Vergiss mich nicht - Rick Mofina - E-Book

Vergiss mich nicht E-Book

Rick Mofina

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Beschreibung

Tief in den Wäldern im Norden von York geht eine alte Scheune in Flammen auf. Nur eine Frau schafft es, dem Inferno zu entfliehen. Mit ihrem letzten Atemzug weist sie die Polizisten auf »Gefängniskammern« hin - Kammern, die furchtbare Schrecken verbergen.

Kurz darauf erhält die Reporterin Kate Page einen Anruf, der die Schatten ihrer Vergangenheit lebendig werden lässt: Die Polizei hat in diesen Zellen ein Armband gefunden, das offenbar Kates Schwester Vanessa gehörte. Doch Vanessa gilt seit einem Autounfall vor 20 Jahren als verschollen. Kate hat niemals die Suche nach ihr aufgegeben. Nun hat sie eine Chance, sie zu finden - tot oder lebendig ... Denn ihre einzige Spur ist ein wahnsinniger Killer, der seine Opfer jahrelang unbemerkt gefangen hielt!

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Inhalt

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Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Motto

Widmung

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Epilog

Danksagung

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Sieh niemals weg

Über dieses Buch

Tief in den Wäldern im Norden von York geht eine alte Scheune in Flammen auf. Nur eine Frau schafft es, dem Inferno zu entfliehen. Mit ihrem letzten Atemzug weist sie die Polizisten auf »Gefängniskammern« hin – Kammern, die furchtbare Schrecken verbergen.

Kurz darauf erhält die Reporterin Kate Page einen Anruf, der die Schatten ihrer Vergangenheit lebendig werden lässt: Die Polizei hat in diesen Zellen ein Armband gefunden, das offenbar Kates Schwester Vanessa gehörte. Doch Vanessa gilt seit einem Autounfall vor 20 Jahren als verschollen. Kate hat niemals die Suche nach ihr aufgegeben. Nun hat sie eine Chance, sie zu finden – tot oder lebendig … Denn ihre einzige Spur ist ein wahnsinniger Killer, der seine Opfer jahrelang unbemerkt gefangen hielt!

Über den Autor

Rick Mofina war viele Jahre lang als Reporter tätig, ehe er sich hauptberuflich dem Schreiben von Spannungsromanen zuwandte und mehrere Preise für seine Thriller gewann. Seine Bücher erscheinen in 17 Ländern. Weitere Infos unter: www.rickmofina.com

RICK MOFINA

Vergiss mich nicht

Thriller

Ins Deutsche übertragen von Alfons Winkelmann

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2015 by Highway Nine Inc.

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Full Tilt«

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition is published by arrangement with Harlequin Books S. A.

This is a work of fiction. Names, characters, places and incidents are either the product of the author’s imagination or are used fictitiously, and any resemblance to actual persons, living or dead, business establishments, events or locales is entirely coincidental.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Stephan Bellem

Covergestaltung: © Massimo Peter-Bille unter Verwendung von Motiven von © shutterstock/Tatjana Splichal und © Trevillion/Images

eBook-Erstellung: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7325-9412-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Er heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden.

Psalm 147:3

Dieses Buch ist für Sie, die Leser

1

Rampart, New York

Der alte Friedhof.

Da geht nie jemand raus.

Chrissie war nicht recht wohl beim Geburtstagswunsch ihres Freundes, »es« dort draußen zu machen.

»Da draußen krieg ich ’ne Gänsehaut, Robbie.«

»Komm schon, Baby. Betrachte es als dein erstes Mal mit einem achtzehnjährigen Mann und unser erstes Mal auf einem Friedhof. Das ist doch echt cool, oder?« Robbie saugte den letzten Rest Limo durch seinen Strohhalm auf und rülpste dann. »Abgesehen davon haben wir es sonst schon überall in dieser gottverlassenen Stadt getan.«

Traurig, aber wahr. Es gab wenig, was man hier sonst tun konnte.

Rampart war ein verschlafenes, kleines Nest im County Riverview, an der Nordgrenze von New York. Hier war die Heimat des kleinstädtischen Amerikas – Patrioten mit Flagge auf der Veranda, Tante-Emma-Läden, ein Callcenter für eine große Kreditkartengesellschaft, eine kleine Amish-Gemeinde und ein Gefängnis.

In Chrissies Augen taten die Leute in Rampart nichts anderes als arbeiten, sich betrinken, Sex haben, übers Leben meckern und davon träumen, die Stadt zu verlassen.

Abgesehen vielleicht von den Amish, dachte sie – die waren anscheinend zufrieden.

Chrissie und Robbie waren seit zweieinhalb Jahren zusammen. Während sie jetzt also im Ford Taurus seines Vaters saßen und auf Grün warteten, sann sie über das ihnen bevorstehende Dilemma nach.

Sie war an einem College in Florida angenommen worden. Robbie wollte nicht, dass sie ging. Er bekam einen Job im Gefängnis und sprach von Heirat. Chrissie liebte Robbie, erklärte ihm jedoch, sie wolle nicht hierbleiben und die Ehefrau eines Gefängniswärters in Rampart werden, im Einkaufszentrum arbeiten, ihre Kinder überall hinbringen und dabei darauf achten, nicht die Kutschen der Amish über den Haufen zu fahren.

Chrissie würde erst in einigen Monaten weggehen, aber Robbie vermied jedes Gespräch darüber. Er lebte im Augenblick. Das war in Ordnung, aber früher oder später müsste sie mit ihm Schluss machen.

Aber nicht heute Nacht. Nicht an seinem Geburtstag.

Es wurde grün, und sie fuhren am Riverview-Zentrum vorbei. Dessen riesiger Parkplatz lag verlassen und dunkel da.

»Also, bist du für den Friedhof bereit, Baby?«

Robbie lenkte den Taurus bereits über den Highway aus der Stadt hinaus. Während die weißen Linien unter ihnen dahinhuschten, machte sie einen Vorschlag.

»Warum fahren wir nicht nach Rose Hill?«

»Nö, da gehen wir die ganze Zeit hin.«

Chrissie spürte Robbies Hand auf ihrem Bein.

»Komm schon. Ist mein Geburtstag.«

»Aber das ist so verflucht unheimlich. Niemand geht da raus.«

»Deswegen macht es ja solchen Spaß.« Er rieb die Innenseite ihres Schenkels. »Ich habe den Schlafsack im Kofferraum.«

Seufzend blickte Chrissie auf ihrer Seite aus dem Fenster in die Sommernacht.

»Okay.«

Sie hatten die Stadtgrenze jetzt überquert, und das Licht der Scheinwerfer reichte weit in die Dunkelheit. Entlang der einsamen Fahrbahn glänzten die Augen von Tieren in den Wäldern im Schein der hoch stehenden Lichtkegel des Fords.

Nach mehreren Kilometern wurde Robbie langsamer, hielt an und bog dann von der Straße auf einen überwucherten Weg ab. Ein altes, verwittertes Schild, das leicht zu übersehen war, wies auf ihn hin. Ein Wort stand darauf: Friedhof.

Das Auto schwankte und ging auf und nieder, während er langsam über ausgefahrene Spurrillen lenkte, bis sie schließlich an einem »Durchfahrt-verboten«-Schild stehen blieben. Es war mit Draht an einem Tor befestigt, das mit Kette und Schloss gesichert war.

»Da, sieh mal.« Chrissie zeigte hin. »Wir können nicht rein.«

Robbie stellte den Schalthebel in den Parkmodus.

»Doch, können wir.«

Er stieg aus und ging zum Tor, wobei sein T-Shirt in der Schwärze glänzte. Nachtfalter umflatterten die Scheinwerfer, während er sich am Schloss zu schaffen machte, und das einzige Geräusch war das Zirpen der Grillen.

Chrissie kannte die Geschichte dieses Geländes. In der neunten Klasse hatte sie ein Referat darüber gehalten.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Staat ein großes Irrenhaus in Rampart errichtet. Es hatte seinen eigenen Friedhof, weil die Einheimischen nicht wollten, dass Patienten gleich neben ihren Angehörigen beerdigt wurden. Als das Irrenhaus vor vierzig Jahren geschlossen wurde, hatte man sämtliche Grabsteine entfernt, und die Lage der Grabstätten wurde geheim gehalten, um die Privatsphäre der Familien zu schützen. Jetzt gab es da bloß noch eine große Wiese, begrenzt von üppigem Baumbestand.

Robbie öffnete das Schloss, und die Kette klirrte, als er sie entfernte und das Tor aufzog. Nachdem er den Wagen vorsichtig hindurchgefahren hatte, schloss er es wieder.

»Wie hast du das Schloss aufbekommen?«

»Trevs Dad arbeitet bei DOT, und er hat mir gesagt, wenn man bei diesen alten Schlössern den richtigen Dreh raushat, dann gehen sie auf.«

Robbie fuhr langsam an der bewaldeten Grenze des Friedhofs entlang und schaltete Motor und Scheinwerfer aus.

Über ihnen funkelten hell die Sterne.

Im Licht von Robbies Handy gingen sie zu einem abgelegenen Teil des Geländes und entrollten den Schlafsack.

»Nichts hier, außer den verrückten Toten unter uns.«

»Pscht, Geburtstagsjunge.«

Robbie ließ die Hände um Chrissies Hüfte gleiten, dann unter ihre Bluse und Jeans. Sie küssten sich, und als ihre Finger seinen Reißverschluss fanden, erstarrte sie, wich zurück und blickte in den pechschwarzen Wald hinein.

