Unzerbrechlich: Für jeden Atemzug - Silvia Maria de Jong - E-Book

Unzerbrechlich: Für jeden Atemzug E-Book

Silvia Maria de Jong

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Beschreibung

Am 13. November 2015 befindet sich die junge Ava mitten in den Terroranschlägen von Paris. Sie bangt um ihr Leben und das Einzige, was sie noch retten kann, ist, sich tot zu stellen. Doch dann ist da plötzlich neben ihr ein Fremder am Boden, der ihr nur mit einem Händedruck und geflüsterten Worten zu verstehen gibt, dass dies nicht das Ende ist. Dass sie gemeinsam mit ihm aus der lebensbedrohlichen Hölle herauskommen wird. Rémy und Ava, zwei Seelen, zwei Herzen, die sich einander in einer unvorstellbaren Situation begegnen. Die sich trotz aller Widrigkeiten aufeinander einlassen, in der Hoffnung auf Glück, Heilung und Liebe. Doch beide ahnen nicht, wie knapp bemessen ihr Anrecht darauf ist ...

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Ein Tag wie jeder andere, 21: 40 Uhr
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Nachwort
Danksagungen

Silvia Maria de Jong

 

Unzerbrechlich

Für jeden Atemzug

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Artikel ist auch als Taschenbuch und Hörbuch erschienen.

Unzerbrechlich: Für jeden Atemzug

 

 

Copyright

© 2024 VAJONA Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

[email protected]

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

 

Lektorat und Korrektorat: Madeleine Seifert

Umschlaggestaltung: Julia Gröchel,

unter Verwendung von Motiven von rawpixel

Satz: VAJONA Verlag, Oelsnitz,

 

 

 

VAJONA Verlag

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz

 

 

 

 

 

ISBN: 978-3-98718-109-2

VAJONA Verlag

Wenn die Dunkelheit herabfällt, bist du mein Licht.

Silvia Maria de Jong

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch widme ich all den Menschen,

die Opfer eines Attentates wurden.

Die ihr Leben, einen lieben Menschen

oder den Mut verloren haben,

dem Leben zu begegnen.

Wir werden nie mit dem Verstand erfassen können,

warum es diesen Terror,

der so viel Leid mit sich bringt,

gibt. Aber im Herzen wissen wir,

dass dieser wahllose und maßlose Hass

keine Lösung sein darf!

Ein Tag wie jeder andere, 21: 40 Uhr

Und am Ende habe ich gelernt, wie stark ich wirklich bin.

-Silvia Maria de Jong-

 

Das befremdliche Geräusch übertönt kaum die laute Musik und doch weckt es meine Aufmerksamkeit und zwingt mich dazu, mich umzudrehen. Drei südländisch aussehende Männer, die in der Menge, welche mich umwogt, fast nicht auszumachen sind, dringen beharrlich vor. Aus der Bar mitten hinein in das Herz des Konzertsaales: den Innenraum, das Parkett. Dort, wo sich die Menschen dicht gedrängt im Takt der hämmernden Bässe bewegen. Die Schüsse aus den Kalaschnikows begleiten wie unrhythmische Trommelschläge den aggressiven Gitarrensound zu Kiss the Devil. So, als hätten sie nur auf den richtigen Moment für ihren Auftritt gewartet, als bräuchten sie die Untermalung eben dieses Songs für ihre Darbietung.

Das ist ein Scherz, durchfährt es mich. Ein schlecht inszeniertes Schauspiel der Band, um der Meute noch mehr einzuheizen.

Vereinzelt richten nun auch andere Konzertbesucher ihre Aufmerksamkeit auf die Störenfriede. Manche fallen zu Boden, sacken einfach zusammen, so als wären sie tatsächlich von einer tödlichen Waffe getroffen. Im Hintergrund verstummt die Musik und verzweifelte Schreie erheben sich über die zwielichtige Dunkelheit des Raumes. Ich reiße den Kopf hoch. Ein Lichtkegel trifft einen der Angreifer und ich erhasche einen Blick in die nachtschwarzen Augen des Mannes, der in wenigen Metern Entfernung vor mir steht. Nicht maskiert, das Kinn von einem kurzen, gepflegten Bart bedeckt. Er befiehlt den Zuschauern, sich auf den Boden zu legen, während er in akzentfreiem Französisch erklärt:

»Ihr habt in Syrien unsere Brüder getötet, jetzt sind wir hier. Wenn ihr euch bewegt, töten wir euch.« Wahllos lässt er seine Feuerwaffe über die Menge schweifen. Als er ununterbrochen Schüsse abgibt, leuchten Mündungsfeuer wie überdimensionale Wunderkerzen auf.

Ich bin zu erstarrt, um mich zu bewegen, zu gefangen in mir, um auch nur klar zu denken. Ein stummer Schrei des Entsetzens würgt mich in der Kehle und doch dringt kein Laut aus meinem Mund. Ich muss weg. Ich werde sterben. Ich muss weg …

Etwas Gewaltiges reißt mich zu Boden, betäubt meine Sinne, raubt mir den Atem. Ich bin getroffen. O Gott, sie haben mich erwischt. Ich sterbe, ganz sicher. Heute Nacht wird mein Leben enden und das Leben aller hier Anwesenden …

 

 

 

 

 

 

 

 

Teil I

 

Kein Tag wie jeder andere

 

 

1

Bataclan Theater; Paris;

13. November 2015

20:40 Uhr / Eine Stunde vor Beginn des Anschlags

 

Du blutest, damit du spürst, dass du lebst.

-Silvia Maria de Jong-

 

Es ist nur ein Gefühl, das mich vereinnahmt und doch hat es die Macht einer Zwangsjacke. Befremdlich und kalt weitet es sich vom Magen aus und scheint mein Seelenleben regelrecht zu beschweren, meine Gliedmaßen zu lähmen.

Es liegt an der Atmosphäre. Die Musik. Der ausverkaufte Konzertsaal. Die gelöste Menschenmenge, welche sich dicht aneinanderdrängt. Von Anfang an war klar, dies ist nicht meine Veranstaltung. Ich mag durchaus Rock, auch die härteren Varianten, doch als ich erfuhr, dass heute Abend die Eagles of Death Metal im Bataclan auftreten, wusste ich, dass ich mich dort nicht wohlfühlen werde. Bis zum Schluss habe ich versucht, Eline, meine Freundin, davon zu überzeugen, allein zu gehen. Ohnehin hat sie die Karten nur gekauft, weil ihr aktueller Freund ein Fan der Band ist.

Und nun stehe ich hier, in einer wogenden Masse, die mich schwankend hin und her bewegt. Mein Blick streift suchend über die Menschen hinweg, doch Eline bleibt unauffindbar. Schwarz-weiß flackern die Lichter über fremde Gesichter, tauchen die Umgebung in geisterhaften Glanz, steigern das Gefühl der Beklemmung in mir immens. Dabei ist der eigentliche Act noch gar nicht auf der Bühne. Eine junge Frau tobt in wilden Bewegungen auf dem Podium, heizt der Meute ein, um den Weg für die tatsächlichen Stars zu bereiten. Die Frontfrau der Vorband White Miles.

Mein Herz schmerzt auf eine Weise, die mir fremd ist. Möglicherweise ist es nur der Enge geschuldet, in der ich mich befinde. Dabei stehe ich schon recht weit hinten, nahe der Bar, weil hier die Luft nicht so dünn ist wie weiter vorne an der Bühne.

Nein, denke ich, das ist es nicht.

Menschenansammlungen, gleichgültig welcher Größe, haben mir noch nie Ängste bereitet. Nicht selten habe ich es auf verschiedenen Konzerten bis direkt vor die Absperrung an den Bühnenrand geschafft und Stunden dort ausgeharrt.

Es ist eher eine dunkle Ahnung, die mich befällt. Die stille Befürchtung, auf einen Abgrund zuzusteuern. Trotz der enormen Hitze, welche den Saal erfüllt, spüre ich einen eisigen Schauer, der mir zwischen den Schulterblättern den Rücken hinabrinnt.

Ich hätte nach Hause fahren sollen, so wie es geplant war, statt mich von Eline dazu überreden zu lassen, diesen letzten Abend mit ihr hier in Paris zu verbringen.

Von links schwappt die Menge zu mir herüber, drückt mich zur Seite, sodass ich das Gleichgewicht verliere und gegen einen Mann stoße, der halb hinter mir steht. Mit beiden Händen umfasst er reflexartig meine Arme und fängt den Sturz ab. Einen winzigen Moment atme ich den herben Geruch seines Aftershaves. Sekundenlang betäubt er die dunkle Beklemmung in meinem Herzen. Ich richte mich auf, spüre die Wärme seiner Finger auf meiner Haut, als ich mich entschuldigend zu ihm umdrehe. Die Dunkelheit verschluckt sein Antlitz fast. Formiert nur die Konturen seiner aufrechten, hochgewachsenen Gestalt. Einzig der helle Farbton seiner Augen hebt sich ab und lässt mein Herz schneller schlagen. Mit einem sanften Lächeln signalisiert er mir, dass alles in Ordnung ist. Ich schlucke, nicke leicht und wende mich wieder dem Treiben vor mir zu. Mittlerweile ist Eline schon mehr als eine Stunde verschwunden. Direkt bei unserer Ankunft im Bataclan hat sie sich auf die Suche nach Gaspard begeben. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen und ihr Handy scheint tot zu sein. In diesem Augenblick hasse ich sie dafür, dass sie mich hier zurücklässt. Das Einfachste wäre, wenn ich mich selbst auf den Weg machen würde. Glücklicherweise habe ich mich diesmal für ein Hotel entschieden, anstatt für die Matratze in Elines chaotischer Wohngemeinschaft.

