Vom Hunde verweht - Rochus Hahn - E-Book
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Rochus Hahn

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Beschreibung

Um das Herz einer Frau zu gewinnen, muss man erstmal an ihrem knurrenden Dobermann vorbei. Oder auch umgekehrt - für alle Leser*Innen von romantischen Liebesgeschichten mit Hund Der Kellner Mäx hat kein Glück beim schönen Geschlecht. Als er sich in die hübsche Astrid verliebt, traut er sich nicht, sie anzusprechen. Doch dann hängt sie im Café, in dem er arbeitet, einen Aushang ans schwarze Brett. Sie sucht einen Hundesitter. Mäx hat zwar keine Ahnung von Hunden, bewirbt sich aber um den Job und kriegt es mit dem feindseligen Dobermann Jake zu tun. Schon beim ersten Gassigang brennt der Hund durch. Und dann erfährt Mäx, dass dessen Frauchen einen Freund hat. Aber Dinge ändern sich. Mäx und Jake kommen sich näher und Astrids Beziehung beginnt zu bröckeln. Während Hund und Mann allmählich dicke Freunde werden, macht Astrids Lover mit ihr Schluss. Nun ist ein einfühlsamer, bester Freund gefragt. Mäx ist zur Stelle und Astrid verliebt sich in ihn. Doch dann tritt Bobby auf den Plan, die Nichte von Mäx' fiesem Hausmeister Schröder. So schön wie Astrid ist sie nicht, aber sie hat Humor, einen großen Busen und eine Schwäche für Star Trek... »Lustige Liebes- (und Tier-)geschichte aus Sicht eines Softies, der lernt, zu sich zu stehen.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »Im Einheitsbrei der Liebesgeschichten ist diese Geschichte wirklich etwas Besonderes, denn so schräg auch alle Gestalten sind, sie handeln und fühlen authentisch und sind keine immer gleichen Schablonen, denen der Autor irgendwelche Adjektive umgehängt hat.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) »Ich hab geschmunzelt, gelacht, und mir das Ganze vorgestellt, herrlich. Unbedingt empfehlenswert.«  ((Leserstimme auf Netgalley)) 

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Michaela Retetzki

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

1. Das schwarze Brett

2. Jake

3. Die Bohrinsel

4. Crashkurs

5. Quickie unter freiem Himmel

6. Sturzflug

7. Waffenstillstand

8. Der Kuss

9. Anaphylaktischer Schock

10. Feuertaufe

11. Die Reportage

12. Der Pilz

13. Sex as Sex can

14. Bobby

15. Falsche Meister

16. Looping Louie

17. Späte Whatsapp

18. Apfelkuchen

19. Notbremse

20. Quasimodo

21. Der Prominente

22. Der englische Patient

23. Astrids Überraschung

24. Flucht nach vorn

25. Der Auftritt

Epilog 1

Epilog 2

Epilog 3

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

1. Das schwarze Brett

Als ich sechzehn war, küsste ich zum ersten Mal ein Mädchen richtig. Also keine Kindergartenküsse oder wie bei den Mutproben beim Flaschendrehen. Es war eine Schulfeier. Ich wusste in dem Moment nicht einmal ihren Namen. Sie war aus der Parallelklasse, sah toll aus und hatte lange glatte Haare wie Rapunzel. Wir saßen hinten an der Aulawand auf einem von den an die Wand geschobenen Tischen und hatten bisher kein Wort gewechselt.

»Hör zu, Mäx«, sagte sie und blickte mich plötzlich an. »Tust du mir einen Gefallen?« Ich staunte, dass sie meinen Namen kannte. »Äh, ja.«

»Wir knutschen, okay?«

Mir wurde schlagartig der Mund trocken, und mein jungfräuliches Glied reckte sich verstört in die Höhe. Noch irrer wäre es gewesen, wenn ihr Tonfall nicht so gewesen wäre, als hätte sie nach Wechselgeld für den Colaautomaten gefragt.

»Knutschen … äh, klar!« Ich tat, als stünde ich solchen Anfragen sehr routiniert gegenüber.

Und wir küssten uns. Ihre Lippen fühlten sich unerhört zart an. Unsere Schneidezähne tickten gegeneinander, was ich sensationell fand. Dann wurde sie frech und schob ihre Zunge in meinen Mundraum. Erneut verlor ich die Ruhe nicht und begann mit Rapunzel zu züngeln. Ich hatte es noch nie gemacht und überließ ihr die Führung. Erst war ich unsicher, doch dann hatte ich den Bogen raus. Von kopfloser Panik zu Tollkühnheit ist es manchmal nur ein kleiner Schritt. Ich ward zum Fisch, der bemerkt, dass Wasser sein Element ist, und fasste an ihren Busen. Zu meinem Erstaunen schob sie meine Hand weg. Also auf meine Unschuld hatte sie es schon mal nicht abgesehen.

»He, Britta! Was soll der Scheiß?«

Ich schaltete innerlich von Tollkühnheit auf kopflose Panik zurück. Vor uns stand ein hantelgestählter Zeitgenosse mit Migrationshintergrund und hatte eine Körperspannung wie Jason Statham vor seinem allerhöchsten Tritt.

Britta hingegen lächelte provokant. »Hast’n Problem, Abbas?«

»Ja, verdammt, hab ich!«

»Ja, wieso denn bloß? Ich denke, ich bin eine Hure und es ist aus!«

»Ich hab gesagt, du ziehst dich wie eine Hure an! Sonst hab ich gar nichts gesagt!«

»Ja, vielleicht. Und jetzt bin ich eben mit Mäx zusammen!« Sie nahm meinen linken Arm mit beiden Händen und kuschelte ihr Gesicht an meine Schulter.

»So ein Scheiß! Du kommst jetzt, Alte!« Abbas riss sie einfach mit sich. Sie quietschte vergnügt, da ihr Plan aufgegangen war, und winkte mir im Abgang noch einmal lachend zu. Natürlich hatte sie mich benutzt, aber trotzdem fühlte ich mich ihr verbunden, als hätten wir zusammen im Widerstand gekämpft.

Das war eigentlich das Aufregendste, was ich mit einem Mädchen erlebt hatte. Ich bin nicht das, was man einen Womanizer nennt, obwohl die Software dazu durchaus vorhanden wäre. Mädels jedoch, die ihrer Jungfräulichkeit überdrüssig waren, standen noch nie Schlange bei mir, und meine sexuellen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht konnte man an einer Comic-Enten-Hand abzählen. Es kann natürlich an meinem Äußeren liegen.

Gardemaß weise ich nicht auf. Ich messe ein Meter siebenundsiebzig, im Winter sogar nur ein Meter sechsundsiebzig, kleiner darf man wirklich nicht sein. Ich bin blond, jedoch nicht auf die Michel-von-Lönneberga-Art, nein, ich bin schlammblond und vereine gut fünfzig Ockertöne in meinem kurz geschnittenen Schopf. Das wirklich Ärgerliche an mir ist jedoch mein Milchbubigesicht. Es gibt Profifußballer, die sehen mit zweiundzwanzig Jahren bereits so charismatisch aus, dass sie bei den Karl-May-Festspielen problemlos als Stammesälteste durchgehen würden. Ich dagegen käme wohl nur als Zweitbesetzung für Peterchens Mondfahrt infrage. Andererseits, so dachte ich mir, werden untrainierte Mondgesichter mit Bauchansatz auch gern mal unterschätzt. Ich komme also grundsätzlich erst mal aus dem Windschatten, aber dann kann alles passieren.

Ich hatte in Frankfurt eine Erzieherausbildung gemacht, war mit Annäherungsversuchen bei meinen weiblichen Mitauszubildenden weitestgehend gescheitert und dann, kurz nach meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag, in meine Heimat Fulda zurückgegangen. Als Kindergärtner trat ich eine Stelle in einer Petersberger Kita an und hatte zu den Kindern sofort einen guten Draht. Legendär das Experiment, bei dem ich alle meine kleinen Schützlinge Hundefutter probieren ließ. Das kam sogar bei den Kolleginnen prima an. Nur nicht bei meiner Chefin. Die war vom alten Schlag, konnte Kinder nicht ausstehen, hielt dafür große Stücke auf die gute alte schwarze Pädagogik. Sie hatte mich schnell auf dem Kieker. Und ich sie. Irgendwann war ich es leid, ihr dabei zuzusehen, wie sie ungehorsamen Kindern fies an den Ohren zog. Ich knallte ihr eine. Ihr verdatterter Gesichtsausdruck entschädigte mich für Monate der Unterdrückung, aber der Preis war hoch. Die alte Schreckschraube zeigte mich an und sorgte mit einer Abmahnung und einem Akteneintrag dafür, dass der »gewalttätige Psychopath« erst einmal keine weitere Gelegenheit bekam, in Kindertagesstätten »Amok zu laufen«.

Und das war nun der Stand der Dinge. Von meinen alten Freunden war mir als einziger mein Kumpel Gordon geblieben, mit Frauen lief nachhaltig nichts, dazu konnte ich gerade meinen Beruf nicht ausüben und war obendrein pleite.

Die guten Nachrichten: Viel schlimmer konnte es nicht mehr werden.

Da ich Geld brauchte, hatte ich begonnen, im Einstein zu bedienen. Das war als Übergangslösung gedacht, doch ich gewöhnte mich ziemlich schnell daran. Jan Kopetzky war ein fettleibiger Wirt Ende vierzig, der hinter seinem wortkargen Zynismus ein großes Herz versteckte. Er bezahlte fair, und wenn es gut lief, kamen noch ein paar Trinkgelder dazu.

