Von Anekdote bis Wundergeschichte - Josef Epping - E-Book

Von Anekdote bis Wundergeschichte E-Book

Josef Epping

4,9
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2010
Beschreibung

Sprachformen des Glaubens verstehen

Menschen sprechen auf verschiedenste Weisen von Gott. Ob in Gebet, Bibeltext oder Witz: Nur wer die Gattung beachtet, versteht die Aussage. Dieses Arbeitsbuch erläutert 24 Textsorten durch Beispiel, Definition und Merkmale. Übungen, Lösungstipps und ein Glossar der Fachbegriffe machen es zu einem hilfreichen Begleiter für Lehrkräfte und SchülerInnen der Oberstufe.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 400

Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Vorwort
EINLEITUNG
ANEKDOTE
Einführung
Merkmale
Die Anekdote als Sprachform des Glaubens
Beispieltext
Erläuterung
Übungsaufgaben
ARGUMENTATION
Einführung
Argumentieren als Weise, von Gott zu sprechen
Merkmale
Beispieltext
Copyright
VORWORT
Es gibt Buchtitel, die keimhaft das ganze Buch enthalten und aussagen. So ist es mit der kraftvollen Metapher, die der Theologe Hans Urs von Balthasar einem kleinen Werk aus dem Jahr 1972 vorangestellt hat: „Die Wahrheit ist symphonisch“1. Wer weiß, was eine Sinfonie ist, der versteht sofort, worum es geht: um die Vielstimmigkeit und den Zusammenklang in der Wahrheit. Ich hätte das vorliegende Buch auch gerne so genannt. Da der wundervolle Titel aber schon vergeben ist, musste ich einen anderen, umständlicheren wählen.
Die Wahrheit ist symphonisch - das gilt auch für die vielen Weisen, in denen Menschen von Gott sprechen können. Unter dem Druck zentraler Prüfungen sind wir gegenwärtig im Religionsunterricht in der Gefahr, von der Sinfonie zur Monotonie zurückzuschrumpfen, von der Polyphonie der vielstimmigen Gottesrede zur Monotonie und Monokultur der argumentativen theologischen Fachtexte.
Dieses Buch möchte anregen und ermutigen, im Religionsunterricht ein erweitertes Klangspektrum der Gottesrede wahrzunehmen und zum Klingen zu bringen. Es nennt die Formen und Gattungen „Weisen des Redens von Gott“. Damit ist bewusst ein ‚praktisch-induktives’2 Vorgehen gewählt. Man könnte auch von einer Theorie der Gattungen und Formen ausgehen - wenn es denn eine überzeugende gäbe. Der Ausgang von einer widerspruchsfreien Theorie ist für den Zweck dieses Buches aber nicht nötig. Das Verstehen von Texten ist nämlich kein Selbstzweck: In der Schule dient es der Aufgabe, sich selbst zu verstehen. An der Welterschließung soll der Lernende zur Selbstentfaltung kommen. Zu dieser Selbstentfaltung gehört auch die Eigenständigkeit. Daher ist dieses Buch vor allem für das eigenständige Arbeiten gedacht. Es soll aber nicht zum „Alleinverstehen“führen; denn Verstehen braucht immer auch den Austausch mit anderen Menschen. Daher werden in den beigegebenen Übungsaufgaben immer wieder auch Anregungen für gemeinsam zu lösende Aufgaben und für den Unterricht gegeben. Allerdings finden sich keine Unterrichtsmodelle. Die konkrete Gestaltung des Unterrichts wird uns Lehrern also nicht abgenommen.
Die Welterschließung geschieht wesentlich über die Sprache. Die Schule muss daher zur Sprachfähigkeit erziehen. Der Religionsunterricht hat als christlicher Religionsunterricht vom Gott der Bibel zu sprechen. Wir werden dieses Unterfangen hier nicht mit einer neuen und aufregenden didaktischen Theorie unterstützen. Wir versuchen es auf einem Weg, der einfach ist, aber dennoch nicht leicht: Wir wollen die Texte selbst zu Wort kommen lassen. Die Texte, in denen seit Jahrtausenden und bis heute von dem Gott der Bibel gesprochen wird, sind ein wichtiger Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Sie beschenken uns aber auch mit Worten, in denen wir uns selbst wiederfinden und an denen wir unsere eigene Sprache bilden können. Dazu gehören das Verstehen der Sprachformen des Glaubens, ihre kritische Einschätzung und ein konstruktiver und produktiver Umgang mit ihnen.
Dieses Buch beschränkt sich auf Texte. Bilder, Filme, Musik und viele andere Medien sind ausgeblendet - nicht, weil sie weniger wichtig wären, sondern weil es bei den Texten schon so viel zu entdecken gibt, dass Auswahl und Begrenzung schwerfallen. Diese Auswahl ist begrenzt und darin auch willkürlich. Es sind Textsorten vertreten, die seit jeher ihren Platz im Religionsunterricht haben. Es finden sich aber auch solche, die bisher wenig beachtet worden sind, und solche, auf die ich selbst erst bei der Arbeit an diesem Buch aufmerksam geworden bin. Viele Weisen, von Gott zu sprechen, fehlen: Briefe, Dilemmageschichten, Grußlisten, Hausinschriften, Lexikonartikel, Märchen, mystische Texte, Ordensregeln, Schuldbekenntnisse, Streitschriften, Todesanzeigen, Utopien - die Liste lässt sich fast beliebig verlängern. Ich denke, dass Lehrende und Schüler selbst in der Lage sind, sich weitere Formen der Gottesrede über die hier vorgestellten hinaus zu erschließen.
Die Wahrheit ist symphonisch - das stimmt auch in dem Sinne, dass sie niemandem allein einfallen kann. Ein überzeugendes Programm der religiösen Spracherziehung hat in den Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Hubertus Halbfas mit seinem Unterrichtswerk vorgelegt. Franz W. Niehl hat kürzlich mit seiner Bibelhermeneutik „Bibel verstehen“eine äußerst anregende „Schlussbilanz“seiner bibeldidaktischen Arbeiten gezogen. Ihren Anregungen hat dieses Buch viel zu verdanken.
Ich danke allen, die mir mit ihren Ideen und ihrer Kritik geholfen haben, besonders Prof. Sabine Demel für die sachdienlichen Hinweise zu kirchenrechtlichen Fragen, Pastor Paul Stapel für die Geschichten aus seinem Leben, besonders die von Julio, Sr. Elisabethis Lenfers für segensreiche Gespräche, Stefanie Fuest und meinen Töchtern Clara Epping und Miriam Husemann für die sanfte Korrektur meiner Unzulänglichkeiten, Claudia Lueg vom Kösel-Verlag für’s Mutmachen und die kompetente Begleitung und den Teams vom IRUM Schwerte und von der Stadtbücherei Arnsberg für die Hilfe bei der Literaturbeschaffung. Vor allem und vor allen danke ich meiner Frau Hedwig, die mich immer wieder in andere Welten entkommen lässt und geduldig auf meine Rückkehr wartet.
Arnsberg, im September 2008Josef Epping
EINLEITUNG
„Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch.“(Kol 3,16)
„Es wird etwas nur in dem Grade verstanden, in dem es geliebt wird.“(Thomas von Aquin)

