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Nach zwei Jahren wieder aufgelegt.
Wenn grauenhafte Albträume wahr werden und ein Schrecken den nächsten jagt. Tauchen Sie hinab in die Abgründe menschlichen Seins und irrationaler Ängste. Werden Sie Zeugin oder Zeuge, was der traumhaft schönen Anna Lubimov widerfährt, wenn sie in ein Zimmer mit einer Krokodilattrappe gesperrt wird – unter den Augen eines sensationshungrigen Publikums; welche bösen Geister ein Mann bei seinen ausgewachsenen Töchtern mit der Sage über eine menschenfressende Mutantin heraufbeschwört; was geschieht, wenn ein als Reittier benutzter Riesenstorch sich unvermittelt gegen seine Herrin auflehnt und zeitgleich eine große Leere in seinem Magen verspürt; im Sumpf eine riesige Pflanze keine Ausschau nach Insekten hält, sondern größeren Leckerbissen; sich eine reife Dame einen ganz besonderen Happen vom Menü-Bringdienst anliefern lässt und so weiter und so fort.
Achtung! Diese Geschichten tauchen ab in die düsteren Welten der Vorarephilie. Liebevoll gemeinte Aussagen wie „Ich habe dich zum Fressen gern“ oder „Ich möchte dich vernaschen“ werden auf ihren Ursprung zurückgeführt. Das Buch enthält mehrere erotische Szenen und ist für Personen unter 18 Jahren nicht geeignet.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2021
Infernales Bestia
Vorarephilie – eine kurze Einführung
Ein Girlie to go
Madame Pinar und ihre Zuhörerinnen
Die Venus öffnet sich (Heide-Version von Aaron Bloodwing))
Frauenfleisch am Isarstrand
Mein Storch, der alte Gierlappen
Das Biest von Kathmandu
Zum Schmaus mit der Bäuerin
Auf dem Blutaltar geopfert (von Mats Hoeppner)
Weitere Werke von Pat Darks
Nach der bildgewaltigen Präsentation und der eingängigen Ansage des Zeremonienmeisters spielt das Kammermusik-Oktett ein mystisches Stück. Zeitgleich wird das Licht im Speisesaal auf ein Minimum gedimmt. Daraufhin wird ein Spot aus einem warmen, gelben Licht auf die Eingangstür gerichtet. Das Portal schwingt wie von Geisterhand auf, in der Flucht ist der sehr lange Flur zu sehen. Er wird lediglich von Fackeln an den Wänden erleuchtet. Auf dem ersten Blick sind vier große, schaurig verkleidete Menschen zu sehen, von der Größe und Statur her müsste es sich um Männer handeln. Leicht versetzt sind die rechteckigen Oberkanten ihrer hutartigen Masken zu sehen, die sich bis etwa zwanzig Zentimeter über den Scheitel auftürmen. Von da an gehen diese Hauben über den ganzen Kopf. An den Seiten enden sie auf den Schultern, vorne fallen sie bis auf das Ende des Brustbeins, hinten sind sie adäquat lang. Im Gesicht sind nur auf Höhe der Augen zwei kleine Schlitze, Nase und Mund bleiben hinter dem schwarzen Stoff verborgen.
Schwarz sind auch die Kutten, die bis auf die Erde fallen. Der leichte Glanz dieser Kleidung deutet auf Seide hin, sie ist demnach alles andere als ein kratziges Büßergewand aus Schafswolle.
Der die Prozession Anführende trägt eine im Jugendstil verschnörkelte Schrankuhr. Das gesichtsgroße Ziffernblatt ist in purem Gold eingefasst.
„Ist das die Zeitenuhr der Welt oder eine Lebensuhr? Sie steht auf halb zwölf, dabei haben wir es erst zwanzig Uhr.“ Ramona Wieser schaut ihren Freund mit einem erklärungsbedürftigen Gesichtsausdruck an.