Das Einstein war eine urige Bierkneipe, die eigentlich mal eine Sportsbar gewesen war. Aber als Kopetzky das Lokal gepachtet hatte, ließ er die großen Flachbildschirme einfach abmontieren. Der dicke Gastronom setzte auf ein jüngeres Publikum. In Uni-Nähe gab es nicht so viele Studententreffs, und genau das war das ehemalige Goooal! nach kurzer Zeit geworden. Der Wirt hatte einfach gerahmte Bilder von Wissenschaftsgrößen wie Albert Einstein, Stephen Hawking und Werner Heisenberg aufgehängt. Kopetzkys Rechnung war aufgegangen. Die jungen Leute in Fulda hatten das Konzept des Lokals angenommen. Das Einstein war jeden Tag rappelvoll.

So auch an diesem Abend. Der Laden brummte, und ich hatte mächtig zu tun. Das Bedienen lag mir im Blut. Ich neigte nicht dazu, hektisch zu werden, und knipste dabei stets mein nettestes Lächeln an. Wenn ich mit jedem Gast Blickkontakt aufnahm und mit guten Worten nicht geizte, waren die Trinkgelder am Ende reichlich.

Anja W. hingegen, meine polnische Kollegin, war ein ganz anderer Typ. Sie hatte unlängst ihren neunundzwanzigsten Geburtstag gefeiert; wie man munkelte, zum dritten Mal. Keine andere Frau, die ich kannte, vereinigte solche Gegensätze in sich wie Anja. Sie hatte eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, die zwar operativ gerichtet worden war, aber dennoch einen Makel in ihrem sonst hübschen Gesicht darstellte. Als Ausgleich dafür war sie mit einem so prachtvollen Hinterteil gesegnet, das, wäre es größer gewesen, als Erdtrabant hätte Furore machen können. Manchmal sah ich diesem formschönen Gesäß versonnen nach, aber sobald Anja sich umdrehte, guckte ich schnell woandershin. Vorwitzige Gäste, die Anja W. in ihren aufsehenerregenden Hintern zwickten, kriegten postwendend so derbe Schellen, dass manchmal Toupets in hohem Bogen durch die Kneipe segelten. Viel Trinkgelder strich die Polin nicht ein, sie war jedoch effektiv. Sie betreute drei Tische mehr als ich und war trotzdem viel schneller.

Ich hatte gerade eine Gruppe Studenten abkassiert, als etwas passierte, was mich abrupt aus der Dauertristesse meines Daseins hinauskatapultierte. Die Tür öffnete sich und zwei späte Gäste traten ein, zwei junge Frauen. Ich sah hin, und es traf mich wie ein Blitz! Biggi kannte ich. Sie war eine wuchtige Frohnatur und lachte gern unvermittelt laut auf. Leute, die mit dem Rücken zu ihr saßen, fuhren oft in der Erwartung eines Möwenangriffs erschrocken zusammen. Meine Aufmerksamkeit galt jedoch nicht Biggi, sondern der dunkelhaarigen Schönheit neben ihr. Es war die atemberaubendste Person, die ich jemals gesehen hatte! Sie musste wie ich Mitte zwanzig sein, und sie war die Anmut selbst. Von zierlicher, aber keineswegs kurvenloser Gestalt, hatte sie einen dunkelbraunen Bob, ein süßes Cleopatranäschen und dazu einen schmallippigen Mund. Das gab ihr etwas ganz Besonderes und harmonierte ganz zauberhaft mit den großen Augen.

»Was ist los, Mäx? Ich bezahl dich nicht fürs Rumstehen!« Kopetzky unterstrich seine Worte mit einem Stoß in meinen Rücken.

»Die Dunkelhaarige an der Tür. Kennst du die?«

Der Wirt sah zum Eingang. »Was willst du denn mit der? An der ist ja nichts dran.«

Ich warf dem dicken Wirt einen genervten Blick zu. »Na sicher, Kopetzky. Du brauchst natürlich was Stabiles. Eine, die nicht totgeht, wenn du dich auf sie drauflegst.«

»Ich leg mich so gut wie auf gar keine mehr drauf, du Spast!«

Ich war verblüfft. Kopetzky war nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und trotz seiner Gewichtigkeit bei den Mädels gut angekommen.

»Keinen Sex mehr? Wie das?«

»Antidepressiva«, meinte Kopetzky. »Ich wach jetzt morgens mit guter Laune auf, ich krieg nur kaum noch einen hoch.«

»Und wieso setzt du die Pillen nicht wieder ab?«

»Wegen der Weiber und ihrem ganzen Stress bin ich doch erst depressiv geworden.« Kopetzky seufzte. »Die Tabletten sind eindeutig das kleinere Übel.«

Auf der Suche nach einem Sitzplatz gingen Biggi und die schöne Unbekannte durch die um diese Zeit noch gut besetzen Reihen. Ich hatte noch einen freien Tisch und lief hinüber, um sie zu mir zu lotsen. Kurz bevor ich sie erreichte, packte mich eine stählerne Hand.

»Hast du verlaufen dich, Wiesel?«, knurrte Anja W. mich in ihrem holpernden Deutsch an, während sie mit der freien Hand ein Tablett mit Weingläsern jonglierte.

»Ich haben einen Tisch für die beiden Mädels da. Okay? Hast was gut bei mir.«

»Hackt es wohl! Hau ab bloß!«

Das war deutlich. Anja W. neigte nicht zum Diskutieren. Ich trat also den Rückzug an. Mein Blick ging hinüber zu Biggis Begleiterin. Unglaublich, wie schön sie war! Mein Inneres zog sich schmerzlich zusammen. Ja, so eine Frau wie diese, die hätte ich gern heimgeführt und zur Mutter meiner Kinder gemacht. Aber danach sah es gerade gar nicht aus.

Ich arbeitete weiter, während ich ständig hinüber zu meiner Schicksalsfrau lugte. Wenn man sie sich als die schöne Helena der Antike vorstellte, ergab die zehnjährige Belagerung Trojas plötzlich Sinn.

Die Zeit verstrich schnell, und dann war es so weit: Biggi und jenes betörende Wesen, das die Gestirne für mich bestimmt hatten, riefen Anja, um zu zahlen.

In mir keimten Panik und der Impuls auf, meiner Auserwählten nachzusetzen, sich vor ihr im Staub zu wälzen und um ihre Gunst zu betteln. Natürlich tat ich nichts dergleichen.

Verzweiflung war ein Parfüm, das keine Frau gern roch. Und dann war sie fort.

Als ich traurig die Stühle hochstellte, kam mir Anja W. in die Quere. Ich trat zurück und ließ sie vorbei. »He, Wiesel«, sagte sie im Vorübergehen.

»Was?«

»Heißt sie Astrid, dein Sternchen.«

»Wie? Du hast sie gefragt?«

»Habe ich nicht gefragt. Hat nur die andere sie so genannt.«

»Die Biggi?«

»Wer ist Biggi?«

»Na, die andere.«

»Die heißt Biggi?«

»Ja.«

»Wie auch sein mag. Ist egal mir.« Anja W. stellte weiter Stühle hoch.

Sie hieß Astrid! Welch wunderbares Geheimnis war hier gerade gelüftet worden! Das Schicksal hatte Pläne mit ihr und mir. So und nicht anders musste es sein!

»Äh, Anja?«

»Was?«

»Danke!«

Anja winkte ab und beachtete mich nicht weiter.

Ich nahm meinen Anorak, verabschiedete mich von Jan Kopetzky, der mir einen Fuffi in die Hand drückte, und verließ das Einstein. Draußen war die Luft kalt geworden. Ich musste unwillkürlich lächeln. Astrid … Was für ein wunderschöner Name!

Es war kurz nach Mitternacht, als ich im Bunker ankam. Das sechsstöckige Mietshaus in Ziehers-Nord war ein fantasieloser Betonklotz, der der DDR der Sechzigerjahre Ehre gemacht hätte. Ich wohnte in einem Einzimmerapartment. Die Küche hatte die Größe einer Abstellkammer, und auch das Bad war klein. Ich benutzte es als Parkplatz für mein Fahrrad, das ich über Nacht sicherheitshalber mit in die Wohnung nahm. Ein richtiges Bett hatte ich nicht, nur einen Futon, der den halben Wohnzimmerboden bedeckte und auch einem eventuellen weiblichen Gast Platz bot. Es gab noch einen Schreibtisch, eine Kleidertruhe und ein Bücherregal. Ich besaß nur das Nötigste.

Als ich mein Fahrrad gerade auf die Schulter nehmen wollte, näherten sich Schritte. Das war Schröder, der Hausmeister. Ein untersetzter Endvierziger mit Bierplauze, dem offenbar nicht viel geglückt war im Leben und der nun Trost darin fand, disziplinlose Mieter nachzuerziehen. »Bichel! Darf ich dich mal fragen, was du an der Mülltrennung nicht verstehst?«

Dass er mich duzte, nahm der Hausmeister sich einfach heraus. Er hielt mir ein altes Transistorradio unter die Nase. »Elektroschrott gehört nicht in den Hausmüll!«

»Das ist nicht meins«, rief ich schnell.

»Verkauf mich nicht für dumm. Die alte Frau Brothage hat gesehen, wie du das Radio in den schwarzen Müll geworfen hast. Hier!« Er stieß mir das Radio schmerzhaft gegen die Brust.

Schröder bleckte seine Zähne, für die Zahnspangen ein Leben lang Science-Fiction geblieben waren. »Bring das zum Wertstoffhof. Ich will so etwas nicht noch einmal im Hausmüll sehen! Haben wir uns da verstanden?«

»Sicher. Sorry.«

»Bichel«, knurrte Schröder noch eine Zugabe. »Wenn du hier wohnen bleiben willst, reiß dich zusammen! Ein Wort von mir, und du fliegst hier achtkantig. Ich hab dich im Auge!« Dann bedachte er mich mit seinem grimmigsten Blick, drehte sich um und schob ab.