Was Sprachformen für unsere Verständigung bedeuten

Ron möchte Julia eine besondere Liebeserklärung machen. Aber wie? Verschiedene Möglichkeiten gehen ihm durch den Kopf. Er könnte ihr eine SMS schicken. Das wäre ein normaler Weg, eine Botschaft zu schicken, aber es kommt ihm für den besonderen Zweck doch recht dürftig und wenig originell vor. Außerdem würde seine Herzensangelegenheit dann mitten zwischen den belanglosen Botschaften von Julias Freundinnen und Bekannten ankommen. Wie wäre es stattdessen mit einem richtigen Liebesbrief? Er weiß nicht genau, ob er so viele Worte machen könnte, dass ein ganzer Brief damit gefüllt wäre. Und fände Julia das besonders romantisch - oder würde sie ihn nicht im Gegenteil für einen spießigen Typen halten? Etwas Besonderes müsste es schon sein. Ron fällt ein, dass er an Straßen manchmal Liebeserklärungen gesehen hat, die jemand auf einen Brückenpfeiler oder eine Wand gesprüht hat, „Sandra, ich liebe dich bis zum Mond und wieder zurück“oder so etwas. Julia geht doch jeden Morgen auf dem Weg zur Schule an dem leer stehenden Schuppen vorbei; da gäbe es schon eine passende Wand... Aber eigentlich findet Ron es blöd, wenn Wände besprüht werden, und Julia wüsste dann ja auch nicht, von wem der Spruch dort hingesprüht worden ist. Seinen Namen dazuzuschreiben, das wäre ihm zu viel Öffentlichkeit. Es gibt doch diese „Fröhlichen-Guten-Tag-Anzeigen“in der Zeitung, denkt er, da könnte Julia es morgens beim Frühstück lesen, und er könnte in den Text eine Anspielung einbauen, damit nur sie weiß, von wem die Anzeige kommt. Würde ihr das gefallen oder fände sie es albern und peinlich? Ron experimentiert gerne am Computer. Er könnte ihr eine Video-Animation per Mail schicken. Aber dann bräuchte er eine kreative Idee, etwas ganz Pfiffiges - und im Moment fällt ihm gerade nichts ein...
Wir wollen hier nicht verraten, wozu Ron sich schließlich entschieden hat, das ist seine ganz persönliche Sache. Aber wir können an diesem Beispiel erkennen, dass die Form, in die man eine Botschaft kleidet, keineswegs belanglos ist. Ron muss sich Gedanken machen, ob sie zum Inhalt seiner Botschaft passt (ob ihm z.B. so viel einfallen würde, dass ein Brief mit seinen Liebesworten gefüllt werden könnte), ob die Form zu ihm selber passt (das Graffito würde das z.B. nicht tun) und wie die Botschaft auf Julia wirken würde (spießig, peinlich...).
Damit wird ein einfaches Kommunikationsmodell sichtbar: mit Ron als „Sender“, Julia als „Empfängerin“und der Liebeserklärung als „Botschaft“. Die Form, die Ron wählt, hat Konsequenzen; sie kann in der Kommunikation mit Julia als Hilfe3 verstanden werden:
• Sie hilft dem Sender, sich auszudrücken. Ron weiß beispielsweise, dass die „Fröhlichen-Guten-Tag-Anzeige“eher eine humorvolle Ausdrucksweise verlangt. Sehr ernsthafte Gedanken wird er sich also bei dieser Form verkneifen.
• Sie hilft dem Empfänger, den Sender zu verstehen. So könnte Julia verstehen (wenn sie erfahren hat, dass Ron der Urheber ist), warum er das Graffito nicht mit seinem Namen versehen hat.
• Sie gibt zusätzliche Informationen. An der Video-Animation könnte man erkennen, dass Ron auch seine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten (am Computer) für die Liebe zu Julia einsetzt.
Damit die Form einer Botschaft als Verstehenshilfe dienen kann, muss sie konventionell (gebräuchlich) sein, d.h. Sender und Empfänger müssen sie kennen. Würde Julia (es ist schwer, sich das vorzustellen, aber versuchen wir es) überhaupt keine persönlichen Briefe kennen, sondern nur Werbepost von Firmen und Bettelbriefe von Hilfsorganisationen, wäre sie von Rons Brief wohl sehr verwirrt und würde ihn wahrscheinlich nach dem ersten Eindruck wegwerfen.
Die Formen, in denen Menschen kommunizieren, haben ihre Geschichte. Im 18. oder 19. Jahrhundert hätte Ron wohl ganz selbstverständlich zum Liebesbrief gegriffen. Das war die große Zeit einer Kultur des Briefeschreibens; das 18. Jahrhundert wird sogar das „Jahrhundert der Briefe“genannt4. Heute verschiebt sich die Kommunikation auf „schnellere“Formen (ohne dass alte Formen damit völlig überholt wären), z.B. SMS oder E-Mail. Der Wandel der Textformen hat aber nicht nur technische Gründe. Schreiber (oder Sprecher) können nämlich bewusst auf die vorhandenen Formen reagieren und sie verändern und weiterentwickeln. Ron könnte beispielsweise, statt eine Wand zu besprühen, seine Liebeserklärung mit Straßenkreide auf Julias Weg schreiben und nach jedem Regen den Text verändern. Wenn sich diese Form einbürgern würde, käme sicher irgendwann jemand auf die Idee, auch diese wieder zu verändern5.
Sprachform und Aussage (der Inhalt) sollten im Normalfall zueinander passen. Also wird man eine Liebeserklärung nicht in die Form eines Kochrezeptes fassen. Aber der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt; man könnte daher bewusst die „unpassende“Form wählen und vielleicht lustige Effekte erzielen. Auch das verweist auf die Veränderbarkeit von Formen und die Freiheit, mit ihnen umzugehen.