„Bin ich Hellseher? Woher soll ich das wissen?“, giftet Jivan Nayak zurück. Sein Unmut richtet sich dabei nicht gegen das fehlende Wissen, er will nur keine einzige Sekunde dieses mysteriösen Einzugs verpassen. Wie alle spürt auch er, dass sich hier gerade etwas Grandioses offenbart. „Schau mal genau hin, Ramona, ist da nicht manchmal etwas Helles zwischen den schwarzen Mänteln zu sehen. Genau in der Mitte?“
„Du hast Recht, Jivan. Und etwas höher ist ein dunkles Braun zu sehen. Meine Güte, weißt du was ich ahne? Die führen in ihrer Mitte eine Frau – ob das der Tribut ist, von dem der Zeremonienmeister gesprochen hat?“ Die vierunddreißigjährige Berufsschullehrerin für Pflegeberufe macht ihren Hals ganz lang, lehnt sich weit zur Seite, um aus einem etwas anderen Winkel in den Flur zu schauen, der in einer geraden Linie hinter der Tür des Speisesaals liegt.
„Dann könnte es sich um eine Lebensuhr handeln. Aber . . . die werden hier und heute doch kein Menschenopfer machen?“ Der eben noch genervt wirkende Oberarzt der Neurologie greift die Hand seiner Frau, als würde er im Wald einen steilen Abhang runtergehen und müsse sich an den jungen Bäumen festhalten.
„Zumindest nicht real, aus diesen archaischen Zeiten sind wir heraus. Anderseits passt es in die Inszenierung des Abends: Die Verkündung von der Pest und den Plagen, die nur mittels des größten Opfers, das der Mensch zu geben hat, zurückgedrängt werden kann. Und das ist der Mensch selber. Ich frage mich nur, in welcher Form die Frau Opfer bringen muss, damit Unheil von uns ferngehalten wird. Muss sie uns nackt das Essen auftischen?“ Graue Augen schauen zum Gatten, nebenbei wickelt sich Ramona eine Strähne ihres langen, blonden Haares um den Finger.
„Wieso soll eine nackte Kellnerin Unheil vertreiben?“ Schwarze Augen funkeln in einem hellbraunen Gesicht, als würden sie am Verstand der Tischnachbarin zweifeln.
„Als Zeichen, dass die Speisen so rein sind wie ihre Nacktheit. Oder in der Analogie, dass sie Eva ist, unser aller Mutter.“
„Die sich von der Schlange hat verführen lassen und somit Schuld für das Ungemach auf Erden hat?“, weist der aus Indien eingewanderte Krankenhausarzt bedächtig diese Vermutung zurück. „Nein, ich glaube eher, wir haben es mit einer Frau zu tun, die sich verfehlt hat und nun Buße tun muss. Was wäre da ein stärkeres Moment, als schutzlos und unbekleidet einen Abend lang den Wünschen der Gäste zu dienen.“
„Du denkst jetzt aber nicht an Sex, lieber Mann.“ Graue Augen glitzern wie Dolche.
„Wenn das zur Bereinigung der Seele beiträgt . . .“
Die Österreicherin, die in Lübeck arbeitet, verdreht die Augen, als hätte sie es bei ihrem Ehemann mit einem hoffnungslosen Fall zu tun. Weiter vertieft sie diesen Disput nicht, da die im Flur sehr langsam schreitende Prozession jetzt die Eingangstür zum Speisesaal erreicht hat.
Noch ist von der Person in der Mitte kaum etwas zu erkennen. Weder weiß Ramona, ob dieses Wesen wirklich eine Frau noch, ob sie tatsächlich nackt ist. Dieser Umstand hebt die Spannung ins Unermessliche.
Sowie der Maskierte mit der Uhr den Türrahmen durchschritten hat, biegt er von sich aus gesehen nach rechts ab. Alle Augen liegen jetzt auf dem zweiten Mann. Er trägt vor sich ein Tablett, auf dem ein großes Buch in ledernem Einband aufgeschlagen ist. Bestimmt ein sehr altes, schießt es der Berufsschullehrerin durch den Kopf.
Als auch dieser abdreht, geht ein anerkennendes Raunen durch den Kopf. Ramona traut ihren Augen nicht. Wie innerlich aus vollem Herzen gewünscht aber mitnichten erwartet, fällt nun der gelbe Spot auf eine splitternackte Frau. Auf eine splitternackte, unheimlich hübsche Frau. Auf eine splitternackte, unheimlich hübsche und feierlich entschlossene Frau.
Fest ist ihr Blick in den Saal gerichtet, fast schon wirkt er meditativ. Nirgends ist Scham zu lesen oder dass es der Dame ein Unbehagen bereiten würde, hüllenlos in die Reihen der Gäste zu treten.
