Wahnsinn Kreuzfahrt - Wolfgang Meyer-Hentrich - E-Book

Wahnsinn Kreuzfahrt E-Book

Wolfgang Meyer-Hentrich

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Beschreibung

Die Schattenseiten eines Booms
Was früher ein Privileg für Wohlbetuchte war, ist heute ein Massenvergnügen: Kreuzfahrten. Ob AIDA, TUI Cruises, MSC oder andere – mit günstigen Preisen locken sie jedes Jahr mehr Menschen auf ihre Schiffe. Dabei erzielen die Reedereien Gewinne, wie sie sonst wohl nur beim Glücksspiel anfallen. Eine Erfolgsgeschichte? Wolfgang Meyer-Hentrichs ebenso kritisches wie unterhaltsam geschriebenes Buch macht klar: Das Geschäftsmodell der Kreuzfahrtunternehmen basiert auf Steuervermeidung, Ausbeutung des Personals und dem skrupellosen Umgang mit der Natur. Den Preis dafür zahlen letztlich wir alle.

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Seitenzahl: 286

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Wolfgang Meyer-Hentrich

WAHNSINNKREUZFAHRT

Gefahr für Natur und Mensch

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, März 2019entspricht der 1. Druckauflage von März 2019© Christoph Links Verlag GmbHSchönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected] S. 7 oben aus: Elias Canetti, Gesammelte Werke, Band 3:Masse und Macht, Carl Hanser Verlag München 2016, S. 14.Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Carl HanserVerlags. © 2016 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München.Zitat S. 7 unten aus: Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten I.Bewußtseins-Industrie, S. 204. © Suhrkamp VerlagFrankfurt am Main 1964. Alle Rechte bei und vorbehaltendurch Suhrkamp Verlag Berlin. Der Abdruck erfolgt mitfreundlicher Genehmigung des Suhrkamp Verlages.Umschlaggestaltung: Eugen Bohnstedt, Ch. Links Verlag,unter Verwendung eines Fotos von Stefano Rellandini:Das Kreuzfahrtschiff »MSC Divina« taucht in der Lagune vonVenedig auf, 16. Juni 2012 © picture-alliance /REUTERS /RellandiniSatz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag

ISBN 978-3-96289-031-5eISBN 978-3-86284-441-8

Inhalt

Das Kreuz mit den Kreuzfahrten

Rivalen, Visionäre, Eroberer

Die Entstehung der modernen Kreuzfahrtindustrie

Masse macht Kasse

Das Erfolgsrezept

Die Eroberung Europas unddie Aufteilung des Weltmarkts

Meerluft macht frei

Die Ozeane als Unternehmerparadies

Raymonds Traum vom großen Glück

Ausbeutung als System

Die Masche mit dem Trinkgeld

Servicegebühren und andere Tricks

Rummelplatz, Yoga und Bimmelbahn

Die Perfektionierung des Geschäftsmodells

Es liegt was in der Luft

Schadstoffemissionen von Kreuzfahrtschiffen

Gift, Müll, Lärm und Meer

Mit grünem Anstrich zur weißen Weste

Die Umweltkampagnen der Reedereien

SOS im Eismeer

Die Bedrohung der arktischen Regionen

Hypertourismus

Wie Kreuzfahrttouristen die Orte verändern, die sie besuchen

In Gefahr und höchster Not

Wie sicher sind Kreuzfahrtschiffe wirklich?

Kriminalität und andere Probleme

Massentourismus und Massenkultur

Aufgaben der Politik und Verantwortung der Konsumenten

Anhang

Abkürzungen

Nützliche Links

Literatur

Register

»Von der Zerstörungssucht der Masse ist oft die Rede,

es ist das erste an ihr, was ins Auge fällt,

und es ist unleugbar, dass sie sich überall findet,

in den verschiedensten Ländern und Kulturen.«

Elias Canetti: »Masse und Macht«

»Die Flut des Tourismus ist eine einzige Fluchtbewegung

aus der Wirklichkeit, mit der unsere

Gesellschaftsverfassung uns umstellt.«

Hans Magnus Enzensberger:

»Eine Theorie des Tourismus«

Das Kreuz mit den Kreuzfahrten

Ein gigantisches Schiff gleitet in behäbigem Tempo durch den Ozean. Laute Popmusik mit knalligen Beats ertönt aus den Lautsprechern. An Bord befinden sich fast 7000 Passagiere und 2000 Besatzungsmitglieder, die den Reisenden ein angenehmes Leben auf dem Meer ermöglichen sollen. Die Menschen amüsieren sich, verzehren Unmengen von Lebensmitteln, faulenzen in Liegestühlen, flanieren durch Shoppingmalls, rackern sich in Fitnessstudios ab, trinken an unzähligen Bars, zocken in Spielkasinos, besuchen Shows und tanzen bis in die frühen Morgenstunden.

Das Gebiet, das der monströse Wellenbrecher durchpflügt, ist allerdings organisch tot. Unterhalb seines Kiels, in den Tiefen des Meeres, existieren weder Fische noch Krebse, Muscheln oder Plankton. Die Passagiere wissen nichts davon oder es ist ihnen gleichgültig. Sie wollen das Produkt genießen, das ihnen angepriesen wurde und wofür sie bezahlt haben: eine »Erlebnisreise auf dem Meer«, wie es in der Werbung hieß.

Eine düstere Zukunftsvision? Wer das meint, verkennt die Gegenwart. Über fünfhundert solcher abgestorbenen Bereiche gibt es inzwischen in den Weltmeeren. Dazu gehören die Buchten von New York und Montevideo, Teile der Ostsee, der Ägäis und des Gelben Meers, der Golfe von Oman und Mexiko sowie Areale vor der südamerikanischen Pazifikküste und der Westindischen Küste. Manche dieser Todeszonen sind größer als Irland. Ständig werden es mehr. Und die stählernen Ungeheuer, die mit Tausenden von Passagieren über sie hinweggleiten, zählen zu den Verursachern solcher Todeszonen.

