Warum sind wir eigentlich noch nicht tot? - Idan Ben-Barak - E-Book

Warum sind wir eigentlich noch nicht tot? E-Book

Idan Ben-Barak

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Beschreibung

Wir sollten unserem Immunsystem ruhig mal danken! Es ist zwar nicht perfekt - auf Katzenhaare oder Birkenpollen reagiert es manchmal wie auf einen Angriff der Killerviren. Aber es ist unser Schutzschild gegen ein Heer von Krankmachern. Idan Ben-Barak erklärt, wie das gelingt. Krebs, Tuberkulose und ganz normale Grippe-Erreger lauern an jeder Ecke. Da liegt die Frage nahe: Warum sind wir eigentlich noch nicht tot?? Wie schaffen wir es, in einer feindlichen, von Viren und Bakterien nur so wimmelnden Umgebung ein doch meist recht langes Leben zu führen? Weil es uns gelingt, jeden Tag Millionen von Krankheitserregern auszuschalten, in Schach zu halten oder sogar langfristig als dienstbare Geister in unseren Stoffwechsel zu integrieren. In diesem sehr unterhaltsamen und fachkundigen Buch erzählt Idan Ben-Barak, wie unser Immunsystem funktioniert, woran es manchmal scheitert, wie wir ihm helfen können und wo die Zukunft der Immunforschung liegt.

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Das Buch

Wir sollten unserem Immunsystem ruhig mal danken! Es ist zwar nicht perfekt – auf Katzenhaare oder Birkenpollen reagiert es manchmal wie auf einen Angriff der Killerviren. Aber es ist unser Schutzschild gegen ein Heer von Krankmachern. Es ist in der Lage, in einer feindlichen, von Viren und Bakterien nur so wimmelnden Umgebung dafür zu sorgen, dass wir, ganz einfach gesagt, noch nicht tot sind. Denn dass nicht nur Schnupfen und Allergien uns das Leben schwer machen können, haben einige von uns bereits erfahren müssen. Das Immunsystem kümmert sich ebenso um die richtig harten Brocken, wie Tuberkulose, Krebs oder HIV, und versucht diese mit aller Kraft abzuwehren – leider nicht immer erfolgreich. Idan Ben-Barak erzählt fachkundig und mit einer gesunden Prise Humor, was es mit der wundersamen, mühseligen Arbeit unseres Immunsystems auf sich hat und wo die Zukunft der Immunforschung liegt.

Der Autor

Idan Ben-Barak hat Medizinwissenschaften und Mikrobiologie an der Universität von Jerusalem studiert und arbeitet derzeit an seiner Dissertation in Medizingeschichte und -philosophie an der Universität Sydney. Er unternahm erste Schreibversuche mit Prosawerken, die im New Scientist veröffentlicht wurden. Sein Buch Kleine Wunderwerke. Die unsichtbare Macht der Mikroben ist 2010 auf Deutsch erschienen.

Idan Ben-Barak

Warum sind wir eigentlich noch nicht tot?

Alles über unser Immunsystem

Aus dem Englischen von Sebastian Vogel

Ullstein

Die Originalausgabe erschien 2014unter dem Titel Why aren’t we dead yet?bei Scibe Publications Pty Ltd, Melbourne/London.

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ISBN: 978-3-8437-1431-0

© 2014 by Idan Ben-Barak© der deutschsprachigen Ausgabe2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinUmschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenUmschlagmotiv: © Mimi Leung / The Jacky Winter Group

E-Book: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Über das Buch und den Autor

Titelseite

Impressum

Einleitung

Anmerkungen zum Kapitel

Kapitel 1

Zeit der Begegnung

Trügerische Elemente

Was der Erreger sah

Viren und assistierter Suizid

Unterwanderungsstrategien für Fortgeschrittene

Der Kniff wird entlarvt

Was der Erreger nicht gesehen hat

Die Einzelheiten

Lebendige Erinnerung und Erbsünde

Fehler im System

Immunpathologie

Immunschwächekrankheiten

Entzündungen

Autoimmunkrankheiten

Allergien

An der Außengrenze

Die hundert Billionen Elefanten im Zimmer

Anmerkungen zum Kapitel

Kapitel 2

Zeit der Entwicklung

Mama vs. Baby

Die Knochenmaschine

Irre gut vorbereitet

Total wahllos

Was im Thymus passiert, bleibt (meistens) auch im Thymus

Die Notwendigkeit des Zufalls

Hinaus in die Welt

Heikle Themen

Anmerkungen zum Kapitel

Kapitel 3

Zeit der Evolution

Nichts Besonderes, meine Lieben

Der weiße Hai

RAGtime

Kein Rückgrat

Wirbellose Raffinesse

Dauerhafte Störung

Die gehen nirgendwo hin

Jep, verstanden!

Warum so misstrauisch?

Schlechte Kommunikation

Würmer im Gleichgewicht

Diese Sache, die man so macht

Anmerkungen zum Kapitel

Kapitel 4

Zeit der Forschung

Ihrer Zeit weit voraus

Jenner

Keime einer Idee

Zellen oder Körpersäfte

Wie funktioniert ein Antikörper?

Selektion

Hallo, wir auch!

