Until Us: Rose - May Gordon - E-Book

Until Us: Rose E-Book

May Gordon

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Beschreibung

Ein gebrochener Ex-Militär. Eine freiheitssuchende Mom. Zwei Welten, die mit einem Boom kollidieren. Die Kindheit von Robert, alias J, war ein Desaster, bis er dank Nico und Kenton Mayson in die Obhut einer wunderbaren Frau namens Molly kam. Ihre Fürsorge und die Freundschaft zu den Maysons gaben seinem Leben Halt; die nächste Tragödie ließ jedoch nicht lange auf sich warten, und Robert ging zum Militär. Nach seinem Abdienen hatte er seinen persönlichen Tiefpunkt erreicht. Er dachte, dass nichts ihn jemals retten konnte. Doch die Liebe hatte andere Pläne. Mit einem kleinen Kind auf der Flucht zu sein, kostet Rose eine Menge. In Murfreesboro, Tennessee, angekommen, hofft sie, einen sicheren Hafen gefunden zu haben. Dass sie diesen in Form eines Mannes findet, ist das Letzte, was sie im Sinn hatte. Robert ist ein Held; seine Wunden reichen tiefer, als das Auge sieht. Rose versucht, ihm zu widerstehen, doch die Macht, die versucht, sie zusammenzubringen, ist größer. Until Us: Rose ist Teil der Until-Welt von Aurora Rose Reynolds. Wer Sehnsucht nach den Maysons hat, für den ist Until Us: Rose ein Must-Read.

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Seitenzahl: 217

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UNTIL US:ROSE

MAY GORDON

© Die Originalausgabe wurde 2021 unter dem

Titel UNTIL LOVE von May Gordon in Kooperation mit Boom Factory Publishing LLC veröffentlicht.

© 2023 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH

8700 Leoben, Austria

Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager und Corinna Lerchbacher

Covergestaltung: © Sturmmöwen

Titelabbildung: © VitalikRadko (depositphotos)

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-71-9

ISBN-EPUB:978-3-903413-72-6

www.romance-edition.com

Triggerwarnung:

Liebe Leser*innen,

vorsorglich wollen wir euch eine Triggerwarnung mitgeben. Folgende Themen könnten euch triggern: Tod, Drogensucht, Vernachlässigung, PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung).

Prolog

Robert, acht Jahre alt ...

Zitternd sitze ich in der Ecke der Wohnung, presse mir die Hände auf die Ohren und versuche, die schrecklichen Geräusche in unserem Gebäude auszublenden. Mein Magen grummelt laut und erinnert mich daran, dass ich schon ewig nichts mehr gegessen habe. Ich wünschte, ich könnte den Hunger ausblenden. Eigentlich sollte ich schon daran gewöhnt sein, denn ich habe nicht oft etwas zu essen, aber das bin ich nicht. Vielmehr habe ich vergessen, wie es sich anfühlt, satt zu sein. Manchmal werde ich nur durch die Kälte im Raum abgelenkt und denke dann nicht nach, wie hungrig ich bin. Damit ich nicht fröstle, versuche ich, eine stinkende Decke um mich zu wickeln. Immer wieder frage ich mich, warum das alles so ist. Ich bin mir sicher, dass es Kinder gibt, die ihr Leben genießen. Ich tue es nicht.

Meine Mom schläft in ihrem Bett. Das tut sie jetzt schon seit Tagen. Als ich ihr Gesicht angegriffen habe, war sie kalt. Daher habe ich Decken auf sie gelegt. Bis jetzt ist sie noch nicht aufgewacht und fühlt sich auch nicht wärmer an. Ich frage mich, ob sie jemals wieder aufwachen wird. Dieser Gedanke sollte mich eigentlich traurig machen, tut er aber nicht. Mom war nie nett zu mir, und ich träume schon lange davon, hier weggebracht zu werden. Zum Weglaufen war ich zu feige, also bin ich geblieben. Ob jetzt die Zeit gekommen ist, mutig zu sein? Einfach aufstehen und gehen. Irgendetwas muss ich schließlich tun. Ewig kann ich nicht hierbleiben.

