Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Auf Vancouver Island verbringen Ed Muller und seine Freunde einen gemeinsamen Urlaub. Auf der Suche nach einem Seeadler macht Paulie eine unglaubliche Beobachtung. Könnte es sein, dass sie zufällig eine Kreatur entdeckt haben, die es nur in der nordamerikanischen Mythologie geben dürfte? Es scheint, als ob ein geheimnisvoller Schamane immer in ihrer Nähe ist, wenn merkwürdige Dinge geschehen. Eine nicht ganz ernst gemeinte Geschichte aus Kanada.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
K. I. Schuch
Von Raben, Orcas und anderen Leuten
Von K. I. Schuch bisher erschienen:
Tod im Regenwald
Leipoldt-und Teixeira-Reihe Band I
Mortos Vivos
Leipoldt-und Teixeira-Reihe Band II
Über den Autor:
K. I. Schuch lebt und arbeitet überwiegend im Hochtaunus, unweit von Frankfurt am Main. Nach mehr als dreißig Jahren in der Reisebranche fing er mit dem Schreiben an. Alle Länder, in denen seine Geschichten spielen, hat er selbst bereist.
Über dieses Buch:
Auf Vancouver Island verbringen Ed Muller und seine Freunde einen gemeinsamen Urlaub. Auf der Suche nach einem Seeadler macht Paulie eine unglaubliche Beobachtung. Könnte es sein, dass sie zufällig eine Kreatur beobachtet haben, die es nur in der nordamerikanischen Mythologie geben dürfte? Es scheint, als ob ein geheimnisvoller Schamane immer in ihrer Nähe ist, wenn merkwürdige Dinge geschehen.
Eine nicht ganz ernst gemeinte Geschichte aus Kanada.
Der Unfall
Wale und andere Kreaturen
Der Potlach
Der Sasquatch
K. I. Schuch
Von Raben, Orcas und anderen Leuten
Novelle
Texte: © 2025 Copyright by K. I. Schuch
Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by K. I. Schuch
Verlag:
K. I. Schuch
www.schuchbuch.info
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
„Hishuk’ishtsawalk.“
Winston Nookemis saß mit seinem Schwager Jeremy ‚Two-Feather‘ Sooke auf der Ladefläche von Jeremys rostigem Pickup und sah dem bunten Treiben zu. Es waren noch zwei Tage bis zu dem großen Potlach, zu dem alljährlich die Clans und Familien unterschiedlicher First Nations Vancouver Islands zusammenkamen. Überall wurden Utensilien ausgeladen, ausgepackt und für das Fest bereitgelegt. Winstons ältere Schwester Hope und seine Cousine Kitty schüttelten gerade eine aufwändig gearbeitete Chilkat-Decke aus und legten sie vorsichtig auf einen Tisch vor der großen Zedernholzhütte, um sie glatt zu streichen.
Der Mann, der in ihrer Stammessprache zu ihnen gesprochen hatte, sah aus wie eine ältere Version von Winston, was nicht verwunderlich war. Schließlich war Chief Bald Eagle Nookemis sein Vater. Winstons Haare glänzten schwarz wie das Fell einer Robbe und fielen dem jungen Mann wie eine Kapuze über den Kragen seiner Daunenweste. Mit seiner gebogenen Nase und dem eisgrauen Schopf machte Chief Nookemis dagegen seinem Beinamen alle Ehre. Er ließ den Arm in einer weiten, ausholenden Bewegung über die Bucht schweifen.
„Hishuk’ishtsawalk. Alles ist eins und alles ist miteinander verbunden.“
Jeremy schwang sich vom Wagen und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ja, ich weiß. Die Berge und die Flüsse und der Lachs und dein linker Zeh. Und es ist absolut unabdingbar, dass ihr euch auf dieser Zusammenkunft der ewig gestrigen zum Vollidioten macht und herumhüpft wie die verdammten Sioux in schlechten Hollywood-Filmen. Reich mal den blöden Schädel runter, Winston.“
Der Angesprochene hob vorsichtig einen geschnitzten Walkopf auf, den er in zwei Tagen beim Tanz tragen würde.