Das Phänomen des Massentourismus auf den Weltmeeren ist jüngeren Datums. Es ist nicht sehr lange her, dass Kreuzfahrten als eine exklusive Angelegenheit wohlhabender älterer Herrschaften galten, die einen merkwürdigen antiquierten Stil zelebrierten, der darin bestand, dass man sich zum abendlichen Dinner jedes Mal umständlich in Schale werfen musste und es auch ansonsten sehr distinguiert und gediegen zuging. Jüngere Menschen waren an Bord hingegen meist eine Seltenheit. Die Bezeichnung »schwimmendende Altersheime«, die in der Reisebranche kursierte, war zu dieser Zeit nicht ganz unberechtigt. Kreuzfahrten galten als Nischenprodukt.

Der Anteil der Passagiere, die sich damals auf luxuriösen Schiffen heimisch fühlten und auf Form und Etikette achteten, war in Wirklichkeit relativ klein. Auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt bevorzugte die große Mehrheit der Passagiere nach dem Zweiten Weltkrieg immer eine volkstümliche Variante des Hochseekreuzens, die auch nicht preiswert war, auf vornehmes Gehabe jedoch überwiegend verzichtete. Die Klientel war zwar in der Regel ebenfalls schon im Pensionsalter, konnte sich an Bord aber meistens ungeniert in legerer Freizeitkleidung bewegen. Die Unterbringung war mitunter derartig schlicht, wie man sich das heute kaum vorzustellen vermag. Karge Kabinen mit jeweils zwei Stockbetten, die mit Passagieren belegt wurden, die sich vorher nicht kannten, waren keine Seltenheit, sondern eher die Norm.

Vor dem Jahr 2000 waren Kreuzfahrtschiffe mit mehr als 1000 Passagieren in Europa eine absolute Ausnahme. Auf den Meeren des Kontinents verkehrten nur knapp über 50 Kreuzfahrtschiffe, etwa 22 davon standen dem deutschen Markt zur Verfügung. Bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden hierzulande etwa 150 000 bis 180 000 Kreuzfahrten pro Jahr verkauft, ohne dass es zu nennenswerten Steigerungen kam. Im Vergleich zu anderen Pauschalreisen waren Kreuzfahrten relativ teuer, was in Europa vor allem auf die hohen Betriebskosten der Schiffe zurückzuführen war. Weltweit gab es gegen Ende des 20. Jahrhunderts etwa 200 Kreuzfahrtschiffe, von denen die meisten in amerikanischen Gewässern operierten. Heutzutage sind es mehr als doppelt so viele, und die Zahl der Deutschen, die eine Kreuzfahrt unternehmen, liegt deutlich über zwei Millionen.

Eines der beliebtesten Kreuzfahrtschiffe des ausgehenden letzten Jahrhunderts in Deutschland war die »Maxim Gorki«, die vier Jahrzehnte auf dem deutschen Kreuzfahrtmarkt im Einsatz war. 2008 wurde sie außer Dienst gestellt. Die »Maxim Gorki« hatte eine Länge von 195 Metern und bot 650 Passagieren Platz. Damit gehörte sie zu den größeren Kreuzfahrtschiffen ihrer Zeit. Der deutsche Reiseveranstalter charterte das Schiff von einer sowjetischen Staatsfirma. Die Besatzung und das Servicepersonal waren russisch. Aufgrund der damaligen Devisensituation konnte das Schiff ausgesprochen kostengünstig betrieben werden, wovon im Endeffekt auch die Passagiere profitierten. Die »Maxim Gorki« galt bei den deutschen Gästen als solide und preiswert.

Ein nennenswertes Unterhaltungsangebot gab es auf solchen Schiffen nicht. Anders als heute stand für die große Mehrheit der Passagiere nicht das Amüsement im Vordergrund, sondern das Erleben des Meeres, die Erfahrung von Wind, Wellen und Wetter, die Erkundung fremder Länder sowie die Geselligkeit an Bord.

Man könnte meinen, es sei eine gemütliche Zeit gewesen, in der das Kreuzfahren sich im Zustand der ökologischen und soziokulturellen Unschuld befand. Natürlich stimmt das nicht ganz. Die Schiffe, die damals verkehrten, waren ziemliche Dreckschleudern, deren Schornsteine rußten, was das Zeug hielt, und fernen Kulturen näherte sich mancher Reisende ganz ungeniert mit der Überheblichkeit der Einwohner entwickelter Industrieländer, gelegentlich gar mit offenem Chauvinismus.

Meine eigene Kreuzfahrtkarriere begann damit, dass ich etwas unternehmen wollte, was ich vorher noch nie gemacht hatte. Da fiel mir Ende Oktober 2000 in einer Sonntagszeitung die Anzeige eines Reisebüros auf, in der eine 110-tägige Weltreise mit der »Queen Elizabeth 2« angeboten wurde. Am nächsten Tag rief ich in der Agentur an und buchte eine Kabine. Seitdem ließen mich die Kreuzfahrten nicht mehr los, und ich schrieb dann auch darüber. Im Laufe der Jahre habe ich sehr viele Schiffe unterschiedlichster Art kennen gelernt. Die professionelle Arbeit schärfte allmählich aber auch meinen kritischen Blick für die Realität jenseits der schönen Welt der Werbung. Es war die Zeit, in der die Schiffe jedes Jahr größer, die Preise günstiger und die Fahrtgäste immer internationaler wurden.

Nicht nur der Kreuzfahrttourismus selbst hat sich verändert. Er hat auch die Welt verändert. Doch leider nicht zum Guten. Das Kreuzfahrtgeschäft ist zu einem globalen Massenphänomen geworden, dessen Bewältigung eine Riesenherausforderung bedeutet. Das gilt nicht nur für die von den Schiffen angelaufenen oder passierten Städte, Länder und Inseln – die Weltmeere selbst leiden massiv. Neben der Überfischung, der Vermüllung durch Plastik und andere Abfälle, der Vergiftung durch Düngemittel, der Erwärmung des Wassers durch das Verbrennen fossiler Energieträger, dem gewaltigen Anwachsen des gewerblichen Schiffsverkehrs sowie der Ausbeutung von Rohstoffen aus dem Meeresboden ist der Massentourismus zu einer weiteren Bedrohung für die Weltmeere geworden.