Anmerkungen zum Kapitel

Kapitel 5

Zeit der Eingriffe

Out-of-Body

Das Ende einer Ära

Ich habe einfach kein Gefühl dafür

Krebs

Verstärkung

Den Krebs einfangen

Anmerkungen zum Kapitel

Epilog

Zukünftige Zeiten

Ein Vorgeschmack

Kannst du ein gebrochenes Herz heilen?

Molekulare Ganzheitlichkeit

Gedanken zur Immunität

Outside the Box

Inside the Box

Anmerkungen zum Kapitel

Dank

Anhang

Glossar

Weiterführende Literatur

Feedback an den Verlag

Empfehlung

Einleitung

Ganz egal, wo wir hinschauen oder was wir anfassen, überall lauern Keime in atemberaubend hoher Zahl und warten nur auf eine Gelegenheit, sich in dem faszinierend üppigen Klumpen aus warmen, feuchten Proteinen und Energie einzunisten, den wir den menschlichen Organismus nennen. Wir vergessen vielleicht, dass es sie gibt, aber die Fernsehwerbung für Reinigungsmittel und Berichte über all das, was an Türgriffen, Einkaufswagen, Computertastaturen, Küchentischen und Kissen klebt, erinnern uns immer wieder daran, dass wir auf Schritt und Tritt von Krankheiten umgeben sind. Wenn man den Hygieneverfechtern zuhört, hält man es verständlicherweise vielleicht für ein Wunder, dass überhaupt noch jemand am Leben ist.

Es ist tatsächlich ein Wunder. Es ist ein phantastisches, erstaunliches und besorgniserregendes Wunder mit Namen Immunsystem. Genau davon handelt das vorliegende Buch. Vorneweg aber eine Warnung: Dieses Buch wird niemandem helfen, besser begründete gesundheitliche Entscheidungen zu treffen, sich nachhaltiger zu ernähren, die Haare üppiger sprießen zu lassen, die Jugend zu verlängern, die alljährliche Wintergrippe weniger unangenehm zu machen oder die Kreditkartenrechnung schneller zu bezahlen. Außerdem ist es gezielt darauf ausgelegt, niemandem zu besseren Leistungen in der Schule zu verhelfen. Ich persönlich reagiere absolut allergisch auf diese ach so nützlichen Informationen und möchte deshalb hier auch nur so wenig wie möglich von ihnen vermitteln. Denn zu den Dingen, die mir am Immunsystem am besten gefallen, gehört die Tatsache, dass es auch ohne unsere Aufmerksamkeit funktioniert. Unser Immunsystem arbeitet unauffällig im Hintergrund wie ein Undercover-Aufräumdienst und macht sich nur dann bemerkbar, wenn irgendetwas ernsthaft schiefgeht.

Wer trotz allem Informationen darüber haben möchte, wie man seine Gesundheit verbessern kann – hier sind sie: Ernähren Sie sich gut, schlafen Sie ausreichend, bewegen Sie sich mehr, trinken Sie mäßig, rauchen Sie nichts, was legal ist, lassen Sie sich impfen und seien Sie mit Schmutz nicht allzu pingelig. Im Übrigen können Sie sich in der Abteilung »Gesundheit« Ihrer Buchhandlung oder Bibliothek umsehen; dort finden Sie viele, viele Bücher, die alle diese Dinge im Detail erklären.

Was den tatsächlichen Nutzen für Ihr Wohlbefinden angeht, so hoffe ich, dass Sie dieses Buch hier und da zum Lachen bringen wird (es ist schließlich wissenschaftlich erwiesen, dass Lachen die Gesundheit fördert). Vielleicht hilft das Buch Ihnen auch, einige Dinge besser zu verstehen und ein wenig genauer nachzudenken (was für Ihre Gesundheit vermutlich wiederum überhaupt nicht gut ist). Das war’s. Mehr bezwecken möchte ich gar nicht. Tut mir leid.

Eigentlich wissen Sie nämlich über Immunologie schon ganz gut Bescheid. Ja wirklich, das zu leugnen, nützt nichts; ich sehe es daran, dass Sie noch atmen. Auch wenn Sie nicht aus dem Stegreif den Unterschied zwischen Antigen und Antikörper erklären können oder wissen, wozu Zytokine gut sind, gibt es Teile von Ihnen, die im Gegensatz dazu extrem genau wissen, was das eine und das andere ist, und wo was hingehört. Diese Teile können sich sehr gut daran erinnern, was in der Vergangenheit mal vorgefallen ist, und wissen im Notfall, was zu tun ist. Wenn Sie sich nicht auf irgendeine Weise in Immunologie auskennen würden, wären Sie bereits tot. So einfach ist das.

Warum also sind wir noch nicht tot?

Auf eine so weit gefasste Frage kann man mehrere Antworten geben. Offensichtlich sind Sie noch nicht tot, weil Sie selber ja noch keine Bekanntschaft mit fahrenden Lastwagen gemacht haben oder keine unangenehmen Kugeln in Sie eingedrungen sind und so weiter. Im Zusammenhang mit diesem Buch würde das allerdings zu weit führen. Ich möchte mich mit Krankheiten beschäftigen – immerhin stirbt die überwältigende Mehrheit von uns irgendwann an den Folgen von ihnen –, insbesondere mit Infektionskrankheiten. Ich möchte hinterfragen, warum manche von uns trotz dieser schrecklichen Krankheiten, die einen heimsuchen können, nicht nur dennoch am Leben sind, sondern warum sie sogar lieber herumhüpfen als jammernd im Bett zu liegen.