„Himmel noch mal ist die schön.“ Verträumt schaut Ramona wie all die anderen Personen der Loge auf diese große Frau, die die Vierzig schon überschritten haben muss, von ihrer Figur und ihrem geschminkten Gesicht aber noch deutlich jünger aussieht. Ihr langes, schwarzes Haar hat sie links gescheitelt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Als besonderen Schick hat sie an beiden Seiten ein paar Strähnen nicht mit eingefangen, die sich nun wie schwarze Schlänglein auf ihre Schultern kringeln. Ihr Hals ist lang und zart, anmutig schlank sind ihre Arme, ihre Brust ziert ein großer Busen, der noch sehr fest wirkt. Nur ein wenig ist er schon ins Hängen gekommen, seine Spitze zieren zwei große Höfe mit dicken Knospen im Mittelpunkt. Diese ragen fest nach oben. Ein Indiz für Barbara, dass die Eskortierte erregt ist. Vielleicht ist sie eine Stripperin, sagt sie sich weiter, oder eine unbedarft Eingekaufte, die schon jetzt im Verlangen schwelgt, weil sie weiß, was ihre Aufgabe ist.
„Die ist doch vom hiesigen Theater, Ramona.“ Der neununddreißigjährige Oberarzt kneift die Augen zu, starrt angestrengt in das Gesicht der Hereingebrachten. „Na, das kann ja eine brisante Aufführung werden.“
„Jetzt, wo du das sagst, Jivan . . . nicht schlecht. Unser Schaffner weiß, wie er uns den Dinner-Abend würzen kann. Schau dir nur diese exzellenten Rundungen an, da werde ich ganz neidisch. Diese enge Taille, der stramme Bauch, dieses dreifingerbreit rechteckig frisierte Schamhaar, das gut gerundete Becken und die diesen Proportionen perfekt angepassten Oberschenkel. Ein regelrechtes Modell.“
„Wenn sie im Theater mal leicht bekleidete Rollen gespielt hat, habe ich mir immer gewünscht, sie möge sich ausziehen. Und jetzt das hier. Das ist mehr als krass. Denn nun können wir sie in ihrem Evakostüm aus größter Nähe bewundern, nicht aus der zwanzigsten Reihe mit einem Opernglas. Ramona, ich platze fast vor Neugier, was ihre Aufgabe ist.“
„Mir fällt jetzt ihr Name wieder ein: Anna Lubimov, eine Russin. Hoffentlich dreht sie sich gleich einmal, damit ich ihr Hinterteil sehen kann.“ Ramona greift die Hand ihres Gatten, verknotet ihre Finger mit seinen. Sie ist sichtlich erregt, einfach nur aufgrund des Anblicks einer nackten Frau, die des Öfteren in der Öffentlichkeit steht.
„Aber was ist ihre Rolle?“ Der Mann mit der hellbraunen Gesichtsfarbe streicht über seinen schwarzen Oberlippenbart. „Ihre Hände sind nicht gefesselt, sie wird nicht an einer Leine geführt. Nein, sie schreitet völlig zwanglos mit diesen Männern zu uns in den Speisesaal, als wäre dieser Auftritt für sie das Natürlichste auf der Welt.“
„In Anbetracht dieser Eskorte sind Fesseln überflüssig, Jivan. Aber in einem gebe ich dir Recht, sie scheint sich freiwillig in dieser Aufmachung unter uns zu begeben.“
Anna Lubimov ist ein wenig aufgeregt, als sie in der Mitte dieser vier schwarz gekleideten und mit einer angsteinflößenden Mütze versehenen Brüder der Loge „Dark Visions – Nostradamus Erbe“ langsam von ihrer Garderobe durch das Treppenhaus geht. Es ist mehr als das viele Geld, gesteht sie sich. Das alleine hätte sie nicht bewegt, völlig unbekleidet in den Saal dieser mystischen Schwestern und Brüder zu gehen. Eindeutig will sie gesehen werden, sonst wäre sie nicht Theaterschauspielerin geworden. Sie braucht den Applaus wie andere ihren Kaffee am Morgen. Das Engagement, das ihr für heute angetragen wurde, ist ein neues Ereignis auf ihrer Suche nach Anerkennung. Zuerst zögerte sie noch, als sie nach ihrer letzten Aufführung am Theater in ihrer Garderobe einen dicken Blumenstrauß mit roten Rosen in einer Jugendstilvase stehen sah. Selbst zuhause drehte sie die Visitenkarte, die an einem der stacheligen Stiele hing vielfach zwischen ihren Fingern, bevor sie sich entschloss, ihren Gönner anzurufen: Sándor Farkas, der Mann aus Ungarn, der guten Geist der Loge, der für das Heim und die Verpflegung zuständig ist.