Gegenwärtig kann man den Eindruck gewinnen, dass sich eine Art »Kreuzfahrtimperialismus« breitgemacht hat, der von mächtigen Konzernen ausgeht, die die Ozeane für ihre wirtschaftliche Expansion und zur Befriedigung ihrer ungehemmten Kapitalgier okkupieren und ausbeuten. Die großen Kreuzfahrtunternehmen benutzen dafür keine Kriegsmarine, sondern neuartige Vergnügungsschiffe, von denen viele größer als Flugzeugträger sind.

Das Leben der Menschen an Bord der modernen Kreuzfahrtschiffe wird in der Werbung manchmal wie der Vorschein einer schönen neuen Welt von Morgen dargestellt, in der Menschen aus allen Kontinenten harmonisch, friedvoll und konfliktfrei zusammenleben und in der alles Böse außen vorbleibt. Die Wirklichkeit sieht leider nüchterner und vor allem schlimmer aus. Die dunklen Seiten des Kreuzfahrtgeschäfts sind bisher nicht genügend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen. Die Erfolgsspirale des modernen Kreuzfahrtgeschäfts scheint endlos zu sein. Wo liegen die Ursachen dafür? Um hinter das Geheimnis des Booms zu kommen, lohnt es sich, dessen Anfänge auf der anderen Seite des Atlantiks etwas genauer anzuschauen.

Rivalen, Visionäre, Eroberer

Die Entstehung der modernen Kreuzfahrtindustrie

Die Anfänge der amerikanischen Kreuzfahrtgeschichte fallen in die Zeit der Prohibition in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts und hatten einen Beigeschmack von Mafia. Wer das Alkoholverbot umgehen wollte, konnte für ein paar Tage außerhalb der Zwölfmeilenzone, die noch zum US-Hoheitsgebiet zählt, auf seine Kosten kommen. Die Schiffe, auf denen das flüssige Gold ausgeschenkt wurde, fuhren zu dieser Zeit bereits unter der Flagge von Panama oder Kuba.

In den sechziger Jahren war die Kreuzfahrtflotte überwiegend veraltet. Oft waren es ziemlich heruntergekommene Pötte, die vor den Küsten der USA herumfuhren. In krassem Gegensatz dazu stand das Bordleben. Es lehnte sich in übertriebener Weise an den Stil der Ersten Klasse von Atlantiklinern an, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Europa und den USA verkehrten. Die Passagiere imitierten eine feine amerikanische Gesellschaft, wie man sie heute aus Spielfilmen der vierziger Jahre kennt, in denen Humphrey Bogart im eleganten Dinnerjackett und Lauren Bacall im eng anliegenden Abendkleid zu sehen sind.

Es waren jedoch nicht die Spitzen der amerikanischen Gesellschaft, die sich auf diesen Schiffen traf, sondern Menschen, die einen Stil an den Tag legten, der normalerweise nicht ihrer Lebenswirklichkeit entsprach. Nicht nur passte dieser Stil nicht zu den in die Jahre gekommenen Schiffen, er entsprach auch nicht mehr dem Lebensgefühl der Epoche. »For the times, they are a-changin’«, sang Bob Dylan 1964. Er brachte damit das Lebensgefühl einer neuen Generation zum Ausdruck.

Die meisten amerikanischen Kreuzfahrtunternehmen hielten trotzdem an ihren hergekommenen Vorstellungen und den veralteten Schiffen fest. So dümpelten die Buchungszahlen der amerikanischen Kreuzfahrtbranche in den sechziger Jahren bei circa 50 0000 Passagieren pro Jahr vor sich hin, während in Europa die Nachfrage wuchs.

Es waren drei Männer, die in den USA die Kreuzfahrt neu erfunden haben. Keiner von ihnen war Amerikaner. Zwei kamen aus Norwegen und waren im gleichen Vorort von Oslo aufgewachsen, der dritte war ein israelischer Geschäftsmann, der in Tel Aviv eine kleine Schifffahrtsgesellschaft geerbt hatte. Die von ihnen gegründeten Kreuzfahrtkonzerne teilen sich heute 85 Prozent des Weltmarkts.

Ted Arison wanderte in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts aus Israel in die USA ein. Er charterte eine ausrangierte Fähre, die vormals zwischen Israel und Zypern verkehrt hatte, und ließ sie zu einem Kreuzfahrtschiff umbauen. Von Florida aus bot er damit Touren in die Karibik an. Zudem betrieb er eine kleine Luftfrachtgesellschaft. Der Erfolg mit diesen Unternehmen war so bescheiden, dass er daran dachte, sich andere Geschäftsfelder zu erschließen.

Knut Kloster hatte am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Ingenieurwissenschaften studiert. Er entstammte einer alteingesessenen norwegischen Reederfamilie, die seit Generationen in Oslo ansässig war. Ihre Flotte bestand aus Tankern und Massengutfrachtern. Im Alter von 36 Jahren übernahm er 1965 die elterliche Firma. Während die Supermächte im Kalten Krieg um die Vorherrschaft im Weltraum rangen, sah Kloster in den Weltmeeren unerschlossene Gebiete, die ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Er entwickelte eine Vision, sie mittels künstlicher Inseln und riesiger Schwimmkörper aus Stahl zu kolonisieren. Eine Idee, die ihn zeitlebens nicht mehr losließ.

1966 begegneten sich Arison und Kloster in Florida. Sie kamen rasch überein, gemeinsam ein Unternehmen zu gründen, mit dem das stagnierende Kreuzfahrtgeschäft in den USA belebt werden sollte. Die Gesellschaft erhielt den Namen Norwegian Caribbean Line und gehörte beiden Partnern zu gleichen Anteilen. Ihr erstes Schiff, die »Starward«, wurde mit der Baunummer 935 bei der Weser AG in Bremerhaven in Auftrag gegeben und 1968 ausgeliefert. Während der Fertigstellung kam es zwischen den beiden Männern zu schweren Differenzen, die Einzelheiten der Finanzierung, aber ebenso die strategische Ausrichtung der neuen Gesellschaft betrafen. Die Wege der beiden trennten sich für immer.

