Vordenkerinnen - Betti Hartmann - E-Book

Vordenkerinnen E-Book

Betti Hartmann

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Beschreibung

Sei es in den Geistes- oder in den Naturwissenschaften: Schon immer haben Frauen geforscht, haben bedeutende Beiträge zur Philosophie oder Physik geleistet. Doch den meisten Menschen sind weder diese Wissenschaftlerinnen noch ihre Leistungen präsent. Die Autorinnen machen eindrücklich bewusst, dass sich diese Ausgrenzung durch die gesamte Wissenschaftsgeschichte zieht – von der Antike bis ins 21. Jahrhundert. Jedes Kapitel ihres Buches widmen sie einer Philosophin und einer Physikerin einer bestimmten Epoche. Betti Hartmann und Carla Schriever sind zudem davon überzeugt, dass gemeinsame Anstrengungen und Solidarität der einzige Weg sind, um Lösungsansätze für die Probleme des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Um die strikt getrennten Wissenschaftsdisziplinen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen, arbeiten die Autorinnen immer auch mögliche und spannende Synergien zwischen den beiden jeweiligen Frauen heraus. Es ist faszinierend, wie auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinende Theorien Überschneidungen aufzeigen und den Dialog zwischen Philosophie und Physik über die Jahrhunderte lebendig werden lassen.

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Seitenzahl: 212

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Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Betti Hartmann ist promovierte und habilitierte theoretische Physikerin, Lecturer am University College London und Privatdozentin an der Universität Oldenburg. Sie ist Autorin von ca. 100 wissenschaftlichen Publikationen.

Prof. Dr. phil. Carla Schriever ist promovierte Philosophin, Professorin an der Internationalen Hochschule, Hannover, und Leiterin eines Mentoring-Programms für Frauen in der Wissenschaft, Autorin von fEMPOWER. Ratgeber für angehende Wissenschaftlerinnen und Der Andere als Herausforderung. Konzeptionen einer neuen Verantwortungsethik nach Lévinas und Butler.

Betti Hartmann, Carla Schriever

Vordenkerinnen

Physikerinnen und Philosophinnen durch die Jahrhunderte

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Betti Hartmann, Carla Schriever:

Vordenkerinnen

1. Auflage, Mai 2022

eBook UNRAST Verlag, September 2022

ISBN 978-3-95405-125-0

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag und Portraits: Felix Hetscher, Münster

Satz: Andreas Hollender, Köln

Inhalt

Vorwort

Antike: Die Symbolfigur

Hypatia

Das Mittelalter: Die Universalgelehrte

Hildegard von Bingen

Das 18. Jahrhundert: Die Modernistinnen

Physikerin: Caroline Herschel

Philosophin: Émilie du Châtelet

Das 19. Jahrhundert: Die Uni-Pionierinnen

Philosophin: Anna Tumarkin

Physikerin: Emmy Noether

20. und 21. Jahrhundert

Die Revolutionärinnen: Marie Curie & Rosa Luxemburg

Die Radikalen: Hannah Arendt & Lise Meitner

Die Vordenkerinnen: Rosalind Franklin & Simone de Beauvoir

Auf der Straße und im Kosmos: Angela Davis & Vera Rubin

Die Poetinnen: Jocelyn Bell Burnell & Audre Lorde

Die Aufräumer*innen: Judith Butler & Donna Strickland

Die Frauenrechtlerinnen: Andrea Ghez & bell hooks

Auf der Suche nach Einheit: Donna Haraway & Mary K. Gaillard

Verschränkungen lernen: Karen Barad

Schlussfolgerungen und Ausblick für die Zukunft

Anhang

Anmerkungen zu den Physikerinnen

Weiterführende Materialien

Time-Line: Frauen in der Physik und Philosophie

Abbildungsverzeichnis

Wir widmen dieses Buch all den großartigen Wissenschaftlerinnen, denen wir begegnet sind, denen wir täglich begegnen und denen wir in der Zukunft begegnen werden.

Vorwort

Wie viele Namen von Philosophinnen und Physikerinnen fallen Dir ein? Wenn wir uns selbst die Frage stellen, schockiert uns die Antwort: Hannah Arendt? Marie Curie?

Dies scheint nicht überraschend, denn egal ob in der Wissenschaft oder in der alltäglichen Berichterstattung – man findet nur mit Mühe mehr als zwei Namen. Wenn man nach männlichen Physikern fragt, scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: die meisten kennen Galileo, Newton und Einstein aus der Schule. Viele wissen auch von den Philosophen Platon, Kant und Hegel. Philosophinnen und Physikerinnen hingegen werden schon lange aus gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskursen ausgegrenzt. Ihre Ideen wurden gestohlen, ihre Werke kopiert und vielen wird bis heute ihre wissenschaftliche Bedeutung abgesprochen.

