Verzweifelt begehrt - Lorraine Heath - E-Book

Verzweifelt begehrt E-Book

Lorraine Heath

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Beschreibung

Eine Frau mit Rachedurst

London 1852: Eleanor Watkins ist überzeugt, dass Lord Rockberry schuld am Tod ihrer Schwester ist. Nun will sie den Mann bestrafen - und begibt sich dabei selbst in Gefahr ...

Ein Mann mit Sinn für Gerechtigkeit

James Swindler hat hart gearbeitet, um seine zwielichtige Vergangenheit zu sühnen. Jetzt setzt er sich als Ermittler bei Scotland Yard dafür ein, dass kein Unschuldiger hinter Gitter kommt. Um ein Verbrechen zu verhindern, hängt er sich an Eleanors Fersen.

Ein unaufhaltsames Begehren

James ist fest entschlossen, all seine Verführungskünste einzusetzen, um Eleanor zur Preisgabe ihrer Pläne zu verleiten. Doch auch sie weiß ihren Charme einzusetzen. Und schon bald wird aus eiskaltem Kalkül brennende Leidenschaft ...

Ein sinnlicher historischer Liebesroman mit aufregendem Katz-und-Maus-Spiel!

Dieser NEW YORK TIMES BESTSELLER ist "eine zärtliche, gefühlvolle Liebesgeschichte, die mit all den Wendungen eines großartigen Spannungsromans aufwartet." RT Book Reviews

Die Novelle zur Reihe "Scoundrels of St. James": "Sinnlich berührt".

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 437

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

Weitere Titel der Autorin

Die Scoundrels of St. James:

Band 1: Teuflisch verführt

Band 2: Gefährlich zärtlich

Band 3: Verboten sündig

Kurz-Novelle: Sinnlich berührt

Über dieses Buch

Eine Frau mit Rachedurst

London 1852: Eleanor Watkins ist überzeugt, dass Lord Rockberry schuld am Tod ihrer Schwester ist. Nun will sie den Mann bestrafen – und begibt sich dabei selbst in Gefahr …

Ein Mann mit Sinn für Gerechtigkeit

James Swindler hat hart gearbeitet, um seine zwielichtige Vergangenheit zu sühnen. Jetzt setzt er sich als Ermittler bei Scotland Yard dafür ein, dass kein Unschuldiger hinter Gitter kommt. Um ein Verbrechen zu verhindern, hängt er sich an Eleanors Fersen.

Ein unaufhaltsames Begehren

James ist fest entschlossen, all seine Verführungskünste einzusetzen, um Eleanor zur Preisgabe ihrer Pläne zu verleiten. Doch auch sie weiß ihren Charme einzusetzen. Und schon bald wird aus eiskaltem Kalkül brennende Leidenschaft …

Ein lustvoller historischer Liebesroman mit aufregendem Katz-und-Maus-Spiel!

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Lorraine Heath hat schon immer davon geträumt, Schriftstellerin zu werden. Nach ihrem Abschluss in Psychologie an der University of Texas schrieb sie im Rahmen ihrer Arbeit zunächst Handbücher und Pressemitteilungen. Als ihr 1990 ein Liebesroman in die Hände fiel, erkannte sie, dass sie ihre Zeit nicht weiter mit langweiligen Fakten, sondern mit Abenteuern, Leidenschaft und Romantik füllen wollte. Seitdem hat sie zahlreiche Romane veröffentlicht, wurde mehrmals für ihr Werk ausgezeichnet und erschien auf der Bestsellerliste der New York Times.

Homepage der Autorin: https://www.lorraineheath.com/.

Lorraine Heath

Verzweifeltbegehrt

Aus dem amerikanischen Englischvon Ulrike Moreno

beHEARTBEAT

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2009 by Jan Nowasky

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Midnight Pleasures with a Scoundrel«

Originalverlag: Avon Books

Published by arrangement with Avon, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2018/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anita Hirtreiter, München

Titelillustration: © HotDamnStock ; © shutterstock/riekephotos

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0255-3

be-ebooks.de

lesejury.de

Für die FüchseAlice, Franny, Jane, Jo, Julie,Kay, Sandy, Suzanne und Tracy –Das Leben ist viel lustiger, meine Damen,wenn ihr den Wein einschenkt.

Prolog

Aus dem Tagebuch von James Swindler

Ich trage eine Finsternis in mir, die nicht mehr von mir weichen will. Sie ist an dem Tag entstanden, an dem ich mitansehen musste, wie mein Vater erhängt wurde. Bei der öffentlichen Hinrichtung herrschte auf den Straßen eine festliche Atmosphäre, aber in mir drinnen wurde es ganz dunkel. Als mir mein Vater genommen wurde, war auch mein Leben zerstört.

Ich war gerade mal acht Jahre zuvor geboren, und mit meiner Niederkunft war der Abschied meiner Mutter von dieser Welt gekommen. Deshalb wurde ich mit dem Tod meines Vaters zu einem Waisenkind, das kein Zuhause und auch sonst niemanden mehr hatte, der mich aufgenommen hätte.

In der jubelnden Menge neugieriger Zuschauer befanden sich zwei Jungen, die meine Notlage erkannten – immerhin strömten Tränen über mein schmutziges Gesicht, während andere johlten, lachten und sich zweifellos meine Geschichte erzählten. Mein Vater hatte mich gebeten, stark zu sein. Er hatte mir sogar noch zugezwinkert, bevor sie ihm die schwarze Kapuze überzogen, als wäre es nur ein Schabernack, dass er auf dem Galgen stand, ein harmloser Scherz, über den wir später lachen würden.

Aber es war bitterer Ernst, und wenn mein Vater heute lacht, dann ist es nur der Teufel, der ihn hört.

Ich war an jenem Tag nicht stark – doch seither war ich immer hart im Nehmen.

Die anderen Knaben trösteten mich, wie Jungs es eben zu tun pflegen: mit einem Schlag auf den Arm und einem »Halt die Ohren steif, Mann!«. Sie boten mir an, mich ihnen anzuschließen. Jack war der Ältere, dessen Gang und Haltung voller Selbstvertrauen waren. Luke dagegen blickte aus großen, arglosen Augen in die Welt, und ich vermutete, dass dies die erste Hinrichtung durch Erhängen war, die er je mitangesehen hatte. Während wir uns durch die Menge drängten, stibitzten sie mit geschickten Fingern so manch eine Geldbörse und ein Taschentuch.

Als die Dunkelheit hereinbrach, führten sie mich durch das Gewirr von engen Straßen zu der Tür eines Mannes namens Feagan. Er konnte jedoch mit jemandem wie mir wenig anfangen, bis er die kostbare Beute von seinen Arbeitern eingesammelt hatte. Sie waren alle Kinder, und nur ein Mädchen war darunter. Ihr Name war Frannie, und sie hatte leuchtend rotes Haar und sanfte grüne Augen. Sobald mir klar wurde, dass Jack und Luke mich zu einer Räuberhöhle gebracht hatten, verlor ich jegliches Interesse daran, an diesem Ort zu bleiben. Ich wollte keiner Diebesbande angehören, deren Tun mich mit Sicherheit geradewegs zum Galgen führen würde. Aber da der Wunsch, das junge Mädchen nicht aus den Augen zu verlieren, stärker war, blieb ich am Ende doch.

Ich wurde sehr geschickt darin, Informationen zu beschaffen und bei der Planung von Schwindeleien zu helfen. Was Stehlen anbelangte, war ich nicht so talentiert. Mehr als einmal wurde ich erwischt und ließ meine Bestrafung über mich ergehen, wie mein Vater es mich gelehrt hatte – ganz gelassen und mit einem Augenzwinkern.

Dies wiederum führte dazu, dass mir nur zu gut bewusst wurde, wie ungerecht das Rechtssystem war und wie oft es Unschuldige waren, die in die Mühlen der Justiz gerieten. Deshalb begann ich besser aufzupassen, wenn Recht gesprochen wurde. Warum bekam ein Junge zehn Peitschenhiebe für das Stehlen eines seidenen Taschentuchs, während ein anderer zu einer Sträflingskolonie in Neuseeland geschickt wurde? Wie wurden die Beweise erlangt? Wie wurde über Schuld entschieden? Oder, was noch wichtiger war, wie bewies man seine Unschuld?