„Lass ihn nicht fallen, daran habe ich einen ganzen Monat gearbeitet! Es zwingt dich niemand mitzumachen, Jeremy, aber respektiere bitte, dass wir uns auf dieses Fest freuen.“
„Mitmachen? Das fehlte gerade noch! Schlimm genug, dass deine esoterische Schwester seit Wochen von nichts anderem redet. Ihr Adler seid komplett rückständig. Mann, ist das Ding schwer, hast du nicht Angst, dass du dir den Hals brichst?“
„Setz ihn mal auf, dann kannst du es selbst herausfinden!“
Winston wusste, dass Jeremy niemals eine Maske tragen würde. Genauso wenig, wie er jemals an dem Tanz teilzunehmen gedachte. Jeremy war ein Nuu-chah-nulth und nicht nur dieser Umstand ließ seinen Schwager ständig dummes Zeug reden. Was konnte man schon erwarten von jemanden, der bei Jack’s Fishing Mehlwürmer verkaufte. Für Jeremy waren Traditionen etwas für Schwachköpfe, dabei nahm er nicht zur Kenntnis, dass er selbst einer Tradition folgte. Er befand sich auf der Verliererstraße, wie sein Vater.
„Dad. Meinst du, sie werden bald die Sache mit der Grenzziehung geklärt haben?“
Der ältere Mann lehnte den Kopf schief, als würde er sich auf ein Geräusch konzentrieren. Dann griff er nach einem aufwändig verzierten Paddel, das neben der Bank lehnte, auf der es sich bequem gemacht hatte. Er drehte das Kunstwerk in den Händen und betrachtete die Schnitzereien.
„Weder die Richter noch die sogenannte Regierung haben keine Vorstellung von ha’houlthee. Achtet der Wind einen Zaun? Zwingt der Übergang zwischen zwei Territorien den Fluss, sich einen anderen Weg zu suchen? Was gibt der Adler auf Grenzen, die der Mensch gezogen hat?“
Chief Nookemis spielte auf den Namen ihres Clans an. Das komplexe Geflecht aus traditionellen Beziehungen zwischen den einzelnen Stammesgruppen, das Nutzungsrechte, Jagd- und Handelsrechte, aber auch Pflichten zur Verteidigung eines gemeinsam genutzten Gebietes regelte, würde nur schwerlich mit dem Verständnis sogenannter Territorialstaaten zu vereinbaren sein, das jeder Mülltonne eine Postleitzahl zuordnen wollte. Der Coast Salish Tribal Council verhandelte im Namen und Auftrag fast aller Nations der Salish mit der kanadischen Regierung über eine deutliche Ausweitung der ihnen zugesprochenen Gebiete.
Jack Little, ein Chief der Nuu-chah-nulth, beanspruchte die Küste vor Flores Island exklusiv als Jagdrevier für seinen Clan. Auch wenn die Adler, die zu den Squamish gehörten, traditionell an der Strait of Georgia siedelten, betrachteten sie die nicht von der Regierung als Biosphärenreservat geschützten Abschnitte der Westküste als frei zugängliches Gebiet zum Fischen und Jagen und es gab seit einigen Jahren heftiger werdende Diskussionen und Auseinandersetzungen zwischen den Clans, seitdem sich das Wasser auch in der Salish Sea weiter erwärmte und die Fische wegblieben. Das war allerdings eine Angelegenheit, die man nicht vor das Council brachte. Er wollte es in zwei Tagen auf dem Potlach, das auf Flores Island stattfinden würde, endgültig klären. Chief Nookemis würde Jack Little ein aufwendiges Geschenk machen. Jack musste einlenken, wenn er nicht sein Gesicht verlieren wollte. Das Paddel symbolisierte das teure Kanu, das Bald Eagle mit der Hilfe von Winston und einigen Freunden in traditioneller Bauweise gefertigt hatte. Es trug zehn Männer und Jack Little würde damit auf die Seehundjagd hinausfahren auf dem Clayoquot Sound.
„Wie geht es deinem weißen Boss?“
„Dad. Sie ist eine Bekannte und sie lässt mich beim Abrichten der Vögel helfen.“
„Aber du arbeitest für sie. Also ist sie dein Boss, oder?“
Jeremy hob die Klappe des Pickups an und verschloss die Verriegelung. Er nuschelte: „Er darf die weiße Frau in der Nacht wärmen, das ist Bezahlung genug.“
Winston warf Jeremy einen finsteren Blick zu.
