Vorträge der Detlefsen-Gesellschaft 19 -  - E-Book

Vorträge der Detlefsen-Gesellschaft 19 E-Book

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Beschreibung

Die Detlefsen-Gesellschaft legt nun zum 19. Mal ihre Vorträge dem geneigten Leser vor. Inhalt: Ulrich Euent: Die Glückstädter Werkstatt des Orgelbauers Johann Matthias Schreiber (1716-1771). Jan Ocker: Das Herzogtum Holstein in den Jahren 1848-1851. Eine Spurensuche zum Verhältnis von dänischer zu schleswig-holsteinischer Gesinnung im heutigen Kreis Steinburg. Harald Goldbeck-Löwe: Helene Gries-Danican - Eine Itzehoer Malerin auf dem Weg in die Moderne. Hans-Peter Widderich: Carl Blohm (1886 - 1946) Ein Malerleben zwischen Bielenberg, Dägeling und anderswo. Andreas Wicha: Geschichte der Freimaurerei in Schleswig-Holstein und die Glückstädter Loge Wilhelm zum gekrönten Anker. Elke Witt: Schulchroniken als Spiegel der Zeitgeschichte - Die Nachkriegszeit 1945 - 46.

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Inhalt

Vorwort

Ulrich Euent

Die Glückstädter Werkstatt des Orgelbauers

Johann Matthias Schreiber (1716–1771)

Jan Ocker

Das Herzogtum Holstein in den Jahren 1848–1851.Eine Spurensuche zum Verhältnis von dänischer zuschleswig-holsteinischer Gesinnung im heutigen Kreis Steinburg

Harald Goldbeck-Löwe

Helene Gries-Danican – Eine Itzehoer Malerinauf dem Weg in die Moderne

Hans-Peter Widderich

Carl Blohm (1886 – 1946) Ein Malerleben zwischen Bielenberg, Dägeling und anderswo

Andreas Wicha

Geschichte der Freimaurerei in Schleswig-Holsteinund die Glückstädter Loge „Wilhelm zum gekrönten Anker“

Elke Witt

Schulchroniken als Spiegel der Zeitgeschichte – Die Nachkriegszeit 1945 – 46

Vorwort

Liebe Heimatfreunde,

die Detlefsen-Gesellschaft legt nun zum 19. Mal ihre „Vorträge“ dem geneigten Leser vor. Im Glückstädter Jubiläumsjahr 2017 haben wir dem geschichtsinteressierten Publikum drei Sonderpublikationen vorgelegt. Dieses Jahr wollen wir es etwas ruhiger angehen lassen. Dennoch sind zwei neue Publikationsreihen in Arbeit: „Quellen zur Geschichte der holsteinischen Elbmarschen“ und „Bauhistorische Forschungen“. Mehr dazu in Kürze auf unserer Homepage www.detlefsen-gesellschaft.de.

Die Vorträge in diesem Band von Jan Ocker und Dr. Ulrich Euent sind bereits in der Festschrift der Detlefsen-Gesellschaft zum Stadtjubiläum erschienen, sollen an dieser Stelle aber allen Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden.

Danken möchten wir Claudia Boldt für die gelungene Gestaltung (Grafik und Layout) der Vortragsbände, Michael Sobetzko für die Pflege der Internetseite und Walter Worm für die gelungene Gestaltung des Flyers und Informationsblattes der Detlefsen-Gesellschaft. Ferner gilt unser Dank den Referenten und Autoren.

Ohne das umfangreiche ehrenamtliche Engagement wäre all dies nicht möglich.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre.

Borsfleth im September 2018 Christian Boldt M.A.

Die Glückstädter Werkstatt des Orgelbauers Johann Matthias Schreiber (1716–1771)

