Von den Sternen geküsst (Revenant-Trilogie Band 3) - Amy Plum - E-Book

Von den Sternen geküsst (Revenant-Trilogie Band 3) E-Book

Amy Plum

4,7

Beschreibung

Das Finale der romantischen Revenant-Trilogie um Vincent und Kate. Eine Fantasy-Liebesgeschichte in Paris, die zu Herzen geht! In Vincent hat Kate ihre große Liebe gefunden. Doch ihr gemeinsames Glück währt nicht lange. Denn Vincent ist kein Mensch, sondern ein Revenant. Immer wieder opfert er sein Leben, um andere Sterbliche zu retten. Nicht genug damit: Numa-Anführerin Violette hat seinen Körper vernichtet und Kates Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft zerstört. Ihr Freund ist nun eine wandernde Seele, er existiert nur noch als Geist. Eine winzige Chance, ihn wieder ins Leben zurückzuholen, scheint es zu geben. Doch Violette setzt alles daran, Vincent für sich zu gewinnen. Werden Kate und Vincent es schaffen, den bösen Mächten zu trotzen, und doch noch zueinander finden? "Von den Sternen geküsst" ist der letzte Band einer Trilogie. Die beiden Vorgängertitel lauten "Von der Nacht verzaubert" und "Vom Mondlicht berührt".

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Süß, mein Schatz, dem ich gern alles gäbe, Süß, mein Schatz, den ich liebe und sehne, Wirst du je lieben und sehnen mich,

Teil 1

Es war mitten in der Nacht und ich hockte ans Geländer einer der Brücken gelehnt, die über die Seine führten. Mein Blick folgte den zerrupften Lilien, die langsam auf ihrer Oberfläche Richtung Eiffelturm trieben. Angestrengt lauschte ich den Worten nach, die ich gerade gehört hatte. Den Worten eines Toten – vom Geist meines Freundes. Ich hätte schwören können, dass er mit mir gesprochen hatte. Dabei war das völlig unmöglich.

Doch dann tauchten seine Worte erneut in meinem Bewusstsein auf und bei jeder der beiden Silben zuckte ich zusammen wie bei einem Peitschenknall.

Mon ange.

Mein Herz schlug wild. »Vincent? Bist du das wirklich?«, fragte ich mit zitternder Stimme.

Kate, kannst du mich hören?

»Du bist volant! Violette hat dich nicht vernichtet!« Ich sprang auf und blickte mich verzweifelt nach einem Hinweis auf ihn um, wohl wissend, dass nichts zu sehen sein würde. Ich stand ganz allein auf der Pont des Arts. Der Fluss kroch langsam und behäbig unter der Brücke hervor wie eine große dunkle Schlange – die funkelnden Lichter der Uferpromenade reflektierten auf der sich kräuselnden Oberfläche. Ich schauderte und schlang den Mantel enger um mich.

Nein. Sie hat meinen Körper nicht vernichtet … Noch nicht.

»Mein Gott, Vincent. Ich hätte schwören können, dass sie es schon getan hat.« Ich wischte mir eine Träne von der Wange, doch es folgte noch ein ganzer Strom. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte ich die Hoffnung aufgegeben, je wieder von ihm zu hören. Ich war überzeugt davon gewesen, dass er endgültig verloren war, sein Körper verbrannt von seiner Widersacherin. Und nun hatte er doch wieder zu mir gefunden. Ich konnte das alles nicht begreifen und zwang mich, mit dem Weinen aufzuhören.

Atme, Kate, beschwor Vincent mich.

Langsam ließ ich die Luft aus der Lunge entweichen. »Ich kann nicht fassen, dass du hier bist und mit mir sprichst. Wo ist dein Körper? Wohin hat sie dich gebracht?«

Mein Körper ruht in Violettes Schloss im Loiretal. Ich bin erst seit ein paar Minuten wieder bei Bewusstsein. Sobald mir klar geworden ist, was sie vorhat, habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Er klang niedergeschlagen. Hoffnungslos.