Mit diesem Buch unternehmen wir den Versuch, diese Lücke zu schließen. Wir möchten Menschen inspirieren, die an Geschichten, Gedanken und Theorien von beeindruckenden Wissenschaftlerinnen interessiert sind – und ihnen eine Möglichkeit geben, mithilfe unseres Buches tiefer in die Materie einzusteigen. Dabei ist unser primäres Anliegen nicht, die Biografien der Frauen und ihre Beziehungen zu berühmten Männern darzustellen. Vielmehr möchten wir Einblicke in die individuellen Leistungen geben und dabei die Theorien mit den komplexen Ausschlussmechanismen (Sexismus, Rassismus, Homophobie) zusammendenken, Ausschlussmechanismen, von denen Frauen innerhalb und außerhalb ihrer wissenschaftlichen Tätigkeiten betroffen waren und bis heute sind.

Wir werden in jedem Kapitel eine Physikerin und eine Philosophin vorstellen, deren Werke eine bestimmte Zeit geprägt haben. In den Kapiteln I, II und V.9. stellen wird dabei Wissenschaftlerinnen vor, die sowohl Physikerinnen als auch Philosophinnen waren bzw. sind. Zudem besprechen wir in den übrigen Kapiteln abwechselnd zunächst eine Physikerin bzw. eine Philosophin. Wir verwenden diese fluide Struktur, um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass eine der beiden Disziplinen ›wichtiger‹ ist. Vielmehr sind wir der festen Überzeugung, dass Kommunikation auf Augenhöhe essenziell für die Zukunft der Wissenschaft sein wird.

Im Unterschied zu berühmten männlichen Wissenschaftlern, von denen wir wissen, mit wem sie Tee getrunken und gestritten haben, wissen wir fast nichts über Begegnungen von Wissenschaftlerinnen jenseits fachlicher Grenzen. Daher unternehmen wir zum Abschluss jedes Kapitels den Versuch, uns vorzustellen, worüber sie gesprochen oder gestritten haben könnten und wie sie sich und ihre Theorien durch den Austausch hätten weiterentwickeln können.

Unsere Ausführungen haben keinen Anspruch auf vollständige und umfassende Darlegung der Biografie oder aller wissenschaftlicher Forschungen, vielmehr möchten wir Dich einladen, diese spannenden Wissenschaftlerinnen und Aspekte ihres Werkes kennenzulernen, um unser gemeinsames Verständnis der großen Errungenschaften und wichtigen Theorien zu transformieren.

Betti Hartmann und Carla Schriever, April 2022

Antike: Die Symbolfigur

Hypatia

Betrachtet man Raffaels berühmtes Fresko Die Schule von Athen, das sich im Vatikan befindet, bemerkt man eine Frau im Kreise der weltbekannten Philosophen und Wissenschaftler (z.B. Euklid, Platon, Aristoteles und Sokrates): Hypatia. Die Tatsache, dass Raffael sie 1200 Jahre nach ihrem Tod auf einem Fresko verewigte, zeigt ihre Bedeutung. Hypatia kann zurecht als eine Leitfigur (oder Symbolfigur) für Frauen in der Philosophie und Physik gesehen werden, ist sie doch die erste Wissenschaftlerin und Philosophin der Geschichte, von der wir genauere Kenntnis haben. Am Beispiel von Hypatia lässt sich auch feststellen, dass Wissenschaft und Philosophie über Jahrtausende eng verbunden waren. In der Tat gingen andere Disziplinen aus der Philosophie (aus dem Griechischen: ›Liebe zu Weisheit‹) hervor. In englischsprachigen Ländern werden z.B. Doktortitel – auch in den Naturwissenschaften – heute immer noch mit ›Doctor of Philosophy‹ bezeichnet. Erst im frühen 20. Jahrhundert entkoppelten sich die akademischen Disziplinen voneinander. In diesem Buch möchten wir neben der Darstellung der herausragenden (und oft wenig beachteten) Leistungen von Frauen auch betonen, dass Naturwissenschaften und Philosophie (und andere akademisch getrennte Disziplinen) viel voneinander lernen könnten, ähnlich wie es zur Lebenszeit von Hypatia selbstverständlich war.

