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"Von diesem grandiosen Klassiker des Wortweltmeisters Dylan Thomas waren sie alle begeistert- die Stones, die Beatles, Anthony Hopkins, Richard Burton, Igor Strwainsky – und ich auch!" Elke Heidenreich
Das legendäre Werk des walisischen Dichters Dylan Thomas in einer neuen, funkelnden Übersetzung von Jan Wagner, der ‚Unterm Milchwald‘ als das schönste Stück Literatur bezeichnet, „das jemals über den Äther lief“. Der Morgen beginnt in dem kleinen Fischerdorf Llareggub an der walisischen Küste. Wir folgen den Bewohnern in ihre Träume, wir sitzen in den Stuben, hören die Gespräche in einer Schenke, lugen in die Brautkammern unverheirateter Mädchen, erfahren von den Wünschen des blinden Kapitäns Cat und folgen insbesondere den heimlichen Liebespaaren hinauf in den Milchwald. Eine einzigartige „Prosa mit Blutdruck“, die von Bildern, Lautmalereien, Wortspielen schier zu bersten scheint.
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Seitenzahl: 160
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Der Morgen beginnt in dem kleinen Fischerdorf Llareggub an der walisischen Küste. Wir folgen den Bewohnern in ihre Träume, wir sitzen in den Stuben, hören die Gespräche in einer Schenke, lugen in die Brautkammern unverheirateter Mädchen, erfahren von den Wünschen des blinden Kapitäns Cat und folgen insbesondere den heimlichen Liebespaaren hinauf in den Milchwald. Eine einzigartige »Prosa mit Blutdruck«, wie der Autor sie selbst definierte, die vor Bildern, Lautmalereien, Wortspielen schier zu bersten scheint. Beim Lesen, schreibt Jan Wagner in seinem Nachwort, stellt sich immer wieder jenes Gefühl ein, »diese ganz und gar körperliche Reaktion auf die Magie des Wortes, die uns ausrufen lässt: ›Ja, das ist es!‹«
Dylan Thomas
Unterm Milchwald
Ein Stück für Stimmen
Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Jan Wagner
Hanser
Unterm Milchwald
[Stille]
ERSTE STIMME [Sehr gedämpft]
Am Anfang den Anfang:
Es ist Frühling, mondlose Nacht in der kleinen Stadt, sternenlos und bibelschwarz, die Kopfsteinstraßen sind stumm und der bucklige Buhl-und-Kaninchen-Wald humpelt unsichtbar runter zur schlehenschwarzen, zähen, schwarzen, krähenschwarzen, fischkutterhupfenden See. Blind wie Maulwürfe sind die Häuser (obwohl die Maulwürfe selbst ganz gut sehen können heute Nacht in den schnuppernden, samtenen Tälern), oder blind wie Kapitän Cat dort vorn im gedämpften Zentrum bei Brunnenpumpe und Turmuhr, den trauertragenden Läden, dem Gemeindesaal in Witwentracht. Und alle Bewohner des eingelullten und mucksmäuschenstillen Städtchens schlafen.
Still: Die Säuglinge schlafen, die Bauern, Fischer, Händler und Rentner, der Schuster, Lehrer, Postbote, Gastwirt, der Bestatter und die Halbweltdame, Säufer, Schneider, Prediger, Polizist, die schwimmhäutigen Muschelsammlerinnen und die reinlichen Ehefrauen. Junge Mädchen liegen sanft gebettet oder gleiten durch ihre Träume, samt Ringen und Mitgift, mit Glühwürmchen als Brautjungfern durchs Mittelschiff des orgelbrausenden Waldes. Die Jungen träumen ruchlos von den zickenden, bockenden Farmen der Nacht und der seligen Brauträubersee. Und die kohlschwarzen Standbilder der Pferde schlafen auf den Koppeln, und die Kühe in den Ställen, und die Hunde in den feuchtschnäuzigen Höfen; und die Katzen schlummern in den schiefen Ecken oder stehlen sich, streichen, nadelsticheln, über die eine, einzige Wolke von Dächern.
Du kannst den Tau fallen hören und den Atem der schweigenden Stadt.
Nur deine Augen sind geöffnet und sehen die schwarze, zusammengefaltete Stadt tief und festlich schlafen.