Mit der Zeit begann ich heimlich für die Metropolitan Police zu arbeiten. Ich fürchtete die zwielichtigen Viertel und dunkleren Seiten Londons nicht. Selbst als ich schon ganz offiziell bei Scotland Yard beschäftigt war, hatte ich kein Problem mit Orten, die andere nicht betreten wollten.

Ich tröstete mich mit dem Wissen, dass ich nie einen Unschuldigen verhaftete. Je nach Schwere des Vergehens ließ ich den Schuldigen oft mit einem kurzen Klaps aufs Handgelenk und der Warnung gehen, dass ich ihn im Auge behalten würde. Was bedeutete schon ein gestohlenes Seidentüchlein, wenn ein Mensch sein Leben auf der Straße verloren haben könnte? Mich beschäftigten – und faszinierten – weitaus mehr die grausigen Verbrechen.

Sie sprachen die beharrliche Finsternis in meinem tiefsten Innern an, und so kam es, dass sie mein leidenschaftliches Interesse weckten …

Und mich schließlich zu ihr führten.

Kapitel 1

London1852

Rache war nichts für die Mutlosen. Es hätte Eleanor Watkins vielleicht zu denken gegeben, dass sie schier verzehrt wurde von dem überwältigenden Verlangen, sie zu stillen, wenn sie sich einen Moment Zeit genommen hätte, um darüber nachzudenken. Aber seitdem sie das Tagebuch ihrer Schwester gefunden, es gelesen und von den Gräueln erfahren hatte, die Elisabeth widerfahren waren, als sie in der vergangenen Ballsaison nach London gereist war, blieb ihr kaum Zeit für etwas anderes als ihre Überlegungen, wie sie ihre Schwester am besten rächen konnte. Eleanor war fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass der Schurke, der ihre noch unschuldige Schwester auf brutalste Weise in die Fleischeslust eingeführt hatte, genauso teuer für seine Sünden bezahlen würde, wie Elisabeth es für ihre Naivität getan hatte.

Eleanors Streben nach Vergeltung beherrschte all ihre Handlungen und jeden ihrer Gedanken – von dem Moment an, in dem sie von dem Gesang einer Lerche erwachte, bis sie ihren Kopf abends wieder auf das Kissen legte, zu einer weiteren unruhigen Nacht voller abscheulicher Albträume, die Nahrung fanden durch jeden Buchstaben ihrer Schwester, mit dem sie die Schande und die Scham beschrieb, die sie in den Händen des Marquess von Rockberry erlitten hatte.

Eleanors schon zwanghafter Vergeltungsdrang war der Grund dafür, dass sie heute Abend und viel später schon, als eine anständige Frau sich hier noch sehen ließe, durch Cremorne Gardens, eine Art Vergnügungspark, spazierte. Selbst seriöse Gentlemen hatten sich schon nach Hause begeben, doch der Mann, den sie verfolgte, konnte ja wohl auch kaum derartig bezeichnet werden, auch wenn er eine ganz gute Imitation davon zustande brachte. Sie hatte gehört, dass das Feuerwerk, das jeden Abend in diesem Park stattfand, fantastisch war. Aber natürlich war er nicht mal rechtzeitig gekommen, um sich an einem so harmlosen Vergnügen zu erfreuen, wie farbenfrohe Lichtstreifen den Nachthimmel erhellen zu sehen. Nein, er tendierte zu Vergnügungen einer sehr viel dunkleren und unheilvolleren Natur.

Und deshalb hatte Lord Rockberry abgewartet, bis die achtbaren Leute den Park verlassen hatten und die lasterhaften, die nichts Gutes im Schilde führten, eingetroffen waren, bevor auch er auf einmal in Erscheinung trat. Sein unheimliches Lachen schallte durch den Park, wenn er hin und wieder stehen blieb, um mit dem einen oder anderen Ganoven zu sprechen. Mit seiner großen, schlanken Gestalt kam er gut voran, als er sich mit schnellen Schritten durch den Pöbel drängte, und sein wallendes Cape verstärkte noch den Eindruck, dass er sich den Schurken gegenüber für einen König hielt. Doch sogar bei seiner Größe und dem Zylinder, den er trug, musste Eleanor um Grüppchen von Menschen herumeilen, um ihn im Auge zu behalten – und es darüber hinaus auch so zu tun, dass er sie nicht bemerkte. Sie würde seinen unbestreitbaren Reizen ganz sicher nicht zum Opfer fallen, wie es ihrer Schwester passiert war. Falls einer von ihnen sich verlieben sollte, war es für sie beschlossene Sache, dass er es sein würde.

Sie hatte eigentlich vorgehabt, ihm heute Nacht den Dolch ins Herz zu stoßen, damit alle Welt sehen konnte, wie schwarz und verdorben es war. Aber sie wusste auch, dass dies weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt dafür war. Sie musste vorsichtig sein und ihren sorgfältig durchdachten Plan genau so ausführen, wie er war – wenn sie nicht am Galgen enden wollte. Sosehr sie ihre Schwester auch liebte, war sie jedoch noch nicht bereit, ihr schon zu folgen – auch wenn sie, falls ihr Leben der Preis für ihre Rache sein sollte, ihn gern bezahlen würde. Von dem Moment an, in dem sie diesen Weg beschritten hatte, war ihr klar gewesen, dass er sie irgendwann nach Newgate führen könnte. Doch nicht einmal das würde sie bereuen, solange es auch Lord Rockberry in die Hölle führte.

»Möchten Sie Gesellschaft?«

Der blonde junge Mann, der mit der Frage vor sie hintrat, schenkte ihr ein charmantes Lächeln. Seine offensichtlich maßgeschneiderte Kleidung saß perfekt, und Eleanor dachte, dass sie an einem anderen Abend auf einem Ball vermutlich sogar mit ihm tanzen würde – wenn sie nur jemanden hätte, um sie auf gebührende Art und Weise in die Gesellschaft einzuführen. »Nein, danke. Ich bin verabredet«, sagte sie.

»Der Glückliche! Aber wenn er nicht erscheint …«

»Das wird er«, log sie und eilte an ihm und dem plätschernden Springbrunnen vorbei, während sie wünschte, sie hätte wenigstens ein paar Minuten Zeit, um die Schönheit dieser Parkanlage zu bewundern.

Verdammt! Wie sollte sie jetzt Lord Rockberry wiederfinden? Eleanor beschleunigte ihre Schritte und seufzte vor Erleichterung, als sie ihn mit einer vollbusigen Frau sprechen sah, deren Kleid einen schamlos tiefen Ausschnitt hatte, der allen Anwesenden einen Blick auf das erlaubte, was sie anzubieten hatte. Anscheinend war sie jedoch nicht das, was Lord Rockberry suchte, denn er ließ sie stehen und ging weiter, ohne sich noch einmal umzuschauen. Was nicht verwunderlich war, da er ja Damen mit einem unschuldigeren Naturell vorzog. Eleanor konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum er hierhergekommen war, wo schlechtes Benehmen nicht nur hingenommen, sondern sogar erwartet wurde. Lord Rockberry dagegen hatte einen Hang zum Intolerablen und ihre Schwester gezwungen, verkommene, sündhafte und lasterhafte Ausschweifungen zu erdulden.

Vor fast einer Woche hatte Eleanor damit begonnen, seine Angewohnheiten und Rituale aufzulisten, um sich ein Bild von seiner Manier zu machen und dann zu überlegen, wie sie diesem Leben am besten ein Ende setzte, ohne ihr eigenes dafür zu opfern.

Leider hatte ihr Dasein in einem kleinen Dorf an der Küste ihr weder das Wissen noch die Erfahrung für Katz-und-Maus-Spiele mit auf den Weg gegeben, und oft genug befürchtete sie, dass sie die Beute und nicht das Raubtier in diesem tödlichen Spiel war. Besonders, da sie das stetig zunehmende Gefühl hatte, selbst von jemandem beobachtet zu werden, während sie Lord Rockberry verfolgte.

