Vogelstimmen in Wald und Hecke - Uwe Westphal - E-Book

Vogelstimmen in Wald und Hecke E-Book

Uwe Westphal

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  • Herausgeber: pala
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Der perlende Gesang des Rotkehlchens in der Abenddämmerung des Frühlingswaldes, das vielstimmige Vogelkonzert im Auwald: Besonders die Stimmen der Vögel sind es, die uns bei einem Waldspaziergang auffallen und die uns viel über den Wald und seine übrigen Bewohner mitteilen können. Wer die Eigenheiten und Gewohnheiten der einzelnen Arten kennt und weiß, wo er nach ihnen suchen muss, wird sie mit Glück und Geduld aufspüren. Der Biologe Uwe Westphal nimmt seine Leserinnen und Leser in diesem Buch mit auf 16 spannende Exkursionen rund um das Jahr, um in authentischer Atmosphäre verschiedene Waldlebensräume und charakteristische Vogelarten kennenzulernen. Dabei beleuchtet er sowohl biologische Fakten als auch ökologische Zusammenhänge – schließlich wirft jeder Waldspaziergang eine Fülle von Fragen auf: Warum wachsen an einer Stelle Buchen oder Eichen, warum anderswo Erlen, Birken oder Weiden? Welche Ansprüche stellen Waldvögel? Welche Beziehungen zwischen Bäumen und bestimmten Vogelarten gibt es? Und nicht zuletzt: Was macht einen gesunden, naturnahen Wald aus und welchen Wald wollen wir überhaupt? Vogelbeobachtung macht glücklich – ganz besonders in Wald und Hecke.

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Seitenzahl: 246

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Uwe Westphal

Vogelstimmen in Wald und Hecke

Vögel, Bäume, Sträucher – entdecken und verstehen

illustriert von Heidi Janicek

Inhalt

Auf in den Wald!

• Ein Gnom im Winterwald · Fichtenkreuzschnabel und Sperlingskauz

• Nomaden im Reich des Erlkönigs · Erlenzeisig

• Höhlenbauer im Weltnaturerbe · Schwarzspecht

• Burgfrieden am Bussardhorst · Wacholderdrossel und Mäusebussard

• Kletterkünstler am Stamm · Gartenbaumläufer und Kleiber

• Kleiner Sänger im Klimastress · Fitis und Zilpzalp

• Der Würger im Weißdorn · Neuntöter

• Vogelkonzert im Elbholz · Nachtigall und Pirol

• Abendstimmung in der Heide · Nachtschwalbe

• Rätselspecht im wilden Wald · Weißrückenspecht

• Leben an der Baumgrenze · Ringdrossel und Birkenzeisig

• Eine Wollsocke in der Weide · Beutelmeise

• Ein Mönch in der Naturapotheke · Mönchsgrasmücke

• Förster und Wächter des Waldes · Eichelhäher

• Das Rascheln im Walde · Amsel, Buchfink und Bergfink

• Rotbrüstchen und der Schneekönig · Rotkehlchen und Zaunkönig

Vom Wald zum Forst – und zurück?

Wie geht es unseren Waldvögeln?

Der Autor

Anhang

Zum Weiterlesen

Register der Vogelarten

Register der Gehölzarten

Auf in den Wald!

Ein ausgedehnter Spaziergang im Wald – was könnte entspannender und zugleich gesünder für Körper und Seele sein? Das morgendliche Vogelkonzert im Frühjahr, das kühl-feuchte Waldklima an heißen Sommertagen, die Farbenpracht der Blätter im Herbst oder die Stille des weißen Winterwaldes bescheren uns stets neue Eindrücke eines vertraut und doch immer wieder anders erscheinenden Waldes. Die Zeit des coronabedingten Lockdowns hat zudem eines ganz deutlich gezeigt: die Sehnsucht der Menschen nach »Natur« und speziell nach dem Wald.

Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen inzwischen, dass ein Waldspaziergang messbare physiologische Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat. So verlangsamt sich der Herzschlag, der Stresspegel sinkt und die Immunabwehr wird signifikant verbessert. Gründe dafür sind zum einen der beruhigende Anblick des vielfältig schattierten Grüns und das weitgehende Fehlen von Zivilisationslärm, zum anderen die »gesunde Waldluft«: Aufgrund der Filterwirkung der Bäume ist ihr Gehalt an Schadstoffen und gesundheitsgefährdenden Keimen sehr deutlich geringer als in der Stadt, zudem verströmen die Bäume flüchtige Substanzen, denen positive Auswirkungen auf den menschlichen Körper nachgesagt werden. In Japan verschreiben Ärztinnen und Ärzte daher seit Jahrzehnten therapeutische Waldspaziergänge als unterstützende und vorbeugende Maßnahme bei verschiedenen Beschwerden, und auch bei uns findet das fernöstliche »shinrinyoku« als »Waldbaden« immer mehr Anhänger.

Naturkundlich Interessierte kommen im Wald ebenso auf ihre Kosten. Besonders die Vögel sind es, die uns am ehesten auffallen und die uns viel über den Wald und seine übrigen Bewohner mitteilen können. Auch wenn wir die Gefiederten vielleicht nicht gleich entdecken, so verraten sie sich oftmals über ihre Gesänge, ihre Rufe, vielleicht auch anhand von Federn, Nestern oder sonstigen Spuren und Zeichen. Wer die Eigenheiten und Gewohnheiten der einzelnen Arten kennt und weiß, wo man nach ihnen suchen muss – im Laubwald oder im Nadelforst, im dichten Unterholz oder hoch im Baumwipfel –, wird sie mit Glück und Geduld aufspüren. Und wer ihre speziellen Warnrufe und ihr Verhalten bei Gefahr kennt, wird vielleicht sogar auf Waldbewohner aufmerksam werden, die unseren Augen sonst verborgen geblieben wären, etwa auf einen pirschenden Fuchs oder eine versteckt im Baum hockende Eule.

Das Frühjahr, wenn die Vögel mit Balz und Brut beschäftigt sind, ist sicherlich die beste Zeit, um sie zu belauschen und zu beobachten. Denn dann singen die Männchen, um Weibchen zu umwerben und Nebenbuhler aus dem eigenen Revier fernzuhalten (s. dazu auch S. 25). Aber auch die übrigen Jahreszeiten können uns Menschen spannende Begegnungen mit den Gefiederten bescheren, dies umso mehr, je mehr wir von ihnen wissen. Manche sind das ganze Jahr über anzutreffen, andere ziehen im Spätsommer oder Herbst in den Süden und kehren im Frühjahr zurück, wieder andere besuchen uns nur als Wintergäste oder auf der Durchreise.

Vogelbeobachtung macht glücklich. Auf diesen einfachen Nenner lassen sich die Ergebnisse empirischer Studien bringen: Sie zeigen unter anderem einen deutlichen Zusammenhang zwischen einer artenreichen Vogelwelt im direkten Umfeld der Menschen und deren psychischem Wohlbefinden. Neben dem unmittelbaren Naturerlebnis sind es insbesondere die oft melodischen Gesänge der Gefiederten, die uns erfreuen und berühren. Möglicherweise gibt es hierfür einen Grund, der tief in unserem genetischen Erbe verankert ist: Unsere Vorfahren waren tagtäglich lebensbedrohlichen Gefahren durch wilde Tiere wie Bären, Wölfe oder Löwen ausgesetzt. Sie nutzten daher die vielfältige akustische Kommunikation der stets aufmerksamen Vögel als Frühwarnsystem, wussten entsprechende Warnrufe und aufgeregtes Verhalten zu deuten und konnten entsprechend reagieren. Der Gesang der Vögel war hingegen ein Zeichen, dass keine versteckte Gefahr drohte, die Menschen also entspannt ihrem Tun nachgehen konnten. Zudem war und ist der im Frühjahr einsetzende Vogelgesang ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Winter – für die Menschen der Urzeit eine existenzbedrohende Zeit der Kälte und des Hungers – überwunden ist.