Auch das lässt sich auf mehrfache Weise beantworten, und jedes Kapitel dieses Buches liefert zur Ausgangsfrage im Titel eine andere Antwort. Zusammen, so hoffe ich jedenfalls, bieten sie einen umfassenden Überblick über die Beziehung zwischen Organismus und Umwelt; eine Beziehung, die wir als »Immunsystem« bezeichnen.

Die Antwort im ersten Kapitel lautet: »Wir sind noch nicht tot, weil jeder von uns dieses Immunsystem besitzt, das aus einer mehrschichtigen Abwehr besteht, welche uns vor Infektionen bewahrt.« Ich werde hierbei einen kurzen Blick auf die Bestandteile und Mechanismen werfen, mit denen uns unser Immunsystem gesund und munter hält.

Das ist alles schön und gut und befriedigt vielleicht auch unsere Neugier, aber die simple Aussage »Ich habe einfach dieses Immunsystem, Ende der Geschichte«, reicht manchen Menschen unter Umständen nicht aus (zum Beispiel der Polizei, dem Finanzamt oder besorgten Eltern). Sie wollen wissen, wie wir in den Besitz von so etwas gelangt sind. Deshalb lautet die Antwort des zweiten Kapitels: »Wir sind noch nicht tot, weil sich unser Immunsystem von dem Augenblick an, in dem wir gezeugt wurden, mit Hilfe innerer und äußerer Reize1 nach und nach bis zu seinem jetzigen Zustand stetig entwickelt hat.« An diesem Vorgang haben Mütter einen großen Anteil – wenn wir mit dem Kapitel zu Ende sind, werden Sie das Muttersein aus einem neuen Blickwinkel betrachten. Denken Sie an meine Worte.

Im nächsten Kapitel erweitern wir die Antwort um einen ganzen Schritt; wir blicken über den einzelnen Organismus hinaus in den Bereich der Spezies und unserer Evolutionsvergangenheit. In den meisten Lehrbüchern und populären Gesundheitsratgebern wird unser Immunsystem so dargestellt, als sei es einfach da – ein funktionierendes System, das Menschen eben besitzen. Die populären Bücher wollen uns meistens mitteilen, wie man dafür sorgt, dass es weiterhin funktioniert, wohingegen Fachbücher dem Mediziner erklären, was er tun soll, wenn es denn nicht mehr funktioniert. Im besten Fall wird in einem Buch beschrieben, wie das Immunsystem sich im Laufe unseres Lebens entwickelt. Das ist alles schön und gut, ein nachvollziehbarer Ansatz, der dem gesunden Menschenverstand entspricht. Meiner Meinung nach sollten wir uns aber eine etwas umfassendere Sichtweise zu eigen machen, daher lautet die Antwort des dritten Kapitels: »Wir sind noch nicht tot, weil unser Immunsystem im Laufe der Zeit eine Evolution durchgemacht hat. Sie begann, als unsere entfernten Vorfahren kleine, sich schlängelnde Lebewesen waren und aufgrund unzähliger Wechselwirkungen mit unserer Umwelt (die ebenfalls evolviert) ist daraus das schwindelerregend komplizierte System entstanden, das wir heute besitzen.«

Vermutlich könnte ich im weiteren Verlauf auch sagen: »Wir sind noch nicht tot, weil vor 14 Milliarden Jahren das Universum entstanden ist, und, und, und …«, aber damit würde ich die Definition des Begriffes »Immunologie« selbst im weitesten Sinne überschreiten. Deshalb nehmen wir im vierten Kapitel eine andere Sichtweise für unseren Kampf um Leben und Gesundheit ein und antworten: »Wir sind noch nicht tot, weil die Menschen inzwischen viele Erkenntnisse über Krankheit, Gesundheit und Immunvorgänge gewonnen haben, so dass wir heute etwas gegen Krankheit und Tod tun können.«

Nun ist diese Antwort natürlich mit größerer Vorsicht zu genießen als die anderen – schließlich hat die Menschheit nachgewiesenermaßen auch überlebt und sich vermehrt, bevor irgendjemand irgendetwas über das Wesen von Gesundheit und Krankheit wusste. Wenn man sich aber die entsetzlichen Sterblichkeitszahlen früherer Zeiten ansieht, steht es außer Frage, dass die meisten von denen, die heute leben, nicht mehr leben würden, wenn die medizinische Wissenschaft nicht so große Fortschritte bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten gemacht hätte – was vor allem an der Entdeckung und Entwicklung von Antibiotika und Impfstoffen liegt.2 Ich werde einige der interessanteren Fortschritte, Diskussionen und Irrtümer (oh ja!) betrachten, die zum heutigen Stand der Wissenschaft in der Immunologie geführt haben – und dieser Stand ist der, dass man bisher nirgendwo auch nur im Entferntesten zu einer definitiven Erkenntnis gelangt ist.

