Vorbild und Professionalisierung in der Ausbildung zum Notfallsanitäter: - Thomas Prescher - E-Book

Vorbild und Professionalisierung in der Ausbildung zum Notfallsanitäter: E-Book

Thomas Prescher

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Beschreibung

Die Professionalisierung in der Ausbildung zum Notfallsanitäter bestimmt sowohl die Diskussion auf Seiten der SchülerInnen mit ihren präklinischen Handlungskompetenzen als auch die Lehrkräfte und Dozenten mit ihren pädagogischen Kompetenzen. Im Band werden dazu unterschiedliche Perspektiven durch die Autoren eingenommen, um den Status quo und Entwicklungsbedarfe innerhalb es präklinischen Tätigkeitssystems aufzuzeigen. Dazu wird dargestellt, welche Vorbilder die Auszubildenden innerhalb der Notfallsanitäterausbildung wählen, welche Bedeutung die Gestaltung des Wirkfaktors Beziehung hat, die dem Handlungsmuster des Rettungsdienstes entgegenzustehen scheint sowie welche Rolle eine pädagogischen Haltung für einen schülerzentrierten und situationsangemessenen Unterricht spielt und unter welchen Gesichtspunkten diese entwickelt werden kann. Im Band geht es im Kern um die Diskussion von Werten und Normen innerhalb einer auf Handlungskompetenz ausgerichteten Notfallsanitäterausbildung. Es geht um Vorbilder und ihre Wirkung und das übergeordnete Ziel, am Ende der Ausbildung eine Fachkraft zu haben, die eigenverantwortlich und patientensicher entscheiden und handeln kann.

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Inhaltsverzeichnis

Thomas Prescher

Pädagogische Haltung in der Notfallsanitäterausbildung: Intuitive Pädagogik als Unterstützungselement im schulischen Lehr-Lernprozess und der Lehrkräfteprofessionalisierung

Zusammenfassung

1 Identität und doppelte Authentizität: In der Welt fühlen und handeln

2 Pädagogische Haltung: Garant für situationsangemessenes Verhalten

3 Intuition spüren: Mit sich, den SchülerInnen und der Institution in Verbindung sein

4 Pädagogische Handlungsfähigkeit erweitern: Intuitive Pädagogik für eine Synergetik des Lernens

5 Quintessenz

Literatur

Ingo Winterstein

Vorbilder in der Ausbildung zum Notfallsanitäter: Fragebogenstudie zur Wirksamkeit der Berufsideale und Leitbilder als Einflussfaktoren für die berufliche Entwicklung von Auszubildenden an den drei Lernorten.

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

1.2 Zielsetzung

1.3 Vorgehen

2 Wissenschaftliche Betrachtung und Auswahl von geeigneten Modellen

2.1 Die Verwendung des Begriffs „Vorbild“

2.2 Die Bedeutung von Vorbildern in der Entwicklungs- und Lerntheorie

2.3 Die Rolle von Idolen für die Identitätsbildung

2.4 Vorbilder im Kontext der Berufswahl

2.4.1 Eltern als Vorbilder

2.4.2 Peergroups als Vorbilder

2.4.3 Gender-Aspekte bei der Berufswahl

2.5 Lernmotivation durch Vorbilder

2.6 Der Einfluss von Lernorten auf die Lernmotivation

2.7 Lehrende als Vorbilder

3 Darstellung und Begründung von der Vorgehensweise dieser Fragebogenstudie

3.1 Ziele und Forschungsdesign

3.1.1 Forschungsmethode

3.1.2 Datensammlung: Grundgesamtheit und Stichprobe

3.1.3 Datenbeschreibung

3.1.4 Analysemethode

3.2 Begründung der Online Befragung

3.3 Konzeption des Online-Fragebogens

3.3.1 Fragebogenspezifische Faktoren

3.3.2 Befragungsspezifische Faktoren

3.3.3 Befragtenspezifische Faktoren

3.3.4 Inhalte

3.3.5 Umfang der Befragung

3.3.6 Pretest

3.3.7 Marketing und Ansprache der potenziellen Teilnehmer

3.4 Durchführung der Befragung

4 Auswertung der Befragung

4.1 Gesamtdaten inkl. Demographie

4.2 Stichprobenverteilung durch Filter

4.3 Vorbild für die Berufswahl

4.4 Neues Vorbild seit Beginn der Ausbildung

4.5 Zukünftiger Berufswunsch

4.6 Selbst ein Vorbild

4.7 Einschätzung von Eigenschaften und Kompetenzen der TN sowie der Vorbilder

4.8 Motivationslevel in Bezug auf die Berufsausbildung im Kontext der lernfördernden/motivierenden Wirkung durch Vorbild(-er) und der Lernorte

4.9 Veränderungen durch das Vorbild

4.10 Darstellung des idealisierten Vorbilds

5 Diskussion

5.1 Darstellung der Ergebnisse

5.2 Diskursive Auseinandersetzung mit den Ergebnissen

6 Fazit

Literatur

Anhang

Anhang 1: Fragebogen

Julia Schäffer

Wirkfaktor Beziehung: Die professionelle Rolle der Lehrkraft in der Notfallsanitäterausbildung und ihre potentielle Einflussnahme auf Lern- und Bewertungsprozesse