„Irgendwann wird dir mal einer dein loses Maul stopfen.“
„Winston Nookemis, der Mann, der einsame weiße Frauen glücklich macht. Au, spinnst du jetzt?“
Er hatte eine ansatzlos und verdeckt geworfene Bierdose abbekommen. Winston hatte ihn an der Hüfte getroffen. Jeremy hob die Dose auf und humpelte hinüber zu Hope, während er sich die schmerzende Stelle rieb.
„Es wird Zeit, dass dein durchgeknallter Bruder sich einen anständigen Job sucht. Und eine Frau.“
„Eine eingeborene Frau“, schob er nach und lugte dabei vorsichtig über die Schulter in Erwartung eines weiteren Wurfgeschosses. Dann legte er den Kopf in den Nacken und stieß ein Geheul aus wie ein angeschossener Coyote.
Hope ging kopfschüttelnd zu ihrem Bruder hinüber. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sah ihn sorgenvoll an.
„Jeremy hat recht. Du bist jetzt zweiundzwanzig. Es ist nicht gut, dass du ständig bei dieser Weißen in Nanoose Bay herumhängst. Es gibt Gerede.“
„Gerede. Ihr Weiber solltet euch um euren Kram kümmern.“
„Jetzt klingst du wie ein rückständiger, arroganter Indianer.“
„Und du hörst dich an wie ein Dozent an deiner Uni.“
Hope studierte Sustainable Leisure Management an der University of Vancouver Island.
Winston sah hinüber zu dem großen Blockhaus. Jeremy hatte die Bierdose geöffnet. Er kippte sie in einem langen, gierigen Zug weg. Seit dem Schiffsunglück vor sechzehn Jahren, bei dem Jeremys Vater als Skipper der Star Ruby drüben am Swartz Bay mit einer Fähre zusammengestoßen und einen Fahrgast mit in den Tod gerissen hatte, hatte er mit Depressionen zu kämpfen und seit einer Weile bekämpfte er die bösen Geister erfolglos mit Alkohol.
„Behandelt er dich gut?“
Sie antwortete ausweichend: „Er ist kein schlechter Mensch. Er geht zur Arbeit und er wird ein guter Vater sein.“
Sie strich sich über den Bauch. Ihr enganliegendes Kleid konnte nicht verbergen, dass sie im siebten Monat war.
Winston berührte flüchtig ihr Haar. „Sicher.“
Er ließ seinen Blick umherschweifen. „Sagt mal, hat einer den Alten gesehen?“
„Den Spinner? Hängst du immer noch mit dem ab?“
„Er ist kein Spinner. Er ist ein weiser alter Mann. Okay, er redet manchmal wirres Zeug, aber wir haben verlernt, den Älteren zuzuhören.“
„Mag sein. Ich finde ihn gruselig. Wo kommt der eigentlich her? Ich habe ihn mal gefragt, aber seine Antwort war so kryptisch, dass ich nicht nachgehakt habe.“
„Er kommt von den Little Red River Cree Nation aus Alberta, hat er mir gesagt.“
„Und was macht er hier alleine ohne seine Leute und warum hat er keinen Namen?“
„Ich habe ihn nicht gefragt.“
Hope hatte eine ihrer zahlreichen Cousinen entdeckt. Freudig eilte sie auf die Jüngere zu. Im Weggehen sah sie über ihre Schulter zurück und rief ihrem Bruder lachend zu: „Wenn er nicht redet, muss das ja sehr unterhaltsam sein bei euch beiden. Wir sehen uns später!“
Winston sah ihr nachdenklich nach.
„Er kommt und geht wie ein Geist“, hatte er erst gestern zu Jay Goshhawk, seinem besten Freund seit der Grundschule, gesagt.
„Yeah. Er riecht auch wie ein Geist. Oder wie ein Otter.“
Biber. Er riecht wie die alten Biberfelle, die Dad in seiner Angelhütte am Cowichan Lake hängen hat.
Die berühmte Comiclegende Stan Lee gab eine Autogrammstunde in Stuarts Comicbuchladen. Sheldon, Howard und Raj waren begeistert, dass sie die Gelegenheit bekamen, den großen Meister persönlich zu treffen. Howard hatte allerdings zuvor entdeckt, dass Sheldon wegen eines Fahrvergehens eine Vorladung vor Gericht bekommen hatte. Sheldon weigerte sich, das Bußgeld zu bezahlen und verteidigte sich vor Gericht selbst. Die Folge endete wie erwartet.