Ich wusste natürlich, dass Schröder mich nicht rausschmeißen konnte, ich war jedoch wieder mal von dem Fiesling eingeschüchtert. Allein wenn sowieso schon alle auf mir herumhackten, kam es auf einen mehr oder weniger nicht an.

Als ich erschossen endlich auf meinem Futon lag, wanderten meine Gedanken zu Astrid. Ich konnte nur hoffen, dass sie wieder im Einstein aufkreuzen würde. Dann würde ich nicht zögern, mich an sie heranzuschmeißen. Denn sie war ein Volltreffer und das Leben zu kurz, um die Liebe auf die lange Bank zu schieben.

Aber Astrid tauchte nicht wieder auf. In der folgenden Woche nicht und in der darauf auch nicht. Ich versuchte mehr über sie zu erfahren, jedoch wusste keiner etwas.

Eines Abends war Gordon mal wieder unangemeldet und vollkommen dicht vor meiner Tür gestanden. Er liebte den C&A-Rausch, konsumierte also Cannabis gern in Verbindung mit Alkohol. Gordon Exner war siebenundzwanzig, hatte sich in der Schule bauernschlau, wie er war, dem Lernen verweigert, was ihn nicht daran hinderte, sich viel auf sein Halb- und Dunkelwissen einzubilden. Anders als ich hatte er bei den Mädels ständig was am Laufen.

Ich vermutete, dass das an seinem Background lag. Durch seine steinreichen Eltern hatte Gordon jede Menge Geld im Rücken, und genau dafür hatten die Frauen wohl eine Antenne. Ansonsten war nicht erklärlich, warum sie sich reihenweise von einem Typen abschleppen ließen, der das charakterliche Niveau eines Hütchenspielers hatte. Gerade war er mit einer Yvonne zusammen, und das ging immerhin schon einige Wochen. Doch nun erwähnte er, während er uns gerade einen Fünfblatt-Joint baute, plötzlich eine Greta. Sonderlich gut hatte ich nicht zugehört, also fragte ich nach. »Wer ist jetzt Greta?«

Gordon sah auf. »Sag mal, hast du was an den Ohren? Greta ist meine Freundin!« Ich kam wieder mal nicht mit. »Sagtest du nicht, Yvonne sei deine Freundin?«

»Gut. Ja. Ist sie auch. Im weitesten Sinne. Ich seh sie halt nur zum Vögeln.«

»Aha? Und welche Frau siehst du für was anderes?«

Gordon lachte. Das fand er lustig. Ging ja auch nicht auf seine Kosten. Ich hakte nach: »Du hast also zwei Frauen nebeneinander?«

Gordon zuckte die Achseln. »Gewissermaßen. Das hat sich eher zufällig so ergeben.«

»Wissen die voneinander?«

»Was’n das für ’ne Frage? Denkst du, ich mach die miteinander bekannt?« Er schmunzelte über so viel Naivität.

»Und was ist, wenn die sich über den Weg laufen? In deiner Gegenwart?«

Gordon hob mit weisem Lächeln den Zeigefinger »Tseo Tse sagt: ›Beschäftige dich mit dem, was morgen ist‹ … morgen!«

»Verzeih! Meinst du vielleicht Lao Tse?«

»Ja. Wen juckt’s?«

Gordon sah zufrieden auf die Selbstgedrehte und reichte sie mir an. Ich lehnte ab. »Danke, aber ich komm noch mieser drauf, wenn ich jetzt was quarze.«

»Mäx, du bist selbst schuld! Denkst du, mit dem Karfreitagsgesicht machst du die Mädels scharf?«

»Tseo Tse sagt: ›Wenn du allein nicht glücklich sein kannst, kannst du es zu zweit auch nicht‹«, erwiderte ich mit feinem Lächeln.

Gordon deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Lao Tse, oder?«

»Du lernst dazu, Gordon. Eines Tages wirst du eine Banane durch Käfigstäbe nehmen können.«

Mein Kumpel zog an dem Joint, der aufglühte wie ein Leuchtturm. »Weißt du, Alter, du verstehst die Weiber einfach nicht. Die wollen’s doch auch. Die tun etepetete, weil sie ja in der Realität leben und nicht in einem Porno. Und in der Wirklichkeit, da quatscht man eben mit ’nem Kerl, bevor man ihm einen bläst.«

»Oh, wirklich? In mir bricht gerade eine Welt zusammen. Und inwiefern bringt mich das jetzt weiter?«

»Besorg dir eine lokale Zeitung. Und dann guck dir die Kontaktanzeigen an. Da schreibst du drauf und triffst dich mit einer.«

»Oh, ein Blind Date! Jetzt kann ich mich kaum noch halten.«

Gordon wedelte tadelnd mit dem Zeigefinger. »Blind Dates sind besser als ihr Ruf. Erst mal: Beide wollen jemanden finden. Du bist also gleich auf Augenhöhe mit der Frau. Außerdem ist es gar nicht gut, nach Aussehen zu gehen.«

»Warte! Gehst du nicht nach dem Aussehen?«

»Sicher. Ich sollte es jedoch besser nicht tun. Ich meine, was hast du davon, wenn’s im Bett abgeht, dass das Kondenswasser nur so von den Wänden läuft, du aber mit der Alten nachher nicht gescheit quatschen kannst?«

»Da sei Gott vor!«

»Du sagst es. Du willst über Fußball reden oder Motorräder, und was macht der Hase? Er kann nur über seine Gefühle labern. Oder über Kinder. Oder Frisuren. Der totale Abtörn!«

»Ich könnte mir Kinder vorstellen«, überlegte ich laut. »Nur würde ich gern so ein paar Erfahrungen sammeln, bevor ich fest in einen Hafen einlaufe.«

»Schreib auf so eine Annonce.«

»Warum nicht gleich Parship?«

»Weil die Frauen bei Parship alle hässlich sind wie die Nacht.«

Ich blickte Gordon an. »Woher willst du das wissen?«

»Das sagt dir die Logik! Hast du mal die Plakate von Parship gesehen?«

»Sicher. Meine Netzhäute haben schon ein Wasserzeichen von denen.«

»All die Weiber da auf den Plakaten und in den Werbespots, denkst du, die haben es wirklich nötig, zu einer Partnerbörse zu gehen? Die haben Pistolen dabei, weil manchmal so viele Verehrer vor der Tür stehen, dass sie sich den Weg frei schießen müssen.« Gordon sah mich verschmitzt an. »Ich übertreibe etwas.«

»Was du nicht sagst.«

»Jede Alte, die in der Geisterbahn nicht mehr untergekommen ist, geht zu Parship, zahlt denen teuer Geld und trifft dann haarlose Brillenträger mit Hasenscharte und Klumpfuß.«

»Warum sollte das bei einer Zeitungsannonce viel besser sein?«

»’ne Garantie kann ich dir nicht geben, aber wenigstens musst du da keinen Tausender Gebühr abdrücken, damit du mal nicht allein zu Abend essen musst.«

Ich dachte kurz darüber nach und schüttelte dann den Kopf. »Sorry, Gordon, das ist nichts für mich.« Ich würzte diese Aussage mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Ich habe meine Angel schon in eine andere Richtung ausgeworfen.«

»Sicher. Astrid.«

Mir blieb die Spucke weg. »Woher weißt du von Astrid?«

»Du hast mir von ihr erzählt.«

»Das hab ich nicht. Ich geh mit solchen Themen nicht hausieren.«

»Am Donnerstag, als du hackedicht warst. Nach unserer Bergdoktor-Nacht.«

»Und da habe ich dir von Astrid erzählt?«

»Erzählen kann man das Gestammel eigentlich nicht nennen. Du wolltest jedenfalls noch in der Nacht los, um dir bei Bolla ihren Namen auf den Arm stechen zu lassen.«

»Eijeijei.«

»Alter, die siehst du bestimmt nie wieder, die kleine Nebelkrähe.«

Ich stutzte. »Wie jetzt? Ich hab gesagt, sie sieht aus wie eine Nebelkrähe?«

»Nein, hast du nicht. Aber ich kenn ja deinen Geschmack.«

Das fand ich ziemlich verletzend. »Reicht doch, wenn ich sie gut finde. Und überhaupt: Was, wenn es Schicksal ist? Sie kommt in meine Bar, und sie ist es. Sie ist die Frau, die für mich bestimmt ist. Es ist einfach Vorsehung. Könnte das nicht sein?«

»In einem Disney-Film vielleicht. In der Realität gibt es das nicht. Ich könnte dir ein halbes Dutzend Gründe nennen, wieso es sinnlos ist, auf die Perle zu warten.«

»Oh! Ein halbes Dutzend gleich. Dann fang mal an. Die Nacht ist ja noch jung.«

Gordon bröselte Krumen von seinem Haschbrocken, damit der nächste Joint nicht mit übertriebener Hast gebaut werden musste. »Was ist, wenn sie Australierin ist?«

»Australierin? Wie kommst du darauf? Sie hat deutsch gesprochen.«

»Na und? Lass sie Deutsche sein, sie ist nach Australien ausgewandert und besucht jetzt alte Freunde. Zwei Tage Fulda, drei Tage Passau, einen Tag Chemnitz. Und dann Rückflug nach Down Under.«

»Wow! Für genau solche Theorien hat man wohl die Terminologie ›hieb- und stichfest‹ erfunden«, ätzte ich. Der Gedanke, dass Astrid nicht von hier war, war mir allerdings auch schon gekommen. »Na gut, möglicherweise ist sie von woanders …«

»Und setzt nie wieder einen Fuß ins Einstein.«

»Du hast gesagt, du hast noch mehr Gründe.«

»Meintest du nicht, sie war mit einer Freundin da?«

»Ja, mit Biggi. Das weiß ich nicht, weil ich sie so gut kenne, sondern weil sie eine Kette mit ihrem Namen um den Hals trägt.«

Gordon brach eine Zigarette auf, um eine Tabakgrundlage für sein nächstes halluzinogenes Bauwerk zu legen. »Das könnte ein Fall von ›DaDds‹ sein.«

Ich schaute ratlos. »Was soll das sein? DaDds?«

»Das ist eine Abkürzung für Lesben.«

»DaDds?«

»Dose auf Dose, das scheppert!«

Ich stöhnte gequält. »Gordon, ich weiß, dass diese ranzige Art von Humor in Hooligan-Kreisen sehr geschätzt wird, aber kannst du mich bitte damit verschonen?«

»Ach komm, das Argument sticht doch. Was, wenn deine Süße auf Mädels steht?«

»Geht das jetzt so weiter? So gesehen könnte sie auch an einer unheilbaren Krankheit leiden, oder eine Terroristin sein, oder eine Nonne in Zivil …«

»Siehst du? Es gibt viele Gründe, warum du dich nicht weiter mit ihr aufhalten solltest. Sie ist nicht real. Sie ist nur ein feuchter Traum …«

Ich lehnte mich zurück und sagte nichts mehr. Der Mut sank mir. Vielleicht würde ich doch am nächsten Joint ziehen.

