Vormidorrh - Patricia Gasser - E-Book

Vormidorrh E-Book

Patricia Gasser

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Beschreibung

Einst entriss der Herr der Dunkelheit dem Volk des strahlenden Tales seine Magie, die es für schwere Zeiten in einen Wespenstachel eingeschlossen hatte. Die Vision des Elfenorakels lässt keine Zweifel offen, was geschehen muss, um das Volk des strahlenden Tales zu retten. Vier Elfenkinder gewinnen auf ihrer „Mission Wespenstachel“ neue fantastische Freunde, die ihnen beistehen, wenn ihnen das Böse in Form von „Vormidorrh“ entgegen tritt. Werden sie es schaffen, ihre Magie wieder zu finden?

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EPUB
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Seitenzahl: 299

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Aaron Reder & Patricia Gasser

Vormidorrh Die Suche nach der verlorenen Magie

Aaron Reder & Patricia Gasser

Vormidorrh

Die Suche nach der verlorenen Magie

© 2018 Aaron Reder & Patricia Gasser Umschlag, Illustration: Poul Art Lektorat, Korrektorat: S. Beckmann Weitere Mitwirkende: Layout Jonan Dohle, [email protected]

Verlag & Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

 

Paperback

978-3-7469-2406-9

Hardcover

978-3-7469-2407-6

e-Book

978-3-7469-2408-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für unsere Familie und Freunde

Ihr bereichert unser Leben!

Am Horizont der weiten Ebene legt sich Nebel auf die bunt gefärbten Wipfel der Laubbäume. Wer genau hinschaut, erkennt vielleicht die winzigen Siedlungen, die sich beidseitig an den Hängen eines einstmals zauberhaften Tales verteilen.

Wie alles begann

In diesem märchenhaften Tal lebte einst ein friedliches, kleines Volk. Feingliedrige flügellose Elfen, kaum größer als der Zapfen einer Edeltanne. In jenen Tagen lebten sie glücklich und zufrieden, sei es am Nord- oder Südhang. Im Frühling und Sommer, wenn es wärmer und wärmer wurde, wanderten die Elfen zum Nordhang, dem Montumbra. Im Herbst und Winter, wenn es kälter und kälter wurde, lebten sie am Montaurei, dem Südhang. In einer der niedlichen Siedlungen wohnte die Elfenfamilie Fari.

Jeden Morgen saßen sie gemeinsam an ihrem aus mehreren Rosskastanien geschnitzten Tisch und frühstückten. Sie tranken stärkenden Tee aus ihren Eichel-Schüsselchen und aßen Springkrautbrei. Die Fari-Familie besaß eine außergewöhnliche Gefährtin: die Zwergdrachendame Poesia, die der Familie treu ergeben war. Sie lebte schon seit Generationen in der Fari-Familie und wurde von ihnen geliebt und umsorgt.

Die drei Fari-Kinder waren feurige und willensstarke Elfensprösslinge mit sehr unterschiedlichen Talenten. In ihrer Heimat, die das Elfenvolk dort liebevoll das »strahlende Tal« nannte, gab es zu Serahs Leidwesen mehr Elfenjünglinge als Elfenmädchen. Serah war die einzige Tochter der Elfenfamilie Fari. Das lag an den Nussjahren, wurde ihr jedes Mal erklärt, wenn sie sich erneut darüber beschwerte. In den Jahren, in denen die Bäume vermehrt Nüsse trugen, gab es wohl vermehrt Jünglinge. Serah musste stark sein, um in dieser Zeit als Elfenmädchen zu bestehen. Ihre beiden Brüder lehrten sie dies jeden Tag. Oft genug musste sie ihre Stimme erheben, um überhaupt gehört zu werden. Dies kam öfters vor als erwünscht. Wenn sich ihre an und für sich angenehme Stimme in eine nervenzermürbenden Tonlage erhob, bekam sie zwar die Aufmerksamkeit, die sich Serah erwünschte, doch nicht mit dem erwarteten Effekt.

Die meisten kannten sie nur als mutige Waldamazone, doch wer genauer hinschaute, konnte auch die empfindsame Seite an ihr erkennen. Allerdings hatte sie diese gut hinter einer Fassade aus scheinbar unbegrenzter Energie versteckt.

Serahs jüngerer Bruder, ein charmanter, willensstarker Elfenjüngling mit einem Augenaufschlag, um den ihn viele Elfenmädchen beneideten, war äußerlich das Ebenbild Serahs. Er wickelte manche Elfe mit seinem verschmitzten Lächeln um den Finger. Quirion, blondgelockt wie seine ältere Schwester, konnte schon früh die Elfenhymne summen.

Aber der Sprache wurde er erst später Herr. Dafür kletterte er auf alles, was ihm in die Quere kam. Gerne auch mal auf Poesia. Mit ihr flog er wild durch die Lüfte und lernte sie schon früh zu lenken. Trotzdem kam er nie an die Gewandtheit seiner Schwester heran.

Seine größte Stärke war das Heilen. Es war, als hätte er magische Hände. Die Gabe schlummerte noch in ihm, doch sie wuchs mit jedem weiteren Elfenjahr, das er zählte.

Doch selbst glückliche Familien mussten zeitweise mit dem Schicksal hadern. Die Natur im strahlenden Tal spielte seit einiger Zeit verrückt. Die Sommer wurden zu heiß und die Winter zu kalt. Aber es kam auch vor, dass es wie aus heiterem Himmel im Sommer zu schneien anfing, oder im Winter die Temperaturen in kürzester Zeit so weit anstiegen, dass der frisch gefallene Schnee innerhalb eines Tages weggeschmolzen war. Der Ablauf der Jahreszeiten wurde unberechenbar und brachte die Elfen im strahlenden Tal zunehmend zur Verzweiflung. Die Elfenfamilien mussten stark ums Überleben kämpfen. Das Elfenvolk arbeitete hart und versuchte mit allen Kräften mit dem wenigen, das ihnen zur Verfügung stand, sein Leben zu bestreiten.

