Himmel hinter Gittern - Gerd Keil - E-Book

Himmel hinter Gittern E-Book

Gerd Keil

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Beschreibung

Meine Zeit der Stasihaft von fast drei Jahren, war für mich alles andere als ertragbar. Dieses Buch beinhaltet schwere Zeiten, traumatisierende Erlebnisse, sexuellen Missbrauch durch andere Mithäftlinge, das Wegschauen von Volkspolizisten, wie diese offiziell genannt wurden, meinen vollständigen Zusammenbruch und das ganz langsame Zusammensammeln meiner Knochen, meiner Seele und das Ende, an dem alles gut war. Wenn Sie möchten, lade ich Sie ein, mit mir durch drei Jahre Stasihaft zu gehen, umzufallen, zu kriechen, liegen zu bleiben, aber auch wieder aufzustehen und aufrecht in einen Bus einzusteigen, den ich bis heute nicht vergessen habe und ganz sicher auch nie vergessen werde. An einigen Stellen musste ich meine Gefühle ausschalten um Überleben zu können.

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GEGEN DAS VERGESSEN UND VERKLÄREN DER SED-DIKTATUR IN DER DDR

Inhaltsverzeichnis

Der Anfang vom Ende

Geplante Flucht

Die Stasi wartete schon auf mich

Vom Volkspolizeirevier nach …?

Meine erste Vernehmung

Gummi- oder Absonderungszelle

Zurück in meiner Zelle

Meine schmerzvollste Vernehmung

Verhandlung vor dem Stadtbezirksgericht

Untersuchungshaftanstalt Rummelsburg

Ankommen im Zuchthaus Cottbus

Der erste Abend

Die erste Nacht

Sexueller Missbrauch

Arrestzelle

Zwangsarbeit VEB Sprela

Schwarze Pumpe - dunkelgrau oder hellschwarz

Zwangsarbeit GTWS

Transport nach Karl-Marx-Stadt

Grotewohlexpress mit MITROPA?!

Ankunft in Karl-Marx-Stadt

Die emotionalste Busfahrt meines Lebens

Moin Moin mien Hamburch

weitere Bücher von mir

Bildteil

Dieses Buch ist gewidmet meinen beiden Kindern Vivien und Sebastian, meiner ersten großen Liebe Heike, die 2013 – viel zu früh – an Leukämie verstarb, meiner zweiten großen Liebe Manuela, meiner Traumatherapeutin Frau Scheller, meiner Gesprächspartnerin Frau Prof. Barbara Kavemann von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sex. Kindesmissbrauchs sowie allen Freundinnen und Freunden, die immer für mich da waren und da sind.

Der Anfang vom Ende

Der Anfang vom Ende ist etwas, dass wir alle, und ich denke auch Sie, liebe Leser, irgendwann in Ihrem Leben schon einmal gehört, gedacht oder womöglich sogar gefühlt haben. Wenn sich das, wie der Anfang vom Ende anfühlt, ist es schon ziemlich schwer zu ertragen. Meine Zeit der Stasihaft von fast drei Jahren, Sommer 1986 bis Frühjahr 1989, war für mich sehr schwer zu ertragen. Vielleicht fehlen Ihnen an der einen oder anderen Stelle meine Gefühle. Diese habe ich ausgeschaltet, um überleben zu können.

Dennoch habe ich immer an den Satz meiner lieben Oma gedacht, die als ich etwa vier Jahre alt war, zu mir gesagt hat: „Am Ende wird alles gut, und solange es nicht gut ist, ist es auch nicht das Ende“.

Der Satz hat mich durch mein ganzes Leben begleitet und auch ihr christlicher Glaube, fand in mir seine Fortsetzung. Wenn ich also jetzt vom Anfang vom Ende schreibe, dann ist hier in diesem Buch wirklich nur der Anfang vom Ende gemeint. Das Ende, als alles gut wurde, steht hier zwar auch drin, aber nur ganz kurz.

Wenn Sie wissen möchten, was vor und nach diesem Anfang war, empfehle ich Ihnen mein autobiografisches Buch: „Wertvolle Freiheit“.