»Was ist?«

»Da draußen ist etwas!«

Robbie folgte ihrem Blick zu Flammen hinüber, die tief im Wald flackerten.

»Was ist das?« Chrissie hielt Robbie fester.

»Ich weiß es nicht. Da gibt’s meilenweit überhaupt nichts.«

»Doch, eine alte Scheune, die die Anstalt vor Jahren benutzt hat, aber …«

Ein schwaches, fernes Schreien – das Schreien einer Frau – kam vom Feuer herüber.

»Oh, mein Gott, Robbie!«

»Was ist da los, zum Teufel?«

Weitere Schreie, diesmal lauter, durchstachen die Nacht, und Chrissie bekam eine Gänsehaut.

»Helft mir! Bitte! Helft mir!«

Robbie packte Chrissies Hand und wollte in den Wald laufen, der zum Feuer führte – aber sie riss ihn zurück.

»Nehmen wir den Wagen!«

»Ich weiß nicht, ob wir da durchkommen.«

»Im Wagen sind wir sicherer, Robbie!«

Sie rannten zum Auto, wobei sie den Schlafsack hinter sich herzogen.

Robbie tastete nach den Schlüsseln, startete den Motor und lenkte den Wagen den Pfad hinab, der in den Wäldern vor ihnen verschwand.

Die Flammen wurden größer.

Chrissie wählte den Notruf.

»Ich möchte ein Feuer melden und eine Frau, die um Hilfe schreit!«

Sie fuhren weiter den Weg entlang und durchschnitten dabei eine dichte Mauer aus Bäumen und Unterholz. Chrissie schätzte, dass sie etwa einhundert Meter vom Feuer entfernt waren. Sie gab der Leitstelle die Richtung an und erhielt die Bestätigung, dass Feuerwehr, Krankenwagen und Polizei unterwegs seien.

Zweige voller Blätter kratzten an den Fenstern entlang und schlugen unentwegt auf den Wagen ein. Robbie lenkte vorsichtig über den holprigen Pfad.

»Mein alter Herr wird mich umbringen, wenn ich den Taurus zerkratze!«

Sträucher und Steine prallten gegen den Unterboden. Sie erreichten eine Lichtung und holten angesichts dessen, was sie vor sich sahen, erschrocken Luft.

Die alte Scheune war in Flammen gehüllt, und das wütende Feuer zeichnete sich hell vor dem Nachthimmel ab.

Eine Frau rannte kreischend davon weg. Sie zog Rauch und Funken hinter sich her, und die Flammen verschlangen ihren ganzen Leib und schlugen wie entsetzliche Fahnen. Dann stolperte sie und brach brennend vor dem Wagen zusammen.

Chrissie schrie.

Robbie griff sich den Schlafsack, eilte zu der Frau und erstickte die Flammen. Während das Inferno an der Scheune weiter knisterte und brüllte, wurden Chrissies Schreie bald von den herannahenden Sirenen übertönt.

Die Frau stöhnte vor Qual.

Als Robbie ihre Hand nehmen wollte, die jetzt nur ein schwärzlicher Haken war, sahen sie die verbrannten Stricke um ihre Handgelenke.

2

Rampart, New York

Sauerstoff strömte in einem sanften, abgemessenen Rhythmus durch den Schlauch am Beatmungsgerät, das mit dem Brandopfer auf der Intensivstation des Allgemeinkrankenhauses von Rampart verbunden war.

Der kleine Überwachungsmonitor über ihrem Bett zeigte ihren Herzschlag, ihren Blutdruck und ihre anderen Vitalzeichen an.

Aus einem Beutel am Ständer neben ihrem Bett tropfte Flüssigkeit über einen intravenösen Zugang in ihre Adern.

Sie war von Kopf bis Fuß in Verbände gehüllt und hatte schwere Betäubungsmittel erhalten, um die mörderischen Schmerzen der Verbrennungen dritten Grades auszuschalten, die über 85 Prozent ihres Körpers bedeckten.

Sie hatte Haare, Ohren, Gesicht und fast die gesamte Haut verloren.

Ihre Füße waren verkohlte Stümpfe, ihre Hände verkohlte Klauen.

Ihre Verletzungen waren tödlich. Sie würde die Nacht nicht überleben, hatte der Arzt Detective Ed Brennan von der Polizeidienststelle Rampart gesagt.

Seitdem hatte Brennan zusammen mit der Intensivschwester am Bett der Frau gewartet und es nicht ein einziges Mal verlassen.

Er war zuhause gewesen, als der Anruf gekommen war.

Seine Frau hatte ihren Sohn zu Bett gebracht. Er hatte Popcorn gemacht, und sie hatten gerade den Schluss von The Searchers gesehen, da hatte sein Telefon geklingelt.

»Weiße Frau, Mitte zwanzig«, hatte Officer Martin ihm über die heulenden Sirenen hinweg gesagt. »Aufgefunden nahe alter Friedhof. Schwere Verbrennungen. Sie bringen sie ins General – sie glauben nicht, dass sie durchkommt. Sieht aus, als wäre sie gefesselt gewesen, Ed.«

Brennan eilte in der Hoffnung auf ein paar letzte Worte des Opfers ins Krankenhaus.

Nachdem das Notfallteam alles getan hatte, was es für sie tun konnte, hatte der Arzt Brennan beiseitegenommen.

»Ich kann nicht garantieren, dass sie das Bewusstsein wiedererlangen wird.«

Brennan brauchte ihre Hilfe, um das aufzuklären, was offenbar bald der Mord an ihr sein würde.

In den Stunden des Wartens hatte er sich an den Geruch im Zimmer gewöhnt. Sie konnten ihr keine Identität zuordnen. Es gab keine Chance, ihr Fingerabdrücke abzunehmen, und keinen Hinweis auf irgendwelche Kleidung oder Schmuck. Allerdings wäre das sowieso alles verbrannt. Sie mussten die lokalen, bundesstaatlichen und nationalen Fälle von Vermissten überprüfen.

Der beunruhigendste Aspekt waren die Stricke.

Erneut warf Brennan einen Blick auf die Fotos auf seinem Handy, die Martin ihm vom Tatort geschickt hatte.

Erneut zuckte er zusammen.

Dann konzentrierte er sich auf die verkohlten Stricke.

Anscheinend war die Frau mit Stricken gefesselt gewesen.

Das Feuer hätte ihr ermöglichen können, aus dem Gebäude zu fliehen.

Fliehen vor was und vor wem?

Sobald sie das Feuer gelöscht hatten und sich alles abgekühlt hatte, mussten sie die Kriminaltechniker dort hineinschicken.

»Detective Brennan?«, sagte die Krankenschwester.

Die verkohlten Überreste dessen, was einmal die rechte Hand der Frau gewesen war, bewegten sich.

Die Krankenschwester drückte auf einen Knopf oberhalb des Betts, und der Arzt kam, warf einen prüfenden Blick auf den Monitor und beugte sich über die Frau.

»Sie kommt wieder zu Bewusstsein«, sagte der Arzt. »Wir entfernen den Tubus, damit sie sprechen kann, aber vergessen Sie nicht, dass ihre Kehle und ihre Lungen geschädigt sind.«

Brennan verstand.

Das könnte seine einzige Gelegenheit sein.

Sobald der Tubus entfernt war, begann der Monitor zu piepen, und die Frau keuchte. Sie kümmerten sich einen Moment lang um sie, und das Piepen wurde langsamer. Dann nickte der Arzt Brennan zu. Er trat heran und bereitete eine Videoaufzeichnung mit seinem Smartphone vor.

»Ma’am, ich bin Ed Brennan von der Mordkommission. Können Sie mir sagen, wie Sie heißen?«

Ein langer Augenblick der Stille verstrich, durchsetzt von einem Gurgeln.

Brennan holte tief Luft und sah den Arzt an, bevor er weitermachte.

»Ma’am, können Sie mir einen Namen nennen oder mir sagen, wo Sie wohnen?«

Ein Krächzen, dann nichts.

»Ma’am, können Sie mir irgendetwas sagen?«

Ein flüssiges, heiseres Gestammel folgte, und ein Wort formte sich.

»Teil … R …«

»Entschuldigen Sie, Ma’am. Versuchen Sie’s noch mal.«

»Da … sind …«

Brennan blickte zum Arzt und zur Krankenschwester hinüber und versuchte, sich zu konzentrieren, und die Frau versuchte, ihre geschwärzte rechte Hand zu heben, wie um Brennan zu sich zu ziehen.

»Da sind … da sind andere …«

Die Frau senkte den Arm.

Von den Monitoren ertönten Alarmsignale, und dann wurde aus den Kurven für die Vitalzeichen eine flache Linie.

3

Rampart, New York

Brennan schoss mit seinem Impala aus dem McDonald’s und machte sich zum Tatort auf.

Er trank seinen schwarzen Kaffee, bekam jedoch nur einen kleinen Bissen des Blaubeer-Muffins hinunter. Sein Magen war noch immer verkrampft – vom Krankenhaus, vom Opfer und von dessen letzten Worten: Da sind andere.

Was haben wir hier vor uns?