Ich atme tief durch und überlege ernsthaft, den Saal auf der Stelle zu verlassen. Doch mein verdammtes Pflichtgefühl steht mir im Wege. Vermutlich schwirrt Eline hier irgendwo durch den Raum oder hängt knutschend in einer Ecke und irgendwann, wenn ihr einfällt, dass ich in der Menge auf sie warte, wird sie beginnen, mich zu suchen. Es ist unser letzter Abend. Morgen reise ich zurück nach Deutschland. Morgen werden wir uns nicht mehr sehen.

Ich stöhne auf, als die Vorband sich unter tosendem Applaus verabschiedet und lautstark verspricht, dass es in wenigen Minuten weitergehen wird. Für einen kurzen Zeitraum flackern die Lichter auf und erhellen die Räumlichkeit um ein paar Nuancen. Das ist meine Gelegenheit, noch einmal nach meiner Freundin Ausschau zu halten. Langsam drehe ich mich um die eigene Achse, tastet mein Blick über fremde Gesichter, sucht in der Menge einen vertrauten Menschen. Doch Elines flammendroter Haarschopf bleibt unauffindbar. Stattdessen begegnen mir die Augen des Fremden, direkt hinter mir. Jener Mann, der wenige Augenblicke zuvor meinen Sturz abfing. Ihre Farbe ist so außergewöhnlich, dass ich einen Moment länger hinschaue als nötig. Ein helles Grün zeichnet sich um die dunkle Pupille ab und lässt die Iris in einem sonderbaren Glanz erstrahlen. Für ein paar Atemzüge sehen wir einander an, bevor ich den Blick abwende und mich weiter umsehe. Das Gefühl der Beklemmung steigert sich zunehmend, weitet sich aus, bis es mich völlig vereinnahmt. Warum auch immer. Ich habe etwas Vergleichbares bisher nicht erlebt. Angst war mir stets fremd, zum Leidwesen meiner Mutter, die den Leichtsinn in meiner Jugend oft mit schlaflosen Nächten bezahlte. Ich verfluche mich im Stillen, dass ich hier tatenlos rumstehe, anstatt mich auf den Weg zu machen, um die beiden zu suchen. Doch andererseits ist dies genau jene Stelle, an der Eline mich zurückließ. Wenn sie zurückkommt, dann hierher.

Der Saal verdunkelt sich erneut und nur wenige Augenblicke später steht die vierköpfige Band auf der Bühne. Die Menge tobt. Ein Adrenalinrausch peitscht durch die Menschen und bringt die Stimmung zum Kochen, während ich mich in mir selbst zurückziehe.

Es ist die Atmosphäre, sage ich mir. Die Gruppe und ihre Musik, die jene bedrohlichen Empfindungen auslösen. Die massive Enge, in der ich mich befinde. Ich kann es nicht wirklich ergründen. Es ist da, dieses Gefühl, und ich sehe keine Möglichkeit, mich davon zu befreien. So versuche ich, mich abzulenken und lausche den Worten des Frontmannes Jesse Hughes, der seine Fans mit derben Sprüchen begrüßt und verspricht, an diesem Abend eine gute Zeit miteinander zu verbringen. Die Leute sind ausgelassen, heben die Hände im Rhythmus der Musik, springen auf dem Parkett in die Höhe und begleiten die Texte lautstark. Ein Ausdruck ungezügelter Freude und purer Lebenslust. Nach gut einer halben Stunde spielen die EoDM eine Coverversion von Duran Durans Save a Prayer. Das erste Lied, das mir überhaupt bekannt vorkommt. Ich verfluche Eline dafür, dass sie mich hierhergeschleppt hat, und auch mich selbst. Warum bin ich nicht heimgefahren? Wann lerne ich verdammt noch mal, endlich Nein zu sagen?

Mittlerweile habe ich Mühe zu atmen. Ich weiß nicht, ob es an der Luft liegt, die schwerer wird. An der Menschenmenge, die sich dichter zusammenzieht, oder aber an der unaussprechlichen Angst, die sich wie ein Parasit in mir eingenistet hat. Geh, sage ich mir. Das ist das einzig Vernünftige, was du tun kannst. Verlass dieses Gebäude, such dir ein Taxi und dann fahr in dein Hotel. Sollte Eline dich ernsthaft vermissen, wird sie dich dort finden.

Doch jede Bewegung wird zur Belastungsprobe. Es ist, als wäre ich erstarrt. Erstarrt in Angst, während auf der Bühne der nächste Titel angekündigt wird. Kiss the Devil.

Wie passend, durchfährt es mich.

Ich atme tief ein, schließe die Augen, versuche Kraft in mir zu finden, um mich aus der Erstarrung zu lösen, als ich über den inneren Aufruhr die disharmonischen Klänge im Hintergrund vernehme.

 

 

2

Bataclan Theater; Paris

21:40 Uhr / Beginn des Anschlages

 

Manchmal musst du durch unruhige See und darauf hoffen, dass deine Feinde nicht schwimmen können.

-Silvia Maria de Jong-

 

Das befremdliche Geräusch übertönt kaum die laute Musik und doch weckt es meine Aufmerksamkeit, zwingt mich dazu, mich umzudrehen. Drei südländisch aussehende Männer, die in der Menge, welche mich umwogt, fast nicht auszumachen sind, dringen beharrlich vor. Aus der Bar, mitten hinein ins Herz des Konzertsaales: den Innenraum, das Parkett. Dort, wo sich die Menschen dicht gedrängt im Takt der hämmernden Bässe bewegen. Die Schüsse aus den Kalaschnikows begleiten wie unrhythmische Trommelschläge den aggressiven Gitarrensound zu Kiss the Devil. So, als hätten sie nur auf den richtigen Moment für ihren Auftritt gewartet, als bräuchten sie die Untermalung eben dieses Songs für ihre Darbietung.

Das ist ein Scherz, durchfährt es mich. Ein schlecht inszeniertes Schauspiel der Band, um der Meute noch mehr einzuheizen.

Vereinzelt richten nun auch andere Konzertbesucher ihre Aufmerksamkeit auf die Störenfriede. Manche fallen zu Boden, sacken einfach zusammen, so als wären sie tatsächlich von einer tödlichen Waffe getroffen. Im Hintergrund verstummt die Musik, verzweifelte Schreie erheben sich über die Dunkelheit des Raumes. Als ich den Kopf hebe, trifft ein Lichtstrahl auf einen der Angreifer und ich erhasche einen Blick in die nachtschwarzen Augen des Mannes, der in wenigen Metern Entfernung vor mir steht. Nicht maskiert, das Kinn von einem kurzen, gepflegten Bart bedeckt. Er befiehlt den Zuschauern, sich auf den Boden zu legen, während er in akzentfreiem Französisch erklärt: »Ihr habt in Syrien unsere Brüder getötet, jetzt sind wir hier. Wenn ihr euch bewegt, töten wir euch.«

Wahllos lässt er seine Feuerwaffe über die Menge schweifen. Als er ununterbrochen Schüsse abgibt, leuchten Mündungsfeuer wie überdimensionale Wunderkerzen auf. Ich bin zu erstarrt, um mich zu bewegen, zu gefangen in mir, um klar zu denken. Ein stummer Schrei des Entsetzens würgt mich in der Kehle und doch dringt kein Laut aus meinem Mund.

Ich muss weg. Ich werde sterben. Ich muss weg …

Plötzlich reißt mich etwas Gewaltiges zu Boden, betäubt meine Sinne, raubt mir den Atem. Ich bin getroffen. O Gott, sie haben mich erwischt. Ich sterbe, ganz sicher. Heute Nacht wird mein Leben enden und das Leben aller hier Anwesenden …

Unten am Boden ist es weit dunkler. Ich versuche, etwas zu erkennen, während mein Verstand registriert, dass ich noch lebe. Bin ich verletzt? Ich weiß es nicht. Mein Gott, was ist, wenn ich getroffen bin? Wenn ich blute? Oder gar verblute? Mein Herz rast in einem derart schnellen Tempo, dass mir übel wird. Müsste ich es nicht spüren, wenn ich getroffen wäre? Oder liegt es am peitschenden Adrenalin, welches meinen Körper flutet, sodass ich keinerlei Schmerz empfinde?

Gewehrsalven ohne Unterlass gehen auf die Menschentraube nieder, reißen den ein oder anderen von den Füßen. Der Geruch von Schießpulver und Blut erfüllt die Luft, verdeutlicht die Brisanz der Situation.

»Hört ihr ihre Schreie? Ihr Leid? Jetzt könnt ihr die Angst empfinden, die die Menschen in Syrien jeden Tag spüren.« Einer der Männer nutzt eine Schießpause, um neuerlich seine Stimme zu erheben. Gleich einem scharfen Messer dringt jedes seiner Worte in mein verängstigtes Herz. »Es ist Krieg und dies ist erst der Anfang. Wir werden Unschuldige töten.«

Das ist echt! Das ist kein Spiel! Niemand ist fähig, eine so grausige Szene zu inszenieren. Nicht in Zeiten wie diesen, da wir mit Attentätern Tür an Tür wohnen und täglich den Krieg erwarten.

