Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme - Sheridan Winn - E-Book

Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme E-Book

Sheridan Winn

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Beschreibung

Vier Schwestern auf den Spuren der Vergangenheit Hinter einem alten Bild finden die Cantrip-Schwestern einen Brief, der an sie alle vier adressiert ist – aber vor über hundert Jahren geschrieben wurde. Wie kann das sein? Damals waren sie noch nicht einmal geboren! Sky, Flora, Marina und Flame müssen das Geheimnis lüften. Doch dann kommt ihnen der neugierige Charles in die Quere, ein Neffe der bösen Glenda. Ob er ein Spion ist? Der dritte Band der zauberhaften Serie voller Geheimnisse und Entdeckungen – mit vielen Vignetten von Franziska Harvey Bei Antolin gelistet

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Seitenzahl: 279

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sheridan Winn

Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme

Roman

 

Aus dem Englischen von Katrin Weingran

 

Mit Vignetten von Franziska Harvey

Über dieses Buch

 

 

Vier Schwestern auf den Spuren der Vergangenheit

 

Hinter einem alten Bild finden die Cantrip-Schwestern einen Brief, der an sie alle vier adressiert ist – aber vor über hundert Jahren geschrieben wurde. Wie kann das sein? Damals waren sie noch nicht einmal geboren! Sky, Flora, Marina und Flame müssen das Geheimnis lüften. Doch dann kommt ihnen der neugierige Charles in die Quere, ein Neffe der bösen Glenda. Ob er ein Spion ist?

 

Der dritte Band der zauberhaften Serie voller Geheimnisse und Entdeckungen – mit vielen Vignetten von Franziska Harvey

 

Die Serie Vier zauberhafte Schwestern von Sheridan Winn ist in folgender Reihenfolge erschienen:

Vier zauberhafte Schwestern

Vier zauberhafte Schwestern und der magische Stein

Vier zauberhafte Schwestern und das Geheimnis der Türme

Vier zauberhafte Schwestern und ein Geist aus alten Zeiten

Vier zauberhafte Schwestern und die große Versöhnung

Vier zauberhafte Schwestern und die fremde Magie

Vier zauberhafte Schwestern und die uralte Kraft

Vier zauberhafte Schwestern und die geheimnisvollen Zwillinge

Vier zauberhafte Schwestern und die Weisheit der EulenVier zauberhafte Schwestern und die unsichtbare Gefahr

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch

Biografie

 

 

Sheridan Winn lebt in Norwich, England, und arbeitet als freie Autorin für Kinderbücher und als Journalistin für bekannte Magazine und Zeitungen. Sheridan Winn hat zwei erwachsene Kinder und eine Enkelin und ist selbst in einem großen Haus voller geheimnisvoller Schränke und schrulliger Tanten aufgewachsen. Das Haus hieß Littlewood House und hat sie auf die Idee gebracht, diese Serie zu schreiben. Genau wie die Cantrip-Mädchen ist Sheridan Winn eine von vier Schwestern – die alle an die Kraft der Magie glauben.

 

Franziska Harvey, geboren 1968, studierte Illustration und Kalligraphie und arbeitet als freie Illustratorin für verschiedene Verlage und Agenturen. Sie lebt mit ihrer Familie in Frankfurt am Main.

Inhalt

[Widmung]

»Dies ist nur [...]

Die vier zauberhaften Schwestern - Steckbriefe ...

... und ihre Familie

Die Familienporträts

Das Lagerleben beginnt

Das Lagerfeuer

Charles beginnt zu schnüffeln

Böse Magie

Der verschwundene Stein

Das Dorffest

Das magische Kästchen

Die vier Himmelsrichtungen

Ein Haus voller Magie

Charles fällt rein

Hilfe!

Das schwarze Notizbuch

Ein Kricketmatch auf Cantrip Towers

Danksagung

Für Char, Deb und Jill,

in Erinnerung an die Lagerfeuer

und den alten weißen Wohnwagen im Wald

»Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt des Familienstammbaums«

Die vier zauberhaften Schwestern - Steckbriefe ...

... und ihre Familie

Die Familienporträts

»Ich habe aufregende Neuigkeiten«, eröffnete Dad seiner Familie an einem Sonntagmorgen Anfang August. Mit dem Löffel klopfte er die Schale seines hartgekochten Eis auf.

Die Köpfe der vier Cantrip-Schwestern fuhren überrascht in die Höhe.

»Was meinst du damit, Dad?«, fragte Sky mit vollem Mund.

»Wir erwarten einen wichtigen Besucher.«

»Wer kommt denn, Dad?«, rief Flame.

»Sein Name ist Charles Smythson und er wird eine Inventarliste unserer Familienporträts erstellen«, erwiderte Dad. »Er ist Kunsthistoriker und wird bei Glenda Glass auf Eichenruh übernachten.«

»Wie, bei Glenda?«, fragte Flame. Allein der Gedanke an Glenda Glass reichte aus, dass es in ihr zu brodeln begann. Sie starrte das Frühstücksei vor sich auf dem Tisch erbost an und ließ ihren Eierlöffel mit so viel Schwung darauf krachen, dass die Schale zersplitterte und in alle Richtungen flog.

Marina, Flora und Sky kicherten. Grandma sah Flame über den Frühstückstisch hinweg an und hob eine Augenbraue.