Ulrich Euent

Vierhundert Jahre Glückstadt bedeuten auch gut 100 Jahre Orgelbau in dieser Stadt, der 1661 mit Berendt Huß1 begonnen hatte und mit dem Tode Johann Matthias Schreibers 1771 endet. Mit den Orgeln verbreitete sich der Ruf dieser jungen Stadt in die Lande. Lange Zeit gab es wenig Literatur über Schreiber, und das Wenige, das bekannt war, war nicht immer richtig wiedergegeben. Da er hauptsächlich in dem Standardwerk von Gustav Fock2 Arp Schnitger und seine Schule zitiert wurde, hielt sich hartnäckig die Aussage, er sei ein Schüler Schnitgers. Arp Schnitger starb aber bereits 1719. Da war Schreiber 10, bzw. 3 Jahre alt. Über sein Geburtsjahr gab es nämlich auch falsche Angaben. Da Schreiber in Norddeutschland arbeitete und auch hier starb, lag es nahe, den Sterbeeintrag aus dem Kirchenbuch in Loxstedt (Kreis Cuxhaven) heranzuziehen. Dort wurde 1771 sein Sterbealter mit 62 Jahren angegeben. So hielt sich lange Zeit die Aussage, er sei 1709 geboren. Seine Gesellen oder Gehilfen werden nicht gewusst haben, wie alt er tatsächlich war. Für den Loxstedter Kirchenbuchführer war er ein Fremder und er musste den Angaben glauben. Tatsächlich war Schreiber aber erst 55 Jahre alt. Das ist nur durch seinen Taufeitrag zu erfahren.

Taufregister Mülheim, 1716: Nr. 11 Eodem et simul3 (17. Mai) Georg Schreiber von Dusemond und seine Haußfrau einen Sohn getaufft, Johann Matthias

Doch da ergibt sich die nächste Schwierigkeit, tut sich das Geheimnis um seinen Geburtsort auf. Dusemond an der Mosel wird auch bei Fock genannt. Doch sucht man diesen Ort auf der Landkarte heute vergebens. 1938 wurde er in Brauneberg umbenannt. Heute ist Brauneberg in die Stadt Bernksastel-Kues eingemeindet. Die Kirche in Dusemond war eine sogenannte Simultankirche für Katholiken und Protestanten. Da es häufig Streit um die Nutzung gab, wurde die Kirche im Nachbarort Mülheim zur evangelischen Pfarrkirche und Dusemond Filial. So wurden denn auch die evangelischen Kinder aus Dusemond ins Mülheimer Taufregister eingetragen.

Nachdem Tauftag und Geburtsort geklärt sind, bleibt die Kindheit und Jugend von Schreiber im Dunkeln. Er stammte aus einer alteingesessenen Schreinerfamilie, was für seinen späteren Beruf von Vorteil war; so war es auch bei Arp Schnitger4. Er war das neunte von 10 Kindern. Die Familie ist seit 1608 in Dusemond nachweisbar. Noch heute sind einige barocke Haustüren aus der Schreiberschen Werkstatt im Ort vorhanden. Neben der Schreinerei betrieb die Familie einen Weinhandel. Dicht am Ort liegt die berühmte Lage „Brauneberger Juffer“, die zu den Spitzenweinen gezählt wird. Ein Wein, den Thomas Jefferson, Theodor Fontane, Napoleon und das englische Königshaus gekannt haben. Es gab in Dusemund weitere Familienmitglieder, die Neffen Peter und Nikel, die Orgelbauer waren. Ferner gab es verwandtschaftliche Verbindungen zur großen Orgelbauerfamilie Stumm5 aus Rhaunen im Hunsrück. Ob Matthias Schreiber nun durch den Weinhandel oder durch den Orgelbau nach Norddeutschland kam, ist nicht mehr feststellbar. Wir hören erst wieder von ihm, als er als Lehrling bei Diedrich Christoph Gloger6 in Stade arbeitet. Gloger erhielt 1734 das Stader Bürgerrecht und führte Schnitgers Stader Werkstatt weiter. Nach seiner Lehre arbeitete Schreiber dann als Geselle bei Jacob Albrecht7 in Lamstedt.Jacob Albrecht hatte 1750 einen Auftrag aus Mittelnkirchen im Alten Land angenommen. Er hatte sich vertraglich verpflichtet, die dortige Arp-Schnitger-Orgel auf die Westempore zu versetzen. Dazu sollte er ein neues Gehäuse liefern und das Instrument um ein selbständiges Pedal in zwei separaten Pedaltürmen zu erweitern. Diesen Vertrag konnte er aber nicht einhalten, da er sich in Steinkirchen verschuldet hatte, bzw. zwei weitere Aufträge in Osten und Cadenberge hatte.

Orgel in Mittelnkirchen (Foto: Jörg Gemeinholzer).

In diesen Vertrag trat sein Geselle Matthias Schreiber ein und begründete damit seine Selbständigkeit als Orgelbauer.