Er hatte seinen Sergeant und Lieutenant alarmiert. Sie hatten eindeutig einen verdächtigen Todesfall vor sich. Die Identität des Opfers zu bestätigen wäre entscheidend. Ein forensischer Odontologe aus Syracuse war bereits unterwegs, um das Zahnschema des Opfers zu erfassen. Sie würden alle Charakteristika angeben – Größe, Gewicht, geschätztes Alter, Röntgenbilder, DNA – und mit sämtlichen regionalen und bundesstaatlichen Datenbanken und Vermisstenfällen ebenso abgleichen wie ihr Zahnschema mit Zahnarztverbänden und der New York State Police.

Früher oder später werden wir ihr eine Identität zuordnen. Dann werde ich ihrer Familie die schlimmstmögliche Nachricht überbringen müssen, die sie je hören werden.

Er hasste diesen Teil seines Jobs.

Während der Fahrt über den Highway konzentrierte sich Brennan auf seinen Fall. Sie mussten andere Beamte aus Rampart zu Hilfe heranziehen. Die Sonne ging auf, was gut war, weil sie diesen Tatort absuchen mussten. Er überlegte, dass die Kriminaltechniker der State Police bereits dort sein würden.

Die Polizeidienststelle von Rampart nahm oft die Ressourcen der New York State Police oder des FBI in Anspruch, weil Rampart, als kleiner Bezirk, nicht viele Morde pro Jahr aufzuweisen hatte, vielleicht fünf oder sechs.

Du brauchst schwierige Fälle, damit du ein besserer Bulle wirst. Brennan betrachtete den Wald, der an ihm vorüberzog. Wie mein Leben.

Er war vierunddreißig und seit zehn Jahren bei der Abteilung, davon die letzten fünf Jahre als Detective bei den Ermittlern.

Es gab Zeiten, da wollte er unbedingt zum FBI, zur Drogenfahndung oder zum Verfassungsschutz, zu etwas Größerem. Aber seine Frau Marie, eine Lehrerin, liebte das Leben in der Kleinstadt und sagte, es wäre gut für Cody. Ihr Sohn war fünf und litt unter epileptischen Anfällen, wenn er Fieber bekam oder zu viel auf ihn einstürzte.

Es geschah nicht häufig, aber wenn, dann war es erschreckend.

Neulich waren sie alle zum Einkaufen bei Walmart gewesen, und da war Brennan aufgegangen, dass das, was er hier hatte, gut war. Aber wenn er sich überlegte, dass es bei seinem letzten größeren Fall um Betrug beim Bingo gegangen war, dann hatte er die Nase vom Kleinstadtleben gestrichen voll. Insbesondere nach einem Anruf seines Kumpels von der High School am Wochenende, der beim Geheimdienst war.

Wie geht’s dort so, Ed? Ich bin nächste Woche zum Schutz des Vizepräsidenten nach Paris abkommandiert. Jagst du noch immer die Amish in Ram Town?

Brennan wusste, dass Cody die Ruhe einer Kleinstadt brauchte, aber dieses Gespräch hatte ihn ins Grübeln gebracht.

Ein Haufen Fahrzeuge der örtlichen Medien hatte sich an der Zufahrt zum Friedhof versammelt, die von einem Streifenwagen versperrt wurde. Der Polizist erkannte Brennan und winkte ihn durch. Brennan ignorierte die Fragen, die ihm Reporter durch das geschlossene Wagenfenster zuriefen.

Sein Chevy rollte am Friedhof entlang, und nachdem er in den Wald und auf den alten Pfad abgebogen war, den der zunehmende Verkehr erweitert hatte, ging es reichlich holprig weiter. Als er den Tatort erreichte, roch die Luft nach verkohltem Holz. Rauch stieg wirbelnd aus den Ruinen und trieb in Wolken, die im Schein des Blaulichts der Feuerwehr- und Polizeiwagen pulsierten, über die Lichtung. Brennan stellte seinen Wagen ab und ging zu Paul Dickson, einem Officer aus Rampart, und Rob Martin, dem ersten Polizisten, der auf den Alarm reagiert hatte. Sie standen eng zusammen mit den Leuten vom Staat und der Feuerwehr. Brennan, der in diesem Fall die Leitung hatte, kannte die meisten von ihnen und schüttelte der Reihe nach Hände.

»Hallo, Ed«, sagte Dickson. »Wie wir gehört haben, hat sie’s nicht geschafft.«

»Nein«, bestätigte Brennan, bevor er zur Sache kam. »Was haben wir bislang?«

Dickson und Martin brachten ihn auf den neuesten Stand, wobei sie ihre Notizen zu Rate zogen. Das Feuer hatte sich genügend abgekühlt, dass die Kriminaltechniker sich ihre Arbeitskleidung überstreifen konnten. Gleichzeitig vernahm Brennan ein Jaulen und sah den Leichenspürhund und seinen Führer, in weißen Overalls und Schuhschutz, vorsichtig in die Verwüstung hineingehen, während über ihnen ein kleines Flugzeug kreiste. Die State Police machte Luftaufnahmen des Tatorts und kartografierte ihn.

»Die Jugendlichen, die sie gefunden haben, schlafen in meinem Wagen und warten darauf, mit dir zu sprechen«, sagte Martin zu Brennan.

»Okay, ich gehe gleich für die formelle Befragung zu ihnen.«

Die Scheune war Staatseigentum, errichtet 1901 als Teil der Farm, die Getreide für die Anstalt anbaute, bevor sie 1975 geschlossen wurde und die Gebäude aufgelassen worden waren.

Brennan nahm die Schutthaufen und das steinerne Fundament in sich auf und beobachtete Hundeführer Dan Larco, der mit Sheba, einer deutschen Schäferhündin, den Tatort absuchte. Während sie mit der Schnauze in dem schwarzen Schutt wühlte, wedelte sie fröhlich mit dem Schwanz, ein völliger Kontrast zu der hässlichen Aufgabe.

Sheba bellte und verschwand in einem Haufen Holz an einer Ecke. Larco folgte ihr und bückte sich, um sich ihre Entdeckung genauer anzusehen.

»He, Ed!«, rief er. »Wir haben etwas! Wirfst besser einen Blick drauf.«

Brennan streifte sich Overalls und Schuhschutz über und betrat dann vorsichtig den Schutthaufen.

Das verkohlte Opfer lag auf dem Rücken zwischen einem Wirrwarr verbrannter Dachbalken. Der größte Teil der Haut und der Kleidung war verschwunden. Die Arme waren zur »Fechterstellung« gehoben. Das Gesicht war weggebrannt, so dass sich die Zähne zeigten, ein grinsender Totenschädel. Aus den Überresten von Jeans und Boots am unteren Körperteil ließ sich schließen, dass es sich bei dem Toten um einen Mann handelte.

Brennan machte sich Notizen, fertigte eine Skizze des Tatorts an und fotografierte. Die Kriminaltechniker würden alles wesentlich gründlicher bearbeiten. Vielleicht fänden sie einen Hinweis, der zur Identifizierung führte. Auf jeden Fall gäbe es eine weitere Autopsie.

Jetzt haben wir zwei Tote. Hat das erste Opfer das gemeint, als sie sagte: »Da sind andere«?

Larcos Funkgerät knisterte. Es war eine Mitteilung des Officers im Flugzeug.

»Etwa fünfzig oder sechzig Meter nordöstlich des Tatorts steht ein Fahrzeug in einem Busch. Ein Pickup. Habt ihr das verstanden?«

Eine rasche Überprüfung ergab, dass niemandem hier das Fahrzeug aufgefallen war. Zwei Streifenwagen fuhren hin, um ihm den Weg zu versperren. Brennan, Dickson, Martin und einige andere der Polizisten gingen zu Fuß. Sie nahmen mit gezogenen Waffen Aufstellung und riefen, dass alle Fahrzeuginsassen mit erhobenen Händen aussteigen sollten.

Keine Reaktion.

Sie überprüften das Nummernschild. Der Pickup war das neueste Modell eines Ford F-150, zugelassen auf Carl Nelson aus Rampart. Er wurde nicht gesucht. Eine rasche, vorsichtige Überprüfung ergab, dass der Truck leer war. Brennan bemerkte einen Parkschein im Rückfenster für das MRKT DataFlow Call Center.

Er streifte sich Latexhandschuhe über und probierte die Fahrertür.

Sie war offen.

Ein zusammengefaltetes einzelnes Blatt Papier wartete auf dem Sitz.

Brennan las es:

Ich wollte in meinem Leben nur jemanden haben, den ich lieben konnte.

Es ist besser, dem Schmerz aller ein Ende zu bereiten.

Gott vergebe mir für das, was ich getan habe.

Carl Nelson

4

Rampart, New York

»Ja, das ist Carls Truck. Was ist damit?«

Robert Vanders Augen zuckten von den Fotos hoch, die Brennan ihm auf seinem Smartphone gezeigt hatte, und er ließ die Kaugummiblase knallen.

»Carl hat sich krankgemeldet. Warum fragen Sie nach ihm?«

Vander warf rasch einen Blick auf seinen Computermonitor, ein Reflex, weil gerade neue Nachrichten eingetroffen waren. Er war der IT-Chef im MRKT DataFlow Call Center, das Millionen von Zugriffen für mehrere Kreditkartengesellschaften abfertigte. Mit fünfhundert Angestellten war es Ramparts größter Arbeitgeber.

Vander war Carl Nelsons Vorgesetzter.

