Unterwegs in die nächste Dimension - Clemens Kuby - E-Book
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Unterwegs in die nächste Dimension E-Book

Clemens Kuby

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Beschreibung

Kubys Auseinandersetzung mit dem Thema Heilung begann bereits vor zwanzig Jahren, als ihn eine Querschnittslähmung zwang, sein Leben völlig neu zu betrachten. Sehr offen und persönlich beschreibt er, wie es ihm gelang – körperlich und psychisch auf dem Nullpunkt – im Dialog mit der Seele, die Selbstheilungskräfte so zu aktivieren, dass sich die Lähmung zurückbildete und die Ärzte von einem Wunder sprachen. Für ein Filmprojekt reiste der Dokumentarfilmer Clemens Kuby zwei Jahre lang rund um die Welt zu den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen, begegnete zahlreichen Heilern und Schamanen und recherchierte Phänomene des Heilens, die uns normalerweise verborgen bleiben. Mit diesem Buch entstand ein packendes Dokument, das Türen zur Selbstheilung öffnet und uns ermutigt, dem Ungewöhnlichen zu vertrauen.

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Seitenzahl: 429

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Über das Buch

Wunder geschehen in uns selbst: Warum wir neue Dimensionen erfahren, wenn wir offen sind für anderes Denken und Handeln und der Selbstheilungs-kraft vertrauen. Kubys ungewöhnliche Schamanenreise und seine Aufsehen erregenden Begegnungen mit Heilern aus aller Welt zeigen, dass für jeden Menschen der Ort seiner Heilung im Inneren liegt.

Dieses bahnbrechende Buch legt Grundlagen für die eigene Selbstheilungsarbeit, wie sie in den Seminaren von Clemens Kuby vermittelt wird. Es ist außerdem die ideale Einstimmung zu seinem weiterführenden Bestseller HEILUNG - das Wunder in uns.

»Der Mensch trägt unendlich viele Möglichkeiten der Selbst-heilung in sich. Ob er sie durch geistige oder materielle Mittel aktiviert, hängt davon ab, woran er glaubt, was sein Bewusstsein für wahr und nicht wahr hält. Wirklichkeit ist das, was wirkt.«

Clemens Kuby

Über den Autor

Clemens Kuby, geb. 1947, Filmregisseur und Sachbuchautor, ist renommierter Dokumentarfilmer, dessen Werke vielfach ausgezeichnet wurden – darunter auch die Filme Das Alte Ladakh und Living Buddha, die einem breiten Publikum bekannt sind.

Das vorliegende Buch knüpft an seinen Film über Geistiges Heilen an, der 2002 unter dem Titel Unterwegs in die nächste Dimension ebenfalls mit großem Erfolg bundesweit in die Kinos kam.

Kubys tiefe Auseinandersetzung mit dem Thema macht ihn zu einem vertrauenswürdigen »Botschafter zwischen den Welten« und zu einem gefragten Referenten, der seine Erfahrungen auch in Seminaren und Vorträgen weitergibt.

www.clemenskuby.de

CLEMENS KUBY

Unterwegs in die nächste Dimension

Meine Reise zu Heilern und Schamanen

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Copyright © 2003 Kösel-Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.Ausgabe Mai 2008 Arkana, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: Design Team München Coverfotos: Autorenporträt: Astrid Haase-Türk; Landschaft: Zefa, F. Lukasek WL · Herstellung: CZ Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach ISBN 978-3-641-22808-8 V003www.goldmann.de

Inhalt

Vorwort

Prolog

Aufbruch

Katharsis – ohne Reise

Dalai Lama – Ladakh

Karmapa – Tibet und Nepal

Sai Baba – Indien

Die Todas – Südindien

José Silva – Deutschland und USA

Unterwegs

Evgeny Boderenko – Russland

Godfrey Chips – USA

Laurence Cacteng – Philippinen

Lhamo Dolkar – Nepal

U Shein – Burma

HiAh Park – Korea

Papa Elie – Burkina Faso

Don Agustin – Peru

Scheich Ibrahim – Sudan

Ankommen

Experiment Menschsein

Gier regiert

Angst vor Krankheit und Tod verlieren

Dank

Kontakt

für meine Kinder

Vorwort

Prof. Dr. med. Franz Porzsolt

Ohne jeden Zweifel verdient das Buch den Titel Unterwegs in die nächste Dimension in mehrfacher Hinsicht. Es führt in Bereiche, die dem Alltagsdenken weitgehend abhanden gekommen sind und die uns nun dazu auffordern, die eigene Bewusstseinsebene zu erweitern.

Der Autor hat über viele Jahre hinweg Heiler und Schamanen in aller Welt besucht und damit ein beeindruckendes Dokument über Geistiges Heilen geschaffen. Es ermöglicht, ein anderes Verständnis für Heilung zu entwickeln, sofern wir bereit sind, den Blickwinkel zu verändern und Vorurteile gegenüber Heilern abzubauen.

Der Autor selbst ist unterwegs in eine neue Dimension. Er beschreibt am Beispiel seines persönlichen Schicksals, wie man plötzlich – und diese Ereignisse kommen meistens sehr plötzlich – in eine hoffnungslose Lage gerät, die jegliche Aussicht auf Gesundung zunichte macht. Oft gibt es eine lange Vorgeschichte dazu, die man durch sorgfältiges Nachdenken im Nachhinein selbst entdecken kann. Es ist ungemein spannend, zu lesen, wie Clemens Kuby trotz der Hoffnungslosigkeit seine Situation und das Geschehene als Herausforderung begreift. Er entscheidet im tiefsten Innern, nicht aufzugeben, und überlässt sich der Führung einer unterbewussten Ebene. Seine Reise in die nächste Dimension beginnt. Auf diese Weise gelingt es ihm, viele Bereiche, die wir der Gesundheit zurechnen, zurückzugewinnen. Eindrucksvoll wird klar, wie man das Besondere der wiedergewonnenen Gesundheit beschreiben kann oder anders ausgedrückt: Nur wenn Gesundheit fehlt, kann man erkennen, aus wie vielen einzelnen Dimensionen Gesundheit wirklich besteht und wie viele verschiedene Komponenten dazu beitragen, dass sie sich konstituiert. Das wird am Beispiel des Autors und anderen, über die er schreibt, besonders deutlich. Stellt man diesen Überlegungen die Systeme und Methoden gegenüber, mit welchen wir Gesundheitsleistungen noch immer bewerten und vergüten, möchte man verzweifeln.

Auch der Leser gelangt durch dieses Buch in eine neue Dimension. Viele von uns hatten irgendwann in ihrem Leben das Ticket für eine solche Reise bereits in der Tasche. Es war ihnen dabei aber nicht klar, dass sie es selbst in der Hand hatten, die Dinge zum Positiven hin zu verändern. Es sind die Verzweifelten, die armen Teufel, die ihre Reise noch vor sich haben, aber nicht wissen, dass es eine andere Reisemöglichkeit als die herkömmliche gibt.

Mancher wird sich im Buch wiederfinden und wissen, was es heißt, »auf null zu sein« oder wenn »das Ego verhindert, mit der Seele zu reden«. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es immer wieder Menschen gibt, die nicht bereit sind, sich mit ihrer Situation abzufinden, und deshalb versuchen, alle noch verfügbaren Energien zu mobilisieren. Wie bei Sportlern wächst in ihnen die maximale Entschlossenheit, Höchstleistungen zu vollbringen. All jene, aber auch alle, die sich ohnehin aufmachen wollen, hinter den Horizont zu schauen, werden beim Lesen eine neue Dimension kennen lernen. Nur weil wir noch keine Messmethoden haben, diese neuen Dimensionen zu ermessen, sollten wir nicht behaupten, dass es sie nicht gibt. In der Wissenschaft gilt »Absence of evidence does not constitute evidence of absence« (Wenn man im Wald keine Pilze findet, bedeutet das nicht, dass es dort keine gibt).