Zu diesem Zeitpunkt konnte niemand vorhersehen, dass die beiden Kontrahenten ein paar Jahre später hartnäckig um die Vorherrschaft auf den Weltmeeren ringen sollten. Kloster betrieb die Norwegian Caribbean Line alleine weiter. Anfang der siebziger Jahre kamen die meisten Passagiere aus Europa, vor allem aus Großbritannien. Eine neue Generation großer Passagierjets wie der Jumbo-Jet und die DC 10 ermöglichte Transatlantikflüge zu erschwinglichen Preisen. Der Norweger wurde damit zum Begründer eines Konzepts, das später unter dem Werbeslogan »cruise and fly« vermarktet wurde und bei Kreuzfahrten heute Standard ist.

Das Geschäft lief glänzend. Der Bau der nächsten Schiffe ließ nicht lange auf sich warten. Da alle Schiffe der Reederei mit einem leuchtend weißen Anstrich versehen waren, wurden sie als »weiße Flotte« bekannt. Die Passagiere waren immer öfter auch US-Amerikaner. Denn anders als auf den älteren amerikanischen Schiffen, auf denen festgeschriebene Kleiderordnungen und Verhaltensregeln noch weit verbreitet waren, konnten sich die Passagiere bei Kloster leger und ungezwungen bewegen. Außerdem hatte er eine Idee übernommen, die ursprünglich von seinem ehemaligen Partner Arison stammte: Aus den Vergnügungsschiffen wurden zunehmend schwimmende Spielkasinos.

Um höhere Einnahmen zu erzielen und den Passagieren in der Karibik ein ungestörtes Strandleben anzubieten, erwarb Klosters Unternehmen bereits 1979 eine Privatinsel, die ausschließlich den Kreuzfahrttouristen seiner Schiffe vorbehalten blieb – eine Geschäftsidee, die später von anderen großen Kreuzfahrtanbietern übernommen wurde. »Der Name des Spiels ist Profit«, sagte Kloster einmal in einem Interview. Doch anfangs sah er in diesem Spiel lediglich eine Voraussetzung, um seinen Traum von der menschlichen Besiedlung der Ozeane zu realisieren.

Norwegian Caribbean Line expandierte unaufhaltsam. Trotzdem war ihr Gründer mit dem Ergebnis unzufrieden. Ihm schwebte viel Größeres vor. In den siebziger Jahren ließ er auf dem Reißbrett ein Schiff entwerfen, dessen Ausmaße sogar heute unübertroffen wären. Die »Phoenix« sollte 380 Meter lang und 77 Meter breit sein, die Gesamttonnage 250 000 Bruttoregistertonnen (BRT) betragen und 5500 Passagieren Platz bieten. Es sollte kein Kreuzfahrtschiff, sondern Kongress- und Geschäftszentrum, Universität, Museum, Freizeitpark und Las Vegas in einem sein.

»Phoenix« wurde nie realisiert. Die Finanzierung, aber auch technische Fragen erwiesen sich für die damalige Zeit als zu kompliziert. Klosters kühner Entwurf eines Riesenschiffs war jedoch faszinierend genug, um später als Inspiration für den James Bond Film »Der Spion, der mich liebte« zu dienen. Curd Jürgens spielte darin die Rolle eines bösen norwegischen Großreeders namens Karl Stromberg, der nach der Weltherrschaft strebt. »Ich schaffe eine neue Welt im Schoß der Ozeane«, heißt es an einer Stelle des Films.

Kloster schluckte einige Konkurrenzfirmen und baute sein Imperium weiter aus. 1979 erwarb er mit dem ehemaligen französischen Prestige-Luxusliner »France« ein Großschiff, das in Le Havre bereits auf seine Verschrottung wartete. In der Bremer Lloyd Werft ließ er den ehemaligen Atlantikliner überholen und auf den modernsten Stand bringen. Fortan hieß es »Norway« und war das neue Flaggschiff des Konzerns. Es konnte 2000 Passagiere aufnehmen und war zur Zeit seiner Indienststellung das größte und luxuriöseste Kreuzfahrtschiff der Welt. In dem aufwendig hergerichteten Spielkasino standen über 200 Spielautomaten, zwölf Roulette- und 30 Black-Jack-Tische. Wegen ihres außergewöhnlichen Tiefgangs konnte die »Norway« in der Karibik nur wenige Häfen anlaufen. Klosters Werbestrategen machten aus der Not eine Tugend und kreierten den berühmten Werbespruch »the destination is the cruise«, der in der Branche bis heute nachhallt. Das Erlebnis an Bord rückte in den Vordergrund der Kreuzfahrten.

1987 benannte Kloster sein Unternehmen in Norwegian Cruise Line um, kurz: NCL. Es folgten weitere Übernahmen europäischer Anbieter. Ende der neunziger Jahre buchten mehr als eine halbe Million Passagiere bei NCL. 1999 wandelte Kloster seinen Konzern in eine amerikanische Aktiengesellschaft um. Das Geschäft mit den Kreuzfahrten, so glaubte er, brauche neue Impulse und effektivere Geschäftsformen.

Knut Kloster hatte visionäre Ideen, die sich nicht so verwirklichen ließen, wie er gehofft hatte. Herausgekommen war immerhin ein mächtiger, weltweit operierender Kreuzfahrtkonzern. Dabei standen ihm von Anfang an zwei mit allen Wassern gewaschene Konkurrenten gegenüber. Und diese Kontrahenten waren ihm nicht ganz unbekannt.

Ted Arison hatte keine Visionen. Klosters Erfolg stachelte ihn an, beim Geschäft mit den Kreuzfahrtschiffen zu bleiben, und er fand Geldgeber, die ihn dabei unterstützten. 1972 ließ er an der Ostküste den etwas heruntergekommenen kanadischen Ozeanliner »Empress of Canada« in ein modernes Kreuzfahrtschiff umbauen. Es erhielt den Namen »Mardi Gras«, nach der berühmten Musikparade am Karnevalsdienstag in New Orleans. Seine neue Firma nannte Arison passenderweise Carnival Cruise Lines.

