Was ich noch zu erzählen hätte - Gerd Keil - E-Book

Was ich noch zu erzählen hätte E-Book

Gerd Keil

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Beschreibung

Der Autor hat in diesem Buch einige kurze Texte in loser Folge zusammengestellt. Hier finden Sie also ein breites Spektrum an Texten, die der Autor in den letzten Jahren geschrieben hat. Manche für einen speziellen Anlass, eine für seinen Freund J. (Alias Torsten) und einige weil sie einmal aufgeschrieben werden woillten.

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Seitenzahl: 112

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Inhaltsverzeichnis

Satz meiner Mutter

Satz meines Opas

Sexueller Missbrauch

Omi und Opi sind die allerbesten

Rauswurf aus dem Elternhaus

Der Tag, an dem die Stasi

Mein Freikauf

Endlich Papa werden

Traumatherapie und Reflektion

„Nie“ wieder Partnerschaft

Ein steiniger Weg

Freunde sagen: In dir steckt so viel

Opi packt einen Koffer

Liebe stirbt nie

Herzen die Gesichter tragen

Ein zweiblättriges Kleeblatt

Ich starre aus dem Fenster

Es war einmal

Aufruhr in der Küche

Das Waldhotel

Der kaputte Mond

Aus dem Leben eines Schuhes

Die Bande

Bunt

Eine Alltagsbegegnung

Fremdenfeindlich?!

Unwetter, Urlaub (Gewidmet einem Freund)

Danke

Buchempfehlungen

Satz meiner Mutter

Meine Mutter sagte mal einen Satz zu mir, als ich etwa 6 Jahre alt war: „Ich könnte dich in einen Sack stecken, diesen zubinden, einen Stein daran befestigen und alles zusammen in die Spree werfen“. Als ich diesen Satz, im bitteren Ernst, zu hören bekam, war ich noch keine 6 Jahre alt. Diesen Satz habe ich nie vergessen.

Satz meines Opas

Gerd, mach in deinem Leben so viele Fehler wie du kannst, aber lerne daraus.

Diesen Satz habe ich nie vergessen.

Sexueller Missbrauch

Ich weiß gar nicht so wirklich, wie ich anfangen soll. Schließlich ist das alles schon über 40 Jahre her und ich habe bis gestern, dem 01.02.15 mit niemandem darüber gesprochen. All die schrecklichen Erinnerungen und Bilder hatte ich so „gut vergraben“ da ich wusste, dass ich da sowieso nicht mehr ran möchte. Gestern nun tauchte bei Facebook etwas gegen die Verjährung von sexuellem Missbrauch an Kindern auf. Selbstverständlich teilte ich das sofort, ohne auch nur einen Augenblick lang daran zu denken, dass auch ich ein Opfer davon bin.

Eine Weile später las Manuela meinen Post bei Facebook und begann zu rechnen. Sie stellte schnell fest, dass dies in den Zeitrahmen fiel, als ich zwar mit Heike zusammen war, dies aber etwas mit meiner Kindheit zu tun haben musste. Sie kennt mich schon sehr gut, dachte ich und konnte ihr nicht viel erzählen. Ich konnte überhaupt nicht darüber sprechen.

Ich hätte …. nee, auch schreiben fällt schwer. Versuchen werde ich es aber trotzdem. Auch weil ich fühle und weiß, dass meine Manuela zu mir stehen wird. Ich weiß noch nicht wie lange ich für den folgenden Text brauchen werde.

Nun werde ich mal aufschreiben, warum es möglich war, so häufig und über einen langen Zeitraum von fast drei Jahren (erstmals mit 11 Jahren bis zum Alter von 14 Jahren) mir all diesen Ekel, diese Abscheu, diese Ohnmacht anzutun. Ich war inzwischen bei der Pioniereisenbahn zum Stellwerksmeister geworden. Somit war ich verpflichtet mindestens 1x täglich das Berichtsheft dem Täter (Bahnhofsleiter) zu bringen. Die anderen Kinder waren schon weg, oder es war noch keiner weiter da. Ich hatte immer wieder gehofft, er würde mich nicht wieder an die Wand neben dem großen Schrank drängen.

