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Verfassungsprozessrecht E-Book

Christian Hillgruber

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Beschreibung

Das Lehrbuch: Dieser Schwerpunkte-Band zum Verfassungsprozessrecht stellt in Anlehnung an die Lehrbücher zum materiellen Verfassungsrecht von "Degenhart, Staatsrecht I. Staatsorganisationsrecht" und "Kingreen/Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II" die Grundbegriffe, Probleme und systematischen Zusammenhänge des zugehörigen Verfahrensrechts dar. Er vermittelt knapp, klar und einprägsam die prozessualen Voraussetzungen und Problemschwerpunkte von Verfassungsbeschwerde, Organstreitverfahren, abstrakter und konkreter Normenkontrolle und anderen verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten. Die Darstellung orientiert sich dabei in erster Linie an der das Verfassungsprozessrecht prägenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

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Verfassungsprozessrecht

von

Dr. Christian Hillgrubero. Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

und

Dr. Christoph GoosProfessor an der Hochschule Harz, Halberstadt

 

 

5., neu bearbeitete Auflage

 

www.cfmueller.de

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

 

ISBN 978-3-8114-9280-6

 

E-Mail: [email protected]

Telefon: +49 89 2183 7923Telefax: +49 89 2183 7620

 

www.cfmueller.dewww.cfmueller-campus.de

 

© 2020 C.F. Müller GmbH, Waldhofer Straße 100, 69123 Heidelberg

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Vorwort

Entsprechend der Konzeption der Schwerpunkte-Reihe konzentriert sich die hier in 5. Auflage vorgelegte Darstellung des Verfassungsprozessrechts auf die besonders fall- und examensrelevanten verfassungsgerichtlichen Verfahrensarten. Der jeweilige Bearbeiter der einzelnen Abschnitte ergibt sich aus der Inhaltsübersicht. Die Verantwortung für das Gesamtwerk tragen die beiden Autoren gemeinsam.

Die Darstellung orientiert sich in erster Linie an der das Verfassungsprozessrecht prägenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Wir haben an ihr allerdings auch Kritik geübt und einen davon abweichenden eigenen Standpunkt eingenommen, wo uns dies notwendig erschien.

Für die Neuauflage wurden alle Kapitel gründlich durchgesehen, die eine oder andere Passage gekürzt, umgekehrt, wo nötig, Ergänzungen vorgenommen und das Werk insgesamt auf den neuesten Stand gebracht. Erhebliche Veränderungen aufgrund der Fortentwicklung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung haben sich dabei vor allem in den Kapiteln über die Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (§ 3), das Organstreitverfahren (§ 4), das Parteiverbotsverfahren (§ 9) und über „Das Bundesverfassungsgericht und die europäische (Verfassungs-)Gerichtsbarkeit“ (§ 13) ergeben.

In die Neubearbeitung sind auch wieder einige wertvolle Anregungen eingegangen, die die Verfasser von den Hörern ihrer Lehrveranstaltungen in Bonn, Halberstadt und Warschau sowie aus dem Leser- und Kollegenkreis erhalten haben. Anregungen und Verbesserungen erreichen uns weiterhin unter [email protected] und [email protected].

Tatkräftig unterstützt haben uns durch Recherchen und Korrekturen dieses Mal Julia Paul, Eva Reuters, Ann-Kathrin Schnieders, Robert Schwertel-Stahl, Johannes Winkel und – wie schon bei der Vorauflage – Dr. Philipp Bender und Anne Goertz. Ihnen allen gilt unser ganz besonderer, herzlicher Dank.

Bonn und Halberstadt, im Januar 2020

Christian HillgruberChristoph Goos

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort

 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

§ 1Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland

 I.Das Bundesverfassungsgericht als Gericht

 II.Das Bundesverfassungsgericht – ein Verfassungsorgan?

 III.Das Bundesverfassungsgericht als maßgeblicher Letztinterpret des Grundgesetzes: Hüter oder Herr der Verfassung?

 IV.Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?

 V.Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?

 VI.Das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzgeber

 VII.Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts

§ 2Verfahrensarten und Verfahrensgrundsätze

 I.Das Bundesverfassungsgericht als Teil der rechtsprechenden Gewalt

 II.Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen

  1.Grundsätze

  2.Bindung des BVerfG an verfassungswidrige Verfahrensregelungen?

  3.Problematische Zuständigkeitserweiterungen

   a)„In-Verbindung-mit“-Judikatur

   b)Verfassungsprozessuale Bedeutung der Elfes-Logik

   c)„Ausbau“ des Art. 38 GG zum „Anspruch auf Demokratie“

 III.Die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts im Überblick

  1.Organstreitverfahren

  2.Abstrakte Normenkontrolle

  3.Kompetenzkontroll- und Kompetenzfreigabeverfahren

  4.Bund-Länder-Streitverfahren

  5.Weitere föderative Streitigkeiten

  6.Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde

  7.Nichtanerkennungsbeschwerde

  8.Weitere im Grundgesetz geregelte Zuständigkeiten

  9.Einfachgesetzlich geregelte Zuständigkeiten

§ 3Individual- und Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a, 4b GG)

 I.Die Individualverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a GG)

  1.Die Entscheidung für die Verfassungsbeschwerde

  2.Rechtsgrundlagen

  3.Funktion und Bedeutung der Verfassungsbeschwerde

  4.Hohe Eingangszahlen und Strategien zur Entlastung des Gerichts

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Ordnungsgemäßer Antrag

   a)Schriftliche Einreichung (§ 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG)

   b)Funktion und inhaltliche Anforderungen (§§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG)

   c)Ergänzung und Erweiterung des Antrags

   d)Entscheidung trotz Antragsrücknahme?

  2.Beschwerdefähigkeit

   a)Grundrechte

   b)Grundrechtsgleiche Rechte

   c)Nicht rügefähige Rechte

  3.Verfahrensfähigkeit

   a)Grundsätze

   b)Minderjährige

   c)Volljährige

   d)Verstorbene

   e)Sonderfälle

   f)Juristische Personen

  4.Angriffsgegenstand

   a)Gesetzgebung

   b)Vollziehende Gewalt

   c)Rechtsprechung

   d)Hoheitsakte supranationaler Organisationen

  5.Beschwerdebefugnis

   a)Möglichkeit der Grundrechtsverletzung

   b)Eigene, gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit

  6.Vorherige Anrufung der Fachgerichte

   a)Rechtswegerschöpfung

   b)Subsidiarität

   c)Ausnahmen

  7.Frist

   a)Jahresfrist nach § 93 Abs. 3 BVerfGG

   b)Monatsfrist nach § 93 Abs. 1 S. 1 BVerfGG

  8.Rechtsschutzbedürfnis

 III.Die Entscheidung

 IV.Annahmeverfahren

 V.Prüfungsschema (Zulässigkeit)

 VI.Die Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr 4b GG)

  1.Überblick

  2.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

   a)Beschwerdefähigkeit

   b)Prozessfähigkeit

   c)Angriffsgegenstand

   d)Beschwerdebefugnis

   e)Rechtswegerschöpfung und allgemeine Subsidiarität

   f)Subsidiarität gegenüber den Landesverfassungsgerichten

   g)Frist

  3.Entscheidung

  4.Annahmeverfahren

  5.Prüfungsschema (Zulässigkeit)

§ 4Das Organstreitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr 1 GG)

 I.Überblick

  1.Art. 93 Abs. 1 Nr 1 GG

  2.Ausgestaltung im BVerfGG

  3.Verfassungswidrigkeit der §§ 63–67 BVerfGG?