1 Einleitung: Neue Erfahrungen für Lehrkräfte in der präklinischen Notfallmedizin

1.1 Relevanz des Themas

1.2 Kernfragen und Zielsetzung

1.3 Herangehensweise und Strukturierung

1.4 Methodik

1.5 ´Wirkfaktor Beziehung`

2 Die Frage nach der Verantwortung im Lehr-Lernprozess

2.1 Erwartungshaltung als Einflussfaktor – kognitiv oder normativ?

2.2 Die Rolle der Lehrkraft in der präklinischen Notfallmedizin

2.2.1 Grundlagen einer systemischkonstruktivistischen Erwachsenenbildung

2.2.2 Rollenfindung – Positionierung zwischen Nähe und Distanz

2.2.3 Professionalität als nicht definierbare Anforderung

2.2.4 Kompetenzanforderungen zur Generierung von Handlungsfähigkeit

2.2.5 Widersprüche und Grenzen als mögliche Ressource für Entwicklung

3 Zwei scheinbar divergente Blickwinkel auf die pädagogische Beziehung

3.1 Beziehung als Anspruch

3.1.1 Der pädagogische Bezug nach Hermann Nohl und ein In-Beziehung-gehen

3.1.2 Die dialogische Begegnung nach Martin Buber

3.1.3 Beziehung auf Basis von Anerkennung

3.1.4 Die dialogische Haltung und ihre Wirkung auf die Selbstwirksamkeit

3.1.5 Grenzen des vorgestellten Beziehungsanspruchs

3.2 Die Tätigkeitstheorie

3.2.1 Die vermittelte Handlung nach Vygotskij

3.2.2 Die Tätigkeit als Produkt kollektiver Handlungen nach Leont´ev

3.2.3 Das Tätigkeitssystem als Analyseinstrument nach Engeström

3.2.4 Grenzen der Tätigkeitstheorie

3.3 Divergenz oder Konvergenz

4 Anspruch und Wirklichkeit – eine Verknüpfung

4.1 ´Tätigkeitssystem Notfallsanitäterausbildung`

4.1.1 Der Lehr-Lernprozess im Tätigkeitssystem..

4.1.2 Unsichere Beziehungsstrukturen verhindern Eigenverantwortlichkeit

4.1.3 Auswirkungen einer anerkennenden Beziehungsgestaltung im ´Tätigkeitssystem Lehr-Lernprozess`

4.1.4 Bewertungs- und Beurteilungssituationen mit Fokus auf Examensprüfungen im Tätigkeitssystem

4.1.5 Bewertung und Beurteilung – ´kritische Situationen` für die Beziehung?

4.2 Die pädagogische Beziehung als verbindende Größe im ´Tätigkeitssystem Notfallsanitäterausbildung

5 Fazit und Ausblick

5.1 ´Wirkfaktor Beziehung` als entscheidende Größe der Prozess-Verbesserung mit Einflussnahme auf den Outcome

5.2 Eine Haltung bietet Entwicklungspotential und verringert den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit

5.3 Ausblick

Literatur

Autorinnen und Autoren

THOMAS PRESCHER

Pädagogische Haltung in der Notfallsanitäterausbildung: Intuitive Pädagogik als Unterstützungselement im schulischen Lehr-Lernprozess und der Lehrkräfteprofessionalisierung

Zusammenfassung

Pädagogische Haltung in der Notfallsanitäterausbildung dient dazu, sich als LehrerInnen, die gleichzeitig NotfallsanitäterInnen sind, situationsangemessen und schülerorientiert zu verhalten. Voraussetzung ist dafür eine Persönlichkeitsentwicklung, die dazu dient, persönliche mentale Modelle zu erkennen und eine defiziente Mentalität zu überwinden. Im Beitrag wird dazu die pädagogische Haltung als Element professioneller Handlungskompetenz thematisiert und danach gefragt, wie Aspekte der Identität der Lehrkraft, die gleichzeitig ein Notfallsanitäter ist, mit den sich zum Teil wiedersprechenden Situationsanforderungen des Lehr-Lernsettings gegenüber dem Inhaltszusammenhangs eines präklinischen Notfallsettings zusammengeführt werden können? Dazu wird der Gegenstand der Intuition in der Pädagogik mit Hilfe einer systemischen Perspektive eingeführt und ein Modell der Intuitiven Pädagogik entwickelt, um in nichtstandardisierten Situationen das Potential der pädagogischen Haltung als Professionsmerkmal zu entfalten und eine effiziente schülerorientierte Unterrichtsgestaltung und -durchführung zu ermöglichen.

1 Identität und doppelte Authentizität: In der Welt fühlen und handeln

Die eigene Identität ist ein Konstrukt, das aus einem Individuum heraus durch das kulturell-soziale Wechselspiel in der eigenen biographischen Entwicklung entsteht. Das Konstrukt der Identität verhilft aus erziehungswissenschaftlicher Sicht zu einer Entwicklungsperspektive, denn es

„(…) ist eher Prozess als Struktur, eher ein lebenslanges Projekt als ein Fundament, das durchs Leben trägt und von dem aus die Zukunft entworfen werden kann.“ (Born 2002, S. 13)

Die Dynamik der Entwicklung ergibt sich aus der starken Verbindung zu den sozialen Rollen eines Individuums in einem professionellen Kontext, wie KollegIn sein, NotfallsanitäterIn oder LehrerIn sein, und den sich daraus ergebenden Konflikten und Krisen, wenn Differenzen zwischen der inneren Entwicklung und den äußeren Anforderungen bestehen.

Es lassen sich dazu zwei Bereiche unterscheiden: einerseits die personale Identität, andererseits die soziale Identität. Erstere resultiert aus Quellen, die im persönlichkeitspsychologischen Sinn als Eigenschaft aufgefasst werden können und beinhaltet Faktoren, die Personen ähnlich zu sich selbst und verschieden zu anderen konstituieren. Die soziale Identität, wie z.B. die Rolle als NotfallsanitäterIn und LehrerIn an einer Berufsfachschule, kann als Umstand der sozialen Umwelt angesehen werden. Diese beiden Aspekte dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern unterliegen einer Interaktion und wechselseitigen Beeinflussung, weil eine Person im Sinne einer inneren Stimmigkeit zwischen der personalen und sozialen Identität vermitteln muss (vgl. Wenzler-Cremer 2005, S. 69ff.) Dieses Vermitteln zeigt sich im Selbst als Bezug zum eigenen Gefühl und in den handelnd ausgeführten Rollen/Gewohnheiten als Bezug zur Welt (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Spannungsfeld Identität und Authentizität an Rettungsdienstschulen. Quelle: Eigene Darstellung.

Ein Diskrepanzgefühl des Lehrenden zwischen „Was brauche ich?“ und „Was braucht die SchülerIn bzw. was erfordert die Situation“, die gerade Gegenstand des Unterrichts ist, kann dabei in Form einer positiven Dissonanz als Ursache für Entwicklungsprozesse dienen. Als negativ erlebte Dissonanz und zu stark erlebte Diskrepanz durch einen Widerspruch zwischen der eigenen wahrgenommenen Identität und einer möglichen Soll-Identität kann dies auch in Gefühle der Hilflosigkeit, Überforderung und Enttäuschungen, aber auch Traurigkeit, Depressionen oder Wut münden. Darin werden die Aspekte Vorbilder und pädagogische Beziehung sichtbar wie sie in den Beiträgen von Winterstein und Schäffer in diesem Band angedeutet werden. Die Autoren sprechen hier von einem generellen Anforderungs- und Erwartungswiderspruch in den unterschiedlichen Settings der Lernorte.