Und du allein kannst den unsichtbaren Sternenfall hören, jede genaue, vorm-Dämmern-noch-dunklere, taubetupfte Regung des schwarzen, schollenvollen Meeres, wo die Arethusa, die Brachvogel und die Feldlerche, Sansibar, Rhiannon, die Vagabund, die Kormoran und die Stern von Wales dümpeln und treiben.
Horch. Es ist Nacht, die durch die Straßen schweift, der feierlich schreitende, melodische Salzwind in Krönungsstraße und Muschelzeile, es ist das Gras, das am Llareggub-Berg wächst, Taufall, Sternenfall, der Schlaf der Vögel im Milchwald.
Horch. Es ist Nacht in der kalten, gedrungenen Kirche, Hymnen singend, mit Haube und Brosche und Bombasinschwarz, Kläppchenkragen und Bommel-Binder, hustend wie heisere Geißen, Minzbonbons lutschend, hallelujadösig; Nacht in der Bierstube, still wie ein Domino; auf Ocky Milchmanns Dachboden wie eine Maus mit Handschuhen; in Dai Brots Backstube fliegt sie wie schwarzes Mehl. Es ist Heutenacht in der Eselstraße, wo sie lautlos, Seetang an den Hufen, übers Pfahlmuschelpflaster trottet, vorbei an vorhangverhangenem Topffarn, Bibelsprüchen und Nippes, am Harmonium, dem geweihten Frisiertisch, selbstgemalten Aquarellen, Porzellanmöpsen und der rosaroten Teebüchse aus Blech. Es ist das Grautier Nacht, zottelig in den kuschligen Kinderzimmern.
Schau: Es ist Nacht, die stumm und königlich durch die Krönungsfeier der Kirschbäume weht; über den Bethesda-Friedhof schreitet mit behandschuhten und verschränkten Winden und abgelegtem Tau; vorübertorkelt am Seefahrerkrug.
Die Zeit vergeht. Horch. Die Zeit vergeht.
Komm jetzt näher.
Nur du kannst die Häuser schlafen hören in den Straßen, in der träg-tiefsalzigen und lautlos-schwarzen, mullumwickelten Nacht. Nur du siehst hinter den Läden der Schlafzimmer die wollene Wäsche und die Unterröcke über den Stuhllehnen, die Krüge und Schüsseln, die Gläser mit Zähnen, das Du-Sollst-Nicht an der Wand und die vergilbenden Hier-kommt-das-Vögelchen-Bilder der Toten. Nur du kannst hinter den Augen der Schlafenden die Bewegungen und die Länder hören und sehen, die Irrgärten und Farben und Schrecken und Regenbögen und Lieder und Wünsche und Flug und Sturz, die Verzweiflung und das weite Meer ihrer Träume.
Von dort, wo du bist, kannst du ihre Träume hören.
Kapitän Cat, blinder Seebär im Ruhestand, schläft in seiner Koje in der muschelschaligen, buddelschiffigen, blitzblank geschrubbten, besten aller Kajüten des Schonerhauses und träumt von
mit nichts und nimmer zu vergleichenden Meeren, wie sie das Deck seiner SS Kidwelly übertosten, kieloben überm Bettzeug, ihn quallenglitschig und salztief hinabreißen ins Seegruftdunkel, wo die Fische herausschießen, anbeißen, ihn bis zum Schlüsselbein abknabbern, wo die vor langer Zeit Ertrunkenen sich um ihn drängen …
ERSTERERTRUNKENER
Erkennst du mich, Käpten?
KAPITÄNCAT
Du bist Tanzbein-Williams!
ERSTERERTRUNKENER
Geriet in Nantucket ins Stolpern.
ZWEITERERTRUNKENER
Siehst du mich, Käpten? Den weißen, sprechenden Knochen? Ich bin Tom-Fred, der Hilfsmaschinist … Wir haben uns einmal ein Mädchen geteilt … Ihr Name war Mrs Probert …
FRAUENSTIMME
Rosie Probert, Entengasse Nummer dreiunddreißig. Immer rein mit euch, Jungs, ich bin tot.