  4.Das Organstreitverfahren als subjektives Rechtsschutzverfahren

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Ordnungsgemäßer Antrag

  2.Parteifähigkeit

   a)§ 63 BVerfGG

   b)Art. 93 Abs. 1 Nr 1 GG

  3.Angriffsgegenstand

  4.Antragsbefugnis

   a)Verteidigung eigener Rechte

   b)Prozessstandschaftliche Geltendmachung von Organrechten

  5.Frist

  6.Rechtsschutzbedürfnis

 III.Die Entscheidung

 IV.Prüfungsschema (Zulässigkeit)

§ 5Das Bund-Länder-Streitverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr 3 GG)

 I.Überblick

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Ordnungsgemäßer Antrag

  2.Partei- und Prozessfähigkeit

  3.Angriffsgegenstand

  4.Antragsbefugnis

  5.Vorverfahren

  6.Frist

  7.Rechtsschutzbedürfnis

 III.Die Entscheidung

 IV.Prüfungsschema (Zulässigkeit)

§ 6Die abstrakten Normenkontrollverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr 2, 2a, Abs. 2 GG)

 I.Zweck und praktische Bedeutung des Verfahrens

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Antragsberechtigung

  2.Tauglicher Prüfungsgegenstand

  3.Antragsgrund: Objektives Klarstellungsinteresse

   a)„Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ iSd Art. 93 Abs. 1 Nr 2 GG

   b)Objektives Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Normverwerfung, § 76 Abs. 1 Nr 1 BVerfGG

   c)Objektives Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Normbestätigung, § 76 Abs. 1 Nr 2 BVerfGG

   d)Verhältnis zu anderen Verfahrensarten

  4.Form und Frist

   a)Form

   b)Frist

 III.Prüfungsmaßstab und Prüfungsumfang

 IV.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkung – Tenorierungsvarianten

 V.Der Sonderfall der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr 2a GG, § 13 Nr 6a BVerfGG

  1.Zweck und Bedeutung des Verfahrens

  2.Antragsberechtigung

  3.Antragsgegenstand

  4.Antragsgrund

  5.Prüfungsmaßstab und Prüfungsumfang

 VI.Das Verfahren nach Art. 93 Abs. 2 GG

 VII.Prüfungsschema für die Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr 2, 2a, Abs. 2 GG

§ 7Das konkrete Normenkontrollverfahren (Art. 100 Abs. 1 GG)

 I.Zweck, Bedeutung und Verfahrensvarianten

  1.Hauptzweck und Nebenzweck

  2.Der mittelbar individualrechtsschützende Charakter des Verfahrens

  3.„Vorlagenflut“ und bundesverfassungsgerichtliche „Gegenstrategie“

  4.Die drei Varianten der konkreten Normenkontrolle

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Vorlageberechtigung

   a)Zuständige Gerichte und geeignete Ausgangsverfahren

   b)Die Stellung der Prozessbeteiligten

  2.Tauglicher Vorlagegegenstand

   a)Gesetze im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG

   b)Beschränkung des Prüfungsgegenstandes auf nachkonstitutionelle Gesetze

   c)Qualifiziertes und einfaches gesetzgeberisches Unterlassen

  3.Entscheidungserheblichkeit

   a)Notwendigkeit einer Entscheidungsalternative

   b)Aufklärungspflicht des vorlegenden Gerichts

   c)Vorlagepflicht in einstweiligen Rechtsschutzverfahren?

   d)Kompetenz zur Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit

   e)Darlegung der Entscheidungserheblichkeit im Vorlagebeschluss

   f)Späterer Wegfall ursprünglich gegebener Entscheidungserheblichkeit

  4.Die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Gesetzesnorm

   a)Darlegungsanforderungen

   b)Das vorrangige Gebot der verfassungskonformen Auslegung

 III.Prüfungsmaßstab

  1.Grundgesetz und (für Landesgesetze) einfaches Bundesrecht

  2.Nichtanwendung kompetenzlos gesetzten oder die Verfassungsidentität verletzenden sekundären Unionsrechts durch die Fachgerichte?

  3.Konkrete Normenkontrolle am Maßstab allgemeiner Regeln des Völkerrechts iSd Art. 25 GG?

 IV.Entscheidungsausspruch und Entscheidungswirkungen

  1.Tenorierungsvarianten

  2.Entscheidungswirkungen

 V.Konkurrenzen

  1.Andere verfassungsgerichtliche Verfahren

  2.Das Verhältnis zur Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 AEUV

 VI.Prüfungsschema (Zulässigkeit)

§ 8Das Normenverifikationsverfahren (Art. 100 Abs. 2 GG)

 I.Zweck und Charakter des Verfahrens

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Vorlageberechtigung und -verpflichtung

  2.Tauglicher Vorlagegegenstand

  3.Zweifel

  4.Entscheidungserheblichkeit

 III.Entscheidungsausspruch und Entscheidungswirkungen

 IV.Die Verletzung der Vorlagepflicht und das BVerfG als gesetzlicher Richter

 V.Prüfungsschema (Zulässigkeit)

§ 9Das Parteiverbotsverfahren (Art. 21 Abs. 2 GG) und das Verfahren der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG)

 I.Sinn und Zweck des Verfahrens

 II.Die Verbotstatbestände des Art. 21 Abs. 2 GG

  1.Der Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung

  2.Die Gefährdung des Bestands der Bundesrepublik Deutschland

  3.Das Verbotsverfahren

  4.Verfahrensablauf

 III.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkungen

 IV.Das Verfahren auf Ausschluss einer Partei von der staatlichen Finanzierung (Art. 21 Abs. 3 GG)

 V.Die Sperrwirkung des Verbotsverfahrens und zulässige Vorfeldmaßnahmen

 VI.Exkurs: Das Verfahren der Grundrechtsverwirkung (Art. 18 GG)

  1.Sinn und Zweck des Verfahrens

  2.Der Verwirkungstatbestand

  3.Verfahrensablauf

  4.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkung

 VII.Prüfungsschema Parteiverbotsverfahren (Zulässigkeit)

§ 10Die Wahlprüfungsbeschwerde (Art. 41 Abs. 2 GG)

 I.Sinn und Zweck des Verfahrens

  1.Parlamentarische Selbstprüfung

  2.Beschwerde zum BVerfG

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Statthaftigkeit

  2.Beschwerdeberechtigung

   a)Mögliche Beschwerdeführer

   b)Besonderheiten bei der Beschwerde von Wahlberechtigten oder Gruppen von Wahlberechtigten

  3.Prüfungsgegenstand

  4.Beschwerdebefugnis

  5.Form

  6.Frist

  7.Rechtsschutzbedürfnis

 III.Begründetheit

  1.Prüfungsumfang

  2.Wahlfehler

  3.Erheblichkeit des Wahlfehlers

 IV.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkungen

  1.Rechtsfolgen für Mandatsträger

  2.Bestand von Parlamentsbeschlüssen

  3.Erlass neuer Wahlrechtsnormen

 V.Verhältnis zu anderen Verfahrensarten

 VI.Prüfungsschema

§ 11Die einstweilige Anordnung (§ 32 BVerfGG)

 I.Sinn und Zweck des Verfahrens

 II.Die Zulässigkeitsvoraussetzungen

  1.Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts

  2.Antragserfordernis

  3.Antragsberechtigung und Antragsbefugnis

  4.Zulässiger Antragsinhalt

  5.Keine Vorwegnahme der Hauptsache

  6.Rechtsschutzbedürfnis

  7.Form und Frist

 III.Begründetheit

  1.Strenger Maßstab

  2.Die Maßstäbe der Entscheidung über die einstweilige Anordnung

   a)Auf Zulässigkeit/Unzulässigkeit und offensichtliche Begründetheit/Unbegründetheit beschränkte Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens

   b)Folgenabwägung

  3.Dringlichkeit

 IV.Entscheidungsinhalt und Entscheidungswirkungen

 V.Widerspruch

 VI.Befristung und Wiederholung

 VII.Schadensersatz?

 VIII.Prüfungsschema

§ 12Das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte

 I.Einführung

 II.Vorgaben des Grundgesetzes

  1.Verfassungsgerichtskompetenz der Länder

  2.Bedeutung des fachgerichtlichen Rechtswegs

  3.Angriffsgegenstände

  4.Prüfungsmaßstäbe

  5.Kontrolle der Landesverfassungsgerichte durch das Bundesverfassungsgericht

 III.Zuständigkeiten der Landesverfassungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts

  1.Das konkrete Normenkontrollverfahren

  2.Individualverfassungsbeschwerde

  3.Landesverfassungsbeschwerden und einheitliche Anwendung des Bundesrechts

  4.Subsidiarität und überschneidungsfreie Bereiche

 IV.Zusammenfassung

§ 13Das Bundesverfassungsgericht und die europäische („Verfassungs“-)Gerichtsbarkeit

 I.Bundesverfassungsgericht und EuGH

  1.Rechtsprechungsdualismus als Folge der verfassungsrechtlich vermittelten Anwendung des Völker- und Europarechts im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland

  2.Identitäts- und Ultra-vires-Kontrolle europäischer Rechtsakte durch das BVerfG

  3.Grundsätzlich unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe des BVerfG und des EuGH

   a)Die Behandlung entscheidungserheblicher europarechtlicher Vorfragen im Zusammenhang mit der ultra-vires- und der Identitätskontrolle sowie bei Anwendung der Unionsgrundrechte

   b)Die eingeschränkte Überprüfung richtlinienumsetzender Gesetze

   c)Europarecht als Prüfungsgegenstand des BVerfG?