Meine Hände zitterten, während ich mein Handy aus der Tasche zog. »Sag mir ganz genau, wo du bist. Ich verständige Ambrose. Der stellt ein Team zusammen und macht sich sofort auf den Weg zu dir.«

Dafür ist es zu spät, Kate. Violette hat nur gewartet, bis mein Geist erwacht. Jetzt bin ich volant, da wird sie nicht mehr lange zögern und meinen Körper bald verbrennen. Als ich sie zurückgelassen habe, waren bereits ein paar ihrer Handlanger dabei, ein Feuer zu schüren, während sie ein Ritual eingeleitet hat. Ein Ritual, das meinen Geist an sie binden soll, wenn mein Körper sich in Asche verwandelt hat. Mir bleiben nur noch ein paar Minuten und die möchte ich mit dir verbringen.

»Es ist nie zu spät«, beharrte ich. »Wir können versuchen, Violette aufzuhalten. Ganz egal, was sie vorhat. Ich bin mir sicher, dass deinen Anverwandten etwas einfallen wird. Wir müssen es zumindest versuchen.« Wieso wollte Vincent so einfach aufgeben?

Kate, lass es gut sein, bat Vincent. Wir sollten das bisschen Zeit, was uns noch bleibt, nicht damit vergeuden, Ambrose anzurufen, wenn es sowieso unmöglich ist, meinen Körper rechtzeitig zu finden. Und es ist unmöglich, glaub mir das.

Der Nachdruck in seiner Stimme ließ mich zögern und doch starrte ich weiter auf das Handy in meiner Hand, während sich ein Kloß in meiner Kehle bildete. Wenn ich nichts mehr tun konnte, dann war wirklich alles verloren. Mein anfänglicher Schock wandelte sich in die brutale Erkenntnis, dass der Junge, den ich liebte, in wenigen Minuten auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden würde. »Nein!«, schrie ich, als würde das dem Grauen ein Ende setzen.

Vincent blieb still, gab mir Zeit, diese Neuigkeit sacken zu lassen. Ich würde meinen Liebsten verlieren. Für immer. Wenn Vincents Körper vernichtet war, würde ich ihn nie wieder berühren können. Würde nie wieder seine Lippen auf meinen spüren. Ihn nie wieder in den Armen halten.

Aber er wäre ja nicht ganz fort. Oder? Ich musste einfach nachfragen. Meine Stimme war nicht mehr als ein ersticktes Krächzen. »Wenigstens bist du noch volant. Wenn Violette deinen Körper sofort verbrannt hätte, wärst du für immer komplett ausgelöscht.«

Ich wünschte, sie hätte mich komplett ausgelöscht. Seine Worte klangen bitter. Mein Geist muss anwesend sein, damit sie meine Kräfte auf sich übertragen kann. Es vergingen ein paar Sekunden, bevor ich seine Stimme wieder hörte. Lieber würde ich gar nicht mehr existieren, als Violette zu der Macht zu verhelfen, mit der sie dann meine Anverwandten vernichten kann.

Ich sah das anders. So existierte Vincent wenigstens noch, wenn auch bald ohne seinen Körper. Der Junge, den ich so verzweifelt liebte, war nicht vollständig verschwunden. Das ist wenigstens etwas, dachte ich mit einem Funken Hoffnung. Doch dann wurde mir die Tragweite des Ganzen bewusst. Ich werde ihn nie wiedersehen. Ich werde nie wieder seine Hände spüren, seine Lippen. Nie wieder. Mein letztes bisschen Hoffnung verschwand.

In mir kämpfte die Wut mit der Verzweiflung. »Warum ausgerechnet du?«, fragte ich. »Warum hast ausgerechnet du die Kräfte, für die sie sogar bereit ist zu morden?«

Wenn ich es nicht gewesen wäre, hätte es jemand anderen getroffen.