DRITTERERTRUNKENER
Halt mich fest, Käpten, ich bin Jonah Jarvis, hat ein böses Ende genommen mit mir, äußerst vergnüglich …
VIERTERERTRUNKENER
Alfred Pomeroy Jones, Winkel-und-Wellen-Advokat, geboren in Mumbles, sang wie ein Hänfling, zog dir eine Flasche über den Schädel, tätowiert mit Meerjungfrauen, durstig wie ein Salzstreuer, starb an den Pocken …
ERSTERERTRUNKENER
Dieser Schädel an deinem Ohr ist …
FÜNFTERERTRUNKENER
Bevan die Locke. Sag meiner Tante, dass ich es war, der die Goldbronzeuhr zum Pfandleiher gebracht hat …
KAPITÄNCAT
Aye-aye, Locke.
ZWEITERERTRUNKENER
Sag meiner Alten, nein, niemals nie
DRITTERERTRUNKENER
Hab niemals getan was sie sagt nie hab ich …
VIERTERERTRUNKENER
Oh doch, haben sie.
FÜNFTERERTRUNKENER
Und wer bringt meiner Gwen nun Kokosnüsse und Halstücher und Papageien mit?
ERSTERERTRUNKENER
Was tut sich da oben?
ZWEITERERTRUNKENER
Gibt es Rum und Algenkuchen?
DRITTERERTRUNKENER
Brüste und Rotkehlchen?
VIERTERERTRUNKENER
Ziehharmonikas?
FÜNFTERERTRUNKENER
Glockenläuten?
ERSTERERTRUNKENER
Keilereien und Zwiebeln?
ZWEITERERTRUNKENER
Und Spatzen und Gänseblümchen?
DRITTERERTRUNKENER
Eingelegte Stichlinge?
VIERTERERTRUNKENER
Buttermilch und Schaumküsse?
FÜNFTERERTRUNKENER
Schlafkindchenschlaf?
ERSTERERTRUNKENER
Wäsche auf der Leine?
ZWEITERERTRUNKENER
Alte Mädchen im Kneipenséparée?
DRITTERERTRUNKENER
Wie sind die Tenöre in Dowlais?
VIERTERERTRUNKENER
Wer melkt die Kühe in Maesgwyn?
FÜNFTERERTRUNKENER
Hat sie Grübchen, wenn sie lächelt?
ERSTERERTRUNKENER
Wie riecht Petersilie nochmal?
KAPITÄNCAT
Ach, meine lieben Toten!
Von dort, wo du bist, kannst du hören, wie Miss Price, Damenschneiderin und Süßwarenladenbesitzerin, in der Muschelzeile, in der mondlosen Frühlingsnacht träumt, und zwar von
ihrem Liebsten, hoch aufragend wie der Uhrenturm der Stadt, mit Samson-Sirup-Goldmähne, strammschenklig und bullenheiß, mit Donnerschlagbass und Seepockenbrust, der mit Augen wie Lötlampen die Kachelöfen auflodern lässt und sich dicht über ihren ledigen, liebenden, wärmflaschenwohligen Leib schiebt …
MREDWARDS
Myfanwy Price!
MISSPRICE
Mr Mog Edwards!
MREDWARDS
Ich bin ein Tuchhändler, der toll ist vor Liebe. Ich liebe dich mehr als allen Flanell und Kattun, als Weißstickerei, Baumwolle, Juteleinen und Merino, Tussahseide, Cretonne, Musselin, Popeline, Drillich und Croisé in der weiten Tuchhalle der Welt. Ich komme, um dich mit mir zu nehmen in mein Handelshaus auf der Anhöhe, wo auf Drähten Wechselgeld surrt. Wirf deine kleinen Bettschuhe und deine walisische Strickjacke fort, ich werde die Laken wärmen wie ein elektrischer Brotröster, ich werde wie der Sonntagsbraten an deiner Seite liegen …
MISSPRICE
Ich will dir eine Brieftasche aus Vergissmeinnichtblau stricken, damit das Geld es behaglich hat. Ich will dein Herz am Feuer wärmen, damit du es dir nach Feierabend unters Hemd stecken kannst …
MREDWARDS
Myfanwy, Myfanwy, wirst du es sagen, bevor die Mäuse dir am untersten Schubfach nagen …
MISSPRICE
Ja, Mog, ja, Mog, ja, ja, ja …
MREDWARDS
Und die Glocken sämtlicher Ladenkassen der Stadt werden zu unserer Hochzeit läuten.
[Geräusche von Ladenkassen und Kirchenglocken.]