Ihre Heimat wurde karger und öder. Die Ernten reichten nicht mehr aus. Die Schönheit des Tales war kaum wiederzuerkennen.

Die Not wurde unerträglich, weshalb der Oberste des Elfenvolkes eines Tages die Elfen zu einer Versammlung ans Bergwerk berief. Es lag in der Tiefe des Tales, genau zwischen dem Montaurei und dem Montumbra. Einst verlief ein sprudelnder Bach in der Senke des Tales. Aber nun war nur noch ein dünnes Rinnsal auszumachen.

Die Elfen, welche schon zum Montauerei übergesiedelt waren, wanderten zielstrebig zu ihrem Sammelplatz vor dem Bergwerk. Sie erhofften sich viel von diesem Treffen. Auch die Elfen, die ihren Umzug zum Montumbra noch nicht vollzogen hatten, kamen der Aufforderung nach. Die verwirrenden Wetterlagen machten es ihnen nicht leicht, den richtigen Zeitpunkt für die Übersiedlung zu bestimmen. Nichts war mehr wie zuvor.

Als alle Elfen vollzählig waren, erhob der oberste Elf sein Wort. Es war der Fari-Vater Kusion. Eine graue Wuschelmähne krönte sein Haupt. Kleine Augen von der Farbe eines klaren Bergsees funkelten einst verschmitzt aus seinem Gesicht. Nun schauten sie besorgt in die Menge.

„Geehrtes Volk des strahlenden Tales. Gemeinsam versuchten wir es bisher über diese schwere Zeit zu schaffen. Die Natur spielt uns böse mit. Wir sind ihr ausgeliefert. Alle tun ihr Bestes, aber wir brauchen Hilfe. Besser gesagt, ein Wunder! “

Ein enttäuschtes Stöhnen entrang sich der hoffnungsvollen Menge. Diese Worte erwarteten sie nicht von ihrem Oberhaupt. Kusion sprach weiter. Er schluckte schwer.

„Wer hat eine Idee, wie wir diese harte und entbehrliche Zeit schnellstmöglich beenden können? Unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu. Aber ein kalter Winter steht uns bevor!“

Das Elfenvolk schwieg betroffen. Sie hofften alle, dass ihr oberster Elf eine patente Lösung parat hätte. Bisher konnte er mit Leichtigkeit über schwierige Zeiten hinweg mit einem Weg aus der Misere herausfinden. Nun war dem wohl nicht mehr so. Aber kein Elf kann sich gegen Dürre oder Eiseskälte wehren. Nur ein Wunder konnte helfen oder…

„Magie!“, kam plötzlich eine Stimme aus dem Elfenvolk. Die Stimme war erst etwas zaghaft, gewann aber an Stärke.

„Wir müssen unsere Magie wiederfinden!“ Es war nicht zu erkennen, woher die Stimme kam.

Die Elfen des strahlenden Tales besaßen einst Magie, waren ihrer jedoch beraubt worden. Das Elfenvolk, das stets an das Gute glaubte, hoffte, dass sie sie eines Tages zurückbekämen, aber bisher war kein Wunder geschehen. Die Stimme aus dem Verborgenen sprach weiter:

„Wir müssen den magischen Stachel der Wespen wiederfinden.“

„Das ist richtig, Elfenkind des strahlenden Tales!“, meinte Kusion, der mittlerweile erkennen konnte, dass keinem ausgewachsenen Elfen diese Stimme gehören konnte. „Aber wo sollten wir diesen suchen? Keiner weiß mit Gewissheit, wo er ist. Wir haben nur eine vage Vorstellung davon. Ich denke, es ist an der Zeit, das Elfen-Orakel zu befragen.“

Ein Raunen ging durch die Menge. Seit langer Zeit hatte das Elfen-Orakel nicht mehr befragt werden müssen.

„Wann soll dies geschehen, oberster Elf unseres strahlenden Tales?“, lautete es aus der Menge.

„Wie ihr alle wisst, können wir das Elfen-Orakel nur bei vollem Mond befragen. Das ist in vier Tagen. Der neunte volle Mond unseres Elfenjahres.“

„Wer wird das Elfenorakel befragen, Kusion?“, kam erneut eine Frage aus dem versammelten Elfenvolk.

„Ich würde vorschlagen, dass dies der- oder diejenige tun sollte, welcher die Idee hatte, uns auf die Suche nach dem magischen Stachel der Wespen zu begeben.“

Die Elfen des strahlenden Tales nickten begeistert ob dieser Entscheidung.

„Tritt vor, mutiger Elf des strahlenden Tales!“

Zögernd trat ein blondgelocktes Elfenmädchen aus den Reihen nach vorn. Es war Kusions eigene Tochter Serah, deren Stimme er im Eifer des Gefechts nicht erkannt hatte. Erstaunt über den Mut und den Einfallsreichtum seiner Tochter, aber auch erfreut, forderte er sie auf, in fünf Tagen für das Elfenvolk das Elfenorakel zu befragen. Jeder Elf wusste, wie dies geschah, aber es war eine Ehre, dieses für ihr Volk zu befragen.

„Ich werde zur Stelle sein, Vater“, meinte Serah errötend und verbeugte sich dankend vor dem Elfenvolk des strahlenden Tales. Dann huschte sie verstohlen davon.

Serah wurde geboren, als die Sonne am höchsten stand. Zwei Elfenjahre und drei volle Monde später als ihr Bruder Arion. Die filigrane blondlockige Waldamazone schlug mit ihrer eindringlichen Stimme jeden Feind in die Flucht. Eine starke Fari-Tochter halt. Genauso, wie sie meisterhaft Pfeil und Bogen handhabte, tanzte sie auch anmutig auf ihren selten gewordenen Festen und verzauberte dabei so manch einen Elfen. In dem Fari-Mädchen steckte vieles, was von ihr nicht erwartet wurde. Zudem war sie unbestritten eine der besten Drachenreiterinnen des strahlenden Tales.