Dieser Anfang vom Ende beinhaltet schwere Zeiten, traumatisierende Erlebnisse, sexuellen Missbrauch durch andere Mithäftlinge, das Wegschauen von Volkspolizisten – wie diese offiziell genannt wurden – meinen vollständigen Zusammenbruch und das ganz langsame Zusammensammeln meiner Knochen, meiner Seele und das Ende, an dem alles gut war.

Wenn Sie möchten, lade ich Sie ein mit mir durch drei Jahre Stasihaft zu gehen, umzufallen, zu kriechen, liegen zu bleiben, aber auch wieder aufzustehen und aufrecht in einen Bus einzusteigen, den ich bis heute nicht vergessen habe und ganz sicher nie vergessen werde.

Herzlich Willkommen zu einer „Achterbahnfahrt“ der Gefühle. Ich möchte, bevor ich anfange noch die Gelegenheit nutzen Sie, liebe Leser, darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Buch eher keine Nachttischlektüre ist. Bitte denken Sie an sich und überfordern Sie sich nicht. Und denken Sie daran, dass in diesem Buch am Ende alles gut wird.

Geplante Flucht

Am 13. Juli hatte ich dieselbe Strecke mit der S-Bahn, als Triebfahrzeugführer, zu fahren wie bereits einen Tag zuvor. Sie sollte sich heute dennoch nicht wiederholen – nie wieder . Dieser Tag sollte so ganz anders werden als alle anderen zuvor in meinem Leben.

An diesen Tag werde ich mich mein gesamtes weiteres Leben erinnern. Dieser Tag war der Anfang vom Ende. An diesem Tag bewahrheitete sich das Sprichwort: „Man soll den Tag nie vor dem Abend loben.“

Nach unserem ausgedehnten Frühstück ging ich gemeinsam mit meiner Freundin Heike zum Bahnhof Ostkreuz. Dieser Weg schien heute viel kürzer als sonst zu sein. Vielleicht, weil sich immer wieder meine Flucht im Kopf abspielte, vielleicht auch, weil wir beide wussten, dass wir uns womöglich lange nicht mehr sehen würden. Vielleicht würden wir uns nie wiedersehen. Wenn die Flucht misslang, könnte ich eingesperrt oder sogar erschossen werden. Wenn ich nicht erschossen werde, was würde die Stasi mit meiner Heike machen?

Heike ist so ein zartes, liebevolles, warmherziges und wunderschönes Mädchen. Kennengelernt haben wir uns an unserem ersten Schultag. Wir machten viel Unsinn, stritten und versöhnten uns und im Lauf der Jahre entstand zwischen uns eine Jugendliebe, die uns in den siebten Himmel begleitete. Aber auch blind vor Liebe machten, dass wir die schwarzen Wolken über uns erst bemerkten, als wir nicht mehr entfliehen konnten. Eine gemeinsame Flucht war undenkbar und wir entschieden uns dazu, dass ich die Flucht antreten sollte und mein kleines Sternenäuglein Heike, zwar zurücklasse, aber nachhole sobald ich die Chance dazu hätte.

Mir gingen so viele Schreckensszenarien durch den Kopf, die ich hier gar nicht alle aufschreiben kann.

Meine schlimmsten Vorstellungen sollten noch übertroffen werden. Ich ahnte nicht, wozu die Stasi im Stande sein würde. Dass es sie gab, wusste jeder, aber was sie zu tun in der Lage war, war mir und jedem anderen nicht bekannt. Es sei denn, seine oder ihre Arbeitsstelle war „VEB Guck und Horch“ oder „die Firma“ wie die Stasi umgangssprachlich auch genannt wurde. Vielleicht würde aber auch … wer weiß. Ich brauchte sonst etwa zehn Minuten zum Bahnhof, heute waren es gefühlte fünf.

Heike wollte wieder nach Hause zu ihren Eltern. Diese Wohnung lag zwischen den Bahnhöfen Warschauer Straße und Ostbahnhof. Daher wollte sie mit mir bis zum Ostbahnhof mitfahren. Genau in die Richtung, in die ich auch nach der Ablösung mit der S-Bahn fahren würde. Ich freute mich, denn so hatten wir noch drei Minuten länger etwas voneinander. Drei Minuten mehr, die gerade heute so viel an Bedeutung gehabt hätten. Drei Minuten, die für uns beide die schönsten dieses Tages geworden wären.