Die Geschäftsidee war frappierend einfach: Auf dem Schiff befand sich nach dem Vorbild von Las Vegas ein großes Spielkasino. Sobald die »Mardi Gras« von Miami aus die Zwölfmeilenzone verlassen hatte, erklang die bizarre Melodie der riesigen Spielautomatenhalle und die Croupiers konnten mit ihrer Arbeit an den Spieltischen beginnen. Offiziell befand man sich auf einer Karibikkreuzfahrt, doch wohin es ging, war im Grunde egal. Kaum jemand an Bord interessierte sich für die Stationen der Reise. Manchen der amerikanischen Passagiere waren die Aufenthalte auf den Karibikinseln sogar lästig, weil das Spielkasino in den Häfen aus steuerlichen Gründen geschlossen bleiben musste. Anderen war der Kontakt mit den Einheimischen wenig geheuer, weshalb sie es vorzogen, an Bord zu bleiben.

Eine Zeit lang dachte Arison sogar darüber nach, die Kreuzfahrten völlig kostenlos anzubieten. Denn die Erlöse aus den Spielkasinos, dem Verzehr von Alkohol, dem Ticketverkauf von Bühnenshows und der Verpachtung von Bordboutiquen reichten allein bereits aus, um sein Unternehmen profitabel zu gestalten. Gegen alle Erwartung waren sie sogar viel höher als die Erträge durch die Reisepreise.

Arison kaufte weitere ältere Passagierschiffe, ließ sie umarbeiten und führte das Erfolgsrezept der »Mardi Gras« fort. 1982 ließ er sein erstes neues Schiff bauen, dem weitere und immer größere folgten. Seine Kreuzfahrten dauerten drei bis sieben Tage, kurz genug, Amerikanern mit ihren maximal elf Tagen Urlaub im Jahr ein paar unbeschwerte Tage an Bord zu bescheren. Und die Preise waren erschwinglich. Eine Woche Karibik wurde Mitte der achtziger Jahre für nur 199 US-Dollar angeboten, was damals weniger als dem Wochenlohn eines Arbeiters entsprach.

In weniger als zwei Jahrzehnten baute Ted Arison eine riesige Flotte von Kreuzfahrtschiffen auf, die alle dem bewährten Geschäftsmodell folgten. Die Nachfrage nach Kreuzfahrten war in den USA insgesamt so stark gewachsen, dass es permanent an Schiffen mangelte, um den immensen Bedarf zu decken. 1987 ging Arison mit seinem Unternehmen an die Börse. Er brauchte Geld, um neue Schiffe zu bauen und andere Kreuzfahrtunternehmen zu übernehmen. 1990 kehrte er aus Steuergründen in sein Heimatland Israel zurück. Als er 1999 starb, hatte er Carnival Cruises zur Nummer Eins des amerikanischen Markts und damit zum Weltmarktführer gemacht.

Der Kreuzfahrtboom in Amerika war nicht zuletzt Resultat einer überaus beliebten TV-Serie, die bis heute zu den erfolgreichsten Produktionen der amerikanischen Fernsehgeschichte gehört. »Love Boat«, das amerikanische Vorbild für das »Traumschiff« des ZDF, lief von 1977 bis 1986 und brachte es auf fast 250 Sendungen. Ähnlich wie beim »Traumschiff« gab es in jeder Folge verschachtelte Geschichten, die immer mit einem Happy End ausgingen. Im Grunde war es eine Dauerwerbesendung für die amerikanische Kreuzfahrtindustrie. Nicht zufällig, kooperierte die Produktionsfirma in Hollywood doch mit dem Kreuzfahrtanbieter Princess Cruises, der Jahre später zu Carnival kommen sollte. »Love Boat« wurde in 29 Sprachen übersetzt, in 93 Ländern ausgestrahlt und hat in nicht zu unterschätzender Weise dazu beigetragen, Kreuzfahrten weltweit ins Bewusstsein der Zuschauer zu bringen.

Wie Knut Kloster entstammt Arne Wilhelmsen einer angesehenen norwegischen Reederfamilie aus Oslo. Er wurde sogar im selben Jahr geboren und absolvierte etwa zur gleichen Zeit in den USA ein Wirtschaftsstudium an der Harvard University in Cambridge, in deren unmittelbarer Nähe das Massachusetts Institute of Technology beheimatet ist, an dem Kloster studierte.

Die Reederei Wilhelmsen verfügte über eine stattliche Tankerflotte, die durch den Ölboom der fünfziger und sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts enorm angewachsen war. Wie Knut Kloster und Ted Arison erkannte Arne Wilhelmsen Ende der sechziger Jahre die riesigen Chancen der Kreuzfahrtbranche in den USA und schaffte es, innerhalb weniger Jahre einen weiteren Kreuzfahrtgiganten auf dem Weltmarkt zu etablieren. Neben Norwegian Cruise Line und Carnival Cruises stieg Wilhelmsens Royal Caribbean Cruises in den frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts zum dritten Global Player auf.

Nach seinem Einstieg in die elterliche Firma erkannte Arne Wilhelmsen zunächst, dass an den Küsten Europas durch die Massenmotorisierung ein Riesenbedarf an Autofähren entstanden war. Er ließ deshalb neuartige Roll-on-roll-off-Fähren entwickeln, mit denen er ein Bombengeschäft machte. Ende der sechziger Jahre hatte seine Reederei so viel Kapital angehäuft, dass er Ausschau nach neuen Anlagemöglichkeiten und Geschäftsfeldern hielt. Ein glücklicher Zufall kam ihm zu Hilfe.

