Wächter der Runen (Band 2) - J. K. Bloom - E-Book

Wächter der Runen (Band 2) E-Book

J. K. Bloom

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Beschreibung

Trotz der schweren Verluste, die Ravaneas Seele gebrochen haben, beschließt sie, ihren Auftrag auszuführen und den Erbauer zu suchen. Sie hat sich geschworen, diese Reise allein anzutreten, doch ihre Wege kreuzen die eines Runenschmiedlehrlings, der ihr seine Hilfe anbietet. Dabei ahnt sie nicht, dass er sie in noch größere Schwierigkeiten stürzt, denn das Imperium ist nicht die einzige Macht, die Ravaneas Kräfte für sich nutzen will.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte

Teil I

Kapitel 1

2 - Ravanea

3 - Finnigan

4 - Ravanea

5 - Finnigan

6 - Ravanea

7 - Finnigan

8 - Ravanea

9 - Finnigan

10 - Ravanea

11 - Finnigan

12 - Ravanea

Teil II

13 - Finnigan

14 - Ravanea

15 - Finnigan

16 - Ravanea

17 - Finnigan

18 - Ravanea

19 - Finnigan

20 - Ravanea

21 - Finnigan

Teil III

22 - Ravanea

23 - Finnigan

24 - Ravanea

25 - Ravanea

26 - Finnigan

Dank

 

J. K. Bloom

 

 

Wächter der Runen

Band 2

 

 

Fantasy

 

 

Wächter der Runen (Band 2)

Trotz der schweren Verluste, die Ravaneas Seele gebrochen haben, beschließt sie, ihren Auftrag auszuführen und den Erbauer zu su-chen.

Sie hat sich geschworen, diese Reise allein anzutreten, doch ihre Wege kreuzen die eines Runenschmiedlehrlings, der ihr seine Hilfe anbietet. Dabei ahnt sie nicht, dass er sie in noch größere Schwierig-keiten stürzt, denn das Imperium ist nicht die einzige Macht, die Ravaneas Kräfte für sich nutzen will.

 

Die Autorin

J. K. Bloom schreibt schon, seit sie elf Jahre alt ist. Das Erschaffen neuer Welten ist ihre Leidenschaft, seitdem sie das erste Mal ein Gefühl für ihre Geschichten bekam. Sie ist selbst abenteuerlustig und reist sehr gern. Wenn sie ihre Nase nicht gerade zwischen die Seiten eines Buches steckt, schreibt sie, beschäftigt sich mit ihren zwei Katzen oder plant schon die nächste Reise an einen unbekannten Ort.

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, August 2019

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2019

Umschlaggestaltung: Kopainski Artwork | Alexander Kopainski

Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-061-4

ISBN (epub): 978-3-03896-062-1

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für Natalie

Gib niemals die Hoffnung auf

 

Teil I

 

Schnee und Stille

 

Kapitel 1

 

Ich hatte akzeptiert, dass meine Zeit abgelaufen war und ich mich friedvoll dem Tod hingeben konnte. Das Todesurteil hatte mir zwar die qualvollsten Minuten meines Lebens bereitet, doch ich wusste, dass es irgendwann ein Ende haben würde.

So dachte ich jedenfalls.

Obwohl meine Welt längst schwarz und still geworden ist, höre ich ein immer lauter werdendes Vogelzwitschern. In der Ferne rascheln Blätter und in unmittelbarer Nähe gräbt sich etwas durch das Erdreich. Der Geruch von Morgentau kriecht in meine Nase und eine sanfte Brise weht den Duft von Gänseblümchen in meine Richtung.

Meine Muskeln schmerzen, als ich meinen Körper spüre und dabei versuche, die Arme und Beine zu bewegen. Als ich die Lider öffne, dringt grelles Licht in meine Augen, sodass ich sie wieder reflexartig schließe.

Ich sitze noch immer gegen den Baum gelehnt und will nicht glauben, dass ich das Todesurteil überstanden habe. Wie ist das möglich? Eine Rune? War Hilfe eingetroffen?

Auf eine gewisse Weise fühle ich mich verändert. Mein Körper scheint noch zu schlafen, obwohl mich eine unaussprechliche Energie durchströmt. Trotz der vielen Geräusche um mich herum, ist es sonderbar still in mir. Wieso pocht mein Herz nicht?

Ich nehme einen tiefen Atemzug und versuche aufzustehen, wobei mein Oberkörper wie ein nasser Sack zur Seite fällt. Mein Kopf landet in der feuchten Erde und meine Glieder sind schwer wie Blei.

»Das Gefühl kenne ich zu gut«, ertönt eine Stimme in unmittelbarer Nähe. Sie schallt von einer erhöhten Position und es braucht eine Zeit lang, bis ich sie zuordnen kann. »Wird noch ein bisschen dauern, bis sich die Taubheit legt.«

»Aaron?«, nuschle ich mit geschwollenen Lippen.

»Deine Sinne kehren bereits zurück. Das ist ein gutes Zeichen«, antwortet er. Ich vermute, er sitzt auf einem hohen Ast.

Reflexartig beiße ich mir auf die Unterlippe und zucke gleich darauf zusammen, als mich ein Schmerz durchfährt. »Was ist passiert?«

Ich erinnere mich wieder an Raves tränenüberströmtes Gesicht und eine tief greifende Angst. Die Soldaten des Imperiums hatten uns verfolgt. Langsam fügen sich die Bilder wieder in meinem Kopf zusammen.

Er weicht meiner Frage mit einer anderen aus: »Kannst du dir denken, weshalb du noch lebst?« Ich vernehme ein Schürfen auf dem Ast, da er sich darauf zu bewegen scheint. Seine Füße landen auf dem weichen Erdboden und nähern sich mir. »Komm, ich helfe dir auf.«

Als ich wieder die Augen öffne, ist das Licht nicht mehr so grell wie beim ersten Mal. »Nein, ehrlich gesagt, nicht wirklich.«

Aaron schnaubt belustigt. »Es ist auch kein Wunder. Das Todesurteil hat sich sehr rasant durch deinen Körper gefressen. Eine so starke Dosierung habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Letztendlich hat es dich das Leben gekostet.«

Ich verstehe nicht … Wie kann ich tot sein, wenn ich atme, mich bewege und rede? »Wovon sprichst du?«

Er seufzt schwer. »Finn, du bist tot. Horche in dich hinein.«

Als mir die Erkenntnis einleuchtet, ist mir plötzlich klar, weshalb mein Herz nicht mehr schlägt. Zwar zirkuliert noch das Blut in meinen Adern, aber es ist auch das Einzige, was ich in mir wahrnehme. Der Rest ist in eine unheimliche Stille getaucht.

Aaron behält recht.

Ich bin tot.

Ein Untoter.

Ein …

Mein Blick gleitet zu dem Todeskriecher, ein unglaublich gefährliches Wesen, das den Befehlen des Todes folgt ‒ Nura, einer der Teilschöpfungen.

»Ihr habt mich zu einem Schatten gemacht?«, stammle ich entsetzt und betrachte meine Hände. Meine Haut ist blass und rau. Für die Kälte, die meinen Körper beherrscht, empfinde ich keinen Schmerz mehr und innerlich kommt es mir so vor, als hätte ich etwas Wichtiges verloren.

Mein Leben.

Rave.

Ich sehe Aaron angstvoll an. »Was ist mit …?«

Er versteht, wen ich meine, schüttelt dann jedoch bedauernd den Kopf. »Wir hoffen, es geht ihr gut. Sie konnte entkommen, aber wir wissen nicht, wo sie sich momentan befindet.«

»Was soll das heißen?«, entfährt es mir.

»He«, beginnt Aaron und packt kraftvoll meine Schultern. »Kontrolliere deine Gefühle, Finn. Es wird nicht lange dauern, da werden sie verschwinden und du wirst dich … verändern.«

Ich löse mich von ihm und trete einen Schritt zurück. Als ich erneut meinen Körper ansehe, bemerke ich, dass mir jemand den Lederharnisch ausgezogen hat, sodass ich nur mein Leinenhemd und die Hose trage. Ich ziehe die Ärmel nach oben und entdecke Runenzeichen, die allerdings durch keine Verbrennung entstanden sind, sondern eher wie eine weiße Tätowierung wirken.

»Wir Todeskriecher haben den Vorteil, dass wir uns die Runen einverleiben können, sodass wir sie niemals wieder erneuern müssen. Deshalb sind wir so stark. Wir Toten sind zwar unsterblich, aber dennoch können wir den Tod finden. Die Zeit mag uns nichts mehr anhaben, aber dafür einige andere Dinge. Das erläutere ich dir allerdings wann anders genauer«, erklärt Aaron. »Ein Mensch würde durch diese Art der Runennutzung getötet werden.«

Ich schließe die Augen und denke über seine Worte nach.

Die Todeskriecher sind so anders.

Ich bin anders.

Als Mensch habe ich den Wald als friedvollen, ruhigen Ort betrachtet. Jetzt erkenne ich darin fremde Details, die ich vorher nie wahrnehmen konnte. Tiere beobachten mich, bemerken meine Anwesenheit und spüren die mächtige Aura, die mich umfängt. Aus der Ferne höre ich Laute, sehe übermenschlich weit, und fast glaube ich, Aaron zu berühren, obwohl wir einige Schritte voneinander entfernt stehen.

Dies ist nun meine neue Welt.

Eine Welt, die ich akzeptieren muss.