Auf dem Bahnhof angekommen, erfuhr ich, dass ich heute nicht dieselbe Strecke wie gestern fahren würde, sondern eine andere Linie zu übernehmen hatte. Das kam mir sehr merkwürdig vor. War ich womöglich verraten worden? Wenn ja, wer kam dafür infrage? Heike auf keinen Fall, dafür würde ich mich ins Feuer legen.

Schließlich wusste ich, wie mein Sternenäuglein war und dass sie mich um keinen Preis der Welt verraten hätte.

Ich erfuhr nur noch, dass dies eine Anweisung von dem Kollegen war, der bei uns als Parteiboss tätig war. Ich wusste also, wem ich diesen Dienst zu verdanken hatte. Unter uns Kollegen war diese Strecke die „Straßenbahnlinie“. Der Name kam von der Kürze der Strecke. Es war ein ständiges Hin- und Herfahren zwischen Warschauer und Otto-Winzer-Straße.

Also blieb ich auf dem Bahnsteig D, statt auf den Bahnsteig A zu gehen. Meine Heike konnte auch nur bis zur Warschauer Straße mitfahren. Dort angekommen, verabschiedeten wir uns voneinander – leider viel zu kurz, um auf gar keinen Fall Aufsehen zu erregen – und sie lief von dort zu ihren Eltern nach Hause.

Aber die Zeit für einen langen, innigen Kuss, gegenseitigem Streicheln und einer Liebeserklärung ließen wir uns trotzdem. Schließlich war sie gar nicht und ich noch nicht auf der Flucht. Heike konnte mich und ich konnte sie auch nie einfach so gehen lassen. Dazu liebten wir uns viel zu sehr. Meist wussten wir nicht wer wen zuerst loslässt oder wer von uns beiden zuerst mit dem Küssen aufhören sollte. Und jetzt, wussten wir nicht einmal was morgen sein würde. Wir drückten uns fest und streichelten uns an jeder Stelle, die wir so erreichen konnten.

Ich hätte weinen können, so traurig war ich über den kurzen Abschied, denn ich wusste ja, dass dies ein Abschied für zumindest lange Zeit war. Ich hätte meine Wut über dieses Unrechtssystem laut herausschreien können. Aber wozu? Sollte ich so etwa meine Verhaftung riskieren? Nein, auf keinen Fall. Ich war fest entschlossen, diesem Staat – wie er offiziell hieß – den Rücken zu kehren. Wenn ich erst in Westberlin war, konnte ich ja hierherkommen, um meine Freundin und meine Freunde zu besuchen. Das dachte ich zumindest zu der Zeit noch.

Eine Familie hatte ich zu dem Zeitpunkt nicht wirklich. Zuhause bei meinen Eltern war ich mit 17 Jahren rausgeworfen worden, weil ich auf einer Geburtstagsfeier war und nachts nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause kam. Etwa zwischen 01:30 Uhr und 03:30 Uhr fuhren innerhalb der Woche keine öffentlichen Verkehrsmittel und ein Taxi zu erwischen, wäre beinahe aussichtslos gewesen, außerdem hätte ich mir das nicht leisten können von meinem Lohn als Lehrling. Als ich am nächsten Tag vor der Wohnungstür stand, sagte meine Mutter zu mir, dass ich gleich dahin gehen kann, wo ich in der letzten Nacht auch gewesen bin. Sie packte gemeinsam mit meinem Papa einen großen Koffer voll mit meinen Sachen. Mein Tonbandgerät, meine Schallplatten und einige Bilder packten sie auch noch hinein. Ich stand wort- und reglos daneben und verstand die Welt nicht mehr. Schließlich hatte ich doch auch Bescheid gesagt, dass es eventuell sehr spät werden kann, bis ich wiederkomme. Aber ich war eben nicht mein Bruder, der als Kronsohn natürlich absolut frei von jedem Fehler war. Das aus mir nichts werden konnte, hatte meine Mutter nicht nur einmal zu mir gesagt. Das sie mich in einen Sack stecken, diesen zubinden, einen Stein daran befestigen und alles zusammen in die Spree werfen könnte, hörte ich nur einmal als wir über die Spree liefen und ich etwa sechs Jahre alt war.