Dad korrigierte seine älteste Tochter: »Glenda lebt auf Eichenruh, das stimmt, aber das Haus gehört ihrem Sohn, Stephen Glass. Charles Smythson ist Stephens Cousin. Er ist ein Cantrip und fertigt gerade eine Inventarliste von Stephens Gemäldesammlung an. Dazu gehören auch viele Porträts der Cantrip-Familie. Stephen möchte gerne, dass sämtliche Cantrip-Porträts katalogisiert werden, und hat vorgeschlagen, dass Charles mit unseren Bildern weitermacht. Er hat angeboten, die Hälfte der Kosten zu übernehmen, was sehr großzügig von ihm ist. Und er hält viel von Charles. Jedenfalls finden eure Mutter und ich, dass es eine gute Idee ist, und wir haben Charles engagiert. Es ist eine wundervolle Möglichkeit, mehr über die Gemälde in Erfahrung zu bringen, die wir hier auf Cantrip Towers haben.«

»Aber dieser Charles wohnt trotzdem bei Glenda«, beharrte Flame. »Sie lebt schließlich auch dort.«

»Glenda ist den Sommer über gar nicht da«, sagte Dad. Er schob sich einen Löffel Ei in den Mund. »Warum interessiert dich das überhaupt?«

Die Cantrip-Schwestern sahen sich vielsagend an. Jede einzelne von ihnen wusste ganz genau, dass sie Dad nichts über Glenda Glass’ wahre Natur erzählen durften. Glenda, ihre Feindin, die gemeine Person, die nur wenige Wochen zuvor ihr Zuhause Cantrip Towers angegriffen hatte. Nein, das musste ihr Geheimnis bleiben, ihres und das ihrer Großmutter.

Gott sei Dank waren Dad und Mum viel zu beschäftigt mit ihrem Frühstück, um die besorgten Blicke zu bemerken, die ihre Töchter sich zuwarfen.

»Und wann kommt dieser Charles nun?«, fragte Marina.

»Dienstagnachmittag, glaube ich«, erwiderte Dad und biss genüsslich in seinen Toast.

Als Dad das sagte, hörte Flora ein kurzes Piepsen. Pieeep!, machte es und sie fühlte, wie ihre Hosentasche vibrierte. Was war das denn?, wunderte sie sich. Sie legte ihre Hand auf die Tasche und ertastete die glatte, runde Form des magischen Steins. Weil Flora die Schwester mit der besonderen Kraft der Erdmagie war, hatte sie ihn in ihre Obhut genommen. Sie nahm ihn überallhin mit, aber normalerweise gab er keinen Laut von sich. Ich frage mich, ob er mir etwas sagen will, dachte Flora.

Sie sah sich am Tisch um. Hatte irgendwer sonst das Piepsen gehört? Ihr war es ziemlich laut vorgekommen, aber es schien, als wäre es niemandem sonst aufgefallen. Alle unterhielten sich angeregt weiter.

Floras Überlegungen wurden von Dad unterbrochen, der eine weitere Ankündigung in petto hatte: »Eure Mutter und ich haben eine Überraschung für euch!«

Er lächelte Mum zu, die ihrerseits die Mädchen beobachtete.

»Was ist es, Dad? Sag schon!«, riefen sie.

»Es ist etwas, das heute Morgen eintreffen wird«, sagte Mum. »Etwas, das ihr bestimmt ganz toll finden werdet, wartet’s nur ab!«

»Sagt schon, sagt schon!«, bettelten die Mädchen.

Mum und Dad grinsten sich an, aber keiner von ihnen ließ sich erweichen.

»Weißt du, was es ist, Grandma?«, fragten die Cantrip-Schwestern ihre Großmutter voller Neugierde. Aber auch diese verriet kein Sterbenswörtchen.

»Ihr werdet wohl einfach abwarten müssen«, sagte sie lächelnd.

Da platzte Sky mit lauter Stimme heraus: »Sidney hat gesagt, er möchte, dass wir das Porträt von Mim neben seines hängen. Er hat gesagt, er vermisst sie. Wer ist Mim?«

Dad verschluckte sich und begann zu husten. Er sah seine jüngste Tochter verblüfft an und blickte dann ratsuchend zu Mum.

Diese setzte ihre Tasse ab. »Was hast du da gerade gesagt?«, fragte sie Sky.

»Wer ist Mim?«, wiederholte Sky.

»Nein, das andere. Dass Sidney mit dir geredet hat«, sagte Mum.

»Ach weißt du, Mum, Sky redet ständig mit Sidneys Bild.« Marina lachte und warf ihre dunklen Locken zurück.

Mum schüttelte den Kopf und lächelte ebenfalls. »Das weiß ich natürlich, aber ich frage mich doch, woher Sky den Namen Mim kennen sollte. Es sei denn, Sidney hätte ihr tatsächlich geantwortet!«

Mum und Dad hatten Sky schon oft vor Sidney Cantrips Porträt stehen sehen, das in der großen Halle am Fuße der breiten Mahagonitreppe hing. Der berühmte Süßwarenfabrikant hatte Cantrip Towers 1910 erbaut, und es war seit vielen Jahren Familientradition, dass alle ihm eine gute Nacht wünschten, wenn sie an seinem Bild vorbei die Treppe hinauf ins Bett gingen.

Mum und Dad hatten natürlich gehört, wie Sky mit dem Porträt ihres Ur-urgroßvaters redete, aber sie ahnten nicht, dass Sidney ihr tatsächlich antwortete.

»Du bist schon ein lustiges kleines Ding, Sky!«, sagte Dad.

