruhig geblieben. Er hatte erklärt, dass Lenas Familie in ihrem Stammbaum vor Generationen eine angesehene, aber verarmte Großgrundbesitzerfamilie aufweisen konnte.

„Außerdem: Lena ist schwanger.“

Diese Nachricht hatte Ingmar erblassen lassen. „Du hast diese Frau geschwängert?“, hatte er gefährlich leise gefragt. „Du hast wirklich die verdammte Dummheit begangen und dir ein Kind von ihr anhängen lassen?“ Verständnislos hatte er den Kopf geschüttelt.

Noch schlimmer als eine unstandesgemäße Heirat wäre für die Familie ein Bastardkind. Die Mütter von solchen Kindern wollten früher oder später Geld oder wandten sich an die Öffentlichkeit, um über sie Zugang zur Prominenz zu erhalten. Dieser Skandal, dass sein Sohn einen Bankert gezeugt hatte! Ingmar war es bei diesem Gedanken übel geworden.

„Präsentiere mir den Stammbaum der Familie“, hatte er Karl angewiesen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Karl gewusst, dass er gewonnen hatte. Lena und er hatten kurz darauf geheiratet. Ihre Tochter Aline kam ehelich zur Welt und wurde der Öffentlichkeit als Frühgeburt präsentiert.

Sie adoptierten Elani, das Waisenkind aus Afrika. Ingmar hatte diese Tatsache der vornehmen Gesellschaft als großmütige Maßnahme der Rosenheims präsentiert und damit die Familienehre gerettet.

Elani trug seit der Adoption den Familiennamen Rosenheim und entwickelte sich mit den Jahren zu einer schönen und intelligenten Frau. Wie ihre Mutter Lena gab Elani wenig auf das, was die Familie von ihr erwartete. Für sie zählte das Glück der Menschen, die sie umgaben.

Aline hingegen hatte nicht viel von Lenas Charakterzügen geerbt. Sie war geprägt von einem Standesdünkel und unterschied, wie Großvater Ingmar, zwischen dem Adel, zu dem sie gehörten, und dem Rest der Menschheit.

Sarah studierte Medizin. Ihr Ziel: Sie wollte Chirurgin werden – wie ihre Oma Lena, die heute noch hohes Ansehen in Fachkreisen genoss. Oft lauschte Sarah gebannt den Geschichten, die Lena ihr bisweilen erzählte.

Wie ihre Oma wollte auch sie eine Zeit in einem Krisen- oder Katastrophenland arbeiten. Menschen helfen, die sich keinen Arzt leisten konnten. Wenn Lena von der Zeit in Afrika erzählte, in der sie den Ärmsten der Armen geholfen hatte, begannen ihre Augen zu glänzen, und es schien, als ob sie in diesen Momenten wieder in dem kleinen Savannenkrankenhaus war.

„Vermisst du deinen Beruf?“, fragte Sarah eines Tages.

„Manchmal schon. Es hat freilich auch sein Schönes, das Leben ohne Pflichten genießen zu können“, antwortete Lena.

„Wenn ich fertig bin mit dem Studium, möchte ich ein paar Monate bei den Ärzten ohne Grenzen arbeiten.“

Über Lenas Gesicht huschte ein Schatten. „Überleg dir das gut! Es klingt einfacher, als es ist. Man sieht viel Elend. Menschen sterben unter deinen Händen, weil du nicht die Mittel zur Verfügung hast, die dringend notwendig wären. Besonders schlimm ist es, wenn du Kindern und Säuglingen nicht helfen kannst. Bist du dir sicher, dass du das aushalten kannst?“ Liebevoll streichelte sie über das lockige Haar ihrer Enkelin.