»Worum geht es hier?« Vander sah Brennan an, der vor ihm am Schreibtisch saß, dann Paul Dickson, der neben Brennan saß und sich Notizen machte.

»Wir überprüfen seinen Gesundheitszustand«, erwiderte Brennan.

Vander hielt mit dem Kauen inne und blickte die beiden Männer fragend an.

»Seinen Gesundheitszustand? Er hat sich vor zwei Tagen krankgemeldet, hat gesagt, er habe einen Virusinfekt. Was ist los?«

Brennan ließ einen Augenblick verstreichen, ohne zu antworten.

»Mr Vander, können Sie uns etwas über Mr Nelson sagen? Was er hier tut, seinen Charakter?«

»Seinen Charakter? Sie machen mich nervös.«

»Können Sie uns weiterhelfen?«

»Carl ist seit etwa zehn Jahren bei MRKT. Er ist ein leitender Systemtechniker, ein Genie, was Computer betrifft. Er hat beim Upgrade unseres Sicherheitsprogramms mitgewirkt. Er ist ein ausgezeichneter Angestellter, sehr ruhig, zurückhaltend. Ich kann nur Gutes über ihn berichten. Allmählich mache ich mir ein wenig Sorgen.«

»Hat er in letzter Zeit unter Stress gestanden?«

»Nein, nicht über das übliche Arbeitspensum hinaus.«

»Seine Beziehungen? Verheiratet, geschieden, Freundin, Freund?«

»Er ist nicht verheiratet. Ich glaube nicht, dass er eine Freundin oder einen Partner hat, in keiner Richtung.«

Vander rutschte im Bürostuhl hin und her.

»Wissen Sie, ob er Schulden hat?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Spielt er? Nimmt er Drogen oder ist er sonst irgendwie süchtig?«

»Nein, ich glaube nicht … Also, allmählich gefällt mir das gar nicht mehr.«

»Würden Sie uns eine Kopie seiner Personalakte zur Verfügung stellen?«

»Erst nach Rücksprache mit unserer Personal- und Rechtsabteilung.« Vanders Maus klickte. »Ich glaube, Sie brauchen einen richterlichen Bescheid.«

»Schon gut. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Brennan und Dickson standen auf und wandten sich zum Gehen.

»Warten Sie.« Auch Vander erhob sich, ganz weiß im Gesicht. »Hat das etwas mit dieser Geschichte von dem Feuer auf dem alten Friedhof zu tun, bei dem zwei Leute umgekommen sind?«

Brennan ließ einen Augenblick verstreichen.

»Mr Vander, wir können nichts bestätigen, und wir empfehlen Ihnen dringend, unsere Befragung vertraulich zu behandeln.«

Als Brennan später mit Dickson vom Center davonfuhr, war er frustriert darüber, wie wenig weit die Dinge in den sechsunddreißig Stunden seit der Entdeckung des Feuers gediehen waren.

Sie hatten mit Robbie und Chrissie gesprochen, den beiden Jugendlichen, die angerufen hatten, und eine Wiederholung dessen erhalten, was sie bereits wussten.

»Wir wissen nach wie vor nichts über unsere Unbekannte. Nichts weiter über unseren Unbekannten – Schrägstrich, Carl Nelson. Wir haben seinen Abschiedsbrief, seinen Truck. In seiner Wohnung gibt es keinerlei Aktivität, und er ist nicht auf der Arbeit. Wir wissen, dass er es ist. Dies ist eindeutig Mord-Selbstmord, Ed. Wie wär’s, wenn wir uns eine Anordnung besorgen und seine Wohnung nach etwas durchsuchen, das uns dabei hilft, die Frau zu identifizieren und den Fall abzuschließen?«

Brennan überprüfte sein Telefon auf Nachrichten.

»Wir holen uns eine Anordnung, sobald wir seine Identität bestätigt haben. Gehen wir zum Krankenhaus. Morten möchte uns sprechen, vielleicht hat er irgendetwas.«

Morten Compton, Ramparts Gerichtsmediziner, war ein großer Mann mit einem Van Dyke-Bart und einer Vorliebe für Hosenträger und Schleifen.

Bei Brennans und Dicksons Eintreffen zog er sich gerade das Jackett an. Sein Untersuchungsraum im Untergeschoss des Krankenhauses roch nach Antiseptika und Formalin.

»Tut mir leid, Jungs, aber ich muss nach Ogdensburg.« Compton warf Ordner in seine Aktentasche. »Ich unterstütze das County bei der Schießerei in der Bar dort, und ich habe die beiden Toten vom Unfall mit dem Van der Kirche und dem Schwerlaster in Potsdam.«

»Warum hast du uns dann herbestellt, Mort?«, fragte Brennan. »Hast du irgendwelche Fortschritte bei den beiden Opfern in meinem Fall gemacht?«

»Ein paar, aber zunächst müsst ihr hinnehmen, dass die Feststellung einer Identität angesichts des Zustands der Leichen und dem Rückstand, dem sich mein Büro gegenübersieht, so seine Zeit braucht. Mein Assistent ist in Vermont auf einer Beerdigung. Ich sorge für Unterstützung aus Watertown.«

»Wo stehen wir also mit unserem Doppelmord?«

»Wir haben sowohl das Zahnschema der Frau als auch des Mannes an lokale und regionale Zahnärzte sowie Labore geschickt. Die toxikologische Untersuchung ist nach Syracuse gegangen, und wir haben DNA-Proben an die Datenbanken des FBI geschickt.«

»Mehr nicht?«

»Na ja, ich glaube, der Mann ist nicht im Feuer umgekommen.«

»Das ist was Neues. Welche Todesursache liegt bei ihm vor?«

»Wahrscheinlich ein Schuss in den Kopf. Ich habe gerade eine Hülse entdeckt. Sieht aus wie eine 9 Millimeter. Ihr müsst eine Waffe am Tatort suchen, Ed.«

Auf der Fahrt zum Tatort warf Dickson weitere Fragen auf.

»Wie hat ein toter Mann also ein Feuer gelegt, Ed?«

»Vielleicht hat er es nicht gelegt. Oder er hat sie vielleicht gefesselt, es gelegt und sich dann vor ihr erschossen und sie dem Feuertod überlassen.«

»Wenn er die Dinge zu Ende bringen wollte, wie in dem Brief stand, warum hat er dann die Frau nicht zuerst erschossen? Sich vergewissert, dass sie tot ist?«

»Vielleicht hat er’s getan und danebengeschossen, und wir haben die Geschosse noch nicht entdeckt. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir hier gerade erst die Oberfläche angekratzt haben, Paul.«

Während Dickson verwirrt den Kopf schüttelte, kehrte Brennan zu den Worten der Sterbenden zurück.

Da sind andere.

Das leuchtend gelbe Kunststoffband um die geschwärzten Überreste der Scheune flatterte in der mittäglichen Brise. Kriminaltechniker von Abteilung B in weißen Overalls und Gesichtsmasken durchsuchten weiterhin methodisch die Ruinen.

Mitch Komerick, der Leiter der Abteilung, wischte sich Asche von der Wange, als er seine Maske herabzog, um Brennan und Dickson an der südwestlichen Ecke zu begrüßen.

»Habe deine Nachricht über den neuesten Stand der Dinge erhalten, Ed«, sagte Komerick.

»Eine Waffe gefunden?«

Komerick wischte sich die verschwitzten Rußstreifen vom Gesicht und schüttelte dann den Kopf.

»Keine Waffen und keine Patronen oder Hülsen bislang.«

Brennan nickte und sah enttäuscht ins Weite.

»An der Stelle, wo wir den Mann gefunden haben, gibt es tiefe Risse«, sagte Komerick, »groß genug, dass eine Waffe leicht darin verschwinden kann. Mein Bauch sagt mir, dass sie da zu finden ist. Wir werden eine Kanalkamera runterschicken. Wir sind bei weitem noch nicht fertig.«

»Na schön.«

»Meine Leute haben den Tatort in Sektionen eingeteilt, und wir durchsuchen jeden Quadratzentimeter des Grundstücks. Wir haben den Pickup ins Labor in Ray Brook zur Untersuchung geschickt. Die Brandermittler sagen, dass ein Beschleuniger, wahrscheinlich unverbleites Benzin, verwendet wurde, also ist der Brand absichtlich gelegt worden.«

»Okay.«

»Aber wir müssen dir etwas zeigen, etwas Beunruhigendes. Wirf dich in Schale.«

Nachdem Brennan einen Overall übergestreift hatte, folgte er Komerick, und als es in die Verwüstung hineinging, hielt er sich genau an dessen Anweisungen, wo er hintreten durfte. Der Geruch nach angekohltem Holz und verbrannter Erde lag schwer in der Luft. Einige der angesengten Dachbalken hatte man entfernt und ordentlich an einer Seite gestapelt, und es waren bereits bearbeitete Abschnitte zu erkennen. Bei einem weiteren Haufen handelte es sich um kleine Apparate, jetzt allerdings bloß noch angekohltes Metall. Komerick zeigte auf die Überreste. »Das hier waren Viehställe, die jemand in kleine Räume umgebaut hat, in Zellen.«

»Woher kannst du das wissen? In diesem Durcheinander?«

»Wir haben schwere Türen mit Schlössern, metallene Handschellen und in der Mauer und im Fußboden verankerte Eisengeräte gefunden, dazu Überreste von Matratzen. Wenigstens ein halbes Dutzend Zellen bisher. Jemand hat diesen Ort ganz bestimmt genutzt, wahrscheinlich für Pornofilme, für Bondage, für Folterungen. Für Gott weiß was, Ed.«

Brennan spürte, wie sich die Härchen in seinem Nacken aufrichteten.