Der Ekel und dieses Gefühl ausgeliefert zu sein, ließ mich beinahe erstarren, wenn ich nur an die vergangenen 3 Jahre zurückdenke.

Wieder einmal war ich im Büro des Bahnhofsleiters angekommen. Dieses Mal war ich froh, da ich wusste, dass nebenan die Mädchen begannen, das Wechselgeld zu zählen und in die Kasse zu legen. Ebenso rollten sie die Fahrscheine auf die dafür vorgesehenen Rollenträger. Kinder und Erwachsene hatten unterschiedliche Tickets.

Als ich jedoch die Tür zum Büro offenlassen wollte, schloss er diese und schloss sie auch noch ab, wie ich später bemerken sollte. Er klebte mir meinen Mund mit Klebeband zu. Sodass ich nichts mehr sagen konnte. Dann schob mich dieses Ekel in eine andere – dunkle – Ecke des Raumes. Danach zog er meine Hose herunter und berührte mich zwischen den Beinen. Ich fand das so abstoßend, dass ich noch heute kotzen könnte. Damit aber nicht genug. Er drehte mich um, sodass ich nun mit dem Rücken zu ihm stand. Umdrehen durfte ich mich jetzt nicht mehr. Aber ich hörte wie er erst immer mit lautem klappern seinen Gürtel öffnete und kurze Zeit später, drückte er meinen Oberkörper nach vorn. Um nicht umzufallen, hielt ich mich am Tisch, der auch dort stand, fest. Danach schob er sich in meinen Po. Das schmerzte so sehr, aber ich konnte ja nicht schreien. Ich brachte kein Wort heraus.

Mir tat alles weh, aber ich konnte denen doch nicht erzählen, was passiert war. Schließlich hatte der Bahnhofsleiter mir angedroht, dass es beim nächsten Mal noch viel „schöner“ wird. Mit anderen Worten, ich würde wohl beim nächsten Mal noch mehr Schmerzen und Ekel verspüren.

Auf dem Weg nach Hause wurde es nicht besser. Im Gegenteil, kaum war ich auf dem Bahnhof Wuhlheide angekommen musste ich mich übergeben. Zum Glück trug ich unter meiner Jacke noch die Pioniereisenbahneruniform. Die Aufsicht auf dem S-Bahnhof Wuhlheide ließ mich ein, sodass ich wenigstens meine Sachen notdürftig säubern konnte. Dennoch gelang es mir nicht, meine Hose sauber zu bekommen. Die Schuhe hatte ich mit einem Putzlappen und Wasser gesäubert. Speziell oberhalb der Enden der Hosenbeine war Erbrochenes, das ich nicht abbekam. Als ich nach drei S-Bahn-Stationen und einer halben Stunde Fußweg zu Hause ankam, schimpfte meine Mutter sofort los und sagte, dass ich doch nicht immer so viel Eis essen soll. Dann wird mir auch nicht schlecht.

Sie hatte überhaupt keine Ahnung und wollte auch keine Ahnung haben. Sonst hätte sie vielleicht mal gefragt, wie es mir ging.

Stattdessen bestand sie darauf, dass ich nun in die Badewanne gehen und duschen solle. Sie glaubte nicht welchen „Gefallen“ sie mir damit tat. Ich duschte und schrubbte meine Haut überall mit einer Bürste. Gerade zwischen den Beinen tat das weh, aber es war mir egal. Ich wollte, dass der Ekel aufhört. Nach einer Weile kam meine Mutter ins Bad und schimpfte, weil ich nicht immer so lange das Wasser laufen lassen sollte. Ich ließ mich ausmeckern und trocknete mich ab. Danach ging ich in unser Kinderzimmer ins Bett und verkroch mich unter der Decke. Ich wollte nur keinen mehr sehen oder hören. Wie bloß sollte ich am nächsten Tag …. Mir wurde wieder schlecht. Ich rannte ins Bad und übergab mich erneut. Meine Mutter schüttelte nur den Kopf als ich aus dem Bad kam, um wieder in mein Bett zu gehen.

Warum sollte sich meine Mutter auch für mich interessieren? Ich war eben nicht mein großer Bruder, der als Kronsohn der Familie bemuttert, umsorgt und verhätschelt wurde, nur weil er sich einen Splitter eingerissen hatte.