Während ich diese Worte schreibe, sitze ich in einer Bibliothek in Melbourne. Nur wenige Gehminuten von hier liegt das Walter and Eliza Hall Institute, an dem Frank Macfarlane Burnet viele Jahre gearbeitet hat. Für die Konzepte, die er dort seit 1949 entwickelte – die Vorstellung von der immunologischen Unterscheidung zwischen Selbst und Nichtselbst –, bekam er letztlich einen Nobelpreis. Sie verschafften dem Fachgebiet seinen wichtigsten begrifflichen Rahmen und beherrschen seither die Immunologie. Durch neue Befunde und Fragen wird die Vorstellung vom Immun-Selbst allerdings in Frage gestellt. Teilt das Immunsystem alles, was ihm begegnet, unter dem Gesichtspunkt des Selbst ein? Ich werde im vierten Kapitel über Burnet berichten, Beispiele für die Spannungsfelder, die die immunologische Forschung heute beschäftigen, werden allerdings im Laufe des Buches immer wieder Thema sein.

Im fünften Kapitel gehen wir mit der Antwort »Wir sind wegen der Forschung noch nicht tot« noch einen Schritt weiter: »Wir – oder zumindest viele von uns – sind noch nicht tot, weil die Menschen heute verschiedene Dinge füreinander tun können, damit das Leben weitergeht.« Wir stechen Nadeln in Menschen; wir pflanzen ihnen fremde Organe ein; wir geben ihnen zu essen, küssen sie und husten sie absichtlich an; wir überzeugen sie davon, dass sie sich wohl fühlen werden, auch wenn dem eigentlich gar nicht so ist, woraufhin sie sich tatsächlich besser fühlen; und so weiter. Mit derartigen Dingen werden wir uns in diesem Kapitel beschäftigen.

Im Epilog schließlich werde ich mich kurz der Frage widmen, was die Zukunft für unsere Chancen, nicht tot zu sein, noch bereithält. Das heißt natürlich, wenn wir es schaffen, bis dahin nicht zu sterben. Halten Sie also so lange durch.

Anmerkungen zum Kapitel

1. »Reize« – das ist doch ein hübsches, harmlos klingendes Wort, nicht wahr? Hier dient es allerdings als Fassade für eine Menge ziemlich ekelhaftes Zeug.

2. Eine Anmerkung für die hartgesottenen Vertreter der Impfgegnerbewegung: Hallo, ihr. Ihr seid doch noch gesund, oder? Das ist schön. Stellt dieses Buch zurück ins Regal und geht weiter. Blickt nicht zurück. Weder ihr noch wir haben etwas davon, wenn ihr weiterlest. Wenn ihr wollt, könnt ihr mich für ein dressiertes Schaf halten, oder auch für einen Büttel von Pharma dem Großen, oder für was ihr wollt. Ich wünsche euch viel Spaß. Und jetzt: Tschüss.

Kapitel 1

Zeit der Begegnung

Eigentlich war alles so einfach.

Damals, in der Antike, kamen Krankheiten von den Göttern, vielleicht auch von Gott, oder ihre Ursachen lagen – wenn man ein rationaler, nüchterner, moderner, medizinisch orientierter, evidenzbasierter Mensch war und/oder einer solchen Gesellschaft angehörte – in einem Ungleichgewicht der vier Körpersäfte.3 Die Erklärung mit den vier Säften war plausibel. Sie war praktisch, man konnte mit ihr arbeiten und sie schließlich auch therapeutisch umsetzen. Aber sie war in jeder Hinsicht falsch.

Seither, das haben Sie sicher bemerkt, hat man gewisse Fortschritte gemacht. Darüber werden wir später noch mehr erfahren, vorerst aber möge die Bemerkung genügen, dass die Menschheit heute die Mechanismen und Ursachen von Krankheiten zumindest teilweise versteht – und wie sich herausgestellt hat, ist das durchaus nicht so einfach. Hätte ein Gelehrter der damaligen Zeit ein modernes medizinisches Lehrbuch lesen können, wäre ihm aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem aufgefallen, wie lächerlich verwirrend kompliziert Gesundheit und Krankheit nach heutigem Kenntnisstand sind. An die Stelle von Dämonen, Gottes Willen oder zu viel Galle ist die wundersame Welt der Bakterien und Viren getreten, der Toxine und freien Radikale, der Leukozyten, Antigene und Antikörper, der Zytokine und Chemokine, der MHC-Moleküle und V(D)J-Rekombination und hypervariablen Antigenbindung, der regulatorischen CD25+-T-Zellen und, und, und … Es reicht zumindest, damit einem der Kopf brummt.

Und als wäre das noch nicht schlimm genug, können Krankheiten genetische sowie infektiöse Ursachen haben. Oder sie sind darauf zurückzuführen, dass die inneren Funktionen des Organismus auf irgendeine Weise versagen. Die meisten Krankheiten werden durch eine Kombination aller genannten Faktoren verursacht. Ein Beispiel: Mit Krebs kann man sich nicht bei anderen Menschen anstecken – ausgenommen bestimmte Typen, die in Kapitel 5 genauer besprochen werden. Ein weiteres Beispiel ist Malaria: Hier infiziert man sich durch Mückenstiche – es sei denn, man ist wegen eines bestimmten Allels in der DNA immun dagegen. Je mehr wir also herausfinden, desto schlechter scheint alles definiert zu sein.

Und warum, so würde sich unser hypothetischer antiker Gelehrter bei der Lektüre der Beschreibungen eines modernen Lehrbuchs fragen, ist die Natur so kompliziert? Warum durchläuft eine Krankheit, die von einem unsichtbaren Lebewesen verursacht wird, auf dem Weg von einem Menschen zum anderen noch einen weiteren Organismus – oder in manchen Fällen sogar zwei? Welchen Sinn hat das alles?