Aber zurück zum 13. Juli 1986.

Egal, welche Repressalien der Stasi noch einfallen würden, in neun Stunden war Schluss damit und ich bin endlich in Freiheit.

Auch an diesem Tag war es warm, auch an diesem Tag schien die Sonne, auch an diesem Tag fuhr ich mit geöffnetem Fenster durch die Stadt, auch an diesem Tag waren die Menschen freundlich und natürlich.

Aber an diesem Tag sollte ich nicht mehr nach Hause kommen!

Das Herz, das meine Heike für mich an den Spiegel gemalt hatte, sollte ich nicht mehr sehen und erst dreiundzwanzig Jahre später davon erfahren.

Ich ging traurig vom Dienst nach Hause. Vierzehn Jahre lang war ich mit ihr befreundet gewesen, bis im Sommer 1985 Liebe daraus geworden war. Wir konnten gar nicht genug voneinander bekommen. Eine Liebe, die ich in meinem Leben nie vergessen habe. Und das nicht nur weil es die erste Liebe war. Seit der zweiten Klasse hatten wir in der Schule hintereinander gesessen. Wir waren im siebten Himmel und die rosarote Brille wollte nur noch rot werden. Rot wie die Herzen, die wir uns in unserer Küche gegenseitig, mit ihrem Lippenstift, an den Spiegel malten.

Wir wohnten gemeinsam in einer Berliner 2-Zimmer-Altbauwohnung mit Innentoilette. Zuvor hatte ich mit viel Glück und einem Wohnberechtigungsschein mit Dringlichkeit eine 1-Zimmer-Albauwohnung mit Außentoilette, also eine halbe Treppe höher, bekommen. Diese teilte ich mir mit einer jungen Frau, die genau über mir wohnte, einem älteren Paar neben ihr und einem jungen Mann mir gegenüber. Der Satz „Ruinen schaffen ohne Waffen“, hatte in der DDR, Realitätscharakter. Und er war realer als der real existierende Sozialismus, den Erich Honecker so oft pries.

Wir, mein Sternenäuglein und ich, hätten vor lauter Glück die ganze Welt umarmen können. Es war eine wunderschöne Zeit. Wir haben gelebt, gelacht, geweint und geliebt. Alles, was ein junges Paar gern gemeinsam tut. Wir waren in der jungen Gemeinde und engagierten uns in der Umwelt- und Friedensbewegung.

Zum Heiraten hatten wir uns nicht entschlossen und ein Kind hätten wir sehr gern gehabt, aber was wäre aus dem Kind geworden, wenn wir wegen unserer oppositionellen Haltung in diesem System eingesperrt worden wären. Dazu brauchte die Staatsmacht nicht viel und schon konnte dies geschehen.

Aber zum Rotwerden unserer rosaroten Brille sollte es nun nicht mehr kommen, denn meine eigene Flucht stand unmittelbar bevor. Mir schlug das Herz bis in die kleinen Zehen. Was sollte aus uns werden? Wann würden wir uns wiedersehen? Würden wir uns noch mal wiedersehen? Diese und andere Gedanken schossen mir durch den Kopf, doch schneller als ich dachte, sollten all diese Gedanken wertlos sein. Wir sind doch noch so jung. Soll das jetzt alles zu Ende sein? Das kann und darf nicht sein! Wir haben uns doch so unendlich lieb. Wir waren so verliebt, dass wir nicht einmal mitbekamen, welches Unheil in den schwarzen Wolken sich da über uns zusammenbraute.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1986 sollte meine eigene Flucht aus diesem verhassten Unrechtssystem stattfinden. Ich lief auf meine Haustür zu, müde vom Dienst und traurig, weil ich mich nur kurz von meiner lieben Heike verabschiedet hatte. Ich schloss die Haustür auf und ging hinein.