Am nächsten Tag musste ich also wieder in den Pionierpark, in der Wuhlheide. Der Spaß, den ich in der Anfangszeit dabeihatte, war verflogen. An den Wochenenden war es angenehmer, weil ich dann nicht in das Büro des „Bahnhofsleiters“ musste. Nein, dann ersetzten ich gemeinsam mit einem Mädchen aus der Fahrkartenausgabe diesen Bahnhofsleiter.

Aber der nächste Dienstag ließ nicht lange auf sich warten. Als ich am Bahnhof: „Badesee“ ankam, lief er mir schon das erste Mal mit einem breiten fiesen und ekligen Grinsen über den Weg. Ich wollte umkehren, aber dann fielen mir die vielen Kinder ein, die sich doch so sehr darauf freuten mit der Pioniereisenbahn zu fahren. Also lief ich weiter. Als ich dann im Umkleideraum war, weil ich meine Schaffnertasche holen wollte, näherte sich von hinten eine eklige Duftwolke. Ich wollte mich umdrehen und weglaufen. Aber das konnte ich nicht. Mit einer Hand hielt mich dieses Ekel fest, die andere Hand presste er auf meinen Mund.

Er hielt mir von hinten den Mund zu, sodass ich nicht schreien konnte. Dann zog er mit der anderen meine Hose herunter und auch meinen Slip. Ich versuchte mich zu drehen, um doch vielleicht irgendwie wegzukommen. Aber ich schaffte es nicht. Dann drückte dieses Ekel meinen Oberkörper nach vorn und stieß mit einem kräftigen Ruck in meinen Po. Das war ein schrecklicher Schmerz.

Ich konnte den kompletten Tag nicht mehr sitzen vor lauter Schmerzen. Mittag fiel sowieso wegen Appetitlosigkeit aus.

So missbrauchte er mich noch viele weitere Male, ohne dass ich in der Lage gewesen wäre, mich zu schützen. In mir war schon alles still. Ich erlebte diesen Missbrauch sehr oft so, als wenn ich die ganze „Szenerie“ von einem außenstehenden Punkt beobachten würde. Dennoch war ich wie gefesselt und so auch vollkommen hilflos. Ich konnte doch mit niemandem darüber sprechen. Schließlich hatte er mit noch viel Schlimmerem gedroht, falls ich mich jemandem anvertrauen, und mit dieser Person darüber sprechen würde.

So ließ ich auch weitere Misshandlungen und Vergewaltigungen über mich ergehen. Jedes Mal musste ich mich danach übergeben. Mir wurde – egal welche Temperaturen draußen herrschten – eiskalt und sobald ich zu Hause angekommen war, zog ich mich aus. Oft achtete ich darauf, dass meine blauen Flecken und die Kratzwunden auf meinen Schultern sowie auf dem Rücken, niemand sah. Ich schrubbte meinen ganzen Körper mit warmem und kaltem Wasser, Seife und einer relativ festen Bürste.

Immer wenn mein Rücken anfing zu brennen, wusste ich, dass ich es bald überstanden haben würde. Denn nun bluteten die Wunden wieder. All der Ekel, all die schrecklichen Momente des Festgehalten Werdens waren – zumindest vorläufig – vorbei. Aber der Tag, an dem sie wiederkommen würden, nahte auch schon wieder. Schließlich war ich zwei oder dreimal je Woche dort.

Omi und Opi sind die allerbesten

Unsere Großeltern waren bei uns zu Besuch und so verging die Zeit wie im Fluge. Ich sehe mich heute noch mit meinem Opa Karten spielen, rumalbern oder ihn als Lokomotive auf der x-ten Runde durch das Kinderzimmer mit meinem Arm als Schranke anhalten. Vor der Weiterfahrt gab es dann immer eine Gute-Nacht-Geschichte oder einfach ein paar liebe Worte, mit denen es sich viel schneller und besser einschlafen ließ. Manchmal sollte ich Brötchen und Honig schlafen, sodass es am nächsten Morgen ein schönes Frühstück gab. Ich träumte dann oft tatsächlich von einem langen Frühstück mit meinen lieben Großeltern. Dass sie für die Brötchen lange anstehen mussten und den Honig aus dem ‚bösen‘ Westen mitbrachten, habe ich so nie gesehen, denn ich war ja noch klein.

