Die Studentin Raija bessert sich als Weihnachtsfrau verkleidet am Heiligen Abend 2016 ihren Lebensunterhalt auf. Wie aus heiterem Himmel wird sie von einer Horde junger Männer überfallen, ausgeraubt, zusammengeschlagen und in die eiskalte Regnitz geworfen. Kalt brechen die Fluten über ihr zusammen. Verwundert klettert sie ein paar Minuten später ans Ufer: 500 Meter flussaufwärts! Hinter den Stromschnellen! – Und in einer weit zurückliegenden Zeit. Niemand gewährt ihr Einlass, bis sie ein großes Haus am Ende der dunklen Gasse erreicht. Elizabetha und Alois lehren ihr allein von ihrer Erscheinung her das Fürchten. Aber Raija hat keine andere Wahl, will sie nicht erfrieren. Was sich daraufhin ereignet, ist für Raija eine Mischung aus Faszination und Grauen. Elizabetha lehrt ihr das Spiel mit der Peitsche und entlockt der jungen Frau Gefühle des Begehrens, die sie bisher nicht gekannt hat. Bis die unantastbar scheinende Hausdame von Raija verlangt, ein Mädchen zu töten. Doch Raija verliebt sich in diese junge Frau . . .
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Pat Darks
Am Rande der Zeit
Ein erotischer Horror-Roman aus Bamberg
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Raija
Überraschung in der Heiligen Nacht
Wundersame Verführung
Ein blutiger Kuss
Eine Gespielin für die Reitgerte
Ein lebendiges Geschenk
Gefesselt am Haken
Treibjagd im Dachgeschoss
Die Spinne webt ihr Netz
Die Enthüllung der Wahrheit
Die Atzung des Jungvogels
Auf der Flucht
Ein unerwarteter Besuch
Weitere Werke des Autors:
Leseproben aus „Jonata – Verführung“ und „Teuflische Lust“:
Impressum neobooks
Dieses wunderschöne Foto sowie mein Besuch in Bamberg zum Jahreswechsel 2016 / 2017 haben diese Vampir-Erotik-Story entstehen lassen.
Nichtsdestotrotz sind alle Personen frei erfunden. Raijas Charakter, ihre Lebensgeschichte und ihre Wünsche sind das Produkt meiner Fantasie und gehen nicht auf die hier abgebildete Person zurück.
Copyright Foto: sakkmesterke, https://de.123rf.com
Der Hausvorstand stellte sich in den Rücken der Weihnachtsfrau, um ihr besser unter den Rock linsen zu können, wenn sie aus dem im Wohnzimmer abgestellten Jutesack für die Kinder die Weihnachtsgeschenke herausklaubte. Im stillen dankte er der Agentur, von Jahr zu Jahr immer knappere Mäntel für die jungen und hübschen Studentinnen auszusuchen; rote, wollene Umhänge, die bis knapp auf den Oberschenkel reichten und am Saum mit einem dicken weißen Rand aus Schafwolle versehen waren. Natürlich war der Rock unter diesem Mantel noch kürzer. Wie hätte es auch ausgesehen, sollte das Kleid unter dem Mantel bis auf die Knie reichen?
Der Mann rieb sich nachdenklich das Kinn, als sein Blick von den knöchelhohen, roten Winterstiefeln aufwärts wanderte, entlang den schönen Beinen, die in einer fleischfarbenen, transparenten Strumpfhose steckten. Sicherlich müsste es der jungen Frau in diesem Outfit draußen sehr frösteln, dafür heizte sie ihn umso mehr ein. Deutlich zeichnete sich bei der Weihnachtsfrau unter der Gaze der Slip aus roter Spitze ab, und nach jedem Geschenk musste sie sich für das nächste tiefer bücken, spannten sich ihre knackigen Halbmonde immer kräftiger um das rote Kleine, dass der Beobachter unbewusst mit seinen Fingern zu wackeln begann, als würde er auf einer Ziehharmonika „Maria durch einen Dornenwald ging“ spielen. Ja, gerne hätte der Hausvorstand jetzt seine Hände auf die Hüften dieses jungen Fleisches gelegt, es bestimmend auseinandergezogen, die Frau zum Verharren in der gebückten Haltung gezwungen und sich mit ihr vereinigt.