Der oberste Elf verabschiedete sich mit ein paar abschließenden Worten: „Meine lieben Elfen des strahlenden Tales, gehet nun heim zu Hof und Herd.

Wir werden uns in vier Tagen bei Sonnenuntergang wieder hier einfinden.“

Stolz schritt Kusion gemeinsam mit seiner Tochter von dannen.

Das Elfenorakel

Die Tage bis zum Vollmond schienen nicht verstreichen zu wollen. Ungeduldig und ungewohnt rastlos wuselten die Elfen durch ihre Siedlungen und wussten scheinbar nichts mit sich anzufangen. Das Elfenorakel löste widersprüchliche Gefühle in ihnen aus. Ihre Empfindungen hielten die meisten davon ab, ihren notwendigen alltäglichen Beschäftigungen nachzukommen. Die Ungewissheit ließ viele verfrüht zum Bergwerk wandern, um möglichst einen guten Platz in den vorderen Reihen zu ergattern. Manch ein hungriges Knurren war zu hören, weil sie in den zurückliegenden Tagen teils sogar vergessen hatten, genug zu sich zu nehmen. Die Aufregung lähmte ihre Sinne. Am Tage des Vollmonds, bei Eintritt des Sonnenunterganges, war das Volk der Elfen vom strahlenden Tal vollzählig auf dem Platze des Bergwerkes versammelt. Nicht auch nur einer der flügellosen kleinen Wesen wollte sich dieses Spektakel entgehen lassen. Zu wichtig war es für ihre aller Zukunft.

Die Luft schwirrte vom erregten Gemurmel der Versammelten. Es trat jedoch augenblicklich Stille ein, als endlich Kusion vor die Elfen trat und das Wort ergriff. Er trug die Kleidung ihres Volkes, wie viele der Anwesenden auch. Nur dass ihn zusätzlich eine Krone aus geflochtenen Binsen zierte, die jeweils frisch von den Blumenbinderinnen seiner Siedlung angefertigt wurden. Er trug sie nur, weil er dazu verpflichtet war. Doch lag es nicht in seinem Sinne, sich von seinem Volk abzuheben. Neben dem diesem Anlass gemäß prächtig gewandeten Anführer des strahlenden Tales stand Serah. Auch sie trug die Tracht ihres Volkes. Die leuchtenden Farben des sorgfältig bestickten, wallenden Kleides standen in Kontrast zu den hellen Locken des Elfenmädchens. Sie hatte den Kopf geneigt und starrte ihre Füße an, die unter dem hübschen Gewand hervor lugten. Die Anspannung brachte sie schier um den Verstand. Sie wollte einfach keinen Fehler begehen.

Ohne große Umschweife begann das Oberhaupt, zu seinem Volk zu sprechen.

„Meine lieben Elfen des strahlenden Tales, nun ist es so weit. Wir werden heute das Elfenorakel befragen. Lasset uns beginnen. Serah, bist du bereit?“

Seine Tochter nickte. Die Aufregung hatte ihr die Sprache verschlagen. Der Schweiß lief ihr den Rücken hinunter, obwohl es schon ungewöhnlich frisch war für diese Jahreszeit.

Gemeinsam mit ihrem Vater betrat sie das Bergwerk, das die weiblichen Elfen ihres Volkes nur zu diesem besonderen Anlass betreten durften. Bisher hatte Serah noch keinen Fuß über die Schwelle des Bergwerkes gesetzt. Es gab einen besonderen Raum für den glasklaren Kristall des Elfenorakels. Sie wurde von ihrem Vater durch mehrere spärlich beleuchtete und enge Gänge geführt, bevor sie endlich den gesuchten Raum betraten. Der Kristall leuchtete hell in dem kleinen Raum. Serah ging entschlossenen Schrittes auf ihn zu und schloss die Augen. Behutsam legte sie beide Hände um den kristallenen Kegel. Es fühlte sich angenehm warm an. Plötzlich überkam sie eine tiefe innere Ruhe. Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Alle Aufregung war vergessen. Dann fing sie plötzlich an zu sprechen. Sie konnte ihre Worte nicht kontrollieren. Es war, als ob jemand anderes durch sie sprach. Und so war es auch. Die Lichtelfin Apollonia sprach durch sie das Elfenorakel.

„Es werden zwei Kinder des Elfenvolkes vom strahlenden Tal eine Reise auf der Suche nach der verlorenen Magie antreten. An ihrer Seite die treue Gefährtin der Familie. Die Drachendame Poesia wird die beiden begleiten und unterstützen. Jedes der Kinder darf sich einen Freund oder eine Freundin aussuchen, die mit ihnen reisen. Gemeinsam werden die fünf die Suche beim nächsten vollen Mond beginnen. Bis dahin müssen sie vorbereitet werden, um mit Mut, Klugheit und der vorbehaltlosen Liebe für ihr Volk den magischen Stachel der Wespen zu finden.“

Das Elfenorakel hielt kurz inne.