Die Stasi wartete schon auf mich

Ich drückte auf den Lichtschalter, aber alles blieb dunkel. Da dies schon öfter mal der Fall war, beunruhigte mich das nicht allzu sehr. Ich kannte diesen Hausflur in- und auswendig. Als ich die Tür zum Innenhof öffnen wollte sprach mich plötzlich jemand an und ich erschrak. Instinktiv tippte ich hier noch einmal auf den Lichtschalter, aber ein Licht ging nicht an. Er fragte mich:

„Sind Sie Herr Keil?“

„Ja“, sagte ich und blieb wie versteinert stehen.

Dann brüllte er los: „Wir kommen vom Ministerium für Staatssicherheit und Sie haben jetzt mitzukommen zur Klärung eines Sachverhaltes!“

Ich tat, als ob ich von nichts wüsste, und entgegnete, dass ich jetzt von der Arbeit komme und müde sei. Daraufhin sprang ein anderer auf mich zu und gab mir einen Stoß, sodass ich erst an der Wand im Hausflur wieder zum Stehen kam. Wieder erschrak ich, denn auch diesen Mann hatte ich vorher nicht gesehen. Es war eben dunkel. Ich stand noch nicht richtig, da bekam ich einen Tritt in meine Kniekehlen und sackte zusammen. Dann nahmen sie mich mit. Sie stießen mich in einen Pkw – Typ Lada 1300. Der Fahrer hatte scheinbar schon im Auto auf uns gewartet. Denn das ging alles so schnell, dass ich es gar nicht realisieren konnte, was hier gerade passiert war.

Im Fahrzeug legten sie mir Handschellen an, ich bekam noch einen kräftigen Schlag auf meinen Hinterkopf und dann ging die Fahrt los. Nach etwa zwanzig Minuten Fahrt hielten wir. Kurze Zeit später wurde die Fahrt fortgesetzt und gleich darauf hielt der Wagen wieder. Mir wurde die Tür geöffnet und dann wurde ich angebrüllt: „Raus!“ Mein Kopf tat immer noch weh. Ich steig aus und man brachte mich in ein Zimmer im Volkspolizeirevier. Es war nicht die Volkspolizei, die mich zu verhören begann, sondern die Stasi. Von den dreien aus dem Auto war keiner dabei.

Nach mehreren Stunden Verhör wurde ich in eine Zelle im Keller gebracht und dort wartete ich wieder mehrere Stunden, bis endlich der Kleine kam und mich anbrüllte, ich solle mitkommen. Von nun an war mir klar, dass ich verraten worden sein musste, denn die waren tatsächlich über die Vorbereitung meiner Flucht informiert. Ich habe lange und sehr oft darüber nachgedacht, wer mich verraten haben könnte. Mir fiel aber niemand ein.

Meine Gedanken drehten sich jetzt um meine liebe Heike. War mein Sternenäuglein jetzt auch in Gefahr? War sie noch in unserer Wohnung? War sie schon in unserer Wohnung? Würde sie nochmal nach Hause kommen? Hatte die Stasi sie genau wie mich abgefangen und zum Verhör gebracht? Wie sollte ihre zarte Seele so ein Verhör überstehen? Und die Frage: Wird Gott an ihrer Seite sein und sie schützen? Ich betete still für mich, dass Gott bei ihr sein möge, sie vor den Stasileuten schützen und darauf achten, dass ihr kein Leid zugefügt werden würde. Mein stilles Gebet schloss ich ab mit dem Vater unser.

Vom Volkspolizeirevier nach …?

Jetzt saß ich in einem Barkas-B 1000, einem DDR-typischen Kleintransporter. Man könnte ihn von der Größe her vielleicht mit einem VW-Transporter vergleichen. Vorn im Fahrzeug saßen zwei Männer, bekleidet mit einem weißen Kittel. Außen am Fahrzeug stand: „VEB Bako-Backwarenkombinat Berlin.“ So fiel das Fahrzeug im Straßenverkehr gar nicht auf. Es fuhr am Ende auf ein Gelände, welches scheinbar ein Objekt der NVA (Nationale Volksarmee) war. So mussten die Leute, die rundherum um dieses Objekt wohnten, denken, wenn sie nicht selbst dort arbeiteten, dass hier ein Barkas der Großbäckerei kommt um die, die dort arbeiteten, mit Backwaren zu versorgen. Tatsächlich war er aber alles andere als ein Fahrzeug der Großbäckerei, aber das war von außen eben nicht zu erkennen und das sollte es auch nicht.