Plötzlich ist im Haus ungewohnter Lärm zu hören. Es ist laut und erinnert mich an die paar Male, als in der Vergangenheit die Polizei gekommen ist. Ich verlasse meinen Platz in der Ecke und verkrieche mich unter dem Tisch, auch wenn das bei einer Schießerei nicht viel Schutz bietet. Die zerfledderte alte Decke nehme ich mit und ziehe sie mir über den Kopf. Keine Ahnung, vor wem ich mich verstecke. Wahrscheinlich ist es wieder irgendein Mann, der Mom besuchen und bei ihr übernachten will. Der letzte hat mich mit Zigaretten verbrannt. Vielleicht hat dieser etwas zu essen dabei oder gibt mir etwas zur Ablenkung.

Die Tür wird mit Gewalt geöffnet. Ich unterdrücke einen Schrei, schließe die Augen und hoffe, dass Moms Besucher schnell wieder verschwindet. Da höre ich Schritte in dem Zimmer, in dem ich mich versteckt habe.

»Die Frau?«, fragt ein Mann.

»Schon mindestens ein paar Tage tot«, antwortet ein anderer.

»Sieht nach einer Überdosis aus.«

»Denkst du dasselbe, was ich denke?«

»Scheint mir auch so.«

Durch ein Loch in meiner Decke kann ich schwere Stiefel auf mich zukommen sehen.

»Hey Kleiner.« Die Stimme ist tief und doch ruhig, aber ich traue mich nicht, aus meinem Versteck herauszukommen.

»Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich will dir helfen.« Obwohl ich mich nicht bewege, wartet er ab. Langsam werde ich neugierig und spähe vorsichtig an dem Stoff vorbei, ehe ich die Decke ganz zurückziehe. Vor mir steht ein riesiger Mann in einer schwarzen Lederjacke mit Tattoos an den Händen. Er sieht aus wie einer der Biker, die Mom immer besuchen, doch sein Lächeln wirkt weder fies noch unheimlich.

»Hallo«, flüstere ich.

»Wie ist dein Name?«

»Meine Mom nennt mich J.«

Er nickt.

»Ist das eine Abkürzung für etwas?«, fragt er weiter.

Ich zucke mit den Schultern. »Mom nennt mich einfach J«, antworte ich leise.

»Ich bin Nico Mayson. Du brauchst keine Angst zu haben, Kleiner.« Ich glaube ihm sofort, denn ich fühle mich in seiner Nähe nicht so bedroht wie bei den anderen Männern, die hier waren. Obwohl er viel größer ist als die anderen Kerle. Dennoch fühle ich mich sicher genug, um mit ihm zu reden.

»Ich habe Hunger«, gestehe ich, und wie auf Kommando knurrt mein Magen laut.

»Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«

Ich zucke wieder mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

»Komm raus zu uns, Kleiner. Dann besorgen wir dir etwas zu essen.« Das klingt so verlockend, dass ich tatsächlich herauskrabble und aufstehe. Dabei fällt mir die Decke von den Schultern. Der Mann hinter Nico beginnt zu fluchen und sein Blick ist auf die blauen Flecken und Brandblasen an meinen Armen gerichtet.

»Wir sollten das Jugendamt verständigen. Der Junge besteht nur noch aus Haut und Knochen«, sagt er und starrt mich an.

»Nein«, widerspricht Nico mit strenger Stimme. »Große Städte wie diese sind überbevölkert und unterfinanziert. Du hast doch gute Beziehungen zu den Behörden hier, Kenton?« Der andere Mann nickt. »Vorerst werde ich ihn mitnehmen. Ansonsten würde er sofort in ein Heim gesteckt werden.«

»Was ist mit seinem Vater oder anderen Familienmitgliedern?«, fragt der Mann, den Nico Kenton genannt hat.

»Kleiner, hast du einen Vater? Oder eine Familie?« Ich schüttle den Kopf. »Siehst du?«, fragt er mit einem Blick auf seinen Kollegen. »Der Junge ist durch die Hölle gegangen.«

»Alles klar, Mann. Ich werde das schon regeln«, versichert er Nico. »Unglaublich, da bittet man dich einmal um Hilfe und schon findest du einen Streuner«, scherzt Kenton, während er sein Handy zückt und den Raum verlässt.