Grandma tupfte sich den Mund mit ihrer Serviette ab, doch eigentlich tat sie das nur, um ihr Lächeln zu verbergen. Flame, Marina und Flora kicherten ebenfalls in sich hinein.

Sky verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. Ihre Stupsnase vorwitzig in die Luft gereckt fragte sie erneut: »Und wer ist Mim jetzt?«

»Mim war Sidneys Frau«, erklärte Grandma. »Sie war eure Ur-urgroßmutter und eine ganz reizende Dame. Sie waren beide ganz reizende Menschen, Sidney und Mim.«

»Und was wollte Sidney von dir?« Dad lachte.

»Sidney möchte, dass wir Mims Porträt neben seins an die Wand hängen«, sagte Sky. »Er hat gesagt, es sei wichtig.« Für sie war der Wunsch ihres Ur-urgroßvaters das Normalste von der Welt.

Dad kratzte sich am Kopf und sah Sky an. Woher hat sie nur diese seltsamen Ideen?, fragte er sich.

»Wo ist Mims Porträt denn? Welches ist es?«, fragte Flora. Auf Cantrip Towers hingen viele Familienporträts, einige von ihnen waren hunderte von Jahren alt. Die Cantrips waren eine große Familie und ihre Geschichte war hier, an den Wänden von Cantrip Towers, dokumentiert. Nur wenige der Bilder jedoch trugen ein beschriftetes Schild, und die Cantrip-Schwestern hatten keine Ahnung, wer auf den Bildern zu sehen war – abgesehen von Sidney natürlich.

»Mims Porträt ist das im Wohnzimmer, es hängt an der Südseite«, sagte Mum.

»Lasst uns einen Blick darauf werfen«, schlug Dad vor.

Die ganze Familie erhob sich vom Frühstückstisch und ging gemeinsam ins Wohnzimmer. Sie liebten diesen Raum alle sehr. Es war der eleganteste im ganzen Haus, mit seiner hohen Decke und den taubenblau gestrichenen Wänden, an denen etliche Gemälde hingen. An einer Wand befand sich der Kamin, an der gegenüberliegenden ragte ein großes Regal in die Höhe, das mit unzähligen Büchern vollgestopft war. In der Mitte des Raumes standen sich zwei ausladende, cremefarbene Sofas gegenüber und auf den blitzblank gewienerten Eichendielen lagen farbenfrohe Perserteppiche.

Und da war Mim Cantrip, hoch oben an der Wand. Das Porträt zeigte eine hübsche Frau mit einem runden, heiteren Gesicht, lebhaften Augen und dunklen Locken, die sie hochgesteckt trug.

Die Cantrip-Schwestern bestaunten das Bild über ihren Köpfen.

»Sie scheint sehr glücklich gewesen zu sein«, sagte Flame.

»Das war sie auch«, erwiderte Grandma zustimmend. »Sie und Sidney errichteten Cantrip Towers und hatten fünf gesunde Kinder.«

»Mim sieht freundlich aus«, sagte Marina und betrachtete ihre Ur-urgroßmutter nachdenklich. »Ich finde, sie und Sidney sollten nicht länger getrennt sein.«

»Genau!«, meinte Sky. »Das hat Sidney auch gesagt.«

»Nun, wir können Sidney schlecht hierhin hängen«, sagte Dad und rieb sich nachdenklich das Kinn.

»Auf keinen Fall!«, rief Flame. »Sidney muss an seinem Platz bleiben. Er beschützt das Haus.«

»Dann nehmen wir eben Mim mit in die Halle und hängen hier im Wohnzimmer ein anderes Gemälde auf«, sagte Dad.

Sie gingen in die Halle und blieben am Fuß der Mahagonitreppe stehen, die im Herzen des Hauses alle Stockwerke miteinander verband. Hier hing direkt neben der Treppe in einem verschnörkelten goldenen Rahmen das prächtige Porträt von Sidney Cantrip. Sidney war ein bärtiger, heiterer Geselle, der aussah, als habe er gern eine gute Geschichte zum Besten gegeben.

Mum blickte an der Wand hoch. »Da ist noch etwas Platz, Colin«, sagte sie und zeigte auf die freie Stelle. »Wir könnten Sidney neben der Treppe hängen lassen und Mim hier links neben der Tür anbringen Aber welches Bild hängen wir ins Wohnzimmer, um die Lücke zu füllen?«

»Wie wäre es mit der Landschaft, die ich letztes Jahr in Frankreich gemalt habe?«, schlug Dad vor.

»Das ist eine gute Idee«, sagte Mum zufrieden.

»Dann lasst uns mal anfangen.« Dad rieb sich tatkräftig die Hände und ging davon, um seinen Werkzeugkasten und eine Leiter zu holen.

Kurz darauf stellte er die Trittleiter vor Mims Porträt und stieg bis auf die oberste Sprosse. Grandma hielt die Leiter fest, damit sie nicht wackelte, als Dad das riesige Bild rechts und links am Rahmen packte und es von der Wohnzimmerwand hob.

»Himmel noch mal, ist das schwer!«, rief Dad aus. Das Bild am oberen Ende des Rahmens fest in beiden Händen haltend, stieg er die Stufen der Leiter langsam wieder hinab.

Mum und Flame nahmen das Gemälde von unten entgegen und bissen die Zähne zusammen, als sie sein Gewicht zu spüren bekamen.

»Alles klar bei euch?«, fragte Dad.

»Ja«, erwiderte Mum, die im selben Moment leicht in die Knie ging.