»Ich wünschte, es hätte jemand anderen getroffen«, erwiderte ich voller Egoismus. »Ich will, dass du weiterlebst.« Dabei wusste ich genau, dass Vincent in diesem Punkt nicht meiner Meinung war. Er existiere ja nur, weil er sich für andere opferte. Und um für die Sicherheit seiner Anverwandten zu sorgen, würde er keine Sekunde zögern.

Ich schaute auf das sich kräuselnde Wasser und ließ Vincent vor meinem geistigen Auge erscheinen. Das matte schwarze Haar. Das strahlende Blau seiner dunklen Augen. Seine große, kräftige Statur. Vincents Abbild hing einen Moment über der Wasseroberfläche und schimmerte durchsichtig im Mondlicht, dann löste es sich wieder in Nichts auf.

Ich möchte nicht dabei zusehen, wie sie meinen Körper verbrennt.

Angst lag in seiner Stimme. Vincent war schon viele brutale Tode gestorben, doch dieser würde sein endgültiger sein. Ich wollte seine Hand halten, ihn berühren. Ihn trösten. Doch dazu blieben mir nur Worte. »Dann geh nicht zurück. Bleib bei mir, bis es vorbei ist.« Ich wollte mutig klingen, zitterte aber gleichzeitig.

»Ich liebe dich.« Während ich das sagte, gab ich mir große Mühe, nicht zu weinen. Mich trauern zu sehen, war wirklich das Letzte, was Vincent jetzt brauchte.

Du bist mein Leben, Kate. Um mit dir zusammen zu sein, habe ich gegen meine Bestimmung angekämpft und davon bin ich immer noch völlig ausgelaugt. Ich kann Violette nicht aufhalten.

Darauf konnte ich nichts mehr erwidern. Wenn ich den Mund geöffnet hätte, wären ihm nur Schreie entwichen. Es fühlte sich an, als würde mir das Herz aus der Brust gerissen, weil ich kurz davor stand, den Jungen zu verlieren, den ich liebte. Der Junge, für den ich so viel geopfert hatte – allem voran meinen Selbsterhaltungstrieb –, wurde mir von einer Größenwahnsinnigen genommen und ich konnte absolut nichts dagegen tun. Die Tränen ließen sich nicht länger unterdrücken: Ich fing wieder an zu weinen. Doch diesmal nicht aus Traurigkeit. Meine Tränen waren das Zeichen ohnmächtiger Wut.

Würdest du Jean-Baptiste und den anderen etwas von mir ausrichten?

»Natürlich«, keuchte ich, da ich vor lauter Hass auf Violette kaum sprechen konnte.

Sag ihnen, dass meine Kräfte sich nicht vollständig auf Violette übertragen werden, weil ich mich ihr nicht freiwillig geopfert habe. Das ist das einzig Positive, was ich gerade sehen kann.

Außerdem möchte ich mich bei JB entschuldigen. Für meine Zweifel, fuhr er fort. Ich hätte das alles gern schon damals verstanden, als ich noch eine Chance hatte zu handeln.

»Ich werde es ihnen ausrichten.« Mein Atem formte sich zu kleinen Wölkchen in der kalten Luft. Schnell rieb ich mir mit den Händen die Arme, sprang auf und lief von der Brücke auf die Promenade, eilig La Maison ansteuernd. Ich wusste, dass Vincents Geist mich begleiten würde. Selbst wenn wir ihn nicht mehr retten konnten, musste ich die anderen dennoch informieren.

Kate, erst als ich dich das erste Mal sah, bin ich wirklich zu mir gekommen.

Ich hatte mich gerade noch so weit zusammenreißen können, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, doch diese Liebeserklärung von dem Jungen, den ich so bald verlieren würde, war zu viel für mich. Paris verschwamm vor meinen Augen, während er weitersprach.

Etwas in mir, das seit meinem ersten Tod reglos und leise geblieben war, fing wieder an zu leben. Ich wusste sofort, dass du anders bist, und ich wollte herausfinden, was dich so besonders macht.