Während die Lavendelsträucher mit ihrem angenehmen Duft die Luft um sie herum erfüllten, kämpfte Eleanor mit sich, um nicht zurückzublicken und sich durch nichts anmerken zu lassen, dass sie sich ihres Verfolgers bewusst war. Das erste Mal hatte sie zwei Abende zuvor einen großen Mann bemerkt, der ihr gefolgt war, nachdem Lord Rockberry Scotland Yard einen Besuch abgestattet hatte. Sie hätte mit ihren Plänen für den Marquess diskreter vorgehen sollen. Vielleicht hatte sie ihn ja tatsächlich erschreckt mit ihrer Kühnheit, ihn auf sie aufmerksam zu machen, damit er dann womöglich an seinem eigenen Verstand zu zweifeln beginnen würde. Und falls ihn das wahnsinnig machte und er sich das Leben nahm, umso besser. Das würde es ihr ersparen, sich die Hände an ihm schmutzig machen zu müssen. Aber natürlich war es auch möglich, dass er bei seinem Besuch bei Scotland Yard Anzeige gegen sie erstattet hatte.

Ihren eigenen Verfolger hatte sie heute Nacht noch nicht gesehen, doch sie war sich sicher, dass er da sein musste, weil sich ihr plötzlich die Nackenhaare sträubten und ein eisiges Prickeln sie durchlief.

Es war auch keine Hilfe, dass bei dieser geringen Entfernung von der Themse bereits ein dichter Nebel vom Fluss hereinkam und allem, was sie umgab, die Farbe nahm. Das Licht der Gaslaternen wurde zu schwachen Dunstschleiern, die sich bemühten zu erhellen, was viele zu verbergen vorzogen. Aus den Schatten hinter den Ulmen und Pappeln kam das Gemurmel von Männern und verführerisches Frauenlachen.

Eleanor war sich nicht mehr sicher, was sie zu erreichen hoffte, indem sie Lord Rockberry zu einem so fragwürdigen Ort folgte, aber sie musste wissen, was er tat und wen er traf, um den Moment bestimmen zu können, an dem sie am besten zuschlug. Doch sie musste vorsichtig sein.

Er durchstreifte die Nacht wie ein hungriges Raubtier, Eleanor wusste allerdings, dass es nicht Nahrung war, was er suchte, sondern äußerst dekadente Sinnesfreuden. Das Tagebuch ihrer Schwester hatte ihr in allen intimen und herzzerreißenden Einzelheiten offenbart, wie er sie verführt hatte – und nicht nur zur Befriedigung seiner eigenen Triebe, sondern auch zu dem Vergnügen anderer. Als ob Elisabeths eigene Wünsche belanglos und ihre Träume nur dazu da waren, zerstört zu werden. Und vernichtet hatte Lord Rockberry Elisabeth schon lange, bevor sie sich von den Klippen in die aufgewühlte See gestürzt hatte.

Eleanor kämpfte gegen ihre Tränen an, weil dies nicht der richtige Augenblick war, ihrem Kummer zu erliegen, und bestärkte sich in ihrem Vorsatz, dafür zu sorgen, dass es Lord Rockberry teuer zu stehen kam, für den Tod ihrer Schwester verantwortlich zu sein, die nur neunzehn Jahre alt geworden war.

Dieser abscheuliche Mensch verschwand gerade hinter einer Wegbiegung. Verflucht noch mal! Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, dass ihm jemand folgte, also musste er wohl auf dem Weg zu irgendeinem Rendezvous sein. Eleanor fragte sich, ob er sein nächstes Opfer schon erwählt haben mochte. Wenn dem so war, könnte sie das Spiel eigentlich auch heute Abend schon beenden, weil sie nicht untätig dabeistehen und eine andere Frau so leiden lassen konnte, wie Elisabeth gelitten hatte.

Sie huschte um die Bäume herum – und verhielt abrupt den Schritt, als drei lüstern grinsende junge Herren ihr den Weg verstellten.

»Hallo, Süße«, sagte der in der Mitte, der auf sie den Eindruck machte, der Wortführer der drei zu sein.

Das Licht der Gaslaternen war in diesem Bereich des Parks besonders schwach, und der dichte graue Nebel verbesserte die Lage nicht. Eleanor konnte nicht viel über den Mann sagen, außer dass er blond war und sie ihn ohne sein widerliches Grinsen vielleicht sogar für gut aussehend gehalten hätte. Seine Freunde waren dunkelhaarig und nur durch die hässliche Knollennase des einen und das fliehende Kinn des anderen zu unterscheiden. Die Art und Weise, wie sie sie begierig anstarrten, verursachte ihr eine Gänsehaut, und sie musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, um nicht vor ihnen zurückzuweichen. Gekleidet waren sie wie Dandys, alles nur vom Feinsten, und alle drei schienen für heute Nacht die größten Erwartungen zu hegen, sich zu amüsieren und ihre Jugend zu genießen, solange sie sie noch besaßen.

Was Eleanor selbst anging, so war sie durch Elisabeths Selbstmord so gealtert, dass sie um einiges älter wirkte als ihre zwanzig Jahre.

»Bitte entschuldigen Sie«, sagte sie und wollte um die Dandys herumgehen, aber sie verstellten ihr erneut den Weg. Ihr Herz geriet ins Stolpern und schien den Rhythmus des Zuges zu imitieren, der sie klappernd und ratternd nach London gebracht und jeden Moment zu entgleisen gedroht hatte. Sie trat einen Schritt zurück, und der Mann mit dem fliehenden Kinn wich zur Seite aus, um sie am Entkommen zu hindern. Plötzlich merkte sie, dass sie regelrecht umzingelt war. Für die Männer würde es ein Leichtes sein, sie in die dunkelsten Winkel des Parks zu ziehen, wo es keine Hoffnung gäbe, ihre Würde zu bewahren.

Sie versuchte, ihr Retikül zu öffnen, um den Dolch hervorzuholen, der ihre einzige Waffe war, aber der Kinnlose riss ihr die kleine Tasche aus der Hand und verrenkte ihr fast den Arm dabei. »Nein!«, rief sie entsetzt.

»Na komm schon, sei ein braves Mädchen«, sagte der Blonde, während er einen Arm um ihre Taille schlang und sie anhob, bis sie nur noch auf den Zehenspitzen stand.

Panische Angst erfasste sie, als sie einen markerschütternden Schrei ausstieß, aber nichts als das Gelächter der Männer hörte, die sie noch tiefer in die Dunkelheit hineinschleppten. Doch so leicht würde sie sich nicht gefallen lassen, was sie mit ihr vorhatten. Sie würde kämpfen, kratzen, beißen …

»Moment, meine Herren! Die Dame gehört zu mir.«

Offensichtlich waren die Männer, die sie von dem Hauptweg wegzerrten, nicht weniger verblüfft über die tiefe, selbstbewusste Stimme, die sie ansprach, als Eleanor es war. Sie rückten ein wenig auseinander, woraufhin sie durch die entstandene Lücke die dunkle Silhouette eines großen, breitschultrigen Mannes sehen konnte, der größer war als jeder andere, dem sie bisher begegnet war.

Mit einer entschiedenen Bewegung bahnte er sich mit der Schulter einen Weg zu ihr, schlang einen Arm um ihre Taille und befreite sie aus dem Griff des Mannes, der sie festhielt, während er mit seinem freien Arm einen der anderen Männer wegstieß.