Was Sprachformen für das Reden von Gott bedeuten

Wenn Menschen von Gott reden, greifen sie auf sprachliche Formen zurück. Auch hier helfen diese Formen, sich auszudrücken und verständliche Sätze über ihn zu „form“ulieren. Vor allem aus zwei Gründen sollte man sich mit ihnen auseinandersetzen:
a. Der erste Grund liegt in Gott selbst begründet. Wenn er sich den Menschen mitteilen will, geschieht das in der Sprache der Menschen. Gott als die „Wirklichkeit, die unser Denken weit übersteigt“6, übersteigt aber jede menschliche Sprachform, und nur die Vielfalt der sprachlichen Zugänge kann ein wenig von seiner göttlichen Fülle widerspiegeln. Schon in der Bibel gibt es einen kaum übersehbaren Reichtum an sprachlichen Formen: betende, erzählende, poetische, lehrhafte, juristische, bekenntnishafte... Und das setzt sich in der Glaubensgeschichte fort. „Wenn die Verständigungsgemeinschaft [der Glaubenden] neue Erfahrungen macht und ausdrückt, wenn neue Probleme geklärt und bearbeitet werden, wird die Sprache fortwährend erprobt und erweitert“7; auch das Sprechen vom Geheimnis Gottes erweitert sich so.
b. Wenn man diese „Weisen, von Gott zu sprechen“nicht kennt, bleiben viele Einsichten des Glaubens unverständlich. Die christliche Religion ist darauf angewiesen, die Glaubenszeugen zu verstehen, die vor 2000 Jahren und in den vergangenen 2000 Jahren gelebt haben. Die allerersten Glaubenszeugen haben Jesus persönlich erlebt und Erfahrungen mit ihm gemacht, die richtunggebend für die folgenden Zeiten bleiben. Sie haben jüdisch gedacht und als Juden von Gott gesprochen, daher müssen wir auch die alttestamentlichen Sprachformen des Gottesglaubens verstehen. Die ersten Zeugen sind durch die Geschichte hindurch immer wieder neu interpretiert und verstanden worden; und so müssen wir uns auch die wichtigsten Formen aneignen, die hinzugekommen sind. Die „Weisen, von Gott zu sprechen“eröffnen Zugänge zur Welt des Glaubens, sie deuten ihn und geben ihm eine Ordnung, sie prägen und vertiefen ihn, sie bilden Gemeinschaft und sie ermutigen zum Handeln. Wer in Religion unterrichtet sein will, muss solche Formen kennen und mit ihnen umgehen können.

Was dieses Buch will

Dieses Buch möchte einen Beitrag zu einer „Sprachlehre des Glaubens“8 leisten. Der Glaube geht zwar nicht in Texten auf, er ist „multimedial“9, aber Texte sind doch nach wie vor die wichtigste Form der geistigen Auseinandersetzung, wie sie in der Schule stattfinden muss. Dabei geht es nicht primär um die Texte, sondern um die Schülerinnen und Schüler selbst. „Das Verstehen der Texte ist... nicht Selbstzweck, sondern zielt auf ein ‚Sichselbst-Verstehen’ angesichts der Texte.“10
Dieses Buch möchte von Gott sprechen. Die Rede von Gott ist Zentrum des Religionsunterrichts und das, was diesen von anderen Fächern unterscheidet. Von Gott aus kann der Unterricht die Welt und das Leben der Schülerinnen und Schüler und ihre Lebensfragen erschließen und deuten helfen. Von Gott aus findet er auch eine kritische Haltung gegenüber einer Welt, die in vielem kaputt ist und oft keinen Lebensraum bietet, in dem Menschen (und alle anderen Lebewesen) sich entwickeln und leben können. Die Sprachformen des Glaubens haben eine wichtige Aufgabe im Einsatz für eine bessere Welt: „Der Gedanke des Rechts stirbt, wo keine Lieder vom Recht gesungen und keine Geschichten vom Sieg der Gerechtigkeit erzählt werden. Die Freiheit stirbt, wo keiner davon erzählt, dass die Menschen aus Sklavenhäusern entronnen sind.“11
Dieses Buch will eine eigenständige, kritische Aneignung fördern. Mündigkeit ist nicht nur ein Erziehungsziel der staatlichen Schule, sondern auch eine Gabe des erwachsenen Christen, der mit seinem Verständnis des Glaubens zu dessen Weiterentwicklung und Vertiefung beiträgt. Es soll daher ein konstruktiver und produktiver Umgang mit den „Weisen, von Gott zu sprechen“, ermöglicht werden, der den Schülern hilft, eigene Lebensmöglichkeiten zu entdecken. 12