Raija wusste von diesen Auswirkungen ihres Auftritts. Geschickt hatte sie gelernt, ihren Abscheu zu verbergen - für die halbe Stunde, die sie die Glücksfee spielte, den Kindern Geschenke, der Mutter Missmut und dem Vater unbefriedigte Träume zu bescheren. Die Gesellschaft der westlichen Industrienationen war zu Beginn des 21. Jahrhunderts sexualisierter als je zuvor, einzig auf Kosten der Frauen, die in der Werbung extrem stark als Ware stilisiert wurden, um leichtbekleidet mit ihren Reizen die Männerwelt zum Einkauf anzureizen.
Notgedrungen fügte sich Reija am Heiligabend diesen Marketingstrategien. Das Gestatten eines Blickes unter ihren Rock versprach ein hohes Trinkgeld; umso größer, je länger sie dem Familienvater Einblick gewährte und je knapper ihr Höschen war.
Von der Agentur vorgegeben war, das Geschenk dieses Mannes immer zuunterst in ihrem Gabensack zu haben, denn ein zufriedener Kunde würde nächstes Jahr erneut eine sexy Weihnachtsfee bestellen.
Mühselig wühlte Raija tiefgebückt in ihrer „Wundertüte“ herum, obwohl sie das Präsent schon lange mit ihren Fingern umschlossen hielt. Mit einer gespielten Erleichterung drehte sie sich um und übergab den „Trostpreis“. Bei fast jedem Kunden war es derselbe Abschluss. Sie zogen ein Gesicht, als hätte man ihnen einen Granatapfel überreicht, aber Gabel und Serviette nicht mit übergeben. Verlockend rot lagen die aufgeschnittenen Hälften ungeschützt vor ihm auf dem Teller, doch er hatte keine Möglichkeit, von der Süße zu naschen, in dieser Nacht zu sündigen, sich die kleine Studentin auf den Küchentisch zu legen.
Das Geschenk in der Hand erwachten die Familienväter alle aus ihren Tagträumen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht vergruben sie ihre Augen ein letztes Mal in das weit und kreisförmig ausgeschnittene Dekolletee der Weihnachtsfrau, das von ihren Brüsten mehr zeigte als es verdeckte, zupften verlegen an dem weißen Bommel ihrer roten Pudelmütze, bevor sie das Girl in den Flur geleiteten, verfolgt von dem Schatten namens Gemahlin. Für den Mann in diesem Augenblick eine Gefängniswärterin, für die junge Frau ein Engel, eine Versicherung, nicht unter ihrem Rock betatscht zu werden oder eine nach Gänsebraten und Wein schmeckende Zunge in ihren Mund gesteckt zu bekommen.
Im Treppenhaus zeigte Raija der Wohnungstür den Stinkefinger, nachdem diese wieder ins Schloss gefallen war und betete beim Hinabgehen der Treppe, möglichst schnell ihre Besuche abgeschlossen zu haben. Nun war sie es, die ihr Gesicht verzog, als müsste sie kaltes Sauerkraut essen. Kurz würde dieser Abend nicht werden, sonst gäbe es Beschwerden bei ihrer Auftraggeberin und im nächsten Jahr keine weitere Chance, sich ihr Taschengeld aufzubessern. Die Gesellschaft war strukturiert in Ausgebeutete und Ausbeuter und dabei so fantastisch organisiert, dass die Ersteren ihre ihnen zugewiesene Rolle nicht erkannten - nicht erkennen wollten. Ganz im Gegenteil, sie himmelten ihre starken Männer sogar noch an, Frauen wie Männer. Unaufgeklärte, die sie alle waren, merkten sie nicht, wie sie sich langsam immer mehr den konservativen Politikerinnen und Politikern anschlossen, nachdem diese erst die „große Bedrohung“ an die Wand gemalt und sich sodann als alleinige Retter angepriesen hatten.
Raija sah das anders. Zum Glück. So konnte sie das gefährliche Spiel mit einer deutlichen Distanz mitspielen und war sich stets bewusst, wo die Grenzen lagen. Würde Jesus ansehen müssen, was aus der Feier seines Geburtstages geworden ist, sagte sich die in einem Weihnachtskostüm verkleidete Frau mit einem verzogenen Mund, als sie aus ihrem Kofferraum die Geschenke für den nächsten Part in ihren Jutesack füllte, er würde sich noch einmal überlegen, ob die Lehre der Barmherzigkeit wirklich gegen jeden Menschen anzuwenden wäre.