»Nichts in der Biologie hat einen Sinn, außer im Licht der Evolution«, schrieb Theodosius Dobzhanski in einem berühmten Aufsatz. Die Grundlage für die einzig befriedigende Antwort, die wir zur überwältigenden Komplexität der Natur haben, lieferte Charles Darwin;4 deshalb betrachten Immunologen ihr Fachgebiet aus der darwinistischen Perspektive, wenn sie verstehen wollen, warum das Immunsystem so und nicht anders aussieht oder funktioniert. Aber auf dieses Thema werde ich später zurückkommen.

Vorerst habe ich ein Problem und das teile ich mit jedem Autor, der versucht, ganz eindeutig klarzumachen, dass etwas kompliziert ist. Der einfache Satz »Es ist kompliziert« vermittelt noch keinen solchen Eindruck, außerdem klingt er ein wenig nach Faulheit. Andererseits soll dieses Buch von Ihnen – interessierten Laien oder Studierenden – gelesen werden. Es ist kein Lehrbuch; die Kompliziertheit in allen lähmenden Einzelheiten darzulegen, würde zwar die Aussage bekräftigen, aber der Leser würde darunter leiden, und Leser nehmen ein solches Verhalten nicht mehr hin; sie würden mich kurzerhand ins Bücherregal zurückstellen, und dort ist es schon sehr eng.

Wie also soll ich erklären, wie kompliziert das Immunsystem ist?

Versuchen wir es einmal anders: Statt zu erklären, wie kompliziert das Immunsystem ist, werde ich darlegen, wie kompliziert es sein muss, um uns am Leben zu erhalten, und im Anschluss können Sie es selbst einmal probieren. Nehmen Sie sich einen Bleistift und einen Schreibblock zur Hand und denken Sie sich ein System aus, das den Organismus vor Schaden bewahrt.

Wenn Sie Ihren Vorschlag zu Papier bringen, müssen Sie folgende Anforderungen berücksichtigen: Das Immunsystem schützt einen Organismus vor all dem, was in oder auf ihm lebt. Wenn Sie also von einem wütenden Stier verfolgt werden, ist das eine Aufgabe für Ihre physiologische »Flüchten-oder-Kämpfen«-Reaktion und keine Angelegenheit des Immunsystems.5 Auch wenn man von einem Krokodil gefressen wird, fällt das nicht in den Zuständigkeitsbereich des Immunsystems, denn das Krokodil fängt außen an und arbeitet sich nach innen vor. Gäbe es eine Spezies sehr kleiner Krokodile, die in den Körper eindringen, sich in die Blutgefäße oder in ein inneres Organ hineinbohren, dort festsetzen, fressen und ihre Jungen großziehen – dann müsste sich eindeutig das Immunsystem darum kümmern, und das parasitische Mikrokrokodil käme zu der langen, vielseitigen Liste der Arten hinzu, die eine Gefahr darstellen.

Das Immunsystem bietet auch nicht vorwiegend Schutz vor chemischen Giftstoffen (zwar hilft es dabei, aber den größten Teil der Aufgabe übernimmt die Leber, welche nicht als Organ des Immunsystems gilt); Sie müssen sich also nur Gedanken um biologische Agenzien machen wie Bakterien, Parasiten und Viren – und natürlich deren vielfältige Ausscheidungen. Wie wir wissen, wimmelt es auf jedem Zentimeter unserer Umgebung von Milliarden Mikroorganismen, die ständig einen Weg in unser Inneres suchen – das muss berücksichtigt werden. Es sind aber nicht nur infektiöse Erreger: Immunreaktionen suchen und zerstören genauso eigene Zellen des Körpers, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren. Und alles kann man auch nicht vertreiben, was von außen eindringt: Die Nahrung wird in unserem Körper ohne weiteres aufgenommen, ebenso der Sauerstoff, den wir atmen. Jeder Einzelne von uns war ganz am Anfang ein willkommener Besucher im Mutterleib; wir müssen also einplanen, dass ein anderer Mensch irgendwann einmal im Körper heranwächst, ohne dass das Immunsystem Amok läuft und ihn als einen Fremdkörper angreift, der er eigentlich ist. Und nicht nur das: Wir spielen auch ständig den bereitwilligen Wirt für Billionen von Bakterien, die vorwiegend in unserem Darm und auf unserer Haut leben. Das Immunsystem, das wir aufbauen, muss also ständig in der Lage sein, zwischen Selbst und Freund, zwischen Fötus und Feind zu unterscheiden.