»Mitch, hier herüber!«

Einer der Techniker war auf den Knien und staubte den Boden mit der Sorgfalt eines Archäologen ab. Ein weiterer nahm den Vorgang auf.

»Seht mal«, sagte der Techniker, während er das kleine Ding säuberte, »das können wir durch die Datenbanken und das ViCAP für Vermisste laufen lassen.«

In dem Grab aus verrußter Erde und Asche zeigte sich eine feine Kette mit einem Anhänger, einem stilisierten Schutzengel.

5

New York City

Kate Page, Reporterin bei Newslead, der weltweiten Nachrichtenagentur, blinzelte Tränen zurück, während sie den aufgebrachten Vater tröstete, den sie auf seinem Handy in Oregon erreicht hatte.

Der Mann in der Leitung war Sam Rutlidge. Sein elfjähriger Sohn Jordan war vor sechs Jahren auf dem Weg zu einem kleinen Laden, der zwei Blocks entfernt von seiner Wohnung in Eugene, Oregon, lag, verschwunden. Kate verfasste gerade ein Feature über verschwundene Personen im ganzen Land und welchen Tribut diese ungeklärten Fälle bei den Familien forderten.

»Ich akzeptiere, dass er verschwunden ist«, sagte Sam, »und bevor meine Frau an Krebs gestorben ist, hat sie mir gesagt, sie würde es auch akzeptieren, dass sie unseren Jungen im Himmel wiedersehen würde. Aber ich muss unbedingt wissen, was ihm zugestoßen ist. Das Nicht-Wissen schmerzt einen jeden Tag wie eine offene Wunde, die nicht heilen will, wissen Sie?«

Kate wusste es.

Sie unterstrich seine Worte in ihrem Notizbuch, weil sie sie in ihrem Artikel zitieren würde. Sie empfand denselben Schmerz wie Sam, ein schmerzgepeinigter LKW-Fahrer, und stellte ihm ein paar weitere Fragen, bevor sie ihm für das Gespräch dankte.

Anschließend legte Kate die Hände vors Gesicht und stieß einen langen Atemzug aus. Dann ging sie von ihrem Schreibtisch durch die Redaktion zu den bodenlangen Fenstern und betrachtete von dort aus die Skyline Manhattans.

Es wird nie leichter.

Ein Teil ihrer selbst starb jedes Mal, wenn sie mit einer trauernden Mutter oder einem trauernden Vater sprach. Es holte immer ihren eigenen Schmerz hoch. Als Kate sieben Jahre alt gewesen war, waren ihre Mutter und ihr Vater bei einem Hotelbrand ums Leben gekommen. Nach der Tragödie hatten Kate und ihre kleine Schwester Vanessa bei Verwandten gelebt, dann bei Pflegeeltern. Zwei Jahre nach dem Tod ihrer Eltern hatten Kates und Vanessas Pflegeeltern die beiden mit in die Ferien genommen. Auf einer Fahrt durch die kanadischen Rocky Mountains hatte sich ihr Auto überschlagen und war in einen Fluss gestürzt.

Die Bilder – Teufel, dieser Moment in ihrem Leben – waren ihr in die DNA eingebrannt.

Das versinkende Auto … alles bewegt sich in Zeitlupe … die zersplitterten Fenster … das eiskalte Wasser … Vanessas Hand packen … sie herausziehen … ihre Finger verlieren den Halt … die eisige Strömung betäubt sie … verschwinden … Warum habe ich dich nicht festhalten können? Es tut mir so, so leid.

Kate war die einzige Überlebende gewesen.

Der Leichnam ihrer Schwester war nie gefunden worden. Die Sucher hatten das so erklärt, dass er sich wohl weiter flussabwärts in den Felsen verkeilt hatte. Dennoch hatte Kate im Herzen nie den Glauben daran verloren, dass Vanessa irgendwie aus dem Fluss herausgekommen war.

Über die Jahre hinweg hatte Kate Fotos einer älter gewordenen Vanessa anfertigen lassen und sie mit weiteren Details an Gruppen weitergegeben, die nach Vermissten suchten. Sie hatte ihre Kontakte bei der Polizei und der Presse genutzt, und sie hatte einen Blick in offene Fälle geworfen. Aber jede Spur hatte immer in einer Sackgasse geendet.

Es war ihre ureigenste Besessenheit geworden.

Warum war ich diejenige aus unserer Familie, die überlebt hat?

Wohin Kate auch ging, sie blickte heimlich Fremden ins Gesicht, die ihrer Schwester ähneln mochten. Zwanzig Jahre lang war Kates Leben eine Suche nach Vergebung gewesen.

Ich weiß, es ist irrational. Ich weiß, es ist verrückt, und ich sollte einfach loslassen.

Aber sie konnte es nicht. Es war der Grund, weswegen sie Reporterin geworden war.

»Kate, bekommen wir Ihr Feature heute zu sehen?«

Sie drehte sich um und hatte Reeka Beck vor sich, Newsleads stellvertretende Chefredakteurin für Features und ihre unmittelbare Vorgesetzte.

Reeka war sechsundzwanzig, mit messerscharfem Verstand und Examina von Harvard und Yale. Ein aufsteigender Stern. Sie hatte in Newsleads Büro in Boston gearbeitet und war Teil des Teams, dessen Gemeinschaftsarbeit Finalist beim Pulitzerpreis gewesen war.

Mit fliegendem Daumen tippte sie eine Nachricht auf ihrem Smartphone, dann starrte sie Kate an. Reekas Covergirl-Gesicht war kühl und geschäftsmäßig, während sie auf eine Antwort wartete.

»Ja. Es wird heute fertig.«

»Es steht nicht auf der Budgetliste.«

»Es steht da. Ich hab’s gestern draufgesetzt.«

»Bringt es einen neuen Aspekt?«

»Es ist ein Feature. Wir haben darüber mit …«

»Ich weiß, dass wir darüber gesprochen haben, aber wir haben mehr Leser, wenn es etwas Neues bringt.«

»Ich füge gerade die letzten ungelös…«

»Vielleicht könnten Sie einen Fall finden, bei dem die Polizei kurz vor dem Abschluss steht.«

»Ich weiß, wie man Nachrichten …«

»Haben Sie an die Illustrationen zu Ihrer Story gedacht?«

Kate ließ das angespannte Schweigen, das zwischen ihnen lag, ihre Kränkung über Reekas herablassenden Tonfall hinausschreien. Reeka war immerzu schroff, barsch und einfach nur grob. Sie schnitt Reportern das Wort ab, wenn sie ihr Antwort gaben, oder tat ihre Fragen ab. Jeder Austausch mit ihr grenzte an eine Konfrontation. Nicht weil Reeka ehrgeizig war und sich und ihre Fähigkeiten für überlegen hielt, sondern weil, wie die Nachtschicht verlauten ließ, einer von Newsleads Aufsichtsräten ihr Onkel war und sie damit durchkommen konnte. In jeder Redaktion, bei der Kate bislang gearbeitet hatte, hatte es mindestens einen unerträglichen Redakteur gegeben.

»Ja, Reeka, es gibt Illustrationen. Die Story ist auf der Budgetliste. Ich lade sie heute hoch, wie im Budget vermerkt, und ich füge die neuen Statistiken ein.«

»Danke sehr.« Reeka machte auf dem Absatz kehrt, während sie eine SMS schrieb, und ging. Kates Blick bohrte sich in ihren Hinterkopf.

Sei vorsichtig bei ihr! Jetzt ist keine Zeit, sich Feinde zu machen. Kate kehrte an ihren Schreibtisch inmitten der vielen Boxen im Redaktionsbüro zurück. Ein Teil dieser Schreibtische war unbesetzt, eine unerbittliche Mahnung daran, dass die Zahl der Angestellten in den letzten Jahren drastisch reduziert worden war, nachdem die Gewinne der Nachrichtenindustrie geschrumpft waren.

Es ging das Gerücht, dass Newslead etwas einführen würde, das die Zahl der von den Reportern produzierten Berichte sowie die Zahl der Abonnenten ihrer Arbeit im Vergleich zu Wettbewerbern wie AP, Reuters oder Bloomberg messen konnte.

Ruhig her damit! Kate konnte locker mit allen mithalten.

Bei einem brutalen Jobwettstreit im letzten Jahr im Dallas-Büro von Newslead hatte sie das bewiesen. Sie hatte eine Story über ein Baby gebracht, das während eines Killer-Tornados verloren gegangen war. Deswegen hatte Chuck Laneer, ein Chefredakteur in Dallas, ihr später, nach seiner Versetzung hierher nach Manhattan, einen Job im Hauptquartier von Newslead angeboten.

Seitdem hatte Kate Reportagen für Newslead verfasst und oft den Wettbewerb in der Berichterstattung über Serienmorde, Schießereien in Malls, Korruption, Entführungen und was sich sonst noch an möglichem Chaos im ganzen Land oder in der ganzen Welt ereignet hatte, für sich entschieden.

Reporter zu sein lag Kate im Blut.

Und so lange sie zurückdenken konnte, war sie stets bis an die Grenzen gegangen.