Im Beitrag zum Thema Vorbilder zeigt sich dies daran, dass Auszubildende häufiger Vorbilder im Lernort Praxis auswählen. Im Beitrag zum Thema Wirkfaktor Beziehung wird dies sichtbar, dass präklinische Beziehungsmaßstäbe am Lernort Schule eher für Schwierigkeiten und Spannungen im Tätigkeitssystem des Lernortes Schule erzeugen. Die in unmittelbarem Zusammenhang zur an Berufsfachschulen des Rettungsdienstes stehenden Werte als Vermittlungsvariable zwischen Person und Situation sind jedoch die Voraussetzung für einen schülerzentrierten Unterricht und eine patientenprozessorientierte Einsatzbearbeitung (vgl. Müller et al. 2020). Die dafür relevante Bezugssituation ist dabei zum einen die konkrete Notfallsituation zwischen Auszubildenden und PatientIn, aber auch der generelle institutionelle Kontext, wie das pädagogische Zusammenspiel am Lernort Schule.

Der persönlichen Authentizität kommt hier eine doppelte Bedeutung aber auch Herausforderung zu, die Parthe (2011, S. 173) als Unterscheidung „Authentizität“ und „Öffentlichkeit“ beschreibt. Der Begriff der Authentizität steht hier für Elemente der Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung, dabei soll sich das Wesen und die Tätigkeit als LehrerIn in die Gesamtperson einordnen (vgl. Fuchs 1977, S. 60). Die eigene öffentliche Selbstdarstellung sollte in diesem Sinne als persönliche Authentizität konsistent sein. Gleichzeitig bewegen sich LehrerInnen immer in einer Organisation bzw. Institution, die eine bestimmte Funktion innehat, so dass die Rollenausgestaltung diese Funktion erfüllen muss. Und hier schlägt sich der Begriff der „Öffentlichkeit“ als „Situationsauthentizismus“ (Prescher 2009, S. 207) nieder, der aussagt, dass sich eine Person innerhalb eines institutionellen Bezugsrahmens nicht in jedem Fall authentisch gegenüber sich selbst, auch nicht immer authentisch als situationsangemessen – im sozial-interaktiven Sinne gegenüber den SchülerInnen oder KollegInnen – verhalten kann.

Die Bildung mentaler Modelle findet über eine Generalisierung bisheriger Erfahrungen in Übertragung auf zukünftiges Handeln statt, das nach den Regeln und Routinen der Organisation und zum Erhalt der „Mitgliedschaftsbedingung“ (Luhmann 1994, S. 210) erfolgsversprechend ist. Im Rettungsdienst sind das immer wieder die Werte, Regeln und Normen die sich auf den Rettungswachen im täglichen Einsatz etabliert haben. Dies führt an den Schulen zu einem permanenten Vergleich – was brauche ich, was braucht die SchülerIn und was erfordert die zukünftige Situation. Widersprüche in den Lehrausaussagen gehören hier immer wieder zum Alltag (vgl. Karutz 2011, S. 255) Damit erhöhen sich die Verweisungsmöglichkeiten. Es werden nicht nur die aktuellen Situationsanforderungen im Kontext des schulischen Unterrichts innerhalb einer Klasse berücksichtigt, sondern auch zukünftige aus dem jetzigen Handeln möglicherweise resultierende „Verhaltenszumutungen“ (Krause 1996, S. 156) durch den Rettungsdienst mit seinen PatientInnen und Notfallbildern.

In Bezug auf die Gegenstände der Identität, persönlichen Authentizität und des Situationsauthentizismus ist die Fragestellung ausschlaggebend, wie überhaupt eine Sensibilität für Informationen und sprachliche Interaktion zu erzeugen ist, damit diese wahrgenommen werden. Unter dem Aspekt des Modells verschiedener Ebenen der Komplexitätsbewältigung im Sozialen spielt dies eine nicht zu vernachlässigende Rolle, denn was möglich ist und was nicht wird in Anlehnung an Luhmann (1997, S. 829) durch das soziale System mit vorbestimmt, da das soziale System vorselektiert, was alle sehen, was niemand sieht und was nur einzelne sehen:

„Als Systemform gesehen markiert Mitgliedschaft die ´Innenseite´ der Form, also das, was im System primär interessiert und in seinen Konsequenzen zu beachten ist.“ (ebd.)

Es findet dahingehend ein Vergleich mit der bisher nach außen präsentierten Selbstbeschreibung von sich selbst statt, die es über die verschiedenen Situationen hinweg stabil zu halten gilt, um für den unterstellten Bereich der Klasse und die PatientInnen im Einsatz berechenbar zu sein. Die persönliche Authentizität und der Situationsauthentizismus haben damit in hohem Maße einen vergangenheits- und zukunftsorientierten Bezug, wodurch sich an den Anspruch der Angemessenheit des Verhaltens nicht ein unmittelbares, sondern auch ein mittelbares Verhältnis im Sinne des Kontextbezuges ergibt. Dies kann – wie im folgenden Abschnitt herausgearbeitet wird - durch eine entsprechende pädagogische Haltung ausgestaltet werden.

2 Pädagogische Haltung: Garant für situationsangemessenes Verhalten

Pädagogische Haltung wirkt zunächst als ein unscharfer fast provozierender Begriff, der überall dort zu wirken scheint, wo Menschen in verschiedenen sozialen Kontexten mit SchülerInnen interagieren. Der Begriff pädagogische Haltung, so die Annahme, ist für eine LehrerIn besser als keine pädagogische Haltung. Die pädagogische Haltung wird dazu als ein Phänomen der Ausdruckskontrolle verstanden, bei dem in einem „Quasi-Schonraum“ den LehrerInnen die Chance gegeben wird, sich mit den unterschiedlichen und auch „harten“ Realitäten auseinanderzusetzen und eine gemeinsame Interaktionsbasis zu finden (vgl. Jaun 1999, S. 261ff.).

