Was ist diesmal anders? - Dirk Boll - E-Book

Was ist diesmal anders? E-Book

Dirk Boll

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Beschreibung

Kunst zu sehen, zu hören und zu fühlen ist die eine – zu wissen, wie Kunst vertrieben, gehandelt und geschätzt wird, die andere Seite der Medaille. Denn ob Börsen- oder Museumsparkett, beide teilen sich eine eng verwobene Geschichte. Der erfahrene Kunsthändler und -vermittler Dirk Boll erzählt sie anhand einer faszinierenden Konstante: Alle 10 Jahre durchleben Kunst- und Wirtschaftsmarkt eine tiefgreifende Erschütterung oder Transformation. Ob die Wirtschaftskrisen von 1990 oder 2010, das Platzen der ersten Internetblase 2000 oder die Corona-Krise – jedes Jahrzehnt findet zu einer gänzlich eigenen Taxierung der Kunst. Dies zumal im Kontext der digitalen Entwicklung vom virtuellen Viewing Room bis hin zu neuen Distributionsmöglichkeiten, durch die die Kunstwelt aktuell ihre nachhaltigsten Veränderungen erfährt. Höchste Zeit also, Bilanz zu ziehen und Kunst mit neuen Augen zu sehen. Dirk Boll (*1970, Kassel) studierte Jura und Kulturmanagement in Freiburg und Ludwigsburg und promovierte über die Organisationsformen des Kunstmarktes. Seit 1998 ist er für das Auktionshaus Christie's tätig und seit 2017 Präsident von Christie's Europe, Middle East, Russia and India.

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Seitenzahl: 409

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Was ist diesmal anders?

Was ist diesmal anders?

Wirtschaftskrisen und die neuen Kunstmärkte 1990 2001 2009 2020

Dirk Boll

Impressum

Lektorat

Richard Viktor Hagemann

Grafische Gestaltung

Neil Holt

Illustrationen

Kathrin Jacobsen

Schrift

Arnhem

Produktion

Vinzenz Geppert

© 2021 Hatje Cantz Verlag, Berlin, und der Autor

© 2021 für die Illustrationen: Kathrin Jacobsen

Erschienen im

Hatje Cantz Verlag GmbH

Mommsenstraße 27

10629 Berlin

www.hatjecantz.de

Ein Unternehmen der Ganske Verlagsgruppe

isbn 978-3-7757-4811-7 (Print)

isbn 978-3-7757-4812-4 (eBook)

isbn 978-3-7757-4905-3 (PDF)

Diese Publikation ist Amelie von Wedel gewidmet, die mir während des Lockdowns ihr Londoner Arbeitszimmer und ihre Handbibliothek zur Verfügung gestellt hat.

Mein Dank gilt

Edmund Bernard

Richard Viktor Hagemann

Astrid Mascher

Maxi Siegrist

Stephanie Tasch

Nicola von Velsen und dem Hatje Cantz Team

sowie Alexander Farenholtz für Inspiration und Korrektur

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Inhalt

1. Die regionale Ökonomiekrise: Vorboten der Asienkrise und der Markteinbruch im Sommer 1990

1.1 Neue Nachfragegruppen

1.2 Investieren in Kunst

1.3 Die Japanmode regiert die Kunstmärkte

1.4 Fazit

2. Die digitale Industriekrise: Das Platzen der Internetblase und die Marktabschwächung 2000/2001

2.1 Digitale Träume: Auktionen im Internet

2.2 Facetten einer Krise

2.3 Mühevoller Neubeginn

2.4 Fazit

3. Die globale Finanzkrise: Größenwahn und Kater im Winter 2008/2009

3.1 Immer höher und weiter

3.2 Die globale Finanzkrise /3.2.1 Das vorläufige Ende der Garantien / 3.2.2 Eine Jahrhundertauktion in Paris /

3.3 Wiederaufstieg

3.4 Fazit

4. Die Gesundheits- und Gesellschaftskrise: Corona verändert die Welt in 2020

4.1 Die Krise erreicht alle Winkel der Welt – und die Kunstmärkte

4.2 Der »alte« Kunstmarkt / 4.2.1 Ausgabenexplosion und Kosten­kontrolle / 4.2.2 Finanzielle Dienstleistungen als »slow disruptors« / 4.2.3 Kunstberatung / 4.2.4 Vorschusszahlungen und Kunstkredite /