Komm jetzt, lass dich durchs Dunkel treiben, komm die driftende, meeresdunkle Straße entlang, in dunkelster Nacht, die wie das Meer schaukelt, hin zum bibelschwarzen, stickigen Dachboden überm Laden von Jack Black, dem Schuster, und dort schläft Jack Black einsam und wild in einem Nachthemd, mit Gummibändern an die Knöchel geknüpft, und träumt davon,
die lasterhaften Pärchen quer durchs grasgrüne, stachelbeerige Doppelbett des Waldes zu jagen, die Säufer im speichelnassen Sägemehl auszupeitschen, die nacktdreisten Mädchen aus den Dreigroschenspelunken seiner Albträume zu scheuchen …
JACKBLACK [Laut]
Igittipfui!
Igittipfui!
Evans-der-Tod, der Bestatter,
EVANS-DER-TOD
lacht hell und laut auf im Schlaf und zieht die Zehen an, denn er sieht, als er fünfzig Jahre zuvor erwacht, dass tiefer Schnee auf der Gänsewiese hinterm Schlafhaus liegt; und er rennt hinaus auf die Wiese, wo seine Mutter walisische Pfannkuchen im Schnee zubereitet, stiehlt sich eine Handvoll Schneeflocken und Rosinen und schlüpft zurück ins Bett, um sie zu essen, kalt und süß unter der warmen, weißen Wäsche, derweil seine Mutter draußen in der Schneeküche tanzt und ihren verlorenen Rosinen nachjammert.
Und in der kleinen rotäugigen Kate neben jener des Bestatters liegen, ganz allein mit sich, die hundertzehn schnarchenden, sanftmütigen Kilos von Mister Waldo, Karnickelfänger, Friseur, Kräuterkundler, Katzenarzt, Kurpfuscher, und seine feisten rosigen Griffel, die Handflächen nach oben gedreht, ragen über die Steppdecke hinaus, seine schwarzen Stiefel stehen sauber und ordentlich im Waschbecken, sein Filzhut hängt am Nagel über dem Bett, ein Glas Starkbiermilch und eine Scheibe Brotpudding liegen unterm Kopfkissen, und tropfnass träumt er im Dunkel von
MUTTER
Dieses kleine Schweinchen ging zum Markt
Dieses kleine Schweinchen blieb daheim
Dieses kleine Schweinchen aß Braten
Dieses kleine Schweinchen nicht
Und dieses kleine Schweinchen machte
KLEINERJUNGE
Pipi Pipi Pipi Pipi
MUTTER
bis nach Hause zu
GATTIN [Schreiend]
Waldo! Wal-do!
MRWALDO
Ja, liebste Blodwen?
GATTIN
Oh, was werden die Nachbarn sagen, was werden die Nachbarn …
ERSTENACHBARIN
Arme Mrs Waldo
ZWEITENACHBARIN
Was sie erdulden muss
ERSTENACHBARIN
Hätte nie heiraten solln
ZWEITENACHBARIN
Wenn sie nicht gemusst hätte
ERSTENACHBARIN
Genau wie ihre Mutter.
ZWEITENACHBARIN
Ein wahrer Prachtgatte
ERSTENACHBARIN
So schlimm wie sein Vater
ZWEITENACHBARIN
Und Sie wissen ja, wo der am Ende gelandet ist.
ERSTENACHBARIN
Oben im Irrenhaus
ZWEITENACHBARIN
Nach seiner Mutter brüllend.
ERSTENACHBARIN
Jeden Samstag
ZWEITENACHBARIN
Eine Schande ist das
ERSTENACHBARIN
Und macht einfach so weiter
ZWEITENACHBARIN
Mit dieser Mrs Beattie Morris
ERSTENACHBARIN
Oben im Steinbruch
ZWEITENACHBARIN
Und haben Sie ihr Kind gesehen
ERSTENACHBARIN
Hat seine Nase
ZWEITENACHBARIN
Ach, es bricht mir das Herz
ERSTENACHBARIN
Alles versäuft er
ZWEITENACHBARIN
Er hat das Klavier verkauft
ERSTENACHBARIN
Und ihre Nähmaschine
ZWEITENACHBARIN
Liegt in der Gosse
ERSTENACHBARIN
Quatscht mit der Laterne
ZWEITENACHBARIN
Gibt Derbheiten von sich
ERSTENACHBARIN
Singt auf dem Lokus
ZWEITENACHBARIN
Arme Mrs Waldo.
GATTIN [Unter Tränen]
Oh, Waldo, Waldo!