Ein Streuner? So wie ein Hund? Aber auch Streuner finden manchmal ein Zuhause, oder? Hoffentlich finde ich eines, denn das Letzte, was ich will, ist im Zwinger zu landen. Jedenfalls klingt alles besser als mein bisheriges Leben.

Nico richtet sich auf, zieht seine Lederjacke aus und legt sie mir auf die Schultern. An mir wirkt sie riesig, und er lacht mich an. »Kopf hoch, Kleiner. Egal wie beschissen dein Leben bisher war, ab jetzt wird es besser.«

Ich bin erleichtert, diese Worte zu hören. Für mich ist er ein Held, wie Batman oder Wolverine. Vor lauter Dankbarkeit kullern mir die Tränen über die Wangen. Er schlingt seine Arme um mich und hält mich einfach fest. Ich hatte erwartet, dass er mit mir schimpft, nicht, dass er mich tröstet. Doch statt verärgert zu sein, schenkt er mir meine erste richtige Umarmung. Fühlt sich so Liebe an? Was dieses Gefühl auch ist, es ist überwältigend.

Von diesem Moment an nehme ich alles verschwommen wahr. Zunächst werde ich im Krankenhaus untersucht, gewaschen und mit frischer Kleidung und Essen versorgt. Dann fahren wir zu Nico nach Hause, wo ich vorübergehend bleibe, bis alles geregelt ist. Er und seine Frau Sophie haben selbst Kinder: Harmony, Willow, Talon, Sage, Nalia und Bax. Ein paar Tage später komme ich dann zu Molly Kent. Sie ist genau so, wie eine Mom sein sollte, und noch viel mehr. Ich habe mich schon bei der ersten Umarmung in sie verliebt. Sie nennt mich Robert, nach ihrem Dad, einem Mann, den sie liebte, verehrte und bewunderte. Einen Namen zu haben, auf den man stolz sein kann, fühlt sich gut an. Genauso gut wie von einer Familie und Freunden umgeben zu sein, nachdem man so lange Zeit nichts hatte. Dinge, die für mich früher unvorstellbar waren, werden alltäglich. Ich gehe zur Schule, esse Pfannkuchen zum Frühstück und mache Campingausflüge mit der Familie.

Nico hatte recht: Es wurde besser, auch wenn es Herausforderungen und Anpassungen gab, an die ich mich erst gewöhnen musste. Für mich war der Tag, an dem er mich gefunden hat, der erste Tag meines neuen Lebens. Daher werde ich auch nie vergessen, was er für mich getan hat. Dieser Ort ist zu meinem neuen Zuhause geworden, und ich habe vor, das Beste aus meinem Leben zu machen.

Robert, zweiunddreißig Jahre alt ...

Kaum mache ich den ersten Schritt aus dem Flughafengebäude von Nashville, trifft mich ein Windstoß, der mich beinahe mit sich reißt. Ich wünschte, er könnte auch meine inneren Dämonen einfach wegfegen. Das letzte Mal war ich vor vierzehn Jahre in Tennessee. Es gab mehrere Gründe, die mich von einer Heimkehr abgehalten haben, doch nun wurde ich aus dem Militärdienst entlassen und konnte nirgendwo anders hin. Wobei das nicht ganz stimmt. Ich hätte überall hingehen können. Doch tief in meinem Inneren spüre ich eine Angst, die mich nach Hause führt. In die Stadt, in der mein Leben schon einmal neu begonnen hat, und genau darauf hoffe ich auch jetzt.

Ich sehe mich um und entdecke auf der Abholspur einen Truck, an den sich Sage lehnt. Ganz automatisch schleicht sich ein seltenes Lächeln auf mein Gesicht. Obwohl wir über die Jahre immer wieder telefoniert und Briefe geschrieben haben, ist es das erste Mal, seit ich zur Grundausbildung aufgebrochen bin, dass ich ihm wieder persönlich gegenübertrete. Es tut gut, ihn endlich wieder zu Gesicht zu bekommen. Wird er oder einer der anderen überhaupt noch Teile der Person erkennen können, die ich einmal war? Ich kann es jedenfalls nicht.