Auch die Feinde untereinander muss es differenzieren können. Die Lebewesen, die es fernhalten soll, werden zusammenfassend als Pathogene bezeichnet – eine Zusammensetzung aus zwei griechischen Wörtern, welche »Krankheitserreger« bedeutet –, aber zwei solcher Erreger können sich voneinander so stark unterscheiden wie wir uns von ihnen. Bakterien sind mikroskopisch kleine, selbständig lebende, einzellige Lebewesen. Protozoen sind ebenfalls Einzeller, die eigenständig leben, aber sie sind mit uns viel enger verwandt, und das macht es ziemlich schwer, zwischen unseren Zellen und den ihrigen zu unterscheiden (ebenso wie einen Weg zu finden, um sie zu töten, ohne unserem Körper allzu großen Schaden zuzufügen). Viren hingegen sind überhaupt keine Zellen, sondern eigentlich nur schlaue Stückchen aus genetischem Material, die in eine Proteinhülle eingepackt sind. Um sich fortzupflanzen, müssen sie in eine Wirtszelle eindringen und sie von innen heraus unter ihre Kontrolle bringen, so dass diese ihre normale Funktion aufgibt und sich in eine Fabrik für die Produktion von Viren verwandelt. Dann haben wir noch vielzellige Parasiten, wie beispielsweise Darmwürmer, oder Pilzinfektionen. Und zu allem Überfluss gibt es schließlich auch die bereits erwähnten bösartigen Zellen aus dem menschlichen Organismus, die ihre Hemmungen verloren und sich zu wilder Vermehrung entschlossen haben – wenn ihnen das gelingt, erzeugen sie Tumore.

Das Immunsystem kann nicht auf alle diese Pathogene gleich reagieren: Es sind ganz unterschiedliche Gebilde, die sich an ganz unterschiedlichen Orten aufhalten und mit ganz unterschiedlichen Methoden behandelt werden müssen. Wenn Bakterien im Blut, in der Lunge oder sonst wo im Organismus herumwandern, muss das Immunsystem anders mit ihnen umgehen als zum Beispiel mit Viren, die eine Wirtszelle infizieren, oder anders als mit Darmwürmern. Das Immunsystem steht vor der Herausforderung, maßgeschneidert auf jegliche Bedrohungen zu reagieren (eine Aufgabe, der sich auch medizinische Wissenschaftler bei der Entwicklung von Therapieverfahren, Impfstoffen und Heilungsmethoden für genau diese Krankheiten stellen müssen).

Demnach muss das Immunsystem ein vielgestaltiges Arsenal gefährlicher Lebewesen richtig identifizieren und auf jedes davon individuell reagieren.6 Oh, wissen Sie übrigens, was wirklich nützlich wäre? Wenn es sich an die Pathogene, die ihm früher schon einmal begegnet sind, erinnern und diese Information irgendwie abspeichern könnte, so dass es das nächste Mal, wenn sie auftauchen, kurzen Prozess mit ihnen machen kann. Gleichzeitig sollte es stets auf neue Eindringlinge vorbereitet sein, denen es noch nie begegnet ist – denn so spielt das Leben nun mal. Außerdem muss es mit Eindringlingen zurechtkommen, von denen niemand zuvor überhaupt gehört hat, da Pathogene sich gerne im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Das Immunsystem muss zudem wirtschaftlich arbeiten, damit der Organismus es funktionsfähig halten kann. Es sollte unaufdringlich sein, damit der Körper weiterhin normal funktioniert. Und zu guter Letzt muss es das alles jedes Mal ganz schnell machen, weil sonst der Organismus überrannt wird – Pathogene vermehren sich wie Hölle.

Insgesamt eine ziemlich schwierige Aufgabe, die das Immunsystem da zu bewältigen hat – ich hoffe, darin werden Sie mir zustimmen, während Sie schnell ein paar Skizzen für Ihre Konstruktion eines Immunsystems zu Papier bringen, einen groben Etat berechnen sowie Ihre persönlichen Anforderungen an das Projekt formulieren. Tatsächlich ist das Immunsystem, das wir haben, keineswegs perfekt. Manchmal versagt es sogar. Dann werden wir krank und irgendwann geht es uns wieder besser. Manchmal ist die Herausforderung auch zu groß, und wir werden nicht mehr gesund. Ziemlich häufig funktioniert das Immunsystem selbst nicht richtig oder es reagiert zu stark, dann leiden wir an einer Autoimmunkrankheit. Dennoch überstehen die meisten Menschen in den meisten Fällen eine sehr große Zahl von Angriffen auf das Immunsystem – ich finde, das ist bemerkenswert. Ist unser Immunsystem nicht etwas Schönes? Klopfen wir ihm doch einmal anerkennend auf die Thymusdrüse.

Trügerische Elemente

Aber das werden Sie nicht tun, oder? Weil Sie gar nicht wissen, wo die Thymusdrüse eigentlich liegt, geschweige denn was sie im Einzelnen tut, hab ich recht? Sie brauchen deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben. Das Immunsystem ist ein ungeheuer diffuses Gebilde, dessen Organe und Funktionen sich in den seltsamsten Winkeln unseres Körpers verstecken;7 da ist es kein Wunder, dass wir Menschen so lächerlich lange gebraucht haben, um zu merken, dass wir überhaupt eins haben.

Stellen wir es uns einmal so vor: Wenn das Herz nicht mehr richtig funktioniert, bietet uns die medizinische Wissenschaft Ersatz in Form von Schrittmachern und Transplantationen an. Wenn die Lunge zusammenbricht, kann man uns an ein Beatmungsgerät hängen. Dialyseapparate können die Arbeit der Nieren übernehmen. Prothesen sind ein Ersatz für Arme und Beine. Wenn das Gehör zu wünschen übrig lässt, helfen uns Hörgeräte. Für die Augen haben wir Brillen und chirurgische Korrekturen. Wir können eine Leber transplantieren (einen künstlichen Ersatz für dieses bemerkenswerte Organ haben wir aber eigentlich noch nicht). Und auch wenn das Gehirn und das Nervensystem derzeit nicht einmal entfernt ersetzbar sind, kann der Chirurg doch sein Skalpell nehmen und sogar dort etwas Nützliches tun.