4.3 Die Kunstwelt im Lockdown / 4.3.1 Galerien / 4.3.2 Messeunternehmen / 4.3.3 Auktionshäuser 4.3.4 Hybride Formate / 4.3.5 Dezentralisierung / 4.3.6 Die Unterstützung der Gemeinschaft

4.4 Die Mediatisierung der Kunstwelt / 4.4.1 Online Viewing Rooms / 4.4.2 Online-Messen / 4.4.3 Online-only-Auktionen / 4.4.4 Transparenz

4.5 Nach der Wiedereröffnung: Alles bleibt anders / 4.5.1 Regionalisierte Erholung / 4.5.2 Staatliche Hilfen

4.6 Fazit

5. Die neuen Kunstmärkte der Zwanziger Jahre: Schöne neue digitale Welt

5.1 Gesundheit

5.2 Corona als Katalysator / 5.2.1 Homeoffice / 5.2.2 Rückkehr zum Konsum / 5.2.3 Kunstmarktökonomie und Geschmack

5.3 Regionalisierung und Dezentralisierung

5.4 Wird Hongkong das neue New York? / 5.4.1 Politische Rahmen­bedingungen / 5.4.2 Wirtschaftliche Realitäten / 5.4.3 Ausblick

5.5 Museen und Kunstmarkt / 5.5.1 Weniger Besucher, weniger Geld / 5.5.2 Nur mehr mediale Institutionen / 5.5.3 Die Krise der Kunstkritik verstärkt die Bedeutung der Museen im Kanonisierungsprozess / 5.5.4 Auch die Museen Europas werden Bestand verkaufen / 5.5.5 Der Wertanstieg stellt die Frage nach der Erlösbeteiligung des Systems

5.6 Ethik / 5.6.1 Rassismus / 5.6.2 Gleichberechtigung, Diversität und Inklusion / 5.6.3 Kolonialismus ist out, ebenso Postkolonialismus5.6.3.1 Die andere Kunstgeschichte / 5.6.3.2 Die Frage nach dem richtigen Ort / 5.6.4 Der Karbon-Fußabdruck / 5.6.4.1 Umweltbewusstsein Prä-Corona / 5.6.4.2 Corona und Nachhaltigkeit / 5.6.4.3 Warum Braun das neue Schwarz ist / 5.6.5 Risiken der Institutionen / 5.6.6 Reformmaßnahmen für Kunstmarktunternehmen

5.7 Schöne neue digitale Welt / 5.7.1 Sichtbarkeit im digitalen Raum5.7.2 Die Intelligenz der Maschine / 5.7.2.1 Der elektronische Experte / 5.7.2.2 Elektronische Kuratoren und Galeristen / 5.7.2.3 Client Relationship Management (CRM) / 5.7.3 Schöne neue digitale Märkte5.7.3.1 Der Durchbruch der Internetauktion / 5.7.2.2 Galerie, Kunst­handel und Messe / 5.7.4 Marketing / 5.7.4.1 Messe- und Auktions­kataloge in Druckauflage / 5.7.4.2 Elektronische Kataloge / 5.7.4.3 Digitale Präsentationsräume / 5.7.5 Direkter Kunstgenuss beim Kauf

5.8 Die nächste Generation der Sammlerschaft / 5.8.1 Der demo­kratisierte Markt der industriellen Luxusobjekte / 5.8.2 Analoge Reminiszenzen

5.9 Versuch eines Fazits

Anmerkungen 223

Was ist diesmal anders? Wirtschaftskrisen und die neuen Kunstmärkte 1990 2001 2009 2020

Das Jahr 2020 sah eine der größten Herausforderungen der Menschheitsgeschichte. Seit dem Ausbruch des Covid-19- oder Coronavirus konnte man seine erfolgreiche Globalisierung verfol­­gen, die den Erreger in kurzer Zeit in jeden Winkel der Welt brachte. Niemand war vorbereitet, und ihre selbstverordnete Ge­fangenschaft hat die Menschheit in ihre tiefste Krise seit dem Ende des zweiten Weltkriegs gestürzt, emotional wie wir­tschaftlich.