„Ich weiß es nicht. Aber wenn ich es nicht versuche, werde ich es nie wissen und womöglich einem verlorenen Traum hinterhertrauern. Ich möchte es auf jeden Fall probieren.“

„Das ist eine gute Einstellung. Du musst mir eins versprechen: Sei ehrlich zu dir selbst. Wenn du spürst, dass du es nicht schaffst, dass du über das erträgliche Maß gehen müsstest, dann höre sofort damit auf. Niemand wird dich dafür verurteilen. Alles andere würde dir den Spaß an deinem Beruf verleiden. Versprichst du mir das?“

Sarah schaute ihre Oma nachdenklich an. „Klingt, als ob du wüsstest, wovon du redest.“

„Aber natürlich weiß ich das! Ich war fast vierzig Jahre in Abständen für ein paar Monate in Afrika im Einsatz. Ich habe viele Mediziner und Sanitäter aufgeben sehen ...“ Lena sog hörbar Luft ein. „Einige viel zu spät.“

„Ich verspreche dir, dass ich mich nicht überfordern werde.“

„Das beruhigt mich. Habe ich dir eigentlich schon mal erzählt, dass ich das erste Mal in Niger war, als ich noch gar keine Ärztin war?“

„Nein, hast du nicht. Jetzt bin ich aber neugierig. Du hast immer nur von deiner Zeit als Ärztin erzählt.“

„Ich war noch sehr jung, und zu dieser Zeit war es alles andere als normal, dass junge Frauen solch einen Weg einschlagen konnten. Schon als kleines Mädchen habe ich davon geträumt, Menschen zu helfen. Afrika, und konkret die Republik Niger, wurde in der Schulzeit mein Ziel. Ich hatte das große Glück, dass ich Eltern hatte, die mich in meinem Vorhaben unterstützt haben.“

„Du machst mich immer neugieriger, Oma. Magst du mir davon erzählen? Ich habe Zeit.“

„Lass uns ein wenig durch den Garten spazieren. Ich brauche Bewegung, und außerdem redet es sich dabei besser. Das lange Sitzen bekommt mir nicht“, erklärte sie. Für ihr Alter war sie erstaunlich rüstig und geistig vollkommen auf der Höhe.

„Okay. Dann komm. Ich bin schon ganz gespannt.“

Lena schwieg die ersten Schritte über. Sie musste sich sammeln. Dass ihr es schwerfiel, über die Zeit zu sprechen, die sie weit weg von zu Hause in dem Savannenkrankenhaus verbracht hatte, sollte Sarah nicht merken. Sie tat einen langen Atemzug und begann zu erzählen, wie sie das erste Mal in dem behelfsmäßig ausgerüsteten Krankenhaus inmitten der afrikanischen Savanne die ersten Erfahrungen gesammelt hatte. Wie ein Film lief alles noch einmal vor ihrem geistigen Auge ab.

Frühjahr 1955 – Niger

Lena hockte auf einem rauen Holzbrett, unter dem ein Metallgerüst mit zwei Rädern montiert war, und wurde auf holprigem Untergrund heftig durchgerüttelt. Vor dem Gefährt war ein Esel angespannt, der immer wieder unlustig stehen blieb und nur mit viel Mühe zum Weitergehen angetrieben werden konnte. Sie und ihre Freundin Britta waren unterwegs zu dem Krankenhaus in der Savanne der Republik Niger, in dem sie drei Monate ehrenamtlich arbeiten wollten.

Beide hatten vor, nach diesem Aufenthalt ein Medizinstudium zu beginnen und einen Teil ihres Berufslebens freiwillig in Krisengebieten zu arbeiten.

Nach einer Stunde abenteuerlicher Fahrt hielt die Karre vor einem schmutzig-weißen Gebäude, auf dem in abblätternder, blauer Farbe die Reste des Wortes Hospital zu lesen waren.

„Endlich! Bin ich froh, von diesem Ding hier runterzukommen – aua!“, stieß Lena mit schmerzverzerrtem Gesicht aus, „ich glaube, ich habe morgen mindestens zweihundert blaue Flecke. Mir tut jeder Knochen weh.“

Britta sagte nichts, sie ließ nur ein wehleidiges Stöhnen hören.

Währenddessen hatte der nicht mehr ganz so junge, spindeldürre Besitzer der Eselskarre ihre Koffer auf die lehmige Erde gestellt und führte sein Tier zu einem Brunnen.

„Guten Tag, die Damen. Hatten Sie eine angenehme Reise?“ Die beiden drehten sich um und sahen in die Augen eines braun gebrannten und gut aussehenden Mannes, der sich ihnen als Björn aus Schweden vorstellte.