Booth lag zusammengekrümmt auf dem Sofa und stieß vor Lachen beinahe die Whiskyflasche um. Wenn sie sich nicht auf einen Film einigen konnten, lief zuverlässig auf irgendeinem Sender immer eine Folge von Big Bang.
„Jemand noch ‘n Bier, wenn ich gerade stehe?“
„Gib mal eins her, Brady.“
„Was ist mit dir, Whity?“
„Ich hab‘ noch.“
Ed Muller stand auf und trat auf die Veranda. Abends kühlte es deutlich ab. Er fröstelte. Unendlich langsam zog ein Schlepper von links in die Bucht. Er holte seine Kamera, die griffbereit auf dem Esstisch lag. Der sechzigfache optische Zoom verriet ihm, dass das Schiff ein riesiges, zusammenhängendes Feld von Baumstämmen hinter sich herzog. Er öffnete die Verandatür und rief hinein: „Wenn ihr mal was richtig Abgefahrenes sehen wollt: Ich hab‘ hier was für euch!“
Sie standen nebeneinander am Geländer und nahmen ab und an einen Schluck aus ihren Bierdosen. Mittlerweile nahm die Schleppe aus Holz die ganze Breite der Bucht ein.
„Wie schafft der das nur, dass die alle zusammenbleiben?“
„Unsichtbare Seile.“
„Spinnenfäden.“
„Holzleim.“
„Der Skipper ist ein Jedi.“
Kindsköpfe. Ed betrachtete seine Reisegruppe. Da man ihr Abenteuer später unweigerlich verfilmen würde, malte sich Ed schon einmal aus, welche Schauspieler ihre Rollen übernehmen sollten.
Booth ähnelte äußerlich immer mehr dem älteren Han Solo aus Episode VII. Nigel hatte eine interessante Wandlung erfahren. Im Star Wars Imperium, das sie ja vom Teenager-Dasein bis heute begleitet hatte, wäre Booth anfangs der junge Luke gewesen. Blond, drahtig, unglaublich neugierig. Wenn er daran dachte, wie er heute auf dem Trail an dem Felsen gehangen hatte – eigentlich wie früher, als der kleine Nigel noch die Laternenpfähle in Derry hochgejagt war wie ein Eichhörnchen. Inzwischen war seine drahtige Gestalt mit einem Bauchansatz verziert.
Ed fand, dass Brady mit seinem grauen Bart immer mehr Ähnlichkeit mit Jeff Bridges bekam. Für Whiteman mit seiner Fliegerbrille könnte man vielleicht Christian Slater gewinnen.
Irgendjemand hatte Ed einmal eine gewisse Ähnlichkeit mit Liam Neeson angedichtet, obwohl Neeson nicht seine grünen Augen hatte. Er kratzte sich am Arm. Offenbar hatte sich ein einsamer Moskito auf ihre Veranda verirrt.
Und Paulie?
Nun, für den Griechen müsste man eine Mischung aus Bob Hoskins und Kevin James finden, nur ohne Haare. Lebte John Belushi eigentlich noch?
„Was grinst du denn in dich hinein, Muller? Hast du dir einen Witz erzählt, den du noch nicht kanntest?“
„So ähnlich. Sagt mal, was steht morgen auf dem Programm?“
Brady hob den Blick von seiner Bierdose. „Wollten wir nicht zu den Elk Falls?“
„Wenn es euch beliebt, Meister.“
Paulie rief aus dem Wohnzimmer: „Sagt mal, hat einer meine Tüte gesehen?“
„Du hast ‘ne Tüte?“
„Naja, eben nicht. Im Walmart hat ich die noch. Und ich bin mir sicher, dass ich die genau hier hingestellt habe.“
„Ganz sicher, dass die nicht noch im Auto liegt?“
Der Grieche nahm den Autoschlüssel vom Haken und ging brummelnd nach draußen. Die anderen zogen die Terrassentür zu und mümmelten sich wieder in die Sofas. Brady zappte durch die Fernsehkanäle und blieb bei einer uralten Folge von ER hängen.
„Mann, ist der Clooney da noch jung!“
Paulie kam herein, in der Hand seine Walmart-Tüte.