LehrerInnen unterscheiden sich dabei dahingehend, wie sensibel sie in pädagogischen Situationen und Beziehungen für Hinweisreize bzw. die Bedürfnisse, Werte und Gewohnheiten anderer sein können. Sie sollen aber auch die Perspektive darauf richten, wie gewandt sie sich situationsangemessen pädagogisch verhalten können, um im Sinne „professioneller Ermöglichung von Bildung, Selbstbestimmung (…), die Neues hervorbringt und damit auch Altes in Frage stellt“ (King 2006, S. 63), zu agieren.

Im Arbeitsalltag finden sich unzählige Beispiele, die bei genauerer Betrachtung die bestehende als „pädagogisch“ angesehene Haltung vehement in Frage stellen. Gehäuft finden sich folgende Erkennungszeichen:

Unzureichende Zurückhaltung gegenüber intrusivem Agieren (Den Auszubildenden werden stetig die gleichen Fehler auf unpädagogische, machtdemonstrierende Art vorgehalten, die er vor mehreren Wochen oder Monaten begannen hat.)

Ausbleiben pädagogischer Verantwortungsübernahme (Auszubildende streiten sich, der Streit eskaliert und die pädagogische Fachkraft sieht tatenlos zu.)

Ambiguitätstoleranz und mangelndes Einfühlungsvermögen (Pädagogische Fachkräfte senden bewusste Doppelbotschaften oder reagieren mit Sarkasmus.)

Unzureichendes Verständnis für differente Lebensweisen (Pädagogische Fachkräfte sind nicht in der Lage, sich empathisch und respektvoll ihren Auszubildenden zuzuwenden.) u.a.m.

Oftmals besteht zwischen den Lehrkräften und den Auszubildenden eine vertikal-hierarchische Machtverteilung, die auf Überlegenheits- bzw. Abhängigkeitsverhältnissen beruht. Die pädagogische Haltung kann demgegenüber als innerer Filter verstanden werden, der in pädagogisch relevanten Situationen auf das Verhalten der LehrerInnen regulierend wirkt und damit die Art und Weise des Handlungsvollzuges bestimmt. Hierzu kann die pädagogische Haltung selbst als „Kontingenzformel“ (Luhmann & Schorr 1999, S. 61) für pädagogische Fachkräfte bezeichnet werden, wenn es darum geht, die starke Ausdifferenzierung sozialer Realitäten und Lebensweisen, das starke Anwachsen von möglichen Inhalten und Themen sowie die funktionale Relevanz von verschiedenen sich überschneidenden Lebensbereichen zu bewältigen. Eine solche Kontingenzformel zeichnet sich dadurch aus, dass im pädagogischen Handeln immer ein reflexives Bewusstsein vorhanden ist, das Erziehung und Bildung als „selektives Verfahren“ unterstützt.

Systematisch betrachtet Treml (2000, S. 183ff.) diese Art der pädagogischen Intervention als die gezielte Verwendung pädagogischer Medien, als „(…) generalisierte Form von Selektionsübertragungen in pädagogischen Kontexten.“ Die pädagogische Haltung umfasst hier den verantwortungsvollen Umgang mit der pädagogischen Macht, die pädagogische Liebe, den pädagogischen Humor, den pädagogischen Takt sowie den pädagogischen Optimismus. Die persönliche Intuition greift im Idealzustand persönlicher Reife bei kritischen Situationen ein und wirkt sich somit regulierend auf die interaktionellen Handlungen zwischen LehrerInnen und SchülerInnen aus.

Dabei liegt es i.w.S. an jeder pädagogischen Fachkraft selbst, ob sie eine hohe oder eine niedrige Ausprägung in der pädagogischen Haltung hat, die ihr dazu verhilft, sich in kritischen Aktionen situationsangemessen und schü-lerzentriert zu verhalten, denn die Ausprägung der pädagogischen Haltung hängt in großem Maße von der eigenen Persönlichkeitsbildung ab, die die Voraussetzung für ein reflexives Bewusstwerden der eigenen Muster darstellt. Dieses reflexive Moment in der pädagogischen Haltung kann im Hinblick auf vier Leistungen beschrieben werden (siehe Abbildung 2):

Identität - Die Perspektive über die Wirkung der eigenen Person: Wer bin ich und wer will ich sein? Was denke ich, was andere über mich denken?

Persönliche Authentizität - Die Reflexion über die eigene Person und die pädagogische Situation: Was brauche ich und will ich?

Situationsauthentizismus - Die Fremdwahrnehmung meines Gegenübers mit dessen Erwartungen sowie die generelle Rollenerwartung: Was brauchen die SchülerInnen und was erfordert die Situation, insbesondere der Lerngegentand präklinischer Notfallversorgung?

Und zum Schluss das darauf bezogene Verhalten – als möglichst situationsangemessenes pädagogisches Verhalten: Wie handele ich im Sinne einer pädagogischen Haltung, die das Lernen der Lernenden in Bezug auf den Lerngegenstand präklinische Notfallversorgung im Blick hat?

Abbildung 2: Pädagogische Haltung für ein schülerzentriertes und situationsangemessenes Lehrerverhalten. Quelle: Eigene Darstellung.

Hinsichtlich der Orientierung auf die Kontingenzformel der pädagogischen Haltung entsteht damit in der Literatur der Eindruck, dass es sich hier um die Verbesserung von Anschlusswahrscheinlichkeiten in der Kommunikation von pädagogischen Fachkräften gegenüber SchülerInnen handelt. Eine pädagogische Haltung, so scheint es, schöpft vorhandene Sensibilitätspotentiale für soziale Vergleichsinformationen durch flexibles Verhalten besser aus, um Anschlussselektionen von pädagogischer Kommunikation wahrscheinlicher werden zu lassen.

Für eine gute pädagogische Haltung ist es insofern unablässig, dass die LehrerInnen seine emotionalen Impulse (z.B. Aggression, Gereiztheit) zügeln, die inneren Gefühle einer anderen Person exakt deuten und zwischenmenschliche Beziehungen im Abgleich mit institutionellen Anforderungen intuitiv geschickt handhaben kann.

3 Intuition spüren: Mit sich, den SchülerInnen und der Institution in Verbindung sein

Intuition ist eine natürliche Ressource, auf die jeder Mensch in jeder Lebenslage zugreifen kann. „Unter Intuition wird eine spezifische Weise des Erkennens verstanden, die im Gegensatz zum diskursiven Denken steht“ (Friesacher 2008, S. 219). Damit Menschen in Situationen richtig entscheiden können, müssen sie ihr Urteilsvermögen mit der Kraft der Intuition leiten (vgl. Mata 2011, S. 11ff.).

