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Traumprinzen gibt es eben nur im Märchen. Das reale Leben ist eine tägliche Herausforderung
Das E-Book Vier Prinzen und kein Happy End wird angeboten von BoD - Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Träume,Liebe,Männer entpuppen sich als Katastrophen,Ende mit Schrecken,Frauenpower
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Seitenzahl: 397
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Gabriele Eckhardt, Jahrgang 1963, lebt mit ihrer Familie im Rhein-Neckar-Kreis. Ihre große Liebe gilt den Pferden und Katzen und sie ist aktiv im Tierschutz tätig.
Für meine wunderbare Familie
Prolog
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Epilog
Da saß ich nun in meiner neuen Freiheit. Sie bestand aus drei Zimmern. Zu meinem Schlafzimmer gehörte ein mickrig, kleiner Ostbalkon, des Weiteren gab es ein ungünstig geschnittenes Wohnzimmer auf der Südseite und eine Küchenzeile, in die sich niemals Tageslicht verirrte. Nur Lukas, der Sohn von meinem Noch-Ehemann und mir, hatte das große Los gezogen. Sein Zimmer lag im Norden, war angenehm kühl und der Internetzugang funktionierte quasi ohne nennenswerte Störungen. Kein Mensch plante einen Umzug im August, während die Hundstage das öffentliche Leben fast zum Erliegen brachten. Aber mein Noch-Ehemann verlangte von mir, unverzüglich das Haus, dass ich in den letzten Jahren in mühevoller Kleinarbeit in einen bewohnbaren Zustand verwandelte, verlassen sollte. Allein der traumhaft schöne Bauerngarten, würde mit Sicherheit in jedem Gartenmagazin den ersten Preis erzielen. Das Recht, mich vor die Tür zu setzen hatte er, denn dummerweise lief der Vertrag für unser angemietetes Haus auf seinen alleinigen Namen und bestand bei Hochzeit auf einen Ehevertrag, somit hatte ich das Nachsehen. Ich wiederum bestand aber darauf, dass er meinen Mädchennamen annahm, das allerdings zur Folge hatte, dass sein Vater ihn enterbte.
Ich blickte mich um, sah die vielen Umzugskartons, die lieblos irgendwo abgestellt waren. Da ich schon immer nah am Wasser gebaut hatte, kamen wir mal wieder die Tränen. Jetzt war ich wieder genau in der gleichen Situation wie vor fünfundzwanzig Jahren. „Ach Lena, sei doch nicht traurig. So schlimm finde ich es hier auch wieder nicht. Du musst positiv denken, nach vorne blicken, an die Zukunft denken. Außerdem brauchst du dir bei diesem Minibalkon keine Gedanken mehr zu machen, wie du deine unzähligen Bauernhortensien überwintern sollst. Aber ich denke für eine Topfgeranie langt der Platz allemal.“ „Hortensien sind winterhart“, blitzte ich ihn an. „Aber warum erzähle ich dir das überhaupt, soweit ich mich erinnern kann, war ich die einzige Person, die ihre Zeit mit Gartenarbeit verbrachte.“ Mein halbwüchsiger Sohn kam aus seinem kühlen Reich. In letzter Zeit sprach er mich immer mit meinem Vornamen an. Vielleicht wollte er damit kundtun, dass er nun auch schon zu den Großen zählte und dass ich ja nicht auf die Idee kam, ihm irgendwelche Kleidervorschriften zu machen. Zu Zeit war er auf dem Skater Trip und trug nur noch angesagte Marken aus seinem Lieblingsgeschäft. Allein die Schuhe kosteten ein Vermögen und hielten ganze sechs Wochen, bevor sie aus dem Leim gingen. Aber das sei ganz normal, versicherte mir der Verkäufer aus dem Skater-Laden. Seine hielten auch nur drei Wochen.
„Lena meine X-Box 360 funktioniert schon. Super, oder?“ Im gleichen Atemzug fragte er mich: „Wann gibt es denn eigentlich Essen.“ Das war wiederum typisch für meinen Sohn. Wenn er weiterhin so einen Appetit entwickelte und wöchentlich zehn Zentimeter an Höhe gewinnt, werde ich bald staatlichen Zuschuss für Kleidung und Ernährung beantragen müssen. Aber schließlich hatte er ja noch einen Vater, sollte er sich das nächste Mal um die Einkleidung kümmern. Verstohlen wischte ich mir die Tränen weg und meinte sarkastisch. „Falls es dein Zustand erlaubt, könntest du dich mal zu Abwechslung um das Essen kümmern. Was meinst du? Im Übrigen lautet die Frage nicht wann es etwas zu essen gibt, sondern was. Wir haben ja nichts an Vorräten im Kühlschrank.“ „Ha das war ein guter Witz“, meinte Lukas. „Komm schon, in diesem Nest wird es ja wohl einen Supermarkt geben.“ Ich war nur froh, dass die Wohnung über eine Einbauküche verfügte, sonst wäre mein Kind glatt dem sicheren Hungertod erlegen. Ich seufzte, nahm den Haustürschlüssel und war schon an der Tür. Eigentlich war ich auch ein Frustesser und wenn ich mich schlecht fühlte, konnte ich einen gewaltigen Appetit entwickeln, aber diesmal fühlte ich mich sogar dafür zu miserabel. „He, du hast deinen Autoschlüssel vergessen“, Lukas winkte mit ihm. „Bist du verrückt, ich setze mich doch bei dieser Hitze nicht in das Auto. Wir fahren mit Rädern.“ „Oh Lena, das ist so was von uncool, das kannst du mir glauben. Wenn mich jemand aus meiner neuen Klasse sieht, dann bin ich das Stadtgespräch für die nächsten zehn Jahre.“ „Mach dir mal darüber keine Sorgen, die liegen alle am Baggersee“, beruhigte ich ihn.
Ich holte die Fahrräder aus der Garage und dachte daran, als Lukas die Kunst des Fahrradfahrens erlernte. Er war damals bereits schon fünf Jahre alt, aber er war mit allen Dingen etwas später. Unser Großer, zehn Jahre älter als Lukas, schloss mit mir damals eine Wette ab. „Was wetten wir! Um zwanzig Euro, dass ich ihm in einer viertel Stunde das Radfahren beibringen kann. Man muss den Jungen nur richtig motivieren.“ Ich schlug ein und war fünfzehnzehn Minuten später um zwanzig Euro ärmer. Allerdings hasste er unsere sonntäglichen Fahrradtouren und blieb stets weit hinter uns zurück. Natürlich maulend und mit hängenden Mundwinkeln: “ Mir ist es heiß, ich habe Durst, die Sonne scheint, jetzt fängt es an zu regnen, wann gibt es was zu essen, ich bin müde…...“ usw.