Wie man mit diesem Buch arbeiten kann

Jedes Kapitel (bis auf das zum Thema „Schweigen“) hat folgenden Aufbau:
• Eine Einführung stellt die betreffende „Weise, von Gott zu sprechen“vor.
• Eingefügt in diese Einleitung ist eine (grafisch hervorgehobene) Definition der betreffenden Sprachform des Glaubens.
In einem eigenen Abschnitt (... als Weise, von Gott zu sprechen) wird erläutert, was diese Sprachform zur religiösen Sprache, zur Gottes-Rede und zur Gottes-Erkenntnis beiträgt.13
• Anschließend werden die Merkmale aufgelistet, an denen man die Sprachform erkennen kann. Dabei finden sich formale und inhaltliche Merkmale. Die Liste ist nicht vollständig, sondern beschränkt sich auf die wichtigsten Erkennungszeichen.
• An einem Beispieltext wird gezeigt, wie man sich diese Sprachform erschließen kann. Damit wird eine Anregung gegeben, aber nicht der Anspruch einer allgemeingültigen Deutung erhoben; man kann jeden Text natürlich auch anders interpretieren.
• Den Abschluss jedes Kapitels bilden Übungsaufgaben. Die erste orientiert sich meistens eng an der vorgestellten Merkmalliste; weitere Aufgaben geben Anregungen zu einer vertieften Auseinandersetzung.
• Zu diesen Übungsaufgaben finden sich im Anhang Lösungshinweise (sofern das bei der entsprechenden Aufgabe sinnvoll erscheint). Auch hier gilt das oben Gesagte: Die Hinweise sind als Anregungen gedacht, nicht als vollständige oder ausschließlich richtige Lösungen. Sie erfordern also selbst noch einmal eine kritische Aneignung.
• Im Anhang ist ein kleines Lexikon verwendeter Fachbegriffe beigegeben. Diese sind im Text mit einem * markiert.
Das Buch ist so angelegt, dass man sich als SchülerIn die einzelnen „Weisen, von Gott zu sprechen“selbstständig erschließen kann. Man kann die Abschnitte eines Kapitels durcharbeiten und die Übungsaufgaben lösen oder man kann versuchen, Texte aus Büchern und aus dem Religionsunterricht einer Sprachform des Glaubens zuzuordnen, man kann selbst Beispiele für weitere Texte oder auch für weitere Sprachformen (s. Vorwort) finden.
Immer ist es gut, sich mit anderen über die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit den Texten und über die entstandenen Fragen auszutauschen. Die Sprache des Glaubens ist in einer „Verständigungsgemeinschaft“entstanden und soll die Verständigung zwischen Menschen fördern. Manche Übungsaufgaben sind daher ausdrücklich für die gemeinsame Bearbeitung in einer Lerngruppe gedacht.

Ein Wort speziell an die Lehrer:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Buch habe ich Ihren Religionsunterricht nicht vorbereitet, das weiß ich. Ich hoffe aber, dass ich Ihnen etwas Arbeit abgenommen habe: bei der Recherche, beim Bündeln und Ordnen von Informationen, bei der Suche nach Texten und bei ihrer Aufbereitung. Wichtige Dinge bleiben noch zu tun:
• Die Auswahl von und Entscheidung für bestimmte „Weisen, von Gott zu reden“,
• die Einbettung in den unterrichtlichen Zusammenhang,
• die Ergänzung weiterer wichtiger Textsorten, Texte und Übungsmöglichkeiten (s. Vorwort) und
• (besonders wichtig) die Anleitung der Lernenden zum selbstständigen Arbeiten und ihre Unterstützung bei der Arbeit mit diesem Buch.
Die Anmerkungen in den Endnoten sind weniger für die Schülerinnen und Schüler als für Sie gedacht. Sie sollen einige Anregungen zu weiterführender Lektüre geben.
Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir über den Kösel-Verlag kritische Hinweise, Korrekturen, Ideen und Anregungen zukommen lassen:
Kösel-Verlag, Flüggenstr. 2, 80639 München, [email protected]
ANEKDOTE

Einführung

In der Anekdote trifft sich - früher wie heute - die Faszination durch große und bekannte Persönlichkeiten mit der menschlichen Freude am Erzählen und der Lust an einer guten Pointe.
Die Faszination durch berühmte Persönlichkeiten kann verschiedene Gründe und verschiedene Ausdrucksformen haben. Vielleicht verkörpern diese Menschen in ihrem Reichtum, ihrer Macht, ihrer Schönheit, ihrer Intelligenz oder ihrer überzeugenden Lebenshaltung unsere Wünsche und Sehnsüchte, vielleicht schaudern wir aber auch über das, was sie in der Welt anrichten. Ihre besondere Ausstrahlung wird auch „Charisma“* genannt. Der Ausdruck spielt im Neuen Testament*, in den Paulusbriefen, eine große Rolle und bedeutet dort eine von Gott geschenkte Begabung.
Ganze Mediensparten sind darauf spezialisiert, die heute berühmten Menschen zu beobachten und jede Kleinigkeit aus ihrem Leben weiterzugeben. Und so füllen sie Klatschspalten in den Zeitungen und Zeitschriften, manche Formen von Fernseh- und Radiosendungen und die einschlägigen Internetseiten.
Gerade der Klatsch zeigt, dass wir gerne etwas über die „Großen“dieser Welt hören und weitererzählen. Eine besondere Befriedigung verschafft eine Geschichte, die in einer Pointe endet (→ Witz), also einer Zuspitzung, die eine plötzliche Wendung bringt und so eine überraschende Einsicht ermöglicht. Eine solche Geschichte ist die Anekdote. Die Anekdote lässt sich so bestimmen:
Eine Anekdote ist eine kurze, meist witzige Geschichte zur scharfen, blitzlichtartigen Charakterisierung einer bekannten Persönlichkeit. Gegenstand der Anekdote können aber auch gesellschaftliche Gruppen, Charaktertypen... sein. 14