Vorsichtig wende ich meinen Kopf, in dem jeder Schuss widerhallt. Nur wenn sie die Waffen nachladen, so wie jetzt, ersterben die Gewehrsalven für Sekunden. In diesem winzigen Zeitfenster erheben sich Menschen, beginnen zu laufen, versuchen, irgendwie ihr Leben zu retten. Darüber hinaus ertönen grauenvolle Schreie des Schmerzes und der Angst. Das Wissen um den nahenden Tod verursacht einen zusätzlichen Schauer des Entsetzens. Im schwachen Schein des Lichtes erahne ich drei Männer, die mit Handgranaten und ihren Kalaschnikows im Anschlag den Ausgang versperren.

Ich muss hier raus! Aber ich kann mich nicht regen, kann meine Beine nicht bewegen. Ich wurde getroffen. So muss es sein! Was sonst kann mich daran hindern, aufzustehen, wenn nicht eine schwere Verletzung? Entsetzen brandet in mir auf, kalt und mächtig. Fremde Wörter, jetzt auf Arabisch, hallen, schnell wie Schüsse, durch den Saal. Aufforderungen, Anweisungen … ich weiß es nicht. Der Krach ist unerträglich. Immer noch sehe ich Menschen fliehen. Manche schaffen es bis zu den Notausgängen, andere werden schon nach den ersten Schritten von Kugeln niedergerissen.

In meiner Brust erhebt sich ein Schrei. Ich sollte dem nicht nachgeben, das sagt mir mein Verstand. Wenn sie bemerken, dass ich noch lebe, bin ich dem Tode geweiht. Doch ich weiß nicht, ob ich die Kraft aufbringe, ihn zurückzuhalten. Die Angst bricht in einer schwarzen, dunklen Woge über mir zusammen und droht mich mit sich zu reißen. Es ist dieser Augenblick, da ich die Berührung einer anderen Hand an der meinen verspüre. Benommen gleitet mein Blick nach vorn. Ein Gesicht, das mir schon fast vertraut scheint, formiert sich in der Finsternis. Die grünen Augen, in denen zuvor noch das pure Leben pulsierte, betrachten mich ernst und sprechen eine deutliche Warnung aus. Es ist, als ahne er, was mich quält. Kaum hörbar flüstert er über die erbarmungslose, kriegerische Geräuschkulisse in schnellem Französisch hinweg.

»Stell dich tot. Flach atmen.«

So wie auch ich liegt er auf dem Bauch. Sein Rücken hebt sich kaum. Wie kann er unter diesen Bedingungen, die nach einem hysterischen Anfall schreien, seinen Atem kontrollieren? Ich schlucke schwer, öffne meinen Mund und versuche ein paar vereinzelte Atemstöße. Kurz schließt er die Lider, signalisiert mir, dass ich es so richtig mache. Über das wahllose Geballer der Kalaschnikows hinweg, welches nun schon sicher mehr als fünf Minuten andauert, erhebt sich ein seltsames, skurriles Kreischen, das mir neue Angst unter die Haut jagt. Woher kommt das? Was geschieht hier? Wir sterben alle in diesem Saal …

Ich spüre die Finger des Fremden, der noch immer meine Hand hält, kaum merklich deutet er auf die Bühne.

»Die Rückkopplung der Instrumente«, erklärt er fast lautlos. Entweder sind die Bandmitglieder alle tot oder sie haben es geschafft, sich in Sicherheit zu bringen. Einer der Attentäter ist so nah, dass ich sein leise geflüstertes »Schschsch« hören kann. So sanft und zärtlich, als wolle er ein Kind in den Schlaf wiegen. Mein Herzschlag pulsiert dröhnend in den Ohren, als die Menge verstummt. Nur den Bruchteil eines Augenblicks später spüre ich, wie etwas Heißes an meiner Wange vorbeischießt und sich im Boden versenkt. Eine Kugel. O Gott, er ist so nah. Er wird mich töten, jetzt in diesem Moment hält er vermutlich das Gewehr direkt über mich …

Ich kann nichts sehen. Meine Finger krallen sich um die Hand des Fremden, versuchen, den letzten Funken Hoffnung auf Leben aus ihm herauszupressen und doch ist es dieser Atemzug, in dem mir klar wird, dass ich hier nicht mehr rauskomme. Dass keiner von uns den Saal lebend verlassen wird. Wo ist Eline? Hat sie es geschafft, sich in Sicherheit zu bringen? Oder ist sie längst tot, so wie viele der Menschen hier, in deren Blut wir baden? Vielleicht ist es auch das eigene. Wer weiß das schon?

Ich empfinde keinen Schmerz. Nicht körperlich. Der Schmerz tobt in meinem Herzen und in der Seele. Ich denke an meine Eltern, die in diesen Minuten keine Ahnung davon haben, dass ihre Tochter auf der Schwelle des Todes steht. Ein unkontrolliertes Zittern befällt meinen Körper, das sich nicht steuern lässt. Kaum merklich rückt der Fremde näher an mich heran, versucht durch den Kontakt, Haut an Haut, die Kontraktionen meiner Gliedmaßen zu bremsen. Erst jetzt begreife ich, dass er halb auf mir liegt. Dass er der Grund ist, warum ich meine Beine nicht bewegen kann. Plötzlich spüre ich auch den Schmerz, den sein Gewicht verursacht, und ein Hauch Erleichterung flutet für ein paar Atemzüge meine angespannten Muskeln.

»Wer gehen will, kann gehen. Wir halten niemanden auf.« Das akzentfreie Französisch der Attentäter durchbricht das Wimmern, welches sich über die am Boden liegenden Menschen erhebt.

Ich überlege, ob ich es wagen soll, aufzustehen. Mein Körper ist schweißnass. Ich bin nicht einmal sicher, ob meine Beine mich überhaupt tragen. Was, wenn ich zusammenbreche … Der Fremde schüttelt den Kopf und formt mit den Lippen ein Wort: Falle.

Und doch gibt es sie, die Menschen, die an das Gute glauben, sich aufrappeln und im nächsten Moment brutal niedergeschossen werden. Schreie erheben sich aus den Tiefen des Raumes. Ich nehme kaum wahr, dass sich auch von meinen Lippen ein Laut des Grauens löst. Vielleicht zwei Meter neben mir wimmert ein Mann vor Schmerz, ich kann sein verzerrtes Gesicht erahnen. So sehr er sich bemüht, die Geräusche zurückzuhalten, es gelingt ihm nicht. Ein dunkler Schatten fällt auf den verschränkten Leib, stößt ihm mit dem Lauf der Feuerwaffe gegen den Thorax. Der Mann stöhnt auf, bittet fast lautlos um Gnade und verstummt in jenem Moment, da die Kugel seine Brust zerschmettert. Ich kann nicht mehr atmen. Der Schock lähmt alles in mir. Verzweifelt bemühe ich mich, Luft in die Lungen zu saugen, doch nichts geschieht. Ich ersticke, während ich meinen Blick nicht von den toten Augen um mich herum lösen kann, die mich zu fixieren scheinen. Grenzenlose Furcht klammert mich von allen Seiten ein.

»Ich kann nicht mehr … ich habe solche Angst.« Kaum hörbar verlassen die Silben meine Lippen.

»Schließ die Augen.« Da ist er wieder, der raue, beinahe vertraute Klang des Fremden, der meine Panik spürt. Bevor ich seinen Worten folge, sehe ich, wie der Schatten weiterzieht. Die Kalaschnikows feuern wild auf den Boden, in das Meer aus Menschen, so, als wäre das alles ein Spiel und niemand könnte zu Schaden kommen. Mündungsfeuer leuchten auf, erhellen kurzzeitig die Atmosphäre. Dort, wo das Klingeln eines Handys ertönt, fällt ein Schuss. Erst glaube ich, die Angreifer wollen nur das Mobiltelefon zum Schweigen bringen, dann wird mir klar, dass es um den Menschen dahinter geht. Jener Mensch, um den sich ein anderer sorgt. Jemand, der ihn zu erreichen versucht, der seine Liebsten in Sicherheit wähnen möchte und nicht in diesem tödlichen Hades. Es geht darum, das Leben auszulöschen. Für alle Zeit. Ich zittere, heftiger dieses Mal. Ich kann es nicht kontrollieren und noch weniger einstellen. Ich spüre, wie der Mann neben mir mit dem Daumen behutsam über meinen Handrücken streicht. Ein winziger Versuch, Kraft zu spenden. Die Lider hebend sehe ich ihn an. Sehe auch in seinen Augen die Hoffnungslosigkeit dieser Situation.

Erahne, dass auch er abschließt mit allem Weltlichen, mit dem Leben, das bisher das seine war. Vielleicht hat er eine Frau und Kinder, die zu Hause auf ihn warten, noch unwissend bezüglich des Massakers, in welches ihr Vater und Ehemann hineingeraten ist. Er hält meinen Blick, tastet meine Züge ab, scheint ergründen zu wollen, wie es um mich steht, und findet jene Bereitschaft, in diesem Inferno zu sterben, wie ich sie in den seinen finde. Aus dieser stillen Verbundenheit erwächst ein eigener, kleiner Schutzraum. Ein Kokon, der uns einhüllt und abschirmt. Zumindest für den Moment. Auch als es ruhiger wird, die Salven aus den Schnellfeuerwaffen allmählich verstummen, wage ich es nicht, den Blick abzuwenden, dieses Band zu lösen. Zu groß ist die Befürchtung, dass die Angst in neuer Intensität über mich hereinbricht. Ich zucke zusammen, als jemand auf Französisch ruft: »Er geht nach oben.«

Vermutlich auf die Empore, um von dort besser auf den Teppich aus Menschen schießen zu können. Ein Beben durchläuft meine Glieder. Noch leben wir. Wie lange noch? Wie lange ist das Glück noch auf unserer Seite? Ich höre und spüre, dass einige der Konzertbesucher den winzigen Zeitrahmen dieser Schießpause nutzen und auf die Ausgänge zustürmen. Einer der Attentäter ist oben auf der Galerie, doch wo sind die anderen zwei?