Ach mein Großer, teils vermisste ich ihn, teils war ich froh, nicht mehr diese unüberwindlichen Wäscheberge bewältigen zu müssen. Er hatte die Angewohnheit seine Kleidung auf dem Boden zu verteilen, mit dazu kamen unendliche Cola- und Fanta Flaschen, die er ebenso dekorativ in Szene setzte. Nicht zu vergessen, den gesamten Vorrat an Trinkgläsern. Ich schimpfte oft mit ihm, dass ich mir irgendwann den Hals in diesem Chaos brechen würde, aber das berührte ihn kaum. Als er noch kleiner war räumte ich jeden Tag hinter ihm her, aber als er mit seiner ersten Freundin nach Hause kam, ließ ich das bleiben. Nicht dass ich eifersüchtig war, aber ich dachte mir, wenn er rumknutschen kann, dann kann er auch aufräumen. Ich wechselte nur noch die Bettwäsche. Die Fenster allerdings wurden mit Nichtbeachtung bestraft, ich hatte meine Gründe dafür, aber dazu später. Wenn allerdings seine Freundin am Wochenende zu Besuch kam oder wir eine Familienfeier hatten, mutierte er plötzlich zu einem zivilisierten Mitteleuropäer räumte sein Zimmer auf und ich konnte nur noch unter Einsatz meines Lebens die Waschküche betreten.
Wir radelten nun los und Lukas zog das Genick ein. Vielleicht war doch ein potenzieller Klassenkamerad unterwegs. Ich traf auf eine ältere Dame, die ihren Hundeopi spazieren führte. „Entschuldigen Sie bitte, gibt es hier in der Nähe einen Supermarkt?“, fragte ich sie freundlich. „Ja glei da vornne um die Eck is Helga’s Einkaufsparadies.“ Ich bedankte mich höflich. Du meine Güte, an diesen Dialekt werde ich mich nie gewöhnen, dagegen war Hessisch fast charmant. Als ich vor zweiundzwanzig Jahren von Erbenheim, in der Nähe von Wiesbaden, in einer dieser heimeligen und idyllischen Spargelgemeinde gezogen bin, musste ich anfangs immer noch mal nachfragen. Gell verstand ich aber sofort. Schließlich erinnerte es mich an diesen Karnevalshit: „Gell’ du hasch mich gelle gern.“ Ich war nur heilfroh, dass unsere Söhne ihn nicht von den anderen Kindern übernommen hatten. Aber kannte man sich in einem Ort aus, war es auch kein Problem sich woanders zu Recht zu finden, schließlich glichen sie sich wie ein Ei dem anderen.
„Du Lena, aber zu deinem Cowboy sage ich aber nicht Papa. Das ist dir ja wohl klar, oder. Ich habe nämlich einen.“ „Das ist nicht mein Cowboy, das weißt du ganz genau. Robbi ist der Stallbetreiber, bei dem ich mein Pferd eingestellt habe, mehr nicht. Vielleicht begreifst du das, im Gegensatz zu deinem Vater.“ Robbi hieß im wirklichen Leben Robert und betrieb im Nachbarort einen kleinen Westernreitstall sowie eine Hobbyzucht für Pintos. Auch bot er immer mal wieder Verkaufspferde an. Vor einem halben Jahr inserierte er:
Englischgerittener, fünfzehnjähriger
Hannoveraner-Wallach, Stockmaß 1,74 m an
Freizeitriter günstig abzugeben. Tel. ....
Und da ein Reiter ohne Pferd nur ein Mensch ist, schaute ich ihn mir unverbindlich an. Ich verliebte mich auf den ersten Blick. Der Wallach, namens Rebell, war trotz seines Namens einfach ein Traumpferd. Sanft blies er mir in mein Haar und schmiegte seine Nüstern in meine Ellenbogen. Juhu, jubelte ich innerlich, all meine Mädchenträume von Prinz, Blitz oder wie alle meine Pferdchen hießen, gingen in diesem Moment in Erfüllung. Und natürlich freute ich mich, dass Robbi so ein gutaussehender Pferdemensch war, das in diesen Kreisen leider sehr selten vorkam. Entweder besaßen sie wunderhübsche Pferde und waren nicht tageslicht-tauglich, oder aber man konnte mit ihnen in die Öffentlichkeit, dafür besaßen sie aber keine vernünftigen Pferde. „Die jetzige Besitzerin verkauft ihn ausschließlich wegen Zeitmangels“, meinte Robbie sachlich. Zeitmangel, dass ich nicht lache. Das behaupten alle Pferdebesitzer, Der wahre Grund war wahrscheinlich Geldmangel. Robbi musterte mich ausgiebig von oben bis unten, als ich nach dem Probereiten abstieg und ihm erklärte, dass ich das Pferd kaufen werde. „Du kannst ihn auch hier einstellen. Eigentlich mag ich ja keine Englischreiter auf meinem Gelände, aber bei dir mach ich gerne eine Ausnahme.“ Das war vor einem halben Jahr und mein Göttergatte musste da irgendetwas falsch verstanden haben. Im Grunde genommen war ich schon immer so treu wie Rehaugen, aber er glaubte mir nicht und meinte ich sollte mir besser eine eigene Wohnung suchen. Und im Übrigen werde er die Scheidung einreichen. „Was glaubst du denn wer ich bin. Ich lasse mich doch nicht von dir zum Narren machen“, setzte er noch obendrauf.
Kurz vor unserem Auszug hörte ich unfreiwillig ein Telefongespräch mit. Mein Ehemann stand in unserer Garage und schien etwas nervös zu sein. Er konnte mich nicht sehen, da ich von der Seite kam. Sein sonst gesunder Teint glich einem gebleichten Leinentuch. „Liebling, jetzt rege dich doch nicht so auf. Warte doch erst mal den Test ab.“ Nun wurde ich wiederum blass und mein Magen etwas nervös. Dachte ich es mir doch. Eine andere Frau. Ich roch schon neulich ein anderes Parfum an ihm. Es war mir nicht fremd, irgendwie kannte ich diesen Duft, aber ich kam beim besten Willen nicht darauf, wo ich ihn schon mal gerochen hatte. Deshalb hat er auch so ein Theater wegen Robbi gemacht. Er suchte eine Lösung um mich auf eine elegante Art loszuwerden. Aber das wurde ihm leider zum Verhängnis....
Mittlerweile waren wir an Helgas` Einkaufsparadies angekommen und ich schloss sorgfältig unsere Fahrräder zusammen. Man konnte ja nie wissen. Wir gingen hinein und es entpuppte sich als kleiner Tante-Emma-Laden, der trotz der geringen Größe erstaunlich gut sortiert war. Es gab sogar eine kleine Fleisch- und Wursttheke mit Produkten von heimischen Erzeugern. Ich fragte meinen Sohn, was er essen möchte. „Ravioli“, war seine knapp bemessene Antwort. „Die kann dir dein Vater wärmen, falls er das überhaupt hinbekommt. Ich mache uns einen bunten Sommersalat mit Putenstreifen ist das o.k.?“ „Hm“, meinte er. Wir hatten die Zutaten für unser Abendmahl in meinem Fahrradkörbchen, dazu eine Flasche Cola, zwei Flaschen Mineralwasser und zur Feier des Tages eine Flasche Rotwein „Badischer Bärenklau, vollmundig und samtig im Abgang“, das ideale Getränk für einen heißen Sommerabend. Als Lukas noch mit einem Sechser-Pack Multivitaminsaft, sowie drei Flaschen Sprite ankam, streikte ich. „Glaubst du eigentlich ich war in meinem früheren Leben ein Lastesel?“ „Eigentlich benutzt man ja auch ein Auto zum Einkaufen“, eingeschnappt brachte er sein Zeug zurück in das Regal. „Ich werde morgen eine Frühschicht antreten, noch bevor die Sonne mein letztes Gehirnwasser austrocknet und einen Großeinkauf machen“, versprach ich ihm.