In Florida hatte Edwin W. Stephan eine Zeit lang für einen Hotelkonzern gearbeitet und war auf die Idee gekommen, die hochmoderne Innenarchitektur großer amerikanischer Hotelketten wie Hilton und Hyatt auf einem Kreuzfahrtschiff zu realisieren. Dafür brauchte er einen Partner, denn über eigene größere Geldmittel verfügte er nicht. Ein amerikanischer Reeder schien zunächst interessiert, sprang dann aber ab. Die US-Kreuzfahrtindustrie stand zu dieser Zeit unter dem Eindruck einer schlimmen Schiffskatastrophe.

Das Kreuzfahrtschiff »Yarmouth Castle« war auf dem Weg von Miami zu den Bahamas, als in der Nacht zum 13. November 1965 ein Feuer ausbrach. An Bord befanden sich 376 Passagiere und 176 Besatzungsmitglieder. Es gab 13 Rettungsboote, aber nur sechs davon waren einsatzbereit. In den ersten drei Rettungsbooten, die zu Wasser gelassen wurden, befanden sich ausschließlich Mannschaftsangehörige, darunter der griechische Kapitän. 90 Menschen verloren bei dieser Katastrophe ihr Leben. Unter den Toten befanden sich nur zwei Mitglieder der Besatzung, darunter der kubanische Schiffsarzt. Der Kapitän behauptete später, er sei als Erster ins Rettungsboot gestiegen, um Hilfe zu holen. Eine Ausrede, die fast 50 Jahre später Francesco Schettino, der Kapitän der »Costa Concordia«, ebenfalls für sich in Anspruch nahm (anfangs behauptete er sogar, zufällig in ein Rettungsboot gefallen zu sein).

Die Untersuchung des Schiffsunglücks in den USA deckte so viele Sicherheitsmängel und unverantwortliche Fahrlässigkeit auf, dass die Regierung die Gesetze für die zivile Seefahrt anschließend strikt verschärfte. In der amerikanischen Öffentlichkeit war der Skandal um den Untergang der »Yarmouth Castle« mit Empörung, Entsetzen und Unverständnis zur Kenntnis genommen worden. Das Kreuzfahrtgeschäft hatte sich in den Augen vieler Amerikaner desavouiert, die Buchungen gingen zurück. Es ist daher nicht erstaunlich, dass US-Unternehmer hier keine großen Zukunftsaussichten mehr sahen.

Edwin W. Stephan ließ sich davon nicht beirren. Ein Schiffsmakler aus Florida hatte ihm von zwei norwegischen Reedern berichtet, die nach neuen Anlagemöglichkeiten Ausschau hielten: Sigurd Skaugen und Arne Wilhelmsen. Stephan zögerte nicht lange, buchte einen Flug nach Oslo und verabredete sich mit den beiden Schiffsmagnaten, deren Familien zu den reichsten Norwegens zählten.

Wilhelmsen war zunächst skeptisch. Das Konzept, das der unbekannte Amerikaner ihm in leuchtenden Farben vorstellte, sah vor, eine völlig neue Flotte von Kreuzfahrtschiffen aufzubauen, um von Florida aus den amerikanischen und internationalen Markt zu erobern. Groß und auffällig sollten die Schiffe sein, damit sie wie eine Art Warenzeichen unverwechselbar für die neue Marke standen. Die Kabinen sollten nicht zu groß sein, so dass sich die Passagiere möglichst oft in den Gesellschaftsräumen, Bars, Shops und Kasinos aufhielten und Konsum und Umsatz steigerten. Gute Unterhaltung in Form von Shows und fetzigen Musikangeboten sollte vor allem jüngere Leute anziehen. Außerdem sollten die neuen Schiffe so konstruiert sein, dass sie möglichst wenig Tiefgang hatten, um alle Häfen in der Karibik anzulaufen zu können und damit das lästige Tendern, das Ein- und Ausschiffen mittels der Rettungsboote, zu umgehen.

Skaugen und Wilhelmsen waren sich der finanziellen Dimensionen dieses Projekts durchaus bewusst. Immerhin kannten sie sich wie wenige andere im weltweiten Reedereigeschäft aus. Deshalb holten sie einen weiteren Partner mit ins Boot. Harry Larson gehörte wie die beiden anderen zur Crème de la Crème der norwegischen Reeder und suchte ebenfalls nach neuen Ideen für Investitionen. Nach vielen Gesprächen wurde man sich einig. 1968 wurde eine neue Gesellschaft gegründet, an der sich alle drei Reeder zu jeweils einem Drittel beteiligen. Einen Direktor für das Unternehmen brauchten sie nicht zu suchen.

Edwin W. Stephan hatte mehr erreicht, als er jemals gehofft hatte. An der Spitze des neuen Kreuzfahrtunternehmens konnte er seine Vorstellungen ungestört verwirklichen. Er ließ ein altes Lagerhaus in Miami umbauen und richtete dort die Zentrale des Unternehmens ein, das unter dem Namen Royal Caribbean Cruise Line (RCCL) firmierte. Der rechtliche Firmensitz wurde in Oslo registriert, doch die operative Kommandozentrale war in Miami beheimatet. Während Sigurd Skaugen und Harry Larsen im Hintergrund als stille Teilhaber fungierten, bildeten Stephan und Wilhelmsen das Führungsteam.

Mit dem ersten neuen Schiff sollte ein deutliches Zeichen gesetzt werden. Eine finnische Werft erhielt den Zuschlag für den Bau eines Schiffs, das 168 Meter lang sein und 760 Passagieren Platz bieten sollte. Ein bekannter dänischer Designer wurde beauftragt, die äußere Gestaltung und die Innenarchitektur zu übernehmen. Die 1970 in Dienst gestellte »Song of Norway« war ein Kreuzfahrtschiff, wie es die Welt noch nicht gesehen hatte. Sein auffälligstes Merkmal war die »Viking Crown Lounge«, eine große verglaste Aussichtsplattform, die sich im Halbrund um den Schiffskamin zog und zum spektakulären Markenzeichen aller Schiffe der neuen Flotte wurde. Mit gewissen Abwandlungen ist es das bis heute.