Merkmale

• Kürze: Die Situation wird nur kurz und in Andeutungen umrissen, auch der Dialog ist knapp gehalten. Das Geschehen entwickelt sich in schnellem Fluss.15
• Pointe: Die Anekdote gipfelt „in der überraschenden Wendung, in einer nicht erwarteten Tat oder Aussage, in einer der Logik des Geschehens scheinbar widersprechenden, jedoch sinnvollen Schlussfolgerung“16.
• Charakterisierung/das Typische: In diesem überraschenden Schluss wird die charakteristische Eigenart eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen auf eindrucksvolle Weise sichtbar. Es kommt übrigens in der Anekdote nicht darauf an, ob sie wirklich historisch so geschehen ist - wenn sie nur den (oder die) Menschen treffend charakterisiert.

Die Anekdote als Sprachform des Glaubens

Im religiösen Bereich wird die Erinnerung an große Persönlichkeiten (die in der katholischen Kirche oft das „Gütesiegel“eines „Heiligen“bekommen) nicht wegen ihres Reichtums oder ihrer Schönheit wachgehalten, sondern wegen ihrer besonderen Beziehung zu Gott und ihrer überzeugenden Lebensführung. Wenn sie die Leute faszinieren, dann wird darin auch ein Gespür der Menschen für das wirklich Gültige erkennbar (sensus fidelium*, s. auch Heiligsprechung*). Die Anekdote zeigt große Persönlichkeiten oft in Bedrängnis- und Entscheidungssituationen, in denen es wirklich „darauf ankommt“. Sie reagieren „geistreich“, mit Schlagfertigkeit und Ideenreichtum. Das Wort „geist-reich“lässt sich hier auf den Geist Gottes beziehen, der auch Heiliger Geist genannt wird. Ein Wort Jesu aus dem Markusevangelium sagt, wie Christen sich verhalten sollen, wenn sie angefragt und bedrängt werden: „Und wenn man euch abführt und vor Gericht stellt, dann macht euch nicht im Voraus Sorgen, was ihr sagen sollt; sondern was euch in jener Stunde eingegeben wird, das sagt! Denn nicht ihr werdet dann reden, sondern der Heilige Geist“ (Mk 13,11).
In der unerwarteten Pointe der Anekdote kann so etwas von Gott sichtbar werden, der ein Gott des Unerwarteten ist (vgl. Jes 55,8: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“). Die Anekdote zeigt dann, was man nicht wahrnehmen kann, wenn man in den gewohnten Denkbahnen bleibt. Oft ist es eine heitere Erkenntnis. Von Gott kann man also auch humorvoll und witzig sprechen (→ Witz) - in der Anekdote zeigt der Geist Gottes sozusagen seine charmante Seite. Die Anekdote kann aber auch eine „kühne Steigerung“17 der menschlichen Möglichkeiten verdeutlichen oder eine Umwertung normaler menschlicher Vorstellungen, nach dem Wort von Paulus: „Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen“ (1 Kor 1,27) (vgl. die Beispiele in Übungsaufgabe 1a, b).
Gibt es auch von Jesus Anekdoten? Im Grunde ja - sie werden aber von der Bibelwissenschaft „Apophtegmata“genannt (im Singular „Apophtegma“). Ein Bibellexikon gibt folgende Definition: „Apophtegmata: knappe u. treffsichere Aussprüche eines Großen (z.B. Lehrers), die dessen Schülern als verbindliche Antwort gelten. Der Begriff wurde aus der griech. Literaturgeschichte... übernommen.“18 Ein Beispiel ist Mk 3,31-35: „31Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben vor dem Haus stehen und ließen ihn herausrufen. 32Es saßen viele Leute um ihn herum, und man sagte zu ihm: Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und fragen nach dir. 33Er erwiderte: Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? 34Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. 35Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

Beispieltext

Den französischen Ordensgründer Franz von Sales (1567-1622) fragte einmal ein Mann lauernd: „Was würden Sie tun, wenn ich Sie auf die rechte Wange schlage?“Von Sales antwortete lächelnd: „Mein Freund, ich weiß, was ich tun sollte, aber nicht, was ich tun würde.“19