MRWALDO
Ruhig, Liebes, ruhig. Ich bin jetzt Waldo, der Witwer.
MUTTER [Schreiend]
Waldo, Wal-do!
KLEINEJUNGE
Ja, Mama?
MUTTER
Oh, was werden die Nachbarn sagen, was werden die Nachbarn …
DRITTENACHBARIN
Schwarz wie ein Rauchfang
VIERTENACHBARIN
Macht Klingelstreiche
DRITTENACHBARIN
Zerdeppert die Fenster
VIERTENACHBARIN
Backt Matschkuchen
DRITTENACHBARIN
Klaut Rosinen
VIERTENACHBARIN
Schreibt mit Kreide schlimme Wörter
DRITTENACHBARIN
Sah ihn im Gebüsch
VIERTENACHBARIN
Lümmelt herum
DRITTENACHBARIN
Ohne Abendessen ins Bett mit ihm
VIERTENACHBARIN
Gebt ihm Sennesschoten und sperrt ihn im Dunkeln ein
DRITTENACHBARIN
Ab in die Besserungsanstalt
VIERTENACHBARIN
Ab in die Besserungsanstalt
ZUSAMMEN
Einen Pantoffel auf den Allerwertesten
EINEWEITEREMUTTER [Schreiend]
Waldo, Wal-do! was machst du mit unserer Matti?
KLEINERJUNGE
Gib mir ’nen Kuss, Matti Richards.
KLEINESMÄDCHEN
Dann gib mir’n Penny.
MRWALDO
Ich habe nur einen halben.
ERSTEFRAU
Lippen kostet’n Penny.
PRIESTER
Nimmst du diese Frau, Matti Richards
ZWEITEFRAU
Dulcie Prothero
DRITTEFRAU
Effie Bevan
VIERTEFRAU
Lillie der Leimtopf
FÜNFTEFRAU
Mrs Flusher
GATTIN
Blodwen Bowen
PRIESTER
zu deiner nach Recht und Entsetzen angetrauten Frau
KLEINERJUNGE
Nein, nein, nein!
Und nun zappelt in ihrem Schlaf, in ihrem eisbergweißen, weihwasserreinen Nachthemd aus Rosshaar-Leinen unter züchtigen Polarlaken, in ihrem geschniegelten und gescheuerten, dem Staub trotzenden Schlafzimmer im blitzblanken Haus Meerblick für zahlende Gäste hoch über der Stadt, Mrs Ogmore-Pritchard, zweifache Witwe, zunächst von Mr Ogmore, Linoleum, im Ruhestand, sodann von Mr Pritchard, erfolgloser Buchmacher, welche, zum Wahnsinn getrieben vom Fegen, Schrubben, Wienern, vom Dröhnen des Staubsaugers und von Putzmitteldünsten, ironischerweise Desinfektionsmittel tranken, und sie erwacht in einem Traum und verpasst dem toten Mr Ogmore und dem toten Mr Pritchard, geisterhaft zu ihrer Linken und zur Rechten, einen Stoß in die Rippen.
MRSOGMORE-PRITCHARD
Mr Ogmore!
Mr Pritchard!
Es wird Zeit, Ihren Balsam zu inhalieren.
MROGMORE
Ach, Mrs Ogmore!
MRPRITCHARD
Ach, Mrs Pritchard!
MRSOGMORE-PRITCHARD
Bald wird es Zeit aufzustehen.
Nennen Sie mir Ihre Aufgaben, der Reihe nach.
MROGMORE
Ich soll meinen Schlafanzug in die Schublade legen, auf der Schlafanzug steht.
MRPRITCHARD
Ich soll mein kaltes Bad nehmen, weil mir das guttut.
MROGMORE
Ich soll meine Flanellbinde umlegen gegen den Ischias.
MRPRITCHARD
Ich soll mich hinter dem Vorhang ankleiden und in meine Schürze schlüpfen.
MROGMORE
Ich soll meine Nase putzen
MRSOGMORE-PRITCHARD
im Garten, wenn ich bitten darf
MROGMORE
mit einem Papiertaschentuch, das ich anschließend verbrenne.
MRPRITCHARD
Ich soll meine Salze zu mir nehmen, die äußerst förderlich sind.
MROGMORE
Ich soll das Trinkwasser abkochen, wegen der Keime.