Aufgrund seines modernen ästhetischen Erscheinungsbildes kam das Schiff bei den Amerikanern gut an und die Auslastung war sogar besser als erhofft. Die Preise waren moderat: Eine 14-tägige Karibikkreuzfahrt kostete damals etwa 750 US-Dollar, eine Woche etwa 400 US-Dollar. Die Tatsache, dass bekannte Entertainer und Musiker an Bord auftraten, verhalf dem Schiff zu einer guten Reputation. Auch ein großes Spielkasino gehörte zum Angebot an Bord.

Schon nach einem Jahr wurde in Helsinki das nächste Schiff in Auftrag gegeben und ein weiteres in Dienst gestellt. Beide waren baugleich zur »Song of Norway«. Das Konzept der Royal Caribbean nahm Konturen an: Eine kleine Flotte von Kreuzfahrtschiffen mit konzerntypischen Markenattributen, die mehr Profit abwarf, als die kühnsten Kalkulationen es je hatten erwarten lassen. Die Weichen für die weitere Expansion waren gestellt.

Für die norwegischen Eigner kamen die Gewinne aus den USA genau zum richtigen Zeitpunkt. Das Ölembargo der OPEC-Staaten und die damit verbundene Ölpreiskrise von 1973 ließen das Tankergeschäft zeitweise zum Defizitgeschäft werden. Der Weltmarktpreis für ein Barrel Öl war innerhalb von kurzer Zeit von drei auf sagenhafte zwölf US-Dollar angestiegen. Das Kreuzfahrtgeschäft in Florida war davon jedoch kaum betroffen und warf dank der Kasinoeinnahmen weiterhin satte Gewinne ab. Dadurch ließen sich die Verluste in den anderen Bereichen locker ausgleichen.

Miami war innerhalb kurzer Zeit zur Zentrale von drei neuen großen Kreuzfahrtunternehmen geworden und wurde auch im Ausland als Ausgangspunkt für Karibiktouren wahrgenommen. Die Grundlagen für den Aufstieg zur Welthauptstadt der Kreuzfahrtunternehmen waren damit gegeben. 2017 zählte der Hafen von Miami über fünf Millionen Kreuzfahrtpassagiere. Er ist heute der größte Passagierhafen der Welt, in dem an manchen Tagen bis zu zwölf große Kreuzfahrtschiffe an den Piers liegen. Inzwischen weichen viele Kreuzfahrtschiffe nach Port Canaveral (4,2 Millionen Passagiere) und Port Everglades bei Fort Lauderdale (3,86 Millionen Passagiere) aus, weil die Abfertigungskapazitäten in Miami an ihre Grenzen gestoßen sind. Die anderen großen Passagierhäfen für Kreuzfahrten in den USA sind nach Miami, Port Canaveral und Fort Lauderdale heute vor allem New York, Boston, Los Angeles, San Francisco und Seattle.

1988 versuchte Carnival Cruises, seinen mittlerweile größten Konkurrenten, Royal Caribbean Cruise Line, zu schlucken. Ein Übernahmeversuch, der alles andere als freundlich war. Die Eigner von Royal Caribbean Cruise Line waren sich nicht einig, wie sie auf das feindliche Angebot reagieren sollten. Skaugen und Larsen wollten sich beugen, doch Wilhelmsen war bereit zu kämpfen. Aber er hatte nicht die notwendigen Geldmittel, seine Partner auszuzahlen und diesen Kampf alleine auszufechten. Er musste nach neuen Mitstreitern Ausschau halten.

Einer davon waren die Pritzkers, eine der reichsten amerikanischen Familien, deren Trust unter anderem die Hotelkette Hyatt gehörte. Einen weiteren Partner fand Wilhelmsen in dem israelischen Geschäftsmann Eyal Ofer, dessen Familie im Tanker- und Ölgeschäft aktiv war. Mit ihrer Hilfe und ihrem Geld konnte der Angriff des aggressiven Konkurrenten erfolgreich abgewehrt werden. Skaugen und Larsen gaben ihre Anteile ab und zogen sich aus der Gesellschaft zurück. Als Folge der neuen Konstellation wurde der Firmensitz von Oslo nach Miami verlegt. Edwin W. Stephan blieb an der Spitze der Gesellschaft und konnte seinen Expansionskurs fortsetzen. 1997 wurde die griechische Reederei Celebrity Cruises übernommen und das Unternehmen in Royal Caribbean International umbenannt. Bereits 1993 war man an die Börse gegangen.

Knut Kloster übernahm 1984 die Royal Viking Line und reihte die Schiffe dieses Unternehmens in seine Norwegian-Cruise-Line-Flotte ein. Einige Jahre später wurden die norwegische Majesty Cruise Line und die britische Orient Line übernommen. Die neuen Schiffe wurden verlängert und die Passagierkapazitäten auf diese Weise in die Höhe getrieben.

Seit die drei Konzerne in Aktiengesellschaften umgewandelt worden sind, lassen sich die Spuren des Kapitals und der Kapitaleigner schwieriger verfolgen. Ted Arison starb 1999 in seiner Geburtsstadt Tel Aviv. Sein Privatvermögen wurde auf sechs bis zehn Milliarden US-Dollar geschätzt. In einem Nachruf bezeichnete die New York Times ihn als »godfather of the modern cruise industry«. Sein Sohn Micky besitzt noch immer die Aktienmehrheit von Carnival Cruises und leitet den Konzern bis heute.

Arne Wilhelmsen ist nach wie vor einer der Hauptaktionäre von Royal Caribbean Cruises und lebt hochbetagt in Oslo. Sein Vermögen wird laut Forbes auf etwa drei Milliarden US-Dollar veranschlagt. Einer seiner Söhne ist heute im Aufsichtsrat des Unternehmens.

Auch Knut Kloster, den die Zeit einst als »Kapitalist mit Moral« bezeichnete, ist steinalt und wohnt in Oslo. Zu den Großaktionären von NCL zählt er nicht mehr. Es ist ruhig um ihn geworden. Sein letztes spektakuläres Objekt war »The World«, ein luxuriöses Kreuzfahrtschiff der Extreme, auf dem kapitalkräftige Interessenten Suiten und Kabinen wie Eigentumswohnungen kaufen konnten und damit zu Miteignern des Schiffs wurden. »The World« pflügt seit 2003 durch die Ozeane. 142 Bewohner und Eigner entscheiden über die Route und alles, was mit dem Schiff passiert.