Mein Herz schlägt drängend gegen den Brustkorb. Ich fürchte, dieser Situation nicht mehr standhalten zu können, wenngleich jeder Herzschlag Leben bedeutet. Der Mann neben mir drückt meine Hand, lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich, zieht mich an einem unsichtbaren Band zurück unter den Schutzschirm. Ich kann nicht einschätzen, wie viel Zeit verstrichen ist, wie lange wir hier schon liegen und auf den Tod warten. Es scheinen Stunden vergangen zu sein … Schüsse fallen von oben auf uns herab, treffen Menschen, die uns umgeben und schenken uns eine Sekunde Leben. Mein Atem stockt immer wieder. Manchmal flehe ich stumm: Bringt es endlich hinter euch, erschießt mich, nur um aus dieser Hölle errettet zu werden. Tränen trüben meinen Blick und lassen das grausame Szenario um mich herum verschwimmen.

Plötzlich ertönt eine kraftvolle Stimme, die in klarem Französisch durch den Raum schallt. »Nicht bewegen, sonst schieße ich.«

Was ist das? Wer ist das? Die Polizei? Bitte, lieber Gott, lass es die Polizei sein. Ein winziger Funke Hoffnung breitet sich unter dem Schutzschild aus. Ich kann ihn auch in den Augen des Fremden glimmen sehen. Dann folgt eine gewaltige Explosion, welche die Erde unter unseren Körpern erbeben lässt und mit einem bitteren Beigeschmack jeglichen Hoffnungsschimmer zunichtemacht. 

3

Bataclan Theater; Paris

22:15 Uhr / Eingreifen zweier Polizisten

 

Wenn du merkst, dass dein Nebenmann zurückfällt, zögere nicht, gehe Seite an Seite mit ihm.

-Silvia Maria de Jong-

 

Auf seinem Arm landet ein Fetzen blutigen Fleisches, als im Hintergrund etwas dumpf auf den Boden prallt. Der Mann vor mir bleibt angesichts dieser prekären Situation ruhig, hält meinen Blick, während ich befürchte, an dem Erbrochenen, das mich in der Kehle würgt, zu ersticken. Da ist ein Mensch explodiert, vielleicht auch mehrere. Möglicherweise war es eine Handgranate, die in die Menge geworfen wurde …

Und dennoch leben wir! Wie lange noch? Wie lange noch?

Dann plötzlich wird es stiller. Um uns herum erklingt das leidvolle Tönen verletzter und sterbender Menschen. Manche rufen um Hilfe, andere nach ihrer Mutter. All das überlagert der seltsame Gleichklang aus den Boxen: Ein fast beruhigendes Rauschen, welches die tödliche Atmosphäre durchdringt. Ich spüre, dass die Kleidung unter mir allmählich durchnässt und frage mich verzweifelt, ob es mein eigener Urin ist oder die Blutlache eines fremden Menschen. Hysterie steigt in mir auf und der Drang, aufzustehen und fortzulaufen. Mein Körper zuckt pausenlos. Noch einmal begegne ich dem Ausdruck der sanften, grünen Augen. Erkenne, dass er ahnt, was in mir vorgeht. Augenblicklich verstärkt er den Druck seiner Beine auf meinen, umschließt meine Hand mit einer Kraft, dass es schmerzt.

»Wir leben«, flüstert er leise, sodass ich Mühe habe, seinen Worten zu folgen. »Wir kommen hier raus. Glaube daran.«

Wie soll ich das, wo ich nur den Kopf drehen brauche, um dem Tod in seine grausame Fratze zu sehen?

»Bist du verletzt?«

Seine Frage lässt mich meinen Körper intensiver wahrnehmen. Gedanklich taste ich jegliche Region ab. Arme und Beine, die vom langen Stillliegen lahm sind. Den Oberkörper, der sich seltsam verschränkt anfühlt, so als sei ein Nerv eingeklemmt. Aber kein Schmerz, der einer Schusswunde oder Ähnlichem gleicht, zumindest so, wie ich mir diesen außergewöhnlichen Schmerz vorstelle.

»Nein ich … ich glaube nicht. Und du?«

»Soweit ich das einschätzen kann, bin ich unverletzt.«

Ich atme bei dieser Feststellung erleichtert auf.

»Was ist dein Lieblingsfilm?«

Verwirrt halte ich inne, versuche mich auf seine Worte zu konzentrieren. Der Geschmack bitterer Galle erfüllt noch immer meinen Mund. Ich schlucke schwer und suche angestrengt nach einer Antwort auf seine Frage. Ein Ablenkungsmanöver, das ist mir klar. Aber vielleicht ist es nicht der schlechteste Weg, um diesem Totenreich zu entfliehen.

Meine Zunge gleitet nervös über die ausgetrockneten Lippen, als ich stotternd erwidere: »Die … die Twilight-Saga.« Einen Moment lang sieht er mich stumm an, schließlich nickt er und entgegnet: »Dann werde ich dich Bella nennen.« Ein Lächeln umspielt seine Lippen und ich ahne, dass er nur für mich lächelt, um mir die Kraft zu schenken, die ich benötige, um dieser Hölle lebend zu entkommen. »Wie passend«, fügt er hinzu.

Die gewaltige Angst weicht einen Hauch zurück, schenkt mir Raum, um zu atmen. »Und du?«, frage ich noch immer bebend. Um uns herum erklingt das Seufzen und Weinen der verletzten Konzertgäste. »Welchen Film magst du besonders?« Er antwortet, ohne nachzudenken. »Notting Hill, mit Hugh Grant und Julia Roberts.«

Ich kenne die Verfilmung in- und auswendig. Meine Mutter schaut diesen Streifen regelmäßig, so sind mir auch die Namen überaus vertraut. »William also«, stelle ich fest und taufe ihn auf den Filmnamen des Hauptdarstellers.

»Richtig. Bist du allein hier, Bella?«

Seine Frage weckt erneut die Sorge um Eline. Wo ist sie? Hat sie es aus dieser Katastrophe herausgeschafft und ist längst zu Hause? Oder liegt sie begraben unter den Menschenmassen? Erstickt oder erschossen? Ein Schauer durchfährt meine reißenden Gliedmaßen. Die starre Unbeweglichkeit, in welche uns die Situation zwingt, erzeugt einen völlig neuen und fremden Schmerz.

»Nein, mit einer Freundin. Ich … ich habe sie schon Stunden zuvor verloren.« Sekundenlang schließe ich die Augen, dränge die Empfindungen, die sich in einem gewaltigen Schrei Bahn brechen wollen, zurück.

»Sie hat es geschafft, ganz sicher.« Wieder streicht sein Daumen beruhigend über meine Haut, lässt mich begreifen, dass ich noch immer an jenem Sicherheitsfaden ankere, den wir gemeinsam geschaffen haben. Ich nicke knapp.

»Und du?«

Er schüttelt den Kopf. »Ich bin allein hier.«

Um uns herum erhebt sich ebenfalls leises Flüstern. Fremde und Freunde, die dieses Desaster bisher überlebt haben, wagen es, nach der langen Schießpause Kontakt zueinander aufzunehmen. Die einzige Möglichkeit, um sich selbst zu beweisen, dass sie noch am Leben sind. In der Ferne vernehme ich das Tönen von Sirenen.

Die Menschen dort draußen wissen Bescheid, fährt es mir durch den Kopf. Sie wissen, dass ihre Freunde, Väter und Mütter, ihre Kinder in dieser Hölle gefangen sind.

»Wo kommst du her, Bella? Du hast einen leichten Akzent in deiner Aussprache.«

Das hört er, trotz der geflüsterten Worte, trotz der angespannten Situation, trotz der Angst, die meine Stimme einfärbt?

»Aus Deutschland … Ich … ich bin nur zu Besuch in Paris.«

Bedauernd hebt er die Augenbrauen. Deutlich sehe ich Furcht und Verzweiflung auch in seinen Augen schimmern, etwas, das er sorgsam vor mir zu verbergen sucht, um meinen Zustand nicht unnötig zu verschlechtern. Dennoch lässt es die Panik höher peitschen. Selbst wenn im Moment keiner auf uns schießt, kann die Situation in jeder Sekunde von Neuem eskalieren, dessen bin ich mir absolut bewusst. Das spürt man. Es umgibt uns alle wie ein dunkler Schleier.

»Und dann musst du ausgerechnet hier hineingeraten.«

Seine Finger umschließen meine fester, zum Zeichen seines Zuspruchs. Ich hebe eine Schulter und schließe die Lider. Trotz der Anspannung überrollt mich eine gewaltige Welle der Müdigkeit. Das muss der Schock sein. Das Peitschen des Adrenalins hat nachgelassen und meine Glieder sind nunmehr erfüllt von Schwere. Es ist unmöglich, die Augen zu öffnen. Doch das nahe Läuten eines Telefons reißt mich aus dem Dämmerzustand. Einige Herzschläge verstreichen, bis ich begreife, dass es Williams Handy ist. Mein Atem stockt, während ich in entsetztem Schweigen darauf warte, dass auf uns geschossen wird. Ähnliche Befürchtungen spiegeln sich in den Augen des Mannes, der noch immer meine Hand hält. Kurz, wie unter einem stillen Fluch, schließen sich seine Lider, und ein leises Stöhnen gleitet über seine Lippen.