„Wenn wir über Intuition sprechen, so sprechen wir über eine höhere Form der Kommunikation. Die Intuition ist kein Monolog und keine Einbahnstraße, sondern ein Dialog, ein Zwiegespräch“ (Tepperwein & Aeschbacher 2006, S. 26f.). Sie ermöglicht den Lehren, mit ihrer Identität „Ich bin“ in Verbindung zu stehen und einen Tatbestand, eine Situation oder einen Vorgang unmittelbar zu erkennen und adäquat einzuschätzen. Er erweitert dadurch seine Handlungsperformanz, gewinnt neue Einsichten und kann innovative Behandlungs- und Unterrichtsansätze in seinen Berufsalltag integrieren. Die Intuition ist dabei nicht nur bei Entscheidungsprozessen hilfreich, sondern auch bei der Suche nach Lösungsansätzen. Persönliche Authentizität unterstützt diesen Prozess und bewirkt, dass eingefahrene und scheinbar interventionsressistente Situationen erkannt, aufgebrochen und durch kreativ-innovative Angebote neu belebt werden.

Dazu ein Beispiel:

Zwei Lehrkräfte einer Rettungsdienstschule stehen vor der Aufgabe und Herausforderung, dass sie neben einer Fachkompetenz im notfallmedizinischen Bereich auch eine Personal- und Sozialkompetenz bei ihren SchülerInnen entwickeln sollen. Die SchülerInnen sind im ersten Schuljahr und beginnen gerade mit dem dritten Ausbildungsblock an der Schule und hinsichtlich der Gruppendynamik sind deutliche Spannungen spürbar. Die Lehrkräfte erfassten intuitiv, dass sich sowohl das Lernklima als auch das Lernverhalten der Klasse veränderte, wenn sie jeweils tageweise als LehrerInnen ihren Hund mit in den Unterricht brachten. Nach zufälligen und eher intuitiven Beobachtungen spielten sie bewusst mit dem didaktischen Instrument (Schul-)Hund und entwickelten daraus ein Projekt an ihrer Schule, dass eine positive Wirkung hat (vgl. Müllerleile et al. 2019).

Intuition kann hier als Folge von „evolvierten Fähigkeiten“ (Gigerenzer 2008, S. 69) angesehen werden und LehrerInnen dabei unterstützen innerhalb von Situationen Strukturen wieder zu erkennen, die bestimmte Fähigkeiten abrufen und damit Entscheidungen ermöglichen, ohne dass ein bewusstes „Durchdenken“ zunächst nötig ist. Die evolvierten Fähigkeiten stehen eng im Zusammenhang mit Heuristiken menschlichen Verhaltens, die – an dieser Stelle kritisch betrachtet - als vereinfachende Annahmen entscheidungsrelevant sein können. LehrerInnen, die bspw. auch noch nach Jahren im Rettungsdienst aktiv tätig sind, beurteilen Situationen durch die „Brille“ der üblichen „Geschwindigkeit der Kommunikation“ wie sie beim Abarbeiten einer Notfallsituation im Rahmen des Crew Ressource Management gefordert ist. Die Güte der Intuition hängt dabei daher von der sinnvollen Anwendung von Entscheidungsheuristiken innerhalb bestimmter Umweltkonstellationen ab, da häufig unvollständige Informationen über die Umwelt zu intuitiven Vermutungen als Anwendung der Heuristiken führen (Enste & Hüther 2011, S. 12ff.). Vor dem Hintergrund der zur Anwendung kommenden Heuristiken ist Intuition nicht grundsätzlich zu bevorzugen, da eine „defiziente Mentalität“ (Bahro 2002, S. 25) die verfügbare Bewusstseinskapazität beeinträchtigt und damit ein integrales Moment des Erlebens und Handelns verhindert. Damit kann Intuition als ein zweifaches verstanden werden:

Reaktion auf eine bestimmte Umweltkonstellation, die bei unvollständigen Informationen die Entscheidungen ermöglicht, wenn die individuellen Fähigkeiten zur Situation passen.

Intuition basiert auf Erfahrungen und Annahmen über die Umwelt. Je „wahrer“ diese Annahmen sind und je weniger gefühlsmäßige Verfärbungen diese Annahmen beeinträchtigen, um so „besser“ können Entscheidungen getroffen werden. Die Intelligenz der Intuition ist eng verbunden mit den persönlichen Gefühlen innerhalb von Situationen.

Im Berufsalltag muss der Lehrer Enormes leisten: Zum einen muss er voll mit der Situation assoziiert sein, aktiv zuzuhören, empathisch dem Schüler zu folgen, um seine Situation überhaupt zu verstehen. Und dann, switch, dissoziiert neben dem Setting zu stehen und aus der Metaebene auf sich und den Schüler und präklinische Handlungssituation im Rahmen der Lernsituation zu schauen: Was passiert hier gerade? Wie fühle ich mich gerade? Was höre ich? (vgl. Stephan & Gross 2011, S. 159f.). Diese Art der selbstreflexiven Grundhaltung ermöglicht es, sowohl assoziiert als auch dissoziiert auf den Ebenen der Identität, der persönlichen Authentizität und des Situationsauthentizismus in Verbindung mit der Intuition die bestmögliche pädagogische Haltung zu gewährleisten. Der Schüler fühlt sich verstanden und die Aufgabenerfüllung in der Institution kann sichergestellt werden, so dass die Basis für ein vertrauensvolles Miteinander erreicht ist.

Der bewusste Einsatz der Intuition ist ein Must-have zur Verbesserung der Effizienz und Professionalität im schulischen Kontext (vgl. Zeuch 2010, S. 158) und bündelt sich in einem Ansatz einer Intuitiven Pädagogik für die Sinne (siehe Abbildung 3).

4 Pädagogische Handlungsfähigkeit erweitern: Intuitive Pädagogik für eine Synergetik des Lernens

Nach Heitkämper (2000) finden sich Elemente einer Intuitiven Pädagogik in verschiedenen Ansätzen wieder, wobei als Grundkonsens davon ausgegangen werden kann, dass es sich dabei um das Bemühen handelt, die Intuition als wesentlichen Einfluss auf die Urteilsbildung und damit auf den pädagogischen Handlungsvollzug zu verstehen. Diese Urteilsbildung bezieht sich in einer doppelten Perspektive zum einen auf die Selbstreflexion der LehrerInnen, zum anderen auf die Arbeit mit den SchülerInnen.