»Sieh mal einer an, der kleine Robbie Kent«, begrüßt er mich grinsend und kommt auf mich zu. Sein Spitzname für mich bringt mich zum Grinsen. Zuletzt hat mich seine Mom so genannt, als sie mich hier am Flughafen verabschiedet hat. Von da an hieß ich nur noch Robert oder Kent.

Als Sage mich erreicht, lasse ich meinen großen Seesack sinken und falle in seine Arme. Es kostet mich meine ganze Überwindung, um bei diesem Körperkontakt nicht zusammenzuzucken.

»Verdammt, bist du groß geworden«, murmelt Sage, nachdem er mich losgelassen hat. Ich atme tief durch, um mich von dem zu erholen, was sich wie ein Anschlag auf meinen Körper anfühlt. Es ist schwer, aber ich schaffe es, mich wie ein normaler Mensch zu benehmen.

Ich schaue ihn an und bemerke, wie sehr er sich verändert hat, das Gleiche gilt bestimmt auch für Talon, Bax und die anderen von Nicos Kindern. »Danke für die Mitfahrgelegenheit«, sage ich ihm, während ich meinen Seesack schultere. Ich bugsiere ihn auf den Rücksitz und steige dann auf der Beifahrerseite ein.

»Machst du Witze? Wir freuen uns alle sehr, dass du zu Hause bist.« Sage startet den Motor und fährt los. Seine Worte können nur eines bedeuten.

»Bitte sag mir, dass es keine Überraschungsparty gibt«, dränge ich ihn. Allein der Gedanke, mich mit so vielen Menschen in einem Raum zu befinden, klingt für mich furchterregender, als durch ein Minenfeld zu rennen.

»Hast du die Familie Mayson schon mal nicht feiern sehen?«, erinnert er mich.

Stöhnend nehme ich meine Sonnenbrille ab und reibe über mein Gesicht. Nach einer Anreise, die mehrere Tage gedauert hat, bin ich zu erschöpft für Gesellschaft. Abgesehen davon brauche ich dringend eine Rasur und einen Haarschnitt.

Sage entgeht mein fehlender Enthusiasmus nicht. »Ruh dich aus, Mann. Du siehst beschissen aus.« Ein wahres Wort.

Ich schließe meine Augen, um genau das zu tun, aber wie immer holen mich meine Erinnerungen ein, sobald ich einschlafe.

Mein Leben besteht zurzeit aus schwarzem Kaffee, der mich bei Sinnen hält, weil mich im Schlaf die Angst quält. Bevor ich meinen Dienst beendet habe, sprachen meine Kameraden davon, nach Hause zu fahren, um ihre Mütter, Frauen und Freundinnen zu besuchen. Ich aber habe niemanden, den ich besuchen könnte. Ohne meine Mom in Tennessee zu sein, fühlt sich nicht richtig an. Viele sagen, ihr Herz schlägt für die Heimat, und wenn es so ist, dann wurde mir meines herausgerissen, als meine Mutter diesen Ort und diese Welt verließ. Ohne sie habe ich keine Heimat mehr.

Nachdem Nico mich gerettet hatte, wuchs ich zusammen mit seinem Sohn Sage, dessen Geschwister und dem Rest der Mayson-Familie auf, deren Mitglieder bestimmt schon die Hälfte der Einwohner von Murfreesboro ausmachen. Doch ich bin keiner von ihnen. Ich bin nur ein misshandelter und verlassener Junge, der in ihrer Nähe aufgewachsen ist, nachdem seine cracksüchtige Mutter, die jede freie Minute damit verbracht hat, krumme Dinger zu drehen, das Zeitliche gesegnet hat. Wenn sich Nico nicht für mich eingesetzt hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich in irgendein Heim und dann selbst auf die schiefe Bahn geraten.

Neben Nico war Molly Kent meine zweite Heldin im Leben. Sie war Kunstlehrerin an der örtlichen Schule und eine enge Freundin von Sophie, Nicos Frau. Molly nahm mich wie ihr eigenes Kind auf. Natürlich sehnte ich mich auch nach positiver männlicher Aufmerksamkeit. So wurden Nico und seine Brüder zu meinen Vorbildern. Da Sage, genauso wie ich, adoptiert wurde, fühlte ich mich mit ihm verbunden. Eine Verbundenheit, die Zeit und Entfernung überdauert hat.