»Wann hast du mich denn das erste Mal gesehen?«, fragte ich, um mich abzulenken und nicht dort am Ufer der Seine zusammenzubrechen. »Damals im Café Sainte-Lucie?«

Nein. Er lachte. Du bist mir lange vor dem Treffen im Café aufgefallen. Unsere Wege hatten sich schon über Wochen gekreuzt, bevor du mich überhaupt bemerkt hast. Und ich war neugierig, wer du bist und warum du so gequält gewirkt hast, so schwermütig. Ständig habe ich gehofft, dass deine Schwester oder deine Großeltern mal deinen Namen sagen. Wir haben dich immer nur das traurige Mädchen genannt.

»Wer ist ›wir‹?«, fragte ich und wurde langsamer.

Ambrose, Jules und ich.

»Dann müssen die mich ja wiedererkannt haben damals, im Café«, sagte ich, verwundert über diese neue Version unserer Geschichte.

Sein Schweigen deutete ich als Zustimmung. Du hast mich von Anfang an fasziniert. Und du faszinierst mich noch. Du bist einfach anders. Ich wollte den Rest deines Lebens damit verbringen herauszufinden, wer du bist. Doch jetzt … Der Satz verebbte. Als ich seine Stimme wieder hören konnte, lag Entschiedenheit in ihr.

Kate, ich verspreche dir, ich werde einen Weg finden, mich von Violette zu befreien und zu dir zurückkehren. Auch wenn es für uns beide zu spät ist, sollst du wissen, dass ich immer in deiner Nähe sein werde. Ich werde immer auf dich aufpassen.

Fassungslos erstarrte ich. »Was meinst du damit, dass es für uns beide zu spät ist?«, fragte ich. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand in den Bauch geboxt.

Kate, in ein paar Minuten wird es meinen Körper nicht mehr geben. Von nun an kann ich nur noch dafür sorgen, dass dir nichts passiert. Eine Sterbliche und ein Revenant – das war schon eine ziemliche Herausforderung. Aber eine Sterbliche und ein Geist? Mon amour, das würde ich nicht mal meiner …

Das war’s. Das waren Vincents letzte Worte, bevor er verschwand und mich am Ufer der Seine zurückließ. Allein, mit keinem anderen Geräusch als dem Rauschen des Winterwindes und dem Plätschern der Wellen.

Ich rannte und hatte das Gefühl, der Fluss wäre über die Ufer getreten und unsichtbare Wellen würden gegen meine Fesseln schlagen. Nach wenigen Sekunden war mir, als würde ich mich unter Wasser fortbewegen und müsste gegen einen starken Strom ankämpfen, um mich der Revenantresidenz überhaupt zu nähern.

Irgendwann stand ich vor dem Tor, tippte den Code ein und flog nur so durch den Innenhof. Mit aufkeimender Übelkeit riss ich die Haustür auf und sah mich gehetzt um.

Gaspard und Arthur kamen gerade die Treppe hinunter, den Blick auf ein großes Buch gerichtet, das sie zwischen sich hielten. Als sie mich sahen, blieben sie wie angewurzelt stehen. Gaspard schob das Buch ganz zu Arthur und kam die verbleibenden Stufen zu mir hinuntergeeilt. Er fasste mich bei den Schultern. »Was ist passiert, Kate?«, fragte er.

»Vincent«, keuchte ich, nach Atem ringend. »Er war bei mir, aber jetzt ist er fort.«

»Fort? Wohin denn?«, drängte er.

»Verbrannt«, platzte ich heraus. »Er ist aufgewacht, kam volant zu mir und hat mir erzählt, dass Violette ein großes Feuer und ein Ritual vorbereitet. Und dann war seine Stimme auf einmal weg.«

Gaspard hakte sich bei mir unter und nahm meine Hand fest in seine. »Hol die anderen«, befahl Gaspard. Arthur war weg wie der Blitz und trommelte die paar Dutzend Pariser Revenants zusammen, die sich in La Maison aufhielten, um keinen neuen Hinweis auf Vincents Aufenthaltsort zu verpassen.