Im Vergleich dazu gibt es allerdings keine Möglichkeit, ein funktionsunfähiges Immunsystem auf mechanischem Weg zu reparieren oder zu ersetzen. Wir können zwar Medikamente, Immunverstärker sowie Impfstoffe einsetzen, dennoch müssen all diese Mittel vom Immunsystem selbst weiterverarbeitet werden. Es ist uns nicht möglich, einen Teil des Immunsystems zu ersetzen oder zu transplantieren (mit der bemerkenswerten Ausnahme des Knochenmarks, das in bestimmten Sonderfällen tatsächlich transplantiert wird). Ärzte können lediglich folgende Maßnahme ergreifen, die ohne Hilfe des eigenen Immunsystems eines Patienten auskommt: Sie können seine gesamte Umgebung keimfrei machen.

Das Immunsystem besteht aus vielen unterschiedlichen Molekülen, Zellen, Geweben und Organen, die sich auf verschiedene Stellen im Körper verteilen und miteinander, aber auch mit anderen Systemen im Organismus komplizierte Beziehungen eingehen. Der ausführende Arm des Immunsystems kreist ständig durch den Körper und sucht nach Anzeichen für Probleme.8 Ich möchte hier nicht alle Elemente detailliert aufzählen, aber es ist sicher aufschlussreich, dem Apparat bei seiner Tätigkeit zuzusehen. Vielleicht wäre es interessant, wenn man versucht, ihn einmal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.

Was der Erreger sah

Zu Beginn unserer Rundfahrt ist es womöglich nicht schlecht, sich vorzustellen, wie sich das Immunsystem aus der Perspektive eines eindringenden Krankheitserregers anfühlt. Leider muss ich die Erwartungen hier gleich ein wenig dämpfen: Selbst wenn wir uns vorstellen könnten, wie Krankheitserreger ihre Umgebung wahrnehmen (was wir nicht können, weil nichts in unserem Alltagsleben uns auf die Denkweise eines Darmparasiten vorbereitet), stünde ein Mikroorganismus, der in den Körper eindringt, vor einer überwältigenden Vielzahl scheinbar unabhängiger Bedrohungen, die es alle auf seine Zerstörung abgesehen haben. Aus diesem Grund werde ich unterwegs immer wieder innehalten und erklären, was eigentlich abläuft. Und ich werde dabei noch die unterschiedlichen Reaktionen auf verschiedenartige Pathogene berücksichtigen. Legen wir los!

Gesellen wir uns zunächst einmal zu einem Bakterium, das erstmals mit einem potentiellen menschlichen Wirt in Kontakt kommt. Den meisten Bakterien sind die Menschen herzlich egal; sie quälen uns nicht und anders herum quälen sie sich nicht mit uns. Eine kleine Minderheit der Bakterienarten allerdings hat sich darauf spezialisiert, seinen Lebensunterhalt im menschlichen Gewebe zu schaffen. Bakterien stellen sich den Herausforderungen, mit denen sie es zu tun bekommen, wenn sie an den Fleischtöpfen eine Chance haben wollen.9 Wenn es den Bakterien gelingt, die Abwehr zu überwinden, versorgt der menschliche Organismus sie mit außerordentlich reichhaltigen Gütern – er ist gewissermaßen eine unerschöpfliche Quelle für Nahrung, Wärme, Stabilität und alles andere, was ein Bakterium sich wünschen kann.

Bakterien können überall eindringen, am wahrscheinlichsten findet der erste Kontakt aber auf der Haut statt – diese gilt in Fachkreisen als Teil des Immunsystems, denn sie bildet eine feste, vielschichtige und in der Regel sehr effektive physische Barriere. Die meisten Bakterienarten geben entweder hier schon auf und sterben, oder es gelingt ihnen, sich auf der Haut niederzulassen und von ausgeschiedenen Fettsubstanzen sowie anderen Nährstoffen, die sie dort finden, zu leben. Manchmal verursachen sie Ausschläge und Hautinfektionen, aber im Normalfall krabbeln unzählige Bakterien auf unserer Haut herum, ohne den geringsten Schaden anzurichten. Die Probleme beginnen, wenn die Unversehrtheit der Haut durchbrochen wurde. Wunden, kleine Schnitte, Abschürfungen, Insektenstiche und Verbrennungen bieten infektiösen Erregern einen Weg ins Körperinnere.

Eine andere sehr beliebte Eintrittsroute verläuft durch den Mund. Manche Eindringlinge finden den Weg in die Lunge und weitere Teile der Atemwege, andere versuchen ihr Glück inmitten der gedeihenden Bakteriengemeinschaft im Darm (auch Mikroflora oder kommensale Bakterien genannt). Wieder andere bemühen sich, den Körper an unterschiedlichen Stellen entlang der Schleimhäute zu besiedeln, die unseren Verdauungstrakt auskleiden.

Es funktioniert aber auch am anderen Ende, über den Weg in den Urogenitaltrakt (furchtbar!); eine riskante Route, die allerdings den Vorteil hat, dass sie eine direkte Verbindung zwischen zwei menschlichen Körpern ermöglicht. Für manche Krankheitserreger (am berühmtesten ist hier das gefürchtete HIV-Virus) kann das entscheidend sein, denn sie sterben nahezu sofort, wenn sie mit frischer Luft in Berührung kommen; deshalb müssen sie warten, bis ihr Wirt die Verbindung zu einem anderen Organismus eingeht, was wir als »Sex« bezeichnen – nur so können sie auf einen neuen Wirt übergehen und dort weiterleben.