Orgelbau in Glückstadt, ein blühender Wirtschaftszweig

Spätestens 1661, also keine 50 Jahre nach der Stadtgründung, lies sich Berend Huß als Orgelbauer in Glückstadt nieder und begründete eine Handwerkstradition, die gut 100 Jahre dauern sollte. Von 1661–1665 baute er die große Orgel für die Stadtkirche in Glückstadt, der Prospekt steht heute in Burg auf Fehmarn. Bei diesem Auftrag arbeitete sein Verwandter (Neffe) Arp Schnitger mit, ebenso, wie an dem heute noch vorhandenen Meisterwerk, der Orgel in St. Cosmae in Stade (1668–1673). Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich Arp Schnitger in diesem Zeitraum des öfteren in Glückstadt aufgehalten haben dürfte, beziehungsweise zu der Zeit Glückstadt wohnte. Seine Lehrzeit bei Huß war von 1666–1671. 1674 erweiterte Huß die Orgel um ein Brustwerk. Nach Berendt Huß traten die Klapmeyers in Glückstadt als Orgelbauer auf. Der älteste, Johann Werner, war Geselle bei Arp Schnitger (1684). Sein Sohn, Johann Hinrich wurde in Krempe geboren, ganz in der Nähe von Glückstadt. Er wurde 1729 Bürger in Glückstadt und erhielt 1735 eine Konzession auf Lebenszeit für den Bereich Schleswig-Holstein. Sein Glanzstück ist die Umsetzung und der Umbau der Orgel in Altenbruch8, 1727/30. Er starb 1757. 1743 wird ein Orgelbauer Jochim Friedrich Jung Claßen genannt. So waren 1750, als Matthias Schreiber sich in Glückstadt niederließ, für einige Jahre drei Orgelbauer in der Stadt. Matthias Schreiber war dann auch der letzte Glückstädter Orgelbauer. Wo die Orgelbauwerkstätten in Glückstadt gelegen haben, ist nicht mehr bekannt. Es heißt nur „am Fleth“. Das macht Sinn, hatte man hier doch den Zugang zum Wasser, um Lasten leicht befördern zu können. Desweiteren wird man die Werkstätten auch in der Nähe des Gießhauses zu suchen haben. Hier konnte die vorhandene Infrastruktur durch den Orgelbauer genutzt werden, und er brauchte selber keinen Gießofen zu betreiben.

Schreibers junge Familie

Am 9. Juli 1750 (kurz bevor er Bürger wurde) heiratete er: 1750, den 9ten Juli, Johann Matthias Schreiber aus der Grafschaft Veldenz mit Magdalena Margaretha Layser, nachgelassene Witwe des Franz Layser. Die Ehe war nur von ganz kurzer Dauer. Schon zwei Monate später starb die Frau. Das Kirchenbuch hat leider keine Todesursache verzeichnet.

Loxstedt. Oben: Spieltisch und Registerzüge. Unten links: Blick auf das Wellenbrett des Brustwerkes. Unten rechts: Detail des Prospektes mit Rokokozierrat (Fotos Euent).

1750, den 6ten Sept. ist des Weinhändlers Johann Matthias Schreibers Frau Magdalena Margarethe gestorben und den 9ten begraben, 37 Jahre alt.

Verwunderlich ist hier die Berufsangabe “Weinhändler”, hat er doch gerade seine Orgelbauwerkstatt gegründet.

Er ging jedoch bald eine zweite Ehe ein und heiratete Rebecca Sophia Daß. Das erste Kind finden wir 1754. Am 17 Mai wird Johanna Christiana geboren. Die Hochzeit müsste demnach zwischen 1750 und 1753 stattgefunden haben. Sie ist im Copulationsregister9 der Stadtkirche aber nicht aufgeführt. Auch die Geburt von Rebecca Sophia Daß ist nicht zu finden, obwohl ihr Familienname in dem besagten Zeitraum mehrfach vorkommt, auch in der Generation zuvor. Das könnte heißen, dass sie aus einem der Dörfer um Glückstadt stammt und Verwandtschaft in der Stadt hat. Das könnte auch bedeuten, dass die Hochzeit am Wohnort der Braut stattfand und deshalb nicht in Glückstadt aufgezeichnet ist. Ab 1754 kommen dann die Kinder in rascher Folge. Die Eintragungen im Taufregister sind sehr unterschiedlich in ihrer Lesbarkeit; in aller Regel sind sie schlecht und mühsam zu entziffern. Ganz anders ist da das Sterberegister zu lesen, dass von einer anderen Hand geschrieben wurde. Dort fanden sich die Kinder zuerst und man konnte anhand des Alters zurückrechnen und gezielt im Taufregister suchen. Bei dieser Recherche kam dann auch ein großes Mitgefühl für die Familie auf. Da waren nun sechs Kinder und alle starben früh. Es sah so aus, dass trotz der vielen Geburten die Familie am Ende kinderlos war. Versöhnlich wird es ausgerechnet durch eine weitere Todesnachricht, des Sterbeeintrages von Rebecca Sophia Schreiber im Jahre 1782. Dort werden als hinterblieben drei Kinder, eine Tochter und zwei Söhne genannt. Es waren also neun, von denen 1/3 nur überlebte. Rebecca Sophias Alter wird mit 49 Jahren angegeben, das heißt, sie ist 1733 geboren und war zur Zeit ihrer Heirat mit Matthias Schreiber um die 20 Jahre alt. Es ist ein Phänomen, das Genealogen kennen: die zweite Frau ist oft wesentlich jünger; hier waren es 17 Jahre!