Zwei Wochen später stand ich in meinen besten Jeans und mit gebügeltem Hemd am Gemüsemarkt und sah auf die Uhr. Fünf Minuten nach halb acht. Gut, Brigitte konnte etwas dazwischengekommen sein. Vielleicht hatte sie den Bus verpasst oder stand im Stau. Was, wenn sie zu Fuß gegangen und ihr ein Stilettoabsatz abgeknickt war? Ich überlegte. Welche Frau würde auf High Heels zu einem Blind Date kommen? Da konnte sie ja auch gleich einen Button tragen mit der Aufschrift: In meinem Bett wird nicht geraucht.

Nein, Brigitte hatte am Telefon nicht so geklungen, als würde sie Hemden mit Druckknöpfen tragen, um sie sich bei der ersten Gelegenheit schnell vom Leibe reißen zu können. Sie war ruhig gewesen, hatte freundlich über einen Scherz von mir gelacht, als sie darüber nachgedacht und verstanden hatte, dass es sich um so etwas Ähnliches wie Humor handeln musste. Nein, sie war nicht über die Gebühr verschlossen rübergekommen, eher um einen Dialog durchaus bemüht. Ich hatte jedenfalls ein gutes Gefühl.

Es war einige Zeit ins Land gegangen, bevor ich mich dazu durchringen konnte, Gordons Tipp in die Tat umzusetzen. Nachdem ich jedoch ein paarmal darüber geschlafen hatte, fand ich die Idee gar nicht mehr so übel. Der altbekannte Spruch »Jeder Topf findet seinen Deckel« kursierte nun mal nur bei alten Ehepaaren. Topflose Deckel und deckellose Töpfe sind aber in Wahrheit weiter verbreitet als Löwenzahn. Außerdem war es vielleicht ganz gut, wenn ich mir Astrid aus dem Kopf schlug. Wenn sie wirklich nur auf Durchreise gewesen war, dann hechelte ich einem Phantom nach. Also hatte ich mir ein paar Zeitungen gekauft und die Anzeigen studiert. Die Annonce von Brigitte hatte mich sofort angesprochen:

Attraktive lebenslustige Sie sucht humorvollen Partner, der hin und wieder ein gutes Buch in die Hand nimmt und sich auch mal an den Herd traut. Ich bin Mitte zwanzig, attraktiv, fantasievoll und studiere Architektur. Trau dich und schreib mir. Und sorry, Briefe mit zwanzig Rechtschreibfehlern landen bei mir sofort im Papierkorb!

Frech, nassforsch irgendwie, und trotzdem peppig. Ich hatte sofort auf die Anzeige geantwortet und meinen Brief achtmal korrekturgelesen. Ich nahm Brigittes Warnung durchaus ernst und wollte nicht wegen orthografischer Mängel ausgemustert werden.

Dann hatte sie angerufen und wir hatten ein Date ausgemacht. Wir einigten uns auf das Da Vinci in der Innenstadt, eine preiswerte, aber gut beleumundete Pizzeria.

Dummerweise konnte Brigitte nur am Mittwoch. Da war ich schon mit einer Schicht im Einstein eingeplant. Ich musste mit Anja W. tauschen, um den Termin freizuschaufeln.

»Tauschen? Wieso denn?« Die Kollegin hatte sich gespreizt, wie zu erwarten.

»Ich habe einen dringenden Termin. Ist wirklich wichtig!«

»Okay. Sagst du nicht, warum es ist?«

»Glaub mir, ich würde dich nicht fragen, wenn es nicht dringend wäre.«

»Hast du also Blind Date.«

Ich verschluckte mich fast. »Nein! … Ich meine, woher weißt du das?«

»Ist der Termin sehr wichtig für dich. Ist es also Date. Und Blind Date ist, weil denke ich nicht, dass Frauen, die bereits haben gesehen deine Gesicht, verabreden sich noch.«

»Was soll das denn heißen?«, schnappte ich empört nach Luft

»Nix weiter. Geht es klar. Übernehme ich den Mittwoch.«

Eigentlich hätte ich ihre Frechheit noch gern diskutiert, dann verkniff ich es mir. Wen kratzte es, was die Kollegin dachte? Hauptsache, der Weg war frei für Brigitte.

Vor dem Da Vinci trat ich von einem Bein aufs andere. Ich untersagte mir selbst, erneut auf die Uhr zu blicken. Ich sah mich beileibe nicht als Trostpreis, der sich in seiner Not sogar nach einer Unbekannten verzehrte. Sollte man sich nicht auch mal einen Augenblick selbst genug sein können? Ich sah auf die Uhr. Zehn nach. Ungut. Man ließ eine Verabredung nicht so lange warten. Noch fünf Minuten, dann würde ich gehen. Und selbst wenn diese Brigitte jetzt käme, würde ich anmerken, dass ich mir Sorgen gemacht hätte, wo sie denn bliebe. Ja, eine sehr gute Formulierung: »Ich habe mir Sorgen gemacht.« Brillant! Das war die elegante Version von »Rechtfertige dich!«

Brigitte kam nicht. Ich hatte eine volle Stunde gewartet. Dann gab ich es auf. Ich überlegte. Kurz vor acht war eine dickliche Frau aufgetaucht, die auf das Da Vinci zugegangen war.

Dann hatte sie plötzlich abrupt die Richtung gewechselt, einen Briefkasten angesteuert und die Leerungszeiten ausgiebig studiert. Und plötzlich kam es mir. Das war sie! Das war Brigitte gewesen. Ich konnte es kaum glauben. Sie hatte ausgesehen wie ein Mannweib aus dem Neandertal, wuchtig, groß und ungeschlacht. Selbst aus der Entfernung waren mir ihre ausgeprägten Kiefer aufgefallen. Sicher konnte sie Hummer ohne Zange verspeisen. Sie hatte sich in ihrer Anzeige als »attraktiv« bezeichnet! Ja, in einer Welt von Orks wäre das okay gewesen, aber in der Realität, in der ich mich bewegte, ordnete man dem Begriff »attraktiv« doch einen gewissen Liebreiz zu. Brigitte jedoch hatte ausgesehen wie ein Berufsringer nach der Geschlechtsumwandlung. Was dem Fass den Boden ausschlug, war, dass sie verduftet war, als sie mich vor dem Da Vinci gesehen hatte. Ich war gekränkt. Diese Frau sah aus wie ein gottverdammter Cyborg und leistete sich den Luxus, wählerisch zu sein? Was für eine verdrehte, kranke Welt!

Ich verlor mich in Grübeleien und hasste mein Leben. Ich überlegte, ob ich noch ins Kino gehen sollte. In der Spätvorstellung lief ein neuer John Wick. Es war immer ganz entspannend, dabei zuzusehen, wie ein einzelner Mann Heerscharen von gottlosen Dreckskerlen erschoss. Außerdem konnte man so ganz nebenbei seine Aggressionen ausleben. Ein Anruf von Kopetzky kam dazwischen. Ihm war eine Bedienung ausgefallen, ob ich noch bis Feierabend aushelfen könne. Ich sagte sofort zu.

»He, Wiesel!« Anja W. hantierte an der Kasse und sah mich nicht mal dabei an.

»Wieso nennst du mich eigentlich Wiesel? Ich weiß, ich bin flink, aber es gefällt mir trotzdem nicht.«

Sie blickte irritiert auf. »Nenne ich dich nicht Wiesel, weil bist du flink.«

»Nicht?«

»Nenne ich dich so, weil du bist klein verschlagenes Rattentier.«

»Ach! Na, dann vielen Dank für deine Offenheit.« So eine Unverschämtheit!

»War sie übrigens da«, sagte Anja dann.

Ich ahnte sofort, von wem die Rede war. »War sie da? Wer?«

»Deine kleine Apfelarsch. Uschi.«

»Uschi? Ich kenne keine Uschi. Warte … Meinst du Astrid?«

»Ach ja, ist es Astrid.«

Mir schwindelte. »Und die war heute Abend hier?«

Anja W. sah zu mir und lächelte bösartig. »Ja, und hat sie sogar nach dir gefragt. Arbeitet kleine Wiesel heute nicht? Würde ich mich gern mal bergwerktief verabreden unter meine Niveau …«

»Sehr lustig. Und hast du sie vielleicht nach ihrer Telefonnummer gefragt?«

»Was denkst du wohin? Will ich sein verantwortlich, du pflanzt dich fort und breitet sich deine Art aus auf unsere Weltball? Haben wir genug Plagen.«

Ich hörte ihrem Gegifte gar nicht mehr zu und verfluchte mich innerlich. Hätte ich nicht mit Anja W. den Dienst getauscht, könnte ich jetzt bereits dem Himmel ganz nah sein. Eine schöne Schweinerei. »Und wieso erzählst du mir das?«, entfuhr es mir wütend in Anjas Richtung. »Macht es dir Spaß, andere zu quälen?«

»He!«, fauchte Anja W. »Redest du nicht so! Kann ich wenigstens noch sehen in die Spiegel, anders als gewisse Wiesel, die bohren in die Nase nur.«

»Danke. Dir auch einen schönen Abend!« Ich hatte genug, drehte mich weg und schnappte mein Tablett, das ich auf einem Tisch abgestellt hatte.

