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Dieses kleine Buch beschreibt die psychologischen Grundlagen der Entstehung eines neuen Menschentypus, welcher Krisen, Kriege und die Macht liebt und seine eigenen Gesetzmäßigkeiten auf uns alle anwendet. Er hat die Welt erdacht, die viele mittlerweile als "hyperreale Matrix" empfinden. In dieser Klarheit wie hier wurde das Problem bislang noch nicht besprochen.
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Seitenzahl: 81
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Von Mäusen und Elefanten
Eine Anleitung zum Verständnis der Welt
von Oliver Ruppel
Text und Verlag: © Oliver Ruppel 2025, Copyright by Oliver Ruppel
Diepensiepen 66, 40822 Mettman
Covergestaltung: © Clea Lilith Hellmann
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 BerlinKontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Eine Anleitung zum Verständnis der Welt
Egal, mit wem man spricht, nach einer Weile kann man mit jedem gemeinsam an den Punkt kommen, an dem man sagt: „Ich habe immer schon gedacht, hier stimmt etwas nicht; aber ich konnte es mir nie ganz erklären.“ Anfang des neuen Jahrtausends kam ein Film raus mit dem Namen „Matrix“ und viele Leute sagten: „Das ist es! Endlich wird es einmal gezeigt, wie wir uns fühlen.“ Viele meinten sogar, was in dem Film zu sehen sei, das sei vermutlich schon die Realität. Gezeigt werden Menschen, die eine Computersimulation als Weltillusion erleben, während sie in Wirklichkeit, in einer Nährflüssigkeit schwimmend, als biologische Batterien von fremden Wesen genutzt werden und nie die Wirklichkeit mit den eigenen Sinnen erfahren haben. Alle, bis auf eine kleine rebellische Gruppe, vegetieren in diesen Zuchtstationen, ohne dass sie dies wissen. Dem Bewusstsein ist eine Erkenntnis der Lage nicht zugänglich, da es mit einer Weltsimulation betrogen wird. Die unbewussten Prozesse allerdings wissen um die Situation und manchmal dringen vermutlich Zeichen ins Bewusstsein der Kontrollierten und die Weltsimulation wird gestört; die „Matrix“ erfährt Verzerrungen.
Wieso spricht diese Geschichte so viele Menschen an? Wieso schrieb der Philosoph Jean Baudrillard schon Jahre zuvor von der Hyperrealität, die die Realität der Leute ersetzt hätte? Leben wir in einer „Matrix“, einer Welt, die uns simuliert wird, oder finden wir hier eine der gängigen Verschwörungstheorien dummer Menschen? Es liegt auf der Hand, dass wir in keiner Nährflüssigkeit schwimmen und eine Matrix, wenn sie denn existiert, nur eine Fantasie ist. Allerdings ist die Fantasie unsere eigentliche Realität, könnte man da entgegnen. Wir nehmen die Welt schließlich nicht so wahr, wie sie ist, sondern hauptsächlich so, wie wir sie uns vorstellen. Diese Vorstellungen bilden sich durch eigene Erfahrungen und durch fremde Geschichten, die uns über uns und unsere Welt erzählt werden. So entsteht ein psychisches Selbstmodell, welches uns als Karte für das Agieren in der Realität dient.
Die Matrix ist also erst einmal nicht „da draußen“, sie wächst „innen“ als psychisches Modell. Stimmt nun also die Wahrnehmung, dass dieses psychische Modell fremderzeugt wird? Auf die Kindheit betrachtet, können wir klar sagen, dass wir alle erst einmal durch die Erwachsenen lernen, was die Welt ist. Kinder erhalten täglich viele Erklärungen für ihren Alltag. Geschichten prägen zu einem großen Teil das psychische Modell der Kinder. Dies ist der normale Umgang von Eltern und Kindern. Die Aufmerksamkeit der Kinder wird auf einen Gegenstand gelenkt und dieser wird dann durch eine Erklärung definiert. Dieser Vorgang ist ein wichtiger Teil dessen, was wir Erziehung nennen. Er scheint uns nötig, damit die Anpassung des Kindes an die Gesellschaft gelingt. Zumindest argumentieren wir Erwachsenen das so, während wir uns gleichzeitig über „die Gesellschaft als Matrix“ beklagen. Und ich glaube, hier besteht, wenn wir es denn wollen, die Möglichkeit, aus der Matrix herauszutreten. Wenn wir den Kindern wieder Räume für das Machen eigener Erfahrung öffnen würden, könnte unser Matrixproblem aufhören. Die Matrix würde sich auflösen. Ich erkläre im Folgenden, wieso ich das glaube und wie das Vorhaben gelingen kann.