Ihr Leben war von Anfang an ein Kampf ums Überleben gewesen. Sie war von einer Pflegefamilie zur nächsten weitergereicht worden, hatte ihre Jahre als Teenager auf der Straße verbracht und jeden Job angenommen, den sie bekommen konnte, um sich durchs College zu bringen. Sie hatte in Redaktionen im ganzen Land gearbeitet, und sie hatte ein Kind von einem Mann, der sie angelogen und sie sitzengelassen hatte. Jetzt war sie also hier als alleinerziehende Mutter, die gerade die Dreißig überschritten hatte, und eine nationale Korrespondentin für eine der größten Nachrichtenagenturen der Welt.

Sie setzte sich wieder an ihren Schreibtisch, und ihr wurde warm ums Herz, als sie Grace anblickte, ihre siebenjährige Tochter, die sie aus der gerahmten Fotografie gleich neben ihrem Bildschirm anlächelte.

Wir haben’s weit gebracht, meine Kleine. Wir sind Überlebende.

Keine Stunde später hatte sie ihr Feature beendet und schickte es an den Chefredakteur.

Als sie gerade ihre Sachen zusammensammelte und gehen wollte, klingelte ihr Telefon.

»Newslead, Kate Page.«

»Kate, Anne Kelly hier, vom New Yorker Büro des Children’s Searchlight Network. Haben Sie einen Augenblick Zeit?«

»Aber sicher.«

»Fred Byfield, einer unserer Ermittler, hat gesagt, ich solle Sie anrufen. Sie hatten darum gebeten, dass wir Ihnen bei jeder Nachfrage Bescheid geben, die mit der Sache Ihrer Schwester zu tun hat, ganz gleich, wie dürftig?«

Kates Puls schlug rascher. »Ja, sprechen Sie weiter.«

»Wir möchten Sie hinsichtlich einer Anfrage vorwarnen, die uns kürzlich von Seiten der Polizei erreicht hat.«

Es klang so, als würde die Frau etwas von einem Zettel ablesen.

»Na schön«, sagte Kate.

»Man hat uns gebeten, in unseren Akten nach einem Schmuckstück zu forschen, bei dem es um verschwundene weiße Frauen Mitte zwanzig geht.«

»Aber das ist Routine.«

»Allerdings, aber in diesem Fall haben sie nach einem Halskettchen mit einem Schutzengel als Anhänger gefragt.«

Kate erstarrte.

Kurz vor ihrem Tod hatte Kates Mutter ihr und Vanessa ein Halskettchen mit einem Schutzengel geschenkt. Kate hatte das Kettchen in dem Ordner beschrieben, den sie den Organisationen, die sich um Vermisste kümmerten, zur Verfügung gestellt hatte.

»Steht da irgendetwas über eine Gravur oder eine Inschrift?«

»Nein.«

»Können Sie mir weitere Details nennen, Anne?«

»Ich kann jemandem Ihre Nummer geben, der Sie dann anruft.«

»Okay, aber können Sie mir im Augenblick etwas mehr sagen?«

»Nun ja, wir sind gerade benachrichtigt worden, dass die Anfrage an unser nationales Büro in Washington gegangen ist, wo eine Suche nach dem Stück durchgeführt werden soll, und Kate, tut mir leid, es geht dabei um einen Mordfall.«

Kate sackte auf ihren Stuhl.

6

New York City

Kates Schnellbahn schoss Richtung Norden aus der Penn Station.

Sie starrte hinaus in die Dunkelheit, während ihre Gedanken rasten und sie den Anruf wegen des Halskettchens verarbeitete.

Könnte es Vanessas sein?

Während sie mit den Folgerungen und den Fragen rang, die sich daraus ergaben, spürte sie ein Pochen in ihrem Herzen, das sich in Anspannung verwandelte.

Hör auf!

Vanessa ist tot. Sie ist vor zwanzig Jahren gestorben. Warum will ich so etwas durchmachen? Warum klammere ich mich an die Hoffnung, dass sie überlebt hat? Und jetzt das: ein Mordfall.

Die Bahnsteige der U-Bahn huschten vorüber, bis Kate ihr Ziel erreichte. Da klingelte ihr Handy. Es war Nancy Clark, ihre Nachbarin, die auf ihre Tochter aufpasste.

»Hallo, Kate, ist es gerade ungünstig?«

»Nein. Ich bin nur auf dem Weg nach Hause. Alles in Ordnung?«

»Oh, ja, Grace möchte nur dringend mit dir reden.«

»Na gut, hol sie her.«

Dem Geräusch, wie das Telefon weitergereicht wurde, folgte Grace’ Stimme. »Hey, Mom?«

»Hey, Schatz. Was gibt’s?«

»Mom, kann ich mein eigenes Handy kriegen?«

»Oh, Süße.«

»Aber alle meine Freundinnen haben ein Handy.«

»Ich überleg’s mir. Ich bin bald zu Hause. Dann sprechen wir darüber.«

»Okay, Mom. Hab dich lieb.«

»Ich dich auch.«

Kate nahm ihr Handy an die Lippen und lächelte.

Was für ein Kind!

Grace war Sonne, Mond und Sterne in ihrem Leben. Sie hatte sich in New York City eingelebt, als wäre sie hier geboren worden. Sie liebte ihre Schule, ihre neuen Freundinnen, Central Park, die Museen, alles an der Stadt.

Kate wusste ihren Job bei Newslead zu schätzen. Der Weg hierher war lang gewesen und hatte etwas Glück und viel harte Arbeit erfordert, aber sie hatte berufsmäßig und finanziell eine Hürde überwunden.

Wir haben hier ein gutes Leben. Sie wohnten in Morningside Heights in einem viktorianischen Gebäude, wo sie eine bezahlbare Zwei-Zimmer-Wohnung von einem Professor der Columbia-Universität übernommen hatte, der gerade ein Sabbatjahr in Europa absolvierte. Während sie die paar Straßen von der Station nach Hause ging, sah Kate nach, ob es irgendwelche neuen Nachrichten von Anne Kelly beim Children’s Searchlight Network gab.

Nichts.

In der Eingangshalle nahm Kate ihre Post mit. Hier waren sie und Grace zum ersten Mal Nancy Clark begegnet, einer verwitweten Krankenschwester im Ruhestand, die allein in der Etage über ihnen wohnte.

Sie war so freundlich und warmherzig und hatte Kate und Grace praktisch adoptiert. Sie luden einander auf einen Kaffee ein, und Nancy bestand rasch darauf, sich um Grace zu kümmern, wenn Kate bei der Arbeit oder auf Reisen war. Jetzt, draußen vor Nancys Wohnung, bemerkte Kate den Duft nach frischem Gebäck, und da öffnete auch schon Grace die Tür.

»Hey, Mom! Wir machen Cookies!« Grace umarmte Kate, dann ging sie zum Küchentisch zurück und nahm eine kleine Metalldose und ihren Rucksack. »Nancy sagt, ich kann sie mitnehmen.«

»Okay«, sagte Kate. »Vielen Dank dafür, Nancy.«

»Gern geschehen. Wir hatten viel Spaß. Bis morgen, dann.«

In ihrer Wohnung zurück machten Kate und Grace es sich vor dem Abendessen gemütlich, und jeder aß einen Cookie. Wie üblich leerte Grace ihren Schulrucksack auf den Beistelltisch. Kate legte die Post beiseite, fuhr ihren Laptop hoch, um die E-Mails zu überprüfen, streifte Jeans über und bereitete dann Hähnchentacos, Reis und Salat zu. Bevor sie sich an den Tisch setzte, überprüfte sie erneut ihr Handy.

Nichts vom Searchlight Network.

»Mom, hast du noch mal wegen meinem Handy nachgedacht?«, fragte Grace und biss in den Taco.

»Überlege noch immer, Schatz.«

»Vielleicht könnten wir auf deinem Computer nach einem guten suchen?«

»Nicht so rasch, mein Kind.« Kate lächelte.

Nach dem Abendessen half Kate Grace bei ihrer Buchbesprechung von Horton hört ein Hu!.

»Mom, was magst du lieber: Ein Kater macht Theater oder Horton hört ein Hu!?«

»Na ja, der Kater richtet viel Unheil an, während Horton Menschen helfen möchte, also ja, aus diesem Grund Horton.«

»Obwohl der Kater sehr lustig ist.«

»Ja, aber er hinterlässt ein ziemliches Chaos.«

Nachdem Kate später Grace in die Wanne gesteckt hatte, klingelte ihr Telefon. Die Nummer war unterdrückt. Kate ließ die Badtür offen und hielt ein Auge auf Grace gerichtet, die vor sich hin sang und planschte. Kate ging den Flur hinab, um außer Hörweite zu kommen.

»Hallo?«

»Kate Page?«

Sie erkannte die Stimme des Mannes nicht.

»Ja, wer ist da, bitte?«

»Ed Brennan, Detective bei der Polizei in Rampart, New York. Ich habe Ihren Namen und Ihre Nummer vom Children’s Searchlight Network.«

Kate vergaß zu atmen und packte das Handy fester.

»Ja.«

»Ich rufe an, weil Sie ein Halskettchen aufgelistet haben, das Ihrer sechsjährigen Schwester gehört hatte, als sie nach einem Autounfall in Kanada vor zwanzig Jahren vermutlich ertrunken ist.«

»Ja.«

»Könnten Sie mir weitere Details zu dem Halskettchen liefern?«

»Jetzt?«

»Ja.«

Kate räusperte sich.