Still schimpfte die Weihnachtsfrau auf die Männerwelt, als sie über die „Untere Brücke“ stiefelte. Nicht auf alle Männer. Jesus wäre mit seiner Weitsicht, dass Geld und Gewinn nicht das Wichtigste sind auf dieser Welt und seiner Erkenntnis, dass alle Menschen Kinder Gottes sind, also vom selben Wunder profitieren, auf der Erde leben zu können, eine dankenswerte Alternative.
Raija hatte noch nicht die Mitte der Brücke erreicht, da betraten am anderen Ende vier junge Männer das steinerne Werk. Unmittelbar spürte die Studentin eine große Negativität, die von dieser Gruppe ausging. Aber weil sie es eilig hatte, ignorierte sie alle Warnblinkanlagen in ihrem Kopf. Vor ihrem geistigen Auge sah sie eine Unfallstelle auf einer großen Kreuzung, Sanitäter- und Polizeifahrzeuge blinkten, auf dem Dach blau, an den Stoßstangen gelb. Das überfahrene Opfer, eine junge Frau in einem roten Weihnachtskostüm.
Beim ersten Schlag gegen ihr Kinn torkelte sie rückwärts, der nächste Tritt in ihren Unterleib ließ sie zusammenbrechen. Felix, der Anführer der Horde, mit dem sie sechs Jahre lang auf der Realschule in derselben Klasse gewesen war, raubte aus ihrer Manteltasche das Portemonnaie und die Autoschlüssel, warf sich den vollgepackten Geschenkesack über die Schulter und rief seinen „Untertanen“ zu, das Dreckstück endlich in die Regnitz zu werfen, damit es zumindest an diesem wichtigen Tage einmal gewaschen wird.
Halb benommen von den Schlägen und Tritten spürte Raija, wie sie von sechs Armen emporgehoben wurde, hörte das Grölen der Halbstarken ebenso wie das Brummen der Autos, die am „Am Kranen“ vorbeifuhren und höchstwahrscheinlich diesen Überfall mit ansahen, aber sich nicht entschließen konnten, zu helfen. Denn heute war die steinerne Kaiserin Kunigunde, die diese Brücke beschützte, hell angestrahlt.
Noch im Fallen sah die blonde Frau mit dem finnischen Namen, weil ihre Eltern vor mehr als fünfzig Jahren nach Deutschland eingewandert waren, die goldene Krone auf dem Haupt der ehrwürdigen Dame schimmern. Dann schlossen sich die eiskalten Fluten der Regnitz über sie. Raija war, als würde ihr Kopf zwischen den Backen eines Nusskackers liegen, der mit aller Kraft zugedrückt wurde. Sekunden später verlor sie das Bewusstsein.
Alois und Elizabetha waren in bester Feiertagsstimmung. Auf dem Schoß der alten Dame zappelte ein junger nackter Mann, auf dem des alten Mannes zuckte eine junge Frau. Beide waren vorm Tode nicht mehr zu retten und hatten schon so viel Blut verloren, dass sie weder schreien noch weinen konnten. Zu hören war lediglich ein Glucksen aus den Kehlen der älteren Leute, in denen der Lebenssaft der armen Menschen hinunter rann.
Nachdem Elizabetha aus ihrem Fleischstück nichts mehr herauszuholen vermochte, zog sie ihre Zähne aus seinem Hals, wischte sich mit dem Handrücken über ihren Mund und warf den Leichnam auf die große silberne Platte, die auf der langen Tafel stand. Alois packte die Reste seiner Nahrungsquelle ebenfalls auf diesen Teller und tupfte sich mit einer weißen Serviette die Lippen ab.
Gesättigt wanderten beide durch den großen Speisesaal zur kleinen Sitzecke am Kamin, in dem frisches Kiefernholz knackte und kleine Funkenregen versprühte. Mit einem Glas Wein stießen die älteren Herrschaften auf den Feiertag an.
„Bist du dir sicher, Alois, dass sie wahrhaftig heute kommt?“ Elizabetha rückte dabei die große rote Schleife zurecht, die sie sich in ihr schwarzes Haar geflochten hatte und die von den um sich schlagenden Armen des Opfers leicht aus ihrer Position gebracht worden war.