Wir reihten uns brav in die Schlange vor der Kasse, die sich mittlerweile quer durch Markt zog. Es war eben Feierabendzeit und alle traten nervös von einem Fuß auf den anderen. Ich war heilfroh, dass wir keine Eiscreme gekauft hatten, denn die wäre mit Sicherheit schon geschmolzen. Inzwischen war mir schon so heiß, dass ich unauffällig auf den Boden sah. Ich schwitzte in letzter Zeit so heftig und es hätte durchaus sein können, dass ich, wegen meines starken Achselschweißes, in einer kleinen Pfütze stand. Mit Schrecken dachte ich oft daran, ob das wohl der berühmte Anfang der Menopause war. „Helga“, rief es quer durch den Markt, „schmeckt der Marmelaad aah guud?“ Helga, die höchstpersönlich an der Kasse saß, blickte kurz auf. Sie hatte einen ziemlich stark ausgeprägten Silberblick, um ehrlich zu sein, sie schielte wie ein Bandwurm. „Isch wees net, isch habb denn noch net brobiert!“ Nach unzähligen Minuten konnten wir unsere Einkäufe auf das Band legen. Helga, schielte uns freundlich an. Als sie den Preis der eingelegten Putensteaks in die Kasse tippte, meinte sie: „Gell, die sin soo airg guud. Ich nickte höflich, bezahlte rasch und wir eilten aus dem Fegefeuer, das gnadenlos unsere Sprache verbrannte.
Zuhause angekommen musste ich erst mal unter Dusche um mich von meinen Achselschweiß-Sturzbäche zu befreien. Den Karton mit den Duschtüchern fand ich nicht auf Anhieb, aber das war auch gar nicht nötig, da ich bereits unter der Dusche trocknete. Nun suchte ich noch sage und schreibe eine viertel Stunde nach dem Karton, auf dem ich sorgfältig mit einem Edding-Stift -Küche- markiert hatte. Schnell spülte ich die notwendigen Utensilien mit der Hand. Während ich unser Abendessen vorbereitete bat ich Lukas, schon mal den Tisch zu decken. Aber der Junge hatte bereits seine Kopfhörer auf und traf sich mit seinen virtuellen Freunde wie: Star007, xxCyberkillerxx und Devil13. „Lukas, Essen ist fertig“, rief ich und betrat sein Zimmer. Aber Lukas funkelte mich nur böse an und gab mir ein Zeichen leise zu sein. Ach, ich vergaß jedes Mal, dass Cyberkiller oder wer auch immer mich hören konnte.
„Weißt du Lena, eigentlich finde ich es jetzt richtig cool“, nuschelte Lukas, während er seinen Salat mit Putenstreifen verspeiste. „Du weißt schon, dass es ab drei Gramm unhöflich wird“, ermahnte ich ihn. „Schau mal, ich muss mir nicht mehr ständig eure Streitereien anhören, du musst dich nicht mehr über die Haare von Papa im Bad ärgern und außerdem hast du Robbi ja auch schöne Augen gemacht.“ Ja das mit den Haaren stimmt, überlegte ich. Mein Gatte trug so etwas wie einen natürlichen Pullover, deshalb fror er im Winter nicht so schnell. Als ich mich mal besonders über ihn ärgerte, schnitt ich meine Haare auf die Länge seiner. Anschließend beschwerte ich mich über die Schweinerei im Waschbecken. Dummerweise hatte er viel hellere Haare wie ich und der Schwindel fiel auf. „Außerdem gibt es wohl ja einen großen Unterschied zwischen schöne Augen machen oder sich gleich ein Verhältnis an zu schaffen, zudem dein Vater, Vater betonte ich besonders, sich nun mit seinem Verhältnis bequem in unserem Haus ein Liebesnest einrichten kann“, jammerte ich. „Ich darf gar nicht daran denken, dass er sich nun mit der Heckenschere an meine Pflanzen macht. Ich hatte den Garten in liebevoller Kleinarbeit angelegt. „Nun ja“, begann Lukas langsam, „du weißt doch wie Papa dein Gestrüpp hasst und bald wird der Garten gerodet sein, wie der tropische Regenwald.“ „Sei doch nicht immer so direkt.“ Böse schaute ich ihn an. Aber so war Lukas schon immer. Er führte schon seit seiner Kindergartenzeit Grundsatzdiskussionen mit seinen Erzieherinnen und das ist bis heute auch bei seinen Lehrern so geblieben.
„Danke für das Essen, war trotzdem lecker.“ Lukas stellte seinen Teller in die Küche und verschwand in seiner Höhle um sich mit Killerxx zu treffen. Zum hundertzwanzigsten Mal seufzte ich an diesem Tag. Ich brachte die Küche in Ordnung, hatte aber durchaus keine Lust mehr mich mit den Umzugskartons zu beschäftigten. Morgen ist auch noch ein Tag, außerdem hatte ich noch eine ganze Woche Urlaub um dieses Chaos in einen einigermaßen, bewohnbaren Zustand zu verwandeln. Ich schnappte mir die Flasche Rotwein, da ich aber auch nicht die Kiste mit den Gläsern fand, musste ich den edlen Tropfen aus einem Pappbecher genießen. Ich ging auf meinen Minibalkon und sehnte mich nach meiner alten Terrasse, auf den denen im Sommer unzählige Sommerblüher um die Wette dufteten. Gut das Daniel, unser Großer, von all dem nicht direkt betroffen war. Er war schließlich etwas empfindlicher und introvertiert, im Gegensatz zu Lukas, der die Situation gerade zu genoss. Aber Daniel wollte nach dem Abschluss seines Biologiestudiums etwas von der großen, weiten Welt sehen und bewarb sich auf eine Stelle im norwegischen Bergen. Das war nun schon fast ein Jahr her. Ehrlich gesagt, zugetraut hätte ich ihm das nicht. So weit weg und ohne Mutter.
Ich goss mir den zweiten Pappbecher Badischer Bärenklau ein und meine Gedanken schweiften ab in die Vergangenheit. Warum konnte bei mir nie etwas nach Plan laufen, immer kam es anders....
Irgendwie umgab mich schon seit meiner Kindheit eine mystische Aura, vielleicht war mein Sternzeichen daran schuld. Statt, mich über Sonnenschein zu freuen wie andere Menschen, liebte ich es besonders, wenn im November die Nebelschwaden über das Land zogen. Diese dunkle Jahreszeit, die der Sonne keine Chance gab, nur ein klein wenig hinter den Wolken hervorzutreten, traumhaft. Auch Beerdigungen fand ich schaurig schön. Ich durfte schon im zarten Alter von fünf Jahren dabei sein. Mein Opa war gestorben und ich fand die traurige Musik herrlich. Auch meine vielen Tanten und Onkels, die sich verstohlen ihre Tränen wegwischten, starrte ich fasziniert an.