»Einen Monat, bevor unsere Mutter starb, hat sie Vanessa und mir jeweils ein Halskettchen mit einem winzigen Schutzengel geschenkt, und auf dem Anhänger waren unsere Namen eingraviert. Vanessa wollte sie tauschen, also trug sie das Kettchen mit meinem Namen, und ich habe den Engel mit ihrem Namen behalten.«

»Also sind sie, bis auf die Gravur, identisch?«

»Ja.«

»Haben Sie das andere Kettchen noch?«

»Ja, allerdings.«

»Wenn ich es recht sehe, wohnen Sie in New York City.«

»Das stimmt.«

Brennan hielt inne, wie um seine Worte sorgfältig zu wählen.

»Ich weiß, das wäre sehr schwierig, und ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeiten, aber wären Sie gewillt, das Kettchen nach Rampart zu bringen und es uns zu zeigen? Es könnte bei einer laufenden Ermittlung hilfreich sein.«

»Könnte ich Ihnen nicht einfach ein Foto schicken?«

»Wir würden lieber das richtige Kettchen sehen – vielleicht haben wir weitere Fragen.«

Kate zog sich der Magen zusammen.

»Können Sie mir mehr über den Fall mitteilen, Detective Brennan?«

Ein paar Augenblicke verstrichen.

»Das ist vertraulich«, sagte Brennan schließlich.

»Natürlich.«

»Wir haben am Tatort ein Halskettchen gefunden, das zu der Beschreibung passt, die Sie gegeben haben. Allerdings ist die Gravur zu diesem Zeitpunkt schwer erkennbar. Ich brauche eine weitere Analyse, weil es stark verkohlt war.«

»Verkohlt?«

»Leider ist es in den Überresten eines Brands an einem Tatort gefunden worden, an dem offenbar ein Mord samt Selbstmord geschehen ist. Wir haben eine Tote Mitte zwanzig, die so stark verbrannt ist, dass sie nicht mehr zu erkennen war. Wir tun alles, um ihre Identität zu bestätigen.«

Kate legte sich die Hand vor den Mund, dann erhaschte sie einen Blick auf ihre Tochter, die fröhlich in der Wanne spielte.

»Sie sagen, es handele sich um Mord-Selbstmord. Was … was können Sie mir sonst noch mitteilen?«

»Die Identität des Mannes ist ebenfalls ungeklärt. Wir haben bis jetzt nicht viele Details an die Öffentlichkeit gegeben. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen das zumuten muss. Aber wir hätten es nicht getan, wenn wir nicht Grund zu der Annahme hätten, dass Ihre Kooperation uns helfen könnte. Können Sie das Kettchen nach Rampart bringen?«

»Ja. Ja, ich bin morgen mit dem Halskettchen bei Ihnen.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, brachte sie Grace ins Bett, dann rief sie Chuck Laneer auf seinem Handy an. Obwohl Reeka Beck ihre unmittelbare Chefin war und es Spannungen geben würde, wenn sie über ihren Kopf hinweg handelte, wollte Kate lieber mit Chuck über diese Sache sprechen. Sie hatten eine gute Beziehung zueinander, die bis in die Tage von Dallas zurückreichte, als sie ihm die Tragödie mit Vanessa erzählt hatte.

»Das ist eine unglaubliche Entwicklung für dich, Kate«, sagte er, als sie ihm die Neuigkeit berichtete. »Ich sehe kein Problem, dass du dir deswegen ein paar Tage freinimmst. Aber um jeden möglichen Konflikt zu vermeiden, wirst du nicht als Reporterin von Newslead da hinauffahren.«

»Alles klar.«

»Du fährst auf eigene Kosten hin, um einer privaten Angelegenheit nachzugehen. Ich gebe Reeka Bescheid, dass du wegen persönlicher Angelegenheiten ein paar Tag weg bist.«

»Danke.«

»Viel Glück dabei, Kate. Das wird bestimmt nicht einfach.«

Daraufhin sorgte Kate dafür, dass sich Nancy um Grace kümmerte. Sie benutzte ihre Bonusmeilen, um einen Flug und einen Wagen zu buchen, und machte sich ans Packen.

Dann ging sie zum ihrem Schmuckkästchen und holte die Halskette mit dem winzigen Schutzengel hervor, auf dem der Name »Vanessa« eingraviert war. Sie hielt es in der Hand, bis ihr die Tränen das Gesicht herabliefen.

Ich habe versucht, dich festzuhalten. Ich hab mir so viel Mühe gegeben.

7

Rampart, New York

Das ruhige Hufgeklapper eines vorüberkommenden Amish-Pferds samt Wagen tönte durch das Fenster der Polizeidienststelle von Rampart und stand völlig im Widerspruch zu Kate Pages Unbehagen.

Nachdem ihr Flugzeug in Syracuse gelandet war, hatte sie die zweistündige Fahrt in einem gemieteten Chevrolet Cruze zurückgelegt. Kilometer um Kilometer hatte sie das Lenkrad so fest umklammert gehalten, dass ihre Fingerknöchel weiß geworden waren, bis sie den Stadtrand erreicht hatte, wo das Ortseingangsschild von Rampart sie in der Heimat des »Battle of the High School Bands« begrüßte.

Dem Navigationsgerät folgend fuhr sie schnurstracks zu dem Kalksteinbau, der die Dienststelle der Polizei beherbergte. Am Empfang wies man ihr eine quietschende Bank mit harter Lehne zu, wo sie auf Detective Brennan wartete. Noch immer aufgekratzt von ihrer Tour sah Kate auf ihrem Tablet nach, wie die hiesigen Medien über die Sache berichteten.

Geheimnis um zwei Tote. Die Schlagzeile des Rampart Examiner erstreckte sich über einer Luftaufnahme vom Tatort. Der verkohlte Klecks der zerstörten Scheune war dem üppigen Baumbewuchs wie eine Wunde eingebrannt.

Ist dort meine Schwester gestorben?

Den größten Teil ihres Lebens hatte sich Kate an die entfernte Hoffnung geklammert, dass Vanessa lebte, und jetzt zu erfahren, dass sie vielleicht hier gestorben war, überwältigte sie fast. Aber Kate wahrte ihre Fassung, indem sie sich auf die Berichte konzentrierte.

Ein neuer Bericht auf der Seite einer Rundfunkstation besagte, dass die Polizei die Opfer immer noch nicht identifiziert hatte. Gewisse Quellen hatten der Station jedoch mitgeteilt, dass es sich bei dem Mann um Carl Nelson handeln sollte, einen IT-Techniker beim MRKT DataFlow Call Center. Sie beschrieben ihn als zurückhaltenden, »fast einsiedlerischen« Mann, dessen Truck in der Nähe des Friedhofs aufgefunden worden war, am Ort des Brands. Geheimnisse umwitterten Gerüchte, dass ein Abschiedsbrief in dem mutmaßlichen Mörderfahrzeug gefunden worden sei. Die Polizei hielt sich hinsichtlich der Untersuchung sehr zurück, hieß es im Bericht.

Kate speicherte diesen Artikel zusammen mit einigen anderen ab.

Sie überlegte, wer Carl Nelson sein konnte, und sah auf, als jemand ihren Namen nannte.

Zwei Männer in Sportjacketts standen vor ihr.

»Ich bin Ed Brennan, das ist Paul Dickson. Wir sind froh, dass Sie den ganzen Weg hergekommen sind. Wie war Ihre Reise?«

»So weit ganz in Ordnung.«

»Schön. Wir gehen hier rein zum Reden.«

Sie betraten einen fensterlosen Konferenzraum, wo Brennan Kate etwas zu trinken anbot.

»Vielen Dank. Wasser wäre schön.«

»Wenn ich mich nicht irre, sind Sie Reporterin in New York bei Newslead, der Nachrichtenagentur.«

»Ja.«

Ein Schatten der Besorgnis huschte über Brennans Gesicht, und Dickson warf ihm verstohlen einen Blick zu.

»Aber Sie sind nicht hier, um über diesen Fall zu berichten. Das ist eine persönliche Sache.«

»Ja.«

»Was wir hier besprechen, muss unter uns bleiben, haben Sie verstanden?«

»Ja, habe ich.«

»Gut.«

Brennan stellte Kate einen Stuhl hin und reichte ihr eine Flasche Wasser. Sie trank ein wenig, holte das Halskettchen aus ihrer Tasche und legte es auf den Tisch. Brennan betrachtete es und öffnete dann sein Notizbuch auf einer neuen Seite.

»Um unseretwillen, Kate, würden Sie uns bitte einen Überblick über Ihren Familienhintergrund verschaffen?«

Erneut erzählte Kate die Geschichte des Halskettchens.

»Wären Sie bereit, uns Ihre Halskette für einen Vergleich zu überlassen?«, fragte Brennan.

»Natürlich. Darf ich die sehen, die Sie gefunden haben?«

Einen Moment lang schwieg Brennan.

»Nein, tut mir leid, das ist ein Beweisstück. Aber wir zeigen Ihnen das hier.«

Er schob Kate einen Schnellhefter zu. Angesichts einer gestochen scharfen vergrößerten Farbfotografie einer Halskette mit einem Engel hielt sie den Atem an. Das Kettchen war beschädigt, die Gravur unleserlich. Es war geschwärzt, lag auf einem weißen Hintergrund unmittelbar neben einem Etikett, auf dem »Beweismittel« stand, und einem Lineal, um den Maßstab zu verdeutlichen.