Schreibers Werk

In der Vergangenheit gab es nur spärliche Nachrichten über das Gesamtwerk Schreibers. Meistens waren es einzelne Kirchengemeinden, die berichteten, dass sie eine Schreiberorgel besitzen. Lediglich bei Fock gab es Hinweise auf Neuendorf, Koldenbüttel, Apenrade und Loxstedt, sowie Reparaturen in Bremen und Steinkirchen. Langsam fügt sich ein Mosaikstein an den anderen.

Zur Zeit sieht die Werkübersicht so aus:

Jahr

Ort

Kirche

Art

Umfang

erhalten

1750-1753

Mittelnkirchen im Alten Land

St. Bartholomäus

Umsetzung / Erweiterung

Pedal hinzugefügt

weitgehend erhalten

1755

Horneburg bei Stade

Liebfrauen

Neubau*?

Prospekt erhalten

1755

Bremen

Dom St. Petri

Reparatur der Schnitger-Orgel

nicht erhalten

1755-1756

Rellingen, bei Pinneberg

Ev. Kirche

Neubau

???

Prospekt und 6 Register

1757

Neuendorf bei Elmshorn

Trinitatis-Kirche

Neubau

21/II/P**

Weitgehend erhalten

1757

Sønderborg (DK)

S Marie Kirke

Umbau einer Orgel von 1604 Willers, Salzwed.

nicht bekannt

nicht erhalten

1758

Drage, Schloss Friedrichsruh

Schlosskapelle

Neubau

???

nicht erhalten

Jahr

Ort

Kirche

Art

Umfang

erhalten

1758

Koldenbüttel auf Eiderstedt

St. Leonhard

Neubau

11 Register?

Prospekt erhalten

1760

Apenrade in Dänemark

St. Nikolai

Neubau

22/II/P

nicht erhalten

***

1763

Steinkirchen im Alten Land

S. Nikolai + Martini

Reparatur der Schnitger-Orgel

erhalten

1765-1770

Dorum im Land Wursten

St. Urban

Neubau/ Umbau?

ähnlich Neuendorf

Prospekt erhalten

1769-1771

Loxstedt bei Bremerhaven

St. Marien

Neubau

23/II/P

weitgehend erhalten

* Die Tätigkeit in Horneburg ist nicht gesichert; es könnte auch Andreas Zuberbier aus Rinteln gewesen sein.

** heißt: 21 Register, 2 Manuale, Pedal

*** der alte Schreiber-Prospekt lagert auf dem Kirchenboden!

Zu seinen Werken im Einzelnen

In Mittelnkirchen (1750) gab er sein Debut und wollte sich bekannt machen. Das ist ihm auch trefflich gelungen: Die Gemeinde war bei der Abnahme hochzufrieden und erhöhte die vereinbarten 1400 Mark um 300 Mark zusätzlich: „für die Arbeit und die Treue am Werk, das ihn bei den Nachkommen loben werde!“ Hier setzte er eine vorhandene Schnitger-Orgel von der Nordseite um auf die Westempore, erweiterte sie um ein Brustwerk und ein Pedal. 1755 könnte er einen Neubau für die Liebfrauenkirche in Horneburg im Alten Land abgeliefert haben. Es käme aber auch der Andreas Zuberbier10 aus Rinteln infrage.

Rellingen, protestantischer Dreiklang: Altar, Kanzel, Orgel (Foto Euent).

Neuendorfer Orgelkontrakt mit der Unterschrift Schreibers (Foto Festschrift Neuendorf).