Gemeinsam stellten sie Mims Porträt vorsichtig auf den Boden. Es war etwa anderthalb Meter hoch.

»Seht mal, da hat jemand was auf die Rückseite geschrieben«, sagte Flora. Sie betrachtete das Bild mit zusammengekniffenen Augen. Ihr fielen oft Kleinigkeiten wie diese auf.

»Sieht aus wie ein Schildchen«, sagte Flame. Sie bückte sich, um es genauer in Augenschein zu nehmen. Das dichte kupferfarbene Haar fiel ihr dabei ins Gesicht.

In diesem Augeblick hörten sie von draußen den Lärm einer Autohupe. Bert bellte lauthals und rannte zur Vordertür.

Die Cantrips waren so beschäftigt gewesen, dass keiner von ihnen den Landrover gehört hatte, der in die Auffahrt eingebogen war und einen weißen Wohnwagen hinter sich her zog. Die Cantrip-Schwestern liefen zum Fenster und blickten hinaus.

»Ah, eure Überraschung ist eingetroffen!«, sagte Mum lachend.

»Was ist es?«, fragten die vier Mädchen aufgeregt.

»Wir haben euch einen alten Wohnwagen gekauft, damit ihr im Sommer im Garten übernachten könnt«, sagte Mum.

Dad öffnete schwungvoll die Haustür und trat hinaus.

»Wahnsinn!«, rief Marina.

»Gigantastisch!«, schrie Sky und raste nach draußen.

Alle folgten ihr – alle, bis auf Flora. Sie spürte, wie der Stein in ihrer Hosentasche vibrierte und hörte ihn piepsen. Eigentlich wollte sie hinter ihren Schwestern herrennen, aber etwas drängte sie, auf den Stein zu hören. Was will er mir sagen?, fragte sie sich.

Sie ging wieder auf Mims Porträt zu, das an der Wand lehnte. Je näher sie dem Gemälde kam, desto stärker vibrierte der Stein. Auch das Piepsen wurde lauter, als wäre der Stein aufgeregt.

Flora stand vor dem Gemälde und zog es zu sich heran, bis es mit seinem ganzen Gewicht an ihrem Körper ruhte. Sie blickte an der Rückseite des Bildes entlang. Dort, ganz weit unten, war das Schildchen. Darunter, eingeklemmt zwischen Rahmen und Leinwand, steckte noch etwas anderes. Flora konnte ein winziges Eckchen Papier erkennen.

Vor dem Haus begrüßte die Cantrip-Familie Harry, der den Wohnwagen bis vor ihre Haustür gefahren hatte. Er war ein wahrer Hüne mit einem offenen Gesicht und ein Freund der Familie. Außerdem war er einer der ortsansässigen Bauern. Es waren seine Schafe, die auf der Großen Weide der Cantrips grasten.

Mit großem Hallo und begeisterten Ausrufen umrundeten die Cantrip-Schwestern den Wohnwagen. Mum und Grandma unterhielten sich mit Harry, während Dad und die Mädchen durch die kleinen Fenster in das Innere des Wagens lugten.

Zur gleichen Zeit ließ Flora sich auf alle viere nieder und untersuchte die Rückseite von Mims Porträt. Sie wusste ganz genau, was sie wollte. Mit der linken Hand hielt sie das Bild fest, während sie mit der rechten nach dem kleinen Stück Papier tastete, das unter dem Schildchen klemmte. Vorsichtig zog sie daran. Und tatsächlich bewegte es sich. Während der ganzen Zeit piepste der Magische Stein wie verrückt.

»Schon gut, schon gut«, murmelte Flora ihm beruhigend zu.

Und dann, ganz plötzlich, hielt sie etwas in der Hand. Es war ein winziger Briefumschlag. Er war schmal und weiß und schien aus sehr teurem Papier zu sein. Er sieht aus, als hätte er da schon eine ganze Weile gesteckt, dachte sie, als ihr auffiel, dass seine Kanten vergilbt waren.

Sie starrte auf die Adresse. Sie war mit schwarzer Tinte geschrieben, in einer altmodischen, gestochenen Handschrift, und besagte:

An die Cantrip-Schwestern, Cantrip Towers.

Wie seltsam, er ist an uns adressiert, dachte Flora.

Dads Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Komm endlich nach draußen, Flora!«, rief er. »Wo bleibst du denn?«

Flora stand schnell auf und stopfte sich den kleinen Umschlag in die hintere Tasche ihrer Jeans. Sie würde den Brief später lesen. Dann sorgte sie dafür, dass das Porträt wieder sicher an der Wand lehnte, drehte sich um und rannte nach draußen.

»Ist das nicht total cool?« Marina lachte, als sie sah, wie Floras Gesicht vor Überraschung aufleuchtete.

»Wow!«, sagte Flora, ihre sanften braunen Augen strahlten vor Begeisterung.

Ihr Vater stand lächelnd neben dem Wohnwagen.

»Wo hast du den her, Dad?«, fragte Flora.

»Ich habe die Anzeige in der Zeitung gelesen«, erwiderte er und legte ihr seinen Arm um die Schulter. »Harry war so freundlich uns anzubieten, ihn herzubringen.«

»Können wir mit ihm durch die Gegend fahren?«, fragte Flora.

»Nein, dafür ist er zu alt«, sagte Dad. »Aber ihr könnt darin übernachten, hier im Garten.«

»Super!«, sagte Flora freudestrahlend.

»Wo sollen wir ihn hintun?«, rief Sky, die vor lauter Aufregung auf und ab hüpfte.