Schon während meiner Schulzeit machte ich mir von Zeit zu Zeit grollende Gedanken, mal über meine Mitschüler oder auch mal über die Lehrkräfte. Wenn ich das Gefühl hatte, ungerecht behandelt worden zu sein, malte ich mir im Geiste aus, was alles Schreckliche passieren könnte. Andrea zum Beispiel, eine Klassenkameradin. Übergewichtig und dementsprechend unsportlich, leider war sie ein Mathematik Ass und grinste immer hämisch, wenn unser Lehrer mir die Arbeiten kopfschüttelnd zurückgab. Natürlich ahnte Andrea, dass es bei mir wieder nur für ein mangelhaft gereicht hatte. Wir übten im Sportunterricht die eingesprungene Flugrolle. Als Andrea an der Reihe war, dachte ich noch, um Gottes Willen, das schafft sie nie. Andrea nahm Anlauf, stolperte über ihre eigenen Füße, landete neben der Matratze und schrie aus vollem Leib. Tja, wie sich später herausstellte, hatte sich die Ärmste leider beide Unterarme gebrochen. Oder Frank-Rüdiger, das Muttersöhnchen, ständig verpetzte er uns beim Hausmeister, wenn ich mit meiner besten Freundin Annette, heimlich hinter dem Fahrradschuppen rauchte. Wir bekamen jedes Mal eine saftige Strafarbeit mit Nachsitzen und mussten hundertmal schreiben: ich darf nicht auf dem Schulhof rauchen. Eines Tages kam Frank-Rüdiger stolz in die Schule gefahren. Das Muttersöhnchen bekam, einfach mal so Mitten im Jahr, von seinen Eltern ein Mofa geschenkt. Lässig kam er um die Kurve gebraust. Im selben Augenblick überquerte ein älterer Herr die Straße. Frank-Rüdiger konnte ihm im letzten Moment ausweichen, fuhr geradewegs auf die schöne alte Pappel, die uns im Sommer immer Schatten spendete, zu und… Ja was soll ich sagen. Das Mofa hatte einen Totalschaden und Frank-Rüdiger musste für den Rest des Schuljahres nicht mehr zum Unterricht. Er zog sich eine langwierige Rückenverletzung zu und verlor alle oberen Schneidezähne.
Ähnliche Schicksale ereilten auch die Lehrkräfte an unserer Schule, die es nicht so gut mit mir meinten. Da gab es den Physiklehrer, naturwissenschaftliche Fächer waren nun mal eben nicht mein Steckenpferd. Jedes Mal, wenn er mich nach vorne an die Tafel rief, zückte er schon sein kleines, rotes Notenbuch, lächelte mich zynisch an, da er schon im Vorfeld genau wusste, dass ich nichts zum Unterricht beitragen konnte. Stumm und mit hochrotem Gesicht stand ich an der Tafel und vergnüglich malte er eine großzügige fünf in sein Büchlein. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt und er verbrachte nun seine einsamen Nachmittage an einem Kiosk. Täglich prostete er den anderen fragwürdigen Gestalten mit Bier und Korn zu. Eines Tages kam er in eine Verkehrskontrolle, wurde mit zwei Promille erwischt und verlor somit seinen sicheren Arbeitsplatz und den schönen Bungalow mit Wintergarten und offenen Kamin in ruhiger Waldrandlage. Und natürlich nicht zu vergessen, unsere Deutschlehrerin. Niemals konnte ich sie mit meinen Erzählungen, Aufsätzen, Referate und Thesen überzeugen. Sie segelte bei einem heftigen Gewitter über einen See in Nordrheinwestfalen und ein Blitz schlug in das Boot ein. Bedauerlicherweise war das Boot nicht versichert, sie hatte keinen Segelschein, das Rettungsmanöver kostete ein Vermögen und hatte sie damit in den finanziellen Ruin getrieben. Irgendwie zog sich das wie ein roter Faden durch mein Leben und wahrscheinlich hätte man mich im Mittelalter geteert und gefedert nackt durch den Ort gejagt.
Meine Schwester und ich waren Kinder der Sechziger und meine Mutter wollte sie auf den Namen Tamara taufen. Wahrscheinlich durch einen russischen Liebesfilm inspiriert. Meine Eltern waren die Ersten in der Straße die ein Fernsehgerät besaßen, wie sie immer stolz uns Kinder erklärten. Später waren wir auch die erste Familie, die im Besitz eines Telefonapparates waren. Und nun stand eine lange Schlange aus der Nachbarschaft vor unserem Haus. Schließlich war es ja angenehmer in unserem warmen, gemütlichen Wohnzimmer zu telefonieren, als in einer kalten, zugigen Telefonzelle. Ich war nur froh, dass sich die lieben Nachbarn nicht noch am Abend in unserer guten Stube versammelten um sich im geselligen Beisammensein das Abendprogramm anzuschauen. Nun gut, zur Namensgebung meiner Schwester. Meine Mutter handelte sie sich gewaltigen Ärger mit ihrer Schwiegermutter ein: „Tamara, so ein neumodischer Kram. Nenne sie lieber Gertrud, das ist ein hübscher Name.“ Aber meine Mutter war beharrlich und bestand auf Tamara. Als ich Anfang der Sechziger auf die Welt kam, sollte ich Helena heißen. Wahrscheinlich träumte meine Mutter gerade von einem Griechenlandurlaub. Aber wiederum mischte sich Schwiegermutter ein: „Wenn schon mit H, dann Hedwig, das ist viel bodenständiger.“ Aber meine Mutter blieb hartnäckig. Unvorstellbar, ich würde auf den Namen Hedwig hören müssen. Oder sie hätte sich gerade in die Nibelungensagen eingelesen, dann müsste ich nun auf den Namen Brünhild, Krimhild oder so ähnlich hören. Auch verwechselte unsere Mutter ständig die Namen. Sie rief uns Leta, Tahe und Heta, als später dann noch Schwiegersöhne und Ekelkinder dazu kamen, wurde es zur echten Katastrophe.
Kurz vor meinem dreizehnten Geburtstag bekam ich ein Tagebuch, das man abschließen konnte, geschenkt. Ich verbarrikadierte mich in meinem Zimmer und grübelte, was man wohl in ein Tagebuch schrieb. Ich überlegte hin und her, aber außer, dass wir zu Mittag Kotelett gegessen und Tante Trudi besucht hatten, fiel mir weiter nichts ein. Ich fragte Annette, meine Sandkastenfreundin, ob sie vielleicht eine Idee hätte. „Mensch, man muss über seine erste große Liebe schreiben, verstehst du.“ Ja das verstand ich, aber ich hatte ja keine. Und wenn ich mal auf einen interessanten Jungen stieß, bekam ich sofort einen ganz fiesen und gemeinen Pickel. Also verschwand das Tagebuch erst mal in meiner Schreibtischschublade. Mittlerweile war aber mein geliebter Otto gestorben. Otto, mein treues Meerschweinchen, das jahrelang in meinem Bett schlafen durfte und seine Köttel darin verteilte. Eng aneinander gekuschelt, schliefen wir viele Abende zusammen ein.
Annette, war übrigens so ein Typ Mensch, dem alles zuflog, ohne einen Finger krumm zu machen. Ihre Eltern bauten ein großes Haus mit Schwimmbad. Natürlich besaß sie ein schickeres Fahrrad wie ich und sie war die bessere Schülerin. An dem Morgen als ich Otto tot in seinem Käfig fand und ich mir die schwersten Vorwürfe machte, dass er ausgerechnet in dieser Nacht nicht in meinem Bett geschlafen hatte, ging ich mit verheulten Augen zur Schule. Ich war so traurig, schließlich war er fast fünf Jahre mein treuer Gefährte. Als ich Annette auf dem Schulhof antraf, teilte ich ihr unter Tränen mit, dass Otto in der Nacht gestorben sei. „Lena, ich bin so glücklich. Stell dir mal vor, ich bekomme einen Hund“, begrüßte sich mich. Ja, Annette konnte manchmal sehr einfühlsam sein.