Erläuterung

1. Merkmale

• Kürze: Die Anekdote besteht nur aus einer denkbar knappen Einleitung, einer Frage und einer Antwort. Die Hauptfigur wird mit wenigen Attributen vorgestellt - man kann den Text verstehen, ohne Näheres über die Person zu wissen. Der Gegenspieler ist irgendein beliebiger Mann; nur seine Frage ist wichtig, nicht seine Person. Er stellt sie „lauernd“; daran lässt sich erkennen, dass er den Heiligen in Bedrängnis bringen, ihm eine Falle stellen will (vgl. dazu ähnliche Situationen in den Evangelien: Mt 19,3; 22,15; Mk 10,2; Lk 11,54).
• Pointe: Der Ausdruck „auf die rechte Wange schlagen“verweist eindeutig auf einen berühmten und umstrittenen Satz aus der Bergpredigt Jesu: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“(Mt 5,39). In der Logik der Frage läge also - für einen gläubigen Christen - die Antwort: „Ich würde Ihnen auch die andere Wange hinhalten.“Darin steckt etwas Bedrohliches: Niemand lässt sich gern schlagen. Die Unterscheidung zwischen dem, was man tun sollte (den Satz aus der Bergpredigt kennt von Sales natürlich), und der unkalkulierbaren spontanen Reaktion bereinigt die Situation auf überraschende Weise. Man kann darin sogar eine Warnung an den Fragesteller erkennen, es lieber nicht zu versuchen...
• Charakterisierung: Der Heilige (von Sales wurde 1665 von der katholischen Kirche heiliggesprochen) erscheint durch seine schlagfertige Antwort einerseits als überlegen, andererseits als sehr menschlich: Auch der überzeugte Christ kann sich nicht sicher sein, dass er in jeder Situation und sofort in der Lage ist zu tun, was den höchsten Anforderungen des Glaubens entspricht. Die überlegene Menschlichkeit des Heiligen wird in der Anekdote verstärkt, indem er auf die Fangfrage nicht gereizt, sondern „lächelnd“antwortet und den Mann mit „mein Freund“anredet. So sorgt er in der angespannten Situation für eine menschenfreundliche „Deeskalation“.

2. Die Anekdote als Sprachform des Glaubens

Die Anekdote spricht nur indirekt von Gott. Ein (anerkannt) vorbildlicher Mensch lässt erkennen, wie er mit den Geboten Gottes umgeht. Er kennt sie, aber er kennt auch seine Grenzen. So erscheint er sehr menschlich und sympathisch.
Er zeigt aber auch eine heitere Gelassenheit. Er ruht in sich und ist durch eine Fangfrage nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Er kann spontan, „aus dem Bauch heraus“reagieren, das macht seine Überlegenheit in dieser Situation aus. Seine Antwort ist unerwartet und „geist-reich“. Er spiegelt darin etwas von dem wider, was der christliche Glaube von Gott erkennt: Er ist überlegen und gleichzeitig menschenfreundlich.
Wenn eine solche Anekdote überliefert wird, dann bekundet sich darin, was dem christlichen Glaubensbewusstsein an Gott und seinen Heiligen wichtig ist.

Übungsaufgaben

1. Untersuchen Sie nach dem vorgestellten Modell folgende Anekdoten. Beachten Sie vor allem, wie jeweils gewohnte Denk- und Verhaltensmuster durchkreuzt werden:
a. Mutter Teresa (1910-1997), Gründerin der „Missionarinnen der Nächstenliebe“und Friedensnobelpreisträgerin von 1979, betreute in den Slums von Kalkutta die Ärmsten der Armen. Ein amerikanischer Journalist, der nach Indien gekommen war, um über ihre Arbeit zu berichten, sagte beim Abschied zu ihr: „Nicht für eine Million Dollar täte ich das, was Sie hier tun.“Ihre Antwort: „Ich auch nicht...“20
b. Albert Schweitzer (1875-1965), evangelischer Theologe, Musiker und Arzt, gründete 1924 das Urwaldkrankenhaus in Lambarene (Gabun). 1952 erhielt er den Friedensnobelpreis. Um Mittel für sein Krankenhaus zu beschaffen, reiste Schweitzer wiederholt nach Europa, um Vorträge zu halten und Orgelkonzerte zu geben. Als er auf einer dieser Reisen gefragt wurde, warum er in der Eisenbahn immer die dritte Klasse benütze, antwortete er: „Weil es keine vierte gibt.“21
c. Der französische Minister Edmond Michelet (1899-1970) erzählte, dass ihn im April 1943, vor dem Abtransport in das Konzentrationslager Dachau, der deutsche Militärpfarrer Franz Stock (1904-1948) im Gefängnis in Fresnes aufgesucht und gesagt habe: „Wir wollen noch ein Ave Maria beten.“Dann, mit dem Rücken zum Gefängniswärter kniend, habe Stock im gleichmäßigen Tonfall zu murmeln begonnen: „Ave Maria, gratia plena... Gestern war Ihre Frau bei mir, es geht ihr gut, auch die Kinder sind wohlauf... Dominus tecum... Sie sagt, Sie sollen sich keine Sorgen machen, alle sind daheim, und es ist alles in Ordnung... benedicta tu in mulieribus...“22
d. Papst Johannes XXIII. (1881-1963) brach mit dem Brauch seiner Vorgänger, alle Mahlzeiten allein einzunehmen, und lud Freunde und Besucher an seine Tafel. Als man in seiner Umgebung die Ansicht vertrat, dies gehöre sich nicht für einen Papst, erklärte er: „Ich habe sorgfältig die Evangelien studiert und keine einzige Stelle gefunden, die mich verpflichtet, meine Mahlzeiten allein einzunehmen. Auch Jesus aß gerne in Gesellschaft.“23
e. Bevor sich Johannes XXIII. nach einem Besuch im Gefängnis von den Insassen verabschiedete, erzählte er ihnen: „Als ich noch ein Kind war, ist einer meiner Verwandten von den Carabinieri beim Wildern erwischt und für einen Monat eingesperrt worden.“Die offizielle Zeitung des Vatikan, der „Osservatore Romano“, gab diese Episode mit den verschämten Worten wieder: „Seine Heiligkeit rief den schmerzlichen Eindruck in Erinnerung, den er als Kind hatte, nachdem eine ihm nahestehende Persönlichkeit, selbstverständlich ohne böse Absicht und nur in geringer Weise, gegen das Gesetz verstieß.“24
f. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils* (1962-1965) wurden von den Römern die Mercedes-Limousinen bewundert, mit denen einige deutsche Bischöfe erschienen waren. Auf dem Wagenschlag einer dieser Limousinen stand eines Tages mit Kreide geschrieben: „Accepit Mercedem suam“- „Er hat seinen Lohn erhalten“(vgl. Mt 6,2.5.16).25
g. Als der sowjetische Kosmonaut German Titow, einer der ersten Menschen im All, auf Besuch nach Amerika kam, sagte er zu dem Astronauten John Glenn: „Ich habe da oben weder den lieben Gott noch Engel gesehen.“Glenn erwiderte: „Der Gott, zu dem ich bete, ist nicht so klein, dass ich erwartet hätte, ihn dort zu treffen.“
h. Von Mutter Angelika, einer amerikanischen Ordensfrau, die eine Fernsehstation aufgebaut hat, wird erzählt: Ein Mann berichtete ihr von seiner Bekehrung, meinte aber, er könne nicht katholisch werden, weil es in der Kirche so viele Heuchler gebe. Mutter Angelika zerstreute seine Bedenken: „Tun Sie es ruhig, auf einen Heuchler mehr oder weniger in der Kirche kommt es auch nicht mehr an...“26
2. Auch im Alten Testament* finden sich Anekdoten. Untersuchen Sie an den Beispielen 2 Sam 23,20-21; Ri 16,1-3, welche charakteristischen Eigenarten großer Männer für die Menschen der Bibel besonders erzählenswert waren. Vergleichen Sie das mit den Dingen, die heutzutage gerne von berühmten Menschen erzählt werden.
3. Vielleicht kennen Sie selbst ein Beispiel aus Ihrem Lebensumfeld, wie jemand sich auf eine beeindruckende Weise schlagfertig gezeigt hat. Schreiben Sie die Szene als Anekdote auf.
ARGUMENTATION