»Wir werden noch genug Zeit haben, deine Fähigkeiten zu trainieren. Doch zuerst müssen wir zu Nura. Sie braucht unsere Hilfe.« Aarons dunkle Augen dringen zu mir durch. »Deine Hilfe.«

Ich nicke und spüre, wie eine beinahe greifbare Kälte mein Inneres zerfrisst. Meine Gedanken kreisen um die letzten Momente mit Rave, und statt mir Sorgen um ihr Wohlergehen zu machen, bemerke ich, wie ich mich langsam davon entferne. Meine Liebe, meine Freude, mein Glück werden mit jedem Schritt, mit jedem weiteren Augenblick, der vergeht, schwächer.

Skeptisch sehe ich zu Aaron. »Du sagtest, meine Gefühle würden sich ändern.«

Er nickt. »Ja, bis nichts mehr davon übrig bleibt.«

Ich horche in mich hinein und erkenne, dass meine Besorgnis um Rave verschwunden ist. Sie wird auf sich allein aufpassen können. Wenn jemand überlebt, dann sie.

Aber … hatte ich ihr nicht versprochen, sie zu beschützen?

Ein Versprechen, das über den Tod hinausgeht?

»Finn, mach dir keine Gedanken um dein sich änderndes Gemüt. Man kann sein altes Ich zurückgewinnen«, erklärt er und springt über einen Bach, der unseren Weg kreuzt. »Es ist schwer, aber möglich.«

Brauche ich es denn? Empfindungen bedeuten Schwäche, und Schwäche ist etwas, das Nura nichts nützt. Vielleicht bin ich ohne Empfindungen besser dran.

Trotzdem interessiert es mich, zu wissen, auf welche Weise man sie zurückbekommen kann. »Wie?«

Er zieht eine Augenbraue in die Höhe – verwundert über meine unerwartete Neugierde. »In jedem neuen Leben eines Untoten gibt es etwas, das einen nicht loslässt. Eine Art Aufgabe, die für eine gewisse Zeit die Gedankenwelt desjenigen beherrscht. Geht man ihr nach und kämpft für diese Aufgabe, kann man das bisschen Menschlichkeit, das man verloren hat, zurückerhalten. Tut man es nicht und verpasst diesen Moment, wird man auf ewig ein gefühlskalter Schatten.«

Ein Schatten seiner selbst. Leblos. Kalt. Tot.

Würde ich so etwas wirklich wollen?

Ich springe Aaron nach und spüre gleichzeitig in der Bewegung, dass eine neue Fähigkeit von mir Besitz ergreift. Stärke durchströmt meinen Körper, pulsierendes Blut fließt in meinen Venen und bringt eine unvorstellbare Energie in mir zum Vorschein. Meine Aura verändert sich, wird dichter und größer. Die Details um mich herum werden noch klarer, während ich gleichzeitig bemerke, mit welcher Schnelligkeit mein Körper arbeitet.

Als ich über die Schulter blicke, erkenne ich Aaron nur noch als kleinen Fleck zwischen den Bäumen.

Durch meine bessere Sehkraft nehme ich sein süffisantes Grinsen wahr. Nur einen Augenblick später steht er wieder vor mir. Selbst meine ›Schnelligkeits‹-Rune konnte bei diesen Fähigkeiten nicht mithalten.

»Wenn es dunkel ist, sind deine Kräfte noch ausgeprägter. Die Elemente Feuer und Wasser sowie das Licht sind unsere größten Schwächen – abgesehen von der Menschlichkeit, die der eine oder andere noch für sich gewinnen konnte.«

»Wie viele haben sie denn zurückgewonnen?«, hake ich interessiert nach.

Aaron stemmt einen Arm in die Hüfte. »Traurigerweise nur Ravatoria und ich. Wenn du den Rest kennenlernst, wirst du merken, weshalb wir zum einen als Schatten und zum anderen als Todeskriecher bezeichnet werden.«

Also sind die Schatten die gefühllosen Monster aus den Schauergeschichten und Todeskriecher sind die Wesen, die um das Stück Menschlichkeit gekämpft haben. Im Laufe der Jahrhunderte wurden beide Bezeichnungen gleichgesetzt – jedenfalls wäre das eine logische Schlussfolgerung.

»Wo ist Ravatoria?« Ich sehe mich um. Hat sie es geschafft, Nura in Sicherheit zu bringen?

Ravatoria ist Raves Mutter, die wir für tot gehalten haben, bis sich herausstellte, dass sie als Todeskriecher für die Teilschöpfung arbeitet.

Aarons Mimik gleicht kaltem Marmor. »Alles zu seiner Zeit, Finn. Wir müssen erst einmal dem Tod berichten, dass wir dich zurückholen konnten. Dir wird eine wichtige Aufgabe zuteilwerden.«

Ich sehe ihn ausdruckslos an. »Also kennst du bereits den Plan?«

»Zum größten Teil.«

»Wie gelangen wir am schnellsten zu Nura?«, frage ich und verschränke die Arme vor der Brust.

»Wir haben sie nach dem Zwischenfall in einer Höhle verstecken müssen. Die gesamten Todeskriecher sind bei ihr, um sie vor Kora zu beschützen«, erklärt er und klingt dabei nervös.

Ich verspüre weder Aufregung noch Angst. Sollte es mich nicht sorgen, wenn mein Leben von Nuras abhängt? »Ein Zwischenfall?«

»Der Tod wurde angegriffen und verletzt. Unsere letzte Hoffnung liegt nun in Rave«, gesteht er und senkt den Blick. »Wir haben nicht viel Zeit zum Handeln, deshalb sollten wir uns beeilen.«

Die Kälte in mir hat einen erheblichen Vorteil. Dank ihr bewahre ich einen kühlen Kopf. Panik und Angst würden nur mein Urteilsvermögen trügen und dazu führen, dass ich Fehler mache.

Trotzdem nagt tief in mir ein Gedanke, der nicht von mir ablässt: mein Versprechen gegenüber Rave.

Ihr Leben ist mehr wert als mein eigenes. Also muss ich es beschützen, ganz gleich auf welche Weise. Ist dies meine Aufgabe, von der Aaron sprach?

Ich seufze und fahre mir übers Gesicht.

Aaron stellt sich vor mich, nachdem eine Zeit lang Stille zwischen uns herrschte. »Wir müssen etwas schneller werden. Kannst du versuchen deine Fähigkeiten anzuwenden? Gerade eben hast du es ganz gut hinbekommen.«

Ich sehe ihn skeptisch an. »Wenn du glaubst, dass ich dafür bereit bin.«

»Bereit oder nicht, Nura ruft.« Aaron geht ein wenig in die Knie, um zu einem Sprint anzusetzen. »Bleib nicht zurück.«

Gerade als ich etwas erwidern will, schießt er nach vorne und ich versuche ihm dicht auf den Fersen zu bleiben. Die groben Details des Waldes verblassen etwas, verschmelzen miteinander. Doch wenn ich den Blick nach vorne richte, klärt sich alles und meine Umgebung wird scharf.

Vor mir weicht Aaron den Hindernissen aus, weist mich auf einige Schwierigkeiten hin und schaut immer wieder über die Schulter zu mir zurück.

Man sagt nicht umsonst, dass Todeskriecher die Schrecken der Nacht sind, denn ihre Fähigkeiten übersteigen die normalen Runenkräfte. Die Energie, die durch meinen toten Körper fließt, ist unerschöpflich. Mich überkommt keine Müdigkeit, ich fühle mich überraschend stark und kann mir nicht vorstellen, dass diese Kraft irgendwann zuneige geht.

Aaron hält nach wenigen Minuten vor einer Höhle, deren Eingang von herabhängenden Schling- und Kletterpflanzen verdeckt ist. Zunächst hätte ich es nur für eine einfache Felswand gehalten, doch daraus ertönen dumpfe Stimmen, die nicht zu überhören sind.

»Folge mir«, bittet Aaron und ich tue, was er verlangt.

Die Dunkelheit ist nun mein Verbündeter. Durch die wenigen Lichteinwirkungen erblicke ich die gesamte Höhle vor mir und erkenne jeden Stein, jede Kerbe, jedes Loch.

Ratten huschen an uns vorbei und flüchten in den nächstmöglichen Spalt zwischen den Wänden. Fledermäuse hängen an der Decke, scheinen unsere Ankunft jedoch nicht zu fürchten. Je tiefer wir hineingehen, desto kälter wird es, doch ich verspüre keinen beißenden Schmerz.

Am Ende der Höhle dringt wieder mehr Licht zu uns und Fackeln erleuchten den großen Hohlraum. Auf einer Holzpritsche entdecke ich die schwer atmende Nura, die von den restlichen Todeskriechern umringt ist.

Nur eine fehlt. Ravatoria. Wo ist sie?

Ich gehe zum Tod und will mich zu ihr hinunterbeugen, als sich die anderen vier Schatten schützend vor sie stellen.

Nura hebt kraftlos die Hand. »Schon gut. Er ist jetzt einer von uns. Euer Bruder.«

Bei ihren Worten läuft es mir eiskalt den Rücken hinab. Die Schatten weichen zurück und lassen mich durch. Ich beuge mich zu ihr und gehe in die Hocke. »Was ist passiert?«

Aaron tritt neben mich. »Erlaube mir, für dich zu sprechen.«

Sie nickt und schließt die Augen.