Ebenfalls 1755 wurde er nach Bremen gerufen, um die Schnitgerorgel im Dom zu reparieren. Das war sicher ein ehrenvoller Auftrag. In Rellingen (1755-1756) wurde die Kirche neu gebaut. Schreiber kannte den fertigen Raum noch nicht, ebenso wenig die Klang- und Schallverhältnisse. Er erhielt die Vorgabe, eine Orgel zu planen, die über Altar und Kanzel als drittes Element in einer Rückwand aufgestellt werden sollte. Das entsprach dem protestantischen Raumideal einer Predigtkirche, so, wie es auch in der Dresdener Frauenkirche durchgeführt wurde. Das Instrument ist eine „Brüstungsorgel“, der Boden des Mittelturmes ist der Schalldeckel der Kanzel. Bei dieser Konstruktion musste der Spieltisch, weil die Seiten rechts und links mit Säulen verbaut waren, hinter der Orgel angebracht werden. Der Organist hat kaum Kontakt mit dem Prediger und der Gemeinde. Heute ist nur noch der Prospekt von Schreiber und wahrscheinlich 5 Register. Eine genaue Angabe konnte leider nicht gemacht werden.

1755 erfolgte der Neubau in der Trinitatiskirche in Neuendorf/ Elmshorn. Hier wurde das Instrument nach alter norddeutscher Tradition auf der Nordseite aufgestellt. Dazu musste eine neue Empore eingezogen werden und das Tonnengewölbe mit einer Stichkappe für die Orgelhöhe geöffnet werden. Dieses Instrument ist heute noch weitgehend erhalten. Es hat 21 Register, 2 Manuale und Pedal. Ebenfalls 1757 führte er einen Umbau in der Marienkirche (vormals St. Jürgen) in Sonderburg in Dänemark durch. Dort befand sich ein altes Instrument von 1604 von dem Salzwedeler Orgelbauer Joachim Willers, das 1703 schon einmal von Hindrich Wiese aus Rendsburg umgebaut wurde. 1758 baute er für die Kapelle von Schloss Friedrichsruh11 bei Drage eine neue Orgel. Der vorhandene Prospekt war sehr kompliziert gebaut. Er war eher ein Gehäuse von der Größe einer Telefonzelle. Der Organist sitzt nicht an der Orgel, sondern in der Orgel, umgeben von lauter Pfeifen. Die Trakturverhältnisse und die Windführung sind -damit äußerst kompliziert und störungsanfällig. So hat das erste Werk von einem unbekannten Orgelbauer auch nur 12 Jahre gehalten. Als das Schloss 1787 abgerissen wurde12, war Schreibers Orgel aber immerhin 29 Jahre bespielt worden. Das Instrument wurde nach Moldenit an der Schlei verkauft und in der dortigen St. Jacobus-Kirche aufgestellt. Dort tat es noch bis 1906, also insgesamt 150 Jahre, seinen Dienst. Heute befindet sich in dem kuriosen Gehäuse ein Werk der Firma Marcussen/Apenrade (5 Register).

1758 baute Schreiber eine Orgel für die St. Leonhard-Kirche in Koldenbüttel/Eider-stedt. Von ihrer ursprünglichen Disposition ist leider kaum etwas überliefert. Auch sie ist eine Brüstungsorgel. Der heutige Spieltisch steht unter der Empore im Schiff.

Um 1830 wurde der Prospekt seitlich um je ein Pfeifenfeld und einen Pedalturm erweitert. Das weitere Schicksal war ein Auf und Ab zwischen Erhaltung und Neubau, zwischen Orgelbewegung und Moderne. Heute befindet sich in dem alten Prospekt eine Kleuker-Orgel13.

Für Schloss Friedrichsruh gebaut, steht heute in Moldenit/Schlei (Foto Euent).

1760 bekam er den Auftrag, für die St. Nikolai-Kirche in Apenrade eine neue Orgel zu bauen. Das Instrument hatte 22 Register auf 2 Manualen und einem Pedal und wurde auf der Westempore aufgestellt. Die Kirche hat ein langgestrecktes Schiff mit zwei Querschiffen und angesetztem Chor mit Apsis. Diesen Raum mit vollem Klang zu füllen war schwierig, zumal ein großer Teil wegen der erhöhten Aufstellung vom Gewölbe geschluckt wurde. Heute ist die Empore abgerissen und eine neue Orgel der Firma Marcussen steht unten im Schiff. 1763 führte Schreiber eine Reparatur an der Schnitger-Orgel in Steinkirchen im Alten Land durch.