Einführung

In vielen Texten, die es mit dem Glauben zu tun haben, kommen Argumente vor (z.B. in Kommentaren*, → lehramtlichen Texten, → Ratgebern...). Hier geht es um solche Texte, bei denen das Argumentieren, das Erörtern eines Problems, das Hauptanliegen ist. Solche Texte spielen im Religionsunterricht eine große Rolle; meist handelt es sich um „Auszüge aus Fachbüchern und Fachzeitschriften“27.
Die Fähigkeit zur argumentativen (oder diskursiven) Auseinandersetzung gehört zu einem ganzheitlichen Bild des religiösen Menschen. Der Glaube aktiviert nicht nur das Gefühl, die Fantasie, den Willen und das Handeln, sondern auch das Denken. Die Hochschätzung des Denkens kann Dankbarkeit für diese Gabe Gottes ausdrücken. Die Propheten (→ Prophetenwort) und Jesus haben Auseinandersetzungen geführt und dabei Argumente verwendet (vgl. z.B. Mk 3,22-29); ein Großteil der Briefe des Paulus besteht aus Argumentationen.
Für die ersten Christen ergab sich die Notwendigkeit des Argumentierens zum einen daraus, dass die Grundtatsachen des Glaubens (z.B. die Auferstehung Jesu) verschieden verstanden werden konnten. Für welche Deutung sollte man sich entscheiden? Und welcher Weg der Entscheidung war der richtige? Darüber konnte und musste gestritten werden, und dazu mussten Begründungen ausgetauscht werden.28
Zum anderen standen die Christen in der Auseinandersetzung mit anderen Weltdeutungen - vor allem mit jüdischen, griechischen und römischen. Hier ging es darum, die eigenen Positionen zu verteidigen. Es entstand eine reiche apologetische* Literatur. Bis heute findet diese Form der Auseinandersetzung statt, etwa mit der neuzeitlichen und aktuellen Religionskritik.
„Die Argumentation ist ein sprachliches Verfahren der schrittweisen Beweisführung, bei der wir durch einen begründeten Gedankengang anderen Menschen (Gesprächspartnern, Lesern oder Zuhörern) den Sinn oder die Berechtigung von Aussagen, Standpunkten, Handlungsweisen oder Normen genauer erklären, als richtig begründen und einsichtig machen wollen mit dem Ziel, Zustimmung zu einer Aussage oder bestimmten Norm zu ermöglichen oder auch ihren Widerspruch zu wecken.“29
Für die Methoden und Mittel der Argumentationsanalyse muss hier auf das Angebot des Deutschunterrichts verwiesen werden. Die Auseinandersetzung damit gehört dort zu den verpflichtenden Themen und ist in allen Unterrichtswerken für die Oberstufe entfaltet.

Argumentieren als Weise, von Gott zu sprechen

Sachliche Argumentation hat gegenüber anderen Weisen des Sprechens von Gott einige Vorzüge. Es ist (weitgehend) unabhängig von der Person des Argumentierenden. Wenn eine Begründung gut und richtig ist, dann ist es gleichgültig, wer sie formuliert. Andere Sprachformen des Glaubens sind stärker subjektiv, z.B. das → Gebet, die → Predigt, der → Segen.
Das argumentative Sprechen ist grundlegend für die Wissenschaftlichkeit von Aussagen. Zu einer wissenschaftlichen Aussage gehört, „dass sie überprüfbar, sprich verifizierbar bzw. falsifizierbar ist. Nur unter dieser Voraussetzung kann sie beurteilt und zum Gegenstand einer freien Stellungnahme von jedermann werden“30. „Die Theologie stellt sich dabei den Forderungen, die für die Wissenschaft allgemein gelten. So formuliert sie Sätze, die in sich logisch widerspruchsfrei sind, miteinander in Zusammenhang stehen und kritisch überprüft werden können.“31
Eine theologische Argumentation muss sich dabei letztlich immer auf die grundlegenden Zeugnisse des Glaubens beziehen, auf die sogenannte Offenbarung*. Diese selbst wird aber auch wieder mit dem (von Gott gegebenen) Verstand kritisch geprüft, sodass sich ein spannungsvolles Gegenüber von Glauben und Verstehen ergibt.
Das Argumentieren hat aber auch seine inneren Grenzen. Es kann den Glauben klären und sichern, aber es kann ihn nicht hervorbringen. Dazu sind Erfahrungen nötig, die sich oft in → Erzählungen niederschlagen.32 Argumente sind auch nicht zwingend. Das liegt daran, dass Plausibilität eine stark emotionale Komponente hat. Ein Beispiel: Ernährungsratschläge können sachlich sehr begründet sein, aber wenn mir von einem Lebensmittel schon einmal übel war oder wenn es mir einfach nicht schmeckt, dann werden mich die Argumente nicht überzeugen. Schließlich neigen Argumentierende manchmal dazu, sich gegen Einwände zu immunisieren und neue, weiter hergeholte Argumente zu konstruieren, statt Gegenargumente ernsthaft zuzulassen.
Trotz solcher Einwände ist die argumentative Auseinandersetzung eine große Chance und ein wichtiges geistiges Angebot des Religionsunterrichts zur Selbstfindung und eine Hilfe gegen den Fundamentalismus aller Art.