»Als Ravanea dich verlassen hat, lief sie genau dem Imperator in die Arme, was wir um jeden Preis verhindern mussten. Als sich die beiden gegenüberstanden, hatte Ravatoria eine rettende Idee«, erzählt er in einem ruhigen Tonfall.

Ich schnappe scharf nach Luft. Der Imperator persönlich? Er hat es tatsächlich gewagt, seine Hauptstadt, den sichersten Ort in ganz Amatea, zu verlassen? Nur um die Teilschöpfung zu bekommen?

»Er wollte sich Rave unter den Nagel reißen, doch Ravatoria wandte eine sehr starke alte Runenmacht an, um sie an einen sicheren Ort zu bringen«, fährt er mit der Geschichte fort.

Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. »An welchen?«

»Das wissen wir nicht, deshalb haben wir gehofft, du könntest uns helfen. Falls du jedoch auch keinen Anhaltspunkt über ihren möglichen Aufenthaltsort hast, kommt hiermit deine neue Aufgabe ins Spiel.«

Nura hebt den Kopf und greift nach meiner kalten Hand. »Wenn jemand weiß, wohin Ravatoria ihre Tochter geschickt hat, dann ihr Bruder Ravass. Er ist unsere letzte Hoffnung, Rave zu finden und sie vor dem Imperium zu beschützen.«

Ich verstehe nur eine Sache nicht ganz. »Wieso fragt ihr Ravatoria nicht selbst?«

Aaron sieht betrübt zu Nura, die weiterspricht: »Ravatoria musste durch diese mächtige Runenmagie ihre gesamte Lebenskraft opfern. Sie weilt nicht länger unter uns.«

Den alten Finn hätte diese Erkenntnis vollkommen aus der Fassung gebracht, doch der untote senkt nur den Blick aus Mitgefühl. »Ich verstehe.«

Was würde wohl Rave sagen, wenn sie erführe, dass sich ihre Mutter für sie geopfert hat? Obwohl sie auf sie wütend war, bevor sich unsere Wege wegen Kora trennten, würde es sie erschüttern, zu erfahren, dass Ravatoria nicht mehr lebt.

Sie glaubt schließlich auch, ich wäre gestorben, damit sie fliehen konnte. Bei dieser Erkenntnis regt sich etwas in mir. Ein Gefühl.

Ich vermisse Rave.

Aaron legt brüderlich eine Hand auf meine Schulter. »Wenn sich Ravatoria nicht geopfert hätte, stündest du jetzt nicht hier. Es dürfen immer nur sechs Todeskriecher existieren, die Nura beschützen.«

Diesen Hinweis hat sie erwähnt, als wir gerade dabei waren, den Berg zu verlassen, um Kora und ihrem Trupp zu entkommen. Damit hat sie die Legenden bestätigt, die mir mein Vater immer erzählte.

Nura hustet und spuckt dabei Blut. »Rave zu finden, hat im Moment oberste Priorität, weil sie die Einzige ist, die den Erbauer finden kann, um mich zu heilen«, ächzt sie und zieht die Decke, die über ihr liegt, zur Seite.

Darunter entblößt sie eine gefährliche sternförmige Waffe, die sich mit ihren kleinen Widerhaken in Höhe der Hüfte tief in ihr Fleisch gefressen hat.

»Der Stern ist mit einer Rune versiegelt, die eine Heilung für eine gewisse Zeit nicht zulässt. Entferne ich die Waffe, wird mein Körper innerhalb weniger Minuten verbluten und sterben. Es würde auch euch das Leben kosten«, erklärt sie weiter und schiebt die Decke wieder über sich. »Noch nie habe ich Runenmagie so stark erlebt. Wie man sieht, übertrifft sie bereits meine eigene. Wir müssen endlich diese Macht ein für alle Mal beenden.«

»Kannst du sie mit deiner Allwissenheit nicht ausfindig machen, Nura?«, frage ich.

Sie schüttelt den Kopf. »Dafür bin ich zu geschwächt.«

»Also werde ich Ravass aufsuchen und ihn fragen, wohin Ravatoria ihre Tochter gebracht haben könnte?«

Nura nickt und wendet sich dann an ihre restlichen Schatten, die ich erst jetzt genauer ins Auge nehme.

Der rechte von ihnen ist der Stämmigste, ziemlich groß und breitschultrig. Er besitzt schwarzes, längeres Haar, das er im Nacken zusammengebunden hat. Mit seinen stechend blauen Augen beobachtet er mich misstrauisch.

Daneben steht eine zierliche, kleine Frau, genau das Gegenstück zum Koloss. Sie trägt eine außergewöhnliche Jägerrüstung, die ihre Taille und Oberweite sehr betont. Ihre Hose besteht aus dunklem Leder und die schwarzen, kniehohen Stiefel lassen ihre Beine schlank wirken. Sie trägt ihr goldblondes Haar zu einem hohen Pferdeschwanz, der wie ein Wasserfall an ihrem Rücken hinunterfällt. Im Gegensatz zum Stämmigen begrüßt sie mich mit einem zuckersüßen, aber gefährlichen Lächeln.

Die zwei Männer neben ihr scheinen Brüder zu sein. Sie haben beinahe die gleichen Gesichtszüge, dieselben dunkelblauen Augen und dasselbe haselnussbraune Haar. Allerdings wirkt einer von beiden älter als der andere.

»Diya wird euch bis nach Massott begleiten. Dort führt sie einen eigenen Auftrag aus, den ich ihr zugeteilt habe«, verkündet Nura.

Sie wirkt sehr kränklich, zumal sie unvorstellbare Schmerzen durchleben muss, und dazu kommt noch, dass sie in der Höhle nicht sicher ist. Die Truppen des Imperators könnten noch immer in der Gegend umherstreifen.

»Krevik, Den und Luka werden hierbleiben, um mich zu beschützen, und den Bannkreis weiter aufrechterhalten. Ich muss darauf vertrauen, dass ihr Ravanea wiederfindet und mit ihr gemeinsam den Erbauer aufsucht«, keucht sie und gibt dabei einen schrillen Laut von sich, als ein Schmerz ihren Körper durchzuckt.

»Wir tun, was wir können, Nura«, verspreche ich ihr.

Ich wende mich gerade zum Gehen, als sie mich noch für einen Moment aufhält. »Normalerweise ist es mir gleichgültig, ob meine Untoten zu Schatten oder Todeskriechern werden, aber du solltest dir bewusst sein, dass Rave von deiner neuen Existenz noch nichts weiß.«

Weswegen ich das Stück Menschlichkeit zurückgewinnen sollte, bevor Rave den Schatten-Finn kennenlernt, der für sie nur Gleichgültigkeit empfinden würde.

Nuras Worte lösen in meiner Brust einen schmerzhaften Stich aus.

»Mach dir keine Sorgen, ich werde den Jungen schon zur Vernunft bringen«, witzelt Aaron und läuft auf eine hölzerne Truhe zu. Daraus nimmt er einen Stapel Kleidung und drückt mir diesen in die Hand. »Geh dich umziehen.«

Die mit gutem Material verarbeiteten Kleidungsstücke sind eine Mischung aus einer Assassinen- und Jägerrüstung. Ich ziehe mich in eine Nische zurück und beginne mich dort umzuziehen.

Diyas Kichern hallt von den Wänden wider. »Er muss sich doch vor uns nicht schämen.«

Aaron gibt einen merkwürdigen Laut von sich, der eine Mischung aus Grunzen und Zischen ist. »Immer nur hinter den Männern her … Ganz wie in alten Zeiten, nicht wahr, Diya?« Es klingt beinahe so, als wollte Aaron andeuten, dass Diya früher eine Hure war.

Sie erwidert daraufhin nichts, also muss Aarons harte Andeutung sie zum Schweigen gebracht haben.

Die silberne Kette mit dem altbekannten S-Symbol, die jeder Schatten trägt, hänge ich mir um den Hals, verstecke den Anhänger jedoch unter meinem Oberteil.

Meine neue Rüstung ist vollkommen schwarz und besitzt eine Kapuze, die mich beim Aufsetzen wie ein Sicaria des Imperiums aussehen lässt. In der Kleidung sind zahlreiche kleine Wurfwaffen verborgen und am Gürtel befestige ich meine alten Zwillingsdolche, die Aaron mitgenommen haben muss.

Als ich hinter der Wand hervortrete, nickt Aaron mir zufrieden zu und macht auf dem Absatz kehrt, Richtung Ausgang.

Ich folge ihm.

»Schlägst du etwa Wurzeln, Diya, oder bewegst du dich auch endlich mal vom Fleck?«, ruft Aaron, ohne sich dabei zu ihr umzudrehen.

Ein tiefes Knurren dringt zu mir und die zierliche Frau tritt nach vorne.

»Das wird eine lustige Reise.« Sie kichert amüsiert, und ihr gehässiger Unterton verpasst mir dabei eine Gänsehaut. Schatten scheinen nicht all ihre Gefühle verloren zu haben, sondern nur die, die einen Menschen ausmachen. Wie zum Beispiel Mitgefühl.

Diya betrachtet ihr Leben als Schatten wohl mit viel Gelassenheit und Heiterkeit. Genau das macht sie so unberechenbar.

Sie schließt zu mir auf und mustert mich von der Seite. »Sollten wir nicht bis zum Anbruch der Nacht warten?«, fragt sie in die Runde.