»He! Wiesel!«

»Was denn noch?«

»Hat dein Zuckerpopo noch was gelassen hier.« Ich sah zu Anja W. zurück. »Was?«

»Hat sie was gepinnt an Schwarze Brett.«

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen. Dann trat ich zum Schwarzen Brett, das zugepflastert war mit Wohnungsgesuchen und Verkaufsangeboten. Der Zettel von Astrid war ziemlich genau in der Mitte.

Hundesitter gesucht! Bezahlung 5 Euro pro Stunde. Bitte melden bei Astrid Eisenvater

Astrid Eisenvater. Ein Name wie eine Melodie.

Unten waren zehn Zipfel mit der Telefonnummer. Es fehlte noch keiner. Ich riss sie alle ab und war wieder im Geschäft …

2. Jake

»Eisenvater?«

»Hallo! Hier ist Mäx Bichel. Ich rufe an wegen des Hundesittings. Haben Sie da schon jemanden? Sonst wär ich interessiert.« Ich versuchte, so beiläufig zu klingen wie möglich.

»Mensch, das ist ja nett! Die Stelle ist noch frei. Könnten Sie denn auch tagsüber mal?«

»Ich arbeite in einer Kneipe, am Abend. Tagsüber kann ich gut.«

»Wirklich? Großartig! Könnten Sie vielleicht gleich morgen vorbeikommen?«

»Na sicher. Wann und wo?«

»Leipziger Straße 136. Astrid Eisenvater. Steht auch auf dem Klingelbrett. So um eins?«

»Um eins. Alles klar! Dann bin ich da.«

»Moment!«, warf Astrid ein. »Ich will es lieber gleich sagen: Mein Jake ist ein Dobermann. So ganz einfach ist er nicht. Er eignet sich nicht für einen Hunde-Anfänger.«

Schluck! Was jetzt? Ich war ein Anfänger. Und zwar von der blutigsten Sorte. Über den Hund hatte ich mir überhaupt noch keine Gedanken gemacht. Egal. Wenn ich dieser Frau näherkommen wollte, durfte ich jetzt nicht kneifen. Wieso auch? Ein Dobermann war ja schließlich kein Säbelzahntiger.

»Also, haben Sie Erfahrung mit Hunden?«, erkundigte sich Astrid fernmündlich.

»Sicher«, log ich dreist. »Alle Sorten, alle Größen. Kein Problem.«

»Ja, dann ist es ausgemacht. Bis morgen um eins also. Tschühüss!«

»Alles klar. Tschüss!«

Ich atmete erleichtert auf. Das war ja besser gelaufen als erwartet.

»Ein Dobermann? Echt? Wieso nicht gleich ein bengalischer Tiger?« Gordon fand die Idee hirnrissig.

»Also ich glaube, dass die Trickfilmhunde aus den japanischen Animes, die du so gern guckst, den Hunden in der Wirklichkeit nicht gerecht werden«, konterte ich. »Sie werden auch nicht automatisch zu Killermaschinen, wenn man sie von der Leine lässt.«

»Ist das der Satz, der auf deinem Grabstein stehen soll?«

»Ach, hör auf, Gordon! Ich bin nicht der Erste, der mit fremden Hunden Gassi geht.«

»Du willst hintenrum bei der Alten landen! Das geht genauso in die Hose wie das mit dem janusköpfigen Pferd.«

»Du meinst das trojanische Pferd.«

»Nein, du Besserwisser, ich meine das ›janusköpfige Pferd‹! Das aus Holz mit den dreihundert Spartanern darin. Die, die am Ende alle draufgegangen sind. Bittere Geschichte. Aber geiler Film.«

Ich legte bedächtig meine Fingerkuppen aneinander. »Ein Lehrer an meiner Schule hat mir mal gesagt, das Problem mit den Leuten wären nicht die Dinge, die sie nicht wissen, sondern die falschen Sachen, die sie wissen. Er hatte recht.«

»Und wenn schon! Nun hör gut zu, mein ach so naiver Freund, welch geheime Weisheit ich dir jetzt offenbare …« Gordon machte eine Kunstpause, als würde jetzt gleich die Weltenformel kommen. »Der Mann führt, um der Frau zu dienen.«

Ich sah ihn skeptisch an. »Und wie willst du bitte den Frauen dienen? Ein Bursche, der sich rühmt, noch nie den Müll rausgebracht zu haben?«

»Das mit dem ›dienen‹ darf man nicht so wörtlich nehmen, compadre. Das heißt im Grunde nichts anderes, als dass du es der Alten einfach gründlich besorgen sollst.«

»Ah, jetzt ist alles klar! Danke, Gordon, du hast einen Blinden sehend gemacht.«

Gordon drückte den Joint aus und stemmte sich von seinem Sitz hoch. »Tja, wo ich gerade drüber nachdenke, ich hab meiner Perle lang nicht mehr gedient. Man sieht sich!«

Schon war er zur Tür hinaus.

Als ich kurz darauf noch den Abfall rausbrachte, stand ich bei den Mülltonnen ganz unvermittelt Hausmeister Schröder gegenüber. Der Schreck fuhr mir in die Glieder. Dabei hatte ich nichts Falsches getan. Mein Abfall war vorschriftsmäßig getrennt, und es gab keine Vorschrift, die besagte, dass man nach Mitternacht keine Mülltonnen mehr aufklappen durfte. Schröders Blick wirkte glasig. Er verzichtete auf die üblichen Vorträge und stapfte unsicheren Schrittes an mir vorbei. Hatte er getrunken? Man konnte fast den Eindruck haben. Doch was kümmerte es mich? Ich warf meinen Müll weg und ging schlafen.

Der große Tag war gekommen. Heute würde ich den Grundstein legen für eine Beziehung mit lovely Astrid, die sich in nicht allzu ferner Zeit vielleicht sogar zu einer Familie auswachsen würde. Ich verließ die Wohnung frisch geduscht und duftete nach Davidoffs Cool Water. Meine Klamotten waren erlesenes Understatement. Bluejeans und rotes T-Shirt. Sicher, es hatte einen Hauch von Tankwart, aber ich wollte nicht, dass Astrid die Tür aufmachte und sofort Lunte roch.

Leipziger Straße. Die 136 stand nirgendwo am Haus, da es jedoch direkt neben der 134 lag, musste es richtig sein. Astrid Eisenvater. Es stand am Klingelbrett, wie angekündigt. Ich füllte meine Lunge mit frischer Luft, klingelte und kurz darauf ertönte der Summer.

»Im zweiten Stock!«, rief jemand von oben herunter. Als ich die Treppe hochging, setzte Gebell ein. Das musste der Dobermann sein. Die Tür in der zweiten Etage war zu, als ich davor ankam. Es gab genopptes Milchglas in der Tür, und ich konnte die Umrisse eines dunklen Ungetüms sehen, als ich direkt davorstand. Trotzdem ich in meinem verwegensten Mentalmodus unterwegs war, rutschte mir das Herz in die Hose.

»Aus, Jake!«, rief jemand von innen und öffnete die Tür. Sofort schoss der Dobermann heraus und sprang mich an. Er stand nun auf seinen Hinterbeinen, stützte die Vorderläufe an meine Brust und bellte mir ins Gesicht. Auch mit sehr viel Fantasie war das wohl kaum der Ausdruck eines herzlichen Willkommens.

»Aus, Jake!«, zischte Astrid erneut ihren Hund an. »Du spinnst wohl! Bei Fuß!« Sie riss das Tier an seinem Halsband grob von mir weg. »Aus!«

Jake sah zu seinem Frauchen auf. Er hatte wohl eher ein Lob erwartet.

Astrid reichte mir ihre zierliche Hand. »Mäx! Hallo! Komm doch rein. Wir sagen einfach Du, okay?«

»Gern.« Das Lächeln der jungen Frau wärmte mein Herz. So schöne Augen hatte Astrid! Wirklich schöne seegrüne Augen. Und ein zarter Duft von Apricot wehte herüber. Verweile doch, Moment, du bist so schön! Sie war aber wohl in Eile und holte die Leine vom Haken.

»Ich muss leider so zwei Stunden weg. Geht das, dass du solange mit ihm unterwegs bist?«

»Klar!«, meinte ich lässig, während ich unbehaglich zu dem lauernden Hund äugte.

»Also, ganz wichtig: Lass Jake nie, nie, nie von der Leine! Das kann er nicht. Er ist etwas schwer von Begriff und stellt dann sonst was an.«

»Klar! Nicht von der Leine lassen.«

»Weißt du, er braucht eine starke Hand. Man muss konsequent sein, schimpfen.« Sie ballte ihre Faust, die etwa so bedrohlich wirkte wie eine Mandarine.

»Konsequent! Absolut! Schon meine Eltern waren sehr konsequent«, versicherte ich und unterstrich meine Worte mit lässig wedelndem Zeigefinger. Da schnappte Jake von hinten zu und biss mich herzhaft in den Allerwertesten.

»Aaauuu!« Ich machte erschrocken einen Satz, und Jake fing an zu bellen.