Ich zähle langsam. Die Sekunden ticken dahin. Das siebte, vielleicht achte Klingeln ertönt, doch alles bleibt still. Keine Gewehrsalven, die auf uns niedergehen. Keine Rufe in arabischer Sprache, die uns ängstigen. Vielleicht sind sie fort, wage ich zu hoffen. Vielleicht besteht die winzige Möglichkeit, dass wir dieses Inferno überleben. Als das Läuten verstummt, verharrt William ein paar Atemzüge, bevor er die Augen öffnet und meinem Blick begegnet. Entsetzen hält ihn gefangen, auch wenn er sich bemüht, es hinter einem beruhigenden Lächeln zu verbergen. Dabei ist alles hier grauenerregend. Das Wimmern und Weinen der Menschen. Die schmerzerfüllten Schreie, welche immer wieder durch die Halle gellen. Die Todesnot, die uns alle, aber jene, die im Sterben liegen, im Besonderen, erstarren lässt. Der Geruch des Schießpulvers, welcher sich mit den metallischen Ausdünstungen des Blutes mischt und einen grausamen Geschmack auf der Zunge hinterlässt. Jegliches Zeitgefühl ist mir entglitten. Nichts scheint mehr von Bedeutung als jede einzelne Minute, die wir in diesem Desaster überleben, im Ungewissen darüber, ob dieser eine weitere folgen wird.

Ich sehe in die toten Augen der Menschen, die noch vor Kurzem um mich herum getanzt, gelacht und das Leben bejaht haben. Menschen, die zu Hause erwartet werden, die geliebt und nun schmerzlich vermisst werden. Menschen, denen auf so grausame Art, aus reiner Willkür das Dasein geraubt wurde. Ein Schluchzen steigt in mir auf. Ich spüre, wie sich die Anspannung Bahn bricht und zu einem unförmigen, unkontrollierten Schrei in meinem Hals formiert. Alles, was ich mühsam in Schach halte, scheint sich nun gewaltsam freisetzen zu wollen.

Es ist William, der seine Finger erstaunlich kraftvoll mit den meinen verschränkt und mich beschwörend ansieht. Mit stummen Gesten ringt er darum, den Ausbruch in mir zurückzudrängen. Bestärkt mich darin, dem Gefühl nicht nachzugeben, den Hilferuf, der mich in der Brust quält, zu unterdrücken. Aber alles in mir scheint zu zerbrechen, in tausend Scherben zu zersplittern. Unkontrolliert öffnen sich meine Lippen, sodass ich ihn nicht zurückhalten kann, diesen verzweifelten Laut, der das Todesurteil über mich verhängen wird.

 

 

 

4

Bataclan Theater; Paris

0:20 Uhr; Zugriff der Polizei

 

Erst, wenn du nicht in Worte formen kannst, was du fühlst, dann weißt du, dass es echt ist.

-Silvia Maria de Jong-

 

»Aufstehen, Hände hoch!«

Ähnlich den Gewehrsalven von zuvor hämmern die Worte in den dunklen Saal hinein.

Sie sind zurück. Sie sind wieder da. Die Attentäter. Ob wir uns erheben oder nicht – sie werden uns alle der Reihe nach hinrichten. Wie konnte ich nur eine einzige Sekunde glauben, lebend aus diesem Armageddon herauszukommen?

»Ich will nicht sterben. Bitte, ich will noch nicht sterben …« Es ist, als würde ich die Worte in die plötzliche Stille hinausschreien. Doch in Wirklichkeit entringt sich nur ein heiseres Flüstern meinem wunden Hals. Williams Finger drücken meine Hand sanft, vermitteln mir einen Hauch Zuversicht, bevor er langsam den Kopf hebt.

»Aufstehen, Hände hoch!«, erfolgt unwillkürlich ein neuer Ausruf, lauter diesmal, schärfer. In klarem Französisch.

»Das ist die Polizei«, flüstert er und richtet sich, so wie viele andere auch, auf.

Ich wage es nicht, mich hinzusetzen, aus Angst, dass irgendein Wahnsinniger jeden Moment das Feuer von Neuem eröffnet. Ohnehin weiß ich nicht, ob meine steifen Muskeln überhaupt eine Bewegung zulassen. Die Stimmen, welche mich umgeben, werden lauter, ebenso das Weinen und Stöhnen, die Schreie und unruhiges Schluchzen. Ich spüre Hände, Williams Hände, die mich umfassen, mir behutsam aufhelfen. Jede Sehne, jeder Knochen in meinem Körper protestiert. Wie lange haben wir hier gelegen? Lautlos und erstarrt, der Dinge harrend, willenlos ausgeliefert?

Ein Schütteln befällt meine Gliedmaßen. Ich hebe den Kopf und erkenne im Zwielicht dunkel gekleidete Männer mit schwarzen Helmen. Ein Sondereinsatzkommando. Sie visieren uns mit ihren Gewehren an, so, als wären wir die Attentäter. Und wer weiß schon, ob sich nicht einer von ihnen mitten unter uns befindet? Beim Anblick der scharfen Waffen zittern meine Knie so sehr, dass es mir kaum gelingt, mich auf den Beinen zu halten. Noch immer spüre ich seine Arme, die mich umfangen. Die mich halten. Dicht an seinen warmen, pulsierenden Körper drücken. Ich atme den Duft seines Körpersprays, welcher die unangenehmen Gerüche um mich herum überlagert. Spüre das raue Material seiner Lederjacke an meiner Wange. Ein Gefühl, das mir verdeutlicht: Ich lebe!

Plötzlich flackern die Leuchten über uns auf und nur Sekunden später ist der Konzertsaal in gleißendes Licht getaucht. Ein Raunen geht durch die Menge, während ich im ersten Moment geblendet die Augen schließe. Ein paar Atemzüge verharre ich, bevor ich die Lider hebe und die Apokalypse um mich herum wahrnehme. Noch immer überlagert diese entsetzliche Szenerie das Weinen der Menschen. Schmerzvolle Schreie, die wie Bohrer in meinen Kopf dringen und diesen nie wieder verlassen werden. Doch nichts und niemand kann mich auf den Anblick vorbereiten, der uns unter den hellen Strahlern der Deckenfluter erwartet. Blut, wohin das Auge reicht. Ein Meer dieser sämigen, dunklen Flüssigkeit tränkt den Boden. Menschen liegen lebendig begraben unter leblosen Körpern, die weit verstreut die Wege pflastern. Ein Mann rutscht in dem Blut eines anderen aus, stürzt haltlos zu Boden. Hautfetzen mischen sich mit Körperteilen, die wie wahllos dahingestreut keine Zugehörigkeit mehr zu haben scheinen. Zwischen all dem Elend blitzen golden zahllose Patronenhülsen auf.

Erneut würgt mich Magensäure in der Kehle. Schwindel erfasst mich in einem Ausmaß, wie ich es nie zuvor erlebt habe. Sekundenlang bewege ich mich an einer Grenze, wo das Bewusste mit dem Unbewussten verschwimmt. Meine Beine geben unwillkürlich nach und ich falle. Doch dann ist da William, der den Sturz abfängt, mich aufrichtet. Ein scharfer Schmerz fährt mir in die linke Seite und lässt mich aufstöhnen. Er umfasst mein Gesicht mit beiden Händen und zwingt mich, den Blick von Dantes Inferno abzuwenden.

»Sieh nicht hin, Bella. Schließ die Augen. Ich bringe dich sicher hier raus. Vertrau mir.« Bei dem tiefen Klang seiner rauen Stimme verlangsamt sich mein Herzschlag augenblicklich. Und auch wenn ich weiß, dies ist real und kein Albtraum, auch wenn ich ahne, dass wir durch ein Meer aus Blut und Leichen waten, so senke ich vertrauensvoll die Lider und lasse mich führen. Lasse mich ein auf diesen mir völlig fremden Menschen, ohne den ich die letzten Stunden kaum überlebt hätte. Hinter den geschlossenen Augen nehme ich wahr, was um mich geschieht. Ich spüre Körper, die gegen meinen stoßen, höre Stimmen, die in verzweifelten Lauten zu mir durchdringen. Eine Frau sucht ihren Mann, schreit in grenzenloser Verzweiflung seinen Namen. Vielleicht sucht sie ihn gar nicht, durchfährt es mich. Vielleicht hat sie gerade seinen leblosen Körper am Boden gefunden …

»Halt die Augen geschlossen.« Und so, als ahne William, was in mir vorgeht, bekräftigt er mich darin, das einzig Richtige zu tun. Das Elend um mich herum so gut wie möglich auszublenden, denn die Bilder, die meine Sinne ohnehin schon füllen, reichen aus, meine Seele ein Leben lang in Gefangenschaft zu nehmen.