Was aber wissen wir sonst vom Wald und von seinen gefiederten Bewohnern? Allgemein bekannt sind die vielfältigen Funktionen des Waldes, etwa für die Holzproduktion, für Wasserhaushalt und Klimaschutz, als Sauerstoffspender und biologische Klimaanlage, als Erholungsraum für den Menschen und nicht zuletzt als Lebensraum für Tiere, Pflanzen und Pilze. Wir wissen auch, dass der Wald mehr ist als ein beziehungsloses Nebeneinander verschiedener Bäume und anderer Lebensformen. Wissenschaftlich gut belegt ist etwa, dass Bäume auf vielfältige Weise untereinander kommunizieren und über ein unterirdisches Geflecht von Pilzen in einer Art »wood wide web« (s. S. 88) vernetzt sind. Bekannt ist zudem, dass Bäume (wie auch andere Pflanzen) sich bei Bedarf gezielt Hilfe organisieren können: So senden sie zur Abwehr blattfressender Raupen spezielle Duftstoffe aus, die deren natürliche Gegenspieler anlocken – neben räuberischen und parasitischen Insekten möglicherweise sogar Meisen und andere Kleinvögel. Dies und vieles mehr wissen wir – doch was wissen wir ganz unmittelbar und aus eigenem Erleben vom Wald und von seinen Bewohnern, speziell den Vögeln des Waldes?

Jeder Waldspaziergang wirft eine Fülle von Fragen auf: Warum wachsen an einer Stelle Buchen oder Eichen, warum anderswo Erlen, Birken oder Weiden? Was macht einen Wald aus, wie unterscheidet er sich vom Forst? Welche Ansprüche stellen Waldvögel? Welche Arten leben im Auwald, welche im Fichtenforst, am Waldrand oder auf einer Lichtung? Welche Beziehungen und Abhängigkeiten zwischen Bäumen und bestimmten Vogelarten gibt es? Wo und wann kann ich welche Vögel am besten beobachten, und wie finde ich sie überhaupt? Wie verhalten sie sich? Was sagt uns ihr Vorkommen über den Wald aus?

Diese und andere Fragen möchte das vorliegende Buch exemplarisch beantworten. In 16 Kapiteln möchte ich Sie mitnehmen auf spannende Exkursionen rund um das Jahr, bei denen wir gemeinsam in authentischer Atmosphäre verschiedene Waldlebensräume und charakteristische Vogelarten kennenlernen werden. Besuchen werden wir zudem die ebenfalls von Bäumen und Sträuchern dominierten Lebensräume Feldgehölz und Hecke.

Auch wenn die Vögel im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, geht es in diesem Buch nicht um eine auch nur annähernd vollständige Darstellung der Vogelwelt des Waldes (zu der allein in Deutschland etwa 70 Arten zählen). Vielmehr sollen anhand ausgewählter Vogelarten, die für einen Lebensraum und eine Jahreszeit typisch sind, biologische Fakten und ökologische Zusammenhänge beleuchtet werden. Zugleich erfahren Sie interessante Aspekte zu einzelnen Bäumen und Sträuchern, zu den von ihnen geprägten Lebensräumen und zu ihrer Bedeutung im Naturhaushalt und für den Menschen. Ein allgemeines Kapitel ab S. 148 berichtet unter anderem vom Einfluss des Menschen auf den Wald und widmet sich angesichts der vielfältigen Herausforderungen, denen Wälder und Forsten derzeit ausgesetzt sind, einigen wichtigen Fragen: Was macht einen gesunden, naturnahen Wald aus? Welchen Wald wollen wir überhaupt? Und abschließend: Was bedeutet das alles für die Waldvögel?

Insgesamt entsteht so ein Kaleidoskop verschiedener Waldlebensräume, Vögel und Gehölze, die in der Zusammenschau einen Eindruck davon vermitteln sollen, wie unterschiedlich »Wald« oder »Forst« sein können und wie letztlich doch alles mit allem zusammenhängt – insgesamt eine Hinführung zu modernem, vernetztem Wissenschafts-Denken.