Im Telefonat nahm dieser Mann kein Blatt vor den Mund, er suchte eine Frau, die bereit wäre, wehr- und schutzlos an einer Zeremonie der Nostradamus-Anhängerschaft als Medium teilzunehmen, um mit den Mächten der Hölle in den Kontakt zu treten. Mit dem ausdrücklichen Ziel, Satan zu bewegen, die Plage des neuen Virus Corvid 39 von den Menschen zu nehmen, an dem weltweit in den letzten zwei Jahren schon dreißig Millionen Menschen gestorben waren. Was genau dabei von ihr, Anna Lubimov erwartet wurde, außer nackt zu sein, blieb ein vorläufiges Geheimnis. Sándor Farkas meinte, wenn sie ihre Berufung wüsste, könnte das eine negative Ausstrahlung auf den Zermonienmeister haben und das gesamte Unterfangen scheitern lassen. Nur eines sicherte er ihr zu, sie würde trotz ihrer Nacktheit unversehrt bleiben. Das Symbol der Unschuld gekoppelt mit den Reizen einer reifen Frau soll lediglich den Meister der Unterwelt bewogen machen, mit den Schwestern und Brüdern der Loge zu debattieren. Und unabhängig, ob der Handel für die Menschheit positiv oder negativ ausginge, wäre sie, die schöne Theaterschauspielerin nicht das Pfand des Teufels. So unberührt und an einem Stück, wie sie das neue „Clubhaus“ betreten würde, täte sie es auch wieder verlassen. Ohne Nebenwirkungen befürchten zu müssen.
Anna Lubimov ließ sich dieses in dem Vertrag mit der Loge schriftlich geben. Ebenso die Festlegung ihrer Gage: Zehntausend Euro! „Für nur einen Abend, meine Güte, ist das viel Geld“, sagte sie sich vor dem Spiegel und schaute in ein vergnügliches Gesicht. Gut, einen Haken hatte die Sache, fünftausend standen ihr felsenfest zu, auch wenn im Vorfeld alle zehn Riesen auf ihrem Konto eingegangen wären. Die andere Hälfte war eine variable Masse, sie würde ihr nur gehören, wenn sie den Mut aufbringen würde, in eine enge, dunkle Röhre zu kriechen.
Schrill lachend gestand sie dem Mann am Telefon, nicht unter Klaustrophobie zu leiden. Wahrscheinlich haben sie einen schmalen Höhleneingang gebaut, durch den ich in die „Hölle“ krabbeln muss, war der Gedanke mit dem sie sich beruhigte.
Nach dem Telefonat, bei dem sie sich einen Tag Bedenkzeit ausgebeten hatten, rannten die Geister durch ihren Kopf: Zehntausend Euro! Warum gerade ich? Weil ich genau das Wert bin. Der Menschheit helfen? Jawohl, wer will das nicht. Und wenn die Forscher der Pharmaindustrie zu langsam sind, warum nicht ein Versuch mit dem alten, mystischen Wissen, das diese Geheimbünde seit Jahrtausenden kultivieren. Und ganz nebenbei kann ich meine Schönheit zeigen.
Am nächsten Tag traf sie sich mit dem ungarischen „Schaffner“ in einem Kaffee an der Obertrave. Draußen auf der Promenade saßen sie, tranken Kaffee, aßen Marzipantorte, schauten auf die kleinen Motorjachten der Touristen, die auf der Trave vorbeischipperten und einigten sich über alle Vertragsdetails.