»In den Wilden Wald!«, rief Flame. »So weit entfernt vom Haus wie möglich!«

»Ja!« Marina lachte und nickte zustimmend.

 

Dad, Mum und Grandma gingen über den Rasen auf den Wilden Wald zu, während Harry den alten Campingwagen noch ein Stück die Auffahrt entlangzog. Die Cantrip-Schwestern rannten vor dem Landrover her. Am Gatter, das auf die Große Weide führte, blieben sie schließlich stehen. Marina hob die oberste der fünf schweren Eisenstangen aus ihrer Halterung und öffnete das riesige Tor. Flame, Flora und Sky scheuchten die Schafe zur Seite und winkten Harry durch, während Marina das Gatter hinter ihm wieder verschloss.

Der Campingwagen ruckelte und quietschte hinter dem Landrover her, der langsam über die Große Weide bis zum Wilden Wald fuhr. Die Schafe blökten und sprangen in alle Richtungen, als die Schwestern quer über die Weide zum Gatter auf der anderen Seite rannten. Dieses Mal öffnete Flora das Tor, während Marina, Flame und Sky sich um die Schafe kümmerten. Vorsichtig manövrierte Harry Auto und Anhänger durch das offene Gatter und hielt ein Stück weiter an. Flora schloss das Tor wieder und rannte hinter ihren Schwestern her.

Harry streckte seinen Kopf aus dem Fenster und rief: »Wo soll ich ihn hinstellen?« Er wartete ab, während Colin Cantrip und seine Töchter über die genaue Position des Campingwagens verhandelten. Ihre Finger zeigten hierhin und dorthin und schließlich hatten sie sich geeinigt.

»Genau dahin bitte, Harry«, sagte Flame und deutete auf den Pfad, der in den Wilden Wald führte.

Dad nickte Harry zu. »Das ist ein guter Platz, danke dir«, sagte er.

»Na, dann woll’n wir mal«, stimmte der stets gutgelaunte Bauer zu und fuhr vorsichtig ein paar Meter weiter. Endlich war der alte Campingwagen an seinem neuen Stellplatz im Schutz der hohen Kiefern angekommen. Harry trennte ihn von der Anhängerkupplung. Sobald der Wohnwagen sicher stand, öffneten die Cantrip-Schwestern seine Tür und stürmten hinein.

Sie sprangen auf den Betten herum und stritten sich, welche von ihnen welches bekommen sollte. Sie zogen die Schubladen sämtlicher Schränke auf, bewunderten den kleinen Ofen und kicherten, als sie das winzige Klo entdeckten. Es machte ihnen nichts aus, dass der Wohnwagen alt und ein wenig schäbig war.

»Ihr werdet das Klo nicht benutzen können, Mädchen«, sagte Dad, der seinen Kopf durch die Tür steckte. »Ihr müsst weiter auf die Toilette im Haus gehen.«

»Wie sieht es mit fließend Wasser aus?«, fragte Flora.

»Keine Chance«, erwiderte Dad. »Ihr werdet euch einen Vorrat mitbringen müssen.«

»Und was ist mit Strom?«, fragte Marina.

»Wir können vielleicht ein Kabel von den Ställen hierherlegen«, sagte Dad und sah sich prüfend um.

»Wir brauchen keinen Strom!«, rief Flame. »Mit Taschenlampen ist es viel aufregender!«

»Und wir können über einem Lagerfeuer kochen«, sagte Marina begeistert.

»Gute Idee«, stimmte Dad zu.

»Und du und Mum und Grandma dürft nicht herkommen, außer wir laden euch vorher ein!«, sagte Sky.

»Wie charmant!«, entgegnete Dad. »Hm, vielleicht lassen wir euch dafür nicht zurück ins Haus, wenn es regnet!«

»Colin, lass uns zum Haus gehen und einen Kaffee für Harry holen«, rief Mum.

»Ist gut, Liebes«, erwiderte er.

Mum hatte sich schon auf den Weg zum Haus gemacht, als sie sich noch einmal umdrehte und zu ihnen zurückkam. »Mädchen!«, rief sie. Die Cantrip-Schwestern liefen ihr entgegen.

»Hört zu, ich weiß, dass ihr auf der Stelle all eure Sachen in den Wohnwagen bringen wollt«, sagte sie. »Aber wir müssen ihn zuerst saubermachen und die Matratzen lüften.«

Die Schwestern stöhnten. »Oh, Muuuum!«, riefen sie mit langen Gesichtern.

»Es ist mir ernst damit!«, sagte Mum fest. »Wir werden den Wohnwagen heute saubermachen, damit ihr morgen eure Sachen herbringen könnt.«

»Wann können wir loslegen?«, fragte Flame, die am liebsten sofort mit dem Putzen begonnen hätte.

»Nach dem Mittagessen«, erwiderte Mum. Und damit ging sie davon, über den Rasen zum Haus zurück.

Die vier Schwestern standen da und betrachteten den Wohnwagen.

»Wir könnten damit anfangen, die Campgrenzen festzulegen«, schlug Flame vor.

»In den Ställen sind irgendwo ein paar Pfosten, an denen wir ein Seil spannen können«, sagte Flora. »Dad hat sie aufgehoben, weil sie ›mal nützlich sein könnten‹.«

»Dad hebt einfach alles auf!« Marina grinste. »Er ist total sammelwütig!«

»Es ist jedenfalls sehr praktisch, wenn man mal was braucht«, gab Flora zurück. Sie hielt immer zu ihrem Vater.