  4.Konzentration der Kompetenz zur Nichtanwendung formeller Bundes- und Landesgesetze wegen Europarechtswidrigkeit beim BVerfG analog Art. 100 Abs. 1 GG?

  5.Indirekte Rechtsprechungskonkurrenzen

 II.Bundesverfassungsgericht und EGMR

  1.Individualbeschwerde zum EGMR/Verfassungsbeschwerde zum BVerfG – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

  2.Bedeutung der EMRK für sonstige verfassungsgerichtliche Verfahren

  3.Weitere Europäisierung und Internationalisierung des deutschen Grundrechtsschutzes?

 Sachverzeichnis

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die in diesem Buch mit Datum und Aktenzeichen zitiert werden, finden sich im Volltext auf der Homepage des Gerichts (www.bundesverfassungsgericht.de). Viele der nach der quasi-amtlichen Sammlung „BVerfGE“ zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind im Internet unter www.fallrecht.de zu finden. Die Abkürzung „BVerfGK“ steht für die mit Erscheinen des 20. Bandes im Jahr 2014 eingestellte Sammlung der Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsrechts. Die Abkürzung „BVerfG-K“ (mit Aktenzeichen und Datum oder Fundstelle) macht deutlich, dass es sich bei der zitierten Entscheidung um eine Kammerentscheidung handelt. In diesem Buch zitierte Internetseiten wurden zuletzt am 31. Dezember 2019 abgerufen.

§ 1Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland

Inhaltsverzeichnis

I.Das Bundesverfassungsgericht als Gericht

II.Das Bundesverfassungsgericht – ein Verfassungsorgan?

III.Das Bundesverfassungsgericht als maßgeblicher Letztinterpret des Grundgesetzes: Hüter oder Herr der Verfassung?

IV.Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?

V.Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?

VI.Das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzgeber

VII.Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts

§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › I. Das Bundesverfassungsgericht als Gericht

I.Das Bundesverfassungsgericht als Gericht

1

Das Bundesverfassungsgericht übt rechtsprechende Gewalt aus (Art. 92 HS 2 GG), die Richtern anvertraut ist (Art. 92 HS 1 GG). Das BVerfGG qualifiziert daher das Bundesverfassungsgericht als einen allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbstständigen und unabhängigen Gerichtshof des Bundes (§ 1 Abs. 1 BVerfGG). Die Stellung des BVerfG als Gericht bedeutet, dass aus Richtern zusammengesetzte Spruchkörper, die nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen sind (Art. 97 Abs. 1 GG), in ihre Zuständigkeit fallende Streitigkeiten anhand rechtlicher Maßstäbe entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht übt wie jedes andere Gericht Rechtskontrolle aus, indem es in den ihm zur Zuständigkeit zugewiesenen Streitigkeiten das Verhalten sämtlicher anderer Staatsorgane sowie der Verwaltungsbehörden und Fachgerichte am Maßstab des Grundgesetzes – und teilweise bei Akten der Landesstaatsgewalt auch am Maßstab sonstigen Bundesrechts, das Vorrang genießt (Art. 31 GG) – entscheidet. Diese gerichtsförmige Rechtskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterscheidet sich nicht prinzipiell von der anderer Gerichte. Die interpretative Sinnentfaltung des Grundgesetzes stellt zwar angesichts dessen regelmäßiger Wortkargheit und der relativen Unbestimmtheit der verwandten Rechtsbegriffe wohl eine noch anspruchsvollere Aufgabe als die der Gesetzesauslegung und -anwendung dar. Dies macht den Vorgang – anders als Carl Schmitt gemeint hat – aber noch nicht notwendig zu politischer Dezision, auch wenn die Prüfungsgegenstände selbst nicht selten politischer, ja hochpolitischer Natur sind und die Einleitung und Durchführung des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, erst recht aber seine rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen, auch politischer Natur sind. Die Aufgabe des BVerfG bleibt dessen ungeachtet die eines Gerichts.

2

Die Beschränkung der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht auf eine Kontrolle der Grundrechtskonformität von Akten öffentlicher Gewalt macht das Bundesverfassungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren (Art. 93 Abs. 1 Nr 4a GG) gegenüber der zwecks Erschöpfung des Rechtswegs vom Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst anzurufenden Fachgerichtsbarkeit genau zu jenem, eine auf die mögliche Verletzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte beschränkte Rechtmäßigkeitskontrolle durchführenden „Superrevisionsgericht“, welches das Bundesverfassungsgericht nach eigenem Bekunden nicht sein will (BVerfGE 7, 198, 207). Indem das BVerfG die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall allein zur Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und seiner eigenen Nachprüfung entzogen erklärt hat (BVerfGE 18, 85, 92), weist es lediglich die Rolle eines „Superberufungsgerichts“ von sich. Entgegen seinem erklärten Selbstverständnis unterzieht es allerdings doch immer wieder einmal Streitgegenstände einer umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung und geriert sich damit wie ein Berufungsgericht.

3

Es entspricht dem Gerichtscharakter des BVerfG, dass es nur auf Antrag entscheidet (vgl zum Antragsgrundsatz § 23 Abs. 1 S. 1 BVerfGG) und grundsätzlich nur über den Gegenstand, den der Antrag vorgibt (vgl BVerfGE 2, 347, 367 f; 73, 1, 28 – Organstreit; 93, 121, 151 f – SV Böckenförde; zur Möglichkeit nachträglicher Beschränkung siehe BVerfGE 126, 1, 17 f)[1]. Auch für das BVerfG gilt also grundsätzlich: wo kein Kläger, da kein Richter. Die Antragsabhängigkeit des Tätigwerdens des BVerfG erfährt zwei bedeutende Einschränkungen: Zum einen hält es sich ohne nähere Begründung für befugt, auch von Amts wegen eine vorläufige Regelung eines streitbefangenen Rechtsverhältnisses durch Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG zu erlassen (BVerfGE 1, 74, 75; 1, 281, 282 f; 42, 103, 119 f; 46, 337, 338; 112, 284, 293; 140, 211, 224)[2]. Zum anderen ist das BVerfG im – dem Individualrechtsschutz dienenden – Verfassungsbeschwerdeverfahren und im kontradiktorischen Organstreitverfahren dazu übergegangen, nach Antragsrücknahme bei Bestehen eines von ihm selbst festzustellenden „objektiven“ Klärungsbedürfnisses noch in der Sache zu entscheiden (BVerfGE 1, 396, 414 f; 24, 299, 300; 98, 218, 242 f; 106, 210, 213)[3]. Damit ist die Dispositionsmaxime aufgehoben und das Antragserfordernis in seiner Bedeutung auf eine Anstoßfunktion reduziert. Mit der Verfahrenseinleitung durch Antragstellung geht die Herrschaft über das Verfahren (vgl Rn 21 ff) auf das BVerfG über.

4

Die Tatsache, dass das BVerfG nicht von sich aus initiativ werden, sondern nur nachträglich kontrollieren kann, bedeutet jedoch nicht notwendig, dass es nur reagieren, nicht auch gestalterisch agieren könnte. So verhält es sich beispielsweise, wenn es im verfassungsgerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung eine bis zur Hauptsacheentscheidung verbindliche Interimsregelung trifft, die rechtsgestaltende Wirkung entfaltet. Auch mit seinen Hauptsacheentscheidungen hat das BVerfG einen nicht lediglich negatorisch definierten Anteil an der Ausübung der übrigen Staatsgewalten. Zwar kann es im Organstreitverfahren und im Bund-Länder-Streitverfahren nur die Verfassungswidrigkeit der beanstandeten Maßnahme feststellen, im Verfassungsbeschwerde- und Normenkontrollverfahren jedoch auch Maßnahmen der Exekutive, Judikative und selbst Gesetzgebungsakte aufheben. Es hat darüber hinaus sich selbst, unter Berufung auf § 35 BVerfGG, die Befugnis zugeschrieben, in Ausübung seiner reklamierten Letztverantwortung für die Durchsetzung der Verfassung den Gesetzgeber unter Setzung einer Frist, nach deren fruchtlosen Verstreichen eine von ihm selbst dekretierte Regelung maßgeblich sein soll, zur Behebung des Verfassungsverstoßes ultimativ anzuweisen (s. dazu Rn 28 ff).