Jetzt biegt sie zwischen den vier mystischen Männern in einen langen Flur ein, der nur über Fackeln an den Wänden erleuchtet ist. Ruß beißt ihr in die Nase, der Duft nach den in grobem Wachs getränkten Jutelichtern mischt sich mit dem Geruch des schweren Sandsteins der Wände. Auf diesen tanzen die Schatten der unheimlich gekleideten Kapuzenköpfe. Für einen Moment wollen Anna Lubimov die Knie weich werden, vorsichtig lugt sie an den breiten Schultern vor ihr vorbei. Am Ende des Ganges steht eine reich verzierte Holztür, bei der viele Linien mit Goldfarbe nachgezogen sind.
Von außen sah diese abgelegene Villa recht modern und unscheinbar aus, hier drinnen hingegen scheint das Mittelalter aufzuleben, erinnert sich die reife Russin.
Als sich die Tür wie von Geisterhand öffnet, hört sie die sich angeregt unterhaltenden Gäste. Für ein paar Meter, dann kehrt Stille ein und die nackte Frau im Spalier dieser gruseligen Mystiker spürt die hohe Erwartungshaltung, die in dem Saal hinter dem Flur liegt.
Mut und Gelassenheit spricht sie wie ein Mantra vor sich hin, Schritt für Schritt nähert sie sich der geheimnisvollsten Rolle, die sie bisher in ihrem Leben gespielt hat. Der kleine Zusatz im Vertrag fällt ihr ein, den Sándor Farkas sich nicht aus dem Kopf reden ließ. Nun gut, vielleicht gehört das einfach dazu, wenn man sich als zauberhafte Frau unter reich betuchte Menschen gibt, beruhigt sich die große Frau. Geld macht dekadent, da gehört ein wenig Erotik dazu, wie in den Kaffeehäusern Wiens und Berlins in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts; oder in den Gemälden von Egon Schiele.
Kaum betreten die Männer vor ihr den Saal, biegen sie nach rechts ab, und stellen sich nebeneinander nah bei der Tür auf. Unzählige Augen von Frauen und Männern taxieren die Hereingebrachte. In allen nimmt die Schauspielerin ein Strahlen wahr, wie sie es in den Reihen des Theaters noch nie gesehen hat. Es ist mehr als Entzücken, mehr als Glück, mehr als Verzauberung. Die Russin fühlt sich jenseits des Menschlichen, als wäre sie als Göttin auferstanden.
Diese Rolle brauche ich wohl, soll ich mich mit dem Teufel streiten, rinnt ihr ein Gedanke wie ein gemächlich plätschernder Bach durch ihren Verstand, als sie das Rückgrat durchgedrückt und auf Sándor Farkas zuschreitet, der mit ausgebreiteten Armen sie empfängt. Zeitgleich beginnt ein Oktett Kammermusik zu spielen.
Er legt ihr beide Hände auf die Schultern, deutet links und rechts einen Wangenkuss an, hält den Rest seines Körpers aber sittsam auf Abstand, um die Nackte nicht mit seinem Leib zu berühren. Diese wirft nach der Begrüßung einen flüchtigen Blick über die Schulter; die Männer, die hinter ihr gegangen sind, stehen nun wie Wachtposten an der anderen Seite der schicken, jetzt wieder ins Schloss gefallenen Tür.
Der Schaffner, der auch Besitzer dieses Clubs ist, bei dem im Anschluss an die Satansbeschwörung festlich diniert werden soll, fasst die große Frau an der Hand und geleitet sie zu dem weiter hinten wartenden, in weinroter Robe gekleideten Zeremonienmeister wie ein Vater seine Tochter zum Traualtar führt.
Die Hände vor der Brust gegeneinander gelegt, verneigt dieser kleine Mann mit Glatze und einer dicken Brille sich förmlich. Seine tiefe Stimme, mit der er sich bei der Frau bedankt, die heute als Medium fingieren will, flößt Anna Lubimov Vertrauen ein. In dieser feierlichen Atmosphäre empfindet sie sich wie ein Diamant unter tausend Kohlestückchen. Ihre Nacktheit hat sie vollkommen verdrängt. Voller Faszination schaut sie den grazilen Bewegungen des Zeremonienmeisters zu, dem eine große, spirituelle Aura umgibt. Zumindest empfindet dieses die Dreiundvierzigjährige, die bisher nie mit Spiritualität in Berührung gekommen ist und den Unterschied zu Esoterik nicht erkennen kann.
Der Mann in der weinroten Robe dreht sich, greift von einem Tisch mit beiden Händen einen silbernen, reich verzierten und blank geputzten Kelch, übergibt ihn feierlich dem Medium.