Annette hatte all das was ich nicht hatte:
ein Haus mit Schwimmbad
ein schickes Fahrrad
bessere Schulnoten
ein doppeltes Federmäppchen
und einen Hund
Aber eins konnte ich besser als sie. Nämlich reiten. Mit Sport hatte sie nichts am Hut, aber das Handarbeiten wurde ihr quasi in die Wiege gelegt. Annette überraschte ihre Mutter immer wieder mit wunderschön, gehäkelten Topflappen und Tischdecken mit doppeltem Kreuzstich. In Erbenheim gab es einen kleinen Reitverein und ich redete mit Engelszungen auf meine Eltern ein, damit ich dort Reitstunden nehmen durfte. Klein war eigentlich noch untertrieben. Außer den zwei Schulpferden, die in Ständer gehalten wurden, gab es noch zwei Boxen mit Privatpferden. Ich war begeistert, wenn ich diese ausmisten durfte. Allerdings verriet ich meinen Eltern nicht, dass ich die meiste Zeit der Reitstunden im Sand verbrachte. Ständig flog ich im hohen Bogen aus dem Sattel und meistens verlief die Sache auch sehr schmerzhaft, aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich quälte mich weiterhin tapfer durch die Reitstunden und eines Tages hatte ich den Bogen raus. Elegant trabte und galoppierte ich durch das Viereck und war mächtig stolz auf mich.
Das fiel auch Roland auf, den ich wiederum heimlich bewunderte. Seine Eltern hatten einen eigenen Stall und züchteten erfolgreich Springpferde im Nebenerwerb. Wenn er seine zweijährigen Pferde in der Halle longierte, beobachtete ich ihn fasziniert von der Bande aus. Kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag wurde ich von seinem Freund Walter, ebenfalls ein Reitersmann, zu einer Party eingeladen. Ich war ganz aus dem Häuschen und meine Mutter spendierte mir extra für diesen Anlass eine super enge Jeans und ein Sweatshirt, mein Erstes. Die Party an sich fand ich etwas langweilig. Aber Roland schaute mich immer so komisch an und ich bekam ein seltsames Kribbeln im Bauch. War das die Liebe, von der alle jungen Mädchen träumten? Am nächsten Morgen, es war Sonntag, radelte ich schon sehr früh in den Stall. Ich war der Meinung, dass ich dort alleine bin und wollte meine Gedanken sortieren, als Roland plötzlich aus dem Nichts auftauchte. Nun stand er vor mir und die Luft knisterte. „Willst du mit mir gehen?“, fragte er mich. „Äh, wohin?“ „Möchtest du meine Freundin werden?“, fragte er mich nochmals. Ach so, mein Gott war ich dämlich. „Ja“, antwortete ich und wurde rot dabei. Er nahm mich in den Arm, gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen und ich schwebte in Richtung Wolke sieben. In meinen Tagträumen stellte ich mir schon mal vor, wie Roland mich zu Frau nehmen würde.
Eine weiße Hochzeitskutsche, gezogen von zwei schwarzen Pferden - ich konnte Schimmel noch nie ausstehen – würde mich zur Kirche bringen. Ich trug ein romantisches Brautkleid und im Haar war einen Kranz mit winzig kleinen, weißen Blüten eingeflochten. Natürlich schenkte ich zwei süße Mädchen das Leben. Und die Süßen bekamen ganz viele Puppen von mir geschenkt, die ich dann auch anziehen und kämmen konnte.
Irgendwie vermisste ich meine Eigenen schon. Aber als ich dreizehn wurde, habe ich sie für immer auf den Dachboden verbannt. Auch meine gesammelten Werke von Hanni und Nanni, sowie die komplette Reihe von Brittas Pferdegeschichten. Ich hätte meinen linken, kleinen Finger gegeben, wenn ich ein Welsh-Mountain-Pony, namens Blacky oder Blitz besessen hätte, aber meine Gebete wurden nie erhört. Dafür hatte ich aber nun endlich genug Stoff für mein Tagebuch!
Bevor ich aber das erste Mal mit Roland ins Kino gehen durfte, wurde erst einmal der Familienrat einberufen. Sogar meine Schwester reiste für diesen Anlass extra an. Sie war mittlerweile mit ihrem Freund Jan in ihre erste eigene Wohnung gezogen. Meine Mutter hatte ein sehr wichtiges Argument: „Das geht nicht. Die sind evangelisch.“ Mein Vater informierte mich über frühere Zeiten: „Weißt du eigentlich, dass sich die Fahrgasse und die Mozartstraße immer gegenseitig bekämpft hat?“ Und meine Schwester hatte ganz düstere Visionen: „Stellt euch mal vor, er fängt an zu fummeln.“ Also das waren ja wirklich schreckliche Aussichten, aber nach einer unendlich langen Diskussion wurde es mir schließlich erlaubt. Aber ich musste versprechen, sofort, aber sofort nach dem Ende des Films nach Hause zu kommen. Anständig wie ich war, tat ich es auch.
Natürlich wollte ich Annette von meinem ersten Rendezvous berichten und winkte ihr auf dem Schulhof aufgeregt zu. „Annette, komm schnell, ich muss dir etwas erzählen.“ Ich sah sie an, sie sah komisch aus, irgendetwas fehlte an ihr. Aber ich kam nicht darauf was. „Weißt du was mir passiert ist“, fragte sie mich stattdessen. „Nein, was denn?“ „Ich habe mir gestern Abend beim Kerzen ausblasen ein paar Wimpern versengt. Ja und dann habe ich die Schere genommen und den Rest auch noch abgeschnitten.“ Jetzt wusste auch ich was ihr fehlte.
Da ich nun verliebt war, kam meine romantische Ader zum Vorschein. Ich liebte Rosa. Meine Kleidung war rosa, mein Zimmer, ich träumte in Rosa. Nur das kleine giftgrüne Regal an der Wand vor meinem Schreibtisch störte mich. Ich starrte es an und mir kam plötzlich eine Idee. Eigentlich hätte ich für eine Englisch-Arbeit lernen müssen und ich hatte einen genialen Einfall um eine kleine Pause zu machen. Also schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte zum nächsten Farbengeschäft. Ich erstand eine Dose mit weißer Farbe und eine kleine, mit roter Farbe. Zuhause setze im mich in meinem Zimmer auf den Boden und bearbeitete die weiße Farbdose mit einem Schraubenzieher. Leider rutschte ich ab und der Inhalt ergoss sich über meinen Körper. Zum Glück war es draußen warm und ich hatte kurze Hosen an, sonst hätte ich vermutlich noch mehr Textilien bekleckert. „Oh verdammt“, rutschte es mir laut aus dem Mund und eilte in die Badewanne. Meine Mutter hielt gerade ihr Mittagsschläfchen und wurde somit unsanft geweckt. Sie nahm die Brause und duschte mich ab und verteilte somit fein säuberlich die gesamte Farbe über meinen Körper. Sie tobte und schimpfte mit mir: „Stets hast du nur Flausen im Kopf. Ich weiß nicht womit ich so etwas verdient habe.“ Ich fand sie ungerecht. Schließlich hatte ich es doch nicht mit Absicht getan. Nun schwang sie sich in ihr Auto und das Farbengeschäft bekam an diesem Tag zum zweiten Mal Besuch von unserer Familie. Der Klatsch in diesem Ort verteilte sich immer rasend schnell und bald wusste fast jeder, warum meine Mutter zwei Dosen Terpentin-Ersatz erstanden hatte. Sie schrubbte mich wie wild mit Küchenkrepp, getränkt in Terpentin, ab. Es stank erbärmlich und danach hatte ich wundgescheuerte Beine.