5

Das Fehlen einer eigenen Initiativbefugnis hat den Aktionsradius des BVerfG im Übrigen bisher nicht wirklich entscheidend eingeengt. Es hat sich fast immer noch ein Staatsorgan, ein Teil desselben oder aber jedenfalls ein Bürger gefunden, der das BVerfG mit dem Ziel der Klärung der verfassungsrechtlichen Rechtslage angerufen hat. So sind praktisch alle hochpolitischen Streitfragen, die die Republik bewegt haben, in mehr oder minder großem Umfang zur Nachprüfung durch das BVerfG gestellt worden. Durch kontinuierliche Rechtsprechung kann das BVerfG auch mehr als bloß punktuell intervenieren, vielmehr ganze Rechtsgebiete (zB das Familien-, Steuer- und Sozialrecht) nach seinem maßgeblichen verfassungsrechtlichen Willen (um-)gestalten.

6

Die jüngere Praxis des BVerfG (vgl E 104, 305, 306 f), den Streitparteien Vorschläge für eine außergerichtliche Streitbeilegung („einvernehmliche Verständigung“) zu unterbreiten, die den Antragsteller veranlassen sollen, den gestellten Antrag zurückzunehmen bzw die Voraussetzungen dafür schaffen sollen, dass die Beteiligten verfahrensbeendende Erklärungen (übereinstimmende Erledigungserklärungen) abgeben, sieht sich – ungeachtet der Tatsache, dass eine Antragsrücknahme in allen Verfahren möglich ist (zu Einschränkungen beim abstrakten Normenkontrollverfahren s. § 6) – erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt[4]. Verfassungsrecht ist zwingendes Recht; die durch das GG gebundene Staatsgewalt (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) darf von den ihr auferlegten verfassungsrechtlichen Bindungen nicht dispensiert werden. Daher eignet sich die Verfassung nicht für einen Deal. Das selbst der Verfassung unterworfene BVerfG darf zu einer solchen verfassungsrechtlichen Entbindung nicht beitragen, auch nicht dadurch, dass es durch mehr oder weniger sanften Druck einen Antragsteller dazu bewegt, sich mit weniger zufrieden zu geben als verfassungsrechtlich geschuldet ist und daher vom BVerfG bei einer Entscheidung in der Sache zugesprochen werden müsste. Daher käme ein „Vergleichsvorschlag“ des BVerfG, bei dessen Annahme der Überprüfungsantrag zurückgenommen wird, überhaupt nur dann in Betracht, wenn und soweit der Antrag unbegründet ist, also der „verklagten“ Staatsgewalt der gerügte Verfassungsverstoß tatsächlich nicht zur Last fällt. Dann aber darf sich das BVerfG nicht dem Vorwurf der Parteilichkeit aussetzen, weil es dem Antragsteller durch die dem Antragsgegner praktisch aufgenötigte außergerichtliche Einigung mehr gibt als dieser verfassungsrechtlich beanspruchen kann. Das BVerfG spielt sich mit solchem Verhalten als Moderator des politischen Prozesses auf, eine Rolle, die ihm nicht zukommt. Seine verfassungsgemäße Aufgabe als „Hüter der Verfassung“ (BVerfGE 1, 184, 195, 197; 1, 396, 408; 6, 300, 304; 40, 88, 93) beschränkt sich auf die Kontrolle der Einhaltung der Verfassung; diese Kontrolle muss es allerdings, wenn es in zulässiger Weise angerufen wird, auch wahrnehmen; ihr darf es sich nicht in falsch verstandenem judicial self-restraint (siehe dazu Rn 46) entziehen.

7

Angesichts der dem BVerfG gestellten Aufgabe gerichtsförmiger Rechtskontrolle potenziell sämtlichen dem Staat zurechenbaren Handelns und Unterlassens am Maßstab der Verfassung treffen das GG und das BVerfGG Vorkehrungen dafür, dass die Richter des BVerfG eine Unabhängigkeit gewährleistende Distanz gegenüber den von ihnen kontrollierten Gewalten besitzen und wahren. So dürfen nach der Inkompatibilitätsvorschrift des Art. 94 Abs. 1 S. 3 GG die Mitglieder des BVerfG weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören (vgl auch § 3 Abs. 3 S. 1 und 2 BVerfGG). Mit der richterlichen Tätigkeit am BVerfG ist auch eine andere berufliche Tätigkeit als die eines Lehrers des Rechts an einer deutschen Hochschule unvereinbar (§ 3 Abs. 4 S. 1 BVerfGG). Ein zum Richter des BVerfG gewählter Beamter oder Richter scheidet grundsätzlich mit der Ernennung aus seinem bisherigen Amt aus (§ 101 Abs. 1 S. 1 BVerfGG). Neben diesen abstrakten Sicherungsvorkehrungen greifen gegebenenfalls noch der konkrete Ausschluss vom Richteramt nach § 18 BVerfGG und die Richterablehnung wegen Befangenheit (§ 19 BVerfGG) ein[5].

§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › II. Das Bundesverfassungsgericht – ein Verfassungsorgan?

II.Das Bundesverfassungsgericht – ein Verfassungsorgan?

8

Das BVerfG hat sich über seine unbestrittene Gerichtsqualität hinaus in der berühmten „Status-Denkschrift“ vom 27. Juni 1952[6] selbst den Status eines Verfassungsorgans attestiert[7]. Davon geht implizit auch das BVerfGG aus, wenn es ihm in § 1 Abs. 1 Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber „allen übrigen Verfassungsorganen“ zuschreibt[8]. Auch der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die vom BVerfG erstrittene Stellung des BVerfG anerkannt, wie aus der amtlichen Begründung zur Einführung des Art. 115g GG hervorgeht, der jedwede Beeinträchtigung der „verfassungsmäßige[n] Stellung“ des BVerfG im Verteidigungsfall untersagt[9]. Die Status-Denkschrift hat mit der Rolle des BVerfG als „oberstem Hüter der Verfassung“ argumentiert. Das BVerfG sei insoweit „nach Wortlaut und Sinn des Grundgesetzes und des Gesetzes über das BVerfG zugleich ein mit höchster Autorität ausgestattetes Verfassungsorgan, in eine ganz andere Ebene als alle anderen Gerichte gerückt“. Ausdruck des besonderen organisatorischen Status des BVerfG sind seine – seit 1986 ausdrücklich anerkannte (vgl § 1 Abs. 3 BVerfGG) – Geschäftsordnungsautonomie, seine Ressortfreiheit, die herausgehobene protokollarische Stellung seines Präsidenten sowie schließlich sein Recht auf Beteiligung bei der Aufstellung des Entwurfs des Bundeshaushaltsplans durch Voranschläge des Präsidenten (vgl § 28 Abs. 3 BHO) und auf autonome Bewirtschaftung der bewilligten und in einem eigenen Einzelplan ausgewiesenen Haushaltsmittel.

9

Ob das BVerfG aufgrund dieses Status auf einer Ebene mit den anderen, von ihm kontrollierten Verfassungsorganen oder im Hinblick auf seine Kontrollbefugnis gar über diesen Staatsorganen steht[10], ist eine Frage der Definition. Entscheidend ist, dass die Redeweise vom BVerfG als Verfassungsorgan nichts anderes bedeuten kann als den Versuch, die dem BVerfG zugewiesenen Kompetenzen auf einen als Abbreviatur fungierenden Begriff zu bringen[11]. Dagegen dürfen aus dem so, also induktiv gewonnenen Begriff weitere Rechtsfolgen, insbesondere zusätzliche Kompetenzen des BVerfG nicht deduziert werden. Eine solche Ableitung wäre nichts anderes als unzulässige und irreführende Begriffsjurisprudenz.

§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › III. Das Bundesverfassungsgericht als maßgeblicher Letztinterpret des Grundgesetzes: Hüter oder Herr der Verfassung?

III.Das Bundesverfassungsgericht als maßgeblicher Letztinterpret des Grundgesetzes: Hüter oder Herr der Verfassung?