»Was ist?«, fragte Astrid.

»Er hat mich gebissen! In den Hintern!«, stammelte ich. Es tat ziemlich weh. Jake hatte bestimmt kein Stück aus mir herausbeißen wollen, hatte meinen hohen Zeigefinger aber vielleicht als Angriff auf sein Frauchen gewertet.

Astrid beugte sich zu Jake hinunter und schlug ihn auf den Rücken. »Ganz böser Hund! So, mein Freund! Kein Abendessen heute!« Sie sah wieder zu mir. »Ist es schlimm?«

»Äh, nein, geht schon.« Was hätte ich auch sagen sollen? Dass ich gern ins Krankenhaus gefahren wäre, um mir eine Tetanusspritze geben zu lassen? Nein, wenn ich hier jetzt herumweinte, würde ich das Gipfelkreuz des Mount Astrid niemals sehen. »Gott sei Dank hat er sich von hinten angepirscht und nicht von vorn«, sagte ich.

Astrid lachte hell auf. »Du bist witzig! Mit deinem Humor kann ich wirklich gut.«

Ich lächelte cooler, als es der Zahnabdruck Jakes in meinem Hinterteil eigentlich zuließ.

»Meinetwegen musst du Jake nicht hungern lassen. Sicher wollte er nur spielen.«

Astrid musterte den Hund. »Das weiß ich nicht. Das ist ein schlimmer Schlawiner.«

»Ach, Jake ist okay. Toller Bursche! Wenigstens keine Pussy«, brabbelte ich, durch den Biss total neben der Spur.

Astrid war für gute Worte empfänglich und sah zu ihrem Hund. »Na ja, geht so. Du, ich bin schon zu spät! Bis später, okay?« Sie öffnete die Tür, leinte Jake an und reichte mir den Lederriemen. Unten am Halsgeschirr hing ein kleines silbernes Glöckchen, das bei jedem Schritt ein zartes Klingen vernehmen ließ. Ich nahm die Leine und spazierte brav mit dem Hund hinaus. Das heißt, ich wollte es, Jake jedoch rührte sich nicht. Er sah sein Frauchen an, so als wollte er sagen: »Das ist jetzt nicht dein Ernst!«.

»Geh, Jake! Sofort!«

Ganz so schwer von Begriff, wie angekündigt, war der Hund nicht. Er setzte sich in Bewegung.

»Ach, warte!«, rief Astrid. Sie angelte einen kleinen Beutel von der Kommode und zog zwei kleine schwarze Tütchen heraus, die sie mir aushändigte. »Fürs Geschäft!« Sie schickte ein süßes Lächeln hinterher und schloss die Tür von innen.

Kaum dass wir aus dem Haus heraus waren, begann Jake wie verrückt an der Leine zu ziehen. Er war ein richtiges Kraftpaket. Da, wo der Hund mir in meine vier Buchstaben gebissen hatte, zwiebelte es gewaltig, und es wurde nicht besser.

»Nicht ziehen!«, rief ich dem Hundevieh zu und blieb einfach stehen. Jake musste lernen, seinen Schritt dem Menschen anzupassen. Keinesfalls durfte er ziehen. Eine Freundin meiner Mutter, selbst eine Hundehalterin, hatte gepredigt, dass man jedes Mal stehen bleiben solle, wenn der Hund zog, bis er es lernte.

»So, Jake! Ab heute weht ein anderer Wind! Nicht ziehen!«

Leider hatte die Hundebekannte meiner Mutter nicht gesagt, wie lange es dauerte, bis ein Kampfhund den Befehl »nicht ziehen« verinnerlicht hatte. Jake jedenfalls zog nach Herzenslust und kümmerte sich einen feuchten Dreck um meine Anweisungen. Der Hund markierte alles, was höher war als ein Ziegelstein. Er wirkte hektisch und nervös. Er verbellte jeden Fahrradfahrer, der vorbeifuhr, und warf sich in die Leine wie ein bockender Mustang. Irgendwann setzte Jake sich dann, um sich zu entschlacken, und gebar ein Monstrum. Danach blickte er hoch, als wollte er checken, ob der Toilettenmann auch auf Stand-by war. Da musste ich wohl durch. Ich stülpte mir die schwarze Tüte über die Hand und ergriff das Geschäft. Der nächste Mülleimer war schnell gefunden.

Die Schmerzen in meiner Pobacke wurden schlimmer. Ich fand es irritierend, dass Astrid so schnell zur Tagesordnung übergegangen war. Was nun? Zu einem Arzt konnte ich nicht.

Oder in eine Notaufnahme. Jedenfalls nicht mit einem Vieh, das zu fünfundsiebzig Prozent aus Reisszähnen bestand. Ich beschloss, mir das Malheur daheim mal im Spiegel anzusehen.

Ein Mann mit einem großen Dalmatiner kam uns entgegen. Jake knurrte und stellte sein Fell auf. Ich hielt instinktiv an und starrte den anderen verunsichert entgegen.

»Alles gut! Meiner tut nichts!«, rief das Herrchen vom Dalmatiner gut gelaunt. Jake jedoch explodierte, machte aus dem Stand einen Riesensatz und warf sich auf den anderen Rüden. Ein wildes Knäuel begann zu rotieren. Ich zerrte verzweifelt an der Leine, leider vergeblich. Der Besitzer des Dalmatiners warf sich ins Gewühl und trennte die Hunde. Jake verbiss sich im Ärmel des Mannes. Ich ruckte mit aller Kraft an der Leine und zerrte meinen Hund vom Dalmatiner weg. Dabei riss der Mantelstoff des Hundebesitzers.

Schwer atmend sah der Mann von seinem zerfetzten Ärmel zu mir. »Mensch, Sie haben Ihren Köter ja überhaupt nicht im Griff! Das ist ein Dobermann!«

»Äh … Er ist sonst … sehr lieb.«

»Das war ein ganz neuer Mantel! Sehen Sie sich die Schweinerei an! Das ersetzen Sie mir! Sie geben mir Ihre Personalien!«, herrschte mich der Mann an.

Ich sah mich hastig um. Wir standen auf der Leipziger. Obwohl es sich um eine Hauptstraße handelte, war außer uns beiden weit und breit niemand zu sehen. »Also, ich möchte Ihnen meine Personalien lieber nicht geben«, sagte ich.

»Wie bitte? Das läuft so nicht, junger Freund! Ich kann auch anders, ja?«

Langsam nervte mich der Typ. Der war doch selbst schuld mit seinem: »Mein Hund tut nichts!«. Ich versteifte mich. »Und? Was wollen Sie tun? Scooby Doo auf mich hetzen?«

»Das ist doch die Höhe! Ihr Killerhund, der gehört eingeschläfert!«

»Wenn ich zu Hause bin, erschieß ich ihn.« Ich zog von dannen.

Hinter mir Fassungslosigkeit. »Sie können nicht einfach weggehen! Das geht nicht!«

Ich zog Jake um die nächste Ecke. Mir war ganz schön mulmig. Machte ich mich gerade strafbar? War das möglicherweise Hundeführerflucht? Der Dalmatiner-Spießer rief vielleicht gerade die Polizei.

»Komm Jake! Speedrunde!« Ich rannte los. Sicher würde bald eine Streife auftauchen, und so viele Dobermänner gab es in Fulda bestimmt nicht.

Ich rannte schnurstracks nach Hause. Anja W. kam mir wieder in den Sinn und dass sie mich Wiesel nannte. Die feine englische Art war es sicher nicht gewesen, den Mann mit dem zerfetzten Ärmel seinen eigenen Nähkünsten zu überlassen. Aber wenn ich von meinem ersten Gassi-Gang schon gleich ein Polizeiprotokoll mit nach Hause brachte, rückte eine gemeinsame Zukunft mit Astrid in weite Ferne.

Schröder hatte einfach ein Näschen für seine Pappenheimer. Natürlich kam er just aus der Haustür, als ich mit Jake herankeuchte. »Ein Hund?«, ächzte der Hausmeister.

»Nein, eine Kegelrobbe«, entgegnete ich.

Schröder ignorierte meinen Versuch, die Stimmung aufzulockern. »Hunde sind in diesem Haus nicht erlaubt! Kennst du die Hausordnung nicht?«

»Ehm … genau genommen ist es nicht mein Hund. Ich führe ihn nur aus.«

»Ja und? Hunde dürfen trotzdem nicht ins Haus!«

»Doch!«, widersprach ich. »Im gesetzlichen Mietrecht gibt es eine Klausel, die klarstellt, dass der Besuch von Haustieren zumutbar und bis zweiundzwanzig Uhr ausdrücklich gestattet ist.« Das war natürlich ein Bluff, denn ich glaubte nicht, dass Schröder sich im Mietrecht so gut auskannte. »Komm, Jake«, sagte ich und ging am überrumpelten Hausmeister vorbei.

Als ich meine Jeans ausziehen wollte, hielt ich inne und fixierte den Hund. »So, Sportsfreund, halt dich zurück, okay?« Ich hatte keine Ahnung, ob der Dobermann mich verstand, aber ich musste jetzt meine Familienjuwelen freilegen, wenn ich meine Bisswunde im Spiegel betrachten wollte. Jake legte sich brav auf den Boden. Offensichtlich war er grad nicht in Stimmung für einen Weichteilsnack.

Es sah übel aus. Der Biss in der Pobacke schillerte farbig. Bluten tat er nicht, der blaue Fleck leuchtete jedoch riesig, und da, wo die Zähne zugepackt hatten, waren richtig rote Stellen. Anja W. fiel mir ein. Sie hatte Krankenschwester gelernt. Also rief ich sie an.