Jeder Mensch, jeder Ort, jeder Wirtschaftsbereich war betroffen. Wohl denjenigen Zeitgenossen, die sich früh medial verbunden hatten und die Zurückgezogenheit nicht als Einschränkung empfanden, und den Industrien, welche ihre Geschäfte digital erledigen konnten. Der Bereich der Kunst war doppelt betroffen: Traditionell langsam in der Adaption digitaler Praktiken, vor allem in den Bereichen Rezeption und Vertrieb, ist er in allem Tun fokussiert auf die unmittelbare und persönliche Erfahrung, sei es als performatives Erlebnis oder im Umgang mit der vielbesungenen Aura des Originals.

Betroffen waren vor allem die Kulturschaffenden, die ohne Publikum nicht mehr auftreten konnten. Es betraf aber auch die Bildenden Künstlerinnen und Künstler, selbst wenn sie zurückgezogen im Atelier arbeiten. Unterstellt, dass die Rezeption ihrer Werke zum Teil ihres Schaffens zählt, ist die Erschwernis, wenn nicht gar Verhinderung ihres Zuganges ein existenzieller Eingriff. Institutionelle wie kommerzielle Kunstvermittler begannen, ihre Arbeit in den digitalen Raum zu verlagern. Und mag die Betrachtung der Museumssammlung auf dem Bildschirm noch annähernd adäquat erscheinen, so kam der Handel mit Kunstwerken in einer Zeit genereller Ausgangssperren zwangsläufig zum Erliegen.

Betrachtet man die Geschichte der Kunstmärkte des letzten halben Jahrhunderts, kann man den größten Evolutionsschritt im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts sehen. Zuvor waren die Kunstmärkte regional organisiert und dadurch nur begrenzt konjunkturellen Einflüssen ausgesetzt. Die Internationalisierung, und ab der Jahrtausendwende die Globalisierung brachten neue Sammlerinnen und Sammler, und auch die Ansehung von Kunstwerken als Investitionsobjekte. Beides hat die Preise steigen lassen, aber die Kunstmärkte in stärkere Abhängigkeiten zu globalen ökonomischen Entwicklungen gebracht. Dies wurde in immer neuen Rekordpreisen sichtbar, aber auch in Rückkopplungseffekten von Wirtschaftskrisen, die Kunstmarktkrisen wurden.

Im Rückblick muss man feststellen, dass die Kunstmärkte ungefähr alle zehn Jahre von einer größeren Krise erfasst wurden Diese Publikation betrachtet, wie die Marktsysteme darauf reagiert haben und von der Krise und Reaktion darauf verändert wurden.

1] Die regionale Ökonomiekrise: Vorboten der Asienkrise und der Markteinbruch im Sommer 1990

Der Boom der 1980er-Jahre mündete in einen großen Crash. Im Rückblick sind die Effekte und das Zusammenspiel der neuentdeckten Liebe zur Kunst des Impressionismus, regional gebündelter, exorbitanter Nachfrage und deren Zusammenbruch im Sommer 1990 bemerkenswert. Gab es erste Anzeichen einer Beschleunigung des Geschmackswandels, forderte die erste Phase von Art Investment ihren Tribut?

2] Die digitale Industriekrise: Das Platzen der Internetblase und die Marktabschwächung 2001

Die ersten Versuche, Kunst im Internet kommerziell zu vermitteln, hatten nicht die Wirkung oder gar disruptive Durchschlagskraft, die in anderen Industrien umgehend sichtbar wurde. Internetauktionen musste man gar als vorerst gescheitert ansehen. Gleichzeitig wurde im »Neuen Markt« viel Geld verdient, das auf die Kunstmärkte kam und geholfen hat, Kunstinvestment zu professionalisieren. Eine beispiellose Vertrauenskrise folgte auf die Aufdeckung eines illegalen Kartells, das die beiden markt­beherrschenden Unternehmen zum Schutz ihrer Margen gebildet hatten.