Eine umfassende Darstellung der Ökologie des Waldes und der Waldvögel kann und soll dieses Buch nicht liefern. Interessierte finden im Literaturverzeichnis Anregungen für eine vertiefende Lektüre.

Und nun viel Spaß bei aufregenden Exkursionen zu den gefiederten, belaubten und benadelten Bewohnern von Wald, Forst und Hecke!

Nomaden im Reich des Erlkönigs

Bachaue im Februar

Erlenzeisig

Ein sonniger Vormittag Mitte Februar. Die im Schein der Sonne schon recht milden Temperaturen zeigen es an: Das Ende des Winters ist gekommen, der Vorfrühling hält Einzug. Das schöne Wetter verlockt zu einem Spaziergang durch die Wiesen am Bach entlang, gesäumt von hohen Bäumen. Es sind Schwarzerlen, erkennbar an ihrer meist schlank pyramidalen, nicht selten auch mehrstämmigen Erscheinung. Ihre im Alter dunkel gefärbten, grobborkigen Stämme reichen bis in die oberen Kronen und tragen sparrig abstehende dünne Seitenäste.

Eben bewundern wir die ersten Blütenknospen der Pestwurz, die sich noch vor den später rhabarbergroßen Blättern dieser Pflanze am Ufer aus dem Boden schieben, als uns zarte Vogelrufe und ein leises, vielstimmiges Gezwitscher aufblicken lassen. Es scheint aus den winterkahlen Kronen der Bäume direkt über uns zu kommen – aber die Urheber sind zunächst nicht zu entdecken. Merkwürdig. Wir schauen genau hin – da, eine Bewegung: ein kleiner Vogel, etwa so groß wie eine Blaumeise, da noch einer und noch einer. Geschickt wie diese turnen sie durch die feinen Zweige im äußersten Kronenbereich, einer hängt gar mit dem Rücken nach unten. Doch Meisen sind es nicht, das erkennt man schon an den teils geräuschhaften Lautäußerungen, darunter ein weiches »diiä«, ein gleichzeitig auf- und absteigend klingendes »dääiid« und ein knätschendes »didldidldäätsch« – ganz anders als das silberhell klingelnde »zizi zihihihi« einer Blaumeise. Plötzlich erhebt sich ein ganzer Schwarm hektisch in die Luft, wie aufgescheucht, wohl gut ein halbes Hundert Vögel sind es, die jetzt vielstimmig durcheinander rufen. Wo kommen die jetzt alle her, wir konnten doch gerade nur wenige entdecken? Nach ein paar Flugrunden fällt der ganze Schwarm ein paar Bäume weiter wieder ein.

Die Pestwurz zählt zu den Korbblütengewächsen.

Fruchtstände der Schwarzerle

Zum Glück haben wir ein Fernglas dabei und können die Vögel damit näher betrachten: Einige sind kontrastreich gelb-grün-schwarz gefärbt, andere haben ein überwiegend dunkel olivfarbenes Gefieder, das besonders an der Unterseite und an den Flanken ein deutliches dunkles Strichelmuster zeigt. Auffallend ist bei allen die schwarzgelbe Flügelzeichnung. Größe, Aussehen, Lautäußerungen, Verhalten und Aufenthaltsort verraten uns, welche Vögel wir vor uns haben: Es ist ein Trupp Erlenzeisige, die zu den kleinsten heimischen Vertretern der artenreichen Finkenfamilie zählen. Wie bei vielen Vogelarten sind auch bei ihnen die Männchen wesentlich farbiger und auffallender gezeichnet als die schlicht gefärbten Weibchen.

Schwarz färben mit Erlen

Erlenzäpfchen, in Wasser eingelegt, färben dieses je nach Menge tief dunkelbraun bis fast schwarz. Aus ihnen wurde früher Tinte hergestellt. Die stark gerbstoffhaltige Borke wurde zusammen mit Eisenteilen über Wochen gewässert und mit dem Sud ließ sich Leder schwarz färben – daher stammt der Artname »Schwarzerle«.