Wenn einer dann seine Reise in die nächste Dimension antritt und in einer noch so aussichtslosen Situation seine Gesundheit wiedergewinnt, kommentieren die Kritiker abwertend, dass es diese Fälle einer spontanen Heilung schon immer gegeben habe. Stimmt, die gibt es vereinzelt und es trifft auch zu, dass die Medizin in vielen anderen Fällen den erwünschten Effekt mehr oder weniger erzielen konnte. Doch Hand aufs Herz, waren es immer unsere Heilmethoden, die wirksam wurden, und nicht doch sogenannte Spontanheilungen, und waren es zudem nicht wesentlich mehr Fälle, in welchen der erwünschte Effekt nicht erreicht werden konnte? Sollten wir uns nicht fragen, ob wir in diesen Fällen in der nächsten Dimension nicht weitergekommen wären? Es sind ja nicht die Ergebnisse, über die wir uneins sind; Uneinigkeit besteht lediglich im Modell, das die Ergebnisse erklärt.

Clemens Kuby bietet uns aufgrund seiner reichen Erfahrung mit sich selbst und anderen ein Modell an, mit dem wir Geistiges Heilen ernst nehmen und mit den gleichen Methoden bewerten können, die wir auch bei unseren akzeptierten Heilmethoden anwenden. Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein Sowohl-als-Auch. Das Buch Unterwegs in die nächste Dimension hilft uns, diesen Bewusstseinssprung zu vollziehen.

Ulm, im Juli 2003

Franz Porzsolt1

1 Prof. Dr. med. Franz Porzsolt leitet die Klinische Ökonomik am Universitätsklinikum Ulm und die Arbeitsgruppe Evidence Based Health Care am Humanwissenschaftlichen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sein Arbeitsschwerpunkt befasst sich mit der Beschreibung des Wertes (nicht der Kosten) von Gesundheitsleistungen aus der Sicht des Patienten.

Prolog

Die Themen meiner Kino-Dokumentationen erschienen mir stets unausweichlich und meistens erlangten sie lebensverändernde Bedeutung. Sie zogen mich so stark in ihren Bann, dass ich über Jahre an ihnen arbeitete. Bei Living Buddha zum Beispiel waren es sieben Jahre, den Todas – am Rande des Paradieses vier Jahre und dieses Mal, bei dem gleichnamigen Film Unterwegs in die nächste Dimension, fünf Jahre.

Der Auslöser war eine Katastrophe. Ich bin schwer krank gewesen mit der Diagnose »unheilbar« und konnte mich dann selbst auf intuitive Weise heilen – oder, je nach Glaubenskonzept, hat Gott, der Zufall, das Karma, das Glück oder das Schicksal mich geheilt. Danach wollte ich wissen, wie Geistige Heilung zustande kommt, bei mir und in anderen Fällen.

Es hieß, Geistiges Heilen sei Schamanismus und den gäbe es nur in exotischen Ländern. Also besuchte ich sie auf allen Kontinenten und machte ausführliche Erfahrungen mit Heilern aller Art. Ich stellte fest, dass man mit Schamanismus etwas mystifiziert, das jeder Mensch besitzt und was überhaupt nicht exotisch, sondern eine Funktionsweise unseres Gehirns ist. Das Gehirn will und kann nicht unterscheiden zwischen real und fiktiv. Wirklichkeit ist nicht das, was wahr ist, sondern das, was wirkt, und das Fiktive wirkt oft sogar noch stärker als das Reale, wie jeder Theater- und Kinofan weiß.

Schamanen und Heiler sind genauso wenig Scharlatane wie Regisseure und Schauspieler. Der Schamane versteht es als Performancekünstler, seine Klienten mit Zauberei und Entertainment so zu beeindrucken, dass sie echte körperliche Reaktionen zeigen. Er macht sich zu Eigen, dass der Mensch sich letztlich immer selbst heilt. Unter diesem Gesichtspunkt ist alles, auch das, was die Schulmedizin macht, »nur« Stimulus für die Selbstheilungskräfte. In diesem Buch werden viele Beispiele für erfolgreiche geistige Heilungsprozesse beschrieben.

Natürlich gibt es weder eine Garantie noch eine Krankenversicherung für die Aktivierung der Selbstheilungskräfte, aber es gibt einen Weg dahin. Es ist der Weg zur eigenen Seele, der Ort, wo jede Krankheit und jede Heilung beginnt. Um diesen Weg einzuschlagen, müssen wir uns primär als geistiges und nicht als materielles Wesen verstehen. Dieser Umdenkprozess ist in unserer Kultur, in der die Kirchen uns zum Arzt und nicht zu Gott schicken, um geheilt zu werden, das Schwierigste. Alles, was uns umgibt, verleitet uns zu einem materialistischen Weltbild; mit diesem Weltbild sind wir auf die materiellen Interventionen der Apparatemedizin festgelegt.

Viele Ärzte, Heilpraktiker und andere Heilberufler praktizieren mehr oder weniger offen, neben ihren materiellen Interventionstechniken, Geistiges Heilen. Viele Menschen wissen, dass sie ein geistiges Wesen sind, und kurieren sich mit diesem Bewusstsein selbst. Jetzt ist es an der Zeit, sich zu outen. Die Gesellschaft braucht diese Erfahrungen.

Wir wissen alle, dass unser Gesundheitssystem mit dem technischen Körperverständnis und der Apparatemedizin auf Dauer nicht funktioniert; nicht nur, weil es zu teuer geworden ist und uns Arbeitsplätze in großem Stil kostet (Stichwort: Lohnnebenkosten), sondern auch, weil Heilerfolge immer schwerer zustande kommen.

Machen wir uns die Erfahrungen armer Länder zu Eigen, die nicht das Geld für eine teure, materielle Medizin haben und seit Urzeiten geistige, preisgünstigere Interventionen beherrschen, lernen wir von unseren einheimischen geistigen Heilern und berücksichtigen wir, was die moderne Forschung über unser Gehirn weiß – dann ist eine wirkliche Gesundheitsreform möglich, bezahlbar und für unser Wohlergehen ein Geschenk.

Jeder kann heute die Gesundheitsreform in die eigenen Hände nehmen und seine Selbstheilungskräfte aktivieren. Es gibt bereits viele Praktiker, Autoren und Berater, die uns wirkungsvolle geistige Werkzeuge mit auf den Weg geben. Bewusst verzichte ich darauf, sie zu zitieren, denn ich wüsste nicht, wo ich anfangen und aufhören sollte. Es sind zu viele Einflüsse, denen ich in diesem und früheren Leben ausgesetzt war, um jetzt belegen zu können, wie meine Gedanken entstanden sind.

Jeder, der den Entschluss fasst, sein Weltbild zu ändern, findet seine Wegweiser. Es gibt nicht den einen richtigen Weg, jeder folgt seiner Wahrheit. Er darf sie nur nicht zum Dogma machen, das führt zu Intoleranz und Krieg. Die Idee, der Wunsch, die Sehnsucht, das Gebet, das Mantra, die Hinwendung, die Absicht – all das ist unser stärkster Antrieb in diesem lebendigen Universum. Wenn wir damit unser Glück schmieden, formen wir unser Schicksal selbst.

Viel Freude und Erfolg dabei.

Ihr

Clemens Kuby

Aufbruch

Katharsis – ohne Reise

Meine Seele zu respektieren, sie überhaupt wahrzunehmen und das Gespräch mit ihr zu suchen beginnt, als ich 33 Jahre alt bin und einen tragischen Unfall erleide. Heute muss ich mir eingestehen, dass ich diesen Unfall in einem Zustand von Ausweglosigkeit unbewusst herbeigeführt habe. Ich stürze in einer kalten, regnerischen Nacht um 3 Uhr 20 aus dem Fenster meines Dachgeschoss-Studios aus 15 Metern Höhe auf Asphalt. Ein Krankenwagen bringt mich 87 km weit ins Kreiskrankenhaus von Bad Mergentheim bei Würzburg, von wo aus man mich mit einem Hubschrauber in die europäische Querschnittsklinik nach Heidelberg-Schlierbach verlegt.

Nach drei Tagen intensiver Diagnostik und Beratungen darüber, wie und wann man mir beibringt, wie mein weiteres Schicksal aussehen wird, tritt Prof. Dr. Paeslack, Chefarzt der Klinik, an mein Bett und erklärt mir ohne Umschweife, was Sache ist: Rollstuhl für immer! Ich bin ab dem 2. Lendenwirbel, also genau ab der Hüfte, querschnittsgelähmt, der Wirbel zertrümmert.