„Die Karten lügen nicht“, antwortete ihr Mann mit einem leichten Nicken des Kopfes und strich über die noch immer auf dem kleinen Tisch liegenden Tarotkarten, mit einer Grazie, als hätte er eine Wette laufen, die Blätter einer Mimose berühren zu können, ohne dass diese sich nach diesem Kontakt einrollen würden.
„Wann wird sie zu ihrer Reise aufbrechen?“
„Jetzt.“ Alois erhob sich aus dem barocken Stuhl, schlug seinen schwarzen Umhang nach hinten, umklammerte mit beiden Händen das goldene Zepter, auf dessen Kopf ein kleiner Globus ruhte, orientierte sich nach Norden, zur Regnitz, und sagte einen magischen Spruch aus einer längst vergangenen Zeit auf.
Raija war nur ganz kurz ohnmächtig gewesen. Wieder im Besitz ihrer geistigen Kräfte spürte sie eine Begebenheit, die nicht möglich sein konnte: Sie trieb im Fluss gegen die Strömung - und zwar mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit. Alle Bemühungen, zurück an die Wasseroberfläche zu kommen, waren vergebens. Jetzt rächte sich, sportlich immer so desinteressiert gewesen zu sein. Ihre Muskeln hatten nicht die Kraft, sich mit der des Wassers messen zu können. Das Ertrinken schon vor Augen, sah sie erneut das grinsende Gesicht von Felix, als er seinen Kanaillen befohlen hatte, sie zu töten. Ein letztes Mal bäumte sich der Hass in ihrem Verstand auf bevor er für immer erloschen sollte, glaubte die junge Frau, da wurde sie in seichtere Gefilde gespült. Schnell stieß sie durch die Wasseroberfläche. Ihre Lunge rasselte, als sie tief einatmete. Hinter ihr donnerten die Stromschnellen, direkt vor ihr führte die Schimmelgasse ins Wasser.
Diese kleine Straße kannte sie. Eigentlich. Aber wo war die Ufermauer dieser Sackgasse geblieben? Wann hatte die Stadtverwaltung Bambergs diese abreißen lassen? Jetzt führte die Straße direkt in den Fluss. Egal, sagte sich Raija und stieg aus den Fluten. Sofort legte sich die Kälte um sie. Ihr war, als wäre sie eine Nordseekrabbe, die in einen Eismantel eingeschlossen werden sollte, um länger haltbar zu sein. Damit es nicht dazu käme, musste sie schnell eine warme Stube finden.
Hektisch schaute sie in die Gasse aufwärts.
Da schüttelte sie sich erneut, dieses Mal aber nicht wegen der Kälte.
Alles war anders.
Es lag der Schnee zwanzig Zentimeter hoch. Unmöglich konnte der in den paar Sekunden gefallen sein, die sie im Wasser abgetaucht war.
Zudem gab es nicht eine Laterne in dieser kleinen Kopfsteinpflasterstraße, aus einigen Fenstern drang nur ein ganz schwaches, flackerndes Licht. Nun gut, es war der 24. Dezember, da verzichteten schon mal einige Leute aufs elektrische Licht, allein dass sich ein ganzer Straßenzug abstimmen würde, nur mit Kerzen die Zimmer zu erleuchten, lag jenseits der Realität.
Bevor die durchnässte und unterkühlte Frau an der ersten Holztür anklopfen konnte, stolperte sie über einen umgefallenen Skistock. Wie aus dem Museum, wunderte sie sich, kniff die Augen zusammen und musterte die Gegenstände genauer, die vor den Türen standen: Schlitten, Ski und Stöcke - alle aus Holz, alle mindestens schon zweihundert Jahre alt.
Zehn Zentimeter vor der Haustür verharrte ihre Faust. Raija wurde bewusst, es roch hier anders. Holzfeuer überall, und Unrat, als hätten die Anwohner ihr Geschäft vor der Tür verrichtet.
Ein letztes Mal schüttelte sie den Kopf, dann klopfte sie.
Ein vollbärtiger Mann mit langen Haaren und einer dicken Weste aus Schafsfell brüllte schon beim Öffnen, sie gäben nichts. Da die junge Frau nicht auf der Stelle zurücktrat, hob er die Hand und knallte ihr eine, dass sie blank in den Schnee stürzte.
An der nächsten Tür wurde Raija nicht weniger freundlich empfangen. Sahen die Menschen nicht ihre Not? Gewährte ihr keiner Schutz und Wärme, müsste sie elendig erfrieren?
Auch an der dritten Tür wies man sie ab.