Innen waren kleine Zellen. Ich wurde in eine Zelle gesetzt, in der ich mich nicht bewegen konnte, weil es viel zu eng war. Außerdem trug ich wieder Handschellen.

Dann ging die Fahrt los. Wieder hielten wir kurz nach dem Start an und es öffnete sich wohl ein schweres Eisentor. Danach fuhren wir erneut los, ein paarmal rechts und auch ein paarmal linksherum. Zwischendurch ging es auch mal lange geradeaus und so verlor ich irgendwann jede Orientierung. Ich glaubte, nicht mehr in Berlin zu sein, und das war wohl auch die Absicht, die die Stasi mit dieser Fahrt verfolgte. Nach mehreren Stunden Fahrt hielten wir an und alles wiederholte sich: ein schweres Eisentor bewegte sich, nach kurzer Fahrt hielten wir und es öffnete sich erneut ein schweres Tor. Wir fuhren noch ein paar Meter weiter, um dann wieder anzuhalten. Ich hörte, wie die Türen des Autos zugeworfen wurden, und kurz danach öffnete sich die Tür zu meiner Zelle. Ich bekam das Kommando: „Raus!“

Aus der stockdunklen, engen Zelle im Auto herauskommend, sah ich nur hohe Mauern, die überdacht waren. An einer Seite war ein großes Eisentor, durch das wir scheinbar gerade durchgefahren waren und an einer anderen Seite war eine kleine Treppe, die zu einer Tür führte. Ich hatte große Mühe, etwas zu erkennen, denn die grellen Lampen durchfluteten diesen Raum mit einem Licht, welches mich so sehr blendete, dass ich kaum etwas sehen konnte.

Ich stieg also aus und machte beim Aussteigen einen großen Schritt. Die Handschellen hatte ich immer noch um. Sie waren hinter meinem Rücken verschlossen. Als ich mit meinem Fuß den Boden berührte, wäre ich beinahe gestürzt. Der Höhenunterschied war doch sehr groß. Zum Glück war ich mit meinen knapp zwei Metern damals schon nicht der kleinste. So knickte ich ein, konnte aber den Schwung mit meinen Beinen ausgleichen. Allerdings ging ich richtig in die Knie dabei.

Nach etwa zwei Metern kam eine kleine Treppe mit drei Stufen. Am Ende dieser Treppe war eine Tür mit Glasscheiben, durch die ich jedoch nichts sehen konnte. Einer der Stasischergen schrie mich an, ich solle durch diese Tür gehen und mich dann rechts an die Wand stellen.

Ich dachte, dass dies doch eigentlich nur ein Albtraum sein könne, ich bald wach werden und feststellen würde, dass dies nur ein Albtraum war. Aber das sollte nicht geschehen.

Ich ging durch die Tür und gleich dahinter war noch eine Treppe mit etwa zehn Stufen. Oben, am Ende der Treppe, stand ein Stasischließer, der schon auf der linken Seite des Flures wartete. Der schrie mich an, meinen Kopf nach unten zu senken. Es dauerte wohl einen Moment zu lange, bis ich feststellte, dass ich ohnehin nur bis zur nächsten Stahltür sehen konnte. Rechts und links im Gang waren viele weitere Türen. Und an den Wänden war ein dünner Klingeldraht, der mit Bananensteckern verbunden war. Der Draht verlief in gut erreichbarer Höhe. Nur an den Türen verlief er oberhalb. Noch höher konnte ich mit meinem gesenkten Kopf nicht sehen. Plötzlich spürte ich auf meinem Hinterkopf einen Schlag mit der Faust. Mein Kopf war nämlich noch nicht ganz