10

Mit dem BVerfG ist ein organisatorisch selbstständiges Gericht errichtet worden, welches die Verfassung letztentscheidend mit Verbindlichkeitsanspruch interpretiert. Das BVerfG nimmt diese Kompetenz wie selbstverständlich in Anspruch (BVerfGE 108, 282, 295): „Entsprechend seiner Aufgabe, das Verfassungsrecht zu bewahren, zu entwickeln und fortzubilden […, hat es] selbst letztverbindlich über dessen Auslegung und Anwendung zu entscheiden.“ Allerdings tritt diese zentrale Funktion des BVerfG nicht unmittelbar in Erscheinung; denn das BVerfG entscheidet in erster Linie die ihm zur Entscheidung zugewiesenen, konkreten Verfassungsstreitigkeiten; es stellt die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des geprüften Rechtsakts mit der Verfassung fest und zieht daraus gegebenenfalls noch weitere Konsequenzen, insbesondere erklärt es mit dem GG unvereinbar befundene Gesetze und sonstige Rechtsnormen für nichtig (§§ 78 S. 1, 82 Abs. 1, 95 Abs. 3 S. 1 BVerfGG) und hebt verfassungswidrige Verwaltungsakte und Gerichtsentscheidungen auf (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Die maßgebliche Interpretation des Grundgesetzes bildet für diesen, sich im Tenor der Entscheidung widerspiegelnden Entscheidungsinhalt lediglich die präjudizielle Vorfrage.

11

Das BVerfG betreibt also keine prinzipale Verfassungsauslegung, erklärt nicht abstrakt, was Inhalt der Verfassung ist. Das gilt auch für das Organstreitverfahren ungeachtet der missverständlichen Formulierung des Art. 93 Abs. 1 Nr 1 GG. Die Streitigkeit zwischen obersten Bundesorganen oder anderen Beteiligten über den Umfang der Rechte und Pflichten, die ihnen das GG einräumt, bildet nicht lediglich den „Anlass“ für die Auslegung des Grundgesetzes, sondern den eigentlichen Prüfungsgegenstand; dementsprechend ordnet § 67 BVerfGG im Hinblick auf den Entscheidungsinhalt an, dass das BVerfG in seiner Entscheidung feststellt, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt (Satz 1). Das BVerfG kann in der Entscheidungsformel zugleich eine für die Auslegung der Bestimmung des Grundgesetzes erhebliche Rechtsfrage entscheiden, von der die Feststellung gemäß Satz 1 abhängt (§ 67 S. 3 BVerfGG). Aber auch diese Rechtsfrage, über die das BVerfG hier mitentscheidet, ist mit der Interpretation des Grundgesetzes, die das BVerfG zur Beantwortung dieser Frage vornimmt, nicht identisch (s. dazu Rn 418 ff). Nichts anderes gilt für die Rechtsfragen, über die das BVerfG in den Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 und 100 Abs. 3 GG „ausschließlich“ entscheidet (vgl §§ 81, 85 Abs. 3 BVerfGG). Von der formellen und materiellen Rechtskraft, die den nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen des BVerfG wie allen letztinstanzlichen Gerichtsentscheidungen zukommt, wird die Auslegung des Grundgesetzes, die das BVerfG vornimmt, als vorgreifliche Frage daher nicht erfasst.

12

Die Verbindlichkeit der inzidenten Verfassungsauslegung durch das BVerfG folgt denn auch nicht aus der Verfassung selbst; nach Art. 20 Abs. 3 GG sind die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt nur an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden, nicht aber an die Auslegung dieser Ordnung durch das BVerfG (vgl BVerfGE 77, 84, 103 f). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 93 Abs. 1 GG. Zwar weist diese Vorschrift dem BVerfG bestimmte Entscheidungszuständigkeiten zu, und wenn das BVerfG „entscheiden“ soll, dann impliziert die Anerkennung dieser Entscheidungsgewalt auch deren Verbindlichkeitsanspruch. Dieser erfasst jedoch nur die Entscheidung als solche, dh den in Rechtskraft erwachsenden Tenor der Entscheidung, nicht aber dafür vorgreifliche Verfassungsauslegungen.

13

Die Verbindlichkeit der vom BVerfG vorgenommenen Auslegung des Grundgesetzes ergibt sich vielmehr erst aus § 31 Abs. 1 BVerfGG, und auch daraus nur dann, wenn man an der Bindungswirkung der Entscheidung die sie tragenden Gründe (rationes decidendi), soweit sie Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten, teilhaben lässt[12]. Diese Deutung des § 31 Abs. 1 BVerfGG entspricht dem Selbstverständnis des BVerfG[13], das sich für den „maßgeblichen Interpreten und Hüter der Verfassung“, für die „verbindliche Instanz in Verfassungsfragen“ hält (BVerfGE 40, 88, 93 f; 112, 268, 277; 150, 204, 227). Darin dürfte – entgegen kritischen Stimmen in der Literatur[14] – wohl auch der eigentliche Sinngehalt des § 31 Abs. 1 BVerfGG liegen, über die personelle Geltungserstreckung der Rechtskraft der Entscheidungen des BVerfG auf alle staatlichen Organe, auch alle Behörden und Gerichte, hinaus[15]. Handeln Letztere dieser einfachgesetzlich angeordneten Bindungswirkung zuwider, dh setzen sie sich darüber hinweg, so liegt in diesem Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw gegen die Gesetzesbindung der rechtsprechenden Gewalt zugleich ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG, der vom BVerfG auf Verfassungsbeschwerde hin, die auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützt werden kann, durch Aufhebung des Verwaltungsaktes bzw der Gerichtsentscheidung sanktioniert wird (BVerfGE 115, 97, 108; BVerfGK 7, 229, 236). Dagegen kann sich der Gesetzgeber der in § 31 Abs. 1 BVerfGG für ihn liegenden Selbstbindung durch einen gegenläufigen Gesetzgebungsakt auch wieder entledigen.

14

Dass letztlich nur das BVerfG, genauer: der Senat, der entschieden hat, wissen kann, welches die tragenden Gründe seiner Entscheidung gewesen sind, steht auf einem anderen Blatt[16]. Nur das BVerfG selbst kann sein eigener authentischer Interpret sein. Die tragenden Entscheidungsgründen gehören daher zu den arcana imperii; ihre alleinige Kenntnis bildet das Herrschaftswissen des BVerfG, mittels dessen es seine Verfahrensherrschaft (s. dazu Rn 21 ff) ausübt.

15

Im Ergebnis bedeutet § 31 Abs. 1 BVerfGG, dass die Auslegung, die das BVerfG im Rahmen seiner Entscheidungen dem GG gibt, nicht nur in dem Sinne praktisch wirksam ist, dass sich alle staatlichen Organe, wollen sie nicht Gefahr laufen, in Karlsruhe „aufzulaufen“, in ihrem Verhalten darauf einstellen werden, sofern nicht ausnahmsweise ersichtlich ist, dass sich das BVerfG, das selbst keiner Bindung an seine Rechtsprechung unterliegt (BVerfGE 4, 1, 38 f; 85, 117, 121 f), von dieser Auslegung in der ihm eigenen Souveränität wieder lösen könnte. Vielmehr ist diese Auslegung auch rechtsverbindlich, so dass von ihr nicht in zulässiger Weise abgewichen werden darf; etwas anderes gilt lediglich für den Gesetzgeber, der keinem Normwiederholungsverbot unterliegt (vgl BVerfGE 77, 84, 103 f; 96, 260, 263; 135, 259, 281; aA allerdings der Zweite Senat, vgl BVerfGE 1, 14, 15 (LS 5); 69, 112, 115) und damit den Anstoß für eine – im Falle einer verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle mögliche – Überprüfung dieser Auslegung durch das BVerfG selbst geben kann[17].

16

Die Verbindlichkeit der Verfassungsauslegung durch das BVerfG macht dieses Gericht nicht zum authentischen Interpreten der Verfassung, wodurch es Anteil an der Verfassungsgesetzgebung hätte; da ihm die Verfassung als Maßstab vorgegeben ist, kann es nicht zugleich selbst über sie verfügen. Wohl aber liegt bei ihm die Kompetenz zur autoritativen, letztverbindlichen Auslegung des Grundgesetzes, was ihm die im wahrsten Sinne des Wortes entscheidende Interpretationsherrschaft verschafft.