Ich vernehme eine Stimme in mir, die sagt: »Bleib ganz ruhig. Nur keine Panik.« Wenn mich nicht alles täuscht, spricht da meine Seele. Mit wem aber redet sie? Mit sich selbst? Nein, es scheint so, als rede sie mich von außerhalb an. Wer bist du, der das feststellt?

Das bin ich mit meinem Ego. Ich stehe meistens auf der Seite meines Egos, selten auf der Seite meiner Seele. Ein Zwiegespräch meines Egos mit mir gibt es nicht bzw. kann es nicht geben, denn sobald ich mich mit meinem Ego nicht mehr identifiziere, das heißt mich außerhalb von ihm stelle, löst es sich auf ins Nichts.

Bei der Seele ist das anders. Auch wenn ich mich nicht mit ihr identifiziere, löst sie sich nicht auf. Irgendwo ist sie immer; sie kann verstummen, sie kann außer Sichtweite geraten, aber immer bleibt ein leichtes dehnbares Band zwischen ihr und mir bestehen. Jetzt, wo man mir eröffnet, dass mein Leben verwirkt ist, steht sie direkt und ohne Ablenkung groß und klar vor mir.

Den Dialog mit der Seele führen.

Ich kann ihr nicht mehr ausweichen, schon physisch nicht. »Physisch« klingt in diesem Zusammenhang mit der Seele vielleicht merkwürdig, aber in meinem Fall bezieht es sich auf den Streyker. Der Streyker ist ein ganz schmaler, mit Segeltuch bespannter Aluminiumrahmen in Körpergröße, auf den man mich bäuchlings gepackt hat, nackt, die Arme am Körper, die Zehen über den Segeltuchrand, die Stirn und das Kinn jeweils auf einem schmalen Polster, sodass Mund, Nase und Augen frei nach unten schauen. Gemäß eines vom Arzt exakt festgelegten Lagerungsplanes werden auf der Rückseite meines Körpers viele kleine, harte und weichere Kissen verteilt und am Schluss von einem Stationsarzt überprüft.

Nun wird der zweite Aluminiumrahmen mit bespanntem Segeltuch von dem Haken an der Wand neben mir genommen, exakt über den anderen Rahmen platziert, auf dem ich liege, und mit einer großen, kreisrunden, im Durchmesser etwa 1 Meter großen, mechanischen Klemme, die in der unteren Hälfte auf Rollen läuft, mit dem anderen Alurahmen fest verbunden. Ich werde aufgefordert, auszuatmen, dann den Atem anzuhalten – und in diesem Moment wird die Klemme zusammengepresst, bis mir Druck und Schmerz kurz die Sinne rauben und ich werde – wie ein Sandwich – blitzschnell vom Bauch auf den Rücken gewendet. Auf diese Weise soll sich meine Wirbelsäule keinen Millimeter verschieben. Dann wird mit tröstenden Worten die Klemme wieder geöffnet und ich liege auf diesen diversen, arrangierten Kissen so auf dem Rücken, dass die Bruchstelle in meiner Wirbelsäule überdehnt wird.

Das Ganze wiederholt sich alle drei Stunden in umgekehrter Richtung. Eine andere Lage Kissen wird auf der Vorderseite meines Körpers nach Plan gelagert und wieder werde ich in der Schraubzwinge gewendet und schaue danach durch das Fenster in meinem Alurahmen auf ein kleines Resopaltischchen, dessen Höhe einstellbar ist.

Durch das ständige Wenden vermeidet man bei wochenlangem und monatelangem absolutem Stillliegen Druckstellen an der Haut, die zu schweren Wunden führen können. Liegt aber auch nur ein einziges Kissen verkehrt, führt dies zu Muskelspannungen, die so unerträglich werden, dass man entweder ausnahmsweise zurückgedreht und das Kissenarrangement überprüft wird oder aber es wird einem nahe gelegt, sich daran zu gewöhnen bzw. die Unbequemlichkeiten bis zur nächsten planmäßigen Drehung zu ertragen. Wer da empfindlich ist, bettelt die Pfleger und Schwestern um Minuten an, die sie vor der Planzeit kommen mögen, um einen aus der unerträglichen Lage zu befreien – nur, um früher in die nächste unerträgliche Lage zu kommen.

Ich nehme diese körperlichen Quälpunkte als mentale Herausforderung an und versuche sie zu ignorieren. Nach einer Weile funktioniert das in 90% der Fälle. Da, wo es nicht gleich oder erst später funktioniert, ist es für mich eine interessante Übung, zu beobachten, wann mein Geist anfängt, sich um andere Dinge, als um Jucken, Drücken, Klemmen oder Ziehen im Körper zu kümmern. Das gilt auch für die starken Schmerzen, von denen ich reichlich, sehr reichlich habe.

Zugleich lässt sich nicht ignorieren, dass man bei einer Querschnittslähmung seine Toilette nicht mehr steuern kann und man zum Baby wird, das noch in die Windeln macht, allerdings künstlich, von schweren Abführmitteln herbeigeführt. Die Möglichkeit, Wasser zu lassen, wird durch Katheter ersetzt, wobei mir ein 50 cm langer Schlauch durch die Harnröhre in die Blase geschoben wird. Ein schwieriges Unterfangen. Bei zurückgezogenem Penis schiebt sich der Schlauch nur schwer hinein, und obwohl man eigentlich nichts spürt, ist es dennoch furchtbar unangenehm. Ist der Schlauch ganz eingeführt, klopfen sie einem mit der Faust auf die Blase, bis sie sich entleert und der Urin durch den Plastikschlauch in einen durchsichtigen Beutel läuft, der am Bettgestell hängt. Seine Menge wird genauso exakt gemessen wie das, was man trinkt. Die Bilanz muss stimmen auf relativ hohem Niveau, sonst wird man zusätzlich anderweitig schwer krank.

Lesen kann ich nur, wenn ich auf dem Bauch liege und mir ein Pfleger oder eine Schwester die Seiten umblättert. Manche Patienten lassen sich Kopfhörer aufsetzen und die Kassetten umdrehen. Für mich gibt es erst mal weder das eine noch das andere.

Wir liegen zu sechst in einem sehr großen Zimmer mit ausreichend Platz zwischen den Betten, sodass Rollstühle auf beiden Seiten heranfahren können. Sehen kann ich meine Zimmergenossen zum ersten Mal, als die Pfleger große, fahrbare Schwenkspiegel so aufstellen, dass ich über zwei, drei Spiegel ihre Gesichter zu sehen bekomme, denn in den ersten zwei Monaten ist es mir nicht möglich, den Kopf zu drehen oder zu heben. Es ist eine Null-Stellung. Die Nervenschocks, die ich schon durch die kleinste Bewegung meiner Wirbelsäule auslöse, sind viel heftiger als 220 Volt.

Besuch möchte ich keinen. Es gibt ihn auch nicht so fern der Heimat und aller meiner Freunde. Zwischen dem mühevollen Füttern, Waschen und Windeln bleibt viel Zeit, um auf die Seele zu hören. Die Stimmung im Zimmer ist schwer und weich zugleich, das Durchschnittsalter 27. (Das entspricht genau dem Bundesdurchschnitt aller Querschnittseintritte.) Die meisten sind Sportler, groß, stark, topfit. Drachenflieger, Hobbyrennfahrer oder nur Beifahrer oder Schwimmer, die mit einem Hechtsprung in zu seichtes Wasser ihrem Schicksal eine Wende verpassten. Darin sind wir uns alle gleich. Und bei zwei Drittel aller Betroffenen platzt während dieser Schicksalswende auch noch die Beziehung, ich selbst wollte es sogar so.

Null-Punkt

Nichts kann so bleiben, wie es war. Nicht nur, weil mein altes Fachwerkhaus am Hang nicht rollstuhlgerecht umgebaut werden kann, sondern weil mein bisheriges Lebenskonzept in diese Katastrophe geführt hat. Ich trenne mich augenblicklich und vollständig von meiner Frau, ihren Kindern, dem Haus, das mit dem Alterssitz meiner Mutter verbunden ist, von der Idee, auf dem Land zu leben, von allem, was daran hängt, ohne die geringste Ahnung, wie mein Leben weitergehen kann. Der Punkt null ist in jeder Hinsicht erreicht.

Fehler sind falsche Erwartungen.