Koldenbüttel farblich schön gefasste Brüstungsorgel (Foto Euent).

1765–1770 erfolgte der Neubau einer Orgel für die St. Urbanus-Kirche in Dorum im Land Wursten. Für diesen reichen Hauptort der Nordseemarsch war es die dritte Orgel seit 1578! Die Kirche hat ein langes Schiff mit Holztonne und daran anschließend einen spätgotischen, dreischiffigen Hallenchor. Die Orgel kam auf die für sie neu errichtete Westempore. Heute beherbergt der Prospekt ein Instrument der Firma Hillebrand14.

Dorum, Schreiberprospekt mit rückpositivartigem Brustwerk (Foto Euent).

1769 begann Schreiber dann sein letztes Werk in der St.-Marien-Kirche in Loxstedt, südlich von Bremerhaven. Für zwei Jahre überlappten sich die Neubauten in Dorum und Loxstedt. Die Loxstedter Orgel ist nicht nur Schreibers letztes Werk, sondern auch sein größtes. Mit 23 Registern hat diese Orgel die Apenrader an Größe überholt15. Ähnlich wie in Apenrade sind die klanglichen Verhältnisse. Vier gewölbte Joche und eine polygonale Apsis müssen beschallt werden. Nur ist die Raumhöhe hier niedriger als in Apenrade, die Gewölbe sind zudem noch stärker gebust16, was noch mehr Klangverlust ausmacht. 1771 starb Johann Matthias Schreiber während des Orgelbaus in Loxstedt. Hauptwerk, Pedal, Balganlage, Traktur, Klaviaturen waren fertig, das Brustwerk angefangen. So sah der Baufortschritt nach zwei Jahren aus. Auch in Dorum hat es mit fünf Jahren Bauzeit ungewöhnlich lange gedauert. Was der Grund dafür war, werden wir nicht erfahren. Das Kirchenbuch nennt in seinem Sterbeeintrag keine Todesursache. Vielleicht war Schreiber zu dem Zeitpunkt längere Zeit krank? Ein anderer Grund klingt auch plausibel: zwischen 1767 und 1769 bauten seine beiden Neffen Peter und Nikel17 Schreiber, die bei ihm gelernt hatten, in Wittlich in der Eifel eine Orgel für die dortige St. Markus-Kirche. So findet man mitten im Binnenland eine Orgel mit Hamburger Prospekt. Es ist durchaus denkbar, dass Matthias Schreiber auch an diesem Instrument mitgebaut hat. Lag es doch so dicht bei seiner Heimat Dusemond, die er sicherlich wegen seines Weinhandels, den er weiterhin betrieb, öfters besucht haben dürfte. So gesehen könnte er sich mit seinen letzten beiden Neubauten, Dorum und Loxstedt und einem möglichen „Intermezzo“ in Wittlich schlichtweg verzettelt oder gar gesundheitlich übernommen haben.

Loxstedt, die oberen Felder des Hauptwerkes sind vom Gewölbe verdeckt (Foto Euent).

Was macht eine typische Schreiberorgel aus? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten. Matthias Schreiber hat sehr individuell gearbeitet. So, wie er es bei seinem Lehrmeister Gloger gelernt hatte. Ein Vergleich der überkommenen Orgeln ist schwer durchzuführen. Sein großes Vorbild blieb Arp Schnitger. An dessen Vorgaben hat er sich immer wieder gehalten. Es fällt jedoch auf, dass alle seine Neubauten keinen „Hamburger Prospekt“ zeigten (bis auf den Umbau in Mittelnkirchen)! Am ähnlichsten dürften sich die beiden Instrumente in Loxstedt und Neuendorf zu sein. Bei den großen Instrumenten in Mittelnkirchen und Dorum ähneln sich die beiden rückpositivartigen Brustwerke. Ähnlichkeiten in der Prospektgestaltung gibt es auch bei den beiden Instrumenten Apenrade und Rellingen mit harfenförmigen Pfeifenfeldern. In Rellingen hat er sich ganz und gar der Architektur unterworfen. Ein Werkprinzip, wie es die Barockorgeln hatten, ist hier nicht zu erkennen. Das weist schon auf das kommende Jahrhundert hin. Seinen Prospekten eigen ist die Gestaltung der Pedaltürme. Er hat sie stets mit Segmentbögen gestaltet.18 So gesehen fällt der Prospekt in Horneburg als einziger aus diesem Rahmen, hat er doch in den seitlichen Türmen die Schnitgerschen Spitzen. So ist denn neben seiner soliden Bauweise auch seine Anpassungsfähigkeit an bauliche Gegebenheiten und an Vorgaben durch Architekten zu nennen. Bewiesen hat er dies bei der schwierigen Vorgabe in der Schlosskapelle in Drage und bei dem Neubau in Rellingen, wo er einen intensiven Kontakt zum Architekten Kai Dose19 gehabt haben musste. Verlorene Dispositionen aufgrund seiner Bauweise zu rekonstruieren scheint jedoch unmöglich.