Wie der Mann den Eingang schon wieder schließen wollte, krähte eine Frauenstimme aus der Küche: „Schicke sie in das schwarze Haus, Johann!“ Darauf erscholl in der Küche ein gehässiges Lachen.
Mit einem schiefen Grinsen erklärte der Mann Raija den Weg, wobei er sie von oben bis unten mit dem Blick eines Händlers abschätzte, der begriffen war, eine Kuh zu kaufen. „Mögest du den Herrschaften bekommen“, grunzte er, als hätte man ihm einen Bullen als Milchkuh verkaufen wollen und zimmerte die Tür zu.
Raija wagte keinen vierten Versuch in der Schimmelgasse. Die Eiseskälte hatte ihre Klauen nach ihr ausgestreckt, lange durfte sie nicht mehr in der Nacht bleiben. Sie rannte bis zum Ende der Concordiastraße. Zwei Mal rutschte sie auf dem Schnee aus, dann stand sie vor der letzten Hoffnung.
Ihr Herz raste, die Lunge wollte ihr fast bersten, ihr Atmen kam einem Röcheln gleich, das einzige, was sie hörte. Wieso gab es keine Geräusche der Autos? Der Lautpegel einer Stadt, er war weg. Nur wegen des Schnees? Unmöglich.
Ein großer Mann mit kinnlangen grauen Haaren stand in der großen Tür, gedresst in einem schwarzen Anzug aus Seide, um seinen Hals einen roten Schal geschlungen, dessen lang herabhängendes Ende über das blütenweiße Hemd rutschte, als er einladend seinen Arm hob und damit seinen Umhang öffnete.
Raija war fasziniert und beängstigt zugleich. Eine unheimliche Macht ging von diesem allem Anschein nach hochkultivierten Mann aus. Trotzdem schlüpfte sie in den Hausflur hinein und war glücklich, als sich die Haustür hinter ihr schloss.
An der Wand hing ein geschmiedeter Kerzenhalter, in dem eine dicke Talgkerze kräftig vor sich hin mölmte. Der Ruß biss ihr in die Nase, doch ehe sie eine Anmerkung machen konnte, legte der Hausherr ihr seinen Umhang um, dessen Innenseite mit rotem Samt beschlagen war.
Im Nu fühlte die Durchgefrorene eine Wärme in ihre Glieder fahren. Das war physikalisch nicht möglich, analysierte Raija, wie sollte dieser Stoff ihre Kleider trocknen können?
Willenlos blieb sie im Flur stehen.
Zwei Hände legten sich von hinten auf ihre Schulter und schoben sie vorwärts: „Nur Mut, hier bist du in Sicherheit“, hörte sie hinter sich eine tiefe und beängstigende Stimme. Beängstigend erotisch und gleichsam gefährlich verführerisch. Raija spürte, diesem Mann durfte sie kein Vertrauen schenken, anderseits merkte sie, keine Kraft zu haben, sich gegen seinen Willen zu stellen. Vielleicht kann ich es morgen, wenn ich aufgewärmt und zu Kräften gekommen bin, brachte sie ihre Lage nüchtern auf den Punkt. Heute muss ich mir helfen lassen.
„Schön h-haben S-Sie es hier“, stotterte die verängstigte Frau, als sie vorm Kamin angekommen war und mit einem Anflug an Belustigung zusah, wie kleine Dampfwolken aus ihrem nassen Mantel aufstiegen, nachdem der Hausherr seinen schützenden Umhang wieder beiseite genommen hatte.
In diesem Moment betrat eine ältere Dame mit einer dampfenden Schale Hühnerbrühe und einem geschnitzten Holzlöffel den Saal. Sich nicht allein mit diesem Mann in einen Raum zu wissen, beruhigte Raija sehr. Dankend nahm sie die heiße Brühe in Empfang, setzte sich auf das angebotene Sofa, und schlürfte vorsichtig die heiße Speise.
Dass diese hübsche Lady gerade zwei Leichen in den Abort geschmissen hatte, konnte sie nicht im Traum erahnen.