Die erste Frage, die ich nicht loswerde, ist: Wer oder was hat Schuld an meinem Schicksal? Wie konnte mir das passieren? Viele empfinden einen solchen Schicksalsschlag als Strafe Gottes, auch wenn sie bisher nicht an Gott geglaubt haben. In solchen Momenten wird der Einfluss des kulturellen Umfelds auf die individuelle Psyche offensichtlich. Die mentale Institution des strafenden Gottes ist im Abendland stark verankert. Ob man will oder nicht – wer in diese Situation kommt, fragt sich: Womit habe ich das verdient? Habe ich einen Fehler gemacht? Wenn ja, welchen? Fehler sind falsche Erwartungen. Mein Zustand lässt mir viel Zeit darüber nachzudenken.

Manchmal kommt ein feinfühliger Pfleger vorbei und tupft mir die Tränen von den Wangen, die ich schon einige Minuten und in den ersten Tagen mehrmals vergieße, ohne sie mir selbst abwischen zu können, weil schon die kleinste Armanhebung starke Schmerzen über die Wirbelsäule auslöst. Manche weinen hin und wieder auch laut oder schimpfen über ihr Schicksal. Eben deshalb liegt man in dieser Klinik zu sechst im Raum, unabhängig davon, welcher Versicherungsklasse man angehört. Es soll niemand durchdrehen. Es gibt höchstens ein oder zwei neue Fälle pro Zimmer, die anderen haben schon gelernt, ihr Schicksal ein wenig zu tragen, und machen den Frischverzweifelten Mut.

Ich selbst bin merkwürdigerweise nicht verzweifelt, ganz und gar nicht, kann aber nicht genau sagen warum. Ich empfinde diesen Null-Punkt in gewisser Weise sogar als etwas Großartiges. Mein Leben, Raum und Zeit stehen still. Ich bin glücklich, weil ich noch am Leben sein darf.

In jenem Augenblick, als ich auf dem Asphalt aufprallte, hielt ich den aufflammenden, unsagbaren Schmerz für das Fegefeuer, das uns als Kind für die Zeit nach dem Tod prophezeit worden war, falls wir uns nicht richtig verhielten. Ich habe nicht für möglich gehalten, dass die Religionslehrer wahr gesprochen hatten, betrachtete ihre Vorträge vielmehr als unfaire Panikmache, um mich an ihre Kirche zu binden. Sie hatten versprochen, dass nur der nicht ins Fegefeuer nach dem Tod käme, der ihnen folgte und brav war. Ich war nicht brav gewesen und mit fünfzehn wieder aus der Kirche ausgetreten, zwei Tage vor der Konfirmation.

Ist das jetzt die Quittung? Wie lange werde ich wohl diese Höllenqual auszuhalten haben, frage ich mich. Dumme Frage, wenn man tot ist. Das kann eine Ewigkeit dauern. Im Tod steht die Zeit. In meinem Fegefeuer-Schmerz tauchen schließlich doch noch Zweifel auf, ob ich vielleicht nicht wirklich tot bin?

Es gibt nur einen Weg für mich, diese Frage zu klären: Es müssen Leute kommen, die mich für tot erklären, egal, ob ich glaube, noch mit ihnen zu sprechen. Dann wüsste ich, dass meine Stunde geschlagen hat. Es ist, wie gesagt, 3 Uhr 20 in dieser windigen, von Mondlicht und Wolken zerfetzten Nacht und es schüttet. Der kleine Weiler, in dem mein Haus steht, liegt am Ende einer Straße, da kommt jetzt niemand vorbei, der mich entdecken könnte. Vielleicht sollte ich probieren zu schreien, so laut es geht. Natürlich ist das keine Gewähr dafür, dass ich noch am Leben bin, denn einen Schrei kann sich meine unsterbliche Psyche auch imaginieren. Ich probiere es trotzdem ... Habe ich wirklich geschrien? Zuversichtlich macht mich, dass in den umliegenden Häusern Lichter angehen und Menschen mit über den Kopf gezogenen Jacken auf die Straße in den strömenden Regen treten und in dieser finsteren Vollmondnacht etwas zu erkennen suchen. Bis endlich Erich, der Seniorbauer von gegenüber, ruft: »Da liegt ja der Clemens«, und sein Sohn, der Günter, herbeieilt: »Clemens, was is’?« »Ich bin vom Dach gefallen«, antworte ich irgendwie. Dann kommt der erlösende Satz: »Ja, du machst Sachen ...«

Nun weiß ich, dass ich nicht tot bin, meine Worte wurden gehört. Ich kann mich zwar noch immer nicht bewegen und habe wahnsinnige Schmerzen, aber ich bin nicht tot, also ist es auch kein Fegefeuer.

So liege ich querschnittsgelähmt auf dem Streyker in der Heidelberger Klinik und vor lauter Glück, am Leben zu sein, kullern mir stille Tränen herunter. Es ist meine Chance, ein neues Leben zu führen, auch wenn ich nicht über das Wie nachdenke, aber es ist Leben, ein neues Leben. Gleichzeitig entgehen mir nicht die tiefernsten Mienen der Ärzte mit meinem Befund in der Hand und ich höre sie immer wieder das Wort Rollstuhl aussprechen und dass das ein Leben sei, das ich mit 150.000 anderen in Deutschland zu teilen hätte, und so weiter. Ich höre sie, aber ich höre ihnen nicht zu. Meine Seele interessiert das nicht, sie hat viel, viel Wichtigeres zu tun.

Seele vice versa Ego

Mein Ego ist jetzt relativ kleinlaut. Mein Ego ist sowieso ein Feigling. Es tönt immer nur so groß, wenn der Körper fit ist; doch wehe, wenn ihm etwas fehlt. Mein Ego kann mit Schmerzen nicht umgehen, sie sind ihm unangenehm und sie hindern es daran, so zu tun, als habe es alles im Griff. Bei Krankheit, stelle ich regelmäßig fest, zieht sich das Ego zurück. Die Seele darf dann umso stärker hervortreten. Wie jetzt. Wenn ich weine, weine ich nicht wegen der Schmerzen oder aus Selbstmitleid, sondern aus Einsicht – aus Gewahrwerden meiner missachteten Seele. Was ist sie nur für ein zartes, wunderbares Geschöpf! Dabei kenne ich sie nicht einmal wirklich. Doch sie begleitet mich auf Schritt und Tritt, immerzu. Sie drängt sich nicht auf, aber wenn ich nach ihr schauen würde, wäre sie da. Sie ist eigentlich immer da, aber das Ego verdrängt sie aus dem Gesichtskreis mit dem Vorwurf, sie störe, habe nichts zu sagen, sei vollkommen realitätsfremd, könne gar nicht mitreden und verstünde von der Sache ohnehin nichts – kurzum, sie solle den Mund halten und sich verdünnisieren oder unsichtbar machen.

Na ja, da die Seele nicht kämpft, sieht und hört man auch nichts mehr von ihr, bis ...? Ja, bis es passiert. Mein Fall aus dem Fenster war kein Zu-Fall, wenn das Ego es auch so hinstellen möchte und dauernd von Un-Fall redet. Die Seele aber weiß es besser. Jetzt spricht sie und das Ego hat Pause. Das ist der Moment, in dem mir schon wieder Tränen herunterlaufen. Manche mögen sich an einen solchen Moment erinnern, nachdem sie nach einer Krebsdiagnose das erste Mal allein waren, oder sie sich eingestehen mussten, dass sie Aids haben oder eine andere schwere Krankheit. Richtig ernst wird es für jeden, wenn das Urteil lautet: »Unheilbar!«

Man ist dann zwar noch am Leben, aber auf null. Wer wirklich auf null ist, jammert nicht mehr. Null ist null. Jammern ist nicht null. Ich möchte im Zustand null so lange wie möglich bleiben. Meine Seele ist jetzt voll und ganz präsent. Der Seele sind Schmerzen egal. Nur das Ego jammert. Meine Seele hat zum Schmerz ein zwar mitfühlendes, aber nicht mitleidendes Verhältnis. Sie sieht den Schmerz als ihr Sprachrohr, als Ruf nach ihrer Beachtung. Sie meldet im Schmerz ihre Defizite, die das egobestimmte Leben bei ihr verursacht haben. Die Seele sieht im Schmerz nicht den Schmerz, sondern das, was der Schmerz zu erzählen hat – und das ist kein Gejammer, sondern ein tiefes, wichtiges Anliegen. Wie verstehe ich dieses Anliegen? Wie höre ich, was meine Seele mir sagen will?