Die Kollegin war direkt am Telefon. »Wiesel? Was ist?«

»Ich bin von einem Hund gebissen worden. Und du warst doch in Polen früher Krankenschwester. Soll ich vorsichtshalber ins Krankenhaus?«

»Du führst aus den Uschi-Hund?«

»Astrid! Sie heißt Astrid! Also, das ist ein großer Hund, und er hat mich in den Arsch gebissen. Was mach ich nun? Ich kann doch mit so einem gefährlichen Tier nicht in irgendein Wartezimmer.«

»Machst du Foto und schickst mir Whatsapp!«

»Du willst, dass ich meinen nackten Hintern fotografiere und dir schicke?«

»Ja«, antwortete Anja W. trocken. »Geht Herzenswunsch mir in Erfüllung.«

Ich fand es nicht witzig und quittierte es mit einem unwilligen Laut. Dann stellte ich mich vor den Spiegel und schoss mit dem Handy ein paar Popo-Selfies, die ich Anja rüberschickte.

»Wie sieht aus das Hund?«

»Na, wie ein Dobermann. Wieso?«

»Ist verwahrlost oder macht gepflegten Eindruck?«

»Nee, verwahrlost ist er nicht.«

»Gut, dann egal. Ist blauer Fleck weg in drei Tage!«

»Und wenn er die Tollwut hat?«

»Bist du dann weg in drei Tage. Aber Welt verschmerzt schon, wenn du Löffel gibst ab.«

»Ach, leck mich doch. Ähm … trotzdem danke!«

Das Gespräch war zu Ende. Ich sah den Hund an, der auf dem Boden lag und zu mir heraufäugte. Mit einem gerüttelt Maß Verachtung, wie leicht zu erkennen war.

»So, Kumpel! Ich bin nicht so ein Schwein, dass ich jetzt billige Rache an dir übe«, sagte ich fest. »Also, bevor du zu Hause wirklich nichts zu essen kriegst, werd ich dir jetzt was kaufen. Gern tu ich es nicht. Du Psycho!«

Ich band Jake vor dem Rewe an und holte ein paar Hundesnacks. Dann ging ich mit ihm auf die Wiese und fütterte ihn. Da ich meine Finger auch nicht ein rotierendes Messerwerk gesteckt hätte, warf ich die Leckerchen einfach in die Höhe. Jake schnappte einige aus der Luft und fand auch die, die zu Boden fielen. Wenig später hatte er alles hinuntergeschlungen. Ich sah auf mein Handy. Es war Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Ich sagte noch etwa fünfundzwanzigmal »Nicht ziehen!«. Aber der erhoffte Lernerfolg blieb aus. Natürlich. Jake konnte mich nicht leiden. Und ich mochte ihn genauso wenig.

Es war nun schon eine halbe Stunde über der Zeit, und ich stand mit mäßig intelligentem Gesichtsausdruck vor der 136 auf der Leipziger. Da ich nur Astrids Festnetznummer hatte, konnte ich sie nicht erreichen. Jake wurde ungeduldig. Die Warterei war für den unruhigen Hund zu viel. Er begann an der Leine zu zerren. Energie hatte er noch ohne Ende. Ich überlegte. Es würde mir vielleicht Pluspunkte einbringen, wenn ich den Hund richtig auspowern würde. Hinter dem Hotel Lenz gab es eine Schrebergartenkolonie. Das war ein ganz gutes Gelände mit einem kleinen Bach. Also los!

Es hatte zu nieseln begonnen, und auf dem Spielplatz neben den Schrebergärten waren keine Kinder zu sehen. Ich überlegte, ob Jake apportieren konnte. Ich hob einen Ast vom Boden hoch. Der Hund straffte sich. Aha! Der Herr war also im Bilde. Natürlich wusste ich, dass ich den Dobermann nicht von der Leine lassen sollte. Das hatte Astrid ziemlich deutlich gemacht. Andererseits war hier niemand, und außer dass Jake vielleicht in den Bach sprang und sich schmutzig machte, konnte nicht viel passieren. Ich ließ den Hund frei und warf das Stöckchen. Jake setzte ihm nach wie ein geölter Blitz. Er schnappte zu, kam zurück und hielt in etwa zehn Meter Entfernung an. Hier ließ er das Holz fallen. Okay, die Botschaft war unmissverständlich: So gute Freunde waren wir nicht, dass Jake den Ast akkurat vor meinen Füßen ablegte.

»Das üben wir noch«, knurrte ich in die einsetzende Dämmerung. Also machten wir mit dem Apportieren weiter. Das klappte überraschend gut. Wie Jake dem Stock in weiten Sätzen nachging, das war schon geschmeidig. Ich warf den Ast noch höher und weiter. Gerade als ich es gut sein lassen wollte, drehte Jake den Kopf und erstarrte. Dann ging er ab wie ein Bolzengeschoss.

»He, warte!«, stieß ich hervor, aber da war mein Schützling bereits aus meinem Sichtfeld verschwunden. »Komm zurück, Jake! Wir wollen mal nach Hause!«

Jake kam nicht wieder. Ich lief herum und suchte alles ab. Kein Hund. War vielleicht doch etwas voreilig gewesen, den Dobermann abzuleinen.

»Jake! Jake!« Ich graste das Gelände wieder und wieder ab. Da war die Dämmerung schon hereingebrochen. So ein Mist! Auf der Zielgerade hatte ich mir noch ein Ei gelegt. Ich musste Astrid anrufen. Vielleicht war sie ja inzwischen zu Hause.

Tatsächlich hob sie sofort ab.

»Astrid, sorry, hier ist Mäx! Ich bin hier bei den Schrebergärten, und Jake ist mir abgehauen! Tut mir wirklich leid!«

»Jake ist hier.«

Uff! Mir fiel ein Stein vom Herzen.

»Komm einfach her«, schlug Astrid vor, und sie klang eindeutig ärgerlich.

3. Die Bohrinsel

Auf dem Küchentisch von Astrid lag ein totes Karnickel. Meine Auserwählte sah mir ernst ins Gesicht. »Dobermänner sind Sichtjäger! Wenn du ihn von der Leine lässt und er sieht ein Kaninchen, geht er ab wie der Terminator!«

»Ich … ich dachte nicht, dass es hinter dem Hotel Lenz Kaninchen gibt«, stotterte ich, obwohl die Schlappohren da ständig regelrechte Kongresse abhielten.

»Doch! Jede Menge!« Astrid deutete auf den Kadaver, während Jake dösend in seinem Riesenkorb lag und mit sich und der Welt offenbar recht zufrieden war.

Astrid musterte mich streng. »Sei ehrlich, Mäx. Wie viel Erfahrung mit Hunden hast du?«

»Na ja, zugegeben, ich habe bisher nur so Pudel und Golden Retriever ausgeführt.«

Astrid lachte auf, als hätte ich gerade gesagt, meine Erfahrungen beschränken sich auf den Streichelzoo. »Golden Retriever? Pudel? Das sind bessere Stofftiere! Jake ist ein Kampfhund! Der braucht eine starke Hand. Der akzeptiert keine Weicheicher!«

Weichei? Das tat weh.

»Ist vielleicht besser, ich such mir jemand anderen zum Gassigehen!«

»Astrid«, versuchte ich zu retten, was noch zu retten war. »Klar, das war blöd, dass ich Jake von der Leine gelassen habe. Zu meiner Verteidigung: Ich habe das gemacht, gerade weil ich schon eine Menge Erfahrung habe. Das passiert mir nicht noch mal. Ich lass ihn halt nicht mehr laufen und dann gibt’s keine Missverständnisse mehr.«

Astrid winkte ab. »Ich lass ihn auch manchmal von der Leine. Jake hört nur nicht gut. Aber das muss er. Wenn du sagst ›Komm!‹ dann muss er auch kommen.«

Astrid sah aus, als wäre das Thema für sie damit erledigt. Sie stand auf.

»Ich zieh mich mal um. Ich bin total verschwitzt.«

Und mich drückte meine Blase. »Könnte ich mal deine Toilette benutzen?«

»Klar. Komm mit.«

Ich folgte ihr und sah zum ersten Mal ihr Becken von hinten. Astrid hatte eine Wespentaille, dafür jedoch ein breites Becken. Die Jeans über ihrem Po saßen stramm wie bei einem Trampolin.

»Da!« Astrid deutete auf die Badezimmertür. Sie ging in ihr Schlafzimmer und ich suchte das Bad auf. Ich schloss ab und suchte nach irgendwelchen Warnschildern, die es Steinzeitmännern und eingefleischten Freihändigpinklern verboten, sich im Stehen zu erleichtern. Da war zwar nichts, aber ich setzte mich sicherheitshalber auf den Thron. Ich entspannte seufzend. Mann, war dieses Mädchen süß! Warum musste sich ein so zartes Wesen solch ein Untier halten? Was wäre gegen einen Spitz einzuwenden gewesen? Nein, ein Dobermann musste es sein, der Nazi unter den Hunden. Und hässlich war er! Gut, so schlecht sah er nicht aus, trotzdem, sein Wesen war unter aller Kanone.

Nebenan war ein Handyklingeln zu hören. Astrid ging dran. Was sie sagte, konnte ich nicht verstehen. Ich stand auf, spülte und wusch mir die Hände. Ich tat das besonders lange und gründlich, damit meine Gastgeberin nicht dachte, dass ich ein Schweinigel sei.

Ich verließ das Bad und ging zur Küche zurück.

»Ach Mensch, wie blöd! Das schaff ich nicht«, sagte Astrid.