Die Intuition in der Pädagogik dient als interne Referenz, um das eigene Selbstbild mit Hilfe eines inneren Dialogs zu kalibrieren und damit gefühlsmäßige Plausibilitätserfahrungen zu stiften. Intuition ist dabei grundsätzlich von reiner Impulsivität getrennt zu verstehen. In der Form des intuitiven Wahrnehmens verbindet sich die Erfahrung mit einem zukünftigen Möglichkeitsraum und sichert diesen gefühlsmäßig ab. Es geht hier um eine Empathie für Situationen und Menschen, um zu Bewertungen zu gelangen, die Handlungsalternativen sowie deren Vollzug ermöglichen. Besonders Situationen, die ein schnelles Handeln bzw. auch einschreiten erfordern, bedürfen eines intuitiven Vollzuges, der auch als pädagogischer Takt beschrieben werden kann, wenn es darum geht situationsangemessen zu handeln. „Der pädagogische Takt basiert (…) in einer konkreten Situation auf einem Gefühl, welches das pädagogische Handeln lenkt“ (Gramelt 2010, S. 39). Der pädagogische Takt kann im Sinne des Beitrags von Schäffer in diesem Band als ein Beitrag zum Wirkfaktor Beziehung angesehen werden.

Dieser Takt in der pädagogischen Interaktion ist besonders deswegen von Bedeutung, weil eine zwischenmenschliche Beziehung nicht auf eine „Zweck-Mittel-Relation“ (Maschelein 1991, S. 9) reduziert werden kann. Die Intuition ist in Folge reformpädagogischer Ansätze vielmehr ein zentrales Element der „intuitiven Erkundung“ (Hopf 2004, S. 254) des Gegenübers in seiner emotionalen Gestimmtheit, die mit wissenschaftlicher Rationalität und Methode allein nicht zu erschließen ist. Intuition, so die Annahme, unterstützt pädagogische Fachkräfte dabei, sich ein Bild von der Situation und den SchülerInnen zu machen und gleichzeitig sich dabei selbst auf die Spur zu kommen, wenn dieses eigene Bild ein „falsches“ Bild ist und die angebotenen Hilfen ins Leere laufen.

„In diesem Wirrsal möglicher Gründe des Versagens sich konkret zurechtzufinden, ist eine Sache der Intuition und der Erfahrung; die Menschenkenntnis und das Lebensverständnis überhaupt sind dabei ebenso entscheidend (…)“ (Flitner 1997, S. 87).

Eine Intuitive Pädagogik, wie sie hier verstanden wird, kann somit in einer systemischen Perspektive als „zulassende“ Pädagogik (vgl. Arnold 2010) beschrieben werden, die sowohl bei den SchülerInnen als auch bei der LehrerIn die Arten des Selbstausdrucks beobachtet und deren Wirkungen im Blick hat. Hier gerät ein Wechsel der „Lernkultur“ (Arnold & Schüßler 1998) in den Blick, den Erpenbeck (2000, S. 87.) als einen Übergang zu einer synergetischen Perspektive beschreibt, welche die Entwicklung von Dispositionen für ein selbstorganisiertes Handeln unterstützt.

Der Begriff der Synergetik bringt hier zum Ausdruck, dass an der Schule im Unterricht verschiedene Wechselwirkungen von Systemelementen in den Blick genommen werden, um Ordnungselemente für „Ordnungsübergänge“ (Schiepek et al. 2000, S. 170) als Ausgangspunkt für Selbstorganisationsprozesse gestalten und begleiten zu können. Eine synergetische Perspektive einer intuitiven Pädagogik bietet Anknüpfungspunkte, um „die überholte Spaltung von Gefühl und Ratio“ (Burow 1992, S. 10) zu überwinden und im Sinne eines schülerzentrierten Verständnisses das Arrangement der Konstruktion der inneren Wirklichkeit von SchülerInnen als „Synergy and Love“ (ebd.) zu unterstützen. Dieses Synergy and Love-Konzept kann im Sinne einer Intuitiven Pädagogik so verstanden werden, dass ein Lehrer sich selbst seinem Spiegelbild mit seinen Projektionen, Schatten und Gefühlsmustern aussetzt beziehungsweise die SchülerInnen dabei unterstützt, ihr eigenes Selbst zu erkunden, und, wie Wilber (2008, S. 162) es formuliert, sich „mit seinem Selbstbild identifiziert. Es schließt die kindlichen, emotionalen, rationalen wie auch irrationalen Aspekte (…) ein.“

Zur Entwicklung einer Intuitiven Pädagogik als ein Element der Selbststeuerung in der Notfallsanitäterausbildung kann daher geschlussfolgert werden, dass die Dimensionen stärker in den Blick zu nehmen sind, die eine Gestaltung eines synergetischen Feldes für die SchülerInnen und LehrerInnen fokussieren (siehe Abbildung 3). Diese können dann eine Intuition verwirklichen, da „Veränderung immer auch Selbstveränderung“ (Arnold 2011) ist und die Kompetenz einschließt, sich elegant und resonant durch und mit diesen Veränderungen zu bewegen und sich dabei stimmig und authentisch zu verhalten. Die Herausforderung besteht dabei, das intuitive Material zu evozieren (vgl. Hänsel 2002, S. 97). Letztlich steckt darin die Suche und Frage nach der pädagogischen Professionalität in der Notfallsanitäterausbildung, die durch Schäffer im vorliegenden Band kritisch in den Blick genommen wird.

Abbildung 3: Elemente einer intuitiven Pädagogik. Quelle: Eigene Darstellung

Ein zentrales Element des Hervorufens liegt in der Beobachtung der mentalen Modelle der Interaktionspartner, welche unabhängig von formalen und expliziten Aspekten auch in Form eines „intuitiven Wissen“ verhaltenssteuernd sind (Fieberg 1998, S. 13). Das Gelingen einer pädagogischen Beziehung hängt davon ab, inwiefern es gelingt, die Wissensstrukturen zu erkennen und die darunter verborgenen Ordnungen als Werte, Zugehörigkeit und angenommene Verpflichtungen bzw. Selbstverpflichtungen zu identifizieren. Lehrende tragen hier die Verantwortung für den Lehr-Lernprozess sowie das Wohlergehen und die Zufriedenheit der SchülerInnen. Das Wissen um die Ordnungen hat eine Auswirkung auf die Art der Initiierung von Lehr-Lernprozessen und deren methodengeleitete und intuitive Steuerung, da sich ein Subjekt nach Tretter (2008, S. 203) durch verschiedene Parameter in seiner Beziehung zur Umwelt als eigene Ordnung der Wirklichkeit konstituiert.