Masse macht Kasse

Das Erfolgsrezept

Was war das Erfolgsrezept der Initiatoren des modernen Kreuzfahrtbooms? Wieso haben die Gründer der neuen Kreuzfahrtgesellschaften, die sich mit Tankern und Fähren besser auskannten als mit Kreuzfahrtschiffen, in den USA Marktchancen gesehen, die den amerikanischen Konkurrenten entgangen sind?

Als Arison, Kloster und Wilhelmsen anfingen, in den Aufbau neuer Kreuzfahrtflotten in den USA zu investieren, kannten sie vor allem die europäischen Märkte. Und die unterschieden sich vom amerikanischen in zahlreichen wichtigen Einzelheiten. Vor allem rekrutierte sich das Publikum im Nachkriegseuropa weniger aus dem Großbürgertum, wie es vor dem Ersten Weltkrieg und in den zwanziger Jahren der Fall gewesen war, sondern primär aus jenen Kreisen, die es im wirtschaftlich wieder erstarkenden Europa zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Kreuzfahrten in Deutschland erst ab 1955 wieder angeboten. Die europäischen Hauptrouten führten in den fünfziger und sechziger Jahren durch das Mittelmeer, die Ostsee sowie die norwegischen Küstengewässer. Große Reisevermittler wie Touropa, DER oder das Hapag-Lloyd-Reisebüro buchten anfangs Kontingente auf ausländischen Schiffen, auf denen die deutschen Passagiere untergebracht wurden. Als Schiffe standen zunächst ehemalige kleine Atlantikliner zur Verfügung, die nach Einführung des transatlantischen Linienflugverkehrs überflüssig geworden waren.

Die DDR stellte bereits 1960 ihr erstes Kreuzfahrtschiff in Dienst: die »Völkerfreundschaft«, die vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund betrieben wurde. Zwei weitere folgten. Bei der »Völkerfreundschaft« handelte es sich um die ehemalige »Stockholm«, ein 1946 gebautes 12 000-Tonnen-Schiff, das vorher der Swedish America Line gehört hatte und bekannt geworden war, weil es 1956 die berühmte »Andrea Doria« vor New York versenkt hatte. Erstaunlicherweise ist dieser Oldtimer in Europa nach wie vor im Einsatz.

Neben den Kreuzfahrten in exklusivem Ambiente gab es in Europa zu dieser Zeit schon länger eine lange Tradition einfacherer und bezahlbarer Kreuzfahrten für Menschen, die sich die Luxuskreuzfahrten nicht leisten konnten oder keinen Gefallen an steifen Kleidungsvorschriften fanden. 1966 begann Neckermann-Urlaubsreisen, zwei- und dreiwöchige Touren auf russischen Schiffen anzubieten, andere große Anbieter wie Quelle-Reisen und der ADAC zogen nach.

Aufgrund ihrer europäischen Erfahrungen erkannten Arison, Kloster und Wilhelmsen das anachronistische Gepräge amerikanischer Kreuzfahrten und zogen ihre Schlüsse daraus. Ihr Erfolgsgeheimnis bestand also vor allem darin, dass sie rasch erkannten, wie man es nicht machen sollte. Sie wollten den Amerikanern Schiffe anbieten, auf denen sich jeder wohlfühlen konnte. Dafür brauchte man neue Schiffe und frische Ideen für das Leben an Bord. Kloster und Wilhelmsen war während ihres Studiums an der Ostküste nicht entgangen, dass sich die amerikanische Gesellschaft in vielen Hinsichten stark veränderte. Sie kannten die amerikanischen Vorlieben, konnten konzeptionell darauf eingehen und ihre Werbung daran ausrichten.

Es war nicht nur die Zeit des Aufbruchs an den Universitäten, wo unter den Studenten »sex and drugs and rock’n roll« als Gebrauchsanweisung für ein besseres Leben propagiert wurde. Es war ebenso die Ära eines vorher nie gekannten Massenwohlstands, in der es dem Mittelstand in den USA blendend ging und sogar vor den Häusern weißer Arbeiterfamilien stattliche Sechs- und Achtzylinder-Straßenkreuzer standen. Energie war so preiswert, dass man ohne Bedenken verschwenderisch damit umgehen konnte.

So sollten die neuen Kreuzfahrtschiffe vor allem den amerikanischen Mittelstand, Kleinbürger und das traditionelle Arbeitermilieu ansprechen. Die Passagiere kamen aus allen Altersgruppen, wobei Menschen jüngeren und mittleren Alters deutlich dominierten. Die Werbung lockte gleichermaßen Paare und Singles an.

Die Kabinen unterschieden sich hinsichtlich Größe und Ausstattung anfangs kaum voneinander, und das Leben auf dem Schiff suggerierte zumindest für eine begrenzte Zeit eine Art von freier, klassenloser Gesellschaft. Man konnte ungeniert mit Jeans oder Shorts und T-Shirt an Bord gehen, notfalls sogar bis zum Ende der Reise damit auskommen. Die strenge soziale Kontrolle, denen die Bewohner amerikanischer Vorstädte normalerweise ausgesetzt sind, gab es an Bord nicht. Sobald man die Schiffsplanken betrat, konnte man sich in der Anonymität des Bordlebens davon befreit fühlen. »It’s so easy to be free« lautete einer der Werbesprüche dieser Zeit.

Alle um einen herum schienen das Gleiche zu wollen: Spaß haben und die Sonne genießen. Um den Konsum anzuheizen, waren Drinks preiswert, die Spielkasinos an Bord von morgens bis in die Nacht geöffnet und die Abendshows orientierten sich an Las-Vegas-Vorbildern. Die landschaftlichen Attraktionen der Karibikinseln, die angesteuert wurden, waren dagegen bestenfalls ein angenehmes Nebenergebnis dieser neuen Art von maritimen Vergnügungsreisen.