„Na ja, angenehm ist irgendwie anders“, grummelte Lena. Britta starrte mit großen Augen fasziniert auf Björn.

„Ich bin hier Mädchen für alles“, sagte er grinsend und raffte seine langen, blonden Locken mit beiden Händen zu einem Zopf zusammen. Seine Haarpracht war allerdings das Einzige an ihm, das man mit einem Mädchen in Zusammenhang bringen konnte.

„Ich bin Lena und das hier“, sie zeigte auf ihre Freundin, die ihre Augen nicht von Björns athletischem Körper loseisen konnte, „ist Britta.“

„Freut mich. Wir sehen uns die nächste Zeit noch öfter“, sagte er und zwinkerte Britta zu. „Jetzt zeige ich euch erst mal eure Unterkunft. Folgt mir“, wies er die beiden Frauen an und schnappte sich die Koffer.

„Sag mal, was ist denn in dich gefahren?“, fragte Lena ihre Freundin, als sie endlich allein in der Hütte waren, die für die nächsten drei Monate ihr Zuhause sein sollte. „Du himmelst Björn an, als wäre er der einzige Mann weit und breit.“

„Hast du diesen Körper gesehen? Göttlich! Und ich habe noch nicht viele andere Männer hier gesehen.“

„Du bist hier, um zu arbeiten und nicht um fremde Männer anzuschwärmen!“

„Kann man nicht das eine mit dem anderen verbinden?“

Lena verdrehte die Augen.

„Komm, wir gehen duschen“, sagte Lena, hob die Arme und schnupperte an ihren Achselhöhlen. „Puh ... es ist dringend!“

Als sie in Badehandtücher gewickelt aus der abenteuerlichen Dusche kamen, in der sie an langen Kordeln ziehen mussten, damit das Wasser aus mehreren über ihnen hängenden Gießkannen floss und in der ihre nackten Körper nur von einer löchrigen Decke notdürftig vor neugierigen Blicken geschützt waren, stand schon Björn vor ihrer Hütte.

„Doktor Kammer wartet auf euch. Ich soll euch zu ihm bringen. Ihr solltet euch etwas anziehen“ bemerkte er mit einem amüsierten Blick.

Flugs huschten die beiden an ihm vorbei in ihre Hütte. Lena wählte einen grauen, knöchellangen Rock, eine weiße, hochgeschlossene Bluse und gönnte sich die Freiheit, keine Strumpfhose, sondern bei der brütenden Hitze nur weiße Söckchen zu tragen. Britta schlüpfte in einen blauen Rock, der ihre Knie zeigte, und in eine Bluse, deren oberste Knöpfe sie offen ließ, wofür sie von Lena einen missbilligenden Blick erntete.

Kokett stolzierte Britta vor Björn her, der bei dem Anblick ihres Dekolletés genüsslich grinste.

Nachdem Dr. Kammer ihnen das Krankenhaus gezeigt und sie allen Patienten vorgestellt hatte, erhielten sie von ihm die Einsatzpläne für die nächsten Wochen. Es war ein straffer Plan. Täglich zwölf Stunden Einsatz. Lediglich einen Tag alle zwei Wochen hatten sie frei.

„Was hatten Sie sich denn vorgestellt? Wir sind hier nicht in Deutschland!“, brummte Dr. Kammer schroff, als Britta beim Anblick der Arbeitszeiten zischend die Luft durch die zu einem Schlitz geformten Lippen stieß. „Gehen Sie jetzt zu Schwester Maria und holen Sie sich die Uniformen ab. So will ich Sie im Krankenhaus nicht mehr sehen“, bellte er mit einem Blick auf Brittas Bluse.

Lena fragte sich in der ersten anstrengenden Woche, ob dieser Job das Richtige für sie war. In der zweiten Woche machte sich in ihr mehr und mehr das Gefühl breit, dass genau hier ihr Platz war. Hier konnte sie Menschen helfen, die es bitter nötig brauchten. Während sie ihre Liebe für die dankbaren Augen der Patienten fand, entdeckte Britta die ihre zu Björn. Wann immer sie frei hatte oder eine Pause machte, versuchte sie, in die Nähe des attraktiven Schweden zu kommen.