Sucht man nach Biografien oder Literatur zu Hypatia, stößt man schnell auf Texte, die ihre Schönheit, die Tatsache, dass sie niemals verheiratet war, oder aber ihre brutale Ermordung in den Vordergrund stellen, ohne die bemerkenswerten Leistungen dieser Frau zu thematisieren. Hier zeigt sich eine (leider) typische Herangehensweise an das Leben von berühmten Frauen – oft werden ihre (romantischen) Beziehungen zu Männern (oder das Nichtvorhandensein ebendieser) oder ihre Attraktivität in den Vordergrund gestellt – eine Herangehensweise, die sich nur sehr selten in Biografien von männlichen Wissenschaftlern findet.

Hypatia wurde zwischen 355 und 370 n. Chr. in Alexandria (im heutigen Ägypten) geboren. Ihr Vater Theon, der Mathematiker, Astronom und der Leiter der Universität von Alexandria war, ermöglichte ihr eine profunde Ausbildung, die möglicherweise auch zu Teilen in Athen stattfand.

Alexandria, das 331 v. Chr. von Alexander dem Großen gegründet wurde, stand intellektuell in griechischer Tradition. Dies änderte sich auch nicht, als die Stadt ab 30 v.Chr. zum römischen (und ab 364 n. Chr. zum oströmischen) Reich gehörte. Mit der Grundsteinlegung der Stadt einher ging die Gründung des Museums (330 v. Chr.), einer universitäts-ähnlichen Einrichtung, die in ihrer Bibliothek das gesamte Wissen der antiken Welt beinhaltete und die solch berühmte Wissenschaftler wie Euklid und Claudius Ptolemäus hervorbrachte (vgl. Bernardi, 2016, Kapitel 5).

An dieser Universität wurde auch Mathematik studiert, eine Disziplin, die in vier Unterkategorien aufgeteilt war: 1) Arithmetik (Zahlen und Operationen mit Zahlen), 2) Geometrie (Objekte und ihre Eigenschaften), 3) Astronomie (Himmelskörper und ihre Eigenschaften) und 4) Musik. Wir wissen heute, dass Hypatia in all diesen Disziplinen aktiv war (vgl. Deadkin, 2007). Außerdem betrieb sie Philosophie, wobei ›Philosophie‹ nicht als eine rein theoretische bzw. akademische Disziplin zu verstehen war, sondern in griechischer Tradition eng mit praktischen und politischen Fragestellungen verbunden war. So wurde Hypatia häufig vom zivilen Verwalter Alexandrias, Orestes, zu Rate gezogen.

Leider gibt es keine von Hypatia persönlich verfassten Schriften, die erhalten geblieben sind. Allerdings sind einige Primärquellen vorhanden, in denen ihre Leistungen besprochen werden (vgl. Deadkin, 2017). Dazu gehören u.a. die Briefe, die Hypatias Schüler Synesius an sie schrieb, die Suda, die am besten erhaltene byzantinische Enzyklopädie, die im 10. Jahrhundert verfasst wurde, sowie ein Kommentar ihres Vaters Theon bzgl. des dritten Buches des von Claudius Ptolemäus verfassten Algamest. All diese Quellen bestätigen die Aussagen des Sokrates Scholastikos in seiner im 4. Jahrhundert verfassten Kirchengeschichte (Historia ecclesiastica) über Hypatia. Er schrieb, dass sie »in Literatur und Wissenschaft solche Errungenschaften [machte], dass sie alle Philosophen ihrer Zeit bei Weitem übertraf« und dass »sie […] ihren Zuhörern, von denen viele aus der Ferne kamen, um ihre Anweisungen zu erhalten, die Prinzipien der Philosophie [erklärte]« (Übersetzung d. Hg., vgl. Deadkin, 2007).

Die Wissenschaftlerin

Bis heute ist nicht vollständig klar, welche Erfindungen Hypatia tatsächlich zugeschrieben werden können. Sicher ist, dass sie profundes Wissen in allen Disziplinen besaß. Es ist daher zu vermuten, dass sie tatsächlich bedeutende Beiträge lieferte und wissenschaftliche Instrumente entwickelte, dass ihre Leistungen aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau war, aber niemals genügend anerkannt wurden und deshalb nicht in der Geschichte der Wissenschaft auftauchen.