»Sie sind ähnlich«, sagte Brennan. »Wir geben Ihres an die Kriminaltechniker weiter.«

Ganz in Anspruch genommen von dem verkohlten Halskettchen auf dem Foto schossen Kates Gedanken zu Vanessa, dem Scheunenbrand und der Qual, die sie erlitten haben musste.

»Ich versteh’s einfach nicht«, sagte Kate.

»Was?«

Sie hob den Kopf. »Wenn dies die Halskette meiner Schwester ist, wie ist sie dann von unserer Unfallstelle in Kanada hierher geraten?«

»Wenn es ihr gehört, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Es könnte ans Ufer gespült worden sein. Ein Tier hätte es wegtragen können. Jemand hätte es finden können. Dann hätte es über die Jahre hinweg seinen Weg über Flohmärkte, Hinterhofverkäufe und Juweliere, Leihhäuser und wer weiß was genommen, bis es hier gelandet ist. Wir haben viele Theorien und Fragen.«

»Also verwerfen Sie die Möglichkeit, dass meine Schwester den Unfall damals überlebt hat und irgendwie hier aufgetaucht ist?«

»Wir haben nichts bestätigt, also verwerfen wir auch nichts. Tatsächlich haben wir einige Nachfragen bei der Royal Canadian Mounted Police angestellt.«

»Hinsichtlich des Falls meiner Schwester?«

»Hören Sie, wir gehen lieber nicht so ins Detail. Es gibt andere Aspekte.«

»Welche Aspekte? Das wüsste ich gern.«

»Ich weiß, wie sich das anhört, aber wir können nicht über unsere laufenden Ermittlungen sprechen.«

»Ich habe gelesen, dass es einen Abschiedsbrief gegeben hat – was stand darauf?«

»Wir reden besser nicht über irgendwelche anderen Aspekte.«

»Nun gut, dann möchte ich sie gern sehen, die Frau, die ums Leben gekommen ist.«

Brennan wechselte einen Blick mit Dickson und rückte in seinem Stuhl zurecht.

»Unter den gegebenen Umständen halte ich das nicht für hilfreich.«

Kate saß da und wusste nicht, was sie denken oder sagen sollte, während lange Zeit Schweigen herrschte.

»Wir tun alles, was wir können, um die Identität zu bestätigen«, sagte Brennan schließlich. »Ich frage das ja nur sehr ungern, aber besteht die Möglichkeit, dass Sie nach wie vor die Haarbürste Ihrer Schwester oder Zugang zu ihren zahnärztlichen Befunden haben?«

Kate starrte ihn an.

»Nein, natürlich nicht.«

Einen Augenblick lang sah sie beiseite.

»Kate, würden Sie freiwillig eine DNA-Probe abgeben?«

»Sicher, wenn’s hilft.«

»Allerdings«, sagte er. »Sobald wir fertig sind, holen wir jemanden von der Kriminaltechnik her, der eine Speichelprobe nimmt.«

Die Zeit verstrich. Brennan konsultierte seine Notizen und stellte Kate weitere Fragen über ihre Familiengeschichte und ob sie sich an irgendeine Verbindung zu Rampart oder Carl Nelson erinnerte.

»Nein, nicht die geringste. Bis heute bin ich nie hier gewesen.«

»Fällt Ihnen zu diesem Mann irgendetwas ein, Kate?«

Brennan zeigte ihr ein vergrößertes Farbfoto, das von einem in New York ausgestellten Führerschein stammte. Eisige Augen starrten sie aus dem Gesicht eines vollbärtigen Mannes von Ende vierzig an und erweckten in ihr den Eindruck, eine Kreuzung aus dem Unabomber und Charles Manson vor sich zu haben. Kate lief es kalt den Rücken runter, und sie spürte etwas, das knapp unter der Oberfläche brodelte.

Ist dies das letzte Gesicht, das Vanessa sah?

Kate prägte sich seine Anschrift ein: 57 Knox Lane, Rampart.

»Nein, ich habe ihn nie zuvor gesehen. Er ist mir in keinster Weise vertraut«, sagte sie. »Ist das der Mann, der in den Flammen umgekommen ist?«

»Da sind wir uns ziemlich sicher, aber wir warten noch auf eine positive Bestätigung durch den Pathologen.«

»Worin bestand Ihrer Ansicht nach die Beziehung zwischen Carl Nelson und meiner Schw… der Frau, die im Feuer umgekommen ist?«

»Daran arbeiten wir.«

Nachdem die Beamten das Gespräch beendet hatten, sahen sie zu, wie ein Mitarbeiter der Kriminaltechnik mit einem Wattebausch eine Probe von der Innenseite von Kates Wange nahm. Dann unterschrieb Kate einige Papiere hinsichtlich ihrer DNA-Probe und des Halskettchens. Bevor sie ging, bat sie die Beamten, ihr den Weg zum Tatort zu beschreiben.

»Dort wird immer noch gearbeitet«, sagte Brennan.

»Also?«

»Wäre es uns lieber, Sie würden nicht dorthin gehen – vom Highway aus können Sie nichts erkennen.«

»Können Sie mich dorthin bringen?«

»Tut uns leid, das geht nicht«, erwiderte Brennan.

»Warum nicht? Habe ich Ihnen nicht geholfen?«

»Wir müssen die Integrität der Ermittlung wahren, und wir ersuchen Sie, unser Gespräch vertraulich zu behandeln. Dafür haben Sie gewiss Verständnis.«

»Natürlich, habe verstanden. Sie haben mich hierher geholt, nur damit ich Ihnen helfe.«

»Nein, so ist das nicht. Wir wissen, wie schwer es für Sie sein muss, aber als Reporterin werden Sie verstehen, dass wir sorgfältig darauf achten müssen, wie sich die Dinge entwickeln.«

»Kapiert.« Kate nahm ihre Tasche und tauschte Visitenkarten mit Brennan und Dickson aus. »Wie lange dauert es, bis Sie die Identität der Frau feststellen können?«

»Lässt sich überhaupt nicht sagen«, entgegnete Dickson. »Das Problem ist der Zustand und die Tatsache, dass das Labor des Rechtsmediziners noch andere Fälle zu bearbeiten hat.«

»Kate«, sagte Brennan. »Fahren Sie nach Hause. Wir wissen Ihre Hilfe zu schätzen und verstehen, was Sie durchmachen.«

»Das glaube ich nicht, Ed. Meine Schwester ist entweder vor zwanzig Jahren gestorben, oder sie hat zwei Jahrzehnte gelebt, ohne dass ich es gewusst habe, bevor sie vor zwei Tagen starb. Das mache ich durch.«

8

Rampart, New York

Mit Hilfe der Luftaufnahmen aus den Nachrichten und des Navis im Chevy fand Kate den Friedhof am Stadtrand.

Sie musste den Schauplatz des Verbrechens sehen.

So viel hätten Brennan und Dickson ihr zugestehen müssen.

Auf Grund ihrer jahrelangen Zeit als Reporterin wusste Kate, dass Kriminalbeamte grimmig entschlossen waren, nichts über ihre Ermittlungen preiszugeben. Sie mussten so sein, damit ihre Fälle nicht vor Gericht zerpflückt wurden.

Aber das ist mein Leben.

Brennan hätte sie zum Tatort bringen können. Sie hatte ihm geholfen, und er hätte dasselbe für sie tun können. Sie hatte für das Recht zu erfahren, was ihrer Schwester zugestoßen war, bezahlt – sie hatte dafür in dem Moment bezahlt, da Vanessas Hand der ihren in diesem kalten Bergbach entglitten war.

Scheiß auf Brennan!

Kate hatte zu viel durchgemacht und war zu weit gekommen, um nicht die Wahrheit herauszufinden, insbesondere jetzt, wo sie so nahe dran war. Sie würde weiter auf eigene Faust nachforschen, wie sie es den größten Teil ihres Lebens sowieso schon getan hatte. Brennan und Dickson hatten lediglich von ihr die Halskette und ihre DNA haben wollen. Dann sollte sie nach Hause gehen.

Sie sah zu der Luftbildaufnahme des Tatorts auf ihrem Tablet hinüber, das auf dem Beifahrersitz lag.

Es wäre uns lieber, Sie würden nicht dorthin gehen.

Versucht doch, mich daran zu hindern! Sie lenkte ihren Mietwagen über eine leere Strecke des Highways, der sich durch eine dunkle, bewaldete Landschaft wand. Nach ein paar Kilometern stieß sie auf einen Streifenwagen des New York State, der die überwachsene Zufahrt zum Friedhof versperrte. Über dem Eingangstor hing ein Streifen gelbes Absperrband.

Kate hatte eine Idee.

Sie parkte in der Nähe, stieg aus und ging auf den einsamen Polizisten zu, der am Steuer saß. Er nahm sie kühl zur Kenntnis und sah ihr genau auf die Hand, die sie in ihre Handtasche schob.

»Hallo«, sagte sie. »Kate Page. Ich bin Reporterin von Newslead.« Sie zeigte ihm ihren Presseausweis. »Wie geht’s Ihnen?«

»Gut, gut. Kann ich Ihnen helfen?«

»Können Sie mir zeigen, wo der Pressezugang zum Tatort liegt?«

»Bis hierher können Sie gehen«, sagte er.

»Echt?«