So langsam hegte ich aber den Verdacht, dass sich Roland nicht nur wegen seiner endlosen Liebe an mich gewandt hatte, sondern dass er schlicht und einfach eine billige Arbeitskraft suchte. Wir waren kaum zwei Wochen zusammen, als ich nachmittags auf den elterlichen Hof kam. Eigentlich sollte ich mich für ein Referat in Geschichte vorbereiten, aber ich wollte lieber die Mutterstuten mit ihren Fohlen auf die Koppel bringen.
„Wurde ja auch mal Zeit, dass du endlich kommst.“ Ich schaute ihn ungläubig an. „Hier“, meinte er und drückte mir einen Farbroller nebst Eimer in die Hand. „Die Abfohlboxen müssen dringend geweißelt werden.“ Also ich gerade den Mund aufmachte um mich zu beschweren, schob er mich schon in die Stallungen, gab noch kurze Anweisungen und verschwand wieder unter dem Traktor, an dem er gerade die Nockenwelle reparierte. Nun, dachte ich, es kann ja Frau nicht schaden, wenn sie mit dem Pinsel umgehen kann und so machte ich mich an die Arbeit. In den nächsten Wochen wurde es nicht besser. Die Heuernte hatte begonnen. Eigentlich waren wir zum Schwimmen verabredet, aber da hatte ich die Rechnung ohne Roland gemacht. „Bist du verrückt, ich kann mich doch jetzt unmöglich mit dir an den See legen. Nein, die Ernte muss eingebracht werden und du wirst dabei helfen.“ „Das weißt du doch nicht erst seit heute“, maulte ich. „Die nächsten Tage ist aber kein Regen gemeldet, also muss jetzt gemäht werden.“
Also setze ich mich kurzerhand auf den Traktor, Roland hängte das Mähwerk an, erklärte mir noch kurz, wie ich das Monstrum zu bedienen hatte und schon tuckerte ich durch die Straßen in Richtung der abzumähenden Wiesen. Natürlich mit eingezogenem Genick, denn es wäre für mich nicht gut ausgegangen, wenn die Polizei mich erwischt hätte, so ganz ohne Führerschein. Aber ein Vorteil hatte es. Da ich nur ein Spaghetti Top und kurze Shorts trug, bekam ich eine wunderschöne Bräune.
Und so kam es, dass Roland immer mal wieder kleinere und größere Arbeiten für mich hatte. Ich bearbeitete das Scheunentor mit dem Schwingschleifer, sorgte dafür, dass die Koppelzäune sicher waren, ölte das komplette Sattelzeug und befreite den Hofhund von seinen Zecken und bald war ich auch in der Lage, einen kompletten Ölwechsel am Traktor durchzuführen. Als er aber auf die Idee kam, ob ich seiner Mutter zu Weihnachten ein Wandbild klöppeln könnte, streikte ich. Das ging auf jeden Fall zu weit. Allerdings kam ich durch meine Nebenjobs kaum zum Lernen und das spiegelte sich natürlich in meinen Noten wider.
Eines Tages begannen Annette und ich heimlich zu rauchen. Ich kaufte mir die romantischen, mit Blümchen, und sie die edle Variante in Gold. Nicht, dass mir das Zeug geschmeckt hatte, aber in der damaligen Zeit, war es einfach cool und wir wollten natürlich dazugehören. Also pafften wir weiter und ich bekam dadurch meine erste, heftige Bronchitis. Es war in den Pfingstferien, als wir ein Picknick planten. Ich schlug Annette einen Platz am nahegelegenen Waldrand vor. Sie hatte aber bedenken, wegen irgendwelchen Gesellen, die uns eventuell überfallen konnte. Ich aber schlug ihre Bedenken in den Wind. „Jetzt stell dich nicht so an. Es ist helllichter Tag, da wird man nicht überfallen.“ Ich konnte sie überreden und an einer Lichtung ließen wir uns nieder. Ich packte die Decke aus und Annette die kleinen Köstlichkeiten. Ganz zum Schluss kramte sie noch einen Aschenbecher hervor. „Was willst du denn damit?“, fragte ich sie. „Die Natur so sauber verlassen, wie wir sie angetroffen haben.“ Ach Annette, sie dachte einfach an Alles. Wir hatte schon fast alles aufgegessen, als ich plötzlich eine Gestalt durchs Unterholz schleichen sah. Ich stupste Annette ängstlich an: „Guck mal, da hinten schleicht jemand.“ „Siehst du, jetzt haben wir den Salat. Du bist schuld, schließlich wolltest du in diese Einsamkeit. Wenn ich morgen früh als Leiche in der Tageszeitung abgebildet bin, so habe ich das nur dir zu verdanken.“ Wir packten schnell unsere Siebensachen zusammen und rannten in Richtung Dorf zurück. Wie aus dem Nichts, stand Roland vor uns, sein Mofa hatte er auch dabei. „Roland“, rief ich erleichtert. „Gut, dass du da bist. Dahinten im Wald schleicht so ein Typ rum!“ „Ja den habe ich auch gesehen und deshalb begleite ich euch nun nach Hause.“ Ich wollte noch bei Annette bleiben und Roland fuhr allein nach Hause. „Weißt du was ich glaube“, Annette sprach mich von der Seite an. „Nein, was denn?“ „Ich glaube die Gestalt im Unterholz war Roland. Wieso taucht er plötzlich auf, hast du ihm erzählt, dass wir Picknicken wollen?“ „Ja, aber er wusste doch nicht wo.“ „Wahrscheinlich ist er uns gefolgt und hat uns die ganze Zeit beobachtet. Der ist doch krankhaft eifersüchtig!“ Da musste ich ihr zustimmen.
Roland schrieb mir unheimlich viele Liebesbriefe. Aber da seine orthographischen Kenntnisse zu wünschen übrigließen, gab ich sie ihm alle wieder zurück. Nicht bevor ich aber die ganzen Rechtschreibfehler rot markiert hatte. Na ja, irgendwie tat er mir dann doch leid, er guckte jedes Mal so traurig. Aber ich konnte so etwas absolut nicht tolerieren. In der kurzen Zeit, in der wir befreundet waren, stritten wir uns schon so heftig, wie ein altes Ehepaar. Und je nach Gemütslage säuselte Peter Gabriel oder Meat Loaf dröhnte aus den Lausprecherboxen.
Irgendwann wurde es zur Gewohnheit, dass ich bei Annette übernachtete. Wir teilten uns ihre Klamotten und wenn ihr Kleiderschrank nichts mehr hergab, zogen wir bei uns zu Hause ein. Annette war schon immer etwas exzentrisch, aber als sie auf die Idee kam, sich wie eine indische Prinzessin zu kleiden, weigerte ich mich, ihren Modegeschmack zu teilen. In ihrem Zimmer tummelten sich Berge von verschieden, farbigen Saris, Haremshosen, sowie Kussa Schnabelschuhe. Diese Phase hielt nicht lange an. Nach einem halben Jahr, hatte sie genug von dem Frauendasein und im Anschluss daran, war Herrenmode angesagt. Nun trug sie nur noch Georgette-Bundfaltenhosen, ausgediente Herrenhemden, dazu farblich passende Krawatten und bequeme Slipper.