Björn, im besten Mannesalter, genoss ihre Aufmerksamkeit. Es dauerte nicht lange, bis sie nicht nur in seinen Armen, sondern auch in seinem Bett lag. Als Dr. Kammer von dieser Liebschaft erfuhr, mussten beide das Krankenhaus verlassen. Britta hatte fest damit gerechnet, dass Björn sie mit nach Schweden nehmen würde. Doch der hatte keinerlei Ambitionen, aus dem Abenteuer eine Verpflichtung entstehen zu lassen.

Britta stieg also wieder auf den Eselskarren und war kurze Zeit später mit elendem Liebeskummer zurück in Deutschland. Ihre Angst, ungewollt von Björn schwanger geworden zu sein, bestätigte sich nicht.

Lena blieb drei Monate in Niger.

Sommer 2010 – Starnberger See

„Was ist aus Britta geworden?“, fragte Sarah.

„Ich habe sie nur noch einmal wiedergesehen, nachdem ich wieder in Deutschland war. Sie hat ihr Medizinstudium gar nicht erst begonnen. Ein Jahr, nachdem sie zurück aus Afrika war, hat sie geheiratet. Später habe ich erfahren, dass sie mit ihrem Mann nach Amerika ausgewandert ist. Ich habe danach nichts mehr von ihr gehört.“

„Wie schade“, meinte Sarah, „wie ging es mit dir weiter?“

„Ein halbes Jahr später bin ich wieder zurück nach Afrika in das gleiche Krankenhaus gegangen und über vier Jahre geblieben.“ Lenas Blick schweifte in die Ferne und ein trauriger Zug legte sich um ihre Augen.

„Über vier Jahre?“ Sarahs Augen wurden riesengroß vor Erstaunen. „Davon wusste ich ja gar nichts.“

„Komm“, sagte Lena unvermittelt. „Lass uns reingehen. Es wird kühl.“ Abrupt drehte sie sich um und ging mit flinken Schritten zum Haus.

„Hey! Wieso hast du es so eilig?“ Verwundert lief Sarah ihrer Großmutter hinterher und glaubte zu sehen, wie sie sich verstohlen über die Augen wischte.

„Weinst du?“

„Nein, nein, mir ist wohl ein Insekt ins Auge geflogen. Ich muss kurz ins Bad und es vor dem Spiegel herausholen“.

„Ich dachte, du hast Medizin studiert?“, bohrte Sarah weiter, als Lena zurück in die Halle kam.

„Das habe ich auch. Aber erst, als ich nach der langen Zeit in Afrika wieder zurück in Deutschland war. Ich hatte das große Glück, deinen Opa kennenzulernen und in eine Familie einzuheiraten, in der solche Dinge kein Problem waren. Es gab Kindermädchen, Haushälterinnen, Putzfrauen, Köchinnen ... Ich konnte trotz allen Widrigkeiten in Ruhe studieren.“

„Moment ...“ Sarah dachte kurz nach. „Das bedeutet – wenn ich richtig rechne – dass meine Mutter und Tante Aline schon da waren, während du studiert hast, stimmt´s?“

„Ja, das stimmt. Aber dein Opa Karl war der Meinung, ich müsse auf jeden Fall mein Studium beginnen. Zu dieser Zeit war diese Meinung sehr fortschrittlich, und ich bin ihm heute noch dankbar.“

„Ah ...“, murmelte Sarah nachdenklich. „Wieso wolltest du ...?“

„Sarah“, unterbrach Lena, „ich bin müde. Wir reden ein andermal weiter.“

Aline Rosenheim saß an ihrem mahagonifarbenen Schreibtisch und stellte die Gästeliste für die nächste Wohltätigkeitsveranstaltung zusammen. Sie war Schirmherrin für ein Projekt, das ihre Mutter ins Leben gerufen hatte.

Lenas Leidenschaft galt, solange sich Aline erinnern konnte, einem Gebiet im Norden von Niger. Dort hatte ihre Mutter jedes Jahr für drei Monate als Ärztin freiwillig in einem Krankenhaus gearbeitet. Um das Maß voll zu machen hatte sie ein kleines schwarzes Mädchen mit nach Hause gebracht, das ihre Eltern zu allem Überfluss nach der Hochzeit adoptiert hatten.