»Um den Tod unnötig lange leiden zu lassen? Keine Chance. Wir werden sofort aufbrechen. Die Nacht wird uns unsere Kräfte zurückgeben, die wir über den Tag verloren haben«, entscheidet Aaron und schießt nach vorne, sodass er aus meinem Blickfeld verschwindet.

Diya verdreht die Augen und setzt ebenfalls zum Spurt an.

Ich tue es den beiden gleich.

 

Aaron bleibt nach wenigen Minuten vor einem Dorf stehen. Dabei sieht er zu mir. »Wir beginnen mit kleinen Schritten.«

Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe, weil ich nicht verstehe, was er damit meint.

Diya verschränkt die Arme vor der Brust und seufzt. »Ich dachte, es gilt, so schnell wie möglich nach Massott zu kommen. Was soll das, Aaron?«, schimpft sie und springt übernatürlich hoch auf einen Ast. »Ist ja auch egal. Trödelt nicht zu lange. Ich werde hier warten.«

Aaron bedeutet mir, voranzugehen – was ich auch tue –, und richtet seine Worte noch ein letztes Mal an Diya. »Im Gegensatz zu dir will ich den Jungen nicht als Schatten verlieren.«

Sie zischt und schaut gelangweilt zu Aaron herab. »Nura wird dich dafür bestrafen, wenn es ihr zu lange dauert. Schließlich führst du diese Mission – zumindest bis wir Massott erreichen.«

»Keine Sorge, wir werden es pünktlich schaffen«, versichert er ihr und kehrt ihr den Rücken zu.

Er rückt zu mir auf und legt eine Hand auf meine Schulter. »Folge mir unauffällig.«

Ich warte, bis Aaron den ersten Schritt tut. Wir gehen auf das Dorf zu, auf dessen Hauptstraße reges Treiben herrscht. Trotz des lauten Stimmenwirrwarrs höre ich die Leute von einem Fest sprechen, das am heutigen Abend wohl stattfindet, welches auch den Aufruhr der Dorfbewohner erklärt.

Wir folgen einer Straße und ich ziehe mir die Kapuze über den Kopf, als mich der erste Blick eines imperialen Soldaten trifft. Meine Haut wirkt nun bleicher, meine Kleidung ist trotz ihrer neutralen Farben auffällig, da sie nicht denen der Dorfbewohner gleicht. Aaron und ich werden wie Fremde beäugt.

Etwas abseits des Dorfes kommen wir an einem Stall vorbei, einem Ort, an dem man Pferde verkauft. Als ich die Tiere beobachte, wie sie über die Weide laufen, kribbelt es in meinem Magen.

Aaron klopft an die Holztür des kleinen Häuschens und ein stämmiger Mann öffnet uns. Er betrachtet den schlaksigen Todeskriecher mit dem freundlichen Lächeln. »Guten Abend, der Herr. Wir suchen nach einer Grauschimmel-Stute und einem Friesen, die vor zwei Tagen abgegeben wurden.«

Erst jetzt begreife ich, was wir in diesem Dorf zu suchen haben. Ich sehe den stämmigen Mann mit kaltem Ausdruck an. »Sie hören auf die Namen ›Sleipnir‹ und ›Schneeweiß‹.«

Zuerst wirkt der Stallmeister misstrauisch, lässt jedoch nach einigen Sekunden die Schultern sinken und führt uns zur Weide, auf der die Pferde grasen. »Im Moment stehen alle hier. Vielleicht sind eure Pferde ja noch dabei.«

Was meint er damit? Gab es denn schon Interessenten in den letzten zwei Tagen? Hatte Nura nicht versprochen, die Pferde sicher unterzubringen? Von einem Verkauf war nie die Rede.

Mit einem Wink verabschiedet sich der Stallmeister wortlos und verschwindet in seine Stube.

Zu meinem Glück entdecke ich am Ende des eingegrenzten Bereichs einen schwarzen Hengst und eine Grauschimmel-Stute, die dicht beieinanderstehen, als gehörten sie nicht hierher.

Ich lege Zeigefinger und Daumen an den Mund und pfeife in ihre Richtung. Der Friese schaut sofort auf, spitzt die Ohren und sieht sich auf der Weide um. Als er Aaron und mich wahrnimmt, kommt er langsam herangeschritten. Schneeweiß folgt ihm.

Ich spüre die Aura des Hengstes. Er fürchtet sich vor mir, da ihm die Veränderung an mir aufgefallen ist. Mit beträchtlichem Abstand zu uns bleibt er stehen und schnaubt nervös.

»Ich dachte mir, dass du sie bestimmt wiedersehen möchtest.« Ich schaue über meine Schulter zu Aaron, der sich zum Gehen wendet. »Lass dir Zeit. Ich warte bei Diya auf dich.«

Nach einem Wimpernschlag ist Aaron verschwunden und ich bin mit den beiden Pferden allein. Ich schaue zu Sleipnir, der nervös vor- und zurücktritt. Als ich einen Schritt auf ihn zumache, stellt er sich schützend vor Schneeweiß. Seine Geste erinnert mich an Rave und mich.

»Ich kann es dir nicht verdenken«, flüstere ich und spüre, wie seine Aura ruhiger wird. »Auch wenn ich es selbst nicht gewollt habe, will ich meine zweite Chance nutzen.«

Sleipnir scharrt mit seiner Hufe auf der Wiese.

Ich senke den Blick und verschränke die Arme vor der Brust. »Ich möchte dich zu nichts zwingen. Wenn du lieber hierbleiben willst, tu das.«

Ein Seufzer verlässt meine Lippen und ich merke, Sleipnir löst etwas in mir aus. Die Kälte in meinem Inneren wird schwächer und Wärme tritt statt ihrer hervor. Plötzlich überkommt mich Enttäuschung, da ich befürchte, dass Sleipnir mir nicht folgen wird.

Meine neue Gestalt bedroht ihn, bereitet ihm Angst, weshalb ihm sein Instinkt sagen wird, er solle sich von mir fernhalten. Außerdem würde er auch Schneeweiß mit hineinziehen, die nicht mehr von seiner Seite weicht.

Als ich ohne Sleipnir aufbrechen will, lasse ich das Gatter offen und verharre noch eine Weile auf der Sitzbank am Haus des Stallmeisters. Die Pferde grasen weiter auf der Weide, keines wagt es, das sichere Zuhause zu verlassen. In mir breitet sich Unbehagen aus.

Sleipnir und ich haben beinahe jede Herausforderung bewältigt, die sich uns in den Weg stellte. Erst durch Raves Namensgebung wurde mir wirklich bewusst, wie nah wir uns standen und welch starke Freundschaft uns miteinander verband.

Ein Reiter und sein Gefährte.

Getrennte Wege.

Ich glaube langsam, das Gefühl von Einsamkeit wird mein neuer Begleiter sein. Schatten sind ungesellige, ungewollte Genossen. Niemand möchte freiwillig etwas mit den Gefährten des Todes zu tun haben. Also weshalb sollte sich Sleipnir entscheiden, mit mir zu kommen, um sein Leben an der Seite eines Untoten zu verbringen?

Ich schüttle den Kopf und erhebe mich von der Sitzbank. Das Warten ist Zeitverschwendung und meine Hoffnung ein menschlicher, dummer Gedanke.

Mit kalter Miene lehne ich das Gatter nur an und mache mich auf den Weg zu Aaron und Diya, die bereits auf mich warten. Obwohl ich mir die Kälte herbeisehne, damit sie die Enttäuschung und die Trauer überwältigen kann, tut es auf eine gewisse Weise auch gut, wieder etwas zu empfinden. Ich denke viel mehr nach, schiebe den Auftrag vorläufig beiseite und widme mich meinem inneren Chaos.

Aaron hat recht. Als Schatten würde ich auf ewig einsam bleiben. Doch als Todeskriecher, der seine innere Kälte besiegt und die fehlende Wärme zurückgewonnen hat, könnte ich möglicherweise an Raves Seite sein – sofern sie mich überhaupt noch will.

Als ich wieder am Waldrand ankomme, mustert mich Diya kritisch und stößt einen genervten Seufzer aus. »Ich hasse es, wenn du deinen Willen durchdrückst, Aaron«, meint sie und verschwindet spurlos.

Der Todeskriecher verdreht die Augen und schlägt mir lobend auf die Schulter. »Den ersten Schritt hätten wir getan.«

Ich sehe ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Ja, allerdings erfolglos. Vielleicht ist es aber besser so. Wir teilen nicht mehr dieselbe Welt.«

Aaron fasst sich ans Kinn und grinst hämisch. »Nur weil ihr in getrennten Welten lebt, heißt es noch lange nicht, dass ihr nicht zusammenarbeiten könnt.«

Er schaut in die Ferne, hinunter zum Feldweg, der zum Dorf führt. Zwischen den hohen Gräsern traben Sleipnir und Schneeweiß, die in meine Richtung gelaufen kommen.

Ich blicke verdutzt zu Aaron, der offensichtlich der festen Überzeugung war, dass die beiden mir folgen würden – ganz gleich unter welchen Umständen. »Eine Seele ist eine Seele – ob Mensch oder Tier. Letztendlich entscheidet das Band zwischen euch, welche Wahl die richtige ist.«

Als beide Pferde vor mir stehen bleiben, hebe ich die Hand, und Sleipnir drückt seinen Nasenrücken dagegen. Das taten wir beide immer, wenn wir uns begrüßten, eine Art vertraute Berührung, die wir uns im Laufe der Jahre aneigneten.