Wenn ich absolut still liege und ganz flach atme, ohne dabei in Sauerstoffmangel zu geraten, der einen tieferen Atemzug erforderlich macht, dann habe ich keine Schmerzen. Ein Schwebezustand. Aber schon ein einziger tiefer Atemzug, der die Lungen dehnt und damit auf mein Rückgrat drückt, löst heftigsten Schmerz aus, der alle Konzentration auf die Seele zunichte macht. Es ist die Kunst eines feinen Balanceakts, das flache Atmen so zu dosieren, dass die Luftzufuhr immer gerade ausreicht.

Meine Augenlider sind dabei nur einen kleinen Schlitz geöffnet. Sie dürfen weder auf- noch zumachen. Ich befinde mich in einer seelischen Wippe zwischen Schlafen und Wachen. Die Wippe soll in einem labilen Gleichgewicht zum Stillstand kommen, ohne auf einer Seite den Boden zu berühren, auch wenn die Gewichte unterschiedlich verteilt sind. Die Aufgabe heißt, einerseits nicht einzuschlafen, denn das käme einem Aufsetzer gleich; die andere Seite wäre dann ganz oben in den Lüften, könnte wunderbar vor sich hin träumen, aber die Konzentration ginge verloren. Wenn ich aber andererseits meinen Sehschlitz zu weit öffne und auf die umherlaufenden Personen und Geräusche achte und womöglich innerlich darauf reagiere, käme das einem Aufsetzer der anderen Seite, dem nach außen orientierten Wachzustand gleich, und ich könnte meiner Seele wiederum nicht genau zuhören. Der Wachzustand bedenkt die Außenwelt, der Schlafzustand die Traumwelt. Meine Seele verstehe ich jedoch am besten, wenn ein stabiler Balance-Zustand zwischen Atem und Wahrnehmung herrscht. Und das ist genauso das, was auch jede tiefe Meditation ausmacht.

An andere körperliche Bewegung ist nicht zu denken, dafür sorgen schon die hochgeladenen Elektroschocks bei den leisesten Kompromissen. Das heißt: Ich darf kleinen körperlichen Unannehmlichkeiten, wie Juck- und Druckreizen, nicht nachgeben, wenn ich größere Schmerzen vermeiden will. Sicher, es gibt Momente, wo ich die Zähne zusammenbeiße und Rückenmuskeln oder andere Muskeln oberhalb der Hüfte bewusst an- oder entspannen muss, weil durch das ewige Stillliegen irgendwo im Körper ein unerträglicher Druck entsteht. Dabei muss ich auf einen Nervenschmerz gefasst sein, der sich so anfühlt, wie wenn der Zahnarzt mit Druckluft einen Zahn mit offen liegendem Nerv desinfiziert. Nur dass hier das zentrale Nervensystem im Rückenmark reagiert. Jeder kann sich vorstellen, dass man alles dafür tut, um diese Schocks zu vermeiden. Insofern wirke ich in meiner vollständigen Regungslosigkeit wie ein vollkommen selbstzufriedener, ausgeglichener Patient, der keinerlei Bedürfnisse kennt.

Wenn ich meinen Pflegern und Schwestern, die ich alle sehr mag, sage, meine Zufriedenheit komme nicht freiwillig zustande, sondern werde mir durch die Androhung von Schmerzen diktiert, schauen sie mich ungläubig an. Es ist aber so, und ich weiß diesen Zwang zu schätzen, manchmal sogar zu genießen, denn in dieser absoluten inneren Ruhe ist meine Seele ganz nah bei mir. Wir lieben uns und ich brauche nicht an gestern und nicht an morgen zu denken. Es ist tiefster Meditationszustand über Stunden, Tage und Wochen.

Wunder erforderlich

Zwischendurch höre ich meine Seele sagen: »Du, ich bin da, wahrscheinlich aber nur so lange, wie auch die Schmerzen da sind und du dich in diesem Null-Zustand aufhältst. Wenn du stabilisiert bist, dann wird dein Ego sich wieder aufblasen und ich muss weichen. Ich glaube kaum, dass du dann noch mit mir weiter so eng zusammenbleibst wie jetzt. Nutze die Zeit. Das Ego bringt keine Wunder zustande. Das Ego wird sich an das halten, was die Ärzte sagen, es bietet dir keinen Weg zur Heilung. Dazu fehlt ihm die Vorstellungskraft, um Prozesse im Körper auszulösen, die von den normalen Vorgängen abweichen. Wenn du wartest, bis du stabilisiert bist, dann bist du stabilisiert für den Rollstuhl.«

Das klingt verdammt richtig, muss ich zugeben. »Clemens, sei nicht faul. Beweg dich, alles hat seine Zeit« heißt die Losung der Seele. »Lass es nicht so weit kommen, bis du dich mit der Diagnose abgefunden hast, denn dann ist dein Schicksal besiegelt. Bewege dich!«, rät die Seele. Und sie meint das nicht körperlich, denn das Körperliche ist ihr zweitrangig. Meinen Einwand, ich wäre doch aber gelähmt, hält sie für eine Ausrede zur Vermeidung der Arbeit mit dem Bewusstsein.

Das Ego kennt keine Wunder, gibt aber vor, zu wissen, wo’s langgeht.

Das Ego hält Bewusstseinserweiterung für Luxus, ihm ist nur körperliche Fitness wichtig. Wenn die Seele Wunder vollbringen kann, dann soll sie es bitte tun, aber dafür sein Bewusstsein erweitern zu müssen, hält das Ego für widersinnig; außerdem, wie soll man mit dem vorhandenen Bewusstsein das Bewusstsein erweitern, dafür müsste etwas von außen dazukommen, aber was? Zum Glück geht es mir so miserabel, dass das Ego zu diesem Disput mit der Seele keine Kraft hat. Letztendlich müsste die Seele zurückstecken, das Wunder würde ausbleiben und das Ego irgendwann, wenn der Körper stabilisiert ist, die Rollstuhlexistenz billigend in Kauf nehmen. Zurzeit aber regiert noch die Seele und dafür bin ich bei allem Unglück, wie schlimm es sich von außen auch darstellen mag, unendlich dankbar. Ich kann mir zwar ebenso wenig wie mein Ego vorstellen, wie eine Bewusstseinserweiterung bei den vorhandenen Ressourcen vonstatten gehen kann, aber ich weiß, dass meine Seele mir dabei helfen wird. Das Beste ist, den gewonnenen Meditationszustand aufrechtzuerhalten und zuzuschauen, was kommt.

»Fehler sind falsche Erwartungen.« Dieser Satz klingt in mir noch nach. Welche Erwartungen habe ich vor dem Sturz gehabt? Erwartungen sind Muster, in denen ich denke; eingetretene Pfade, auf denen ich mich bewege. Wenn die Seele mahnt, ich müsse mich bewegen, um gesund zu werden, dann muss ich einerseits meine Muster erkennen, andererseits den Horizont erweitern. Was heißt das konkret? In solchen abstrakten Kategorien kann ich mich nicht entwickeln. Ich möchte die Aufgabe als griffiges Bild vor mir haben.

Das erste Bild, das sich in meiner erzwungenen Meditation entfaltet, ist eine unendliche Landschaft, eher eine Ebene, in der eine überdimensionale Schale steht. Die Schale sieht aus wie eine umgedrehte Schädeldecke und ist nach oben hin offen. Darin befindet sich mein Bewusstsein. Alles, was ich denken kann, befindet sich in dieser umgestülpten, überdimensionalen Gehirnschale.

Ich setze mich hinein und entdecke, dass ich mich in einem großen Fußballstadion befinde. Ich sitze mittendrin auf mittlerem Rang, eingepfercht zwischen den Massen. Unten auf dem Rasen spielt Club Links gegen Club Rechts. Bei jedem Tor und jedem Beinahtor brüllen mal die Linken, mal die Rechten. Außer der politischen Auseinandersetzung gibt es ein Pausenprogramm, genannt Kultur. Diese Vision entfaltet sich auf vielfältigste Weise.