Wenn wir unsere Kinder von der Erfahrung trennen, dann tun wir das aus bestimmten Gründen, über deren Sinnhaftigkeit wir vermutlich einmal nachdenken sollten. Was sind die Argumente? Wohl wiederkehrend zwei: a „Du kannst das noch nicht.“ b „Wir haben keine Zeit.“ Wir bringen also naturalistische Erklärungen an. Die Unfähigkeit des Kindes und einen äußeren Druck, der durch die Entwicklung des Lebens in seiner Aufeinanderfolge entstehe. Bedingung a ist eindeutig richtig beschrieben, rechtfertigt aber keinen Übergriff in die Belange des Kindes. Schließlich entsteht Lernen durch Erfahren. Der eigentliche Grund wird also versteckt. Schauen wir Begründung b an: Die Zeit. Da gilt es sich zu fragen, warum denn diese Zeit drängt? Tickt etwa eine Bombe, die bald explodieren würde? Warum haben wir keine Zeit? Es wird wohl nur selten eine Notlage vorliegen. Eigentlich ist unser Leben doch zumeist ein langer ruhiger Fluss mit nur wenigen Stromschnellen. Es laufen in unserem Alltag selten Löwen und Tiger herum, die uns fressen wollen und deshalb wird ein Rennen wohl auch nicht nötig sein. Schließlich: wo wollen wir denn hinrennen? Alle Lebewesen kennen ja nur ein festgelegtes Ziel: ihr Ende. Mit unseren Kindern wollen wir vermutlich aber nicht möglichst schnell in unser Grab laufen. Also, wozu die Eile? Woher der Stress? Wir nehmen uns die Möglichkeit, durch Erfahrungen zu lernen. Wenn man darüber nun nachdenkt, gibt es tatsächlich eine Lage, in welcher das Verhalten der Eltern zu erklären wäre: die Notlage. Sobald eine Gefahrensituation vorliegt, kann ich als Eltern die Kinder nicht mehr machen lassen, ich muss ganz grundsätzlich erst einmal alles und jedes mit Misstrauen betrachten. Folglich sind die Einschränkung des Freiraums und die Anweisung, die ich gebe oder auch empfange, verständlich für den Notmodus, in dem die Gruppe sich befindet. Die Veränderungen von Wahrnehmung und Verhalten, die geschehen, sind uns angeboren. Während der Frieden eine freie detailreiche Weltsicht ermöglicht, schaltet die Bedrohungslage unsere Wahrnehmung in einen binären Filter von gefährlich und ungefährlich, ja und nein, gut und schlecht, richtig und falsch. In der Gefahr sind diese groben Entscheidungen existentiell. Auch unterliegen wir dann einer Einschränkung unser Handlungsmöglichkeiten. Evolutionär haben sich vier grundsätzliche Arten des Umgangs mit einer Gefahr als erfolgreich durchgesetzt, und diese sind vererbt worden: Kämpfen, Flüchten, Erstarren als Akutreaktionen oder auch (und dies wäre dann die vierte Bedrohungslagenreaktion als Chronifizierung) als gewohnte Antwort auf die andauernde Not. Hier wird uns die Welt also eine vollständig andere, sie wandelt sich von einer weiten bunten friedlichen Welt in eine schwarz-weiße labyrinthische Landschaft mit geringen Handlungsoptionen bei konstanter Not. Gruppen wechseln von einer friedlichen gleichwürdigen Struktur in eine feudale kompetitive Organisation, die Selbstverantwortung wie eine heiße Kartoffel behandelt. Mißtrauen regiert das Miteinander. Diese Gruppen binden sich durch Angst- und Schuldgefühle, denn die beständige Frage für den Einzelnen steht im Raum: Handele ich richtig im Sinne meines Überlebens? Springt dort das vierte Stressreaktionsmuster an (man nennt es auch „Tend and Befriend“), dann entsteht ein Traumamodus, mit welchem sich Menschen an ein „neues Normal“ in konstanter Notlage gewöhnen.