„Arion und Serah, ihr habt die Ehre, diese Aufgabe für euer Volk zu erfüllen. Poesia wird euch begleiten! Wählt eure Freunde weise und beginnt die Reise in Richtung der aufgehenden Sonne. Ernennt noch heute eure Weggefährten! Denkt daran, der Träger des Wespenstachels ist durch und durch böse! Durchdrungen von schwarzer Magie. Die Wespe werdet ihr daran erkennen, dass sie die Größe einer Kastanie hat. Der Stachel ist weiß, wie die Magie, die in ihm steckt. Ab Beginn eurer Reise habt ihr fünf volle Monde lang Zeit, um eure Aufgabe zu erfüllen. Beginn der Reise wird der zehnte volle Mond sein. Am dritten vollen Mond des neuen Elfenjahres werden wir uns wieder hier treffen. Bis dahin, geehrtes Elfenvolk und Eltern der Auserwählten, seid wachsam und haltet durch, um die Kinder in Ehre zu empfangen.“

Das Elfenorakel hatte so abrupt geendet, dass Serah noch etwas benommen blinzelte. Sie musste jetzt erst noch selbst in Kenntnis darüber gesetzt werden, was das Orakel durch sie gesprochen hatte. Sie war lediglich das Sprachrohr und hatte selbst nichts davon mitbekommen. Kusion erzählte ihr gleich, was das Orakel dem Volk mitgeteilt hatte. Serah riss erstaunt die Augen auf. Erst durfte sie das Orakel befragen, und nun war sie auch noch Teil der „Mission magischer Wespenstachel“, wie sie es gleich insgeheim selbst nannte. Sie verstand nicht, weshalb ihr so viel Ehre gebührte, wollte aber ihre Aufgabe bestens erfüllen. Immerhin hatte sie Arion an ihrer Seite. Ihren großen Bruder. Auch wenn sie oft stritten; wenn es darauf ankam, hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Doch nun musste sie noch einen persönlichen Weggefährten wählen.

Serah schritt zusammen mit ihrem Vater durch die von Fackeln beleuchteten Gänge hinaus auf den Platz vor dem Bergwerk. Sie wurden mit Applaus empfangen. Das Elfenvolk trampelte dabei mit seinen zarten Füßen auf dem Boden. Arion trat zu ihnen. Ihm war noch die Überraschung anzusehen. Er stand nicht gerne im Mittelpunkt, zumindest nicht, wenn er ihn nicht selbst wählen konnte. Arion, geboren, als die Blumen erwachten, war ein schlauer Elfenjunge, dem alles nie schnell genug ging. Alles wurde ohne Umschweife erledigt. Geduld war nicht seine größte Stärke. Aber er war immer mit ganzem Herzen bei der Sache. Und es gab nichts Schlimmeres als Ungerechtigkeiten für ihn. Für das Recht setzte er sich gerne mit dem Wort, und wenn anders nicht möglich, auch mithilfe seines Körpers ein.

Kusion trat erneut vor das Elfenvolk. Eine tiefe Sorgenfalte hatte sich auf seinem Gesicht gebildet. Er seufzte tief, nahm die Hände seiner zwei großen Kinder in seine und sprach mit etwas brüchiger Stimme. Immerhin musste er gleich zwei seiner Kinder für diese Aufgabe ziehen lassen. Das fiel ihm trotz der Ehre nicht besonders leicht. Warum bloß hatte die Lichtelfin Apollonia gleich zwei seiner Kinder gewählt? Nun, er hatte eine Ansprache zu halten; persönliche Gefühle waren nun nicht angebracht. Triziah, seine Frau, legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.

„Wir schaffen das schon, mein liebster Kusion. Wir haben immer noch Quirion, der uns in den folgenden Monden Gesellschaft leistet. Es wird jedenfalls um einiges ruhiger bei uns zu Hause!“

„Immer nüchtern und praktisch, meine Liebste.“ Kusion holte tief Atem, räusperte sich und begann: „Meine lieben Elfen des strahlenden Tales, das Orakel hat gesprochen. Unsere Kinder, Arion und Serah, werden zusammen mit unserer treuen Gefährtin, der Zwergdrachendame Poesia, die ehrenvolle Suche nach dem magischen Stachel der Wespen beim nächsten vollen Mond beginnen. Dem zehnten Mond dieses Elfenjahres. Nun sollen die beiden ihre Gefährten bestimmen.“

Arion und Serah traten gemeinsam, Hand in Hand, vor das Volk. Dies war schon ein denkwürdiger Moment, denn gewöhnlich sah man die beiden eher in lautem Wortgefecht. Serah sprach zum Erstaunen aller als Erste. Das Vertrauen der Lichtelfin in ihr Können gab ihr Mut und Zuversicht. Ihre kräftige Stimme hallte über den Platz vor dem Bergwerk.

„Ich fühle mich geehrt, diese Aufgabe, zusammen mit meinem Bruder und zwei Elfenfreunden des strahlenden Tales anzutreten. Dass auch Poesia uns begleiten darf, freut mich besonders. Nun werde ich bekannt geben, wen ich wähle. Ich möchte Arturion an meiner Seite wissen.“

Arturion war ein ruhiger und belesener Freund, der ihnen sicher mit seiner vermittelnden Art die notwendige innere Ruhe schenkte. Vor allem, wenn das Geschwisterpaar mal wieder in einen ihrer Streitereien verfiel. Er wurde der beiden Temperamentsbolzen stets auf seine spezielle Art Herr. Unter anderem durch das Packen an den empfindlichen Spitzen der Elfenohren. Eine weitere Gabe Arturions war, dass sich in seiner Gegenwart keiner überflüssig vorkam. Er gab jedem das Gefühl, der wichtigste Elf des strahlenden Tales zu sein. Allerdings stellte er sehr hohe Ansprüche an sich selbst und stand sich damit oft selbst im Weg. Er gab schnell auf, wenn etwas nicht gleich klappte. Arion könnte etwas von Arturions Geduld gebrauchen, und Arturion von Arions Ehrgeiz. Kurz und gut, sie ergänzten sich hervorragend.

Erfreut ergriff nun Arion das Wort. Seine Schwester hatte bereits einen seiner zwei besten Freunde gewählt.

„Ich werde Juwen wählen. Er war mir stets ein treuer Freund.“

Juwen war der zweite beste Freund. Er interessierte sich für die landschaftlichen Begebenheiten ihrer Heimat und deren einzigartige Bewohner.