„Na, ist doch im Auto?“
„Nö. Stand vor der Treppe. Ich bin sicher, dass ich die da hinten neben die Kommode gestellt hat. Ist ja auch egal. Ach wie geil, Emergency Room! Die kenne ich. Das ist die Folge, in der Green den anderen beichtet, dass er einen Hirntumor hat.“
„Bist du sicher, dass man bei dir nicht auch was finden würde, so vergesslich, wie du bist?“
„Ich bin wirklich sicher, dass ich die Tüte mit reingenommen hatte.“
Der Schamane lag unter Booths Bett und atmete flach. Das nächste Mal müsste er vorsichtiger sein. Die fischbäuchigen Kojoten sollen den Raben nicht entdecken.
Noch nicht.
Brady Walker, Nigel Booth, Chad Whiteman und Paulos Dukakis, genannt ‚Paulie‘, arbeiteten für eine Low Cost Airline in Portland, Cumberland County im US-Bundesstaat Maine. Vulture Air bot regelmäßige Flüge in über fünfzig Destinationen innerhalb der USA, sowie nach Lateinamerika, in die Karibik und nach Kanada an.
Der Flugbetrieb befand sich direkt am Flughafen Portland, wogegen die Firma vor einigen Jahren entschieden hatte, die Verwaltung etwas weiter draußen in Brunswick anzusiedeln, angeblich aus Kostengründen. Brady wurde nicht müde darauf hinzuweisen, dass die Frau ihres Einkaufschefs aus Brunswick stammte.
Ed Muller und Nigel Booth kannten sich seit über dreißig Jahren. Ed hatte früher selbst bei Vulture Air gearbeitet, aber nachdem er sich mit dem CEO Zach T. Henderson über die Anschaffung eines neuen IT-Systems verstritten hatte, widmete er sich aktuell seiner Malerei und baute nebenher eine eigene kleine Beratungsfirma auf. Die anderen waren schon etliche Jahre in dem Unternehmen beschäftigt, das ursprünglich als Charter-Airline gegründet worden war und sich vor geraumer Zeit ein neues Image als Low Cost- Anbieter gegeben hatte und damit mehr oder weniger erfolgreich war.
Muller hatte vor drei Jahren beschlossen, sich selbstständig zu machen. Er hatte eine akzeptable Abfindung aushandeln können und seitdem widmete er sich parallel der Malerei und dem Aufbau eines Kundenstamms. Inzwischen hing das Haus voll mit teilweise sehr bunten Ölbildern. Kate hatte bislang kein Veto eingelegt, nur als einmal ein Herbstwind seine nasse Leinwand mitsamt Staffelei über die Veranda gefegt hatte, war sie mit dem Vorschlag gekommen, die Planken aus dem Holz von ökologisch wertvollen Stauseebäumen mit Zeitungspapier abzudecken.
Henderson erklärte auf jedem Führungskräftemeeting, so etwas wie Burnout sei eine Erfindung von Gewerkschaftsvertretern und er könne sich eigentlich gar nicht vorstellen, was das genau sein sollte. Hat jemand von ihnen schon einmal einen Taliban mit Burnout gesehen?
Ed hatte schließlich die Entscheidung getroffen, seinem alten Leben den Rücken zu kehren und sich mehr um den angenehmen Teil zu kümmern.
Die Fahrt nach Vancouver Island war bereits Eds dritte Reise mit den ehemaligen Kollegen und Freunden. Die erste hatte sie nach Vegas geführt und nachdem alle die Trails durch die Red Rock Canyon National Conservation Area und den Valley of Fire State Park unbeschadet überstanden hatten, beschlossen sie, für die nächste Reise etwas mehr Wildlife zu wagen.
Nova Scotia hatte sich diesbezüglich als Reinfall erwiesen. Außer den Hummern, die sie auf dem Rückweg von Peggy’s Cove erstanden hatten und einer einsamen Elchkuh, die gleich am ersten Tag gemächlich neben der Straße entlang spazierte, hatten sie so gut wie keine Tiere zu sehen bekommen. Aber British Columbia sollte sie nicht nur in dieser Beziehung entschädigen.
Ed hatte seit einem Autounfall vor ewigen Jahren einen lädierten Knöchel und Bradys Knie waren so ausgeleiert wie die Stoßdämpfer seines 2010er Dogde Challenger, aber solange sie Whiteman und Paulie etwas zügeln könnten, wären die meisten Trails machbar, solange es keinen Starkregen gab. Außerdem wollten sie an der Westküste Wale sehen. Die Jahreszeit war angeblich perfekt dafür und es gab nicht mehr so viele Touristen, also beste Voraussetzungen.