In meinem letzten Jahr an der Highschool starb meine Mom ganz unerwartet an einem Aneurysma. Wir waren zusammen im Garten, wo wir oft stundenlang ihre wunderschönen roten Rosen pflegten. In der einen Minute scherzten wir noch über Dünger, in der nächsten lag sie leblos auf dem Boden. Mein einziger Trost ist, dass es schnell ging und sie nicht leiden musste. Aber ihr Tod hatte mich gebrochen und in den verängstigten Achtjährigen zurückverwandelt, der ich einmal war. Eigentlich war es sogar schlimmer als damals, denn im Gegensatz zu der Frau, die mich geboren hatte, war mir Molly wirklich eine Mutter gewesen.

Die Liebe und Fürsorge der Familie Mayson waren das Einzige, was mich über ihren Verlust hinwegtröstete. Wenn ich mich entschieden hätte zu bleiben, hätten sie mich ohne Zweifel bei sich aufgenommen und mir geholfen. Doch damals konnte ich allein den Gedanken, hier zu sein, nicht verkraften. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass ich immer eifersüchtig auf Sage und seine Geschwister war. Meine Mom war großartig, und ich habe sie sehr geliebt, aber insgeheim träumte ich davon, Teil einer großen Familie zu sein. Die Maysons gaben mir nie das Gefühl, nicht dazuzugehören, trotzdem wusste ich immer, dass ich keiner von ihnen bin. Ich bin ein Freund, kein Familienmitglied. Zugegeben, ein kleiner Teil von mir fragt sich, ob ich mir diesen Komplex vielleicht nur selbst eingeredet habe.

Am Tag meiner Abreise brachten mich Sage und seine Mom zum Flughafen. Sophie wartete geduldig, während ihr Sohn und ich, sein bester Freund, uns verabschiedeten, ehe sie mich selbst mütterlich umarmte.

Hier sind wir nun, vierzehn Jahre später. Sage fährt mich nach Hause. Nach Hause? Gibt es so etwas wie ein Zuhause für mich überhaupt? Keine Ahnung, ob dieser Ort noch so ist wie damals, ich bin jedenfalls genauso kaputt wie an meinem letzten Tag hier. Oder nein, um ehrlich zu sein, hat mich meine Zeit beim Militär nur noch mehr zerstört. Das Gewicht meiner Erlebnisse lastet so schwer auf mir, dass ich mich kaum aufrecht halten kann. Jeden Tag, jede verdammte Minute, denke ich an all das, was ich verloren habe. Nicht nur meine Mom, sondern auch meine Kameraden. Ständig beschäftigt mich die Frage, warum ich überlebt habe, obwohl ich nichts mehr habe, wofür es sich zu leben lohnt, während meine Kameraden alles hatten. Es muss einen Grund geben, warum ich verschont blieb, warum ich immer wieder überlebe. Ich habe diesen Grund nur noch nicht gefunden.

Da ich nicht will, dass jemand meine dunklen Gedanken kennt, verdränge ich sie so gut es geht. Erst dann öffne ich meine Augen und sehe, dass wir gerade in die Stadt kommen. In meiner Jugend gab es hier viele freie Flächen, die mittlerweile bebaut sind, wie kleine Vororte, und es gibt sogar ein Einkaufszentrum. Alles ist so anders als in Übersee und als die Wüsten, in denen ich meine letzten Jahre verbracht habe.

Sobald wir bei Winston’s Bar & Grill ankommen, wird mir ganz mulmig zumute, wenn ich daran denke, dass dort eine Gruppe von Leuten auf mich wartet. Sicherheitshalber rufe ich mir noch einmal in Erinnerung, mich ganz normal zu verhalten. Schließlich glauben alle, dass ich zurückkehre, weil ich den Dienst quittiert habe. Sie haben keine Ahnung, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes ausgedient habe, weil ich die medizinische Überprüfung nicht mehr bestehen konnte. Trotz mehrerer Anläufe bin ich bei den psychologischen Gutachten ein ums andere Mal durchgefallen, und so gerne das Militär mich als Soldaten behalten wollte, konnten das meine Vorgesetzten einfach nicht verantworten. Das hat mich nicht überrascht. Der Geist und der Körper können nur so viel ertragen, bis sie zusammenbrechen, und genau das ist bei mir geschehen.