Gaspard führte mich durch das Wohnzimmer in den riesigen Saal. »Deine Hände sind eiskalt, meine Liebe«, sagte er, als er mich vor das prasselnde Kaminfeuer setzte und mir eine Decke um die Schultern legte.

Trotz Decke konnte ich nicht aufhören zu zittern. Wegen der Flammen musste ich nämlich an ein anderes Feuer denken, das ein paar Fahrtstunden südlich von hier loderte. Flammen, die mir Vincent genommen hatten. Für immer.

Von hinten näherten sich schnelle Schritte und schon fand ich mich in einer festen Umarmung wieder, umklammert von mehreren Kilo reiner Muskelmasse. »Katie-Lou, alles in Ordnung mit dir?«, fragte Ambrose, seine Stimme heiser vor Sorge. Er hielt mich gerade weit genug von sich weg, um mir prüfend ins Gesicht schauen zu können. Ich schüttelte nur benommen den Kopf und schon nahm er mich wieder fest in den Arm.

So verharrte ich, bis sich alle um uns versammelt hatten. Jean-Baptiste ließ sich auf einem der Holzstühle vor dem Kamin nieder, Gaspard stellte sich neben ihn. Arthur setzte sich vor mir auf den Teppich. Die verbleibenden Revenants verteilten sich und alle Blicke lagen auf mir. Als ich mich räusperte, verstummten alle.

Ich erzählte ihnen, wie Nicolas mir auf die Pont des Arts gefolgt war, um mir Violettes Nachricht zu überbringen. Nämlich, dass sie Vincents Leiche in ihr Schloss an der Loire gebracht hatte, um sie dort zu vernichten, »wenn die Zeit dafür gekommen« war. Außerdem hatte er mir noch erklärt, warum die Numa sich überhaupt auf Violette eingelassen hatten: Ihr war es gelungen, Lucien davon zu überzeugen, dass sie das geheime Ritual kennt, mit dem man die Kräfte des Meisters auf sich übertragen kann. Noch dazu hat sie versprochen, diese Kräfte im Kampf gegen die Bardia einzusetzen.

Nachdem ich auch Vincents Botschaft weitergegeben hatte, sagte ich: »Und das war alles. Seine Stimme verstummte plötzlich, mitten im Satz.« Ich lass sie mal in dem Glauben, dass seine letzten Worte die an seine Anverwandten waren, dachte ich. Seine wirklich letzten Worte waren mir zu persönlich – und taten viel zu weh –, als dass ich sie mit allen Anwesenden hätte teilen wollen.

Eine Sekunde lang herrschte entsetztes Schweigen und dann redeten alle auf einmal. Ambrose ließ mich los, stand auf und stimmte in das allgemeine Stimmengewirr ein. »Worauf warten wir? Los, stürmen wir das Schloss!«

Jean-Baptiste schüttelte nur mit ernster Miene den Kopf, bevor er alle anderen mit lauter Stimme übertönte. »Es ist zu spät.« Sofort war es mucksmäuschenstill, als hätte jemand mit einem Löffel an ein Glas geklopft, um für Ruhe zu sorgen. »Bis wir dort sind, ist Vincents Körper längst verbrannt und sein Geist an Violette gebunden.«

»Was bedeutet das denn überhaupt genau?«, wollte Ambrose wissen und setzte sich wieder zu mir. Sofort schauten alle fragend zu Gaspard, der für gewöhnlich die Erklärungen lieferte.

Mittlerweile war seine anfängliche Aufregung so weit abgeebbt, dass Gaspard wieder in sein normales, nervöses Gehabe verfallen war. Er zupfte an seinem Hemdkragen und hob dann einen zitternden Zeigefinger, seine wüste Frisur wirkte fast wie ein schwarzer Heiligenschein.