Nanoose Bay lag knapp zwanzig Minuten nördlich von Nanaimo. Ihr geräumiges Ferienhaus bot einen atemberaubenden Blick über die Bucht. Am Horizont konnte man die Gipfel von Lasqueti Island erkennen.
In dem Haus am Meer herrschte eine äußerst relaxte Stimmung. Ohne dass es beim Frühstück groß thematisiert worden wäre, schien man sich für den zweiten Tag auf Grill and Chill in der Herbstsonne auf der Veranda geeinigt zu haben.
Ein erstes Highlight hatten sie bereits beim Kochen, als Ed mit dem Anzünder in der Hand versuchte, die elektrische Herdplatte zu entfachen.
„Kann mir einer erklären, warum die dann so ein Ding in der Schublade haben? Außerdem steht hier nirgendwo was von Strom. Hört auf so dämlich zu lachen!“
Ed bereitete seinen Standard-Kartoffelsalat zu, der Grieche steuerte noch einen riesigen Grünen Salat bei und Brady und Whiteman machten sich nützlich beim Tischdecken und dem Mixen einiger Gin Tonic, während Booth sich dem Grillen von Rindersteaks und Schälrippen widmete und dabei eine spontane Mischung aus Bier, Honig und Zitronenscheiben zum Einsatz brachte.
Tom Waits sang. In der Bucht spielten Seehunde.
Nach dem Essen holte Ed sich eines seiner Bücher und zog sich einen Stuhl vom Mittagstisch in die Sonne. Man konnte es ohne Jacke eine Weile draußen aushalten. Whiteman studierte den Reiseführer. Nur der Grieche wuselte aufgekratzt umher. Mal schabte er am Grill herum, dann verschwand er in der Garage, um kurz darauf zu verkünden: „Wir haben drei Kajaks. Wie sieht‘s aus, wollen wir eine Runde drehen?“
Ed warf einen Blick unter dem Geländer hindurch in die Bucht. Sie hatten sich längst daran gewöhnt, dass immer irgendein Seehund oder Fischotter in Rufweite herumplantschte. In der Ferne zog eines der großen Kreuzfahrtschiffe seine Bahn in Richtung Alaska. Gerade tauchte wieder eines der possierlichen Tiere auf. Es könnte ein Seehund sein oder aber ein…alter Indianer. Er rieb sich die Augen und sah erneut auf die glitzernde Wasseroberfläche. Nichts.
„Vielleicht morgen. Ist gerade sehr angenehm hier in der Sonne und danach wird es zu kalt.“
„Whiteman, was ist?“
„Mach du mal, ich lese gerade was nach. Wir feuern dich von hier oben an.“
„Ihr seid echt langweilige Typen, das muss man mal festhalten. Kommt hier nach Kanada und habt den Pazifik direkt vor der Haustür und dann liegt ihr nur faul rum.“
„Genau genommen ist das da drüben die Strait of Georgia. Lass die alten Männer mal ausruhen. Vielleicht später.“
Paulie verschwand grummelnd im Haus, um zehn Minuten später mit Fahrradhelm und Radlerhose bekleidet wieder vor ihnen zu stehen.
„Kleine Tour? Brady hat freundlicherweise extra organisiert, dass für jeden ein Fahrrad da ist.“
„Da wussten wir auch noch nicht, dass das hier so steil ist. Du kommst doch niemals den Berg hoch.“
„Ihr seid echt blöd, wisst ihr das?“
Nach immerhin zwei Stunden stand ein völlig verschwitzter, anscheinend aber sehr zufriedener Grieche vor ihnen. Er hielt Booth sein Smartphone unter die Nase.
„Hier, die Nachbarin hat einen Seeadler. Geil, was?“
„Wir haben eine Nachbarin? Die gehen wir ja gleich mal besuchen.“
„Ist klar, Booth hört was von Frauen und schon ist er wach.“
„Quatsch. Ich will mir nur mal ihren Piepmatz angucken.“
„Du meinst, zeigst du mir deinen Piepmatz, zeige ich dir meinen?“
„Ich hab‘ sie eingeladen. Die will später mal rüberkommen.“