Nie hat die Russin bisher einen besseren Wein getrunken, gerade will sie sich höflich bedanken, da hört sie es hinter sich ratschen. Das Geräusch, wenn mit einem Smartphone ein Foto gemacht wird.
Die schöne Frau wirft einen Blick über die Schulter, hinter ihr ist eine sehr hübsche Frau mit langem, blondem Haar und schönen grauen Augen auf die Knie gegangen und macht eine Aufnahme nach der anderen von ihrer Kehrseite, wobei sie auf dem Boden hin und her krabbelt.
„Ramona, kannst du nicht warten, bis das geklärt ist.“ Der Zeremonienmeister schaut auf die vorwitzige Schwester, als wäre er ein Obstbauer, der Lausebengel beim Apfelstehlen erwischt hat.
„Ich verstehe, das Kleingedruckte aus dem Vertrag kommt jetzt zum Tragen, Meister. Der Sinn ist mir jedoch nicht wirklich aufgegangen, weshalb ich mich den Gästen vor der Anrufung sehr offen zeigen muss.“ Anna Lubimov belegt den kleinen Mann in dem teuren Mantel aus Samt mit einem Blick, als solle sie von der Lehrerin wegen eines Streiches gezüchtigt werden, den ihre Freundin begangen hat.
„Weil in einigen von uns der Teufel stecken könnte“, antwortet Ramona Wieser naseweis anstelle des Zeremonienmeisters, „mit deinen erotischen Reizen lockst du ihn aus uns heraus und unsere Seelen sind frei.“
„Damit meine beschmutzt wird?“ Anna Lubimov dreht ihren Kopf noch ein wenig mehr, um Ramona besser sehen zu können. Der kindliche, diebische Schalk, der dieser Hübschen ins Gesicht geschrieben steht, besänftigt sie hingegen sofort. Diese Blondine erinnert die Russin an eine jüngere Kusine. Monatelang drängelte diese vor ein paar Jahren, dass sich Anna ihr gegenüber einmal ausziehen sollte. Um von dem Quälgeist endlich Ruhe zu haben, schlug Anna ein Strippoker vor und verlor absichtlich. Das war ihr Debut, sich vor Fremden nackt zu zeigen. Weil dieses spezielle Sich-zur-Schau-Stellen die damals schon reife Frau mehr erregt hatte als gedacht, strippte sie hin und wieder bei Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern ihrer Freundinnen. Aus diesem Grunde hat sie auch heute wenig Scheu, ihre Intimzonen allen sichtlich zu machen. „Dann setze deine Kamera mal an, Schätzchen“, spricht Anna in einem schäkernden Ton, dreht den Kopf ein Stück zurück, dass ihr Kinn auf ihrer Schulter liegt und sie ihr Gesicht der Fotografin im Profil anbietet. Nebenbei bringt sie ihre Hände auf ihre wohlgeformten Halbkugeln und zieht diese auseinander.
„Uff“, keucht Ramona und schießt eine Reihe Fotos. Von dem Medium im Ganzen, aber auch Detailaufnahmen von dem aufgezogenen Po, bei dem deutlich die wundervolle Rosette und die leicht geöffnete Blume darunter zu sehen sind.
Als sich die Russin zu ihr dreht, fängt Ramona noch eine Nahaufnahme von dem schwarzen, dreifingerbreiten Haarbüschel ein, der den Unterleib der Nackten ziert, bevor sie von einem Fuß an ihrem Brustbein nach hinten gedrückt wird. Kaum liegt die Fotografin mit abgewinkelten Knien auf dem Rücken, stellt sich die große Schwarzhaarige breitbeinig über den Bauch der Blonden. „Gefällt dir, was du siehst, Darling?“
Emsig schießt die Österreicherin Fotos von der über ihr Stehenden. Besonders in Szene setzt sie den leicht geöffneten Schlitz zwischen den Oberschenkeln der Schauspielerin sowie deren großen Busen, der aus dieser Perspektive verdammt appetitlich wirkt. Diese breiten Knospen, die steil nach oben stehen, sich aus einem großen, rosa-braunen Hof erheben und auf diesen Prachtexemplaren an Brüsten wie Kronen sitzen.