Krankheitserreger haben wirklich ein hartes Leben und entsprechend katastrophal ist ihre Überlebensquote. Nur sehr wenige schaffen es bis an ihren Bestimmungsort. Die überwältigende Mehrzahl stirbt bei dem Versuch: Manche Erreger kommen überhaupt nicht mit einem menschlichen Wirt in Kontakt und enden auf dem Boden, an einer Wand, im Meer oder in einem Taschentuch, das jemand in der Tasche trägt; sie sterben an den ungünstigen Temperaturen in der Umgebung, durch unangenehmes Material auf der Haut oder durch die Säuren und Verdauungsenzyme in Magen und Darm; sie sterben durch die Tätigkeit anderer Bakterien, die keinerlei Rücksicht auf das Wohlergehen der Neuankömmlinge nehmen, sondern mit ihnen um Nahrung konkurrieren und sie manchmal sogar aktiv angreifen. Kommensale Bakterien im Darm verpetzen auch gerne mal die Krankheitserreger: Sie schicken chemische Signale an die Zellen der Darmschleimhaut, die daraufhin kräftiger wird und damit schwerer zu durchdringen ist.

Mikroorganismen, die nicht sterben, werden unter Umständen durch die Muskeltätigkeit des Darmes nach außen geschoben, vom Urin weggespült (wenn sie versuchen, auf diesem Weg nach oben zu steigen), von den Tränen in den Augen oder dem Speichel im Mund weggewaschen oder von den Zilien aus dem Weg geräumt – diese winzigen, haarähnlichen Strukturen wirken wie eine Art Eimerkette, die fremdes Material aus den Atemwegen und der Lunge hinausbefördert.

Wenn ein Erreger nach alldem immer noch gesund und munter ist und bereitsteht, in den menschlichen Organismus einzudringen, dürfte er es sich durchaus erlauben, sich an seine überlebenden Kameraden zu wenden und sie mit den Worten Heinrichs V. zu ermahnen, der in Shakespeares gleichnamigen Drama zu seiner Armee sagt: »Wir Glücklichen, wir wenigen Glücklichen.« Aber so etwas tun Mikroorganismen natürlich nicht. Dennoch ergeht es ihnen ganz ähnlich wie der Armee von Heinrich V.: Für die überlebenden Bakterien haben die Schwierigkeiten gerade erst begonnen.

Wenn ein Mikroorganismus es geschafft hat, die physische Barriere der Hautzellen zu überwinden, bekommt er es sofort mit dem angeborenen Immunsystem zu tun, einem Sperrwerk aus vielgestaltigen Zellen und Molekülen, die von der Evolution liebevoll zusammengestellt wurden, um auf Eindringlinge die Zerstörung in mehrfacher Form herabregnen zu lassen. Aus Sicht des Krankheitserregers bricht in dem Moment die Hölle los: Enzyme und kleine Mikroben tötende Peptidmoleküle versuchen, die äußeren Schichten des Bakteriums aufzufressen; Proteine einer Gruppe, die wir Komplementsystem nennen, sammeln und heften sich an dessen Oberfläche, um dann ein Loch in seine Membran zu reißen – dieses Loch trägt den eindrucksvollen Namen Membranangriffskomplex. Wenn das Bakterium ihnen irgendwie entkommt, bleiben besondere Erkennungsproteine an ihm hängen und geben es damit zum Verzehr durch verschiedene Arten Bakterien fressender Zellen frei – wir sprechen hierbei von Phagozyten; diese versuchen, das Bakterium im Ganzen zu schlucken und dann mit ätzenden Chemikalien zu verdauen.

Ein besonderer Typ von Phagozyten sind die Makrophagen: Sie fressen nicht nur Bakterien, sondern scheiden auch Signalmoleküle aus, die eine Entzündungsreaktion in Gang setzen. Das hat zur Folge, dass die Blutgefäße in der Nähe der Infektionsstelle durchlässiger und damit weitere Phagozyten an die fragliche Stelle beordert werden. Für die Bakterien bedeutet das, dass plötzlich noch mehr unangenehme Zellen vor Ort sind, die vorhaben, sie zu töten. Die Zellen kriechen ganz buchstäblich durch Wände (die Wände der jetzt erweiterten Blutgefäße) und stellen den Erregern nach.

Viren und assistierter Suizid

Wenn es sich bei dem Krankheitserreger nicht um ein Bakterium, sondern um ein Virus handelt, wird dieses alles in seiner Macht Stehende tun, um eine Wirtszelle zu infizieren und dem Immunsystem aus dem Weg gehen, das seinerseits das Baumaterial des Virus unter Umständen erkennt und Alarm auslöst. In einem solchen Fall werden virushemmende Elemente freigesetzt; nicht-infizierte Zellen werden gewarnt, damit sie ihre Abwehr gegen eindringende Viren verstärken, und Zellen, die bereits infiziert wurden, werden zum Selbstmord gezwungen – ein natürlicher Prozess, den man als programmierten Zelltod oder Apoptose bezeichnet.

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