Ein kleines, kaum merkliches Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. »Danke.«

Er schnaubt zufrieden und auch Schneeweiß hebt munter den Kopf.

»Aber mit den Pferden sind wir langsamer«, bemerke ich und sehe Aaron an. Von Diya fehlt immer noch jede Spur.

Er verneint meine Aussage kopfschüttelnd. »Nicht mit deiner Rune.«

Aaron packt meinen rechten Unterarm und krempelt den Ärmel meines Hemdes hoch. Darunter entblößt er ein mir unbekanntes Runenzeichen. Es hat Ähnlichkeit mit der ›Schnelligkeits‹-Rune.

Die Hoffnung, die ich zuvor empfunden habe, blüht nun durch Sleipnirs Anwesenheit neu in mir auf. Ich fühle mich Rave ein Stückchen näher, da ich nicht mehr allein bin.

Aaron drückt meinen Arm auf den Hals von Sleipnir, der kurz zusammenzuckt, als mich eine Energie durchfährt. Ich mache erschrocken einen Schritt zurück und beobachte den Hengst, der auf seinen Hufen vor und zurück schwankt.

Nachdem seine Nüstern einmal kräftig gebebt haben, scheint er wieder seine Sinne gefasst zu haben.

Ich schaue misstrauisch zu Aaron, der die Situation zu erklären versucht: »Es dient der Stärkung eures Bandes, und deine Fähigkeiten übertragen sich auf den Hengst, sobald du aufgestiegen bist. Anfangs wird es für ihn etwas ungewohnt sein, aber mit der Zeit gewöhnt er sich daran.« Er grinst verschmitzt und hält seinen Unterarm in die Höhe. Nur einen Augenblick später landet darauf ein Falke, dessen Gefieder mir sehr bekannt vorkommt.

Ich lege den Kopf schief. »Bist du das?«

Aaron nickt und der Falke gibt einen lauten Schrei von sich. »Neagan und ich haben darauf gewartet, dass du aus deinem Totenschlaf zurückkehrst. Er hat sich nur noch nicht getraut, sich dir zu zeigen.«

Beim Klang seines Namens durchfährt mich ein warmes Kribbeln, denn er setzt sich aus Finnigan und Ravanea zusammen. Seine Anwesenheit erinnert mich wieder daran, welche wichtige Aufgabe mir aufgetragen wurde.

Bereit zum Aufbruch steige ich auf Sleipnirs Rücken und spüre das Herz des Hengstes schlagen. Sein Atem geht unregelmäßig. Er wirkt nervös. Beruhigend lege ich meine kalte Hand an seinen Hals. »Was ist mit Schneeweiß?«

Aaron zwinkert und geht respektvoll auf die Stute zu, die einen Schritt nach hinten tut. Der Todeskriecher verneigt sich vor dem Grauschimmel und lächelt das Pferd freundlich an. »Wenn Ihr erlaubt, werte Dame.«

Ich verdrehe die Augen. Dieser Witzbold! »Aaron, sie versteht weder deine Geste noch deine Worte.«

Aaron lacht und richtet sich wieder auf. »Du weißt so wenig über das Leben, Finn.«

Doch tatsächlich scheint Schneeweiß ihr Misstrauen gegenüber Aaron abgeschüttelt zu haben, denn sie lässt es zu, dass er seine Rune an ihren Hals drückt und auf ihren Rücken steigt. Verblüfft sehe ich die beiden an.

»Bereit, nach Massott aufzubrechen?«, fragt Aaron.

Ich nicke und höre Neagan über unseren Köpfen kreischen.

Na dann los.

2 - Ravanea

 

»Finn, ich will das nicht tun«, flüstere ich heiser und spüre, wie meine Wangen aufgrund der vielen Tränen brennen. Ein dicker Kloß steckt in meinem Hals, bereitet mir Schmerzen.

»Auch wenn wir … nie einen Moment für uns hatten … Rave … warst du alles … was ich … gebraucht habe. Ich bereue … nichts.«

Sag das nicht, Finn. Sag das bitte nicht. Ich will nicht mehr allein sein.

Bei der Erinnerung zieht sich etwas schmerzhaft in meiner Brust zusammen und bohrt sich bis zu meinem Herzen durch.

»Du hast es versproch…« Seine Stimme bricht ab und ich sehe ihn mit großen Augen an.

Ein Energieschub fährt augenblicklich durch meinen Körper und nackte Angst kontrolliert mich.

»F-Finn?«, stammle ich.

Seine Hand fällt schlaff aus meiner und ich rüttle an seinen Schultern. Er rührt sich nicht mehr und beinahe zerspringt mir das Herz in der Brust.

Die Bilder verschwinden und ein Schmerz schießt durch meine Rippen. Heißes Eisen drückt sich in meine Haut, hinterlässt eine unvorstellbare Qual, sodass ich laut aufschreie.

Als ich nach oben schaue, blicke ich in die stechend blauen Augen von Kora, deren aschblonde Haare im Schein eines Lichtkegels leuchten. Sie nimmt das Eisen von meiner Haut und schleudert mir die Stange gegen die Schläfe. Die Wucht lässt meinen Kopf auf den Boden aufschlagen. »Elendes Miststück! Wie lange muss ich dich noch quälen?«

Mein Kopf pocht, alles verschwimmt vor meinen Augen und der Schmerz zerreißt mich beinahe. Ich habe das Gefühl, etwas würde unter meiner Schädeldecke explodieren. Meine Lippen beben, ich schließe die Augen und denke an zu Hause.

Ich rufe mir Mutters Lächeln, Vaters starke Hand an meiner Schulter und Ravass’ brüderliche Umarmung in Erinnerung. Wärme umgibt mich, lindert den Schmerz meines geschundenen Körpers und schenkt mir Geborgenheit.

Ich wollte all das nicht.

Ich wollte diese Rune nicht.

»Schafft sie mir aus den Augen«, befiehlt Kora genervt und wendet sich von mir ab.

Als sich meine Lider wieder schwer öffnen, packen zwei Männer meine Arme und schleifen mich aus der Folterkammer. Sie bringen mich in meine Zelle, in die ich wie Abfall hineingeworfen werde. Anschließend höre ich, wie sich der Schlüssel dreht. Stille legt sich über den Raum.

Ich schließe die Augen und Tränen rinnen meine Wangen hinab.

Wie lange werde ich noch durchhalten?

Wann wird das Imperium endlich verstehen, dass sie meine Rune niemals erwecken werden?

Hitze umfängt mich, Schweißperlen laufen an meinen Schläfen hinunter. Ich fühle mich schwach und krank.

Es ist das Fieber.

Erst vor drei Tagen hatte mich Kora erneut in die Folterkammer geschleift, sodass meine entzündeten Wunden ein Fieber in mir auslösten. Die Heiler versuchten ihr zu erklären, dass ich vorerst Ruhe bräuchte, bis ich wieder für einen weiteren Folterungsprozess stark genug wäre.

Doch sie konnte ihre Gelüste nicht unterdrücken.

Es dürstete sie nach Blut, nach Wehklagen, nach Schmerz.

Vielleicht ist heute der Tag meiner Erlösung.

Ich will endlich von meinem Schicksal befreit werden.

 

Als ich die Augen öffne, entdecke ich über mir einen Baldachin aus Blättern und Zweigen, die Sonne scheint vereinzelt hindurch und eine kühle Sommerbrise streicht sanft über meine Haut.

Dieser Baum … wieso kommt er mir so bekannt vor?

Der Duft von gekochten Brillblüten dringt in meine Nase und ich drehe den Kopf in die Richtung des Duftes.

An einem Dreigestell hängt ein kleiner Metalltopf über dem Feuer. Daneben blicke ich direkt in die dunkelbraunen Augen von Finn. Er schmunzelt und wirft weitere Brillblüten in den Topf hinein.

»Finn?«, hauche ich und seine Anwesenheit zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.

Als ich mich erhebe, wird mir bewusst, dass das Fieber verschwunden ist und ich mich ungewöhnlich lebendig fühle. Möglicherweise habe ich all dies nur geträumt.

Finn zu sehen, ihn unversehrt zu wissen, erfüllt mich mit unvorstellbarer Freude und Erleichterung.

Ich rücke zu ihm und schlinge meine Arme um seinen Körper. »Dir geht’s gut«, flüstere ich und merke, wie Tränen meine Wangen hinablaufen. »Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren.«

Finn erwidert meine Umarmung, hält mich fest umschlungen und streicht mir zärtlich über das blonde Haar. »So leicht wirst du mich nicht los«, raunt er und küsst meine Schläfe.

Als wir uns lösen, blicke ich ernst zu ihm. »Was ist mit dem Imperator? Aaron? Nura und Mutter?«

Finn legt den Kopf schief und grinst. »Rave, wovon sprichst du?«

Ich sehe ihn verwirrt an. Erinnert er sich denn nicht? »Weißt du nicht mehr, was passiert ist? Du wurdest von einer ›Todesurteil‹-Rune getroffen und bist an ihrem Gift …« Ich schlucke.

Er lacht. »Rave, hast du dir den Kopf irgendwie angestoßen?«

Ich stelle mich auf meine zwei Beine und rücke von ihm ab.

Er muss sich erinnern. Wie kann er all das vergessen haben?

Oder ist es nur ein böser Albtraum gewesen?