Das Stadion repräsentiert unsere komplexe Gesellschaft, wie wir sie erfahren. Für meine Seele fällt dabei zu wenig ab. Sie ist weder Fan des einen noch des anderen Clubs, sie möchte wissen, was es außerhalb des Stadions gibt, und will raus. Ich weiß es nicht. Ich kann über den Stadionrand nicht hinaussehen. Warum will meine Seele raus? Das Stadion hat doch alles, was das Leben begehrt. Ich selbst habe in meinem bisherigen Leben einiges dazu beigetragen, dass zum Beispiel ein neuer Club da unten auf dem Rasen mitspielt und ein gewisses Alternativprogramm in den Pausen läuft, aber das erfreut meine Seele nicht oder zumindest nicht mehr. Die 68er-Bewegung beispielsweise und das, was aus den Grünen wurde, bieten ihr keine Freude und Befriedigung.

Als ich 1974 dazu beitrug, eine neue Partei aufzubauen und zum Erfolg zu führen, die ich Die Grünen nannte, jubelte meine Seele. In der letzten heißen Phase 1979 fuhr ich schließlich allein zwischen Tauberbischofsheim (bei Würzburg) und dem Bodensee von Ort zu Ort und organisierte für jeden Abend einen Vortrag mit mir als Landtagskandidat der zu gründenden neuen Partei. Erstaunlich, wie voll jedes Mal die Nebensäle der Gastwirtschaften waren, in denen ich spontan etwa zwei Stunden sprach und anschließend die gesetzlich notwendigen Unterschriften für die Parteianmeldung sammelte, was in letzter Minute auch gelang. Hier sprach nicht das Ego, hier verschaffte sich meine Seele Luft. Sie witterte Befreiung aus der geschlossenen Gesellschaft des Stadions.

Sechs Jahre war ich insgesamt in Deutschland unterwegs gewesen, um Verbündete für meine Idee von einer neuen, grünen Partei zusammenzuführen. Ich hatte den Vorteil, dass meiner Mutter diese Ideen bereits vetraut und wir uns über die politische Strategie immer einig waren. Sie wiederum hatte diese Gedanken und Visionen von ihrem jüngeren Bruder in England, dem E.F. Schumacher, der damals schon sein weltberühmtes Buch Small is beautiful geschrieben hatte und das »Intermediate Technology Institute« führte, das weltweit Regierungen – vor allem in der Dritten Welt –, aber auch den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter in ökologischen Fragen beriet.

Meine Mutter brachte mich mit August Haußleiter und Herbert Gruhl, den führenden Ökologen in Deutschland zusammen. August Haußleiter hatte seiner kleinen, bayrischen Partei, der AUD, erst kürzlich ein ökologisches Programm gegeben und der Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl war wegen seines wichtigen Buches Ein Planet wird geplündert aus der CDU herausgeflogen. Mit ihnen führte ich ab 1979 Wahlkampf.

Ich schrieb Parteiprogramme und -statuten, unzählige Briefe und Artikel, hielt Parteireden nach innen und außen, telefonierte mit Gott und der Welt, bis die Partei endlich stand und 1980 auf Anhieb über die 5-%-Hürde mit sechs Abgeordneten in den Stuttgarter Landtag einzog. Mit diesem sensationellen, von keinem unserer Gegner erwarteten Erfolg ging jedoch das alte Ego-Machtgerangel wieder los und alle meine idealistischen Visionen wurden zunichte gemacht.

Meine Seele wurde traurig und trauriger. Ich hatte ihr so viel Hoffnungen gemacht. Doch nichts von der Liebe und der Freiheit, womit ich sie und viele andere Seelen so begeistern konnte, war Ende 1980 noch zu spüren. Meine schärfsten Gegner, ehemalige Mitstreiter in der Studentenbewegung, sprangen plötzlich aus egoistischem Machthunger auf unseren Zug auf und arbeiteten sich mit allen erlaubten und unerlaubten Tricks in die Lokomotive vor. Als ich das zu spüren bekam, sprang ich ab – im wahrsten Sinne des Wortes – und brach mir dabei das Rückgrat.

Hatte ich falsche Erwartungen? Die starke, fantasievolle, hoffnungsvolle Vision, für die mir meine Seele unendlich viel Energie, Gespür und Ideen schenkte, war nach der Gründung der Bundespartei in der Lokomotive nicht mehr gefragt. Es wurde dort kalt, brutal, intrigenreich und durch und durch egoistisch. Dieser neue Club, den ich selbst auf den Rasen geschickt habe, fand auf den Rängen des Hexenkessels seine Fans und sitzt seit 1998 in der Regierung. Ein Jahr früher, als ich es auf dem Gründungskongress in Sindelfingen 1979 voraussagte.

»Fehler sind falsche Erwartungen.« Unter Politiker sein hatte ich mir etwas anderes vorgestellt. Das zeigte sich sofort, als die Partei eine professionelle Partei wurde. Mein Ego hätte diesem Muster vielleicht entsprechen können, aber meine Seele quatschte ihm zu viel dazwischen. Sie hat mich immer zu neuen Horizonten streben lassen. Um in meiner Metapher zu bleiben: Sie will auch jetzt wieder, dass ich das Stadion überwinde.

Diesmal ist die Hürde allerdings wesentlich höher als bei allen neuen Horizonten, die ich vorher erklommen habe. Diesmal ist die Hürde mit einer körperlichen Lähmung verbunden und ich kann mir mit aller Fantasie nicht vorstellen, was Bewusstseinserweiterung mit Gesundheit zu tun haben soll.

Neuer Horizont

Durch die Metapher des Stadions weiß ich, was ich zu tun habe, um meinen Horizont zu erweitern. Ich muss das Stadion verlassen. Seine Wächter sind die Sicherheitsbedürfnisse meines Egos und all die rationalen Wenns und Abers gegen einen gewagten, geistigen Auf- und Ausbruch.

Die Metapher des Stadions eignet sich, um mit ihr reale Veränderungen in meinen Mustern und Gehirnstrukturen vorzunehmen. Alles, was ich bis jetzt denken kann, spielt sich im Stadion ab. In ihm befindet sich meine Gesellschaft, meine Sprache, mein Leben. Ich frage mich, was es außerhalb zu entdecken geben sollte, das zu neuem Bewusstsein führen könnte?

Das Wunder des Seins besteht darin, zu erkennen, dass eine Antwort innerhalb der Metapher auch für das wirkliche Leben gilt. Wie innen, so außen. Für den Geist, der den Körper regiert, ist eine virtuelle Handlung genauso wirkungsvoll wie eine reale Handlung. So kann die Heilung sich vollziehen, behauptet meine Seele.

Über solche Zusammenhänge wusste ich vor 20 Jahren aber noch nichts. Da ich jedoch eine Metapher gefunden hatte und darin agieren konnte, brauchte ich den Zusammenhang auch nicht zu wissen.

Die Pfleger wundern sich, warum ich so still und genügsam auf meinem Streyker liege. Ich brauche niemanden, der mich beschäftigt, das Buch hinlegt und umblättert, eine Kassette auswählt und einlegt. Ich will immer noch keinen Besuch. Ich nehme die Pflegedienste ohne Murren geduldig auf mich, stelle keine Forderungen, klage nicht über mein Schicksal und nicht über Schmerzen. Ich liege einfach den ganzen Tag und die ganze Nacht ganz still, so, wie es sich auf dem Streyker gehört, und werde alle drei Stunden gewendet.

Durch diese Kliniksituation bleibt mein Ego auf Tauchstation, und die üblichen Einwände gegen solche Konzepte, wie sie meine Seele vertritt, kommen nicht hoch. Die Schmerzen und das Elend, in dem ich mich physisch befinde, sind dauerhaft genug, um der Seele ausreichend Zeit für ihr Bemühen zu geben. Durch diese Konstellation entsteht in meinem Kopf ein Freiraum, in den neue Bilder und Gedanken einschießen.

Über die Stadionmauer kann ich nicht schauen, aber ich finde Kriterien, die erfüllt sein müssen, wenn ich das Stadion verlassen habe. Ein raffinierter Schachzug meiner Seele. Da ich die Horizonterweiterung mit meinem derzeitigen Bewusstsein nicht leisten kann, liefern mir die Kriterien eine Orientierung dafür, wann Bewusstseinserweiterung möglicherweise stattfindet.