Orgelbauer im 18. Jahrhundert – ein lukrativer Beruf?

Das Leben eines Orgelbauers war von vielen, zum Teil weiten Reisen geprägt. Das Reisen zur damaligen Zeit war körperlich anstrengend. Wenn Apenrade der am weitesten nördliche Punkt für Schreiber ist, so ist Bremen der am weitesten südlich gelegene (wenn man einmal davon ausgeht, dass er in Wittlich in der Eifel nicht mitgebaut hat).Beide Städte liegen rund 170-180 km von Glückstadt entfernt (das heutige Straßennetz zugrunde gelegt). Um nach Bremen zu gelangen, kommt noch die Überquerung der Elbe dazu. Das gebräuchliche Verkehrsmittel war die Kutsche. Dazu kam die Belastung, oft von der Familie getrennt zu sein. In aller Regel musste er, zumindest zeitweise, am Aufstellungsort einer neuen Orgel wohnen. Das war längst nicht immer in einem warmen Gasthauszimmer oder im Pfarrhaus (Dedesdorf). Da musste auch schon einmal ein unbequemer Nebenraum einer Kirche oder gar der Kirchturm herhalten (gewöhnlich der Platz für Arrestanten). Von Arp Schnitger wissen wir aber, dass ihm zum Beispiel beim Orgelbau im Bremer Dom 1693-98 die Diele und zwei Stuben – eine davon mit Kamin- im Waisenhaus, das sich in Domnähe befand, zur Verfügung standen.

So gesehen war ein zweites finanzielles Standbein nicht zu verachten. Bei Schreiber war es der Weinhandel. Wir haben keine Zahlen aus diesem Geschäft. Glückstadt war zu jener Zeit eine aufstrebende Stadt, mit einigen Palais, einem lebhaften Musikleben und dementsprechender Bevölkerung oder Kundschaft. Da wird er schon ein gutes Zubrot gehabt haben. Auch sein Kollege Johann Hinrich Klapmeyer hatte seinen Nebenerwerb, ein Gasthaus in Glückstadt. Und es heißt, dass er in seinen letzten Lebensjahren den Orgelbau eher seinem Gesellen Johann Joachim Maaß überließ und er sich mehr seiner Gastwirtschaft widmete, weil die Podagra (Gicht) ihn dazu zwang.20

Oben: Kirchenbuch Stadtkirche Glückstadt, Sterberegister 1782. Unten: Loxstedt, der alte Friedhof bei St. Marien (Fotos Euent).

Neuendorf, Gesamtansicht mit den seitlichen Logen, neben der Loxstedter Orgel die zweite, nahezu vollständig erhaltene Orgel Schreibers (Foto Euent).

Dass über Schreibers Betrieb bei seinem Tod der Bankrott erklärt wurde, ist nicht verwunderlich. Er wird für die Loxstedter Orgel in Vorleistung gegangen sein, die Zahlungen der Gemeinde haben die verauslagten Mittel nicht decken können. Auch wissen wir nicht, was er parallel zu diesem Auftrag noch zu tun gehabt hat, wieviel Außenstände es gab.

Der Sterbeeintrag von Schreibers Witwe aus dem Jahre 1782 unter der Nummer 28 im Sterberegister der Stadtkirche birgt viele Einzelheiten. So erfahren wir, dass am Ende drei Kinder am Leben blieben, von neun! Rebecca hat nicht wieder geheiratet.

Und es heißt weiter: hinterläßt von ihrem über der Elbe in .............. verstorbenen Mann Johann Matthias Schreiber, gewesener Orgelbauer ......

Heute, gut 230 Jahre später, könnten wir die Auslassungszeichen mit „Loxstedt“ auffüllen.

Über die Lage der letzte Ruhestätte von Matthias Schreiber können wir nur Vermutungen anstellen.