Die beiden Neuerwählten traten überrascht zu dem Geschwisterpaar. Das Elfenvolk applaudierte erneut. Der Boden vibrierte leicht von dem Trommelwirbel der kleinen Elfenfüße. Die fünf Hoffnungsträger waren weise gewählt. Ihnen wurde von allen Seiten gratuliert. Man konnte weder Missgunst noch Eifersucht spüren. Eher war jeder froh, diese abenteuerliche Suche nicht selbst angehen zu müssen. Nun hieß es, die Reise gut vorzubereiten.

Die Elfen machten sich allesamt wieder auf den Heimweg in ihre Siedlungen. Sie entzündeten an einem Feuer auf dem Platz vor dem Bergwerk ihre mitgebrachten Fackeln, denn die Dämmerung war schon seit längerer Zeit eingebrochen. Der Schein des neunten vollen Mondes erhellte zusätzlich ein wenig ihren Weg. Man konnte noch lange das Gemurmel und Getuschel im Wald des strahlenden Tales hören. Es gab viel zu besprechen.

Die Vorbereitungen laufen

Die nächsten Tage verliefen im Eiltempo. Es war viel zu bedenken und zu erledigen. Die Elfen des strahlenden Volkes wollten die Erwählten bestens gerüstet auf die Reise schicken.

Serah trainierte mit Poesia die Kunst des Fliegens und die Ausdauer der Zwergdrachendame. Es lag ein langer Weg vor ihnen. In wilden Flugmanövern jagte sie durch die Luft und vollführte dabei gefährliche und trickreiche Manöver. Manches Mal erschreckte sie die emsigen Elfen ihres Volkes, wenn sie im Sturzflug auf sie hinsauste und nur knapp über dem Boden wieder an Höhe gewann. Wie durch ein Wunder verletzte sie sich dabei kein einziges Mal.

Die Elfenjünglinge Arion, Arturion und Juwen übten sich im Kampf. Einer der Schützen ihres Volkes unterstützte sie dabei. Sie übten sich im Fechten und im Bogenschießen. Leider stellte sich nur einer der drei als talentiert heraus. Und das hatte er seinem Vater zu verdanken, der in seiner Freizeit gerne mit seinen zwei Kindern zum Spaß kämpfte. Juwen war mit Eifer dabei und schwang sein Schwert gekonnt durch die Luft. Die beiden andern stellten sich etwas ungeschickt an. Da sie nur mit geschnitzten Übungsschwertern kämpften, hielten sich die Verletzungen jedoch in Grenzen. Der Schütze, der die drei Elfenjünglinge trainierte, sorgte sich allerdings um die Sicherheit während deren Reise. Er hoffte, dass sie keinen Gebrauch von dem Erlernten machen mussten, was allerdings eher unwahrscheinlich war. Er versuchte ihnen in der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, die bestmögliche Ausbildung angedeihen zu lassen. Und es gab doch noch einen Lichtblick. Das Elfenmädchen entpuppte sich als talentiert im Bogenschießen. Sie kam eines Tages einfach dazu, als die Jünglinge sich mit Pfeil und Bogen auseinandersetzten. Dies beruhigte den Schützen ein wenig. So waren zumindest zwei der Auserwählten in der Lage, mit der einen oder anderen Waffe ihr Leben zu verteidigen.

Die Eltern der Auserwählten packten währenddessen Vorräte ein, und die Heilerin braute Medizin für jede erdenkliche Verletzung und mögliche Notlage.

Die kleinen Brüder der Auserwählten beobachteten die ganzen Vorbereitungen. Keiner hatte Augen für sie. Das hatte auch sein Gutes. Jetzt konnten sie endlich ihrer Lieblingsbeschäftigung des Herbstes nachgehen. Blattsurfen war bisher nur ihren großen Geschwistern erlaubt. Aber durch die Betriebsamkeit ihrer Eltern achtete keiner auf ihre Tätigkeiten. Doch das stimmte nicht ganz. Serah konnte das wilde Treiben der drei von Poesias Rücken aus bestens beobachten. Aber sie petzte nicht. Sie gönnte es den dreien. Quirion, Teauh und der kleine Bruder Juwens sprangen dabei auf ein Blatt, welches von einem Baum fiel, und versuchten längstmöglich damit zu Boden zu surfen. Allerdings mussten sie erst eine gewisse Höhe erreichen. Dazu kletterten sie auf große Steine oder Büsche und sprangen von dort auf eins der segelnden Blätter. Es gab dabei natürlich immer einige Blessuren. Aber Quirion war bei ihnen. Seine Gabe befähigte ihn dazu, leichte Verletzungen zu heilen.

Während die Vorbereitungen liefen, braute sich am Ende des strahlenden Tales ein mächtiges Gewitter zusammen. In einem düsteren Winkel erfragte der Herr der Dunkelheit sein eigenes dunkles Orakel. Misterion, wie er hieß, wollte seinen Augen nicht trauen. Das friedvolle, vor langer Zeit der Magie beraubte Volk des strahlenden Tales war sehr betriebsam und unruhig. Das konnte nichts Gutes bedeuten, denn für gewöhnlich war dieses Elfenvolk sehr entspannt und ging ruhig seinen alltäglichen Verpflichtungen nach. Leider konnte er alles nur verschwommen erblicken. Die dunkle Magie forderte jedem Herren der Dunkelheit das Augenlicht ab. Aber er hatte es satt, alles stets undeutlich wahrnehmen zu können. Es musste etwas geschehen. Was nützte ihm die dunkle Macht, wenn er sie eines Tages nicht mehr mit seinen eigenen Augen sehen konnte! Er musste herausfinden, was im strahlenden Tal vor sich ging. Wütend über seine schwindende Sehkraft, die er trotz oder gerade wegen der dunklen Magie verlor, sann er über eine Lösung nach. Sein Frust und die Wut lösten das mächtige Gewitter über dem strahlenden Tal aus. Ein Gewitter ohne den ersehnten Regen.