Als ich nach oben schaue, verdunkeln schwarze Wolken den Himmel und lassen dicke Regentropfen auf die Erde niederprasseln. Das Feuer erlischt, alles um mich herum beginnt zu sterben. Die grünen Blätter der Bäume vertrocknen unnatürlich schnell und werden von heftigen Windböen ihren Zweigen entrissen. Das Gras verkommt, Blüten gehen ein und innerhalb weniger Sekunden gleicht alles einem toten Land.

Als ich den Blick wieder auf Finn richte, entdecke ich schwarze Fäden, die sich seinen Hals hinaufschlängeln. Seine Haut verblasst, sein Körper wirkt dürr und ausgehungert.

Angst überkommt mich. Ich will auf ihn zulaufen, als ein heftiger Windstoß mich wieder zurückdrückt. »Finn!«, schreie ich durch den tosenden Sturm.

Doch er steht einfach nur da. Jegliche Freude ist ihm aus dem Gesicht gewichen und seine Augen haben ihr Licht verloren. Hinter ihm erscheinen plötzlich Mutter und Vater, die eine Hand auf seine Schultern legen.

Was tun sie hier?

Ich starte einen erneuten Versuch, zu ihnen durchzudringen, doch der Wind verwehrt mir mein Vorhaben. Verzweifelt rufe ich immer wieder nach Finn, doch er antwortet nicht.

Sie drehen mir ihren Rücken zu und gehen in die Richtung der verdorrten Bäume. Mutter wirft mir noch einen letzten Blick zu, bevor sie in den Schatten des Waldes verschwinden.

Ich falle auf die Knie und lege die Arme um meine Mitte.

Was ist das hier? Träume ich noch? Wieso fühlt sich alles so real an?

 

Finns grauenhafter Anblick versetzt mir einen Stich ins Herz. Er ist fort. Ich habe ihn einfach liegen lassen, als er seinen letzten Atemzug tat. Wieso konnte ich ihn nicht retten?

Das ist alles meine Schuld.

Jeder, der in meiner Nähe ist, wird leiden oder sterben. Zuerst litten meine Eltern, dann Ravass, dann Nura und anschließend Finn. Ich habe den einen Menschen verloren, der mir am meisten bedeutete, der für mich sein Leben ließ.

Nun ist er fort. Für immer.

Ich lege den Kopf auf meine Arme und vergieße bittere Tränen. Wie lange muss ich noch weglaufen, um endlich in Freiheit leben zu können? Wann hat das Blutvergießen ein Ende? Wie soll ich ganz allein das Imperium aufhalten? Der Imperator erschien mir so mächtig …

 

»Du schaffst das.«

Ich hebe den Kopf und schaue mich um. Woher kommt diese Stimme? Ich richte mich auf und lasse den Blick über die Umgebung schweifen. Das Haar peitscht mir ins Gesicht, die starken Böen werden mit jeder Sekunde kräftiger.

»Nimm meine Hand«, ertönt erneut die mir unbekannte, männliche Stimme.

Ich versuche trotz des Sturmes eine Person zu erkennen, muss jedoch ständig die Augen schließen, da mir Staub ins Gesicht weht. Kraftvoll will ich einen Schritt nach vorne machen, werde jedoch vom Wind zurückgeworfen. Bevor dieser mich mit sich reißen kann, umschlingen mich zwei muskulöse Arme und meine Welt wird schwarz.

Die Illusion entgleitet mir und ich werde zurück in die Wirklichkeit geschleudert.

 

Mit einem lauten Atemzug wache ich auf und mich umgibt eine beißende Kälte. Fröstelnd greife ich nach der Felldecke, die jemand auf meinen in Leinen gekleideten Körper gelegt hat, und ziehe sie mir bis zur Brust. Blondes Haar fällt mir über die Schulter und ich greife nach einer der Strähnen.

Meine Nutzrune hat nachgelassen und nun meine goldene Haarfarbe wieder hervorgebracht. Wie lange habe ich geschlafen? Wie viel Zeit ist vergangen, seitdem ich das Bewusstsein verlor?

Mein Blick gleitet durch den Raum. Die Wände sind aus dickem Holz erbaut, an den Fensterscheiben entdecke ich Schnee und es scheint tief in der Nacht zu sein. Auf einem kleinen Tisch neben einer Tür steht eine Kristallleuchte, die jemand für mich angelassen haben muss.

Ich steige aus dem Bett und lege die Arme um mich. Die Kälte kriecht in meine Glieder und lässt mich zittern.

Wo befinde ich mich? Jedenfalls fühlt es sich nicht nach Oceana an.

Als ich die Tür öffne, ist es im nächsten Raum still und dunkel. Ich nehme meine Kristallleuchte, die ein sanftes hellblaues Licht ausstrahlt und an einen handgroßen Steinklumpen erinnert.

Ob mich möglicherweise Mutter gerettet hat? Aber wie konnte sie dem Imperator entkommen, obwohl er direkt vor ihr stand? Hatte sie einen Fluchtplan?

Ich trete in die Stube hinein und erleuchte einen Esstisch. Daneben fällt mir eine Kochstelle auf, deren Kohle bereits verglüht ist. Ich muss in einem einfachen Bauernhaus gelandet sein, wem es auch immer gehören mag.

Im selben Moment, in dem ich mich den restlichen Räumen zuwenden will, entdecke ich eine Person, die neben der Haustür steht. Es handelt sich um einen jungen Mann, dessen Fellmantel mit Schneeflocken bedeckt ist.

Wie angewurzelt bleibe ich stehen, während ich nach einer Waffe Ausschau halte, mit der ich mich verteidigen kann.

Wer sagt mir, dass ich nicht in den Händen des Imperiums bin? Oder in der Gewalt eines weiteren Kopfgeldjägers?

»Ravanea«, grüßt er mich in einem kalten Ton. »Du bist erwacht.«

»Woher kennst du meinen Namen?«, knurre ich und stelle mich schützend hinter den Esstisch – jederzeit bereit, die Flucht zu ergreifen.

»Du siehst aus wie deine Mutter«, meldet sich eine zweite Stimme zu Wort.

Mein Blick huscht zu einer weiteren Tür, die womöglich zu den restlichen Zimmern führt. Eine ältere, buckelige Dame tritt in die Stube und stützt sich mit einem alten Gehstock ab.

Sie schaut mich abschätzend an. »Doch die Wangen und die Augen hast du von deinem Vater.«

»Wer seid ihr?«, hinterfrage ich misstrauisch.

Bitte kein Imperium.

Der junge Mann tritt nach vorne, sodass er in dem Licht meiner Kristallleuchte zum Stehen kommt. Seine Haare sind goldbraun und zum Teil nach hinten zusammengebunden. Um seinen Mund befinden sich leichte Stoppeln, die ihn erwachsen wirken lassen.

Er sieht mich mit seinen grünen Augen an. »Freunde deiner Eltern. Wir haben dich vor wenigen Tagen bewusstlos im Schnee gefunden und uns um dich gekümmert.«

Die alte Dame nickt, wobei eine einzelne graue Strähne aus ihrem Haarknäuel fällt. »Weißt du, wo du bist?«

Ich schüttle den Kopf. »Ich bin nicht weit weg von Grottenstadt bewusstlos geworden.«

Beide heben verblüfft die Augenbrauen. Dem jungen Mann entfährt ein »Wie ist das möglich?«.

Die grauhaarige Frau fasst sich nachdenklich ans Kinn und sieht zu Boden.

»Was meinst du?«, hake ich nach.

»Du bist im Dorf Urnach. Sagt dir das etwas?«

Erneutes Kopfschütteln meinerseits. »Noch nie gehört.«

Er seufzt. »Das liegt im Norden Amateas.«

Mir klappt die Kinnlade herunter und ich mache einen Schritt auf beide zu. »Was sagst du da?«

Wie komme ich von Süden nach Norden? Eine solche Reise würde selbst mit dem Pferd Wochen dauern. »Ihr sagtet, ich habe nur wenige Tage geschlafen?«

Er stemmt einen Arm in die Hüfte. »Ja, drei.«

»Ich habe mir schon so etwas gedacht«, meint die alte Dame.

Sie geht zu einem Wandsymbol, das wohl eine eingearbeitete Nutzrune ist, und betätigt diese. Überall erhellen Kristallleuchten mit ihrem warmen Licht den Raum.

Am Tisch lässt sie sich auf einen Stuhl stöhnend fallen. »Diese alten Knochen …«, sagt sie eher zu sich selbst.

»Geht’s, Myra?«, fragt der in Jägerrüstung gekleidete Mann.

Seine Großmutter ist sie wohl eher nicht. Ob sie befreundet sind? Schließlich scheinen nur beide in diesem Bauernhaus zu leben.

Sie schenkt dem Mann ein Lächeln und wendet sich an mich. »Du wurdest durch einen mächtigen Runenzauber hierherbefördert. Es gibt eine sehr seltene Rune, die sowohl Gegenstände als auch Personen von einem Ort zum anderen bringen kann. Von jetzt auf gleich. Doch je größer die Entfernung ist, desto mehr Lebenskraft benötigt sie.«

»Aber das muss einiges an Lebenskraft gekostet haben«, bemerke ich.

»So ist es. Wenn ich das richtig abschätze, würde es sogar alles kosten. Ein ganzes Leben«, meint die alte Frau.

Für einen kurzen Moment zieht sich schmerzhaft mein Herz zusammen.