»Ich will Ihnen nichts Böses«, flüsterte er ihr schnell mit leiser, beruhigender Stimme zu. »Wenn Sie diese Nacht unbeschadet überstehen wollen, rate ich Ihnen, mit mir mitzukommen.«

So ziemlich alles von ihm verlor sich in den trüben Schatten, die den immer weiter vordringenden Nebel begleiteten. Sein Haar war dunkel, aber seine genaue Farbe konnte Eleanor nicht bestimmen. Sie spürte jedoch die Kraft in seinem Griff, und die Stärke und das Selbstvertrauen, das er besaß. Ihr Instinkt sagte ihr, dass er kein Mann war, der Frauen zu etwas zwang. Das hatte er nicht nötig. Er strahlte etwas Beschützendes aus, und Eleanor wurde plötzlich klar, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach der Mann war, der ihr gefolgt war, der Mann von Scotland Yard. Sie hatte den Eindruck, dass er jemand war, der weder Tod noch Teufel fürchtete, und plötzlich kam ihr der verrückte Gedanke, dass er ihr vielleicht sogar bei der Sache mit Lord Rockberry helfen könnte. Aber noch während sie das dachte, begriff sie, dass sie sich einem Fremden genauso wenig anvertrauen konnte wie einem Freund. Nicht in dieser Sache, nicht, wenn so viel – oder besser gesagt, alles – auf dem Spiel stand.

Er wandte den Blick von ihr ab, und erst da erinnerte sie sich wieder, dass sie Zuschauer hatten. Die drei jungen Dandys starrten sie verärgert an.

»So geht das aber nicht, Alter!«, sagte ihr Anführer. »Wir haben sie zuerst gehabt.«

»Wie ich bereits erklärte, gehört sie zu mir.«

»Uns wurde aber gesagt, sie sei zu haben.«

»Dann hat man euch belogen.« Mit Eleanor im Arm begann er sich mit großen Schritten zu entfernen. Sie musste fast doppelt so schnell gehen wie er, um mit ihm Schritt zu halten. Bevor sie jedoch den Hauptweg erreichten, tauchten die drei Männer wieder vor ihnen auf, um ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Eleanor hörte das müde Seufzen ihres Retters.

»Sind Sie wirklich auf einen Kampf aus, meine Herren, obwohl Sie wissen, dass Sie ihn unmöglich gewinnen können?«

»Wir sind zu dritt und Sie allein. Also stehen unsere Chancen gar nicht schlecht.«

»Aber meine sind besser. Ich bin auf der Straße groß geworden und habe viel schlimmere Kämpfe ausgetragen als Sie.«

»Sie klingen wie ein Gentleman …«

»Aber ich kämpfe wie der Teufel selbst.« Eine unüberhörbare Drohung schwang in seiner Stimme mit.

Doch die Männer, die sie belästigt hatten, waren anscheinend nicht nur bösartig, sondern auch dumm. Der mit der Knollennase holte aus …

Eleanor wurde blitzschnell hinter ihren Beschützer gezogen, wie sie ihn insgeheim schon nannte, als er den Schlag abwehrte und Knollennase niederschlug. Nun griffen ihn auch die beiden anderen an. Während ihr Retter den Kinnlosen mit der Schulter so hart zurückstieß, dass er ihn ins Taumeln brachte, versetzte er dem Blonden einen Fausthieb in den Magen. Dann fuhr er zu Knollennase herum, als dieser wieder auf die Beine kam. Der dumpfe Zusammenprall von Fleisch mit Fleisch ertönte, als ihr Beschützer den Mann mit der Faust unter dem Kinn erwischte. Hilflos mit den Armen rudernd, taumelte Knollennase zurück, ehe er wie ein Stein zu Boden fiel und sich fortan nicht mehr rührte. Als seine Freunde versuchten, sich wieder aufzurappeln, machte Eleanors Beschützer kurzen Prozess mit ihnen und schickte sie mit zwei schnellen Boxhieben wieder zu Boden.

»Rührt euch nicht vom Fleck, bevor wir gehen«, befahl er den jungen Männern und reichte dann Eleanor eine Hand. »Und das sollten wir nun besser tun, nicht wahr?«

Wenn er mir etwas antun wollte, hätte er keinen Grund, mich von hier fortzubringen, dachte sie. Und obwohl das nur ein fadenscheiniges Argument war, nickte sie ganz unwillkürlich. Sie hatte genug von diesem Ort und war sich auch sehr wohl im Klaren darüber, dass es ihre bescheidenen detektivischen Fähigkeiten überstieg, Lord Rockberry jetzt noch irgendwo zu finden. Und so trat sie einen Schritt auf ihren Retter zu, aber dann fiel ihr plötzlich etwas ein …

»Mein Retikül! Einer von ihnen hat es mir weggenommen.«

Kommentarlos drehte ihr Retter Knollennase mit den Füßen um, zog ihr Retikül aus seiner Jackentasche und hielt inne, um den Griff des Dolches anzustarren, der aus dem Beutel herausragte.

»Zu meinem Schutz«, murmelte sie, während sie ihm das Retikül schnell abnahm und die Schnur über dem Dolch zusammenzog.

»Viel genützt hat er Ihnen ja nicht. Kommen Sie – und bleiben Sie dicht neben mir. Ich werde eine Droschke mieten und Sie sicher heimbringen.«

Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich von ihm mitziehen und aufrecht halten zu lassen, weil sie merkte, dass sie jetzt, wo das unschöne Erlebnis überstanden war, am ganzen Körper zitterte. Wie hatte sie nur so dumm sein können zu glauben, sie könnte sich an diesem Ort beschützen, indem sie einfach nicht auf die Avancen einging, die ihr vielleicht gemacht würden?

»Haben Sie auch einen Namen?«, fragte er schließlich leise.

»Eleanor Watkins«, erwiderte sie, ohne nachzudenken, und fragte sich dann, ob sie ihm nicht besser einen falschen Namen angegeben hätte. Ihre Pläne waren so gut durchdacht gewesen, und nun wurden sie trotz allem nach und nach entschlüsselt!

»Und was haben Sie so spät am Abend noch im Park gemacht, Miss Watkins?«

»Ich hatte mich verlaufen, fürchte ich.« Sie warf ihm einen raschen Blick zu, doch dummerweise war ihm nicht anzusehen, ob er ihr glaubte oder nicht. »Aber finden Sie nicht auch, Sir, dass ich den Namen des Mannes kennen sollte, der mich gerettet hat?«

»James Swindler.«

Auf der King’s Road fanden sie eine Droschke, die auf Passagiere wartend am Bordstein stand. Swindler beugte sich vor, um die Tür zu öffnen, und half Eleanor hinauf.

»Welche Adresse soll ich dem Kutscher angeben?«, fragte er dann.

Nur widerstrebend gab sie ihm die Anschrift ihrer Pension. Er rief sie dem Fahrer zu und reichte ihm dann ein paar Geldstücke.

»Seien Sie in Zukunft vorsichtiger, Miss Watkins. London kann ein sehr gefährlicher Ort für eine Frau ohne Begleitung sein.«

Bevor sie etwas erwidern konnte, setzte das Gefährt sich in Bewegung. Mit einem Blick zurück sah sie Mr. Swindler noch auf der Straße stehen, aber nach und nach verlor sich seine große, einschüchternde Gestalt im Dunkeln, ganz wie die des Mannes, von dem sie sich verfolgt gefühlt hatte.

Sollte ihr Retter also Lord Rockberrys Komplize sein, warum hatte er sie dann gehen lassen? Und falls er es nicht war, warum verfolgte er sie dann?

***

»Ihr Name war Eleanor Watkins.«

»Elisabeths Schwester. Das hätte ich mir auch denken können bei der verblüffenden Ähnlichkeit der beiden.«

James Swindler drehte sich nicht um nach dem Gemurmel, das aus einer dunklen Ecke kam, als er den Namen der Frau nannte, der er in Cremorne Gardens begegnet war – nachdem er sie vorher schon zwei Tage lang beschattet hatte.

Sein Vorgesetzter, Sir David Mitchum, saß hinter dem Schreibtisch, vor dem er stand. Da die kleine Flamme in der Lampe nicht genügend Licht abgab, um auch die Ecken des Raumes zu erhellen, nahm Swindler an, dass er so tun sollte, als sei er sich der Anwesenheit einer weiteren Person im Raum nicht einmal bewusst. Dass der Mann nach Sandelholz, gutem Tabak und Angstschweiß roch, erschwerte es ihm ein wenig, sich in die Umgebung einzufügen. Und die Tatsache, dass er gesprochen hatte – offenbar überrascht von Swindlers Informationen –, verstärkte noch die Absurdität seines Versuchs, so zu tun, als ob Swindler und Sir David allein im Raum wären.