»Eine wandernde Seele, also der Geist eines Revenants, der keinen irdischen Körper mehr hat, ist an sich schon ein sehr seltenes Phänomen«, hob er an. »Wenn es unseren Feinden gelingt, einen von uns zu töten, dann vernichten sie die Leiche für gewöhnlich sofort und mit ihr verschwindet auch der Geist. Es gibt keinen Grund zu warten, bis jemand volant ist, und dann erst die Leiche zu vernichten – was eben dazu führt, dass man für immer als wandernde Seele auf der Erde verbleibt. Abgesehen vielleicht von einem Vergeltungsschlag, der sich gegen einen bestimmten Revenant richtet.

Aber dass jemand den Geist eines anderen an sich bindet, passiert so selten, dass mir kein Fall aus der jüngeren Vergangenheit bekannt ist. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, angesichts des extremen Opfers, das ein Numa dafür bringen muss.« Gaspard verzog das Gesicht.

»Was für ein extremes Opfer?« Mein Hals schnürte sich zu. Gaspards angewiderte Miene machte mir Angst.

Einige nervenzehrende Sekunden lang erwiderte er nichts, wohl um die richtigen Worte zu finden. Dann sagte er: »Zusammen mit dem Leichnam der Person, deren Geist man an sich binden will, muss man einen Teil von sich selbst einäschern.«

»Was denn? So was wie Haare oder Fingernägel?« Angeekelt kräuselte ich die Nase.

»Nein, es muss ein Teil mit Fleisch und Knochen sein«, antwortete Gaspard.

Ihh, dachte ich und fuhr zusammen, weil ich sofort ein abscheuliches Bild vor Augen hatte.

»Das ist doch kein wirkliches Opfer«, sagte Ambrose. »Egal, was Violette sich dafür abhackt, es wird doch eh wieder nachwachsen, wenn sie das nächste Mal ruht.«

Gaspard schüttelte den Kopf. »Von den Schmerzen abgesehen, die dieses ›Abhacken‹, wie du es nennst, verursacht, liegt das Opfer genau darin: Der Körperteil, den ein Numa mit einem Revenant verbrennt, verschwindet für immer. Da wächst nichts nach.«

Ich lehnte mich dichter an Ambrose. Mir war schlecht und langsam wurde alles in mir taub, doch ich kämpfte dagegen an. Violette wollte einen Teil von sich abtrennen, um Vincents Geist an sich zu binden? Ich wusste ja, dass sie ihn getötet hatte, weil sie seine Kräfte wollte. Aber sich dafür für immer selbst verstümmeln? Die vielen Jahrhunderte, die Violette damit zugebracht hatte, ein Schicksal zu erfüllen, das sie nicht selbst gewählt hatte, schienen sie ihren Verstand gekostet zu haben.

»Ich frag ihn für dich«, flüsterte Ambrose, laut sagte er: »Jules möchte wissen, ob Vincent Violette gehorchen muss, wenn er an sie gebunden ist.«

Mir war bis dahin gar nicht bewusst gewesen, dass Jules bei uns war. Ihn in der Nähe zu wissen, beruhigte mich. »Wenn Violette seinen Geist nur dafür braucht, um die Kräfte des Meisters auf sich zu übertragen«, antwortete Gaspard, »können wir hoffen, dass sie ihn danach wieder freilässt. Doch selbst wenn sie das nicht tut, kann man eine wandernde Seele nicht dazu zwingen, etwas gegen ihren Willen zu tun.«

Arthur meldete sich zu Wort. »Ich erlaube mir zu widersprechen«, wandte er entschuldigend ein. »Es gibt historische Belege solcher Nötigungen.«

»Zum Beispiel?«, fragte Jean-Baptiste.