Während die Erwachsenen im warmen Schein der Augustsonne auf der Terrasse saßen, markierten Flame, Flora und Sky die Grenzen ihres Lagers. Marina malte ein großes Schild, auf dem stand: Erwachsene nur mit Erlaubnis, und nagelte es an einen Holzpfahl.

»Das sollte genügen«, sagte sie.

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht!« Flame lachte. »Meinst du wirklich, Mum ließe sich davon abhalten, nach uns zu sehen?«

»Wir können es zumindest versuchen!«, erwiderte Marina entschlossen.

 

Nach dem sonntäglichen Mittagessen machten sich Mum, Grandma und die Cantrip-Schwestern daran, den Wohnwagen zu putzen. Sie trugen die Matratzen nach draußen und lehnten sie gegen ein paar Bäume, damit sie in der Sonne lüften konnten. Sie nahmen die Vorhänge ab, um sie zu waschen. Sie schrubbten und fegten, wienerten und putzten den alten Wagen, bis er blinkte und blitzte wie neu – jedenfalls fast.

»So«, sagte Mum, als sie fertig waren. »Lasst die Matratzen noch so lange draußen, wie die Sonne scheint. Aber achtet darauf, sie reinzubringen, bevor die Luft feucht wird. Ihr könnt eure Vorräte und euer Bettzeug morgen herschaffen.«

Zur gleichen Zeit war Dad im Gemüsegarten damit beschäftigt, Salat, Bohnen und Zucchini zu ernten. Flora lief zu ihm, um ihm zu helfen, und die beiden verbrachten eine schöne Zeit im Garten. Sie kümmerten sich um ihr preisverdächtiges Gemüse, das sie auf dem Dorffest am Samstag bei der jährlichen Gartenschau einreichen wollten.

 

Der Tag nahm seinen Lauf und alle waren fröhlich und lachten und schwatzten miteinander. Später hängten sie dann Mims Porträt an seinen neuen Platz. Dad bohrte ein paar Löcher in die Wand neben der Treppe und steckte Spezialdübel hinein, damit die Aufhänger fest verankert waren. Mit Mums und Flames Hilfe und Grandmas sichernder Hand an der Leiter schenkte Dad dem riesigen Gemälde sein neues Zuhause. Als die Sonne hinter Cantrip Towers unterging, waren Sidney und Mim Cantrip wieder vereint.

 

Noch später, als es Zeit zum Schlafengehen war, holte Flora den magischen Stein aus ihrer Hosentasche und legte ihn auf ihren Nachttisch. Sie zog ihre Jeans aus und warf sie auf den Stuhl neben ihrem Bett. Dann zog sie ihren Schlafanzug an und ging ins Bett. Der Tag war so aufregend gewesen, dass Flora den Umschlag in ihrer hinteren Jeanstasche total vergessen hatte. Als Mum kam, um ihr einen Gutenachtkuss zu geben und die Hose in ihren großen Wäschekorb legte, lag Flora hundemüde in ihrem Bett und war bereits kurz davor einzuschlafen.

 

Ottalie Cantrip war auf dem Weg vom ersten Stock des Hauses in den Haushaltsraum im Erdgeschoss, als das Telefon klingelte. Sie stellte den Wäschekorb auf der untersten Stufe der Treppe ab und griff zum Hörer.

»Oh, hallo Liz!«, rief sie und ging mit dem schnurlosen Telefon ins Wohnzimmer, um in Ruhe mit ihrer Freundin zu reden.

In der oberen Etage fiel Flora gerade in einen tiefen, traumreichen Schlaf, als der magische Stein ein durchdringendes Piepsen von sich gab.

»Was ist los? Was ist passiert?«, schrie sie und fuhr senkrecht in ihrem Bett hoch. Sie saß mit klopfendem Herz in der Dunkelheit.

Pieeep!, machte der Stein erneut. Flora zuckte zusammen, sie drehte sich zum Stein um und rieb ihre Augen.

»Ich war schon eingeschlafen«, sagte sie zu ihm. »Lass mich in Ruhe.« Und damit legte sie sich wieder hin.

Pieeep!

Flora stemmte sich hoch und starrte den Stein verschlafen an.

»Schon gut, schon gut«, sagte sie. »Krieg dich wieder ein.«

Sie stieg aus dem Bett und stellte sich mitten in den Raum, den magischen Stein hielt sie in ihrer rechten Hand. Was hat er bloß?, dachte sie verwundert. Was will er mir sagen? In ihrem Kopf begann es zu arbeiten.

Und dann erinnerte sie sich. Der Briefumschlag! Der Briefumschlag, den sie in ihre Hosentasche gesteckt hatte.

Meine Jeans, dachte sie. Sie fuhr herum und sah den leeren Stuhl. O nein, Mum hat sie zum Waschen mitgenommen!

Mit einem Schlag war Flora hellwach. Sie riss die Schlafzimmertür auf und rannte die Treppe hinunter. Aus dem Wohnzimmer hörte sie Mums Stimme und da, auf der untersten Treppenstufe, stand der Wäschekorb.

Sie hörte ihre Mutter auf die Tür zukommen und sagen: »In Ordnung Liz, das wäre großartig.«

Schnell!, dachte Flora panisch, während sie sich durch den Haufen wühlte. Die Wäsche flog wild in alle Richtungen.

Sie schnappte sich ihre Jeans und tastete die Taschen ab.