Im Gegensatz zu dem Mann in der Ecke besaß Swindler das schon fast unheimliche Talent, buchstäblich mit seiner Umgebung zu verschmelzen, wo immer es auch nötig war. Auch jetzt noch ließ er sich durch nichts anmerken, dass er sich der Gegenwart des anderen bewusst war. Er konnte den Besten von ihnen noch etwas vormachen. Allerdings fand er es unbegreiflich, dass dieser Lord Rockberry sich einbildete, seine Identität sei ein Geheimnis, zumal Swindler seine Ermittlungen gegen die mysteriöse Fremde auf dem Wohnsitz seiner Lordschaft begonnen hatte. Wahrscheinlich war der Marquess of Rockberry nichts als ein aufgeblasener, wichtigtuerischer Geck.

»Was haben Sie sonst noch über die Frau in Erfahrung bringen können?«, wollte nun Sir David wissen.

Nachdem Swindler Miss Watkins heimgeschickt hatte, war auch er in eine Droschke gestiegen, um sie in diskretem Abstand zu verfolgen, und hatte den Fahrer gebeten, ihn auf einer Straße nicht weit von ihrer Pension aussteigen zu lassen. Den Rest des Weges hatte er schnell zu Fuß zurückgelegt und das Haus im selben Moment erreicht, in dem Miss Watkins es durch die Vordertür betreten hatte. Dann hatte er gewartet, bis ein sanftes Licht in einem Eckfenster erschienen war, um sich dem Haus zu nähern. Wie gut, dass Miss Watkins’ Zimmer zur Straße hinausging! Indem er der Vermieterin, die ihm die Tür geöffnet hatte, ein paar Geldstücke in die feiste Hand gedrückt hatte, hatte er durch sie noch ein paar Einzelheiten mehr in Erfahrung bringen können. »Sie hat ein Zimmer gemietet, es aber nur für diesen Monat bezahlt. Sie ist erst seit einer Woche in London und laut ihrer Vermieterin eine ungewöhnlich stille junge Dame, die keinen Ärger macht, nicht mit den anderen Mietern verkehrt und auch keinen Besuch bekommt. Oft nimmt sie ihr Essen sogar in ihrem Zimmer ein.«

Für eine Weile herrschte Schweigen in dem Raum, bevor Sir David fragte: »Hat sie sonst noch was gesagt?«

»Mehr habe ich nicht hinzuzufügen, fürchte ich. Meine Anweisungen waren, sie zu observieren, aber sie nicht anzusprechen. Da jedoch ein paar junge Herren offenbar die Absicht hatten, mehr zu tun, als sie nur ein bisschen zu belästigen, hielt ich es für ratsamer, den zweiten Teil meiner Anweisungen zu ignorieren. Diese jungen Dandys behaupteten, jemand habe ihnen gesagt, sie sei ›zu haben‹. Ich glaube nicht, dass wir eine Ahnung haben, wer dieser Jemand gewesen sein könnte.«

»Seien Sie nicht albern«, ertönte eine Stimme aus der Ecke, was Swindlers Verdacht bestätigte, dass Lord Rockberry höchstpersönlich den jungen Männern geraten hatte, kurzen Prozess mit ihr zu machen. Geduld war anscheinend nicht seine Stärke.

»Eine Dame, die spätabends – und allein – noch durch die Cremorne Gardens spaziert, muss ja in Schwierigkeiten geraten«, sagte Sir David. »Sie kann froh sein, dass Sie sie gerade observierten. Allerdings gehe ich davon aus, dass sie trotz allem nicht klüger ist als zuvor, was Ihre Aufgabe anbelangt.« Falls er Swindlers Verdacht bezüglich Lord Rockberry teilte, ließ er es sich durch nichts anmerken.

»Sie weiß nichts über meine wahren Absichten. Ich habe Ihnen alles erzählt, was ihre Vermieterin mir über sie sagen konnte. Na ja, bis auf die Tatsache, dass Miss Watkins mit einer großen Reisetruhe ankam und eine Vorliebe für Rosa zu haben scheint. Falls ich hier ganz aufrichtig sein darf, kann ich Ihnen aufgrund meiner anfänglichen Beobachtungen nur sagen, dass ich Miss Watkins keineswegs als eine Gefahr für irgendjemanden betrachte.«

»Seine Lordschaft ist da anderer Meinung.«

Was der Grund war, dass Swindler eingeschaltet worden war, um in Erfahrung zu bringen, was die junge Dame vorhatte. Bisher war sie Lord Rockberry durch den Zoologischen Garten und den Hyde Park gefolgt. Gestern Nacht hatte sie ihn sogar zu seinem Club verfolgt – dem Dodger’s Drawing Room, kurz Dodger’s, einem der exklusivsten Treffpunkte reicher Müßiggänger, die dort ihren Lastern frönten. Wenn es ein Verbrechen wäre, jemandem zu folgen, würde Swindler längst im Pentonville Prison verrotten.

»Bei allem gebotenen Respekt, Sir, aber ich glaube, ich kann woanders nützlicher sein. Wie ich hörte, hat heute Abend jemand einen Mord in Whitechapel gemeldet, und …«

»Ich weiß, dass Sie lieber Verbrechen aufklären, die schon begangen wurden, Swindler, aber unsere allererste und vorrangigste Pflicht ist das Verhindern von Verbrechen.«

Prävention war das Motto eines Polizisten, seine Überzeugung und der Grund dafür, dass so viele von ihnen auf den Straßen der Stadt auf Streife waren. Aber Swindlers Ansicht nach würde sich jemand, der fest entschlossen war, eine Straftat zu begehen, durch nichts aufhalten lassen. Deshalb war ihm sehr viel mehr daran gelegen, die Täter vor Gericht zu bringen und sicherzustellen, dass die richtige Person den Preis für das begangene Verbrechen zahlte. Er hatte keine Lust, sich mit einem verwöhnten Lord befassen zu müssen, der sich wegen einer zierlichen Frau ängstigte, deren Kopf Swindler kaum bis zur Mitte seiner Brust reichte und neben der er sich wie ein tapsiger Riese vorgekommen war.

»Es würde helfen, Sir, wenn wir wüssten, was für eine Straftat wir von ihr erwarten«, sagte Swindler.

»Ich glaube, sie hat vor, mich umzubringen«, antwortete eine leise Stimme aus der Ecke.

Sir David zog nur eine seiner dunklen Augenbrauen hoch, als er Swindler ansah, der Mühe hatte, sich seine Verärgerung über die Situation nicht anmerken zu lassen. Es fehlte nicht mehr viel, und er würde den nervigen Lord mit eigenen Händen erwürgen wollen. »Wissen wir, warum Seine Lordschaft glaubt, dass Miss Watkins ihm etwas antun will?«

Sein Vorgesetzter blickte zu der dunklen Ecke hinüber, und Swindler hörte den ungeduldigen Seufzer dort, bevor die Stimme knurrte: »Elisabeth Watkins ist in der vergangenen Ballsaison in die Gesellschaft eingeführt worden. Wir haben ab und zu miteinander getanzt. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«

Es gibt immer etwas mehr zu sagen.

»Darf ich dann davon ausgehen, dass wir hier von Lady Elisabeth und Lady Eleanor sprechen?«, fragte Swindler.

»Nein, denn ihr Vater ist bloß ein Viscount, und daher ist sie auch nur Miss Eleanor Watkins.«

Bloß ein Viscount? Also war der Mann in der Ecke mit seinem höheren Rang auch noch ganz schön arrogant.