Trotz des Gewitters kamen die Elfen des strahlenden Tales langsam zum Ende ihrer Vorbereitungen. Ein jeder Elf half mit, um die Mission erfolgreich werden zu lassen. Eines Tages war es so weit; die Vorbereitungen waren abgeschlossen. Alle Vorräte für die fünf Gefährten waren liebevoll in Blätter eingerollt, die die Feuchtigkeit hervorragend abperlen ließen. Jeder der fünf trug seinen Proviant und sein Reisegepäck selbst. Selbst Poesia hatte ihr eigenes Bündel zu tragen. Sie musste trotz ihrer Flugfähigkeit die Reise zu Fuß antreten. Fliegen bot natürlich seine Vorteile, doch alle Elfenkinder mit Gepäck zu tragen, wäre für die Zwergdrachendame zu beschwerlich gewesen.

Arion wünschte sich schon lange einen eigenen Drachen, aber die gab es in der Regel nicht auf dem Markt zu kaufen, man musste ihn sich erst einmal verdienen.

Die Reise beginnt

Das Laub wehte wild durch die Lüfte, als die fünf Gefährten sich am Tage des zehnten vollen Mondes auf ihre abenteuerliche Suche nach dem magischen Wespenstachel begaben. Sie wurden von allen liebevoll verabschiedet. Viele ihres Volkes versammelten sich, um ihnen eine gute Reise zu wünschen. Schweren Herzens trennten sich die Auserwählten von ihren Familien und Freunden. Sie wurden gedrückt und geherzt, aber auch freundschaftlich geknufft. Die Väter legten ihren Söhnen noch ein letztes Mal aufmunternd die Hand auf die Schulter, während ihnen die Mütter zu ihrem Leidwesen vor allen Augen einen kräftigen Kuss verpassten. Serah grinste breit, als sie die Gesichter der Elfenjünglinge sah. Es war doch besser, ein Elfenmädchen zu sein!

Nachdem sich alle verabschiedet hatten, schulterten die vier Gefährten ihr Gepäck und machten sich auf, in Richtung der aufgehenden Sonne. Sie wanderten den Montaurei entlang, wo zurzeit ihr Volk lebte. Im Herbst und Winter lebten sie am Südhang des strahlenden Tales. Es lag noch ein weiter Weg vor ihnen, und sie hatten bloß fünf volle Monde lang Zeit dazu, ihre Aufgabe zu erfüllen. Ansonsten wäre ihre einzige Chance, die weiße Magie für ihr Elfenvolk des strahlenden Tales zurückzugewinnen, verwirkt. Dies hatte Apollonia allerdings während des Elfenorakels nicht erwähnt. Doch ein jeder wusste es. Wurde einmal ein Orakel der Elfen ausgesprochen, gab es nur die einmalige Möglichkeit, dies zu erfüllen. Vieles unterlag ihrer heiligen Zahl fünf. Dies war eine sehr wichtige Ziffer, eine heilige Zahl für dieses Elfenvolk.

Ihre Siedlung lag weit am Hang, der der untergehenden Sonne zu gewandten Seite des Montaureis. Daher durchliefen sie erst einmal tagelang viele Siedlungen ihres eigenen Volkes. Überall kamen sie an gemütlichen, aus Kieselstein gemauerten Häuschen vorbei. Die Dächer waren mit in sich verwobenen Binsen gedeckt. Kleine, liebevoll aufgebaute Zäune aus dünnen Holzspänen umrahmten die Gärten. Darin wuchsen jedoch nur noch kümmerliche Pflanzen. Manche hatten einen zusätzlichen Garten für ihre Familien-Drachen. Dies kam allerdings selten vor. Die Fenster der Kieselhäuschen konnten durch Läden verschlossen werden, und die Türen waren ausnahmslos in kräftigen Farben bemalt. Den Familiennamen konnte man auf einem Schild am Gartentörchen erkennen. Über die Gartenzäune wurden ihnen freundliche Grußworte zugerufen oder ein Nachtlager mit Verpflegung angeboten. Dies war der angenehme Teil ihrer Reise. Sie wurden abends überall liebevoll aufgenommen und verköstigt, selbst wenn kaum genug da war, und jede dieser Nächte durften sie auf weichen Moosbetten schlafen. So konnten sie für den Rest der Reise noch etwas Energie sammeln.

Nach fünf Tagesreisen durch unzählige Siedlungen begann der beschwerliche Teil: quer durch den Trollwald, über unwegsames Gelände, gespickt von Trollsiedlungen mit ihren unberechenbaren Bewohnern. Selbst kleine tierische Waldbewohner konnten für die zierlichen flügellosen Elfen zur Gefahr werden.

Sie gaben es ungern zu, aber den Gefährten war es angst und bange vor diesem Teil der Reise. Das Ziel dieser Mission schien Lichtjahre weit entfernt. Erst mussten sie den Ort des Grauens erreichen, um an den magischen Stachel der Wespe zu kommen.

Man munkelte, diese Wespe hätte sich einen Unterschlupf auf einer Lichtung nahe der Schlucht der Dunkelheit gesucht. So nah wollten sie dem Herrn der Dunkelheit zeit ihres Lebens nie kommen.

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, sie mussten es wagen. Trotz gespenstischer Nebelschwaden, die sich um die vielen Bäume vor ihnen wickelten, lief Poesia mutig hocherhobenen Hauptes in den Wald am Montaurei ein. Er mochte wohl etwas lichter als der am Montumbra sein, aber er war allemal furchterregend. Hohe Laubbäume, viele davon Eichen und Kastanien, säumten ihren Weg. Sie türmten sich über ihnen auf und warfen, der Jahreszeit entsprechend, ihr Laub ab. Die Früchte dieser Bäume konnten für die vier Gefährten zur Gefahr werden. Es wäre ein Leichtes, davon getroffen zu werden. Sie spitzten ihre Ohren, um jedes verdächtige Geräusch wahrzunehmen. Ihre Sinne waren geschärft. Jedes kleinste Rascheln und Knacken ließ sie zusammenzucken. Sie fühlten sich nicht besonders mutig. Arion übernahm nach Poesia die Führung. Schnellen Schrittes ging er voran. Seine Schwester und die Freunde folgten verhalten. »Kommt, seid nicht so lahm. Je zügiger wir gehen, desto schneller sind wir an unserem Ziel!“ Juwen sprang in ständiger Abwehrposition, als wollte er gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen, hinter ihm her. Er wollte vorbereitet sein, falls sie irgendetwas oder jemand plötzlich aus dem Nichts anfallen würde. Selbst die kleinsten Waldlebewesen konnten den zarten Elfengeschöpfen zum Verhängnis werden. Arturion und Serah folgten schweigend. Beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Ihr Weg führte sie vorbei an moosigen Hügeln, über moorigen Untergrund und entlang plätschernder Bäche, wo sie ihren Durst löschen und die Wasservorräte auffüllen konnten.