Nach tagelangen Überlegungen komme ich auf etwas, das sich durch fünf Kriterien auszeichnet, die es in meinem Stadion zusammen nicht gibt. Sollten sie also irgendwo zusammen anzutreffen sein, könnte ich davon ausgehen, mich nicht mehr in diesem Stadion zu befinden. Das ist die Bedingung für die notwendige Bewusstseinserweiterung, die meine Seele fordert. Die Kriterien verlangen einen Ort

ohne Straße,

ohne Elektrizität,

ohne Tourismus,

ohne weißes Mehl,

ohne Zucker.

Gibt es eine solche Gegend überhaupt? Wenn ja, welches andere Bewusstsein herrscht dort? Ich kann es mir nicht vorstellen. Immer wieder gehe ich diese fünf Punkte durch, warum ausgerechnet diese? Sehr zivilisiert kann es dort, wo sie erfüllt sind, nicht zugehen. Missionare, Händler und andere Vertreter des Abendlandes können dort nicht heimisch sein. Gibt es einen solchen Ort überhaupt noch auf unserem Planeten? Die Idee ist absurd, aber sie gefällt mir. Sie reizt mich, an sie zu glauben. Meinem Ego brauche ich davon gar nicht erst zu erzählen, es schüttelt darüber nur den Kopf und weiß ohnehin, dass es für einen Querschnittsgelähmten vollkommener Quatsch ist, sich mit solchen Ideen zu befassen.

Es dauert nicht lange, da kommt mich eines Tages doch jemand besuchen, mein alter Freund Fritz. Dem muss ich meine neueste Idee natürlich sofort erzählen. Er schaut mich daraufhin nicht etwa mitleidig lächelnd an, nein, er stimmt begeistert zu und trumpft damit auf, ein solches Land zu kennen.

Ich bin platt. Denn ganz bestimmt habe ich nicht damit gerechnet, dass so prompt jemand zu mir nach Heidelberg in die Klinik kommt und weiß, wo genau diese fünf Kriterien erfüllt sind, die ich mir auf meinem Streyker mühevoll zurechtgedacht habe. Ich glaube, Fritz macht einen Witz. Aber nein, auf meine Frage »Wie heißt das Land?« hat er tatsächlich eine Antwort: »Ladakh.« Das sagt mir zwar nichts, aber er kann es mir erklären. »Ganz oben im Westhimalaja, in der Ecke zwischen China, Afghanistan, Pakistan und Indien.« »Ah ... so ... alles klar.« Ich denke, Menschen, die so unzivilisiert sind, dass sie diese fünf Kriterien erfüllen können, gäbe es, wenn überhaupt, dann vielleicht nur noch ganz hinten links im Amazonas, wo kein Mensch wie ich hinkommt.

Fritz erzählt, dass er schon mal dort war.

»Au!!«, das tut weh, verdammt weh. Fritz versteht nicht, was mit mir plötzlich los ist, weshalb ich weiß im Gesicht werde und die Augen verdrehe. »Es war nur wieder einer von diesen heftigen Nervenschocks, die durch meinen Körper schlagen. Deine Antwort hat mich so gerissen, dass ich unkontrolliert zusammenzuckte.«

»Warum?«, fragt er.

»Na, weil du da schon warst!«

»Dreimal sogar.«

Vorsicht, jetzt darf mich nichts erschüttern, weder Freude noch Verwunderung. Ich könnte aus der Haut fahren über so viel himmlische Zuneigung! Das ist die Heilung, jubelt meine Seele heimlich, ohne mir diesen kausalen Zusammenhang ins Bewusstsein zu bringen.

Ich kann Fritz nicht erklären, welche überwältigende Zuversicht sein lapidarer Satz, er sei schon da gewesen, bei mir auslöst. Die Seele grinst fühlbar zufrieden tief in mir. Dann muss Fritz wieder gehen. Mein Nervenkostüm hält mehr nicht aus. Als er aus dem Zimmer ist, falle ich in tiefe Meditation. Konzentriere mich ausschließlich auf meinen flachen, gleichmäßigen, schmerzlosen Atem und sonst nichts. Mir ist nicht bewusst, dass dies der erste große Moment meiner Heilung ist. Meine Seele steht mitten im Herzen, sie erfüllt alles. Ich spüre, ganz viel kommt (wieder) in Fluss. Bin unendlich dankbar und glücklich über so viel Liebe.

Kaum habe ich mich erholt, geht die Seelenarbeit weiter. Sie verlangt praktische Schritte. Dazu gehört eine Perspektive, ein Vorhaben, ein echtes Ziel, auf das ich zugehe.

Wenn mein Ego schon wieder etwas zu sagen hätte, würde es mich wegen solcher Fantastereien verhöhnen. Es würde immer wieder die Röntgenbilder anschauen und das Gespräch mit den Ärzten suchen, die auf vollkommen vernünftige Weise klar machen, welches Ausmaß und welche Konsequenzen meine L2-Fraktur hat.

Tatsächlich lässt es sich nicht vermeiden, dass bei Visiten die Ärzte über mich urteilen, aber ich stelle mich vollkommen uninteressiert, sodass sie im Wesentlichen nur bei der Pflege die Parameter meiner Entwicklung abfragen und die scheinen normal, weshalb weitere Gespräche nicht nötig sind. Der Rollstuhl ist in Auftrag gegeben, bald kann mit der Aufrichtphase im Hubbett mit mir begonnen werden.

»Oh, oh Clemens ... keine Panik! Ganz ruhig bleiben«, sagt meine Seele. Bis zur Stabilisierungsphase dauert es noch.

Heute, über 20 Jahre später, wäre ich mit einer solchen Fraktur schon operiert. Der L2 wäre mit Metall von L1 auf L3 überbrückt worden. Ich säße schon ab der 2. Woche im Rollstuhl. So hätte man die Kreislaufprobleme vermieden und meine Aufenthaltsdauer in der Klinik wäre wesentlich verkürzt worden. 1981 war die OP-Technik aber noch nicht so weit und die Wirbel um den Bruch mussten sich selbst stabilisieren. Das war genau die Zeit, die mir noch blieb, um meine Selbstheilungskräfte zu mobilisieren.

»Ladakh«? Dazu fällt mir nichts ein. Was und wie denken die Menschen dort? Auch dazu kann ich mir nichts vorstellen. Das beunruhigt mich. Die Seele schaut skeptisch, als wolle sie mich fragen: Wozu willst du das wissen? Fast hätte ich mich über diese Skepsis entrüstet, denn schließlich will sie mich doch dorthin haben. Ihre Gutherzigkeit jedoch lässt mich erkennen, dass dieses Bedürfnis, wissen zu wollen, was kommt, ein Ego-Bedürfnis ist. Dahinter steht nichts anderes als das übliche Verlangen nach Sicherheit. Mit diesem Sicherheitsbedürfnis gewinnt man aber kein Neuland. »Es geht hier um Sein oder Nichtsein, mein lieber Clemens, oder hast du dich mit dem Rollstuhl schon abgefunden?«

»Nein.«

»Also, was ist dann der nächste Schritt?«

»Aufbruch.«

»Genau!«, antwortet die Seele und fügt hinzu: »Wenn du wieder laufen können möchtest, brauchst du einen guten Grund dafür.«

Mein Ego würde, sofern es sich nicht verkrochen hätte, antworten: »Aber ich kann doch nicht mehr laufen, das steht doch nun mal fest.« Und es hätte einen Kompromiss angeboten, würde beispielsweise neue Bewusstseinsfelder finden, die auch im Rollstuhl zu erreichen sind. Das Ego versteht nicht, dass die neuen Bewusstseinsfelder, die die Seele für mich braucht, kein Selbstzweck sind, sondern Voraussetzung für das Über-Leben.

Man braucht einen guten Grund, um wieder gesund zu werden.

Zum Glück muss ich mich mit meinem Ego nicht herumschlagen und bekomme von niemandem Besuch, der seine vernünftigen Einwände vertritt. Insofern ist es ein Geschenk, dass mich auch meine Familie nicht besucht, obwohl ich vier Geschwister habe. Alle würden sich Sorgen machen, welche Illusionen ich hege, auch meine Frau, wenn ich mich nicht am ersten Tag nach dem Sturz von ihr getrennt und sie gebeten hätte, mich nicht zu besuchen.