Meine Oma, mein Opa und ich waren zum Baden, in die Wuhlheide gelaufen. Das war nicht mehr als ein kleiner Spaziergang von der Wohnung meiner Großeltern weg. Bei der damaligen „Pionierrepublik Ernst Thälmann“ – heute dem Freizeit- und Erholungszentrum, kurz: FEZ – gab es einen schönen Badesee.

Meine Großeltern hatten sich zu ihrer goldenen Hochzeit neue Trauringe machen lassen. Der Juwelier, der diese angefertigt hatte, verstand sein Handwerk wohl nicht so gut, sodass mein Opa seinen Ehering am Ufer des Sees verlor. Gut, dachte ich, dann werde ich diesen mal suchen gehen, und so lief ich ins Wasser. Dass es mir irgendwann bis zur Oberkante Unterlippe ging, störte mich nicht, schließlich ging es darum, diesen Ring wiederzufinden, denn mein Opa war mir sehr wichtig.

Irgendwann bin ich losgeschwommen und so habe ich dann schwimmen gelernt, auch wenn der Ring verschwunden blieb.

Meine Großeltern bedeuteten mir sehr viel. Ich habe von beiden so viel mitbekommen, dass ich heute stolz sein kann und auch stolz darauf bin, solche Großeltern gehabt zu haben. Mein Opa sagte einmal etwas zu mir, das einen großen Teil meines späteren Lebens beeinflussen sollte: „Mach in deinem Leben so viele Fehler, wie du kannst, aber lerne daraus.“ Diesen Satz habe ich bis heute nicht vergessen und mein Opa ist schon lange, leider viel zu lange, tot.

Dass man nicht weinen darf und auch sonst möglichst keine Gefühle zulässt oder auch noch zeigt, hatte ich in der Zwischenzeit in bitteren Lektionen gelernt. Ich weiß nicht, wie viele Jungs, die in meinem Alter waren, ebenfalls diesen Satz hörten: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz.“ Ehrlich gesagt, möchte ich es auch nicht wissen. Denn so etwas Dämliches hört man nur, um zu lernen, dass man keine Gefühle zeigen darf. Hey, ich bin ein Mensch, mit elf Jahren dazu noch ein kleiner, und ich habe verdammt noch mal Gefühle. Aber gut, wenn es so sozialistisch ist, dann zeige ich sie eben nicht. Ich kann heimlich weinen oder enttäuscht sein oder, oder.

Ich sollte bald erfahren, wie wichtig es ist, seine Gefühle zu zeigen und sich für andere einzusetzen, ohne daran zu denken, dass das eigene Reden und Handeln auch Konsequenzen haben kann.

Donnerstag, der 13. November 1975. Ich war gerade aus der Schule gekommen, als ich erfahren musste, wie schlimm es ist, einen lieben Menschen, meinen allerliebsten Opa, zu verlieren. Für die kommenden Tage ließen unsere Eltern meinen Bruder und mich von der Schule befreien. Als wir dann wieder zur Schule gingen, bekamen wir beide Entschuldigungszettel. Diese hätten wir wahrscheinlich gar nicht gebraucht, denn dafür hatten alle in der Schule Verständnis.

Für uns alle, am meisten aber für meine Oma, starb mein Opa leider viel zu früh. Mein Opa war der tollste Mann, den ich kannte. Ein riesengroßer Kerl mit einem noch viel größeren, leider offenbar kranken Herzen. Ich ging, als ich noch in Berlin lebte, oft an das Grab und sprach mit ihm. Vielleicht hielten mich manche Menschen deshalb für verrückt, aber damit kann ich leben.

Zwei Tage vorher war meine Oma noch mit ihm beim Arzt gewesen. Dieser wandelnde Kunstfehler hatte zu meiner Oma gesagt: „Mit Ihrem Mann ist alles in Ordnung.“ Wie er zu dieser Weisheit kam, möchte ich lieber nicht wissen.