Sage parkt den Lastwagen ein und erkundigt sich nebenbei, ob ich bereit bin, aber ich kann einen leichten Anflug von Sorge in seiner Stimme hören. »Meine Eltern können es kaum erwarten, dich zu sehen«, fügt er hinzu.

Eine Welle von Gefühlen überrollt mich. Diese Menschen waren Teil meines alten Lebens, bevor die Hölle des Krieges über mich hereingebrochen ist. Werden sie mich noch akzeptieren? Werden sie mich verstehen?

Ich atme tief durch, bevor ich ehrlich antworte. »Nein, aber ich werde mein Bestes geben.«

Sage mustert mich mit scharfem Blick, und ich bin mir sicher, ihm fällt auf, dass etwas nicht stimmt. Wahrscheinlich kann ich es nicht so gut verbergen, wie ich dachte. Zumindest nicht vor ihm. »Wenn du abhauen willst, halte ich dir den Rücken frei.«

Ich halte dir den Rücken frei. Wie oft habe ich das zu meinen Kameraden gesagt, nur um dann, wenn es wirklich darauf ankam, kläglich zu scheitern?

»Abgemacht«, stimme ich zu, denn das Letzte, was ich jetzt brauche, ist, stundenlang in einer großen Menschenmenge zu sein. Das Fliegen war schon schlimm genug für mich. Während ich aussteige, wappne ich mich für das, was auf mich zukommt. Durch mein Training schaffe ich es, nach außen hin ruhig zu wirken. Jedoch kann ich diese Fassade nur für eine begrenzte Zeit aufrechterhalten. Ich spüre schon, wie mir der Schweiß auf der Stirn steht, wie das Chaos die Herrschaft über meinen Verstand und meine Gefühle übernimmt, und wie mir schließlich die Galle in die Kehle steigt.

Wir betreten das Lokal gemeinsam und werden von einer jubelnden Menge begrüßt. Gut, dass ich mich schon darauf eingestellt habe, sonst hätte ich bestimmt peinlich reagiert. Die Anzahl der Menschen ist für mich überwältigend, und obwohl ich die meisten von ihnen erkenne, gibt es auch viele neue Gesichter unter ihnen. Ich bin mit der Familie Mayson groß geworden; jetzt haben viele Partner und eigene Kinder. Ich habe nichts.

Mein Blick bleibt an Nico hängen, und ich muss grinsen. Selbst in seinem Alter sieht er immer noch wie ein harter Kerl aus. Sage hat in einem seiner Briefe an mich erwähnt, dass sein Dad in einen Motorradunfall verwickelt war. Gott sei Dank zeigt er keine Anzeichen von bleibenden Schäden. Ich mache einen Schritt in seine Richtung, schaffe es aber nicht, zu ihm zu gelangen, da sich schmale Arme um mich legen. Die Berührung versetzt mich in Panik, und ich zwinge mich, die Person nicht wegzuschubsen. Als ich an mir hinunterschaue, sehe ich, dass es Sophie Mayson ist.

»Willkommen zu Hause, Robbie«, murmelt sie und drückt mich fest an sich, ehe sie mich freigibt. Sie wiederzusehen, tut mir im Herzen weh, da sie mich so sehr an meine Mom erinnert.

»Danke, Mrs Mayson.«

Sie rümpft die Nase, offensichtlich gefällt ihr diese Formalität nicht. »Um Himmels willen, ich habe dir Pflaster aufgeklebt, als du noch ein kleiner Stöpsel warst, also nenn mich gefälligst Sophie«, schimpft sie mit mir. Dann streckt sie ihre Hand nach meinem Gesicht aus. Instinktiv weiche ich zurück. Als wäre nichts passiert, lässt sie ihre Hand sinken und schenkt mir ein Lächeln. »Du bist noch hübscher geworden.«

»Hey Kleiner«, begrüßt mich Nico und lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich. »Du siehst toll aus.« Ich will ihm die Hand schütteln, stattdessen zieht er mich in eine Umarmung. Ich versuche mich weiterhin zusammenzureißen, denn seit ich hier angekommen bin, wurde ich öfters berührt, als in den letzten vierzehn Jahren zusammen.