Als ich den kühlen Atem der Nacht auf der Haut spüre, wage ich es, die Lider zu heben. Das flackernde Blaulicht der Rettungs- und Einsatzwagen nimmt mir für Sekunden die Sicht und signalisiert den Ernst der Lage und des Dramas, welches sich hier abgespielt hat. Auch auf dem Gehweg liegen leblose, verschränkte Körper, halb verschluckt von der Dunkelheit. Das Zittern, welches meinen Leib vor Stunden befallen hat, verstärkt sich beim Betrachten dieser maßlosen Opfer. Meine Zähne schlagen so heftig aufeinander, dass dieser Laut allein alle anderen Geräusche übertönt.

Uniformierte Polizisten nehmen uns in Empfang. Das Entsetzen über unseren Anblick steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

»Mon Dieu.« Einer der Beamten bekreuzigt sich und flüstert leise: »Ihr seid Helden.«

Er fragt nach unserem Befinden, möglichen Verletzungen und fordert uns auf, der Masse zu folgen, die sich zäh auf einen eingezäunten Parkplatz zubewegt, um dort ihre Personalien preiszugeben. Ich glaube, nicht auch nur eine Sekunde länger diesem Tumult standhalten zu können. Alles in mir schreit, tobt, und doch dringt kein Laut über meine Lippen. Wie von selbst dränge ich mich dichter an meinen Retter, spüre seinen besorgten Blick, lausche seinen leisen Worten. Er wird mich hier rausbringen. Dennoch deutet alles darauf hin, dass wir die nächsten Stunden in neuer Gefangenschaft gehalten werden. Nicht länger bedroht an Leib und Seele, aber tief verletzt und gepeinigt, fürchte ich, nicht länger hier in der Kälte ausharren zu können. Schon jetzt verlangt mir jeder Schritt unendliche Mühsal ab. William spürt dies instinktiv. Vielleicht ergeht es ihm ähnlich. Er fasst meine Hand fester, während wir das Tor erreichen, welches auf das umzäunte Gelände führt, in dem sich zahllose Menschen scharen, deren Versehrtheit mit bloßem Auge ersichtlich ist.

Plötzlich werden hinter uns Rufe laut. Ich wende den Kopf und sehe einen Mann, der eine schwer verletzte Frau auf den Armen trägt. Auf den ersten Blick scheint das Leben bereits aus ihrem Körper gewichen zu sein, doch vielleicht täusche ich mich. Es ist die Panik in seinen Augen, die das Zittern in mir verstärkt. Die Gewissheit, dass jede Sekunde die Letzte sein könnte … Die Beamten, welche uns nur Augenblicke zuvor noch wachsam zu dem abgesicherten Areal begleiteten, schrecken ebenfalls auf, gestört durch die tiefe Not in der Stimme des Fremden und eilen dem Mann entgegen. Es ist dieser Moment, dieses winzige Zeitfenster, in dem William meinen Blick sucht. Nur einen Atemzug später tauchen wir unter und laufen atemlos die weitläufige Straße hinunter. Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, dass der ein oder andere unserem Beispiel folgt. William biegt links ab, in Richtung des Boulevard Voltaire. Er zieht mich mit sich, den Arm fest um meine Mitte geschlungen, damit ich nicht stürze. Jeder Schritt verursacht einen stechenden Schmerz in Höhe des Rippenbogens. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrichen ist, wie lange wir schon in diesem Tempo durch die nächtlichen Straßen eilen, doch ich spüre, dass meine Kräfte schwinden. Immer wieder kreuzen Einsatzkräfte unseren Weg. William ist wachsam genug, ihnen im letzten Moment auszuweichen. Vielleicht ist es verkehrt, dass wir uns heimlich davonschleichen, doch das Angeben der Personalien bedeutet Registrierung, Bürokratie und die fortwährende Konfrontation mit den grausamen Ereignissen dieser Nacht. Ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin. Vermutlich werden die Bilder ohnehin nie wieder meinen Geist verlassen, werden mich auch so, Wochen, vielleicht Monate quälen. Aber jetzt, in diesem Moment, möchte ich nur noch fort. Fliehen in die Sicherheit eines Schutzraumes, der frei ist von dem äußerlichen Antlitz roher Gewalt.

Wir erreichen eine Ecke, weit entfernt von den Straßensperren, in der es ruhiger ist. Abgeschirmt von dem Szenario des Schreckens, welches uns in den letzten Stunden gefangen hielt. Benommen registriere ich, wie William mich sanft gegen eine Mauer lehnt, deren Kälte sich rasend schnell auf meinen Körper überträgt und die Sinne klärt. Ich beobachte stumm, wie er die Lederjacke von den Schultern streift und sie behutsam um mich legt. Dem schweren Material haften noch die Wärme und der Geruch seines Körpers an, hüllen mich ein in den Kokon, den wir vor Stunden in dieser Hölle der Gewalt geschaffen haben. Das trübe Licht einer Straßenlaterne wirft einen goldenen Schimmer auf sein Haar, als er den Kopf senkt und sein Blick mich systematisch abzutasten beginnt.

»Bist du verletzt? Hast du Schmerzen?« Er hebt die Lider. Mir entgeht nicht die Intensität auf seiner Iris. Schmerzhaft spüre ich die Ernsthaftigkeit des Augenblicks. Er sorgt sich, dass der Adrenalinrausch mögliche Verletzungen übertönt. Ich schlucke, versuche mich auf meinen Körper zu konzentrieren. Da ist noch immer dieses unkontrollierte Zittern. Meine Glieder fühlen sich schwer und taub an. Vorsichtig berühre ich meine linke Seite, die in dem Moment, da William mich an sich zog, schmerzhaft zu pulsieren begann.

»Ich … ich weiß nicht. Vielleicht hier.«

Er zögert nur eine Sekunde, bevor er den dünnen Pullover hochschiebt. Seine kühlen Finger streichen sanft über die bloße Haut, tasten das Gewebe ab, dann zieht er die Hand zurück und hebt sie ins Licht. »Kein Grund zur Sorge. Du blutest nicht. Vermutlich eine Prellung. Schließlich habe ich dich mit meinem ganzen Körpergewicht zu Boden gerissen.«

Vorsichtig streift er den Pulli wieder hinab und verschließt die Knöpfe der Jacke vor meiner Brust.

»Das warst du?«, frage ich benommen. Bis eben wusste ich nicht, was mich so gewaltsam niedergerissen hat. Er atmet tief und nickt einmal, bevor er antwortet.

»Du warst wie erstarrt, als die Männer mit den Kalaschnikows um sich feuerten. Alle anderen ließen sich zu Boden fallen …« Sekundenlang schließt er die Augen, vermutlich, weil die Grausamkeit jener Bilder ihn überrollt.

»Oder stürzten getroffen nieder. Aber du …« Ein eisiger Windzug umfährt uns und lässt den Mann vor mir erschauern. »Ich war mir sicher, dass der nächste Schuss dich trifft, wenn ich nicht reagiere. Also habe ich mich auf dich geworfen.« Er schwankt und stützt sich mit ausgestrecktem Arm an der Wand hinter mir ab, senkt den Kopf und schließt die Augen. So stark mein Retter anmutet, die vergangenen Stunden haben ihn seiner Kraftreserven beraubt. Der Kampf um Leben und Tod und die Ungewissheit über den Ausgang dieses Infernos.

»Du hast mir das Leben gerettet«, flüstere ich, benommen von dem Gedanken, was geschehen wäre, hätte William nicht so schnell gehandelt.

Er schüttelt den Kopf und richtet sich mit einem tiefen Atemzug auf.

»Ich habe lediglich reagiert.« Er betrachtet mich eingehend, bevor er fragt: »Wo musst du hin?«

Es ist dieser Augenblick, da mir Eline wieder in den Sinn kommt und so, als hätte sie meinen stillen Ruf gehört, spüre ich das Vibrieren meines Handys in der Hosentasche. Mit bebender Hand ziehe ich das Mobiltelefon hervor. Auf dem Display blinkt der Name meiner Freundin.

Bitte, lieber Gott, lass sie leben, bete ich stumm und nehme mit flatterndem Herzen das Gespräch entgegen.

 

 

 

 

5

Nahe des Bataclan Theater; kurz nach Eintreffen des Sondereinsatz-

kommandos

 

Spürst du dein Herz? Es schlägt! Gleichgültig, dass du gerade der leibhaftigen Hölle entkommen bist, du lebst.

-Silvia Maria de Jong-

 

»Eline«, hauche ich atemlos, in der Hoffnung, die Stimme meiner Freundin zu hören.

»Oh, Gott sei Dank, du hast überlebt …« Elines Worte verstummen und sekundenlang vernehme ich nur ihr Schluchzen. Auch ich spüre die Tränen der Erleichterung, welche meine Wangen benetzen. Ich kann kaum glauben, dass wir beide lebend aus diesem Totenreich herausgekommen sind.

»Was ist mit deinem Freund?«

»Gaspard?« Elines Schluchzen verzerrt den Namen eigentümlich. »Ihm geht es gut. Wir … wir standen nah am Ausgang und konnten schon früh fliehen …«

Aufgewühlt lausche ich ihren Erzählungen, während ich das angespannte Gesicht des Mannes vor mir mustere. Auf den Wangenknochen unterhalb der schwarzen Wimpern, die seine leuchtenden Augen rahmen, sprenkeln dunkle Punkte die ebenmäßige Haut. Ohne nachzudenken, strecke ich den Arm aus und streiche mit den Fingern darüber. Blut. Unsere Körper, unsere Kleider sind übersät mit dem Blut fremder Menschen. Unwillkürlich stöhne ich auf und schließe die Augen, als das Entsetzen dieser Nacht mich in einer gewaltigen Welle überrollt. »Wo … wo bist du jetzt?« Das ist Eline. Ihre schwankende Stimme zerrt mich gewaltsam aus der mörderischen Woge, die mich fortzureißen droht.