Betrachtet man z.B. Brief 15 von Synesius an Hypatia, so wird deutlich, dass ihm das Wissen Hypatias um das von ihm beschriebene Hydrometer (oder Aräometer) bewusst ist. Es handelt sich dabei um ein auf dem Archimedischen Prinzip beruhenden Messinstrument, das Hypatia vermutlich mitentwickelt hat. Das Archimedische Prinzip besagt, dass die Auftriebskraft, die auf einen in einer Flüssigkeit befindlichen Körpers wirkt, gleich ist der Gewichtskraft der vom Körper verdrängten Flüssigkeit. Mit solch einem Instrument lässt sich z.B. die relative Dichte von Flüssigkeiten messen.

Auch an der Entwicklung des sogenannten Astrolabiums (vgl. Abbildung 1) hat sie vermutlich mitgewirkt. Hierbei handelt es sich um ein astronomisches Messinstrument, das bis in die Mitte des 17. Jahrhundert weit verbreitet war. Es lassen sich mit diesem Instrument z.B. Höhe und Tiefe, die Nordrichtung und die Uhrzeit bestimmen. Um das Prinzip des Astrolabiums zu verstehen, braucht es sowohl astronomisches als auch mathematisches Wissen. Das Wissen um die Projektion der Sterne auf eine imaginäre Himmelsphäre unter Berücksichtigung der Ekliptik sowie die Idee einer stereografischen Projektion sind hier wichtig. Letztere ist eine mathematische Konstruktion, die es ermöglicht, die Oberfläche einer Sphäre (die Krümmung besitzt) auf einer Ebene darzustellen – wir kennen diese Projektion z.B. von Karten der Erdkugel.

Abbildung 1: Astrolabium (Foto links) und Funktionsweise (rechts)

Die Lehrerin

Neben der Entwicklung von Messinstrumenten war Hypatia als Autorin von sogenannten Kommentaren tätig. Man kann sich einen Kommentar heute wie ein Lehrbuch vorstellen, in dem die Originalarbeiten besprochen und erklärt werden. Wir wissen, dass Hypatia Kommentare zu Diophantos Arithmetica, zu Apollonios Kegelschnitten und zum Almagest verfasste. Bei der Arithmetica handelt es sich um eine Serie von 13 Büchern, die ca. 250 n. Chr. von Diophantos verfasst wurde und die ersten bekannten algebraischen Notationen beinhaltet. Beispiele (in heutige mathematische Sprache übersetzt) sind z.B. die Gleichung xn+yn=zn, wobei n=1,2,3,4… sein kann und x,y,z Unbekannte sind. Man kennt den Fall n=2 aus der Schule als den Satz des Pythagoras. Für n größer als 2 stellte der berühmte Mathematiker Fermat im Jahr 1637 das Theorem auf, dass diese Gleichung niemals erfüllt sein kann, wenn x,y,z positiv und ganzzahlig sind. Dieses berühmte Theorem wurde erst im Jahre 1995 vollständig bewiesen. Hier zeigt sich, welchen Einfluss die Arithmetica auf die Mathematik hatte und bis heute hat.

Auch das von Apollonios von Perga im Jahr 200 v. Chr. verfasste und acht Bücher umspannende Werk ist bis heute von großer Bedeutung. Es bespricht in 387 Aussagen die Geometrie von Kegelschnitten und findet z.B. in der von Isaac Newton im Jahr 1687 hergeleiteten Planetenbewegung eine Anwendung.[a] Auch der Almagest war bis ins 17. Jahrhundert ein wichtiges Werk für Astronomen. Von Claudius Ptolemäus ca. 150 n. Chr. verfasst, enthält es 13 Bücher, in denen die scheinbare Bewegung der Planeten und Sterne diskutiert wird. Hypatia kannte alle diese bedeutenden Werke und vermittelte diese ihren Schülern, ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Erhaltung und Weitergabe des Wissens der Antike.

Die Philosophin

Leider wissen wir nicht annähernd so viel über Hypatias philosophische Beiträge wie über ihre wissenschaftlichen. Das liegt sowohl daran, dass der philosophische Austausch zur Zeit Hypatias vor allem durch Diskussionen stattfand und weniger durch Niederschriften (so wie heute), aber auch daran, dass Philosophie vor allem bei den Neuplatonisten, zu denen Hypatia zählte, nicht allein als theoretische Disziplin gesehen wurde, sondern direkt auf Politik und Gesellschaft einwirkte. Hier entfernte sich die neuplatonische Schule deutlich von den ursprünglichen Theorien Platons, der vor allem an der abstrakten Idee an sich interessiert war. Die neuplatonische Schule wurde im 3. Jahrhundert in Rom durch den Philosophen Plotin gegründet. In seiner Neuauslegung von Platons Schriften finden sich deutliche Spuren der Auseinandersetzung der griechischen Philosophie mit dem immer populärer werdenden Christentum. So findet sich z.B. im Neuplatonismus die Idee, alles auf ›das Eine‹ zurückzuführen, eine Form des Monismus, die sich im Christentum in der Form eines Monotheismus, also der Lehre von einem Gott, wiederfindet.