Nein, sie muss sich irren.Mutter würde sich nicht opfern. Ich kann nicht noch jemanden verlieren, den ich …

»Das ist eine Lüge«, hauche ich und spüre dabei einen dicken Kloß in meinem Hals.

»Wenn du wirklich aus Grottenstadt mit dieser Rune hierhergebracht worden bist, habe ich daran keinen Zweifel. Die Entfernung ist viel zu groß.«

Mutter soll ihr Leben für meines geopfert haben? Aber was ist mit ihrer Kraft als Todeskriecher? Vielleicht kann sie gar nicht mehr sterben, da sie Nuras Macht dazu genutzt hat. Sie muss nicht tot sein.

»Aber was ist, wenn diese Person kein Mensch mehr ist, sondern … mächtiger?«, füge ich hinzu und sehe der alten Dame hoffnungsvoll in die Augen.

»Ich denke, nur der Schöpfer selbst würde eine solche Entfernung unbeschadet überleben, meine Liebe«, erklärt Myra in einem traurigen Tonfall.

Plötzlich merke ich, wie meine Sicht verschwimmt und Tränen über meine Wangen kullern. »Mutter …«

Ich ertrage das nicht. Bitte, nicht noch jemand. Das ist … zu viel …

Myra sieht mich voller Mitleid an und ich schlinge die Arme um meine Mitte. Es wird kälter um mich herum und ich habe das Gefühl, etwas schnürt mir die Kehle zu.

Ich muss hier raus!

Als die Tränen an meinem Kinn zusammenlaufen, gehe ich in schnellem Schritt auf die Tür zu und stürme nach draußen. Eisiger Wind weht mir ins Gesicht und in der Ferne erkenne ich vereinzelte Kristallleuchten, die wie kleine weiße Punkte in der Nacht glühen.

Meine nackten Füße tauchen in den kalten Schnee, der mir sofort eine Gänsehaut verpasst. Ich ignoriere jedoch den beißenden Schmerz der Kälte und laufe einfach weiter, bis ich an einem Abgrund zum Stehen komme und auf ein Tal hinunterblicke.

Das Dorf scheint größer zu sein, als ich gedacht habe. Die Häuser, die dort unten keinen Platz mehr fanden, wurden auf den Hängen gebaut, die teilweise bis zum höchsten Punkt des Gebirges führen.

Ich bin im Norden Amateas. Solche hohen und kalten Talhänge gibt es selbst in den südlichen Bergen nicht.

Mutter rettete mich also, indem sie mich nach Urnach schickte. Sie gab ihr Leben, um mich vor den Fängen des Imperiums zu bewahren.

Ich habe Finn verloren. Jetzt auch noch sie.

Meine Beine zittern so stark, dass ich auf die Knie falle und im eisigen Schnee sitzen bleibe. Die Tränen hinterlassen auf meiner Wange einen brennenden Schmerz, die Kälte beißt sich bis zu den Knochen, und Hoffnungslosigkeit erfüllt mich.

Warum muss ich den Erbauer suchen? Was ist mit Nura und ihren Todeskriechern? Ob sie gegen den Imperator kämpfen mussten?

Knirschende Schritte im Schnee nähern sich mir. »Es ist eiskalt hier draußen. Du wirst dich noch erkälten«, ruft jemand von Weitem.

Ich drehe mich zu der Stimme um und sehe den jungen Jäger, der durch den Schnee auf mich zu watet. Als er neben mir stehen bleibt, nimmt er seinen Fellmantel ab und legt ihn um meine Schultern. »Die Kälte hier zerfrisst einen förmlich. Komm bitte wieder rein.«

Ich blicke den Abgrund hinunter und Entmutigung überkommt mich. Wie soll ich überhaupt zu den Königsinseln gelangen, um den Erbauer zu finden? Finn ist nicht da, er kann mich nicht vor dem Imperium schützen, das überall meine Steckbriefe ausgehangen hat. Jetzt, da Kora, die Kommandantin, weiß, dass ich ihr entwischt bin, wird sie die Belohnung für meine Gefangennahme verdreifachen.

Ich müsste versteckt bleiben, ständig auf der Hut sein und eine Möglichkeit finden, ungesehen zu den Königsinseln zu kommen, auf denen sich der Erbauer aufhalten soll.

Es würde verdammt schwer werden.

Ich schließe die Augen und höre Finns letzte Worte in meinem Kopf nachhallen. »Du bist stark … Rave. Das hast du mir … oft bewiesen.«

Aber das war ich nur, weil du an meiner Seite warst, sage ich zu mir selbst.

»Versprich mir … dass du … dem Imperium entkommen wirst … und nicht aufgibst«, flüsterte er.

Ich weiß nicht, ob ich das Versprechen je halten kann.

»Du hast es versproch…«, ächzte er, als in diesem Augenblick das Leben aus ihm wich.

Ich balle die Hände zu Fäusten und hämmere damit wütend auf den Boden ein. Dabei schreie ich laut und verfluche die Welt, die mir all das genommen hat, was ich einst liebte.

Meine Tränen tropfen in den Schnee, einzelne Flocken bleiben an meinen Strähnen haften und meine Beine werden langsam taub.

Der stechende Schmerz tut mir auf eine unerklärliche Weise gut. Er gräbt sich zu meinen Knochen durch, schürt die Wut und die Trauer in mir, die mich beherrschen. Ich weiß, Nura zählt auf mich, weil sie fest daran glaubt, dass ich den Erbauer finden und erwecken werde.

Doch wie hoch wird der nächste Preis dafür sein?

»Tut mir leid, aber ich kann nicht zulassen, dass du hier draußen erfrierst«, sagt der Jäger hinter mir, und ehe ich michs versehe, packt er mich unter den Armen, um mich zurück ins Bauernhaus zu tragen.

Ich lasse es zu.

Schon lange habe ich mich nicht mehr so hoffnungslos gefühlt wie in diesem Moment.

»Iain! Leg sie vor die Feuerstelle«, ruft Myra.

Als er mich auf weiches Wolfsfell bettet, umgibt wohltuende Wärme meinen Körper und ich merke dadurch erst, wie unterkühlt ich bin.

Iain legt eine weitere Decke über mich und ich höre, wie die beiden am Tisch Platz nehmen. Mein Blick ist auf die ruhige Flamme gerichtet.

»Tut mir leid, dass du Verluste erlitten hast.« Myras Worte gelten mir. »Ich kenne diese Situation nur zu gut.«

Aber wann wird der Schmerz vorübergehen? Wieso habe ich das Gefühl, immer tiefer in ein dunkles Loch zu fallen, umgeben von Schwärze und Stille.

»Deine Mutter und dein Vater wussten von unserem Dorf. Sie sind damals zu uns gekommen, als sie dich aus Baltora befreien wollten. Sie entwickelten hier bei mir ihren Plan«, erzählt Myra. »Die Hauptstadt ist nur vier Tagesritte entfernt, weißt du.«

So nah …

Alte, schmerzhafte Erinnerungen an den Ort versuchen sich einen Weg in meine Gedanken zu bahnen, doch ich halte sie mit Mühe von mir fern.

»Dann wisst ihr also alles über mich? Dass ich vom Imperium gesucht werde, eine Abtrünnige bin und ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt ist?«, frage ich.

Ich höre Myra laut ausatmen. »Ja, und wir wissen von deinem kleinen Geheimnis auf dem Rücken.«

Als sie diese Worte ausspricht, spüre ich einen Tritt in meine Magengrube. Woher? Haben Mutter und Vater etwa mein Geheimnis weitergereicht?

Entsetzt über das Gesagte erhebe ich mich und sehe in ihre grünen Augen. »Wie bitte?«

Sie verlagert ihr Gewicht auf den Gehstock, den sie zwischen ihre Beine gestellt hat. »Deine Eltern sind gute Freunde von uns gewesen. Wir haben selbst einige Krisenzeiten durchlitten, von denen gewissermaßen das Imperium der Auslöser war.« Sie seufzt. »Vor einigen Jahren traf ich Iain auf dem Markt in Silvereast, der gerade dabei war, einen Handel mit einem Waffenmeister einzugehen. Das Schwert, das er haben wollte, war mit besonderen Nutzrunen versehen und von großem Wert. Iain versuchte die Waffe herunterzuhandeln und hätte es auch fast geschafft, wenn Lord Reymond den Preis nicht überboten hätte.«

Iains Blick verfinstert sich. »Zu diesem Zeitpunkt kannte ich Lord Reymond noch nicht, weshalb ich mich wehrte und ihn für seine dreiste Art beleidigte.«

Myra senkt den Kopf. »Es geschah alles sehr schnell. Der Lord ließ Iain festnehmen und zum Festplatz bringen, wo er öffentlich ausgepeitscht wurde.«

Eine Gänsehaut überzieht meinen Körper und hinterlässt dabei einen eisigen Schauer auf dem Rücken.

»Dreißig Peitschenhiebe und jeder einzelne davon war eine Qual«, fügt Iain mit schwacher Stimme hinzu und schließt die Augen, als könnte er die Erinnerung daran nicht ertragen.