Abbildung 1: Die Reaktionsmuster der Notlage
Kinder, die in einer andauernden Notlage aufwachsen, müssen daran gehindert werden, eigene Erfahrungen durch freies Handeln zu machen, stattdessen steuert man sie durch die bedrohliche Welt und erklärt ihnen diese. Das Lenken der Aufmerksamkeit und die eigene Deutung des Erlebten sind in der Not nicht drin. Schließlich könnte sich alles in einen das Kind verschlingenden Tiger verwandeln. Das Kind muss gelenkt werden. Es entsteht der Beginn dessen, was Gilles Deleuze „la société de contrôl“, die Kontrollgesellschaft, nannte. Jeder Schritt wird überwacht und jeder Schritt wird korrigiert. Jeder eigene Schritt und jeder fremde Schritt. Denn jede Tat kann das Wohl Aller gefährden.
Lerne ich nun, als Kind die Welt weniger durch eigenes Erfahren als durch Geschichten kennen, entwickle ich nicht ein mir entsprechendes Ich, stattdessen aber ein falsches, welches auf Ideologien aufbaut. Mir erscheint die ganze Welt aus Geschichten zu bestehen, und nicht aus Erfahrungen. Dies bedeutet, dass ich mir eine eigene Kompetenz im Beurteilen der Realität ohne Geschichten kaum noch zutraue. Um mich zu orientieren, suche ich nach Erklärungen. Erklärungen erhalte ich nur durch die Anderen. In einer Notlage schafft das die Bindung der Gruppe. Diese Bindung kann als Abhängigkeitsverhältnis allerdings auch ausgenutzt werden. Denn sie ist seine Abhängigkeit. Je weniger das eigene Leben auf eigenen Erfahrungen basiert, je weniger eigene Aufmerksamkeit gelenkt werden kann, und je weniger man sich selbst die Deutung zutraut, umso stärker ist die Führung durch Andere nötig. So entsteht aus der Kontrollgesellschaft, die Gilles Deleuze beschreibt, die Gesellschaft des Spektakels, von der Guy Debord sprach: alles wird zum Spektakel, da alles zum Geschichtenkonsum wird. Jeder redet auf jeden erklärend ein und jeder redet auf sich selbst erklärend ein. Es entsteht ein Wettkampf um die spannendste, glaubhafteste Geschichte. Der Erzähler der Geschichte, die die Meisten glauben, erhält Kontrolle über die Gruppe, die ihm zuhört. Wir reden von Nachrichten, da wir uns nach diesen richten. Führung erhält, wer Spektakel erzeugt. Die Traumawelt ist spektakulär: spektakulär gefährlich, spektakulär auf der Suche nach einer Erlösung. Ohne Spektakel scheint es kein Leben zu geben.
Wenn wir unsere Kinder zu ideologischen Wesen machen, spielen sie die Schauspielrollen unserer Kinder und wir spielen die Schauspielrollen der Eltern. Aber wir begegnen einander nicht richtig. Jeder agiert aus einem falschen Ich heraus. In dem Film „Matrix“ erscheint die Computersimulation als „normale Welt“, während aber die tatsächliche eine völlig zerstört Landschaft zeigt. Die Wahrheit hier ist aber umgekehrt. In der Illusion leben wir in einer spektakulären und nie endenden Bedrohung, wirklich jedoch in einer „normalen“ Welt. Die Wesen begegnen sich, aber sie können nicht ehrlich interagieren. Denn sie haben Angst voreinander. Alle halluzinieren eine Kriegssituation, obwohl sich fast alle im Frieden befinden.
Im Traumamodus steht man psychisch neben sich. Man erschafft die innere Illusion, nicht man selbst zu sein und sich selbst zusehen zu können. Es handelt sich hier um einen Schutzmechanismus, der uns für die Notlage funktionsfähig h