Ihr Tod

Hypatia ist sicherlich auch deswegen so berühmt, weil sie im Jahr 415 n. Chr. von einer Gruppe fanatischer Christen gelyncht und ermordet wurde. Sie geriet zwischen die Fronten des zivilen Verwalters Alexandrias, Orestes, der wie Hypatia Neoplatonist und toleranter Christ war, und des Bischofs von Alexandria, Cyril, der äußert feindselig gegenüber Nicht-Christen eingestellt war und eine militante zivile Armee von Mönchen befehligte (die Mönche von Nitria) (Berggren, 2009). Zur Zeit von Hypatias Tod gab es Unruhen in Alexandria, die vor allem zwischen der jüdischen und der christlichen Bevölkerung wüteten. Sokrates Scholastikos nannte einen der Gründe für ihre Ermordung »politische Eifersucht«. Einen weiteren Anhaltspunkt lässt sich in der Chronik des koptischen Bischofs Johannes von Nikiu, die im 7. Jahrhundert verfasst wurde, finden. Auch Johannes zeigte wenig Toleranz gegenüber Nicht-Christen und schreibt über Hypatia, dass sie »ständig mit Magie« beschäftigt gewesen sein und »viele Leute mit ihrer satanischen List betört« hätte. Deutlich zu erkennen ist hier die Terminologie, die im Mittelalter oft im Kontext der Hexenprozesse auftauchte, und es ist zu vermuten, dass Hypatia als unabhängige und selbstbewusste Frau mit Misstrauen von den Kirchenoberen betrachtet wurde. Letztendlich lässt sich nicht beweisen, dass der Bischof Cyril die Ermordung Hypatias direkt anordnete, seine Beteiligung ist allerdings höchstwahrscheinlich.

Quellen

Berggren, J.L: The Life and Death of Hypatia. Metascience 18, S. 93–97, 2009.

Bernardi, Gabriella: The unforgotten sisters, Kapitel 5, Springer, 2016.

Deadkin, Michael: Hypathia of Alexandria, Prometheus Books, Amherst (NY), 2007.

Anmerkung

[a]      Die hochgestellten Zahlen hier und im Folgenden geben weitere Details zu den naturwissenschaftlich besprochenen Theorien und finden sich im Anhang ab Seite 133.

Das Mittelalter: Die Universalgelehrte

Hildegard von Bingen

Es steht außer Frage, dass das Mittelalter für gelehrte Frauen eine äußerst gefährliche Zeit war. Bei einer Suche nach Hildegard von Bingen wird vor allem ihre Lehre zu Kräutern und ihr Leben im Kloster referiert. Hildegards Platz scheint vor allem in der Theologie zu liegen, was besonders im Kontext ihrer Lebens- und Wirkzeit wenig verwunderlich ist. Mit der Veröffentlichung ihrer Schriften, die heute als theoretisch-philosophisches Werk gelesen werden, verwies sie darauf, sie habe diese Bücher unter dem Einfluss von Visionen geschrieben. Gut möglich, dass diese Vorgehensweise als bewusster Schachzug der Sicherung ihrer theologischen Position zu verstehen ist (vgl. Duran, 2014, S. 156).

Das Göttliche und das Irdische sind untrennbar

Tatsächlich stehen ihre Werke allerdings in der klassischen Tradition von Meister Eckart, der als Theologe und Philosoph anerkannt war. Besonders faszinierend ist, dass das, was von Bingen ausgearbeitet hat, tatsächlich schon viele Bezüge zu feministischer Ontologie aufweist. Ihre Visionen behaupten eine starke Verbindung zwischen der spirituellen und der materiellen Welt, eine Zusammenführung, die eher untypisch für eine christliche Perspektive (vgl. ebd. S. 157) und für das Mittelalter als fortschrittlich anzusehen ist.

»Oh heiliger Geist, du bist die heilige Weise, auf die alles, was im Himmel, auf der Erde und unter der Erde weilt, mit Verbundenheit und Nähe durchdrungen ist. In dir zeigt sich, wie alles von Verbundenheit geprägt ist« (Uhlheim, Meditations, S. 41, Übersetzung d. Hg.).