»Wir … wir sind in einer Nebengasse, vielleicht fünfhundert Meter vom Bataclan entfernt.«

»Wir?«

»William, er … er hat mir das Leben gerettet.« Während sich die Worte von meinen Lippen lösen, ruht sein Blick auf mir. Diese letzten Stunden haben uns auf ewiglich aneinandergeschweißt. Ohne ihn, ohne den Schutzraum, den er in diesem Höllenverließ geschaffen hat, wäre ich dort, zwischen all den anderen, gestorben. Zu irgendeinem Zeitpunkt, da bin ich sicher, hätte ich die Flucht angetreten und wäre vermutlich im Kugelhagel zusammengebrochen. Bei diesen grausamen Gedanken schüttelt ein Schauer meinen Körper von Neuem.

»William?« Elines Stimme zittert so sehr wie meine Gliedmaßen.

Aus dem Augenwinkel nehme ich ein Auto wahr, welches in die Gasse biegt. William wendet bei dem befremdlichen Geräusch alarmiert den Kopf. Auf dem Dach leuchtet ein helles Taxi-Schild. Ohne zu zögern, tritt er vor und winkt das Fahrzeug heran.

»Das erkläre ich dir später, Eline. Jetzt möchte ich nur noch ins Hotel.« Wir verabschieden uns unter Tränen und geflüsterten Liebesbekundungen, wie es nur Freunde können, voller Dankbarkeit, diesen Abend überlebt zu haben. Als William seine Arme um mich legt und mich in die warme Hülle des Taxis schiebt, fürchte ich einen entsetzlichen Moment lang, dass er zurückbleibt. Der Gedanke, allein zwischen die kühlen und einsamen Laken des Hotelbettes zu kriechen, mit dem Geruch der Angst am Körper und den Bildern des Schreckens in der Seele, lässt mich kurzzeitig erstarren. Doch noch während sich diese Befürchtung in mir ausweitet, spüre ich seine sehnige, warme Struktur, die neben mir in die Polster sinkt.

»Mon Dieu.« Die raue Stimme des Fahrers zwingt mich dazu, den Kopf zu heben. »Ihr wart dabei, richtig? Ihr habt überlebt.« Der letzte Satz ist eine ehrfürchtige Feststellung. Der Mann in der Führerkabine des Mercedes bekreuzigt sich und tastet uns mit Blicken ab, so als befürchte er, dass wir jeden Moment tot zusammenbrechen.

»Ja.« William dreht den Kopf und sieht mich an. Er umschließt mit seinen Fingern die meinen und drückt sie leicht.

»Wir haben überlebt.« Die Ehrfurcht in den Worten ist es, die mir vor Augen führt, wie viele unter den Anwesenden im Bataclan dieses Glück nicht hatten. Wie viele Menschen nun zurückbleiben und ihre getöteten Angehörigen betrauern.

»Wohin wollt ihr? Ich bringe euch überall hin.«

Ich hebe den Blick und begegne Williams klaren Augen. Mit einem sanften Kopfnicken gibt er mir zu verstehen, ich möge dem Fahrer mein Ziel nennen.

»Hotel des Arts am Montmartre«, flüstere ich leise und lasse meinen Kopf erschöpft an Williams Schulter sinken. Nach allem, was wir gemeinsam durchgestanden haben, scheint mir das Bedürfnis nach seiner Nähe nur natürlich. Er legt den Arm um mich und zieht mich an sich. Der Mann, der den Wagen steuert, ist taktvoll genug, das Radio, in dem mit aufgeregten Stimmen über das Attentat berichtet wird, leiser zu stellen. Überall auf den Straßen blinkt das Blaulicht der Polizei. Menschen drängen auf den teils gesperrten Straßenzügen. Die Lichter der Nacht fliegen gleich eines Kaleidoskops an mir vorbei, benebeln meine Sinne. Doch ich weiß, ich darf die Augen nicht schließen. Hinter den geschlossenen Lidern warten die Bilder des Grauens. Williams Finger ziehen sanfte Kreise auf der empfindlichen Haut meiner Wangen, während er selbstvergessen und Lichtjahre entfernt durch das Fenster in die Nacht hinaus starrt.

Ich muss meine Eltern anrufen, vermutlich kommen sie um vor Sorge. Wenn die Nachrichten bezüglich der Anschläge bis nach Deutschland vorgedrungen sind – und im Zeitalter der modernen Medien ist dieses unumgänglich – erahne ich, welche Höllenqualen sie gerade durchleiden. Doch ich bin zu benommen, um mich zu rühren, zu erstarrt, um zu funktionieren. Die grausame Geräuschkulisse der letzten Stunden klingt in mir nach wie in einem Hohlraum und lässt mich immer wieder von neuem Erbeben. In jedem dieser Momente zieht William mich ein wenig fester an sich, lässt mich seine Wärme spüren, das Leben, welches unter seiner Haut pulsiert, und ich frage mich verwirrt, wie zwei völlig Fremde in wenigen Stunden zu einer Einheit verschmelzen können.

»Da wären wir, Monsieur, Madame.« Der Wagen kommt in der schmalen Gasse, vor dem hell erleuchteten Portal des Hotels zum Stehen und reißt mich aus dem gnädigen Zustand der Lethargie. William löst sich gerade weit genug von mir, um nach dem Portemonnaie in seiner Hosentasche zu nesteln, als der Mann am Steuer gebieterisch die Hand hebt.

»Nein, Monsieur. Das übernehme ich. Es war mir eine Ehre, Sie und Ihre Frau hierherfahren zu dürfen.« In den Augen des Fahrers glitzern Tränen. Beschämt senkt er den Kopf.

»Merci, Monsieur.« Williams Stimme klingt rau und maßlos erschöpft in den warmen Korpus des Autos hinein, bevor er die Tür öffnet und der eisige Nachtwind in den Innenraum drängt.

Jetzt wird er gehen, durchfährt es mich, und die Angst vor dem Alleinsein bohrt sich wie ein Schwert in meinen Leib. Er wirft dem Fahrer einen Dankesgruß zu, hilft mir aus dem Wagen und führt mich durch die gläsernen Türen in den Eingangsbereich. Im grellen Licht der Neonröhren nehme ich erstmals wahr, wie blutbefleckt unsere Kleider sind. Williams hellgraue Jeans ist von dunkelroten Flecken durchtränkt, das schwarze Hemd dagegen verbirgt jegliche befremdliche Tönung. Ähnlich ist es mit meiner dunklen Hose, doch der weiße Pulli, der unter dem schützenden Korpus der Lederjacke hervorblitzt, hat die sämige Flüssigkeit regelrecht aufgesogen. In meiner Kehle formiert sich ein hysterisches Vibrieren, wissend, in dem Blut der Toten, die mich auf diesem Kriegsfeld umlagerten, gebadet zu haben. »In ein paar Minuten kannst du dir das Leid vom Körper waschen. Nur noch ein paar Minuten, Bella. Das schaffst du auch noch.« Williams Stimme klingt dicht an meinem Ohr, beruhigt mich auf eigentümliche Weise.

Die Rezeption liegt verwaist da. Aus dem Hinterzimmer erklingt das Tönen eines Fernsehers. Aufgebrachte Stimmen berichten von den Geschehnissen der Nacht. Einem Inferno, dem wir in erster Reihe beigewohnt haben. Vermutlich kann sich der Nachtportier nicht von dem grausamen Szenario losreißen. Schweigend betreten wir den Fahrstuhl. Mit zitternden Fingern drücke ich den Knopf für den dritten Stock, bevor ich die Schlüsselkarte aus der winzigen Handtasche zerre, welche ich mir am frühen Abend umgehängt habe. Wenige Stunden zuvor, durchfährt es mich. Die Welt war in Ordnung und jetzt, nur Augenblicke später …

Als der Fahrstuhl mit einem Ruck zum Stehen kommt, geben meine Beine nach und ich sinke zu Boden. Einmal mehr fängt William den Sturz ab und umschließt geistesgegenwärtig meine Taille. Fast ist es, als stützen wir uns gegenseitig, in dem Moment, da wir auf den Flur hinaustreten, dessen leuchtend roter Teppich dem Blutbad im Bataclan gleicht, und uns langsam auf Zimmer 341 zu bewegen. Zwei Veteranen, die verwundet an Körper und Seele aus dem Krieg heimkehren.

William löst sanft meine Finger von der Karte und schiebt sie in die Vorrichtung. Mit leisem Sirren öffnet sich das Schloss, und nur eine Sekunde später entzünden sich, wie von Geisterhand die Lichter. Sanft schiebt er mich in den Raum, verharrt aber selbst auf der Schwelle. Verwirrt drehe ich den Kopf und sehe ihn fragend an.

»Ab hier schaffst du es allein, Bella.« Seine Stimme dröhnt in meinen Ohren, scheint von weit her zu kommen. Fassungslos sehe ich ihn an und greife nach seiner Hand.

»Nein. Bitte. Ich schaffe das nicht. Ich habe Angst davor, allein zurückzubleiben.«

Ich hebe die Lider und begegne seinen Augen, in denen sich das Entsetzen der vergangenen Stunden spiegelt. Erahne, dass ihn ähnliche Dämonen quälen.