MRPRITCHARD
Ich soll meinen Kräutertee aufgießen, der frei von Gerbstoffen ist
MROGMORE
und dazu einen Kohlekeks, weil das gut für mich ist.
MRPRITCHARD
Ich darf eine Pfeife mit Asthmamischung rauchen
MRSOGMORE-PRITCHARD
im Holzschuppen, wenn ich bitten darf
MRPRITCHARD
und die Stube wischen und den Kanarienvogel einsprühen.
MROGMORE
Ich soll Gummihandschuhe anziehen und den Pekinesen nach Flöhen absuchen.
MRPRITCHARD
Ich soll die Jalousien abstauben und sie dann hochziehen.
MRSOGMORE-PRITCHARD
Und bevor Sie die Sonne hereinlassen, soll sie sich die Füße abtreten.
Bei Schlachter Beynon jagt Gossamer Beynon, Tochter und Schullehrerin, noch tief in einem Traum, anmutig wie ein Frettchen, unter einem flatternden Haufen von Hühnerfedern, durch einen Schlachthof mit Chintzvorhängen und Couchgarnitur, und findet, was sie nicht im Geringsten überrascht, einen kleinen raubeinigen Mann mit buschigem Schwanz, der ihr aus einer Papiertüte zuzwinkert.
ORGEL-MORGAN
Hilfe,
ruft Orgel-Morgan, der Organist, in seinem Traum,
es gibt Trubel und Musik in der Krönungsstraße! Alle Ehefrauen schreien wie Gänse und die Kleinkinder singen Opern. Wachtmeister Atilla Rees hat seinen Knüppel gezückt und spielt Kadenzen bei der Schwengelpumpe, die Kühe aus Sunday Meadow bimmeln wie Rentiere, und seht, wie auf dem Dach der Händel-Villa der Frauenwohlfahrtsverein in Hosenröcken mondbeschienen die Tanzhufe schwingt.
GOSSAMERBEYNON
Endlich, mein Liebster,
seufzt Gossamer Beynon. Und der buschige Schwanz wedelt unmanierlich und fuchsrot.
Am Meerende der Stadt schlafen Mr und Mrs Floyd, die Muschelsammler, so still wie der Tod, Seite an runzliger Seite, zahnlos, gesalzen und braun wie zwei alte Bücklinge in einer Schachtel.
Und hoch oben auf Hof Salzsee zählt Mr Utah Watkins die ganze Nacht lang Schafe mit Gattinnengesichtern, die am Hang über die Zäune springen, lächeln und stricken und blöken, ganz wie Mrs Utah Watkins.
UTAHWATKINS [Gähnend]
Vierunddreißig, fünfunddreißig, sechsunddreißig, achtundvierzig, neunundachtzig …
MRSUTAHWATKINS
Eine Masche abheben,
Zwei Maschen rechts zusammenstricken,
Die abgehobene Masche drüberziehen …
[Mrs Utah Watkins blökt.]
Ocky Milchmann, schlafertrunken in der Muschelstraße, kippt seine Kannen in den Fluss Dewi,
OCKYMILCHMANN [Flüsternd]
ungeachtet der Kosten,
und heult wie ein Leichenbegängnis.
Cherry Owen gleich nebenan hebt einen Humpen an die Lippen, aber nichts fließt heraus. Er schüttelt den Humpen. Der verwandelt sich in einen Fisch. Er trinkt den Fisch.
Wachtmeister Atilla Rees
ATILLAREES
hievt sich aus dem Bett, noch tief im Schlafdunkel und schnarchend wie ein Nebelhorn, zieht seinen Helm unter dem Bett hervor; aber tief im Hinterhofknast seines Schlafes murmelt eine fiese Stimme:
EINESTIMME [Murmelnd]
Das wird dir morgen früh noch leidtun,
ATILLAREES
und er hauruckt sich zurück ins Bett.
Sein Helm schwippschwappt im Dunkel.
Willy Nilly, Briefträger, weiter oben in der Straße schlummernd, läuft vierzehn Meilen, um die Post auszutragen, wie er es Tag für Tag jede Nacht macht, und klopf-klopf-klopft hart und mit Nachdruck gegen Mrs Willy Nilly.
MRSWILLYNILLY
Schlagen Sie mich nicht, bitte, Herr Lehrer,
wimmert seine Frau neben ihm, aber noch in jeder Nacht ihres Ehelebens ist sie zu spät zur Schule gekommen.