Diese Perspektive einer allumfassenden Verbundenheit hielt auch Einzug in ihre wissenschaftlich-empirischen Schriften, in denen sie unterschiedliche Disziplinen (z.B. Medizin und Physik) miteinbezog. Hildegard von Bingens Visionen werden von Kommentator*innen häufig als didaktisch aufgefasst, waren sie doch ihre Möglichkeit, ihr Wissen zu teilen und in einer Form weiterzugeben, die ihr in einem anderen Kontext als Frau im Mittelalter nicht zugänglich gewesen wäre.

In ihrer Autobiografie Vita beschrieb sie, wie sie in ein neues Kloster eintrat und die Menschen sie fragten, warum all dieses kostbare Wissen einer »dummen und ungebildeten Frau« offenbart würde, wo es im Kloster doch so viele »gelehrte und mächtige Männer« gäbe (vgl. Newman, 1985, S. 171). Einige Zeitgenossen fragten auch ganz unverhohlen, ob sie von bösen Mächten ergriffen sei. Nichtsdestotrotz ließ sich Hildegard von Bingen nicht davon abbringen, weiterhin Schriften zu veröffentlichen, die uns bis heute den Blick auf eine Wissenschaftlerin ermöglichen, die mit ihrer Konzeption von der Verbindung zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen sowie der Frage nach der besonderen Bedeutung und Wertigkeit des Weiblichen wertvolle Perspektiven in den Diskurs eingebracht hat.

Kosmologische Modelle

In ihren Schriften Scivias und Divinorum Operum entwickelte Hildegard interessante kosmologische Modelle (vgl. Posch, 2012). Sie bauen alle auf dem ›Weltei‹-Modell auf, das im Mittelalter typisch war und weniger die astronomische Ordnung beschrieb als vielmehr den elementaren Aufbau der Welt: das Eigelb symbolisierte die Erde, das Eiweiß das Wasser und die Eierschale den Himmel. In den von ihr angefertigten Schriften finden sich dann auch (vermutlich von ihr selbst) angefertigte Zeichnungen dieser Welten-Modelle (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Das Weltmodell der Hildegard von Bingen (aus Scivias)

Im Inneren befindet sich eine Kugel, die aus Luft, Wasser, Erde und Feuer gemacht ist und in die aer lucidus (klare Luft) eingebettet ist. Die ovalen Zonen, die diese Kugel umgeben, sind in vier Zonen aufgeteilt (von innen nach außen): die aer aquosus (feuchte Luft), purus aether (reiner Himmel), ignis niger (schwarzes Feuer) und lucides ignis (klares Feuer). Die Planeten (Merkur, Venus) und der Mond befinden sich im aether, während Hagel und Blitze sich im ignis niger finden. Die Planeten Mars, Jupiter, Saturn sowie die Sonne hingegen befinden sich im lucides ignis. Jede dieser Zonen hat einen sogenannten Kardinalswind, und diese Winde gelten z.B. als Ursache für die Bewegung von Planeten und Sternen. Gleichzeitig beeinflussen diese Winde auch das menschliche Befinden. Dies zeigt wiederum deutlich die oben besprochene Einheit von Göttlichem und Irdischem – alles hängt zusammen und beeinflusst sich. In ihrer Schrift Divinorum Operum veränderte Hildegard dieses Modell ein wenig. Es finden sich nun konzentrische Sphären mit der Erde in deren Mittelpunkt (vgl. Singer, 2005). Die geometrische Anordnung lässt vermuten, dass Hildegard die griechische Astronomie (und Mathematik) studiert hatte und hier anwandte. Sie arbeitete also sehr wohl wissenschaftlich in dem Sinne, dass sie vorhandene Literatur las, diese neu interpretierte, eigene Schlüsse zog und diese schließlich publizierte und an folgende Generationen weitergab. Gleichzeitig war sie aber auch Philosophin und begabte Künstlerin.

Neben diesen faszinierenden Tätigkeiten fand Hildegard von Bingen zudem Zeit, sich mit naturheilkundlichen Themen zu beschäftigen und Lieder zu komponieren. Sicherlich war sie das, was wir heute eine Universalgelehrte nennen würden. Trotzdem wurden viele Seiten der Hildegard von Bingen erst sehr spät entdeckt und einige sind vermutlich bis heute unbekannt.

Quellen

Duran, Jane: Hildegard of Bingen. A feminist ontology. European Journal for Philosophy of Religion 6: Book Symposium: Richard Swinburne’s Mind, Brain, and Free Will, 2014.