Sie mochte ihre Adoptivschwester nicht. Sie hatte sich in ihre Familie gedrängt und in ein gemachtes Nest gesetzt. Dieser Bastard hatte keinerlei Berechtigung, den Namen Rosenheim zu tragen. Dementsprechend behandelte sie ihre Adoptivschwester. Am schwersten zu ertragen war es für sie, dass Elani einen gut betuchten, aus aristokratischen Kreisen stammenden Mann geheiratet und eine Tochter mit ihm bekommen hatte.

Beides war ihr verwehrt geblieben. Sie konnte keine Kinder bekommen, und deshalb wollte kein geeigneter Mann sie heiraten. Geeignet in ihren Augen waren nur aus altem Adel stammende Männer, von denen es nicht viele im passenden Alter gab.

Diese Tatsachen bereiteten ihr körperliche und seelische Qualen. Um den Schmerz zu betäuben, konzentrierte sie sich mit ganzer Kraft darauf, ihre Nichte als Tochterersatz zu betrachten und ihr die Dinge beizubringen, die ihrer Ansicht nach die wirklich wichtigen waren. Allerdings mit mäßigem Erfolg, denn Sarah hatte eigene Vorstellungen vom Leben.

Vor drei Jahren hatte Lena ein Hilfsprojekt in Niger gegründet, das Aline als Schirmherrin unterstützte. Ihr waren die Menschen in Niger egal, doch das Projekt hob ihr Ansehen und viele bedeutende Personen bewunderten sie für ihr tatkräftiges Engagement. Sie gierte nach Anerkennung. Das war ihr Lebenselixier.

Sollte sie Baron von Barrenstein mit seiner Familie einladen oder besser die Hansens, deren Immobilienfirma knapp die Hälfte aller bedeutenden Gebäude hier in der Stadt gehörte? Die Familien befehdeten sich seit Generationen. Aline stöhnte. Immer diese schwierigen Entscheidungen... „Ich lade beide ein. Was soll´s? Sollen sie sich die Köpfe einschlagen und sich gegenseitig überbieten. Kann nur lukrativ werden ...“, murmelte sie und setzte beide Familien auf die Gästeliste. Es ging schließlich darum, so viel Geld wie möglich zu sammeln. Je höher der Spendenbetrag, desto wahrscheinlicher wurde sie in den Medien lobend erwähnt.

Ein zaghaftes Klopfen riss sie aus ihrer Konzentration. Gerade hatte sie damit begonnen, die Tischordnung zu planen. Eine sowohl wichtige als auch schwierige Aufgabe. Es gab einiges zu beachten. Auf keinen Fall durfte die Geliebte des Barons von Barrenstein zu nah an dessen Ehefrau sitzen. Und Gisela von Donken sollte möglichst nur mit dem Rücken zum Bankier Rudolphen sitzen. Die beiden hatten vor Jahren eine stürmische Affäre gehabt, die der Bankier eines Tages beendet hatte. Gisela von Donken hatte ihm nie verziehen. Beide waren bedeutende Gäste, denn jeder hatte Millionen auf den Konten. Bei guter Laune zeigten sich beide auch äußerst spendabel.

„Ja!“, fauchte sie, genervt von der Störung.

„Frau Rosenheim, Herr von Lohen möchte Sie sprechen“, piepste die verschüchterte Stimme des Hausmädchens.

„Muss das jetzt sein?“

„Ja, es muss jetzt sein. Guten Tag, liebste Aline.“

Er trat ein und begrüßte sie formvollendet mit einem Handkuss. Was sie milde stimmte, wusste er genau.

„Heiko! Wie nett, dich zu sehen. Was kann ich für dich tun?“

„Du siehst bezaubernd aus. Ein neues Kleid? Steht dir ausgezeichnet“, säuselte er.

„Danke. Wie immer – ganz Kavalier“, erwiderte sie, und eine leichte Röte überzog ihr blasses Gesicht.