»Unsere italienischen Anverwandten berichten von einem Zwischenfall, der in der Renaissance stattfand«, erklärte Arthur. »Ein Numa-Anführer tötete eine erst frisch erwachte Bardia und band ihren volanten Geist an sich, indem er seine linke Hand mit ihrer Leiche verbrannte. Er drohte damit, ihre noch lebenden Familienmitglieder umzubringen, wenn sie sich seinem Willen widersetzte. Durch die Stärke seines Seelensklaven wurde er überaus mächtig.«

»Dann ist es ja gut, dass Vin keine lebenden Verwandten mehr hat«, meinte Ambrose. Leiser Triumph lag in seiner Stimme. »Keine sterblichen Druckmittel, die unsere kaltblütige Kaiserin gegen …« Als ihm bewusst wurde, was er da sagte, verstummte er und verbarg sein Gesicht in den Händen.

Er sah mich nicht einmal an. Musste er auch gar nicht. Das machten nämlich alle anderen Anwesenden schon.

Dass Violette Vincent mit einer Sterblichen, die ihm nahesteht«, Gaspard wich meinem Blick aus, »erpresst, ist– wie man sich wohl heutzutage ausdrücken würde – an den Haaren herbeigezogen. Es kann gut sein, dass ihr diese alte Geschichte nicht mal bekannt ist. Und selbst wenn, bezweifle ich stark, dass sie Verwendung für Vincents Revenantseele hat, die nach der Übertragungsprozedur sowieso stark geschwächt sein wird.«

Mit diesen Worten wollte er mir Trost spenden. Und ansatzweise gelang es ihm. Was er da sagte, war rational. Doch Violette hatte mich schon einmal dazu benutzt, um an Vincent heranzukommen. Der Gedanke daran, dass sie das noch einmal tun könnte – diesmal, damit Vincent gegen seinen Willen handelte–, war einfach unerträglich.

Jean-Baptiste wandte sich an die versammelten Revenants. Seine stocksteife Haltung, die durchgedrückte Brust und die hinter dem Rücken verschränkten Hände zeigten deutlich, dass er einst General bei Napoleons Armee gewesen war. »Genug der düsteren Szenarien. Der Körper einer unserer Anverwandten – nicht zuletzt meines Stellvertreters – wurde bereits den Flammen übergeben. Wir müssen sofort handeln, um wenigstens seinen Geist zu retten, und mit allen Mitteln verhindern, dass Violette ihr Ziel erreicht.«

Und schon verteilte er Aufgaben. Arthur sollte mit einem Aufgebot zu Violettes Schloss in Langeais aufbrechen. Er hatte dort selbst über Jahrhunderte gelebt und wusste daher, wo man eine Gruppe von Spionen am besten verstecken konnte, um Violettes kleinste Regung genau im Auge zu behalten. Da Jules volant war, sollte er ihnen folgen, sich in das Schloss begeben und versuchen, Kontakt zu Vincent aufzunehmen. Und Ambrose sollte sich um die Verteidigung gegen die in Paris verbliebenen Numa kümmern. »Würdest du bitte als Erstes dafür sorgen«, bat JB, »dass Kate sicher nach Hause kommt?«

»Nach Hause?« Ich sprang von der Couch und schleuderte dem Oberhaupt der Revenants entgegen: »Nein! Ich will euch helfen. Es muss doch etwas geben, das ich tun kann.«

Jean-Baptiste deutete meinen Gesichtsausdruck ganz richtig. »Meine liebe Kate, ich meine das nicht herablassend, sondern durch und durch rücksichtsvoll. Zu diesem Zeitpunkt, ganz besonders zu dieser späten Stunde, kannst du wirklich nichts Sinnvolleres tun, als nach Hause zu gehen und dich schlafen zu legen, damit du morgen früh einen frischen Kopf hast für eventuelle Neuigkeiten.«

Ich sah ihn skeptisch an, doch er wirkte aufrichtig – nicht so, als ob er von oben herab zu einer schwachen, wehrlosen Sterblichen sprach. Trotzdem war ich nicht seiner Meinung. Ich konnte sehr wohl etwas tun. Schließlich gab es jemanden, mit dem ich sprechen konnte und der womöglich nützliche Information zu dem hatte, was da im Loiretal vor sich ging. Und je mehr ich wusste, desto größer wurde meine Chance, Vincent helfen zu können.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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