Da war er, der Briefumschlag! Flora zog ihn an einer Ecke heraus, dann warf sie die Jeans in den Korb zurück und rannte so schnell sie konnte die Treppe hinauf.

Sie hatte die Tür zu ihrem Zimmer kaum hinter sich geschlossen, als Mum aus dem Wohnzimmer kam und den zerwühlten Wäschekorb entdeckte.

Ich bin mir sicher, dass es hier vor einer Minute noch nicht so ausgesehen hat, dachte Mum. Sie seufzte, sammelte Hosen und T-Shirts vom Boden auf und ging damit in den Haushaltsraum, wo sie alles in die Waschmaschine steckte. Kurz darauf drehten sich Floras klatschnasse Jeans in der Trommel.

Das Lagerleben beginnt

Der Montagmorgen war warm und sonnig. Flora wachte schon früh auf und lag eine Weile grübelnd in ihrem Bett. Sie erinnerte sich an die vorangegangene Nacht und die Rettung des Umschlags.

Wo ist er?, fragte sie sich und drehte sich zu dem kleinen Tischchen neben ihrem Bett um. Da lag er! Die Tür flog auf und Marinas Kopf erschien in der Türöffnung. »Komm schon, Flora! Wir müssen den Wohnwagen einrichten!«, rief sie aufgeregt.

Es dauerte keine Minute und Flora war gewaschen und angezogen. Sie schnappte sich den Umschlag und stopfte ihn in die hintere Hosentasche ihrer Jeans.

Diesmal darf ich ihn nicht vergessen!, dachte sie. Den magischen Stein steckte sie in ihre vordere Hosentasche.

***

Nach einem schnellen Frühstück rannten die Cantrip-Schwestern zu ihrem Wohnwagen.

»Okay, wir müssen uns überlegen, was wir alles brauchen«, sagte Flame und sah sich aufmerksam um.

»Schlafsäcke«, meinte Marina.

»Teddybären«, ergänzte Sky.

»Quatsch!«, sagte Flora. »Wozu brauchen wir Teddybären?«

»Wir brauchen sie eben«, erwiderte Sky.

Und schon rannten die vier Mädchen zum Haus zurück.

Den ganzen Morgen über liefen sie zwischen Haus und Wohnwagen hin und her. Sie schleppten Schlafsäcke, Decken, Kopfkissen, Taschenlampen, Bücher, Wasserflaschen, eine alte gusseiserne Pfanne, einen alten Suppentopf, eine Auswahl an Besteck und Küchenutensilien, Campingstühle, Kleidung, Essen – unter anderem eine Menge Dosen gebackener Bohnen – und eine Waschschüssel an. Alles, von dem sie dachten, dass sie es gebrauchen könnten.

Bert dackelte eine Zeitlang an ihrer Seite hin und her, aber das wurde ihm schnell langweilig und er rollte sich lieber auf der Terrasse zusammen und machte ein Nickerchen.

»Könnte ich nicht einfach meine magischen Kräfte benutzen, um das ganze Zeug zum Lager schweben zu lassen?«, fragte Sky, als sie das x-te Mal die Treppe in den zweiten Stock hochliefen.

»Es würde die Sache einfacher machen, aber ich befürchte, Mum könnte es irgendwie mitbekommen«, sagte Marina. Sie sah ihre kleine blonde Schwester irritiert an, die einen Haufen Stofftiere im Arm hielt. »Du brauchst wirklich nicht all deine Teddybären mitzuschleppen, Sky!«

 

Die Schwestern arbeiteten hart und um die Mittagszeit war ihr Lager fertig und wurde feierlich auf den Namen Camp Cantrip getauft.

Flame und Marina hatten die Stelle für das Lagerfeuer ausgesucht und alle hatten geholfen, Feuerholz im Wilden Wald zu sammeln. Sie schichteten etwas Holz für ein Lagerfeuer auf. Flame entzündete es mit ihrer magischen Feuerkraft und der erste Stapel »Käseträumerei« – gegrillte Toasts mit Käse und Chutney – wurden als Mittagessen zubereitet und mit großem Appetit und viel Fingerschlecken verputzt.

»Das Lagerleben beginnt!«, sagte Flame.

 

Während die Cantrip-Schwestern den Kühlschrank und die Speisekammer räuberten und geschäftig zwischen dem Haus und ihrem Lager hin und her rannten, war Mum damit beschäftigt, Dinge für den Flohmarkt zusammenzusuchen, der während des Dorffestes stattfinden würde.

Auf Cantrip Towers gab es viele Schränke. Etliche von ihnen hatten Grandma und Mrs Duggery – die magische alte Dame, die zu ihnen gekommen war, um Cantrip Towers vor Glenda Glass zu beschützen – bereits ausgeräumt. Aber es gab noch immer ein paar Truhen und Kommoden, in die seit langer Zeit niemand mehr einen Blick geworfen hatte.

Im Gegensatz zu ihrem Ehemann war Ottalie Cantrip ein ordnungsliebender Mensch, und so war sie froh, ein paar Dinge auf den Flohmarkt geben zu können. Es ist schließlich für einen guten Zweck, dachte sie.

Dad war in seinem Büro in der Stadt und so bot sich eine gute Möglichkeit, ein paar Kartons zu füllen und die Sachen im Rathaus vorbeizubringen.

Wenn Colin zu Hause wäre, würde er wahrscheinlich alles irgendwie ins Haus zurückschaffen, dachte Mum lächelnd. Und so ergriff sie die Gelegenheit beim Schopfe, einen der Schränke im ersten Stock auszuräumen. An seiner Rückwand lehnten einige Porträts.