Sage taucht neben mir auf und deutet mit seinem Kopf in Richtung der Bar. »Lass die alten Leute stehen und komm mit zu deinen Freunden.«

Nico versichert mir, dass wir uns später unterhalten werden, während ich mich von Sage zur Bar ziehen lasse. Abgesehen von ein paar wenigen, ist der gesamte Clan vertreten, einschließlich Talon, Bax, den Zwillingen und Cobi.

»Wollt ihr die Welt allein bevölkern oder was?«, scherze ich, nehme ein Glas Wasser entgegen und trinke einen Schluck. Es ist unglaublich, wie viele Kinder es in dieser Familie gibt. Dabei kann ich mich erinnern, dass die meisten von ihnen Draufgänger waren und keinerlei Interesse daran hatten, jemals sesshaft zu werden.

»Was zum Teufel ist passiert?«, frage ich, ohne eine Erklärung zu erwarten. Mir ist klar, dass sich Menschen ändern und dass das Leben weitergeht. Eine Familie gründen zu wollen, ist doch ganz normal, oder? Doch mein Gefühl sagt mir, dass sich meine Einstellung zu diesen Dingen nie ändern wird. Mir graut vor dem Gedanken, eine eigene Familie zu gründen. Es wäre nicht richtig, das Leben anderer mit meinen Dämonen zu zerstören. Besser, wenn sie nur mich quälen. Eine Familie kommt also nicht infrage. Trotzdem weiß ich tief in meinem Inneren, dass es genau das ist, wonach ich mich insgeheim sehne. Eine richtige Familie, die mich bedingungslos liebt und versteht. Doch wie groß sind die Chancen, dass ich das je bekommen werde?

»Erinnerst du dich an den Fluch, von dem unsere Eltern immer gesprochen haben?«, fragt Cobi. Tatsächlich weiß ich noch, wie wir alle darüber scherzten, welchen Unsinn die Erwachsenen verbreiten. Ich schnaube, was er anscheinend für ein Ja hält.

»Es gibt ihn tatsächlich«, beginnt Sage zu erzählen. Ich warte auf eine nähere Erklärung. »Wenn du die Frau triffst, die für dich bestimmt ist, macht es einfach Boom. Dann ist es um dich geschehen. Glücklich bis ans Lebensende, sage ich nur.«

Er lässt das so einfach erscheinen. Beim Militär gibt es viele, die an Liebe auf den ersten Blick und lebenslanges Glück glauben, aber ich nicht. Es ist absurd, anzunehmen, dass man seine Seelenverwandte einfach so findet. Gerade als ich ihnen das sagen möchte, schreckt mich das Knallen eines Sektkorkens auf. Den Bruchteil einer Sekunde später lasse ich mich auf den Boden fallen und bedecke meinen Kopf mit den Händen. Das Glas, das ich in der Hand hielt, zerspringt neben mir in tausend Stücke. Voller Panik schnappe ich nach Luft.

»Scheiße«, knurrt Cobi, während Sage und Talon mir aufhelfen. Obwohl sie nicht klein sind, haben sie wegen meiner Größe von von ein Meter neunzig und der dazugehörigen Masse einige Mühe, mich wieder auf die Füße zu stellen.

»Was zum Teufel ist passiert?«, ruft eine Stimme durch den Raum.

Peinlich berührt und bemüht, nicht zu hyperventilieren, befreie ich mich aus ihrem Griff und flüchte zur Tür.

»Robert!«, ruft mir Nico besorgt hinterher, aber ich ignoriere ihn.

Ohne ein Ziel vor Augen, laufe ich los und erkenne nur die Hälfte der Gebäude, an denen ich vorbeikomme. Das Ganze war ein Fehler. Ich bin zu kaputt. Keine Ahnung, warum ich dachte, dass ich hier noch einmal ein Zuhause finden könnte. Schließlich werde ich langsamer und bleibe stehen, um Luft zu holen. Dabei stütze ich mich mit den Händen auf meinen Knien ab. Kurz habe ich sogar das Gefühl, ich könnte ohnmächtig werden, als eine süße Mädchenstimme meine Aufmerksamkeit erregt.