Des Spielchens überdrüssig, drehte Swindler sich ganz unerwartet um. Er konnte ein ausgestrecktes Bein und einen maßgefertigten, auf Hochglanz polierten Stiefel sehen, der kaum ins Licht hinausreichte. Der Rest des Mannes verlor sich in der Dunkelheit, aber Swindler wusste trotzdem, wie er aussah, da die Spur am Wohnsitz Seiner Lordschaft angefangen hatte. Er war nicht sehr alt, aber ausgesprochen gut aussehend mit seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, die Dichter dazu veranlassten, zu Feder und Papier zu greifen und Gedichte über das Wunder der Liebe zu verfassen. Swindler war verdammt versucht, ihn mit seinem Namen anzusprechen, doch aus einem ihm unbekannten Grund wurden hier Spielchen gespielt, und Sir David tolerierte sie – was bedeutete, dass der Mann Freunde in sogar noch höheren Positionen als Sir David hatte, oder dass er Sir David etwas hatte tun sehen, das er besser nicht getan hätte. »Wenn es Elisabeth war, die in der vergangenen Saison Ihr Interesse weckte, warum sollte Eleanor Ihnen dann jetzt Böses wollen?«

Seine Frage stieß auf Schweigen.

»Ich kann Ihnen keine große Hilfe sein, Euer Lordschaft, wenn Sie nicht ganz offen zu mir sind. Ich bin kein Schwätzer. Sie könnten mir eine Neigung zu den frivolsten sexuellen Handlungen gestehen …«

Trotz der Entfernung, die sie trennte, konnte Swindler die plötzliche Anspannung spüren, die nun von der Ecke ausging.

»… die uns bekannt sind, und keine Menschenseele würde es je von mir erfahren.«

Ein lastendes Schweigen breitete sich im Zimmer aus. War es also das, worum es ging? Irgendeine Ausschweifung, die Seiner Lordschaft jetzt keine Ruhe mehr ließ?

Schließlich räusperte sich Lord Rockberry. »Miss Elisabeth Watkins fand ein vorzeitiges Ende, und es ist gut möglich, dass ihre Schwester mich dafür verantwortlich macht. Was natürlich lächerlich ist, da ich nicht einmal in der Nähe dieser dummen Göre war, als sie den Tod fand. Miss Eleanor Watkins hat mich nie darauf angesprochen. Sie spricht überhaupt nicht mit mir, sondern beobachtet mich nur – neben einer Straßenlaterne stehend oder hinter einem Baum im Park verborgen. Ich mache einen Spaziergang, und schon habe ich das Gefühl, bespitzelt zu werden. Ich blicke mich um, und da ist sie und beobachtet mich … Wenn ich mich ihr zu nähern versuche, um herauszufinden, was sie eigentlich vorhat, geht sie und taucht in der Menge unter – und ich stehe da und kann mich nur noch fragen, ob ich sie überhaupt gesehen habe. Wegen ihrer fast schon unheimlichen Ähnlichkeit mit Elisabeth begann ich schon zu glauben, Elisabeth sei zurückgekehrt, um mich zu quälen. Aber wie ich bereits sagte, haben wir nur miteinander getanzt, und deshalb kann ich mir keinen Grund für dieses ärgerliche Spiel vorstellen.«

Swindler fragte sich, wen Seine Lordschaft mit seinem wiederholten wir haben nur miteinander getanzt zu überzeugen versuchte: ihn oder sich selbst.

»Also werden Sie sie weiter observieren, Swindler, um zu sehen, was sie vorhat«, sagte Sir David in einem scharfen Ton, der keine weiteren Einwände in dieser Sache duldete.

Swindler widmete seine Aufmerksamkeit wieder seinem Vorgesetzten. Er mochte und bewunderte Sir David, aber diese Angelegenheit war schlichtweg inakzeptabel. »Da ich mich gezwungen sah, mich ihr zu nähern, um ihr beizustehen, nehme ich an, dass Sie nichts dagegen haben, wenn ich sie erneut anspreche.«

»Verfahren Sie in dieser Sache, wie Sie es für richtig halten.«

Swindler hörte die Gereiztheit und Verärgerung in Sir Davids Stimme. Sein Chef war offenbar nicht glücklicher über die Situation als er. Wenn es nach mir ginge, dachte er, würde ich die Sache schon morgen aus der Welt schaffen.

Kapitel 2

Am Nachmittag darauf verfolgte Swindler Miss Watkins diskret von ihrer Pension zum Hyde Park. Zu einem blassrosa Kleid und einem farblich passenden Sonnenhäubchen trug sie einen ebenfalls blassrosa Sonnenschirm über ihrer linken Schulter. Ihre Bekleidung verlieh ihr etwas Unschuldiges, weswegen Swindler sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass diese Frau Lord Rockberry etwas antun wollte – egal, wie unsympathisch er den Mann auch fand. Und sollte die junge Dame sich seiner eigenen Anwesenheit bewusst sein, wies nichts in ihrem Verhalten darauf hin.

Wie üblich wimmelte es in Cremorne Gardens nur so von Leuten, die die Dame der Gesellschaft und den Gentleman herauskehrten – mit ihren feinen Kleidern, ihrer Überheblichkeit und der unerschütterlichen Überzeugung, etwas Besseres als der Normalbürger zu sein. Swindler hatte nicht viel übrig für die Oberschicht – es sei denn, es handelte sich um seine Freunde, die mit besorgniserregender Regelmäßigkeit in den Adelsstand aufstiegen. Einige Jahre zuvor hatten sie entdeckt, dass es Lucian Langdon von Geburt an bestimmt gewesen war, der nächste Earl of Claybourne zu werden. Jack Dodger hatte im vergangenen Jahr eine verwitwete Herzogin zur Frau genommen. Und Frannie Darling, die einzige Frau, die Swindler je wirklich geliebt hatte, war erst kürzlich mit dem Duke of Greystone vor den Traualtar getreten. Swindler freute sich aufrichtig für sie. Er war immer selbstlos gewesen, was Frannie anbelangte, aber dafür zahlte man immer einen hohen Preis. Diese Lehre hatte sein Vater ihm erteilt, und dass dem wirklich so war, konnte Swindler nur zu gut bestätigen.

Obwohl seine Freunde ihn ihren höheren Stand nie spüren ließen, bewegten sie sich dennoch nicht mehr in den gleichen Kreisen. So war das nun einmal im Leben. Er verübelte ihnen ihren Aufstieg aus der Gosse nicht, aber er war sich auch im Klaren darüber, dass er selbst stets als der Sohn eines Diebs bekannt sein würde.

Er hatte seinen Vater geliebt, wie er – bis auf Frannie – nie wieder jemanden geliebt hatte. Doch sein Vater hatte ihn mit einer unglaublich schwer zu tragenden Last zurückgelassen. Als Junge hatte er in manchen Nächten unter dem Gewicht der Last geweint, während ihn in anderen die Wut beherrschte und er zerstörte, was auch immer ihm in den Weg geriet. Er hatte den Überblick über die vielen Male verloren, bei denen Frannie seine Verletzungen versorgt und behutsam seine blutenden Fingerknöchel verbunden hatte. Seine Hände schmerzten unentwegt von dem Missbrauch, den er mit ihnen trieb. Auch seine Gesichtszüge hatten die Kämpfe zwar überstanden, aber leichte Narben und ein alles andere als vollkommenes Profil zurückbehalten. Er war nicht das, was er als gut aussehend bezeichnen würde, doch er hoffte, dass zumindest Kraft und Charakter in seiner äußeren Erscheinung lagen.

Nicht, dass er erwartete, damit jemals das Interesse einer Frau zu wecken. Frannie war die Einzige, die er je wirklich gewollt hatte. Und obwohl sie Greystone erst kürzlich geheiratet hatte, war es schon über ein Jahr her, dass sie sich in den Duke verliebt hatte. Swindler war auch nicht gewillt, sich eine andere Frau zu suchen. Er hatte Frannie sein Herz geschenkt, und bei ihr würde es bleiben. Alles, was er heutzutage brauchte, war hin und wieder eine weibliche Bekanntschaft, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Und da er bekannt dafür war, Frauen seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen und ihnen Vergnügen zu verschaffen – selbst jenen, die es noch nie zuvor erfahren hatten –, war es ein Leichtes für ihn, Damen zu finden, die nur allzu gern einen Abend in seiner Gesellschaft verbrachten. Selbst diejenigen, die es gewöhnt waren, Geld dafür zu nehmen, nahmen von ihm nur selten welches an.