Frühblüher mit samtigem Fell

Die Schwarzerle gehört zu den ersten Frühblühern in der heimischen Pflanzenwelt. In Gegenden mit mildem Winterklima öffnen sich die bereits im Vorjahr angelegten Blütenknospen schon im Januar, die Hauptblütezeit liegt zwischen Februar und April. Die männlichen Blütenstände enthalten jeweils Dutzende bis Hunderte winzige, sehr einfach gebaute Einzelblüten und sind als bis zu zehn Zentimeter lange, hängende Kätzchen sehr auffallend. (Die Bezeichnung »Kätzchen« geht zurück auf den sinnlichen Eindruck beim Befühlen: Ihre samtig weiche Oberfläche erinnert an ein Katzenfell.) In der Regel stehen drei bis fünf von ihnen zusammen und bilden so einen Gesamtblütenstand. An dessen Basis befinden sich meist ebenfalls drei bis fünf traubig angeordnete, etwa einen halben Zentimeter große weibliche Blütenstände: Die Erle ist »getrenntgeschlechtlich einhäusig«, wie die Botaniker sagen. Die winzigen Pollen werden ähnlich wie bei Birke und Hasel vom Wind verbreitet – sehr zum Leidwesen von Menschen, die an einer Pollenallergie leiden. In der Regel reifen die männlichen Blüten eines Baumes deutlich vor den weiblichen, auf diese Weise soll eine genetisch unvorteilhafte Selbstbestäubung vermieden werden.

Was aber haben die Erlenzeisige mit den Erlen zu tun? Woher haben sie ihren Namen? Beobachten wir ihr Tun einmal genauer: Es sind die kleinen, verholzten Zäpfchen der Erle, die es ihnen angetan haben – genauer gesagt, die darin enthaltenen winzigen Samen, die die Vögel dort herauspicken. Mit ihren feinen, spitzen Schnäbeln sind sie perfekt an diese Nahrung angepasst. Birkensamen werden ebenfalls gerne genommen. In Birkenbeständen (s. S. 55) sind Erlenzeisige bei der Nahrungssuche öfter auch mit den verwandten Birkenzeisigen (s. S. 102) vergesellschaftet.

Erlen und Birken tragen Zäpfchen, beide gehören zur selben Familie, den Birkengewächsen (Betulaceae). Der volkstümliche Begriff »Zäpfchen« bezieht sich nur auf die äußerliche Ähnlichkeit mit den Zapfen mancher Nadelbäume. Zu den Zapfenträgern oder Koniferen (s. S. 12) gehören die Birkengewächse nicht, mit Nadelbäumen wie Fichte, Tanne, Kiefer oder Lärche sind sie also nicht verwandt. Botanisch korrekt spricht man daher im Falle von Birke und Erle besser von zapfenartigen oder zapfenähnlichen Fruchtständen. Ein solcher für Laubbäume ungewöhnlicher Fruchtstand, bei der Erle etwa anderthalb bis knapp zwei Zentimeter groß und von kugeliger Form und dunkler Färbung, entsteht aus den winzigen und sehr unscheinbaren Trag- und Vorblättern der weiblichen Blüten, die beim Heranreifen zu jeweils fünfteiligen Schuppen verwachsen. Die einzelnen Schuppen eines Blütenstandes verholzen und bilden gemeinsam ein zapfenartiges Gebilde.

Erlenzeisige, hier ein Männchen, ziehen im Winterhalbjahr in großen Trupps umher.

Den Zeisigen kann dieser etwas kompliziert klingende Prozess egal sein, sie haben es auf die fett- und eiweißreichen Samen abgesehen, winzige Nussfrüchte von ein bis zwei Millimeter Durchmesser, die ihnen in der sonst nahrungsarmen Winterzeit genügend Energie liefern. Ein einzelnes Erlenzäpfchen besteht aus durchschnittlich etwa 40 Schuppen, die jeweils bis zu drei Samen tragen.