„Ich brauche deine Hilfe! Sarah sitzt gerade beim Friseur. Ich möchte sie überraschen, und sie sollte davon nichts mitbekommen. Wenn jemand das schafft, dann du, liebste Aline.“

Aline sonnte sich in Heikos Schmeicheleien. Die von Lohens waren eine der namhaftesten Familien, die sie kannte. Dass sie diese bald zu ihrer Verwandtschaft zählen konnte, hatte ihre grundsätzlich schlechte Laune in der letzten Zeit erheblich verbessert. Und natürlich hatte sie diese Neuigkeit gezielt verbreitet, nachdem Sarah ihr von Heikos Heiratsantrag berichtet hatte.

„Selbstverständlich helfe ich dir. Was hast du denn vor?“

„Du weißt ja, dass ich Sarah beim Heiratsantrag die traditionelle Agraffe meiner Familie überreicht habe, mit der schon mein Urgroßvater seiner Braut den Heiratsantrag gemacht hat.“

„Ja, sicher. Eine wunderbare Tradition eurer Familie.“

„Das stimmt. Aber ich würde ihr gern bei unserer offiziellen Verlobungsfeier einen Ring anstecken.“

„Eine schöne Idee. Wie kann ich dabei helfen?“

„Du musst mir ihre Ringgröße sagen. Bitte stell es geschickt an, damit sie bis zur Feier nicht den Hauch einer Ahnung hat, dass sie einen Ring von mir bekommt.“

„Das dürfte kein Problem sein. Ich sag dir sofort Bescheid, sobald ich die Größe herausgefunden habe.“

„Danke, Aline! Du bist die Beste“, schnurrte Heiko und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.

Aline lächelte. Was für ein großartiger Mann. Hoffentlich wusste Sarah ihr Glück zu schätzen. Eine Weile hatte sie schon befürchtet, dass sich Sarah einen Kommilitonen aus der Universität, mit dem sie eine Weile viel Zeit verbracht hatte, als potenziellen Ehemann aussuchen würde. Leider war ihrer Nichte das gleiche eigenwillige Denken Lenas und Elanis zu Eigen, was ihr missfiel. Sie legte schon in der Schulzeit genauso wenig Wert auf standesgemäße Entscheidungen wie Lena und Elani. Hauptsache glücklich, war schon immer das Motto dieses Familienzweigs gewesen. Aline verzog abschätzig die Lippen. Zum Glück war ihr vor etwas mehr als einem Jahr die Lösung für dieses Problem eingefallen. Sie lud die von Lohens zum Dinner ein, und bei diesem Anlass hatte es zwischen Heiko und Sarah zu ihrer größten Freude sofort gefunkt. Kurz nach dem ersten Zusammentreffen hatte Heiko ihre Nichte zum Essen eingeladen, und seitdem waren die beiden ein Paar. Nun sollte schon bald die offizielle Verlobungsfeier stattfinden. Ihr Plan war ohne größere Schwierigkeiten aufgegangen.

„Heiko!“

„Ja. Kann ich noch etwas für dich tun?“

„Richte deinen Eltern herzliche Grüße aus. Ich würde mich freuen, wenn sie mir die Ehre erweisen, am nächsten Montag zu einem Kaffee zu erscheinen. Warte ...“, girrte sie und lief zu ihrem Schreibtisch, „hier ist die Einladung. Es gibt einiges zu besprechen, nicht wahr?“

Sie reichte Heiko die aufwändige Einladung und ließ dabei ein gekünsteltes Lachen hören.

„Aber natürlich. Ich überbringe die Einladung sofort. Ich bin mir sicher, meine Eltern werden entzückt sein.“

Aline stellte die Tischordnung für die Wohltätigkeitsveranstaltung fertig und begann anschließend, einen Ordner für die Hochzeitsvorbereitungen anzulegen. Sie druckte Listen aus, heftete sie nach Themen ab, notierte erste Stichworte und suchte Adressen heraus.

„Das wird die perfekte Hochzeit. Man wird noch lange davon sprechen“, murmelte sie euphorisch. Das Beste wäre, sie würde so bald als möglich mit der Planung anfangen. Es gab viel zu tun.