Roland begann nun seine Ausbildung als Steinmetz. Prädestiniert war er ja dafür, mit seinen Händen. Schließlich waren sie ungewöhnlich groß und er konnte sich locker einen Kühlschrank unter die Arme klemmen. Nun konnte er wenigstens tagsüber nicht mehr hinter mir her spionieren. Ich weiß nicht wie oft ich mich von Roland trennte, aber ich kam immer wieder zu ihm zurück, wegen den Pferden.
Unsere Schulzeit neigte sich nun auch zu Ende. Annette begann eine klassische Ausbildung zur Arzthelferin und ich bewarb mich bei Wassner, einem großen Bekleidungskonzern, als Einzelhandelskaufmann. Hier trennten sich nun die Wege von Annette und mir, aber nur für ein paar Jahre.
Leider war die Ausbildung nicht gerade das, was ich mir erträumt hatte. Früher träumte ich immer davon, Tierärztin zu werden, obwohl ich überhaupt kein fremdes Blut sehen konnte. Oder ich wollte eine berühmte Gestütsbesitzerin werden. Vor meinem geistigen Auge, sah ich schon in schwungvollen Lettern, meinen Namen auf dem großen, prächtigen Eisentor, das in die Welt der edlen Zuchtpferde führt.
Meine erste Station war die Mantel- und Kleiderabteilung und es nahezu beängstigend: vier lange Reihen mit ein und denselben Mänteln. Von Größe 34 bis 62. Dazu kamen drei weitere Reihen mit den Kurzgrößen: 19, 20, 21, 22….
Aber ich stürzte mich begeistert in die nicht vorhandene Arbeit und befestigte gleich am dritten Tag ein Etikett mit einem Elektrotacker an meinen Zeigefinger. Es schmerzte fürchterlich. Einer Kollegin, der ich meinen Finger zeigte, wurde übel und fiel in einen Rundständer mit flotten Steppjacken im Einheitsbraun.
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Alle Mitarbeiter waren in heller Aufregung und irgendwann kam dann mal jemand auf die Idee, mich endlich von dem Metallhaken zu befreien und ich war das Tagesgespräch in dem Unternehmen. Ja da stand ich mir nun, zwischen Kamelhaarmänteln und Kleiderschürzen, Tag für Tag die Beine in den Bauch.
Nach dem Winterschlussverkauf begann die saure Gurkenzeit und ich zählte vor Langeweile die Knöpfe. Einmal wurde ich allerdings aus meiner Lethargie gerissen. Ein Mann von fast 1,90 m kam auf mich zu. Er hatte wahnsinnig lange Beine die in roten, hochhackigen Pumps steckten. Eine blonde, lockige Damenperücke zierte sein Haupt und der Mund war mit knallrotem Lippenstift zu einer Herzform geschminkt. Dazu trug er ein bunt gemustertes Seidenkleid und ein kleines Pelzjäckchen. In der rechten Hand hatte er ein Täschchen mit Perlen bestickt. Er kam auf mich zu und sprach mich mit französischem Akzent an: „Bon jour, können Sie misch elfen. Isch brauch ein Manteau für die Winter, Mon Cheriè.“ Dabei klapperte er mit den falschen Wimpern, als würde er kurz vor einem Herzinfarkt stehen. Ich versuchte mich so gut wie möglich zu beherrschen und zeigte ihm einige ausgefallene Modelle. Bei jedem Stück kam ein entzücktes: “Fantastique“. Schließlich wurde er fündig und bedankte sich überschwänglich bei mir: Merci, meine süße Kind. Au revoir!“ Er ging in Richtung Kasse und schwang die Hüften auffällig von rechts nach links. Das war mal ein abwechslungsreicher und interessanter Kunde.
Die Abteilungsleiterin mochte mich, wie ihre eigene Tochter, die sie nicht hatte. Sie lebte als altes Fräulein mit ihrem Vater zusammen und wurde auch als altes Fräulein beerdigt. Wenn ich morgens die Abteilung betrat, begrüßte sie mich immer mit Fräulein Wegener. Ich unterbrach sie: „Wagner.“ „Ach so ja Entschuldigung, aber wir hatten eine Mitarbeiterin, sie hieß Wegener.“ Nun zupfte sie an meinem Blusenkrägelchen und richtete mein Namensschild, spätestens hier hätte sie ja meinen Namen lesen können. Ich heiße aber Wagner, Wagner, Waaagner! Es war hoffnungslos, bis am Ende meiner Ausbildung sprach sie mich mit dem falschen Namen an. An meine älteren Kunden gewöhnte ich mich auch langsam: “Fräuleinsche, kenne se sisch do aus. Isch such en Mantel für all Daach?“ Ein andermal kam eine Dame auf mich zu: „Ach jung Frau, könne se mer helfe. Isch brauch e Kiddelschürz für in de Garte?“ Da ich aber schon immer ein sehr ehrlicher Mensch war, konnte ich den älteren Damen unmöglich diese Strickgespenster und Steppmäntel, die mich immer an die Tagesdecke im Schlafzimmer meiner Oma erinnerten, verkaufen und so verließen einige Kundinnen unverrichteter Dinge das Modehaus.
Roland entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem wahren Alptraum. Ich durfte mich nur, mit einem von ihm, selektierten Menschenkreis unterhalten. Am liebsten hätte er mich eingesperrt, was natürlich vollkommen irrational war. Dafür hatte er aber überall seine Spitzel, die ihm haarklein berichteten, wann und wo ich mich mit wem getroffen habe. Als ich dahinterkam, dass er hinter mir her spionierte, änderte ich fortan mein Aussehen, wenn ich das Haus verließ. Mal hatte ich die Faschingsperücke meiner Mutter auf dem Kopf, ein anderes Mal versteckte ich mich in der übergroßen Strickjacke meines Vaters oder ich färbte mir die Haare lila. Was aber alles nicht zum Erfolg führte, da seine Agenten mich überall aufspürten.
In der Berufsschule lernte ich anregende Menschen kennen. Und ein Mitschüler aus der Klasse erweckte mein Interesse. Ein Kandidat, wie die rothaarige Monika aus meinen Kindertagen, die ich durch den halben Ort gejagt habe, weil ich sie einfach nicht leiden konnte. Als sie sich nicht mehr helfen zu wusste, warf sich kurzerhand in ein Brennnesselfeld am Wegesrand. Das dumme Ding hatte sich natürlich bei ihrer Mutter ausgeweint. Als sie mit ihrer Mutter bei uns vor der Haustür stand und meine Mutter mit schriller Stimmer Helena rief, konnte ich mir schon ausmalen, was passieren würde. Ich bekam zwei Tage Stubenarrest. Das konnte ich Monika nie verzeihen und bei unserem nächsten Treffen, wünschte sie sich, mir niemals wieder zu begegnen. Ja mein Mitschüler, war eigentlich schon ein armer Wicht. Er kam aus einem kleinen Ort, in dem es nur zweimal am Tag eine Busverbindung in die Zivilisation gab und wehe man verpasste diese einmalige Gelegenheit. Ich sorgte dafür. Mal war die Jacke nicht auffindbar, was im Winter nie gut ausgeht, mal das Monatsticket oder der Ordner mit den gesammelten Werken des Unterrichts.