Nachdem die Blonde sowie eine Reihe an Männern und Frauen ebenfalls von allen Seiten und aus allen Höhen zur Genüge Fotos von dem Aktmodell gemacht haben, lässt sich Anna Lubimov vom Zeremonienmeister durch die Reihen der Gäste führen. Dem einen oder der anderen wird sie direkt vorgestellt und wechselt ein paar Höflichkeitsfloskeln. Während sie sich die Motive einiger Leute erläutern lässt, weshalb diese in diese Loge eingetreten sind, stellt sie zuweilen einen Fuß auf einen Stuhl, um den aufgeregten Hobbyfotografen ihre Weiblichkeit anzupreisen; stützt sich mit beiden Händen auf eine Tischplatte, stellt die Beine breit auseinander und wackelt verlockend mit ihrem Hinterteil; geht auf einen Tisch in den Vierfüßlerstand und schaukelt ihre entzückend großen Melonen; dann wieder steht sie auf dem Fußboden, die Füße eng umschlossen und schiebt mit beiden Händen ihr Haar hoch, was besonders in den Profilaufnahmen eine enorme, sinnliche Erotik ausstrahlt. Passend zu dieser knisternden Stimmung spielt das Oktett schnelle Stücke aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“.
Dankend nimmt Anna Lubimov in dieser Phase zur Kenntnis, dass keine Person versucht, sie anzufassen. Den Passus in ihrem Vertrag, der dieses ausschließt, scheinen die Gäste zu kennen und zu respektieren. An diesem Punkt angekommen, kombiniert sie weiter. Sicherlich haben diese Menschen, die alle aus der High Society kommen, das erkennt Anna an den teuren, maßgeschneiderten Anzügen der Herren und Festtagskleidern der Damen - sicherlich haben diese Leute viel Eintrittsgeld zahlen müssen. Da muss am Rande einfach ein wenig Exklusivität geboten werden, bevor es zu der schnöden Teufelsanbetung kommen soll. Schnell überfliegt die Russin die Tische und Gedecke. Zehn Tafeln sind gedeckt mit immer vier Plätzen. Die lasterhafte Ramona hat ihr vorhin gesteckt, ihr Mann hätte zweitausend Euro für beide zahlen müssen, demnach würde der gute Sándor Farkas heute vierzigtausend Tacken einnehmen, nicht schlecht.
Unvermittelt wird die Beleuchtung arg herunter gedreht und fangen die Musiker ein bedrohlich wirkendes Stück aus Schostakowitschs Sinfonie „Das Jahr 1917“ an zu spielen, welches sie sehr gut auf Kammermusik zugeschnitten haben. Zeitgleich wird ein langer mitternachtsblauer Vorhang zur Seite gezogen. Er offenbart eine Bühne. Allem Anschein nach werden in diesem Clubhaus auch Konzerte und kleine Theaterstücke aufgeführt, schießt es Anna Lubimov durch den Kopf.
Der Zeremonienmeister bittet sein Medium, noch einen Kelch des guten Weines auszutrinken, daraufhin die Bühne zu betreten und sich mit dem Rücken auf einen gepolsterten Tisch zu legen. Während er aus dem großen Buch, das ihn einer der maskierten Männer gerade übergeben hat, Verse in einer unbekannten Sprache proklamiert, malt Sándor Farkas der Liegenden magische Zeichen und Symbole auf den Körper. Gleichzeitig werden neumodische Gartenfackeln um sie herum aufgestellt, deren obere Enden zu einem kleinen Korb ausgeformt sind, in denen mit Brandanzünder getränkte Holzscheite brennen.
Das flackernde Licht der Fackeln, das Knistern der Holzscheite, der Geruch nach Feuer und Rauch, dazu die geheimnisvolle Kammermusik und der mystische Singsang des Zeremonienmeisters beunruhigen die bis hierhin so mutige Frau aus Russland. Zwangsläufig huschen Bilder an ihrem Verstand vorbei, sie läge auf einem Opferaltar. Die Hände in die Kanten des Tisches verkrallt wartet sie nur darauf, dass der kleine Mann mit Glatze und Brille sein geheimnisvolles Buch aus der Hand legt, zu einem silbernen Dolch greift, diesen mit beiden Händen gegriffen über seinen Kopf hebt und mit einem Ausruf „Meister der Dunkelheit, erhöre mich“ Anna in das Herz rammt.