Hier hat seit Jahren niemand einen Blick hineingeworfen, dachte Mum. Gut, dass ich ihn mir vorgenommen habe. Charles Smythson kann sich die Porträts ansehen, wenn er kommt. Dann nahm sie ihre Suche nach Sachen für den Flohmarkt wieder auf.

Eines der Dinge, die Mum fand, war ein kleines Holzkästchen mit einem Muster auf dem Deckel. Es war lang genug, um Stifte darin aufzubewahren und hatte etwa die Breite eines Kuverts. Es erinnerte sie an die alten Zigarrenetuis, die die Leute besessen hatten, als sie noch klein gewesen war.

Das Kästchen war verschlossen und Mum gelang es nicht, es zu öffnen. Es schien nichts Besonderes zu sein, und so steckte sie es in ihren Flohmarktkarton.

Nach dem Mittagessen – Dad war noch immer im Büro, Grandma jätete Unkraut im Rosengarten und ihre Töchter genossen das Lagerleben – trug Mum acht Kartons voll mit altem Krempel zu ihrem Wagen. Dann fuhr sie die Kisten zum Rathaus, wo sie bis zum Dorffest am Samstag stehen würden.

 

Später am Nachmittag machten sich Mum und die Mädchen auf den Weg, um Floras neues Kaninchen abzuholen.

Stracciatella, Floras kleines braun-weißes Kaninchen, war gestorben, als Glenda Glass das Haus angegriffen und ein großer Ast den Kaninchenstall zertrümmert hatte. Die Schwestern waren deswegen sehr traurig gewesen.

Bald darauf war die ganze Familie in den Sommerurlaub nach Frankreich aufgebrochen, um die Großeltern zu besuchen. Ottalies Mutter war Französin und ihr Vater Engländer. Sie lebten in der Dordogne. Jeden Sommer fuhren die Cantrips dorthin, um die Ferien mit ihnen zu verbringen. Vor ihrer Abreise hatten sie vereinbart, das neue Kaninchen abzuholen, sobald sie wieder zu Hause waren.

Als Flora den kleinen Kerl hochhielt, ein zartes, golden schimmerndes Fellknäuel mit großen dunklen Augen, verliebten sich die Schwestern sofort in ihn.

»Ach, Mum«, bettelten Flame, Marina und Flora. »Können wir nicht jede noch ein Kaninchen bekommen?«

Mum schüttelte den Kopf. »Ihr habt schon genug Tiere, um die ihr euch kümmern müsst«, sagte sie. Zehn Meerschweinchen, sechs Kaninchen, zwei Wüstenrennmäuse, Bert, der Dackel und Pudding, der große graugetigerte Kater, seien nun wirklich genug, meinte sie.

»Wie willst du ihn nennen, Flora?«, fragte Mum.

»Erdnuss«, erwiderte Flora und streichelte ihm über das Fell.

»Ein guter Name«, sagte Mum.

»Bitte, bitte, Mum!«, bettelten die anderen drei.

»Nein, meine Lieblinge, schätzt das, was ihr bereits habt, und erfreut euch daran«, sagte Mum bestimmt.

 

Dad war zu Hause, als sie zurückkamen, und auch er fand Erdnuss sehr niedlich.

Dann setzten sich Mum, Dad und Grandma auf die Terrasse, während die Schwestern mit ihren Kaninchen und Meerschweinchen auf dem Rasen spielten.

»Es ist so schön, entspannt in der Sonne zu sitzen«, sagte Dad. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah sich im Garten um.

»Meinst du, nachdem wir uns so viele Sorgen gemacht haben? Um das Dach und Oswalds Kaufangebot für unser Haus?«, fragte Mum.

Dad nickte. »Ich bin froh, dass wir das hinter uns haben. Dass Cantrip Towers uns gehört und es uns allen gutgeht.«

»Ja«, sagte Mum und nahm seine Hand.

Grandma lächelte. Vielleicht fühlte sie sich deshalb so sicher, weil sie und die Mädchen wussten, dass Glenda Glass weit weg war. Verena, Glendas Enkeltochter, Marinas Freundin und eine entfernte Cousine der Schwestern, war ebenfalls verreist. Sie war nach Südamerika zu ihrer Mutter geflogen. Seitdem war der Zusammenhalt zwischen Flame und Marina wieder stärker geworden. Sogar Flame, die stets auf der Hut war und ihre jüngeren Schwestern beschützen wollte, fühlte sich unbeschwert und frei.

Während die Cantrip-Familie die warme Abendsonne genoss, fühlte sich alles ganz wunderbar an. Alles schien perfekt zu sein.

 

Ein bisschen später gingen Dad und Flora in den Gemüsegarten, um nach ihrem Gemüse zu sehen und die Pflanzen zu wässern. Da die Gartenschau vor der Tür stand, war es eine wichtige Woche für sie, schließlich hatten sie vor, in einer Reihe von Wettbewerbskategorien anzutreten.

Bei den Ställen füllten Marina und Sky die Wasserbehälter der Tiere mit frischem Wasser.

Zur gleichen Zeit bereiteten Mum und Grandma das Abendessen vor, und Flame deckte den Tisch. Es würde selbstgemachte Fischpastete und Salat aus dem Garten geben.

Am Abendbrottisch ging es hoch her.

»Ihr schlaft heute im Campingwagen, oder, Mädchen?«, fragte Dad.