Merkmale

• Sachlichkeit: Jedenfalls sofern es um Texte mit wissenschaftlichem Anspruch geht, müssen sie das Merkmal der Sachlichkeit aufweisen. Rhetorische Gestaltungsmittel sind damit nicht völlig ausgeschlossen, sollten aber der sachlichen Klarheit untergeordnet sein. Persönliche Aussagen treten zurück (s.o.).
• These-Argument-Beleg-Struktur: Die These ist eine Behauptung. Sie ist das, worauf der Verfasser hinauswill, was er zur Diskussion stellt. Das Argument ist eine Begründung, mit der er seine These stützt. Es gibt unterschiedliche Argumenttypen 33, z.B. Faktenargument, Erfahrungsargument, Autoritätsargument, normatives Argument, Analogie*-Argument usw. Da sich der Glaube auf die Offenbarungsquellen* stützt (s. u.), spielt das Autoritätsargument hier eine besondere Rolle. Das Argument kann seinerseits durch Beispiele oder Belege (empirische Tatsachen, Textbelege) gestützt werden. Das Gedankengebäude der Argumentation wird also in Stufen immer konkreter abgestützt. (s. Grafik)34
• Kohärenz: Der Zusammenhang zwischen den Elementen der Argumentation muss gegeben sein (in der Grafik oben durch Pfeile dargestellt). Die Argumente müssen wirklich zu der These hinführen, die Beispiele und Belege wirklich die Argumente stützen. Widersprüche müssen vermieden werden.
• Bezug zu den Offenbarungsquellen*: Auch wenn es nicht in jeder Argumentation sofort erkennbar ist, müsste sich eine theologische Argumentation letztlich auf die Grundurkunden des Glaubens beziehen lassen und mit ihnen übereinstimmen - sonst würde ja ein anderer Glaube als der christliche vertreten.

Beispieltext

In seinem Zeitschriftenbeitrag „Neuer Atheismus. Zwischen Argument, Anklage und Anmaßung“vom März 2008 setzt sich Thomas Schärtl u.a. mit den Religionskritikern Christopher Hitchens und Richard Dawkins auseinander. Ihre Position bezeichnet er als „denunziatorischen Atheismus“, der mit der „Sprache der geballten Faust“35 zur „Ächtung von Religionsgemeinschaften aufruft“36. „Dieser denunziatorische Atheismus ist von Haus aus rassistisch, weil er im Wesentlichen besagt, dass alle Menschen, die religiös sind, im Grunde dumm, unmoralisch oder armselige Persönlichkeiten sind.“37 Der Gott der Bibel erscheint in dieser Perspektive als „grausamer, unberechenbarer Despot“38, Religion sei „‚brandgefährlich’, weil sie fundamentalistische, konfliktträchtige und repressive* Geisteshaltungen nur befördere und konserviere“39. Schärtl fordert angesichts der Herausforderung durch diesen denunziatorischen Atheismus eine Klärung des christlichen Gottesbegriffs und fordert eine Orientierung am „Konzept eines ‚größeren Gottes’“40, wie es der Theologe Karl Rahner vertreten habe: „Angesichts der Grandiosität des Kosmos und der Komplexität der Evolutionsgeschichte sollten wir weitaus wachsamer sein, wann immer wir dazu neigen, Gott allzu menschliche Prädikate zuzuschreiben oder vollmundig von Schöpfung, Erlösung, von Offenbarungs*- und Heilsgeschichte zu sprechen, damit wir am Ende nicht auf unsere eigenen anthropomorphen* Begriffe hereinfallen.“41
Schärtls Text ist in der Zeitschrift „Stimmen der Zeit“erschienen, die vor allem eine gebildete, christliche Leserschaft anspricht.
Aus dem Abschnitt „Die theologische Aufgabenstellung“42 zwei Auszüge43:
1 Der Gott, den Dawkins und Hitchens attackieren, ist in der Tat eine Witzfigur. Aber ist dieser Gott wirklich der Gott des Christentums? Für die christlichen Kirchen sollte das Wiedererstarken des denunziatorischen Atheismus ein willkommener Anlass sein, den Gottesbegriff endlich aus der Hand der fundamen- 5 talistischen Kleinkariertheit und Kleingläubigkeit zu entwinden und sich in Li-
Copyright © 2009 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
eISBN : 978-3-641-03667-6
Weitere Informationen zu diesem Buch und unserem gesamten lieferbaren Programm finden Sie unter
www.koesel.de
Der Kösel-Verlag ist Mitglied im “Verlagsring Religionsunterricht” (VRU) www.vru-online.de
Leseprobe

www.randomhouse.de