Exemplarisch soll hier das Zeiterleben genannt sein, was bedeutsam für die „Konstruktion von Identität“ (Sistig 2003, S. 117) ist, da mit dem Zeiterleben bestimmt wird, wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewertet bzw. ins Verhältnis gesetzt werden. Je nach Intensität einer dieser Komponenten, kann sich das Zeiterleben sowohl positiv als auch negativ auf die individuelle Wirklichkeitskonstruktion auswirken. Das Erleben in seiner Direktionalität als Metaprogramm (Kensok & Dyckhoff 2004, S. 48ff.) kann dabei in seiner Tendenz als Weg-von-Motivation oder Hin-zu-Motivation als hemmend oder aktivierend wahrgenommen werden. Die verschiedenen Formen psychischer Entitäten oder auch Metaprogramme sind für den Zusammenhang aus Denken, Fühlen und Handeln in einem therapeutischen Kontext von grundlegender Bedeutung und markieren für eine intuitive Pädagogik eine Dimension innerer mentaler Bewegungskonzepte (vgl. Abbildung 3 Fläche A), da sie „(…) Indikatoren für Verhaltenstendenzen (…), von Glaubenssystemen und Identität (…)“ (Migge 2007, S. 191) sind.

Der Ausdruck dieser inneren Bewegungen als Dimension der sprachlichen Interaktion (vgl. Abbildung 3 Fläche B) ist dabei eine „intuitive Kompetenz“ (Thiersch 2008, S. 200) bei der es darum geht, sich auf der Sprachebene auf die existierenden Bedürfnisse einzustellen, die bei den SchülerInnen aus dem zum Teil widersprüchlichen Verhältnis von Identität und Situationsanforderung entstehen können. Häufig ist die „innere Freiheit“, bestehender Bedürfnisse wahrzunehmen und auszudrücken, bei SchülerInnen durch ihre mangelnde Selbst- und Fremdwahrnehmung beziehungsweise auch inneren Fixierungen beschränkt. Doch wer frei sein will, seine Bedürfnisse spüren und leben will, muss sich selbst befreien. Diese Freiheit kann durch die pädagogisch begleitete emotionale Selbstbefreiung entstehen. Für diese Befreiung muss sich die SchülerIn jedoch selbst mit den gegenläufigen Kräften in ihrer Seele konfrontieren und bewusst dabei unterstützt werden, ihre Volition einzusetzen, um ihre Handlungsperformance (vgl. Schaefgen 2007, S. 31) zu erweitern. Wenn diese Bedürfnisse befriedigt und akzeptiert werden, können neue Handlungsmuster als persönlicher Ausdruck entstehen. Daraus kann sich ein neues Sinnsystem mit einem grundlegenden neuen Handlungsrahmen entwickeln.

Ein Beispiel aus der Praxis:

Herr U. hat als Diagnose eine dissoziative Persönlichkeitsstörung sowie eine Minderbegabung. Im Gespräch neigt er zu verbalen Entgleisungen. In einer Einsatzsituation geht es nun darum, die präklinischen Maßnahmen abzuarbeiten und gleichzeitig der Situation deeskalierend entgegenzuwirken.

Innerhalb des Notfalleinsatzes wurde erkennbar, dass für den Patienten der Aussagesatz „Ein Mann, ein Wort.“ eine prägende Wirkung zeigte. Der Notfallsanitäter nutzte dies gezielt in der sprachlichen Interaktion in Kombination mit dem intuitiven Bewegungskonzept Schulterklopfen und war so in der Lage, deeskalierend in der Einsatzsituation zu agieren.

Unterstützt wird dieser Prozess durch eine reflexive Deutung (vgl. Abbildung 3 Fläche C), die die eigenen „inneren Bilder“ (Hüther 2006) und daraus entstehende Konstruktionen sichtbar macht. SchülerInnen haben oftmals unterschiedliche Stärken und Schwächen in spezifischen Verarbeitungsprozessen und bringen aufgrund ihrer persönlichen Lernbiographie ganz unterschiedliche Lernvoraussetzungen mit, die durch Gefühle der Hilflosigkeit und der Einflusslosigkeit auf das Geschehen geprägt sein können (vgl. Hinckeldey & Fischer 2002, S. 72). Die reflexive Deutung kann dabei helfen zu klären, welche Verbindungen zu früheren und „gesunden“ mentalen Modellen bei den SchülerInnen in Bezug auf ihr Lernverhalten und ihre Lernstrategien fehlen bzw. verloren gegangen sind. Eine behutsame veränderte Wahrnehmung von Innen und Außen durch eine bewusste Differenzierung von Perzeption und Reflexion kann zu neuen Perspektiven führen und damit zu einem neuen „Lerngefühl“, da sich die Konstruktionen auf der Innenseite des Gefühls durch die Explizierung implizit existierender Assoziationen verändern können. Doch besonders in Konfliktsituationen oder in leistungsthematischen Situationen einer schulischen Prüfung können erlernte und geankerte innere Dynamiken die Oberhand gewinnen und unerwünschte Verhaltensmuster oder alte Gefühle neu hervorrufen. Jedoch stellt das Erkennen der eigenen projektiven Verzerrungen einen ersten Schritt der Veränderung dar (vgl. Arnold 2002, S. 22) und ermöglicht einen intuitiven Zugang.