Meine Schwester hatte mittlerweile ihren Verlobten geheiratet und erwartete ihr erstes Kind. Ich bereitete mich auf meine Führerscheinprüfung vor, aber Roland ließ es sich nicht nehmen, mir bereits vor den Fahrstunden Unterricht zu geben. Traktor fahren konnte ich ja schon und so brauste ich bei meiner ersten Fahrstunde munter los. Mein Fahrlehrer begriff schon bald, dass ich genug Fahrpraxis hatte und wir verbrachten die meiste Zeit in Kaffeehäusern oder Bierkneipen. Ich trank aber brav Kaffee oder Mineralwasser, denn ich musste ihn schließlich noch nach Hause fahren.
Roland schaute sich schon mal für ein passendes Fahrgestell für mich um. Ich träumte von einer rosa Ente. Aber da hatte ich bei ihm keine Chance. „Bist du verrückt. Da muss ich ja den ganzen Motorblock ausbauen, wenn ich nur den Wasserstand kontrollieren will.“ Ich fügte mich und bald fand er auch etwas Passendes auf dem Schrottplatz. Einen VW-Käfer. Ohne TÜV und ohne rechten Kotflügel. „Das ist kein Problem, da findet sich schon einer.“ Er fand einen Kotflügel, allerdings nicht in der gleichen Farbe, wie das restliche Fahrzeug. Aber mich störte das nicht. Hauptsache ich kam mit trockenem Fuß von A nach B. Na ja, das mit den trockenen Füßen war so eine Sache. Das Auto war leider etwas undicht und sobald ich stark abbremsen musste, kam ein ganzer Schwall Wasser von hinten nach vorne. Eine altbekannte VW-Käfer Krankheit, die meines Wissens kein Mechaniker oder Hobby-Bastler aufspüren konnte. Das Geld für das Fahrzeug lieh ich mir von meinen Eltern und zahlte es in kleinen, monatlichen Raten zurück. Als ich allerdings nach einer Shopping-Tour mit einer sündhaft teuren Messingsäule und einem zwölfteiligen Gläserset eines namhaften Designers nach Hause kam, reagierte meine Mutter etwas säuerlich. „Bevor du jetzt anfängst, deinen Hausstand zusammenzutragen, wäre es mir allerdings lieber, du würdest erst deine Schulden bezahlen.“ Recht hatte sie ja schon, aber ich konnte an diesen Gegenständen einfach nicht vorbeigehen. Ich musste sie mein Eigen nennen.
Nun war ich plötzlich Tante und meine Nichte sollte auf den Maja hören. Meine Mutter und ich besuchten sie im Krankenhaus. Mein Schwager Jan war ebenfalls schon da. „Oh, Taja, ist die aber süß. Schau doch mal Heta. Herzlichen Glückwunsch zu so einem hübschen Kind.“ Sie war ganz aus dem Häuschen, schließlich war es ja ihr erstes Enkelkind. Und Jan legte ihr mit stolz geschwellter Brust das Kind in den Arm. Ich fand sie allerdings nicht besonders hübsch. So faltig, krebsrot und ohne Zähne, aber da ich Patin werden sollte, knuddelte ich sie ebenfalls. Und sie war immerhin ein Mädchen, das eines Tages mit Puppen spielen würde....
Als ich meine Schwester Tage später zu Hause besuchte, war sie doch schon stark verändert. In der Klinik sah sie eigentlich aus, wie alle frischgebackenen Mütter. Ein sanftes Lächeln und etwas leicht gerötete Wangen. Nun aber trug sie den dicken, braunen Bademantel von ihrem Mann, die Haare hingen ihr in Strähnen in das Gesicht und an ihrer Brust klebte meine Nichte. Von dem Berg ungespülter Kaffeetassen ganz zu schweigen. Das war das pure Mutterglück. Als ich sie zwei Tage später wieder besuchte, trug sie immer noch den hübschen Bademantel und der Geschirrberg war auf seltsame Art und Weise weitergewachsen. „Ich komme zu nichts mehr. Ständig steht jemand vor der Tür und bringt Geschenke für das Baby. Alle möchten Kaffee trinken und wenn niemand an der Tür klingelt, dann läutet das Telefon Sturm. Das Kind will gestillt werden und ich möchte endlich mal in die Dusche“, jammerte sie ohne Luft zu holen. Das war wirklich ein Horrorszenario. Ob ich das jemals wollte?
Der armen Frau musste geholfen werden. Ich nahm ihr das saugende Kind ab. „So du gehst jetzt unter die Dusche und versuchst irgendwie wieder wie ein Mensch auszusehen. Und leg endlich dieses grässliche, braune Ding ab! Sonst wird Jan dich verlassen, bevor Maja ihren ersten Geburtstag feiert.“ Sie wollte noch eine Bemerkung machen. „Aber das Baby“… Ich duldete keine Widerworte und schob sie in Richtung Badezimmer. Die Kleine legte ich in ihre Wiege, stopfte ihr den Schnuller in den Mund und deckte sie liebevoll zu. Sie meckerte noch fünf Minuten, schlief aber dann friedlich ein. Nun machte ich mich an den Tassenberg. Ich wusste gar nicht, dass meine Schwester so einen immensen Geschirrvorrat hatte. Nach gut einer Stunde kam sie aus dem Bad. Wie durch ein Wunder, hatte sie sich wieder zu der Frau mutiert, die ich kannte. Nun schlich sie auf Zehenspitzen in Majas Zimmer. „Was willst du denn, sie schläft doch?“ „Gerade deswegen. Ich muss ihr noch die Nägel schneiden, und das geht eben nur wenn sie schläft.“ Nachdem die Maniküre und Pedicure an ihrer Tochter beendet war, setzten uns entspannt in das Esszimmer und im Hintergrund gurgelte schon die Kaffeemaschine....
Nach einem heftigen Streit hatte ich mal wieder Roland vor die Tür gesetzt und war praktisch vogelfrei. Auf dem darauffolgenden Wochenende war ich mit Uschi, meiner neuen Bekannten, aus dem Ausbildungsbetrieb verabredet. Uschi, die nicht ganz die Hellste war, stylte sich gewaltig für einen Diskothekenbesuch und sie erinnerte mich an die Damen des horizontalen Gewerbes. Der Eintritt kostete allein schon ein Vermögen und da wir beide in der Ausbildung waren, lutschten wir lustlos ganzen Abend an einer lauwarmen Cola. Aber zur fortgeschrittenen Stunde wurde es interessant. Zwei super gutaussehende Männer spendierten uns einen kühlen Cocktail, ein wahrer Genuss, nach der abgestandenen Cola. Einer von den beiden musste ein Vorfahr von Jonny Depp als Piratenkönig sein. Seine schwarz, mit Kajalstift, umrandeten Augen faszinierten mich. Es war eine kurzweilige, nette Unterhaltung, wenn man davon absieht, dass ein Gespräch in einer Diskothek fast unmöglich war. Uschi klimperte nahezu mit ihren falschen Wimpern, hatte ihr dümmstes Lächeln aufgesetzt und war am dahinschmelzen. Als ich ein paar Wortfetzen aufschnappte, dämmerte es mir: Porsche, Ausflug, Frankfurt.