17

Das BVerfG besitzt kein Interpretationsmonopol hinsichtlich der Verfassung, aber in Sachen Auslegung der Verfassung das maßgebliche letzte Wort. Die anderen Verfassungsorgane sind dagegen lediglich zur Erst- oder Zweitinterpretation der ihr Handeln verfassungsrechtlich determinierenden Grundgesetzbestimmungen berufen. Der vom BVerfG (BVerfGE 106, 310 ff) abschließend entschiedene Streit um das wirksame Zustandekommen des so genannten Zuwanderungsgesetzes macht dies deutlich. Die Interpretation der hier maßgeblichen Vorschrift des Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG lag zunächst in der Hand des Bundesrates, genauer: in der Hand des die Verhandlungsleitung innehabenden und die vom Bundesrat gefassten Beschlüsse feststellenden Präsidenten des Bundesrates, sodann – in Zweitinterpretation – beim Bundespräsidenten, der vor Entscheidung über die Ausfertigung des Gesetzes dessen ordnungsgemäßes Zustandekommen gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG prüfen musste. Das entscheidende letzte Wort gebührte dann dem in einem abstrakten Normenkontrollverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr 2 GG angerufenen BVerfG.

18

Durch das Letztentscheidungsrecht des BVerfG wird die Erst- und Zweitinterpretation durch sonstige Verfassungsorgane jedoch nicht etwa bedeutungslos. Das gilt zum einen deshalb, weil zum Zeitpunkt der mit ihrer Interpretation zeitlich zusammenfallenden Anwendung der einschlägigen Verfassungsbestimmungen noch gar nicht feststeht, ob das BVerfG in zulässiger Weise angerufen werden wird, so dass es seine Letztentscheidungsbefugnis ausüben kann. Zum anderen hat die vorgängige Erst-, auf jeden Fall aber die Zweitinterpretation des Grundgesetzes durch den zur Ausfertigung von Bundesgesetzen berufenen Bundespräsidenten im Fall der Anrufung des BVerfG unter Umständen eine entscheidende Bedeutung, nämlich dann, wenn bei der Entscheidungsfindung des BVerfG im zuständigen Senat Stimmengleichheit auftreten sollte[18]. Dann kann ein Verstoß gegen das GG, der mit dem Antrag geltend gemacht wird, nicht festgestellt werden (§ 15 Abs. 4 S. 3 BVerfGG)[19]. Es unterliegt also in diesem Fall der Antragsteller; es obsiegt der Antragsgegner. Es kann daher letztlich entscheidend sein, welche Seite aufgrund der zunächst maßgeblichen Erst- bzw Zweitinterpretation der Verfassung in die „Angreiferrolle“ gezwungen wird und welche Seite die bequemere „Verteidigungsposition“ einnimmt. Schon deshalb dürfen Bundespräsidenten sich bei Ausübung ihres formellen und – wenn auch auf Evidenzfälle begrenzten – materiellen Prüfungsrechts nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG nicht einfach damit begnügen, „den Weg nach Karlsruhe frei zu machen“. Der Weg nach Karlsruhe steht immer offen. Fraglich ist nur, wer ihn beschreiten und damit das Risiko des Unterliegens, insbesondere einer für ihn nachteiligen Vier-zu-Vier-Entscheidung tragen muss.

19

Die Kompetenz des BVerfG, vom Parlament erlassene Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu kontrollieren und bei Feststellung der Unvereinbarkeit für nichtig zu erklären, begründet eine außerordentliche Rechtsmacht in der Hand des Verfassungsgerichts, die das politische Koordinatensystem entscheidend verändert: Es kommt zum Übergang des parlamentarischen Gesetzgebungs- zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat[20]. Wer dagegen vorbringt, Verfassungsgerichtsbarkeit füge doch der materiellrechtlichen Bindung an die Verfassung, dh dem Vorrang der Verfassung, der sich auch der Gesetzgeber beugen müsse (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) nichts hinzu, übersieht geflissentlich die Interpretationsfähigkeit und -bedürftigkeit der Verfassung und die durch die Befugnis zur letztverbindlichen Interpretation der Verfassung begründete Interpretationsherrschaft des BVerfG[21]. Anders formuliert – in Anlehnung an Carl Schmitts berühmtes Diktum: „Souverän ist, wer über die Verfassungsinterpretation gebietet“[22].

20

Denkt man sich das „(Verfassungs-)Haus ohne Hüter“, also die Institution des BVerfG, wie sie das GG verfasst hat, einmal hypothetisch weg, dann unterläge zwar die Verwaltung wegen der Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG einer gerichtsförmigen Kontrolle am Maßstab auch der Verfassung, und auch die anderen Fachgerichte könnten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten aufgrund ihrer unmittelbaren Bindung an die Grundrechte und die Verfassung im Ganzen (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) deren Unverbrüchlichkeit verbürgen. Der parlamentarische Gesetzgeber wäre aber keiner prinzipalen Kontrolle unterworfen, und Gesetze könnten, sofern sie nicht in Individualrechte eingreifen und dagegen fachgerichtlicher Individualrechtsschutz mobilisiert werden kann, nicht auf ihre objektive Übereinstimmung mit der Verfassung überprüft werden. Daher liegt in der Einrichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit, welche die umfassende Zuständigkeit für eine abstrakte und konkrete, prinzipale und inzidente, unmittelbare und mittelbare Kontrolle von formellem Gesetzesrecht besitzt, eine partielle Entmachtung des Gesetzgebers. Nur der verfassungsändernde Gesetzgeber kann – als authentischer Interpret der Verfassung – der verbindlichen Interpretation des Grundgesetzes durch das BVerfG wirksam entgegentreten. Aber auch er muss gewärtigen, verfassungsgerichtlicher Kontrolle, wenn auch nur am eingeschränkten Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG, unterworfen zu werden.

§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › IV. Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?

IV.Das Bundesverfassungsgericht – Herr des Verfahrens?

21

Das BVerfG hat sich wiederholt, seit Beginn seiner Rechtsprechung, als „Herr seiner Verfahren“ bezeichnet (vgl BVerfGE 13, 54, 94; 36, 342, 357; 60, 175, 213). Es leitet diesen Herrschaftsanspruch insbesondere aus der für sich reklamierten Stellung als Verfassungsorgan ab.

22

Die Behauptung eigener Verfahrensautonomie des BVerfG wird prima facie durch Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG dementiert. Denn danach sind dem BVerfG – anders als den übrigen Verfassungsorganen – Verfassung und Verfahren durch den Bundesgesetzgeber vorgegeben. Es besitzt also gerade nicht die Befugnis, sein Verfahren selbst zu regeln[23]. Die erstrittene Geschäftsordnungsautonomie betrifft lediglich den internen Geschäftsgang, nicht aber die Stellung des BVerfG gegenüber den Verfahrensbeteiligten. Die Redeweise vom BVerfG als „Herr seiner Verfahren“ wird denn auch im Schrifttum als „gründlich missglückt“ charakterisiert[24], verbunden mit der Aufforderung, sie tunlichst beiseite zu lassen[25]. Verfahrensherrschaft kann danach in der Tat nicht rechtliche Ungebundenheit bedeuten; die Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über die Verfassung und das Verfahren des BVerfG stehen nicht zur Disposition des Gerichts. Das BVerfG nennt sich denn nun auch – präziser – Herr des Verfahrens „im Rahmen rechtlicher Bindungen“ (BVerfGE 60, 175, 213).

23

Was aber kann Verfahrensherrschaft unter dieser Voraussetzung bedeuten? Das BVerfG deutet die angebliche Lückenhaftigkeit der Prozessordnung als implizite Ermächtigung, diese durch eigene Regelungen autonom zu schließen: „Das BVerfGG enthält keine erschöpfende Verfahrensregelung, sondern beschränkt sich auf wenige, unbedingt erforderliche, den Besonderheiten des verfassungsgerichtlichen Verfahrens angepasste Bestimmungen. Im Übrigen ist es dem Gericht überlassen, die Rechtsgrundlagen für eine zweckentsprechende Gestaltung seines Verfahrens im Wege der Analogie zum sonstigen deutschen Verfahrensrecht zu finden“ (BVerfGE 1, 109, 110 f; siehe auch BVerfGE 2, 79, 84). Diese angebliche Befugnis des BVerfG zur Schließung wirklicher oder vermeintlicher Lücken in der gesetzlichen Regelung des Verfassungsprozessrechts stößt, auch wenn sie sich auf die Entstehungsgeschichte des BVerfGG berufen kann[26], auf durchgreifende Bedenken[27]. Sie lässt außer Acht, dass nicht ein vom BVerfG in Selbstermächtigung frei geschöpftes Verfahren, sondern nur die gesetzlich bestimmte Verfahrensordnung dem Prozedieren und Entscheiden des BVerfG die – wie für alle Staatsgewalt, so auch für dieses Rechtsprechungsorgan erforderliche – demokratische Legitimation zu vermitteln vermag[28]. Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG enthält daher nicht nur eine Regelungsermächtigung, sondern auch eine Regelungsverpflichtung, der der Gesetzgeber (vollumfänglich) nachkommen muss.