Selbst kleine Zweige, herabgefallene Äste, Kieselsteine und Früchte des Herbstes wurden für die Elfen zum Hindernis, da sie selbst nur die Größe von Zapfen der Edeltanne hatten. Es war eine anstrengende und kraftraubende Reise. Dichtes Blätterwerk lag schon auf der Erde. Das weiche Laub roch zwar herrlich, aber erschwerte zusätzlich den Gang durch den Wald. Herbstlicher Nebel schlich sich durch den Wald, und die kühle feuchte Luft ließ sie frösteln.

Plötzlich erschauerten die Reisegefährten. Ein unheilvolles Heulen war wie aus dem Nichts zu hören. Man konnte Angst und Panik aus den Lauten erkennen. Es klang einzigartig. Das furchterregende Geheul wurde untermalt von laut knackenden Ästen. Das Geräusch kam immer näher, bis es zum Greifen nahe war. Dann konnten sie sehen, was es war. Es war ein Drache. Und er kam nicht von oben, aus den Bäumen, wie sie dachten, sondern von vorne auf sie zu! Er hatte die Drachennüstern weit aufgerissen und einen panischen Blick. Auch wenn er sich auf seinen stämmigen Hinterbeinen geschickt fortbewegte, so konnte man seine Erschöpfung förmlich spüren. Arion musste nicht lange überlegen. Dieser Drache brauchte dringend seine Hilfe. Aber bisher konnte man nicht erkennen, was den Drachen überhaupt so in Angst und Schrecken versetzte. Er war zwar rasend schnell, aber warum flog er seinem Widersacher nicht davon? Durch sein Tempo hatte der Drache einen guten Vorsprung. Arion sah sich um. Wie konnten er und seine Gefährten dem Drachen helfen? Da das Jahr im zehnten Mond stand, lagen überall Früchte des Herbstes herum; Eicheln und Rosskastanien und einiges mehr. Juwen erkannte an Arions Gesicht, dass seine Hilfe gebraucht wurde, und sprang in seine Kampfposition. Nicht, dass er damit tatsächlich einen Gegner abwehren könnte, aber es gab ihm Kraft und das nötige Selbstvertrauen. Er verharrte in seiner eigens von ihm entwickelten Schutzhaltung gegen vermeintliche gefährliche Verfolger. Bisher hatte er sie in seinem jungen Elfenleben allerdings noch nicht anwenden können.

Serah schnappte sich Pfeil und Bogen, und Arturion kümmerte sich um das Gepäck der Gefährten. Poesia hielt sich instinktiv in der Nähe von Serah auf, falls diese einen Ritt auf ihr brauchte. Angespannt warteten sie alle auf den Angreifer des flüchtenden Drachen. Arions Geduld wurde stark auf die Probe gestellt. Unruhig trippelte er hin und her, bis ihm Arturion einen kurzen Knuff in den Oberarm verpasste. Der Elfenjüngling hielt tatsächlich in seiner Bewegung inne. Immerhin für ein paar Sekunden.

Ein erstaunlicher Drache

Zur Tarnung hatten sich die Elfenkinder etwas Laub zusammengesammelt und über sich drapiert. Sie waren kaum zu sehen. Der Nebel legte sich mittlerweile wie ein weicher, weißer Schleier am Boden nieder und umhüllte die gespannt wartenden Elfen zusätzlich. Es dauerte tatsächlich noch eine Weile, bis sie endlich erkennen konnten, was oder wer den Drachen verfolgte. Jeder der Gefährten wunderte sich, warum der Drache nicht fliegend floh. Aber er war so schnell, dass sie nicht erkennen konnten, ob er vielleicht verletzt war. Jedenfalls hatte er schon mal einen beachtlichen Vorsprung. Plötzlich vibrierte die Erde, dann wackelte sie und bebte. Durch die weiße Wand aus Dunst schritt mit polterndem Gang, ein riesiger, vollbärtiger rothaariger Troll. Er trampelte schwerfällig, aber zügig durch den Wald und hinterließ eine Schneise der Verwüstung. Zielstrebig behielt er die Richtung bei, in der der Drachen vor einiger Zeit rasend schnell verschwunden war. Trolle wirkten zwar plump und träge, doch durch ihre Größe kamen sie schnell voran. Die Gefährten mussten also schnell handeln, um den Troll von seiner Tat abzuhalten. Serah handelte als Erste. Sie schoss einen Pfeil geradewegs auf das dritte Auge des Trolles - das ist die empfindlichste Stelle der Riesen des Waldes. Doch die winzigen Pfeile der Elfen konnten ihm nichts anhaben. Aber er war irritiert. Erstaunt schaute der Troll sich um, konnte aber niemanden entdecken. Serah flog auf Poesia, und die restlichen Gefährten hielten sich gut versteckt. Arturion hatte während der Wartezeit so leise wie möglich eine Schleuder aus einem Y-Stock und Binsen gebaut. Er sammelte mit Juwen Eicheln und Kastanien, als sie merkten, dass der Troll sie durch ihre bescheidene Größe kaum sah. Er schien nicht besonders gut zu sehen.