In letzter Zeit konnte ihn jedoch keine Frau, mit der er zusammen war, mehr befriedigen, und aus reiner Gewohnheit waren auch seine Handlungen mechanischer geworden. Und immer blieb er mit einem Schmerz in der Brust zurück, der zweifellos darauf zurückzuführen war, dass ihm das Herz herausgerissen wurde. Und möge Gott ihm beistehen, aber er konnte sich nicht einmal erinnern, wann er das letzte Mal mit einer Frau im Bett gewesen war.

Miss Eleanor Watkins rettete ihn vor seinen eigenen Gedanken, als sie neben einem Baum stehen blieb, von dem sie einen guten Ausblick auf die Rotten Row hatte und dort wahrscheinlich die Ankunft ihres Opfers auf seinem rassigen Pferd erwartete. Obwohl Swindler sich eigentlich auf Miss Watkins hätte konzentrieren müssen, hatte er ein paar Nachforschungen über Lord Rockberry angestellt und wusste jetzt ebenso gut wie sie, dass er jeden Nachmittag um Punkt halb sechs einen Ausritt durch den Park begann.

Niemand schien sie zu beachten. Die anderen Damen waren damit beschäftigt, die Aufmerksamkeit der Herren zu gewinnen, und die Herren waren mehr an den Damen interessiert, die gesehen werden wollten, als an der einzigen, bei der das nicht so war. Es war alles Teil des Rituals, nach einem geeigneten Ehemann Ausschau zu halten. Sie anzusprechen könnte ihren Ruf gefährden, aber Swindler war bestrebt, sich wieder an die Arbeit zu machen und Ergebnisse zu erlangen.

Deshalb begann er langsam auf Miss Watkins zuzugehen. Er hatte sich reiflich überlegt, wie er sich ihr nähern sollte. Er würde die Rolle des interessierten Gentlemans spielen, ihr Vertrauen gewinnen und herausbekommen, was sie an Rockberry so faszinierte – und natürlich auch, was genau sie mit dem hochnäsigen Lord vorhatte.

Als Swindler von hinten auf sie zusteuerte, nahm er den Rosenduft wahr, den sie ausströmte. Er erinnerte sich nicht, ihr Parfüm auch in der Nacht zuvor bemerkt zu haben. Vielleicht lag es ja daran, dass es früher am Tag und das Rosenwasser erst vor kurzem aufgetragen worden war. Jedenfalls kitzelte es seine Nase weitaus mehr als der Duft der meisten Frauen.

»Miss Watkins?«

Sie drehte sich um. Ihre Augen – die blau wie ein wolkenloser Himmel waren – wurden größer, und ihre vollen roten Lippen teilten sich ein wenig. Aber sie erlangte ihre Fassung schnell zurück. »Mr. Swindler! Denn so heißen Sie doch, nicht wahr? Was für eine Überraschung. Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie wiederzusehen.«

Was auch immer er hatte sagen wollen, um sie zu entwaffnen, wirbelte ihm nun durch den Kopf wie Spielwürfel in einem Becher, der geschüttelt wurde. Bei Tageslicht war sie ein vollkommen anderes Geschöpf als im Dunkel der Nacht, das ihm so viel von ihr verborgen hatte. Ihre Haut war makellos, cremefarben wie Alabaster und mit einem Hauch von Röte über ihren hohen Wangenknochen. Ihre Augen hatten etwas Unschuldiges und Sanftes, das er vorher nicht bemerkt hatte. Ihr Haar, das unter ihrem Häubchen hervorschaute, war hell, ja beinahe weiß wie Mondlicht. Er stand vor derselben Frau, der er gestern Nacht begegnet war, aber sie war hübscher, als er sich erinnerte. Sie hatte irgendetwas an sich im hellen Tageslicht, das ihm einen harten Schlag gegen die Brust versetzte und ihm das Luftholen erschwerte – was er jedoch unbedingt tun wollte, und wenn auch aus keinem anderen Grund, als noch einmal ihren angenehmen Duft zu riechen.

Sie schenkte ihm ein verspieltes Lächeln. »Sie verfolgen mich doch nicht etwa?«

Er schüttelte schnell den Kopf und räusperte sich, um sich die Zeit nehmen zu können, seine Fassung wiederzugewinnen. Frauen besaßen diese Macht nicht über ihn. Nie. Selbst die geschickteste Verführerin könnte vielleicht seinen Körper gefügig machen, aber nicht seinen Verstand.

»Nein«, erwiderte er schließlich und hoffte, sie mit seinem warmherzigen Lächeln bezaubern zu können. Als Kind hatte er eine Unzahl von Gesichtsausdrücken gesammelt, auf die er jederzeit zurückgreifen konnte, um zu erlangen, was auch immer er gerade brauchte. Traurige Augen, wenn er hungrig war und sich von einem Krämer oder einer Köchin an der Hintertür eines Wohnhauses ein paar Speisereste erhoffte. Tränen, wenn er eine Dame näher an sich heranbringen musste, um ihre versteckten Taschen ausplündern zu können. Frechheit, falls sie nötig war. Bescheidenheit, wenn sie das beste Mittel war, um seine Ziele zu erreichen. Es gab Zeiten, in denen er beschlossen hatte, ein weites Ödland ohne jede Emotion zu sein, mit Ausnahme derjenigen in seinem Arsenal, die er auf Befehl hervorzaubern konnte. »Nun ja, in gewisser Weise tue ich das auch«, antwortete er nun. »Ich habe etwas gefunden, von dem ich dachte, Sie hätten es vielleicht gern. Ich wollte es gerade zu Ihrer Pension bringen, als ich Sie die Straße hinaufgehen sah und beschloss, es Ihnen lieber persönlich zu übergeben, als es bei Ihrer Vermieterin zu lassen.«

Dann griff er in seine Jackentasche, zog eine gefaltete Straßenkarte von London heraus und hielt sie Eleanor hin. »Damit Sie sich nie wieder verlaufen.«

Ein überraschtes Lächeln erhellte ihr Gesicht, und als sie lachte, tat sie es so leichtherzig und melodiös, als wollte sie mit den Vögeln konkurrieren, die in den Bäumen sangen. Als sie die Karte annahm, streiften ihre behandschuhten Finger seine, und Swindlers Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass sie etwas völlig anderes streifen könnte … Er schluckte jedoch hart und bemühte sich, seine Fassung wiederzugewinnen. Sie war schließlich nur eine Frau. Eine Spur. Und seine Fassade war sorgfältig und nur für sie geschaffen worden – aber sie spiegelte sein wahres Ich nicht wider. Das zeigte er nur einigen wenigen Auserwählten.

»Wie aufmerksam von Ihnen.« Ihr Gesichtsausdruck war offen und aufrichtig, als sie ihren Blick zu ihm erhob. Wie, in Gottes Namen, konnte irgendjemand denken, sie würde auch nur einer Fliege etwas zuleide tun, geschweige denn erst einem Menschen? »Sie müssen sich ja große Umstände gemacht haben, um sie zu finden.«

Ganz und gar nicht, dachte er. Die Karte hatte er im vergangenen Jahr gekauft, als Kartografen die ganze Stadt mit ihnen überschwemmt hatten in Erwartung der vielen Besucher, die zur Weltausstellung nach London kommen würden. »Mir die Mühe zu machen war ein Teil des Geschenks«, antwortete er mit einer gewagten Mischung aus Bescheidenheit und Selbstvertrauen.

Er hasste die Unwahrheiten, die er von sich gab, obwohl es ihn früher nie gestört hatte, jemanden zu beschwindeln, um von ihm zu erfahren, was er wissen wollte. Aber bei ihr war das anders, und er befürchtete jetzt schon, dass er mehr von ihr wollte, als möglich war. Er wollte mit ihr Hand in Hand gehen. Er wollte, dass sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm die Arme um den Nacken schlang, wenn er den Kopf senkte, um ihre Lippen zu einem leidenschaftlichen Kuss zu vereinen. Er wollte, dass sie sein Bett teilte und ihm frivole Worte ins Ohr flüsterte – obwohl er bezweifelte, dass ihr Vokabular die etwas vulgären Worte enthielt, an die er dachte. Doch er konnte sie ihr beibringen. Und er hatte den Eindruck, dass sie jemand war, der sehr schnell lernte.