Wenn die Samen nicht vorher in den Schnäbeln hungriger Erlenzeisige verschwinden, fallen sie vom Herbst bis zum nächsten Frühjahr aus. Anders als die auffällig geflügelten Birkensamen, die wegen ihrer großen Oberfläche vom Wind oft viele Kilometer weit verbreitet werden (s. S. 58), sinken Erlensamen recht schnell zu Boden und schaffen durch Windverbreitung Distanzen von durchschnittlich nur 30 bis 60 Metern. Luftgefüllte »Schwimmflügel« aus Kork an beiden Seiten der winzigen Samen weisen auf ein anderes Verbreitungsmedium hin: das fließende Wasser. Mit ihm gelangen sie zu neuen Wuchsorten auf gut mit Wasser versorgten Böden. Sollte die Reise etwas länger dauern – kein Problem: Die Samen bleiben im Wasser bis zu zwölf Monate keimfähig.

Die Schwarzerle – Spezialistin für nasse Böden

Wie kein anderer heimischer Baum ist die Schwarzerle an ein Leben auf dauerhaft feuchten bis nassen Böden angepasst. Länger anhaltende, höhere Überflutungen, wie sie für Auwälder typisch sind (s. S. 72 und S. 74), verträgt sie jedoch nicht. Ihre Wurzeln reichen tief in die Erde und stabilisieren auf diese Weise die Ufer von Bächen und kleinen Flüssen. Anders als die meisten anderen Baumarten bildet die Schwarzerle nur wenige kräftige Hauptseitenwurzeln und auch nur wenige Feinwurzeln aus, dies vor allem im gut durchlüfteten Oberboden. Dem Problem des Sauerstoffmangels in durchnässten Böden, der zum Absterben der Wurzeln führen könnte, beugt sie durch besondere Anpassungen vor: Große Korkporen an der Stammbasis und den oberflächennahen Wurzeln sorgen für einen ausreichenden Luftaustausch. Häufig bilden Erlen zudem zusätzliche Wurzeln aus der oberen Stammbasis, die bei niedrigem Wasserstand an die Stelzwurzeln tropischer Mangroven erinnern. Unter Wasser bietet freigespültes Wurzelgeflecht Jungfischen und Kleintieren einen sicheren Unterschlupf. Erlenholz ist zudem – auch noch als Totholz – unter Wasser äußerst haltbar.

Biologisch orientierte Wasserbau-Ingenieure verwenden Schwarzerlen wegen ihrer besonderen Anpassungen gezielt zur Ufersicherung anstelle technischer Bauwerke. Dies kommt besonders bei Renaturierungsmaßnahmen zum Tragen: Hierbei werden einstmals naturfern ausgebaute, kanalisierte oder gar unterirdisch verrohrte Abschnitte von Fließgewässern wieder in einen naturnäheren Zustand versetzt, damit bedrohte Bachbewohner wie Fische, Wasserinsekten, Libellen und Eisvögel neue Lebensräume finden. Der natürliche Wasserrückhalt renaturierter Bäche und ihrer Uferbereiche vermindert zudem die Gefahr von Überschwemmungen im Unterlauf und ist daher ein Beitrag zum lokalen Hochwasserschutz – wichtig gerade in Zeiten des Klimawandels, der immer häufiger zu Starkregen-Ereignissen führt.

Hier kann jede und jeder aktiv werden: Naturschutzverbände veranstalten oft regelmäßige Arbeitseinsätze und andere Mitmachaktionen. Dabei werden zum Beispiel durch das Einbringen von Kies, Geröll oder Totholz neue Lebensräume in ehemals eintönigen Abflussgerinnen geschaffen, für Fische unpassierbare Wehre und Sohlabstürze (das sind quer zur Strömungsrichtung gebaute »Stufen«) entfernt oder eben Erlen zur Ufergestaltung und Beschattung gepflanzt.

Erlkönig und Raue Else