24

Trotzdem ist es nicht falsch, wenn das BVerfG als „Herr des verfassungsgerichtlichen Verfahrens“ bezeichnet wird, also als derjenige, der den Ablauf des Verfahrens nach seinem eigenen Willen bestimmt. Diese Herrschaft vollzieht sich indes nicht schlicht und einfach durch – rechtswidrige – Missachtung des vorrangigen Verfahrensgesetzesrechts, sondern – subtiler und verfahrensrechtlich unangreifbar – durch dessen „eigenmächtige“ Interpretation. So hat beispielsweise das BVerfG mit der Entwicklung der so genannten Doppelhypothese (siehe dazu Rn 1054 ff) einen autonomen, von den sonstigen Prozessordnungen abweichenden Entscheidungsmaßstab für seine Entscheidung über beantragte einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG festgelegt. Darüber hinaus hat es die gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolgenaussprüche bei Normverwerfungen „ausdifferenziert“ und damit modifiziert. Mit Hilfe dieser Selbststeuerung des verbindlichen Entscheidungsinhaltes übt es interpretative Herrschaft im Verfahren aus. Gleiches gilt für die Extension der Entscheidungswirkungen nach § 31 Abs. 1 BVerfGG, indem hier die Bindungswirkung über den Entscheidungstenor hinaus auf die tragenden, verfassungsrechtlichen Gründe erstreckt wird, und für die Vollstreckungsanordnungen nach § 35 BVerfGG (dazu Rn 28 ff).

25

Das BVerfG vermag auch durch strenge(re) oder „großzügige(re)“ Handhabung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der einzelnen Verfahrensarten den Zugang zu ihm selbst zu verschließen bzw weit zu öffnen. Beispiele dafür sind einerseits die beständige Steigerung der Zulässigkeitsanforderungen an Richtervorlagen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 BVerfGG einerseits, die Zulassung von auf Art. 38 Abs. 1 GG im Sinne eines subjektiven Rechts auf Bewahrung der Demokratie[29] auch im fortgesetzten Prozess europäischer Integration gestützten Verfassungsbeschwerden gegen das Zustimmungsgesetz zum Vertrag von Maastricht und die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Verfassungsänderungen (BVerfGE 89, 155), den Vertrag von Lissabon (BVerfGE 123, 267) und zuletzt gegen den OMT-Beschluss der Europäischen Zentralbank (BVerfGE 134, 366; 142, 123, 173–175 mwN) andererseits[30].

26

Die Frage, ob das BVerfG bei alledem stets die Grenzen möglicher Auslegung der einschlägigen Verfahrensvorschriften hinreichend beachtet hat oder – darüber hinausgehend – in unzulässiger Weise Rechtsfortbildung betrieben hat (äußerst kritisch insoweit zum OMT-Vorlagebeschluss die Sondervoten Lübbe-Wolff und Gerhardt, BVerfGE 134, 366, 419 ff, 430 ff, vgl auch Rn 70 f), die allein Sache des Gesetzgebers ist, erscheint müßig. Denn sowohl die Interpretation wie auch eine etwaige Rechtsfortbildung ist verfahrensrechtlich nicht angreifbar, allenfalls, wenn der Gesetzgeber die dafür notwendige „Widerstandskraft“ aufbringen sollte, gesetzlich mit Wirkung pro futuro revidierbar.

27

In diesem Sinne einer Interpretationsherrschaft kommt dem BVerfG in der Tat aufgrund seiner Kompetenz zur verbindlichen Letztentscheidung der reklamierte Anspruch auf Herrschaft über und durch das Verfahren zu; die prozessrechtliche Gebundenheit geht also mit interpretativer Autonomie einher.

§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › V. Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?

V.Das Bundesverfassungsgericht – Herr der Vollstreckung?

28

Gemäß § 35 BVerfGG kann das BVerfG in seiner Entscheidung nicht nur bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln. Das BVerfG erblickt in dieser Vorschrift eine unbeschränkte Generalermächtigung zum Erlass von Vollstreckungsanordnungen; der Gesetzgeber habe ihm mit § 35 BVerfGG insoweit „die volle Freiheit belassen“, das Gebotene in der jeweils sachgerechtesten, zweckmäßigsten, einfachsten und wirksamsten Weise zu erreichen (BVerfGE 6, 300, 304). Das BVerfG hat diese Kompetenz dazu benutzt, insbesondere in Normenkontrollverfahren nach der Nichtigerklärung eines Gesetzes durch von Amts wegen erlassene Vollstreckungsanordnungen dem Gesetzgeber detaillierte Vorgaben zu machen, die den Charakter einer richterlichen Anweisung für eine zukünftige verfassungskonforme Neuordnung annehmen. „Auf diese Weise erhält die Vollstreckungsregelung, als bloße Übergangsbestimmung deklariert, in ihrer Eigenart wie ihrer Wirkung den Charakter einer gesetzesvertretenden Notverordnung“[31].

29

Das BVerfG und die ihm folgende Literatur interpretieren „die Vorschrift des § 35 BVerfGG als die Ermächtigung […], den in seiner Entscheidung aufgedeckten verfassungswidrigen Zustand auf die schnellstmögliche und wirksamste Weise in einen verfassungsmäßigen zu überführen“[32]. In Wahrnehmung seiner so verstandenen Entscheidungsverantwortung hat das BVerfG – vergleichbar den Verfahren der Kommunalaufsicht – ein abgestuftes Interventionsinstrumentarium entwickelt. Dieses beginnt mit der „Beanstandung“, also der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Maßnahme oder Norm, führt sodann über die Anweisung zur Behebung des Verstoßes (als Akt der „Selbstreinigung“), also über den (fristgebundenen) Handlungsauftrag an den Gesetzgeber, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, bis hin zur „Ersatzvornahme“, dh zu einer Art von Selbsteintrittsrecht des BVerfG, das bei „Versagen“ des Gesetzgebers selbst als „Not- oder Ersatzgesetzgeber“[33] fungiert (vgl BVerfGE 39, 1, 2 f, 68; 88, 203, 209 ff, 336 ff; 102, 197, 198, 223; 103, 111, 113, 141 f; 109, 256, 274; 127, 123, 163–165).

30

Diese Interpretation der Vollstreckungskompetenz nach § 35 BVerfGG, die unter Vollstreckung hier den „Inbegriff aller Maßnahmen, die erforderlich sind, um solche Tatsachen zu schaffen, wie sie zur Verwirklichung des vom BVerfG gefundenen Rechts notwendig sind“ (BVerfGE 68, 132, 140 mwN) begreift, eine Auslegung, bei der „das Gericht recht eigentlich zum Herrn der Vollstreckung“ wird (BVerfGE 6, 300, 304), während der Gesetzgeber in die Rolle eines nachgeordneten Vollzugsorgans gedrängt wird, ist nicht unbestritten geblieben und erscheint entstehungsgeschichtlich zweifelhaft[34]. Insbesondere darf nicht übersehen werden, dass Normverwerfungen, also die Nichtigerklärung von Gesetzen, sich im Regelfall von selbst vollstrecken, weil dann wieder die frühere, durch das verfassungswidrige Gesetz nur scheinbar abgelöste Gesetzeslage gilt[35]. Der Vollstreckung fähig und bedürftig sind im eigentlichen Sinne nur Leistungs-, nicht aber Feststellungs- und Gestaltungsurteile.