Aber viel mehr noch wünschte er, sie säße mit ihm an einem Kaminfeuer, hörte ihm zu, wenn er von seinem Tag erzählte, und tröstete ihn, wenn er von der Brutalität und Unmenschlichkeit des Menschen sprach. Es war der letzte dieser Wünsche, der sein Verlangen nach ihr unsinnig machte, weil die Gräuel, mit denen er in Berührung kam, keinen Platz in ihrer sicheren Welt oder in ihrem arglosen Gemüt hatten.

Im Geiste versetzte er sich einen harten Stoß. Was war nur los mit ihm, dass er solch abstruse Gedanken hegte? Es sah ihm gar nicht ähnlich, in solch poetischen Begriffen zu denken. Schließlich war er kein Traumtänzer, sondern Realist. Ein nüchtern und sachlich denkender Realist.

»Ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen Ihre Liebenswürdigkeit vergelten kann«, sagte sie.

»Vielleicht wären Sie ja so freundlich, einen Spaziergang durch den Park mit mir zu machen?«

Sie blickte sich schnell um, und er fragte sich, ob sie nach Lord Rockberry Ausschau hielt oder sich nur vergewissern wollte, dass niemand, den sie kannte, sie mit Swindler sah. »Ich glaube nicht, dass es meinen Ruf schädigen würde. Schließlich können Sie hier die Situation nicht ausnutzen.«

Wie unschuldig und naiv sie war. Was glaubte sie wohl, wozu Frauen Anstandsdamen benötigten? Ein Mann würde immer die Situation ausnutzen, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Besonders, wenn die Frau so verführerisch wie Eleanor Watkins war.

Er bot ihr galant seinen Arm. Als sie ihre kleine behandschuhte Hand darauflegte, spürte er die Berührung bis in seine Zehenspitzen. Im Zuge seines Versuchs, ihr Vertrauen zu gewinnen, hatte er sich wie ein Gentleman gekleidet: Handschuhe, Hut und einen gut geschnittenen Überrock mit Weste und Halstuch. Eigentlich bevorzugte er etwas schlichtere Kleidung, aber wenn seine Zielperson eine Frau war, zog er sich grundsätzlich besser an, weil Frauen gut gekleidete Männer sehr zu schätzen schienen. Und er brauchte jeden Vorteil, den er sich zunutze machen konnte, da er sich neben ihr wie ein unbeholfener Trampel vorkam statt wie Scotland Yards fähigster und genialster Kriminalbeamter.

»Sie scheinen sich von Ihrer schweren Prüfung gestern Abend gut erholt zu haben«, bemerkte Swindler, bemüht, mit seinen Gedanken bei seiner Aufgabe zu bleiben, anstatt sich unrealistischen Träumereien hinzugeben.

»Einigermaßen, ja – was ich jedoch ausschließlich Ihren Bemühungen zu verdanken habe.«

»Ohne nachteilige Auswirkungen?«

»Nein, ich habe nicht mal einen blauen Fleck. Es war furchtbar dumm von mir, so spät noch auszugehen. Ich weiß wirklich nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Aber in Zukunft werde ich vorsichtiger sein.«

»Das freut mich zu hören. Leben Sie schon lange in London?«, fragte Swindler.

»Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass ich nicht hier aufgewachsen bin?«

Er legte den Kopf zur Seite und lächelte etwas ironisch. »Sie hatten sich doch verlaufen, nicht wahr?«

Eine zarte Röte, die sie noch viel hübscher machte, stieg ihr in die Wangen. »Ach ja. Natürlich. Ich bin ja auch erst seit einer Woche in der Stadt.«

»War es etwas Bestimmtes, was Sie nach London führte?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich wollte mir die Stadt ansehen.« Nun blickte sie zum Himmel auf, als suchte sie dort nach Antworten. »Meine Schwester war letztes Jahr in London und so begeistert von den Sehenswürdigkeiten hier, dass ich beschloss, in diesem Sommer herzukommen.«

»Schade, dass sie Sie nicht begleitet hat. Vielleicht hätten Sie sich dann nicht verlaufen.«

Miss Watkins richtete ihren Blick wieder auf ihn. »Sie ist erst vor kurzem gestorben.«

Swindler setzte eine ausdruckslose Miene auf, um sich nicht anmerken zu lassen, dass er Bescheid wusste, und legte seine Hand auf ihre, die immer noch auf seinem Arm lag. Als er ihre Hand drückte, wollte er ihr nur Trost spenden, was möglicherweise seine erste aufrichtige Geste ihr gegenüber war. »Mein herzliches Beileid.«

Er bemerkte ihr Zögern, bevor sie sagte: »Wir leben an der See. Elisabeth war … sie ging zu nahe an den Klippen entlang und stürzte in den Tod.«

Ein vorzeitiges Ende, in der Tat. Bei der Erinnerung an Lord Rockberrys Worte fragte Swindler sich, was für eine Rolle der Mann beim Ableben der jungen Frau gespielt haben mochte. Er war versucht, Miss Watkins alles zu gestehen und sie einfach zu fragen, was sie wirklich hier in London wollte und warum sie Lord Rockberry verfolgte. Stattdessen jedoch fuhr er mit der Täuschung fort, aus Sorge, dass sie vor ihm zurückscheuen könnte, falls ihr der Verdacht kam, dass er nur aus dienstlichen Gründen und Pflichtbewusstsein hier war. »Noch einmal mein aufrichtiges Beileid.«

Sie zog eine ihrer schmalen Schultern hoch. »Mein Vater erkrankte kurz danach und verstarb dann leider auch. Es waren ein paar sehr schwierige Monate.«

»Und so kamen Sie dann nach London.«

Sie lächelte ein wenig. »Meine Schwester hatte mir von all den erstaunlichen Dingen hier erzählt. Sie führte auch Tagebuch, und als ich es nach ihrem Tod las, wurde ich regelrecht neidisch auf alles, was sie gesehen hatte – und hier bin ich!«

»Eine Frau, die allein auf Reisen geht? Sie sind ganz schön mutig.«

»Sie schmeicheln mir, Sir, aber ich hatte keine andere Wahl in dieser Sache. Ich habe keine Tanten, die mich begleiten könnten, und kein Geld, um eine Gesellschafterin zu engagieren. Meine Mutter ist schon lange tot. Elisabeth wurde als Erste geboren und ich als Letzte. Ich war wohl leider zu viel für meine arme Mutter, glaube ich.«

»Dann liegen Sie und Ihre Schwester altersmäßig also nicht weit auseinander?«

Sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Nur ein paar Minuten.«

Sie waren Zwillinge! Kein Wunder, dass Lord Rockberry so verunsichert gewesen war von der Frau, die ihm gefolgt war, und er sie für ein Gespenst gehalten hatte. »Sie werden mich hoffentlich nicht für zu neugierig halten, aber ich frage mich, warum Sie nicht schon letztes Jahr mit Ihrer Schwester hergekommen sind.«

»Mein Vater konnte sich die Kosten nur für eine von uns leisten. Elisabeth war die Ältere von uns beiden, und wenn auch nur um ein paar Minuten. Sie bekam ihr Debüt. Eine entfernte Cousine war so freundlich, dafür zu sorgen, dass sie in die Gesellschaft eingeführt wurde. Vater hoffte, dass sie dort eine gute Partie machen würde, und dann wäre ich an der Reihe gewesen.«

»Dann sind Sie also anlässlich Ihrer ersten Ballsaison und Ihrer Einführung in die Gesellschaft hier?«

»Nein, ich … nein. Eine Ballsaison kann ich mir nicht leisten. Ich bin nur nach London gekommen, um die Stadt zu sehen.«

»Und diese Cousine würde Sie nicht unterstützen?«

»Meine Familie hat ihr Schwierigkeiten gemacht, als die Dinge für meine Schwester nicht gut liefen«, antwortete sie und schüttelte den Kopf. »Ich werde meine Cousine nicht erneut ausnutzen. Aber können wir bitte über etwas anderes reden?«