Über den Rand ihrer Suppenschale musterte Raija die Dame des Hauses. Sie schätzte diese ebenso wie den Mann auf Mitte Fünfzig und war in Erstaunen versetzt, wie glatt trotz alledem die Haut der Hände und des Gesichtes waren. Die Frau trug ein bis auf den Boden reichendes rotes Abendkleid, hatte sich über die Schulter einen langen schwarzen Schal geworfen und wedelte sich mit einem roten, mit asiatischen Motiven bemalten Fächer warme Luft zu. Ihr pechschwarzes Haar floss bis auf ihren Schultergürtel. „Nenn mich Elizabetha“, sagte sie mit mütterlich warmer Stimme, indem sie dem abschätzenden Blick ihres Gastes standhielt.
„Raija“, sagte die Weihnachtsfrau mit einem kleinen Unmut in der Stimme, jetzt bei ihrem Suppelöffeln unterbrochen zu werden.
„Und das ist mein Mann Alois“, schloss die Dame die Vorstellung der Hausbewohner ab, wobei sie mit dem zusammengefalteten Fächer auf das Grauhaar zeigte und ihren Mund spitz zusammenkniff.
Die junge Frau, die so erfreut war, wieder das Leben in ihren Körper zurückkommen zu spüren, verstand diese Geste nicht, machte sich dieweil auch keine Gedanken darüber, da sie sich trotz der Geheimnisse dieses Paares in diesen Räumen sicher wähnte. Sicher vor dem Erfrieren.
Mit einem kleinen Nicken begrüßte sie Alois ein zweites Mal an diesem Abend und war etwas aus der Fassung, ihn dabei aus verdammt warmen Augen angesehen zu haben. Sie spürte, in ihrem Gemüt wallte mehr als Dankbarkeit. Schnell senkte sie den Blick in ihren Teller und tat, als müsste sie die Fleischstückchen zählen. Ihr Erröten konnte sie trotzdem nicht verhindern. War das wirklich Lust gewesen, fragte sich die junge Frau und strich sich das in ihre Stirn gefallene Haar zurück. Raijas blondes, dünnes Haar war rechtsgescheitelt und fiel ihr bis über die Schlüsselbeine. Ihre Augen waren strahlendgrau und beherbergten stets einen Hauch an Erwartung - auf was auch immer, sie wusste es selber nicht. Ihre Unterlippe war etwas breiter als die Oberlippe. Bei leicht geöffnetem Mund erzeugte sie damit eine große erotische Ausstrahlung. Selbst jetzt, wo die Regnitz ihr alle Schminke um die Augen und den Lippenstift weggeschwemmt hatte.
Ihr Körper war zierlich zu nennen, wenn sie auch nicht so schlank war, dass sich die Rippen durch ihre Haut drückten. Da Raija nur ein Meter achtundsechzig groß war, gab sie in dieser Art ein sehr harmonisches Bild ab.
Wie sie konzentriert ihre Suppe löffelte, fuhren die Gedanken und Emotionen in ihrem Körper Achterbahn. Der Mann sah wirklich verboten attraktiv aus. Unter ihren Wimpern lugte sie immer wieder hervor, ob dieser Hübsche sie ebenfalls fixierte. Er tat es. Raija schien, als würde ihre Haut in Flammen aufgehen. Es gefiel ihr, das Interesse des Mannes geweckt zu haben. Doch im nächsten Atemzug beängstigte es sie sehr - ein Resultat ihrer verinnerlichten Moralvorstellung, nichts mit Männern anzufangen, die ihr Vater sein könnten.
Wäre Alois ein Filmschauspieler, du würdest im Kino sitzen und davon träumen, er käme des Nachts an dein Bett, deine Hand zu halten, neckte ihr Bauch ihren Verstand.
„Und noch viel mehr“, seufzte Raija unbewusst laut auf.
Elizabetha und Alois kreuzten kurz ihre Blicke.
Die junge Frau wünschte sich, sie könnte jetzt durch das Fenster entweichen wie Luft aus einem am Mundstück auseinandergezogenen Luftballon.
Elizabetha erkannte die große Scham im Körper der jungen Frau, setzte sich neben sie auf das Sofa, legte ganz kurz ihre Hand auf Raijas Knie und begann, die Blonde nach ihrer Herkunft auszufragen.
Diese dankte den Engeln im Himmel, sie aus der inneren und äußeren Zwickmühle befreit zu haben. Die Äußere benannte sie Alois. Den ganzen Abend schon hatte sie sich eingeredet, er hätte die Macht, in ihren Willen einzudringen. Jetzt aber saß er weit ab in einem einsamen Sessel und nahm die Feuerzungen im Kamin in Augenschein.