»Geht es dir gut?« Ich schaue auf und sehe ein kleines Mädchen auf einer Bank vor einem Laden sitzen. Sie trägt ein weißes Baumwollkleid mit Rüschen an den Ärmeln, ihr lockiges blondes Haar ist mit einer rosa Spitzenschleife zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie sieht aus wie ein Engel. So perfekt und unschuldig, als wäre sie nicht von dieser Welt. Ihre Anwesenheit beruhigt mich augenblicklich.

»Hallo«, begrüße ich sie, richte mich auf und versuche, mich nicht unter ihrem neugierigen Blick zu winden.

»Bist du verloren gegangen?« Ist ihr klar, wie tiefgründig diese Frage ist?

Ich gehe auf sie zu und lasse mich neben ihr auf der Bank nieder, als wäre es eine Rettungsinsel, die mich vor dem Ertrinken bewahrt.

»Ja, das bin ich«, antworte ich ehrlich. »Schon seit einer ganzen Weile.«

»Jetzt nicht mehr«, sagt sie mit einem Lächeln. Ich kann nicht anders, als es zu erwidern. »Denn ich habe dich gefunden. Und was gefunden wurde, ist nicht mehr verloren.«

Ich spüre, wie mein totes Herz wieder zum Leben erwacht. Dieses kleine Mädchen bringt mich dazu, etwas anderes als Hass auf mich selbst zu empfinden. Wer zum Teufel ist sie eigentlich?

»Das hast du.« Die Tatsache, dass etwas so Süßes existiert und sogar mit mir spricht, hilft mir, meine Angst zu überwinden. Das hält mich aber nicht davon ab, mich umzusehen und nach einem Erwachsenen Ausschau zu halten, der zu ihr gehören könnte.

»Hast du dich auch verlaufen?«

Sie schüttelt den Kopf. »Ich bin genau da, wo ich sein muss.« Für ein Kind ist sie weiser, als ihr Alter vermuten lässt.

»Also gut«, sage ich seufzend und atme noch einmal tief durch. Dabei versuche ich, nicht an meine Heimkehr zu denken und daran, wie ich alles vermasselt habe. Wenn ich mir vorstelle, welche Meinung nun alle von mir haben müssen, erschaudere ich. Darüber will ich gar nicht nachdenken und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.

»Du hast Angst.« Sie nimmt wirklich kein Blatt vor den Mund.

»Ich habe Angst«, gestehe ich. Kann sie etwa sehen, dass ich zittere? Ich dachte, ich könnte es gut verstecken.

»Hier, nimm das.« Sie zieht ein Perlenarmband von ihrem Handgelenk, hebt eine meiner Hände und legt mir das Band um. Ihre Berührung ist so weich. Die Perlen sind rosa und weiß und in der Mitte baumelt ein Rosenanhänger. »Es hat geheime Kräfte«, verrät sie mir.

»Hat es das?« Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.

»Du wirst schon sehen.« Ihr Grinsen lässt mein Herz vor Glück schneller schlagen. »Wie ist dein Name?«

»Robert.«

»Ein Erwachsenenname«, entgegnet sie entrüstet und rümpft die Nase, als hätte sie gerade etwas Ekliges gerochen.

»Ich bin ja auch ein Erwachsener«, stelle ich amüsiert fest. »Als ich ein Kind war, nannten mich die Leute Robbie.«

Sie überlegt kurz und bestätigt dann meinen Verdacht, dass ihr Robbie viel besser gefällt. Ihre Zustimmung ist mir wichtig.

»Und wie heißt du?«

»Posie.«

»Das klingt seltsam.«

»Ich weiß, aber es ist mein Name und ich bin die einzige Person, die ihn mögen muss«, sagt sie, bevor sie mir die Zunge herausstreckt und mich damit herzhaft zum Lachen bringt. Dieses Geräusch aus meiner Kehle schockiert mich. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, seit ich zuletzt so gelacht habe.

»Ich denke, ich nenne dich einfach Kleine.«