Ich kam an ihrem Schlafraum vorbei und blickte flüchtig hinein. Und da stand sie, Astrid, und sie war splitternackt. Ich verlangsamte, während mein Herz einen aufkommenden Infarkt niederkämpfen musste. Der Anblick von Astrid in Natur stanzte sich regelrecht in meine Hirnlappen. Ihre Brüste waren wie von Mozart komponiert, edel und fein und nach zartbitter aussehend. Ihre Warzen wirkten wie schwarze Knöpfe, mit denen man Atomschläge auslösen konnte. Und dann ihr pechschwarzes Bermudadreieck, dessen dunkler Flaum in einer zarten Spur keck bis zum Bauchnabel hochrankte.

Astrid bemerkte mich und sah mir ins Gesicht. Ich griente mit knallroter Birne. Sie hielt das Handy zu und raunte: »Ich komm gleich!«

Ich marschierte wie unter Drogen zur Küche, wo Jake schläfrig zu mir hochblinzelte. Ich setzte mich. Wow! Und noch mal wow! Mein kleiner Unteroffizier war wie ein Springmesser auf Posten geschnellt und hielt Ausschau nach dem Grund des roten Alarms. Schade, dass ich ihre Kehrseite nicht hatte sehen können. Doch halt! Ich war schließlich kein Primat wie Gordon, der, hätte er in der Antike gelebt, den Raub von Sabinerinnen hauptberuflich betrieben hätte. Als meine Netzhäute aufgehört hatten zu rauchen, lehnte ich mich auf dem Stuhl zurück. Astrid war ein Frauenzimmer, das der liebe Gott am Sonntag erschaffen hatte. Und hatte sie nicht auch souverän reagiert? Kein hysterisches Zuwerfen der Tür, kein hastiges Verdecken der Blöße. Sie war von der Natur makellos geschaffen, und sie stand dazu. Wie nur hatte sie sich vom Olymp nach hier unten verirren können?

Wenig später kam Astrid in die Küche zurück. Sie trug einen bequemen Hoodielook, nahm sich die Kaffeekanne aus dem Automaten und schenkte sich eine Tasse ein. »So ein Mist!«, brummte sie verdrossen, als sie sich gesetzt hatte.

»Was ist passiert?«, erkundigte ich mich.

»Ich hab ein Angebot bekommen. Eine Ölplattform vor Wales. Ein Kollege ist ausgefallen, jetzt haben sie mich angerufen. Das wäre die Chance gewesen!«

»Wie? Du willst auf einer Bohrinsel arbeiten?« Ich war verwirrt.

»Ich bin Fotografin. Ich sollte sie fotografieren. Für eine Reportage. Drei Tage lang.«

»Ach! Und du hast schon andere Termine?«

»Nein. Ich habe Jake.«

Ich starrte sie an. Und ich begriff es nicht. »Wie? Und das verträgt sich nicht? Ich meine, einen Dobermann zu haben und Fotografin zu sein?«

»Ich bin noch nicht so lange Fotografin. Ich habe erst vor Kurzem umgesattelt.«

»Was hast du denn vorher gemacht?«

»Informatik. Aber das war eine Pleite.«

»Informatik? Echt?«

»Es war einfach nur öde für mich.«

»Und wie kommst du zum Fotografieren?«

»Ich hab bei uns in der Verwandtschaft die Hochzeiten fotografiert. Das lief gut. Also wollte ich das ausprobieren. Ich habe bloß nicht an Jake gedacht. Letztens sollte ich ein Bundesligaspiel fotografieren und hab ihn einfach mitgenommen. Katastrophe!«

»Und wieso?«

»Als die Spieler sich aufgewärmt hatten, ist Jake auf den Platz gelaufen und war dem Ball nachgejagt. Jetzt hat er in Frankfurt Stadionverbot.«

»Und du hast keinen, bei dem dein Hund bleiben kann?«, fragte ich harmlos, denn ich witterte sofort meine Chance.

»Was ich schon für Hundesitter verschlissen habe, darf man niemandem erzählen. Keiner hält es lange mit Jake aus. Er ist einfach zu hibbelig.«

»Was ist mit der Familie? Freunden?«

»Da gibt’s nur meine Mutter oder Tibor. Meine Mutter nimmt Jake jeden Freitag. Aber sie kriegt ihn überhaupt nicht in den Griff. Und sie wohnt draußen in Maberzell.«

»Wer ist Tibor?«

»Mein Ex. Er hat mir Jake damals geschenkt.«

»Kann er ihn nicht für drei Tage nehmen?«

»Auf gar keinen Fall! Er ist mein Ex-Freund, und ich will ihn nie wiedersehen.«

»Oh«, machte ich. »Was ist passiert?«

Astrid seufzte. »Ein Seitensprung. Hat alles kaputtgemacht.«

»›Typisch Mann‹, kann man da nur sagen«, heuchelte ich Anteilnahme

»Wieso ›typisch Mann‹?« Astrid blickte irritiert. »Ich war es, die ihn betrogen hat.«

»Oh! Und?«

Astrid winkte ab. »Er wollte es mir nicht verzeihen. Dabei hab ich ihm gesagt, dass es keine Bedeutung hatte. Es war nichts als Gymnastik.«

»Wie lange ist das her?«

»Drei Jahre … Wieso hat er mir nicht vergeben können? Wäre ihm da ein Zacken aus der Krone gefallen? Nein! Ich frage ihn nicht, ich habe auch meinen Stolz.«

Ich beugte mich vor. »Was ist, wenn du den Job auf dieser Bohrinsel einfach zusagst? Ich meine, es sind nur drei Tage. Und ich nehme Jake solange.«

Astrid brauchte einen Moment. »Das … geht nicht. Ich meine, ich kenne dich kaum …«

»Ach, Blödsinn! Sag zu, und ich nehme die Bestie.«

Astrid begann zu schwanken. »Weißt du überhaupt, worauf du dich einlässt?«

»Komm, was soll schon passieren?«, winkte ich lässig ab. »Ich muss Jake doch sowieso näher kennenlernen, damit er auf mich hört. Da wäre eine kleine Intensivschulung doch nicht übel. Und du kannst die Bilder des Jahres machen. ölverschmierte Muskelmänner, die mit Delfinen schwimmen. Oder so.«

Astrid lächelte amüsiert. Dann faltete sie ihre Hände und legte sie an ihre Nase. Sie grübelte. »Sehr verantwortungsvoll wäre das nicht von mir, oder?«

»Du musst auch an deine Zukunft denken. Und dieser Job hört sich wichtig an.«

Astrid rang dennoch weiter mit sich. »Ich weiß nicht. Ich kann das doch nicht bringen. Das ist ja kein Fahrrad, das ist mein Hund. Und ich soll ihn dir drei Tage überlassen? Du könntest sonst wer sein.«

»Na, hör mal! Du kennst mich. Ich bin der Kellner vom Einstein.«

Ihre Augen wurden groß wie Untertassen. »Du bedienst im Einstein? Wie jetzt?«

Was denn? Ich war ihr überhaupt nicht aufgefallen? Das war bitter. »Warum rufst du nicht deine Freundin Biggi an? Die kennt mich, seit ich sie sternhagelvoll vom Lokal zum Taxistand gebracht und dem Fahrer die Tour im Voraus bezahlt habe.«

Jakes Frauchen sah mich skeptisch an. »Oh, die Geschichte kenn ich. Biggi sagt, du wärst voll der Nerd! Du hast versucht, sie zu daten.«

Es führte zu nichts. Astrids Zweifel an mir würde ich kaum ausräumen kommen. Ich musste die Strategie ändern. Es galt, ihren persönlichen Vorteil mehr in den Fokus zu rücken. »Ich versteh dich, keine Frage. Ich denke mir nur gerade: Was, wenn das die eine große Chance ist und nichts mehr nachkommt? Mal angenommen, dass genau hier der Wendepunkt in deinem Leben ist, und du … du verpasst ihn, weil der Hundesitter in deinem Persönlichkeits-Check nicht auf hundert Punkte gekommen ist?«

Es war ihrem Gesicht abzulesen, dass dieser Gedanke ihr nicht gefiel.

»Und bedenke, dass es sich bei Jake nicht um eine fragile Vase aus der Ming-Dynastie handelt, sondern um einen Dobermann«, führte ich mein Plädoyer weiter. »Es gibt bestimmt Leute, die sich mehr Sorgen um mich machen würden als um ihn.«

Sie schlug die Hände vor die Augen. »O Himmel! Du verwirrst mich total …«

»Astrid! Es geht hier nicht nur um Jake. Es geht auch um dich. Und um deine Selbstverwirklichung. Deine Karriere. Dein Schicksal. Wie soll denn dein Hund glücklich sein, wenn du es nicht bist?«

Heißa, das war brillant. Es ging doch nichts über die gute alte Küchenpsychologie. Ich sah Astrids Blick an, dass ich sie hatte.

»Du hast recht«, sagte sie. »Was hat Jake davon, wenn ich hier versauere und das ganze Leben an mir vorbeigeht? Mir ist zwar nicht ganz wohl dabei, aber ich kann mir diese Gelegenheit wirklich nicht entgehen lassen. Ich überlasse dir Jake. Schweren Herzens.« Sie nahm ihr Handy und wählte eine Nummer. Dann sagte sie ihrem Auftraggeber zu.

»Wann geht es los?«, erkundigte ich mich.

»Donnerstag früh. Trotzdem wäre es super, wenn du Jake schon am Mittwoch holst.«

»Gebongt. Pack mir nur genug schwarze Tütchen ein.«

Es war der perfekte Moment, sich zu verabschieden. Es war gelaufen wie gemalt. Natürlich war meine strategische Performance auch vom Allerfeinsten gewesen. Wie ich aus der Tatsache, dass ich Astrids Hund verbummelt hatte, noch auf die Siegerstraße abgebogen war, konnte nur als virtuos bezeichnet werden.

»Also dann. Bis Mittwochabend«, sagte ich, als ich lässig im Türrahmen stand.

Astrid runzelte die Stirn. »Hast du nicht was vergessen?«