Kein Kreuz, kein Stein, kein Hinweis auf ihn. Wir wissen aber, dass er ein Armenbegräbnis bekam. Demnach wäre sein Grab auf der Nordseite der Kirche zu suchen. Hier lagen die Toten dicht an dicht, der Reihe nach, so wie sie starben. Gepflegter Rasen und lauschige uralte Bäume umgeben heute diese würdige Ruhestätte.

Literatur und Quellen

Martin Böcker; Altes Land-Orgelland; in: Heimat und Kultur zwischen Elbe und Weser, Zeitschrift des Landschaftsverbandes der ehem. Herzogtümer Bremen und Verden, Jg. 31, Nr.2, April 2012, S. 2-4

Martin Böcker, Golon, Peter; Die Orgel-Stadt Stade. Weltberühmte Orgeln und 600 Jahre Orgelbau. Orgelakademie, Stade 2004

Frank Bösken; Die Orgelbauerfamilie Stumm aus Rhaunen-Sulzbach und ihr Werk, in: Mainzer Zeitschrift, Jg. 55, 1960

Otto Bremm; Evangelisches Familienbuch Veldenz/Mosel; als online-Familienbuch

Otto Conrad; Die Geschichte der Orgelbauerfamilie Stumm aus Rhaunen-Sulzbach und ihre Werke in: Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde Birkenfeld, 1955

Ulrich Euent; Führer durch die Loxstedter St.-Marien-Kirche; Band 1 der Loxstedter Marientrilogie; Cardanima-Verlag Plaid, 2013

ders.; Johann Matthias Schreiber (1716-1771)- ein Orgelbauer im Schatten großer Namen; Männer vom Morgenstern, Jahrbuch 91, 2012, S.55-80

ders. Vor 300 Jahren an der Mosel geboren; Niederdeutsches Heimatblatt April 1016, Nr. 796, S. 1-2

Gustav Fock; Arp Schnitger und seine Schule, Bärenreiter-Verlag Kassel, 1974

Peter Golon; In Stade begann eine europäische Karriere; zum 350. Geburtstag des Orgelbauers Arp Schnitger; in: Heimat und Kultur zwischen Elbe und Weser, Jg 17, Nr. 3, Juli 1998, S. 7-10

ders; “Damit der Gesang desto wohlklingender werde“, Orgel- und Kirchenmusik in Streitschriften des 17. Jhdts.; in: :Heimat und Kultur zwischen Elbe und Weser, Jg 17, Nr. 3, Juli 1998, S.13-15

ders; Die historischen Orgeln des Landkreises Stade - photographiert von Karl-Wilhelm Kröncke -, Stade Schaumburg 1983

Hermann Heckmann; Baumeister des Barock und Rokoko in Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Lübeck, Hamburg; Verlag Bauwesen, Berlin 2000

Peter Hirschfeld, Hrsg.; Die Kunstdenkmäler des Landes Schleswig-Holstein, Bd.8 Landkreis Schleswig; DKV Berlin 1957

Rudolf Irmisch; Schloss Drage und sein Besitzer; in: Steinburger Jahrbuch 1973, S. 6-17

Johann-Albrecht Janzen; Kirchenführer Koldenbüttel; Einzelblatt, Auflage 2012/2.000

Hans-Joachim Kerber; St. Urbanus, Dorum; Schnell und Steiner, Regensburg, 2010

Kirchenbücher der Stadtkirche Glückstadt im Archiv des KK Rantzau-Münsterdorf in Wrist

Kirchenbücher der ev. luth. Gemeinde St. Marien, Loxstedt

Kirchenbücher (Taufbuch) der ev. luth. KG Mülheim/Mosel (für Brauneberg/ Dusemund)

Kirchengemeinde Neuendorf bei Elmshorn; Schreiber-Orgel in der St.-Trinitatis-Kirche zu Neuendorf; Festschrift zur Rehistorisierung 1983; gedruckt bei Print 64 in Norderstedt

Gerhard Köhn; Die Bevölkerung der Residenz, Festung und Exulantenstadt Glückstadt von 1616-1652,in: Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins, Bd 65; Neumünster 1974

Hans Kortes: Bürgerbuch der Stadt Glückstadt, Bände I und II, Maschinenschrift, gebunden, 1950 Hamburg; (Universitätsbibliothek Kiel)

Konrad Küster; Im Umfeld der Orgel, Musik und Musiker zwischen Elbe und Weser, Orgelakademie Stade, 2007