Meine Seele ist derzeit mein einziger persönlicher Ansprechpartner. Ich empfinde diese Auszeit als das Geschenk meines Lebens. Mein Ego hat Pause, welch eine Erholung! Der Preis dafür ist allerdings sehr schmerzhaft und vielleicht nicht wieder gutzumachen. Ich muss alles dafür tun, was einem Wunder gleichkommt, sonst ist mein Schicksal besiegelt.

Der erste Schritt ist getan.2 Das Ziel ist klar, wenn auch nicht sichtbar. Das Sicherheitsargument, man müsse vorher sehen, wohin es geht, zählt nicht. Mein Kompass sind die fünf Kriterien. Außerdem will ich Fritz fragen, ob er nicht mein Guide sein möchte. Der Aufbruch zu neuen Bewusstseinshorizonten erscheint machbar, jetzt brauche ich nur noch meine Beine.

Bisher habe ich mein Geld als Filmemacher verdient. Warum nicht weiterhin? Wenn man seine Krankheit überwinden möchte, darf man sich von ihr nicht dominieren lassen, gibt mir meine Seele zu verstehen. Ich bitte Fritz, mich noch mal zu besuchen. Ich frage ihn, ob er die Produktionsleitung übernehmen würde, wenn ich in Ladakh einen Film drehe? »Warum nicht?«, meint er.

Großartig, damit ist meine Motivation, wieder laufen zu wollen, manifestiert. Ich beschließe, einen Film über unzivilisierte Menschen in Ladakh zu drehen, deren Bewusstsein ein anderes sein muss als das meine.

Selbstheilung

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück, das ich flach auf dem Rücken liegend, geschickt mit einem Strohhalm und etwas Hilfe einer Schwester verzehre, liege ich wieder ganz ruhig auf meinem Streyker und verfalle in meine fast schon gewohnte tiefe Meditation ohne jede Ablenkung, nur den flachen Atem kontrollierend. Meine Aufmerksamkeit wandert zu meinem großen Zeh am gelähmten rechten Bein hinunter. Ich bin fest konzentriert: »Da ist doch was? Huscht da nicht der Schatten eines Gefühls vorbei? Vorbei ...« Ich bleibe konzentriert und warte ab ohne Erwartung. Es tut sich nichts weiter. »Nimm’s nicht so wichtig«, denke ich mir. »Neugierde stört nur, falls da im Zeh wirklich Leben war.« Ich gehe mit meinem Bewusstsein zurück in die meditative Leerheit.

Nach ein paar Stunden kann ich es mir nicht verkneifen, meine Aufmerksamkeit erneut zum Zeh hinuntergehen zu lassen, denn diesen kurzen Schatten eines Gefühls – den kann ich mir doch nicht eingebildet haben? Es ist deprimierend, wenn trotz aller aufgewendeten Kraft, um irgendeine Verbindung zu den gelähmten Körperpartien herzustellen, kein Durchkommen ist – tot, kein Funke von Reaktion. Mein Bewusstsein kann den gewünschten Körperteil nicht einmal orten, er könnte genauso gut amputiert sein. Diese Frustration schlägt um in Resignation und lähmt den Wunsch, immer wieder innerlich zu testen. Die Ärzte sagen ohnehin, dass es absolut zwecklos ist.

Am Morgen danach, fast zur selben Zeit nach dem Frühstück, passiert es aber noch einmal. Diesmal weiß ich hundertprozentig, dass dort unten in meinem großen Zeh ein Gefühl war, wenn nicht sogar eine Bewegung. Ich könnte ..., aber ich darf mich ja nicht aufregen. Schon ein Zucken genügt und ein heftiger Schmerzschlag würde meine Konzentration zerstören. Ganz ruhig bitte ich die Pfleger und Schwestern unseres Zimmers zu mir ans Bett. »Nehmt mir bitte die Bettdecke vom Fuß und dann schaut zusammen auf meinen großen Zeh, ob sich da irgendetwas rührt?«

»Ach Clemens ...«

»Bitte tut mir den Gefallen ... eins – zwei – drei ... Habt ihr’s gesehen? Mein Zeh hat sich bewegt.«

Eine der Pflegerinnen sagt: »Tut mir Leid, ich muss meine Arbeit weitermachen.«

Der Nächste: »Clemens, sei mir bitte nicht böse, ich hab zu tun.«

Noch einer: »Ich auch.«

Nur Peter und Nora stehen noch bei mir.

»Bitte bleibt da, ich mache es noch einmal. Schaut bitte ganz genau hin. Eins – zwei – drei ... jetzt habt ihr es aber gesehen?«

Sie schauen mich liebevoll, aber ziemlich mitleidig an.

»Ich spinn doch nicht.«

Peter fängt an, mir zu erklären, warum ich nicht spinne. »Diese Gefühle gibt es immer wieder, stimmt’s, Manfred?«

Manfred am Fenster, der sich seit einer Stunde schweißtreibend alleine in seinen Rollstuhl arbeitet und es noch immer nicht schafft: »Ach Clemens, quäl dich nicht, ich hab das so oft, ich denke sogar, mein Schwanz steigt wieder, aber das ist alles Einbildung.«

»Entweder sind die Nerven im Rückenmark durch oder sie sind nicht durch. Ein bisschen durch gibt es bei Nerven nicht«, erklärte Peter weiter, ohne Manfreds Beispiel aufzugreifen, das mich auch mal interessieren würde, denn da ist bei mir ja auch alles tot.

Ich bitte Schwester Nora: »Tu mir einen Gefallen, leg deine Handinnenfläche ganz gespannt und hauchzart auf die Spitze meines großen Zehs und sag, ob du was spürst.« Sie tut mir den Gefallen und ich zähle noch mal: »Eins – zwei – drei ... ?? ??«

Nora ist etwas verwirrt. »Kannst du es noch mal machen?«

»Ich kann nicht mehr.« Es ist wahnsinnig anstrengend. Wegen der unterdrückten Aufregung oder weil ich an mir selbst zweifeln soll – ich weiß es nicht.

Nora motiviert mich: »Clemens, komm, zeig’s mir.«

»Eins – zwei – drei.«

Sie schaut den Peter plötzlich so bedeutungsvoll an. »Komm du mal. Probier selbst, ich glaube ...«

Peter legt seine Hand auf meinen großen Zeh, aber da tut sich nichts (mehr?). »Ist gut, Clemens. Du kannst klingeln, wenn noch was ist.«

Nora im Weggehen zu Peter: »Ich glaub, ich hab was gespürt, meinst du, dass das möglich ist?«

»Ausgeschlossen ...«

Nora dreht sich an der Tür noch einmal kurz zu mir um. Durch meine flache Lage sehe ich sie kaum, aber glaube, sie hat mir zugelächelt.

Ich weiß, dass ich nicht spinne, und Nora hat etwas gespürt. Auch wenn alle dagegenreden – da ist etwas. Ich hoffe nur, es bleibt nicht dabei, sondern entwickelt sich. Seele, wo bist du?

Die Innenansicht eines Wunders.

Am Nachmittag, als die neue Schicht ihren Dienst aufnimmt und unser Zimmer gerade so herrlich sonnendurchflutet leuchtet, bitte ich um einen neuen Test. Ich erzähle den Pflegern und Schwestern aber nichts vom Vormittag, nur Manfred tönt gleich herum. Allerdings war ich bei Schichtwechsel auch schon Gespräch gewesen, wie man mir später gesagt hat. Egal, die Pfleger und Schwestern sind alle sehr nett. Diesmal legt Dorothea ihre Handfläche auf meinen großen Zeh, denn mit nur hinschauen gebe ich mich nicht mehr ab. »Eins – zwei – drei !«

»Ja«, sagt sie.

Sie sagt ja?

»›Ja‹, sagst du?«

»Ich glaube schon«, meint sie.

Ich presse die Tränen zurück.

»Bernd, teste mal«, sagt Dorothea zu ihrem Kollegen.

Bernd spürt ebenfalls eine hauchzarte Bewegung im vordersten Glied meines großen Zehs.

»Ist das nicht toll?!« »Ist das nicht toll?«, frage ich. Bernd: »Wir müssen das jetzt weiter beobachten, ob es mehr wird oder ob es wieder weggeht.«

»Das geht nicht mehr weg«, sage ich, »im Gegenteil, wartet mal ab.«