»Lord Reymond warf Iains geschundenen Körper in einen Schweinestall, wo er an seinen Wunden hätte verbluten sollen«, übernimmt Myra wieder die Geschichte. »Als Lord Reymond mit seinen Männern verschwand, bat ich meinen Enkel, mir zu helfen und Iain in mein Haus zu holen, in dem ich mich um seine Wunden kümmerte. Zum Glück schaffte ich es, ihn zu retten, aber in Silvereast konnte er nicht bleiben.«

Iain verschränkt die Finger ineinander und legt seine Hände auf die Oberschenkel. »Lord Reymond besitzt sowohl in Tallel als auch in Silvereast ein Anwesen. Es war einfach zu gefährlich, mich in der Stadt aufzuhalten, da der Lord mich für tot hielt.« Sein Blick wandert kurz zu Myra. »Als ich aufbrechen wollte, erreichte Myras Enkel ein Brief des Lords, eine Vorladung. Allerdings war der Junge erst zehn Jahre alt und auch Myra ahnte nichts Gutes. Doch sie hatten keine Wahl, als bei ihm vorzusprechen.«

Myras Augen werden glasig und tiefe Trauer spiegelt sich darin wider.

Iain fährt fort: »Lord Reymond ließ ihren Enkel enthaupten. Er verübte an Myra Rache, weil sie mich wieder geheilt hatte, obwohl der Lord ausdrücklich anordnete, dass mir niemand helfen dürfe. Vermutlich hat er von meiner Heilung erfahren und schickte seine Anhänger, um herauszufinden, wer mich wieder auf die Beine zog.«

»Danach haben wir Silvereast verlassen, weil ein Vertrauter des Imperators mir alles genommen hat, was ich liebte«, beendet sie die Erzählung und senkt den Kopf.

Ich weiß, was dann in einem vorgeht. Dieses Gefühl zerfrisst einen. Es brennt sich bis zu deinem Herzen durch. Ich verziehe die Mundwinkel. »Das tut mir sehr leid.«

»Als deine Eltern hierherkamen, hatten wir einen gemeinsamen Feind und ich fühlte mich verpflichtet, ihnen zu helfen. Der Verlust eines Kindes ist eine unerträgliche Pein, die einen nie wieder gehen lässt. Ich wollte, dass deine Eltern Erfolg haben und dich aus Baltora befreien, damit sie nicht den Schmerz erleiden, den ich einst ertrug«, erklärt Myra.

Ich wünschte, sie hätten dafür ihr Leben nicht geben müssen.

Sehnsucht erfüllt mich und schürt die Trauer in mir. »Vater wurde gefasst, doch Mutter und ich überlebten. Wir versteckten uns, zumindest so lange, bis das Imperium uns wieder auf die Schliche kam«, erzähle ich und bleibe nicht ganz bei der Wahrheit. Über die Todeskriecher sollten sie nichts wissen, das würde sie nur beunruhigen.

»Aber du lebst und das ist alles, was für deine Eltern zählte.«

Ja, das klingt nach ihnen.

Ich bereue es, Mutter angeschrien zu haben, weil sie sich wegen der Warnung der Seherin Mea zurückhalten musste und mich die letzten Monate in Massott allein ließ. Statt sie in die Arme zu schließen, ihr zu sagen, wie froh ich darüber bin, sie wiederzusehen, habe ich sie von mir gestoßen.

Erneut stauen sich Tränen in meinen Augen und rinnen leise meine Wangen hinab. »Darf ich bitte allein sein?«

Für einen kurzen Moment herrscht Stille im Raum, doch dann setzen sich beide schweigsam in Bewegung und ich höre, wie hinter mir eine Tür geöffnet und geschlossen wird.

Draußen rüttelt der eisige Wind an den Fenstern und pfeift durch die Wände und Decken. Ich lege mich auf die Seite, den Blick aufs Feuer gerichtet. Entschlossen, mich meinem inneren Schmerz zu stellen, lasse ich all die Gefühle in meine Gedanken strömen und spüre, wie sie mich Stück für Stück zerfressen.

Ich kann einfach nicht vergessen.

3 - Finnigan

 

Wir reiten drei Tage lang Richtung Massott. Diya ist wütend darüber, dass wir die Pferde zur Fortbewegung nutzen und nicht unsere Fähigkeiten. Allerdings sind unsere Pferde ein gutes Stück schneller als normale – dank unserer außergewöhnlichen Runen, die wir auch auf Tiere übertragen können. Ohne sie wären wir noch immer schneller, doch Aaron besteht darauf, sie nach Massott mitzunehmen.

Um uns zu ärgern, verschwindet Diya ab und an einfach und taucht erst viele Stunden danach wieder auf.

Aaron macht eine wegwerfende Handbewegung. »Sie ist stur. Außerdem war sie schon immer eine Einzelgängerin.«

Um ehrlich zu sein, stört mich Diyas Kommen und Gehen nicht, nur Aaron scheint sich darüber etwas zu ärgern. »Vielleicht ist sie gar nicht so weit weg, wie wir annehmen.«

»Als ich das letzte Mal mit Diya unterwegs war, lief ich an einer Banditengruppe vorbei, um die sie sich schon längst gekümmert hatte. Schatten kennen keine Ehre, kein Mitgefühl und keine Gnade. Diya hat diese Männer getötet, um Komplikationen auf unserer Reise zu vermeiden.« Er seufzt. »Für sie ist der Tod die schnellste Lösung. Sie denkt nicht darüber nach, wie man dem Problem am besten aus dem Weg gehen könnte, ohne dabei Blut zu vergießen.«

Im ersten Moment frage ich mich, weshalb Aaron nicht derselben Meinung ist wie Diya. Banditen sind rücksichtslose Barbaren, die dem Gesetz den Rücken gekehrt haben, um nach ihren eigenen Regeln zu leben. Sie verdienen den Tod.

Doch dann höre ich eine mir bekannte Stimme im Kopf echoen: »Und weil ich glaube, dass du ein ehrbarer Mann bist, Finnigan Bassett, wirst du diese Schuld auch begleichen.«

Rave.

Erneute Sehnsucht erfüllt mich.

Sie hat recht, das bin nicht ich, der so denkt. Es ist der Schatten in mir.

Als ich neben Aaron reite, mustert mich dieser von der Seite. »Wie fühlst du dich gerade?«

Ich ziehe eine Augenbraue in die Höhe. »Gut. Weshalb fragst du?«

Er presst die Lippen aufeinander und sieht wieder nach vorne. »Ich habe gedacht, das Wiedersehen mit Sleipnir und Schneeweiß würde ein wenig deine Gefühle wecken. Doch du wirkst noch genauso kalt wie bei deiner Wiederauferstehung.«

Ich umfasse die Zügel fester. »Du willst um jeden Preis, dass ich zu einem Todeskriecher werde, oder?«

Aaron nickt entschlossen. »Auf jeden Fall. Für Rave. Und für deine Familie – solltest du sie je wiedersehen.«

Alle halten mich nun für tot. Auch meine Schwester und meine Eltern. Ob Kora mich als Verräter gebrandmarkt hat? Diesen Gedanken habe ich seit meinem neuen Leben als Schatten noch nicht gehegt, da es mir zum Teil gleichgültig ist, was die Leute über mich sagen. Selbst meine Familie.

Doch sobald ich an Rave denke und mich an ihre angstvollen Augen erinnere, die mich während meines letzten Atemzuges ansahen, überkommt mich Reue.

Reue, dass ich nicht stark genug für sie gewesen bin.

Reue, dass sie glaubt, ich sei gestorben.

Reue, dass ich jetzt nicht bei ihr sein kann.

»Gib ihm Zeit, Aaron«, ertönt Diyas kecke Stimme neben uns. »Bei dir hat es schließlich ebenfalls einige Wochen gedauert, auch wenn es dir am Ende nicht wirklich etwas brachte.«

Was meint sie wohl damit?

Aaron würdigt sie keines Blickes und starrt stur geradeaus. »Gerade war es noch schöner ohne dich.«

Sie beginnt zu lachen. »Aber genau aus dem Grund bin ich zurückgekommen.« Sie wirft eine ihrer blonden Strähnen über die Schulter und grinst Aaron an. »Im Gegensatz zu euch habe ich schon einige Vorkehrungen in Massott getroffen.«

Aarons Körper spannt sich an. »Welche?«

Sie hebt die Arme und kichert vergnügt. »Keine Sorge, niemand ist gestorben. Ich habe euch beiden eine Unterkunft verschafft, da ihr wohl ein paar Tage in Massott bleiben werdet.«

»Wieso?«, frage ich irritiert.

»Weil Ravatorias Sohn in den untersten Gewölben Massotts eingesperrt ist. Er ist wohl schon ein paar Wochen dort unten und sein Zustand ist … kritisch.«

Aaron hält das Pferd an und sieht erschrocken zu Diya. »Was sagst du da?«

Ob sie herausgefunden haben, dass er Rave heimlich versteckt hielt? Wusste Fiora davon und hat Ravass dafür büßen lassen? Ein ungutes Gefühl macht sich in meinem Magen breit. Ohne Ravass können wir Rave niemals finden. Er muss um jeden Preis am Leben bleiben.

»Woher weißt du das?«, hinterfrage ich misstrauisch.

»Ich habe den Wachen gelauscht.«

»Wir sollten keine Zeit verlieren«, sagt Aaron. Er zieht die Zügel stramm und treibt Schneeweiß zum Galopp an.

Ich folge ihm mit Sleipnir, und Diya verschwindet wieder spurlos.

 

Wir erreichen früher als geplant die Stadt Massott. In den letzten Wochen muss es kaum geregnet haben, sodass eine erdrückende Schwüle in der Luft liegt. Der zuvor klebende Schlamm hat sich in staubige Erde gewandelt. Die Hitze macht die Leute sichtlich träge und müde.