Newman, Barbara: Hildegard of Bingen: Visions and Validation, in Church History 54, S. 163–l75, 1985.

Posch, Helmut: Das Weltmodell nach der Kosmos-Vision der heiligen Hildegard von Bingen, https://hildegardvonbingen.info/wp-content/uploads/2015/12/Hildegard-Weltmodell-Web.pdf, 2012.

Singer, Charles: The visions of Hildegard von Bingen, Yale Journal of biology and medicine, 78, S. 57–82, 2005.

Das 18. Jahrhundert: Die Modernistinnen

Physikerin: Caroline Herschel

Während sich im Mittelalter die wissenschaftliche Bildung und Tätigkeit von Frauen vor allem in Klöstern abspielte (siehe Beispiel Hildegard von Bingen), änderte sich dies langsam zu Beginn der Neuzeit und im Laufe der Aufklärung. Vom 12. bis 15. Jahrhundert wurden die ersten Universitäten Europas gegründet, diese waren jedoch bis ins späte 19. Jahrhundert (z.B. Schweiz, England, Frankreich) bzw. bis ins frühe 20. Jahrhundert (z.B. Gebiet des heutigen Deutschlands) offiziell nur für männliche Studenten zugänglich. Frauen, die wissenschaftliches Interesse und Begabung für die Forschung besaßen, hatten keine Möglichkeit, eine Karriere an Universitäten zu verfolgen oder gar in die elitären Kreise von wissenschaftlichen Akademien aufgenommen zu werden. Sie erhielten nur eine schulische Grundausbildung, die oft auf das Vermitteln von häuslichen Tätigkeiten fokussiert war.

Caroline Lucretia Herschel, die am 16. März 1750 in Hannover (damals Teil Großbritanniens) geboren wurde, ist ein Beispiel einer solch hochbegabten Frau, die auch später oft als »reine Beobachterin« (vgl. Kaiser, 2018, S. 41) und nicht als Wissenschaftlerin bezeichnet wurde. Aufgrund von Erkrankungen im Kindesalter (Pocken im Alter von drei Jahren und Typhus im Alter von elf Jahren) wurde Carolines Erscheinungsbild dermaßen verändert, dass ihre Eltern die Möglichkeit einer späteren Heirat ihrer Tochter für unwahrscheinlich hielten (vgl. Olson et al., 2012). Vermutlich führte dies zu dem großen Ehrgeiz, den Caroline Zeit ihres Lebens an den Tag legte. Als ihr älterer Bruder William sie im Jahre 1772 nach Bath (England) kommen ließ, war ihr Ziel zunächst, wie ihr Bruder Musikerin zu werden. Sie bewies großen Fleiß und Talent für diese Karriere, trat mit ihrem Bruder mehrfach in Bath auf und führte zusätzlich den Haushalt ihres Bruders. Dies ließ William die Zeit, sich seiner anderen Leidenschaft, der Astronomie, zu widmen. Im sogenannten »goldenen Zeitalter der britischen Astronomie« (ebd.), die einerseits aus dem Stolz über die revolutionären Entwicklungen des Landsmannes Isaac Newton und andererseits aus der Vorstellung von Astronomie als Teil der religiösen und moralischen Ausbildung resultierte, fand sich eine große Anzahl von Hobby-Astronomen in England. William und Caroline, die ihre Musikkarriere aufgab, um ihrem Bruder zu assistieren, stellten in Zusammenarbeit hochauflösende Spiegelteleskope2 her, die es William im Jahre 1781 erlaubten, den Planeten Uranus zu entdecken.

Daraufhin wurde er von König George III. zum ›Royal Astronomer‹ berufen und Caroline folgte ihrem Bruder 1782 nach Slough in die Nähe des Schlosses von Windsor. Während der folgenden Jahre beobachtete und katalogisierte sie zusammen mit ihrem Bruder etwa 500 neue sogenannte ›Nebel‹, d.h. leuchtende und ausgedehnt erscheinende Objekte auf der Himmelskugel. Erst ab dem Jahre 1787 erhielt Caroline für ihre Arbeit ein Gehalt und war somit die erste Frau, die für ihre wissenschaftliche Arbeit bezahlt wurde. Allerdings wurden ihr als Assistentin ihres Bruders mit 50 britischen Pfund pro Jahr nur etwaein Sechstel des Gehalts ihres Bruders zugestanden. Nach der Heirat Williams im Jahre 1788 verließ Caroline den gemeinsamen Haushalt und besaß keinen ständigen Zugang zum Teleskop und dem Arbeitszimmer im Haus ihres Bruders mehr. Trotzdem machte sie weiterhin bedeutende Beobachtungen – auch ohne ihren Bruder. Wie sehr ihr Lebensweg von dem ihres Bruders bestimmt wurde, zeigte sich auch, als dieser im Jahre 1822 verstarb. Caroline kehrte im selben Jahr nach Hannover zurück und lebte dort bis zu ihrem Tod am 9. Januar 1848.