»Ich habe Angst davor, die Augen zu schließen«, flüstere ich fast lautlos. »Angst vor den Bildern, welche die Dunkelheit mit sich bringt. Vor dem Geruch, der mir in die Seele gebrannt scheint. Vor den Träumen …«

Kurz senkt er die Lider, bevor er flüstert: »Ich auch, Bella. Ich auch.«

6

Hotel des Artes; Montmartre.

Die Stunden nach dem Anschlag

 

Vielleicht ist es so, dass gebrochene Herzen einander finden und gegenseitig heilen.

-Silvia Maria de Jong-

 

Es ist mir kaum bewusst, dass ich es bin, die den fremden Mann, der gleichwohl der einzige Verbündete in diesem Gefecht ist, in den Raum zieht. Lautlos fällt die Tür ins Schloss, als ich ihr einen sanften Stoß gebe und William tiefer in das Zimmer führe. Nichts an dieser Nacht ist gewöhnlich. Am allerwenigsten, dass hier zwei Fremde voreinander stehen und sich wortlos in die Arme schließen. Gleich Ertrinkender aneinanderklammern. Sein warmer Körper umfängt mich und dämmt das Zittern meiner Gliedmaßen ein. Ich drücke mein Gesicht in den Stoff seines Hemdes und nehme unter seinem ganz eigenen Duft den metallischen Geruch des Blutes wahr, das unsere Kleider tränkt. Doch noch bin ich nicht gewillt, mich von ihm zu lösen, von der Wärme und dem Trost, welche diese innige Umarmung spendet. Sein Atem streift durch mein Haar, während er mich enger an sich zieht. Durch den dünnen Stoff der Kleidung glaube ich, seinen Herzschlag zu spüren, der gegen meine Brust hämmert. Mir signalisiert, dass wir leben, immer noch. Das wir atmen, nach dieser Katastrophe, die so vielen Menschen den Tod gebracht hat. Erst als der Schmerz in meiner Seite mir ein Aufkeuchen entlockt, lösen wir uns voneinander.

»Wir sollten uns das im Licht ansehen.« William deutet mit einer Handbewegung auf die Stelle, die er schon im Dunkeln der Gasse abgetastet hat. Schweigend geht er voran ins Bad und schaltet das Licht ein. Der Blick in den Spiegel lässt uns erschrocken zurückweichen. Die grelle Leuchte enthüllt die Blutflecken auf Haut und Kleidung gleich Mahnmalen. Was bisher die Dunkelheit verborgen hielt, liegt nun grausam entblößt vor uns. Mein Herz schlägt schmerzhaft gegen den Rippenbogen, als ich näher trete und mein Äußeres in Augenschein nehme. Es sind weniger die dunkelroten Sprenkel, welche wie unschuldig anmutenden Sommersprossen Nase und Wangen zieren, als vielmehr die verkrusteten Haut- und Fleischfetzen, die in meinem langen blonden Haar haften. Bei diesem grauenhaften Anblick und dem Wissen darum, dass es sich um menschliches Gewebe handelt, bringt ein Schwall Übelkeit meinen Magen in Aufruhr. Ich spüre, dass ich mich an Ort und Stelle übergeben muss. Grüne Galle manifestiert sich nur ein paar heftige Atemzüge später auf dem weißen Porzellan des Waschbeckens. William fasst mit einer Hand behutsam mein Haar zusammen. Die andere legt er an meine Stirn.

»Es ist okay«, flüstert er leise, nachdem mein Körper zur Ruhe kommt. Verlegen schenke ich ihm einen entschuldigenden Blick. Er greift nach einem der Waschlappen, die in einem Korb gestapelt liegen, und lässt lauwarmes Wasser darüber laufen, bevor er ihn mir reicht. Ich spüle meinen Mund aus und wische mir mit dem feuchten Tuch über das Gesicht.

Immer wieder drängen sich Bilder in grausamer Intensität in meinen Geist, lassen meinen Magen von Neuem revoltieren. Mit mühsamer Beherrschung richte ich mich auf und drehe mich langsam zu William. Ein zärtlicher Ausdruck liegt in seinen Augen, als er auf mich herabsieht. Erst in diesem Moment bemerke ich, wie groß er ist. Wie beschützend seine Erscheinung, mit den breiten Schultern, die sich unter dem dunklen Hemd formieren. Seine Lider sind halb gesenkt, als er mit sicherem Griff die Knöpfe der Lederjacke öffnet und langsam von meinen Schultern streift. Auf ein Knie sinkend, schiebt er den Stoff des Pullovers bis zur Brust hoch. Behutsam umfasst er meine Hüften und dreht meinen Körper ins Licht, sodass die grelle Beleuchtung die Verfärbung am unteren Rippenbogen bläulich schimmern lässt. Mit einem zischenden Laut saugt er den Atem ein, während seine Finger die Marmorierung der Haut nachfahren. Ein unerwartetes Zittern durchrinnt meinen Körper bei dieser zarten Berührung und lässt ihn den Kopf heben.

»Es tut mir leid, Bella. Es war nicht meine Absicht, dir derartigen Schmerz zuzufügen. Davon wirst du ein paar Tage etwas haben.« Ich hebe die Schultern im Versuch, Gleichgültigkeit zu mimen. Doch alles, was ich wahrnehme, ist sein warmer Atem, der über die bloße Haut meines Bauches streicht. Seine rauen Fingerspitzen, die noch immer auf den blauen Flecken oberhalb meines Beckens ruhen und ein bittersüßes Ziehen unter der Haut verursachen.

Ich weiß, diese Empfindungen, die Reaktionen auf seine Berührungen, sind dem Schock geschuldet. Der verzweifelten Sehnsucht nach Nähe, nach einer solchen Schlacht und dem Hunger nach Leben. Den Beweis dafür, dass ich noch immer existiere. Das Bewusstsein, dass ich noch immer bin, was ich war.

Sich erhebend, hilft er mir, den Pullover ganz abzustreifen. Einen winzigen, atemlosen Moment bleibt er vor mir stehen und sieht mich an. Seine Augen brennen sich in meine Seele, loten jede Untiefe aus, die der heutige Abend ihr zugefügt hat. Mit einem tiefen Aufstöhnen hebt er die Hand und legt sie an mein Gesicht, streicht mit dem Daumen unendlich behutsam über die warme Haut.

»Du solltest dir das Leid vom Körper waschen«, sagt er leise und tritt entschlossen einen Schritt zurück. »Dann wirst du dich besser fühlen.«

 

Alles, was ich sehe, sind dunkle Augen, ähnlich glühender Kohlen. Ihr gespenstisches Leuchten entfacht eine Angst in mir, die fremdartig ist und mein Herz zum Bersten bringt. Ich spüre, wie der Schweiß aus jeder Pore tritt und mir in winzigen Rinnsalen zwischen den Brüsten hinab rinnt. Ich weiß, seine Waffe wird mich im nächsten Atemzug niederreißen. Und doch bleibe ich stehen, erstarrt, unfähig mich zu bewegen. Menschen schreien. Die Luft ist erfüllt von dem schweren, eisenhaltigen Geruch, welcher Blut mit sich trägt. Das klagende Weinen einer Frau übertönt die verzweifelten Rufe. In dem Moment, da ich den Kopf in die Richtung drehe, aus der jene grauenhafte Laute erklingen, ertönt das Geräusch von Schüssen. Ich sehe, wie Menschen zu Boden sinken, sich regelrechte Blutfontänen aus ihrer Brust lösen und alles, was sie umgibt, mit dieser sämigen, dunkelroten Flüssigkeit benetzen. Als die Kugel mich trifft, empfinde ich keinerlei Schmerz. Ich sinke zu Boden und denke, der Tod ist so viel friedlicher und befreiender als der Kampf ums Überleben …

Mit einem gellenden Schrei, der von den Wänden zurück in mein Herz hallt, fahre ich hoch, nicht sicher, ob ich wache oder träume. Mein T-Shirt ist vom Angstschweiß durchtränkt, das Haar feucht. Einzelne Strähnen haften klamm an den Wangen. Keuchend drängt mein Atem über die Lippen. Nicht gewillt sich zu beruhigen, gerät er schließlich gänzlich ins Stocken. Panik mischt sich wie Schießpulver in meine Adern. Ich kann nicht mehr atmen. Lediglich kleine, abgehackte Seufzer entweichen meinen Lungen und signalisieren mir, dass ich jeden Moment ersticke. Mein Herz rast in einer Geschwindigkeit, die mir zu verstehen gibt, dass es jeden Augenblick bersten wird. Was ist das? Ich spüre eine entsetzliche Gewissheit, sterben zu müssen. Mein ganzer Körper beginnt unangenehm zu kribbeln. Verzweifelt bemühe ich mich, Luft in meine Lungen zu saugen. Plötzlich nehme ich hinter mir eine Bewegung wahr, indes sich an den Rändern mein Bewusstsein eintrübt. O Gott. Ich presse eine Hand flach auf meinen Brustkorb, der inständige Versuch, mehr Atemvolumen zu erhalten, doch das Gegenteil ist der Fall. Mit jedem Heben und Senken meiner Brust bin ich ein Stück mehr verloren. In jenem Augenblick, da ich sterbe, umfangen mich von hinten starke Arme und schieben mir eine Plastiktüte über Mund und Nase.

»Langsam. Du musst langsam atmen. Du hyperventilierst, Bella. Dir kann nichts geschehen. Du bist in Sicherheit.«