Doch anstelle sich lebend opfern zu lassen, bittet der Runenmaler sein Aktmodell, sich auf den Bauch zu legen, um weitere Botschaften zu empfangen.
Anna spürt, wie der Wein ihr zu Kopf steigt, folgerichtig vermutet sie, dass ihr eine Sedierung beigemischt worden ist. Wie sie versucht, Worte zu formen, wird ihr die Zunge zu schwer. Zwangsläufig gibt sie den Versuch auf, Widerworte zu formulieren. Mit den von dem Schaffner getätigten Aussagen, sie solle in ein enges Loch kriechen und würde so unversehrt wie sie dieses Clubhaus betreten hat, dieses auch wieder verlassen, beruhigt sie sich. Außerdem könne sie jederzeit aus dem Schauspiel aussteigen, müsste dafür aber einen Verlust von fünftausend Euro hinnehmen. Das will die große Russin nicht, deshalb entscheidet sie an dieser Stelle, bis zum Finale mitzuspielen. Dass Satan aus der Hölle aufsteigen könnte, an diesen Unfug glaubt sie sowieso nicht.
Jivan Nayak, der aus Indien eingewanderte Oberarzt, wird immer nervöser, je länger die wunderhübsche schwarzhaarige Frau mit Symbolen bemalt wird. In seiner Fantasie stimmen diese Vorbereitungen überein mit den Praktiken eines Menschenopfers. Diese Thematik, bisher hatte die ihn stets kalt gelassen. Doch jetzt ist alles anders. In seinem Inneren spürt er eine unbeschreibliche Hitze aufwallen bei der Vorstellung, es könnte heute zu einem realen Menschenopfer kommen. Und dazu noch so ein Traum an Frau, so eine faszinierende Nackte.
Beflissentlich wandern seine Augen über die angrenzenden Tische sowie zu den Wächtern an der Tür. Leider ist nirgends ein Dolch zu sehen; eine Tatsache, die den Mann mit dem schwarzen Oberlippenbart ein wenig enttäuscht. Und wie der Schaffner sein Kunstobjekt auf den Bauch dreht, kriegt die satanische Sensationslust in dem Mann mit der hellbraunen Gesichtsfarbe einen weiteren Dämpfer. Dass ein Menschenopfer auf dem Bauch liegend abgestochen wird, hat er noch nie gehört. In seiner aus Comics und alten Gemälden entstandenen Vorstellung geschieht dieses immer, wenn das Lamm seinen Herrn anschauen kann, also auf dem Rücken liegt.
Betrübt ist er hingegen nicht lange. Nachdem eine lustvolle Offerte weggebrochen ist, widmet er sich schlagartig einem anderen Fetisch. Nun sind das große, wohlgeformte Hinterteil sowie die weiblich breiten Oberschenkel der schön geschminkten Dame sein ganzes Begehren. In der Vorstellung sieht er sich hinter die Theaterschauspielerin auf den Tisch steigen und mit einem sanften aber bestimmenden Drängen in ihr Hinterstübchen eindringen. Die Bilder, die dabei in seinem Kopf entstehen, lassen ihn unten extrem hart werden. Um von seinem Ständer den Druck in der engen Anzughose zu nehmen, stellt er sich seitlich ganz nah hinter seine Gemahlin. Diese lässt sich willenlos ihre Hand auf den Hosenlatz führen und beginnt augenblicklich, ihre flache Hand auf der Erektion ihres Ehemanns kreisen zu lassen, ohne dabei den Blick von der Bühne zu nehmen. Jivan spürt, seine bessere Hälfte ist ähnlich wie er von der beunruhigenden Mystik und der knisternden Erotik gefangen.
Nachdem Anna Lubimov mit allen Beschwörungsformeln bemalt ist, wird sie gebeten, vom Tisch zu steigen. Sándor führt sie an der Hand einmal von einem Bühnenende zum anderen, immer am Rand entlang. Alle zwei Meter bleibt er stehen und bittet sein Medium, sich langsam im Kreis zu drehen, damit seine Schwestern und Brüder die Botschaft lesen können. Zwar verstehen die Wenigsten die Rituale der Mystiker, doch die famosen, weiblichen Rundungen des Modells wissen sie zu entziffern.