Arion spannte die Wurfgeschosse in die Schleuder und schoss, und Juwen kümmerte sich um Nachschub. Sie waren schnell. Ständig und ohne Unterbrechung wurde der Troll mit Kastanien und Eicheln bombardiert. Das brachte ihn zwar nicht um, hielt ihn aber von seinem ursprünglichen Ziel ab. Der Drache musste mittlerweile entkommen sein. Die Elfenjünglinge schossen ohne Unterlass. Es gab genug Munition, und langsam schien es den dreien sogar Spaß zu machen. Der Troll fuchtelte wild mit den Armen um sich, um die lästigen Geschosse abzuwehren. Jetzt schafften es Juwen und Arturion doch noch, einen Stein als Geschoss einzusetzen. Gemeinsam spannten sie die Schleuder und landeten einen Volltreffer mitten auf das dritte Auge. Der Troll heulte laut auf. Die Gefährten mussten sich die Ohren zuhalten. Was dem Troll die Möglichkeit gab, das Weite zu suchen; ihm wurde es zu bunt. Die spaßige Verfolgung des Drachen nahm für ihn eine überraschende Wendung. Als der Troll sich abwandte, jubelten die Auserwählten. Der Riese des Waldes konnte dies dank seiner Größe und der Entfernung nicht hören. Ihm war die Lust an der Jagd nach dem Drachen vergangen. Er trollte sich heimwärts.

Serah war mittlerweile wieder mit Poesia bei den Elfenjünglingen gelandet. Und zum Erstaunen aller stand plötzlich der Drache vor ihnen. Vertrauensvoll legte er sich hin und atmete noch etwas schwer von seiner Verfolgung. Er hatte die Farbe von grünem Laub und nur eine einzige rote Zacke auf seinem Rücken. Sein langer Drachenschwanz hatte ein gespaltenes Ende, das rot leuchtete. Seine Flügel waren winzig, im Gegensatz zu seinem massigen Körper und einem langen edlen Hals. Den Elfenkindern fielen die kräftigen Hinterläufe auf. Der Drache bewegte sich bei seinem schnellen Lauf nur auf zwei Beinen vorwärts. Golden schimmernde Augen schauten den vier Elfenkindern und Poesia interessiert entgegen.

Als er merkte, dass sein Verfolger von ihm abgelassen hatte, kehrte der rasend schnelle Drache um. Er hatte seine Verteidigung mit eigenen Augen beobachtet. Gemütlich lag der Drache auf dem Boden und schaute die vier Elfen und den Zwergdrachen erwartungsvoll aus klugen Augen an. Vor allem Arion. Er spürte, dass dieser Elfenjüngling etwas Besonderes war. Die Blicke verfingen sich ineinander. Unbewusst schritt Arion auf den Drachen zu und legte ihm beide Hände liebevoll auf die Stirn. Das war nur möglich, da der Drache sich niedergelegt hatte. Arion verspürte überhaupt keine Angst. Nur eine magische Anziehungskraft, gegen die er nicht ankam. Erstaunt riss er plötzlich die Augen weit auf. Der Drache sprach mit ihm. Ohne es zu wissen, hatte Arion die einzig mögliche Art gewählt, mit dieser Drachenrasse zu kommunizieren. Die anderen konnten nicht hören, was der Drachen sprach.

„Sei gegrüßt, junger Elf. Ich danke dir und deinen Gefährten für meine Verteidigung. Dein selbstloses Verhalten lässt mich zu einem treuen Freund deinerseits werden. Ich werde dir und deiner Familie in Zukunft dienen! Wie ist dein Name, mein Freund und Meister?“

„Ich bin Arion aus der Elfenfamilie der Fari. Wir leben im strahlenden Tal. Sei herzlichst willkommen in meiner Familie. Wir werden dich stets mit Respekt und Liebe behandeln. In meiner Begleitung ist ein weiteres Mitglied der Fari-Familie, meine jüngere Schwester Serah. Und unsere treue Gefährtin seit Generationen, die Zwergdrachendame Poesia.“

„Und wer sind die anderen Jünglinge an deiner Seite?“

„Das sind unsere Freunde: Arturion und Juwen.“

„Was tut ihr hier im Trollwald?“

„Wir haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Die Lichtelfin Apollonia, die durch das Elfenorakel zu uns sprach, schickte uns fünf auf die Reise gen Osten. Unsere Mission lautet: den magischen Stachel der Wespen zu finden. Und wie es scheint, bist du nun auch ein Teil dieser Mission.“

„Bitte deine Gefährten zu mir, mein Freund und Meister. Ich möchte mich auch ihnen vorstellen.“

Ohne zu zögern, kam Arion dem Wunsch des Drachen nach.

„Juwen, Arturion, Poesia und Serah, bitte tretet zu mir. Der Drache möchte mit euch sprechen!“

Die vier hatten bisher das seltsame Schauspiel von Weitem beobachtet. Es sah aus, als ob Arion auf den Drachen einredete. Aber sie konnten keine Worte aus des Drachen Maul hören. Zögernd also traten sie zu Arion und dem Drachen.

„Legt eure beiden Hände auf die Stirn des Drachen.“ Die drei Elfen taten, wie ihnen geheißen. Ehrfürchtig lauschten sie den Worten des Drachen.

„Meine lieben Elfenkinder, ich bin nun ein Freund Arions und werde in Zukunft seiner Familie dienen. Daher werde ich euch auf eurer Mission von nun an begleiten.“ Juwen richtete nun fragend das Wort an den Drachen.

„Warum bist du nicht fliegend vor dem Troll geflohen?“

„Nun, meine Drachenrasse hat leider nur verkümmerte Flügel. Wir sind nicht in der Lage zu fliegen. Aber wir sind umso schneller zu Fuß. Deshalb wird unsere Rasse die Schnell-Läufer-Drachen genannt.“