31

Doch es gilt auch hier: Das BVerfG hat sich, im Wege der Interpretation des § 35 BVerfGG, eine umfassende Vollstreckungsbefugnis attestiert[36]. Dem könnte der Gesetzgeber allenfalls durch eine einschränkende Gesetzesänderung wirksam entgegentreten. Mit einer solchen Regelung ist jedoch nicht zu rechnen, weil der Gesetzgeber sich hier dem politisch nicht durchzuhaltenden Vorwurf einer Entmachtung des BVerfG ausgesetzt sähe. An diesem Beispiel lässt sich erneut erkennen, dass die Interpretationsgewalt das eigentliche Herrschaftsinstrument des BVerfG, die Grundlage seiner Rechtsmacht ist. Mit den dreifachen Kompetenzen zur Nichtigerklärung von Gesetzen (§§ 78, 79 iVm § 31 Abs. 2 BVerfGG), zum Erlass einstweiliger Anordnungen gemäß § 32 BVerfGG und zur Anordnung von Vollstreckungsregelungen gemäß § 35 BVerfGG vermag das BVerfG den Gesetzgeber zu dominieren; es kann – jedenfalls als ultima ratio – selbst dekretieren, was als verfassungskonforme Regelung zu gelten hat.[37] Zwar kommt Entscheidungen nach § 35 BVerfGG selbst keine formelle Gesetzeskraft zu, aber dem Gesetzgeber bleibt, wenn er nicht eine Staats- und Verfassungskrise auslösen will, praktisch nichts anderes übrig, als sich den Anordnungen des BVerfG zu beugen.

32

Zur Rechtfertigung dieser Vorgehensweise wird häufig angeführt, dass das BVerfG dem Gesetzgeber „Steine statt Brot“ gäbe, wenn es im Zusammenhang mit einer Verfassungswidrigerklärung eines Gesetzes nicht zugleich dem Gesetzgeber signalisierte, wie eine verfassungskonforme Regelung aussehen könnte; ansonsten wäre der nächste Verfassungsprozess vorprogrammiert (s. dazu BVerfGE 108, 282, 314, 336 f – SV Jentsch, Di Fabio, Mellinghoff). Doch eine solche, über die Gesetzesverwerfung hinausgehende, die dem Gesetzgeber obliegende Entscheidung vorprägende und zumindest teilweise vorwegnehmende Wegweisung durch das BVerfG lässt sich auch nicht mit gerichtlicher Fürsorge rechtfertigen: „Der Gesetzgeber ist selbst und aus sich heraus für die Verfassungsmäßigkeit seiner gesetzgeberischen Entscheidungen verantwortlich“ (BVerfGE 93, 121, 152 – SV E.-W. Böckenförde).

33

Geht die Ausübung der Befugnisse nach § 35 BVerfGG durch das BVerfG mitunter auch so weit, dass es den Gesetzgeber unter Umständen sogar, falls er nicht binnen einer gesetzten Frist „pariert“, zur Umsetzung seiner verfassungsrechtlichen Anweisungen für entbehrlich erachtet, indem es selbst vorschreibt, wie die Rechtslage sein soll, wenn der Gesetzgeber die ihm gesetzte Frist für eine Neuregelung verstreichen lässt (siehe nur BVerfGE 99, 300, 304), so darf andererseits nicht übersehen werden, dass dem BVerfG eine Vollstreckungsgewalt im eigentlichen Sinne, dh eine Befehls- und Zwangsgewalt fehlt. Es ist und bleibt letztendlich stets hinsichtlich der Befolgung seiner Entscheidungen und deren Umsetzung auf die Akzeptanz der anderen Staatsorgane angewiesen. Diese sind zwar, soweit die Rechtskraft und die darüber hinausgehende Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG reichen, von Rechts wegen zum Gehorsam verpflichtet. Sie haben es aber jedenfalls faktisch in der Hand, sich den Entscheidungen des BVerfG und ihren Folgewirkungen zu entziehen. Das BVerfG muss deshalb im ureigenen Interesse – zur Wahrung seiner unangefochtenen Autorität – darauf achten, dass es die übrigen Staatsgewalten nicht „überfordert“, indem es den relativ unbestimmten Verfassungsrechtssätzen allzu detaillierte Vorgaben entnimmt, die deren eigene Gestaltungsfreiheit übermäßig beschneidet. Bisher haben sich die übrigen Staatsorgane, zumeist sogar klaglos, in ihr Schicksal gefügt und sind dem BVerfG in steter „Verfassungsorgantreue“ gefolgt.

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Das BVerfG verfügt nicht über zwangsweise Durchsetzungsmechanismen gegenüber einer Politik, die sich weigert, die Konsequenzen aus der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zu ziehen.

Auf die sich daraus ergebenden Grenze des Justitiablen macht das Sondervotum Lübbe-Wolff (BVerfGE 134, 366, 419, 421) nachdrücklich aufmerksam: „Bei der Bestimmung der Reichweite richterlicher Kompetenzen muss die Reichweite richterlicher Durchsetzungsmacht berücksichtigt werden. Das ist nicht nur eine Klugheitsregel zur Vermeidung von Autoritätsverlusten, die der Funktionsfähigkeit eines Gerichts gefährlich werden können, sondern auch ein Gebot des Rechts. Denn die Machtmittel, mit denen Verfassung und Gesetz ein Gericht oder die Gerichte im Allgemeinen ausgestattet oder nicht ausgestattet haben, lassen Schlüsse auf die dem Gericht oder der Justiz im Allgemeinen zugedachten Kompetenzen zu.“

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Das BVerfG ist insoweit auf die Folgebereitschaft der Politik angewiesen[38]. Es ist so gesehen, aber auch nur so gesehen, die „schwächste der Gewalten“, die „mit dem Recht des letzten Wortes die höchste Funktion im Verfassungsstaat [erhält]. Darin liegt ein Paradoxon der Gewaltenteilung“[39]. Dem BVerfG ist es jedoch nach dem erfolgreich durchgestandenen Status-Streit sowie nach den ersten großen Streitentscheidungen (vgl etwa das Erste Rundfunkurteil betreffend die von Bundeskanzler Adenauer beabsichtigte Gründung einer Deutschland-Fernsehen GmbH, BVerfGE 12, 205), in denen es die darin hinsichtlich seiner eigenen Stellung enthaltene politischen Machtprobe bestanden hat, gelungen, sich so viel Autorität zu verschaffen[40], dass seinen Entscheidungen stets der notwendige Respekt entgegengebracht, ihnen ein Maß an Akzeptanz zuteil wird, das eine „Befehlsverweigerung“ praktisch ausschließt[41].

Möglicherweise führt aber seine europaverfassungsrechtliche Rechtsprechung das BVerfG hier an Grenzen, „die Grenzen des ohne Verstoß gegen Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzip durch ein Gericht Entscheidbaren“; davor hat insbesondere die Richterin Lübbe-Wolff (Sondervotum, BVerfGE 134, 366, 419, 420, das Gericht gewarnt.

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Dabei profitiert das BVerfG auch von dem Gegeneinander der Regierung und der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit einerseits, der Opposition (in Bund und Ländern) andererseits; so ärgerlich eine juristische Niederlage in Karlsruhe ist, eine politische Trotzreaktion dagegen ist nicht nur juristisch zwecklos, sondern auch politisch schädlich; sie würde vom politischen Gegenspieler als „Anschlag auf die Verfassung“ gebrandmarkt und damit politisch erfolgreich abgewehrt. Unter diesen politischen Rahmenbedingungen aber genügt das Wissen um die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidungen des BVerfG, um einzusehen, dass politischer Widerstand sinnlos wäre. Die Entscheidungen zu respektieren und soweit erforderlich umzusetzen, erscheint daher als Gebot politischer Klugheit.

§ 1 Die Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik Deutschland › VI. Das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzgeber

VI.Das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Gesetzgeber

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Bei dem Spannungsverhältnis zwischen BVerfG und Gesetzgeber geht es um die Gegenläufigkeit von politischer Rechtsetzungsmacht einerseits und der verfassungsgerichtlichen Befugnis andererseits, in Normenkontrollverfahren Gesetze des Parlaments außer Kraft zu setzen, sofern und soweit diese dem GG widersprechen. Ein solches richterliches Prüfungs- und Verwerfungsrecht am Maßstab der Verfassung verändert die Gewaltenbalance zum Nachteil der gesetzgebenden Körperschaften; ihre Rolle im Prozess der Verfassungskonkretisierung reduziert sich auf die eines „gestaltende[n] Erstinterpret[en]“[42]