Entdeckung von Kometen

Nach dem Umzug ins ländliche Berkshire begann Caroline mit eigenständigen Beobachtungen. Diese führten dazu, dass sie am 1. August 1786 ihren ersten Kometen beobachtete. Kometen sind Objekte im Sonnensystem (vgl. Abbildung 3), die Ausdehnungen von einigen Kilometern besitzen und hauptsächlich aus Gestein, Staub, gefrorenem Methan, Ammoniak und Wasser bestehen. Da sie selber keine Strahlung aussenden, werden sie erst sichtbar, wenn sie sich auf ihrer Umlaufbahn der Sonne nähern. Dort werden das gefrorene Wasser, Methan und Ammoniak gasförmig und erzeugen eine sogenannte ›Koma‹ – eine atmosphären-ähnliche Struktur um den Kern des Kometen sowie einen aus Gas und Staub bestehenden Schweif, der durch Solarwinde erzeugt wird und der wohl der am besten mit dem bloßen Auge sichtbare Teil eines Kometen ist.

Abbildung 3: Typischer Aufbau eines Kometen (hier: des Kometen Hale-Bopp)

Zur damaligen Zeit war die Zusammensetzung dieser Himmelskörper noch nicht bekannt, allerdings findet sich in einem ihrer Notizbücher des Jahres 1811 bereits eine von Caroline angefertigte Skizze zur Struktur eines Kometen (ebd.). Am 21. Dezember 1788 entdeckte sie ihren zweiten Kometen, der nach ihr ›Herschel-Rigollet‹ benannt wurde. Anders als der im Jahre 1786 entdeckte Komet ist dieser alle 155 Jahre von der Erde aus beobachtbar, kehrt also periodisch wieder. Massive Objekte können sich nämlich auf qualitativ unterschiedlichen Bahnen um die Sonne bewegen: entweder auf geschlossenen, elliptischen Bahnen (wie die Planeten im Sonnensystem) oder auf offenen, nicht-periodischen (hyperbolischen oder parabolischen) Orbits. Herschel-Rigollet bewegt sich auf einer elliptischen Bahn um die Sonne, wobei er sich an seinem sonnennächsten Punkt (dem sogenannten Perihelion) bis auf 74 % einer astronomischen Einheit (eine astronomische Einheit entspricht der mittleren Entfernung zwischen Sonne und Erde) der Sonne nähert, während er sich auf seinem sonnenfernsten Punkt (dem sogenannten Aphel) bis auf das fast 57-fache einer astronomischen Einheit von der Sonne entfernt.

Caroline Herschel entdeckte im Laufe ihrer Beobachtungen insgesamt acht Kometen, von denen sechs nicht-wiederkehrende Kometen sind. Außerdem beobachtete sie auch unabhängig von ihrem Bruder weiterhin Nebel, die sich später als Sternhaufen, d.h. als eine große Anhäufung von Sternen bzw. Galaxien herausstellten3. Zwei dieser Sternhaufen werden bis heute als ›Carolines Rose‹ (Sternhaufen mit der astronomischen Bezeichnung NGC 7789) und ›Carolines Cluster‹ (Sternhaufen NGC 2360) bezeichnet. Nach dem Tod ihres Bruders arbeitete sie zusammen mit dessen Sohn John an einem Katalog, dem New General Catalogue (NGC), der – wie die astronomischen Bezeichnungen deutlich machen – bis heute in Gebrauch ist.

Caroline war nicht nur die erste Frau, die für ihre wissenschaftliche Arbeit bezahlt wurde, sondern auch die erste Frau, die in dem hoch angesehen Journal Philosophical Transactions of the Royal Society ihre Arbeit veröffentlichte (vgl. Herschel, 1787 & 1794). Sie erhielt als erste Frau die Goldmedaille der Royal Astronomical Society (im Jahre 1828) sowie die Goldmedaille für Wissenschaft des preußischen Königs (im Jahre 1846). Zudem wurde sie zum Ehrenmitglied der Royal Astronomical Society (im Jahre 1835) und der Royal Irish Academy (im Jahre 1838) gewählt.