Überm Schankraum vom Seefahrerkrug umarmt Sindbad Seefahrer sein klammes Kissen, dessen geheimer Name Gossamer Beynon ist.
Ein Mogul erwischt Lily Smalls in der Waschküche.
LILYSMALLS
Oho, du alter Mogul!
Mrs Rose-Cottages älteste Tochter Mae schält sich in einem Brennofen in einem Turm in einer Höhle in einem Wasserfall in einem Wald aus ihrer rosa-weißen Haut und wartet dort roh wie eine Zwiebel darauf, dass der Richtige aufspringt durch die brennenden, hohen, hohlen Spritzer von Blättern wie eine Forelle in Brillantine.
MAEROSE-COTTAGE
[Sehr nah und gedämpft, die Wörter dehnend.]
Nenn mich Dolores
Wie in den Romanen.
Bessie Großkopf, einsam bis zum Tage ihres Todes, Dienstmagd, geboren im Armenhaus, mit dem Geruch von Kuhstall, schnarcht tief und rau auf dem Strohballensofa eines Speichers von Hof Salzsee und pflückt ein Sträußchen Gänseblümchen in Sunday Meadow für das Grab von Gomer Owen, der sie einmal neben dem Schweinestall küsste, als sie nicht zu ihm hinsah, und sie dann nie wieder küsste, obwohl sie immerfort zu ihm hinsah.
Und die Tierschutzinspektoren fliegen hinab in den Traum von Schlachter Beynons Frau, verfolgen dort Schlachter Beynon für den Verkauf von
SCHLACHTERBEYNON
Eulenfleisch, Hundeaugen, Menschenkotelett.
Mr Beynon in seinem blutigen Schlachterkittel hüpft auf Sprungfedern die Krönungsstraße hinunter, einen Finger im Mund – nicht seinen eigenen. Ohne eine Miene zu verziehen in seinem durchtriebenen Schlaf, nimmt er seine Träume auf den Arm und
SCHLACHTERBEYNON
jagt auf dem Rücken eines Schweins dahin, erlegt die Wildinnereien.
ORGEL-MORGAN [Mit hoher, leiser Stimme]
Hilfe!
GOSSAMERBEYNON [Zärtlich]
mein fuchswilder Liebster.
Sieh nun hinter den Augen und Geheimnissen der Träumenden in den Straßen, vom Meer in den Schlaf gewiegt, die Leckerbissen und das Drunter-und-Drüber, die Knopfhemden und Haarknoten, Asche und Schwarten und Schuppen und das Schneiden von Fingernägeln, Speichel und Schneeflocken und gemauserte Traumfedern, die Wracks und Sprotten und Muscheln und Gräten, Waltran und Selbstgebrannten und kleine salzige Fische, aufgetischt vom verborgenen Meer …
Die Eulen sind auf der Jagd. Schau, wie eine über den Grabsteinen von Bethesda schreit und herabstößt und eine Maus fängt, gleich neben Hannah Rees, Innig Geliebte Gattin. Und in der Krönungsstraße, die nur du allein sehen kannst, so dunkel ist sie unter der Himmelskapelle, dreht sich Hochwürden Eli Jenkins, Dichter, Prediger, im tiefen, dämmernahen Schlaf nochmals um und träumt vom
HOCHWÜRDENELIJENKINS
Bardentreffen.
In seinem schäbigen Druidennachthemd, in einem von Geistlichen schwarzen Bierzelt, schmiedet er die ganze Nacht lang vertrackte Reime zur Musik von Leier und Rohrpfeife.
Mr Pugh, Schulmeister, der tief und fest schläft, gibt vor zu schlafen, späht schlau am Zipfel seiner Nachtmütze vorbei und
MRPUGH
Pssst!
beschwört ihn herauf, den
Mord.
Mrs Orgel-Morgan, Lebensmittelhändlerin, grau und zusammengerollt wie ein Siebenschläfer, die Pfötchen an den Ohren, bittet inständig um
MRSORGEL-MORGAN
Stille.
Sie schläft sehr angenehm unter einer Wölbung aus Wolle, und der posaunende Orgel-Morgan neben ihr schnarcht nicht lauter als eine Spinne.
Mary Ann Seefahrer träumt von
MARYANNSEEFAHRER
Dem Garten Eden.
Sie tritt in Arbeitskittel und Holzschuhen
MARYANNSEEFAHRER