Kognitiv-mentale Funktionen sind an neuronale Programme und Strukturen gekoppelt. Dies lässt sich mit Hilfe der Neurowissenschaft daran aufzeigen, dass funktionale Störungen im Gehirn zu einem Wegfall von Leistungsfähigkeit führen. Im Umkehrschluss zu dieser Innenperspektive steht das Innen-Außen-Prinzip, wonach sich das Psychische als ein Verarbeitungsprozess von Umweltreizen und Erfahrungen konstituiert. Das Psychische bedingt in Abhängigkeit zu neuronalen Strukturen „(...) eine Repräsentation der Welt im Bewusstsein über sinnliche Informationen (...)“ (Pöppel 2002, S. 39). Sinnliche Erfahrungen (vgl. Abbildung 3 Fläche D) sind somit Vorstellungen und Produkte einer Biographie als Ausdruck fester neuronaler Programme und können damit gleichzeitig ein Ansatzpunkt für LehrerInnen sein, den intuitiv geprägten Zugang zur Welt durch Einfühlung und Gespür zu verändern. Lehr-Lernprozesse können hier durch eine Erfahrungsorientierung Vorstellungen und dazugehörige Empfindungen erschließen und durch das Verwenden „somatischer Marker“ (Damasio 1994, S. 238) dem Schüler neue Alternativen des Spürens und Erlebens anbieten, da Körperempfindungen und Emotionen in ihrer wechselseitigen Verflechtung wahrnehmbar werden.

„Kurzum, somatische Marker sind ein Sonderfall der Empfindungen, die aus sekundären Gefühlen entstehen. Von diesen Gefühlen und Empfindungen ist durch Lernen eine Verbindung zur Vorhersage künftiger Ergebnisse bestimmter Szenarien hergestellt worden. Wenn sich ein negativer somatischer Marker in Juxtaposition zu einem bestimmten zukünftigen Ergebnis befindet, wirkt diese Zusammenstellung wie eine Alarmglocke. Befindet sich dagegen ein positiver somatischer Marker in Juxtaposition, wird er zu einem Startsignal.“ (ebd.)

5 Quintessenz

Als Fazit geht hervor, dass eine Intuitive Pädagogik als „hermeneutische Kompetenz“ (Schwarz 2008, S. 232) im Rahmen einer Professionstheorie für Pädagogen eine essenzielle Rolle spielt. Im pädagogischen Alltag entstehen häufig Situationen, die nicht standardisierbar sind und der Entwicklung von Deutungsschemata bedürfen. Damit eine intuitive Pädagogik gelingen kann, muss der Mensch Zugang zur eigenen Intuition finden. Die persönliche Auseinandersetzung wird mittels Selbstreflexion unterstützt, um sich seiner Gewohnheiten, Rollen, Erfahrungen, Werte und Gefühle bewusst zu werden und neue Potenziale zu entfalten. Es wäre wünschenswert, dass für die Zukunft zu der bisher üblichen Bildung und auch angestrebten akademischen Professionalisierung des pädagogischen Personals im Rettungsdienst auch wesentliche menschliche Kompetenzen, wie Selbsterkenntnis, Selbstbeherrschung, Selbstvertrauen und Empathie, sowie die Fertigkeiten des Zuhörens, der Konfliktlösung und der Kooperation entwickelt werden, denn pädagogische Haltung für eine pädagogische Beziehung ist keine Frage der Technologie, sondern eine Frage der inneren Reife.

Neben der Interaktionsorientierung des Konzeptes der pädagogischen Haltung in pädagogische Situationen stellt eine pädagogische Fachkraft auch sicher, dass sie sich in das Führungs- und Arbeitssystem des Rettungsdienstes als zentraler Unterrichtsgegenstand einfügt und damit einer notwendigen Aufgabenorientierung als Performance gerecht werden kann.

Das bedeutet, dass die pädagogische Haltung über das bisherige Verständnis hinaus die kontextbezogene Organisation der Person in sozialen Beziehungen unterstützt, die das soziale System der Notfallsanitäterausbildung mit seinen drei Lernorten Berufsfachschule, Lehrrettungswache und Krankenhaus in seiner Gesamtheit einschließt. Damit begründet sich eine zentrale Kritik am bisherigen Verständnis zur pädagogischen Haltung, da es nicht einfach auf die pädagogische Interaktion verkürzt betrachtet werden darf, sondern auf den organisationalen Kontext und damit auch auf die Organisation als Lernende Organisation erweitert werden muss. Denn die Haltung ist der rote Faden, der sich durch die pädagogischen Interaktionen zieht und sein Fundament in der Kultur der Organisation hat. Wie wichtig dieser Zusammenhang ist, zeigen Bemühungen, die darauf ausgerichtet sind, die Organisationsstrukturen an die pädagogischen Visionen und Ideale anzupassen (vgl. Simon 2002). Der Zusammenhang zeigt sich aber auch darin, wenn die pädagogischen Ideale an der organisationalen Realität zersplittern. Die pädagogische Haltung erfährt hier eine systemische Wendung, die sich sowohl auf das konkrete pädagogische Handeln als auch auf das mittelbare Führungshandeln im Rettungsdienst auswirkt.

Literatur

Born, A. (2002): Regulation persönlicher Identität im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsbewältigung. Münster: Waxmann Verlag.

Arnold, R. (2002):Humanistische Pädagogik. Emotionale Bildung nach Erich Fromm. Frankfurt a.M.: Verlag für Akademische Schriften.

Arnold, R. (2011): Irritationslernen - Eine systemische Strategie des Capacitybuilding. In: Arnold, Rolf (Hrsg.): Veränderung durch Selbstveränderung: Impulse für das Changemanagement. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S 159-170.

Arnold, R. 2011): Selbstbildung oder: wer kann ich werden und wenn ja wie? Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.

Arnold, R./ Schüßler, I. (1998): Wandel der Lernkulturen : Ideen und Bausteine fü r ein lebendiges Lernen. Darmstadt: Wiss. Buchges.

Bahro, R. (2002): Die Idee des Homo integralis – oder ob wir eine neue Politeia stiften können. In: Alt, F./Bahro, R. & Ferst, M. (Hrsg.): Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und Vision für ein zukunftsfähiges Kultursystem. Berlin: Edition Zeitsprung, S. 21 - 30.

Burow, A. (1992): Auf dem Weg zu einer Personenzentrierten Didaktik Abschied von den Vorturn- und Feiertagsdidaktiken? In: Buddrus, Volker (Hrsg.): Die „verborgenen Gefühle“ in der Pädagogik. Impulse und Beispiele aus der Humanistischen Pädagogik zur Wiederbelebung der Gefühle. Hohengehren. S. 186-212 (URL/AVL: http://www.unikoblenz.de/~dkwitsch/ep1/AXEL%20BUROW.pdf Stand: 15.03.2011, Seite →)