3] Die globale Finanzkrise: Größenwahn und Kater im Herbst 2009

Die Märkte des frühen 21. Jahrhunderts waren durch Globalisierungseffekte massiv gewachsen. Hier lagen die Auktionsunternehmen vorn, da sie auf Basis tragfähiger Marken früh Netzwerke aus Niederlassungen gebildet hatten und nun der Sammlerschaft der aufstrebenden Regionen vor Ort zu Diensten sein konnten. Um den Nachschub im teuersten Marktsegment zu organisieren, verließ sich die Industrie zunehmend auf Mindestpreisgarantien zur Absicherung in der Auktionsarena. Als die Finanzkrise eintraf, waren Millionenverluste vorprogrammiert. Im Rückblick kann wohl die »Phoenix aus der Asche«-Auktion des Yves Saint Laurent Nachlasses in Paris im Februar 2009 als Rettung des Marktsystems angesehen werden.

4] Die Gesundheits- und Gesellschaftskrise: Corona verändert die Welt im Frühjahr 2020

Die Einordnung und Funktion von Kunstwerken als mobile Wertspeicher hatten nach 2009 die Märkte zügig wieder auf Wachstumskurs gebracht. Wenig überraschend, dass Anleger auch das Portfolio bewirtschaften wollten und verstärkt auf Art-Lending-Angebote zurückgriffen. Galerien und Messen hatten durch eigene Kettenbildung Marktanteile von den Auktionsunternehmen zurückgewonnen, ab Ende der 2010er-Jahre wurde jede Woche irgendwo eine Messe eröffnet. Im Frühjahr 2020 betrat das Corona Virus die Weltbühne, und plötzlich durfte niemand mehr all diese eleganten Convention Center besuchen. Hatte man nicht ohnehin schon vorher an »Fairtigue« gelitten? Während der Lockdowns war die Rezeption von Kunst an Originalen unmöglich geworden, die Kunstwelt auf digitale Präsentationen in Viewing Rooms zurückgeworfen. Der Kunstkonsum war über Nacht im digitalen Zeitalter angekommen.

5] Die neuen Kunstmärkte der Zwanziger Jahre: Schöne neue digitale Welt?

Der Versuch eines Ausblicks, wie die Coronakrise die internationalen Kunstmärkte wohl beeinflussen wird. Man hat gesehen, wie die historischen Krisen die Strukturen der Märkte verändert haben, und was die großen Konstanten sind: Spielt es eine Rolle, das mit der Art Basel und Sotheby’s jetzt zwei Spieler mehrheitlich im Eigentum vom Medienunternehmern stehen? Werden tatsächliche, physische Ausstellungen, Auktionen und Messen bald der Vergangenheit angehören? Vielleicht sogar das Werk als körperliches Objekt? Waren es bislang Krisen, die als Brandbeschleuniger vermeintlich hausgemachte Probleme der Kunstmarkt­systeme offensichtlich machten und die Distribution zum Kollabieren brachten, so erscheint die Coronakrise der Zwanziger Jahre als fundamentaler Umbruch etablierter Verhältnisse in der Kunstwelt. Dies ist nicht mehr die »verdiente Strafe für übertriebene Gier der Marktteilnehmer«, dies ist eine neue Welt. Für alle, die sich mit Kunst befassen.

London, im Herbst 2020

Dirk Boll

Kapitel 1: Die regionale Ökonomiekrise: Vorboten der Asienkrise und der Markt­einbruch im Sommer 1990

Die 1980er-Jahre sehen die Effekte und das Zusammenspiel von der neuentdeckten Liebe zur Kunst des Impressionismus, regional gebündelter, exorbitanter Nachfrage und deren Zusammenbruch im Sommer 1990, sowie die erste Welle von Art Investment.

Die Strukturen der internationalen Kunstmärkte haben sich über Jahrhunderte herausgebildet, von den Trophäenauktionen der Antike und den Kunsthändlern feudalistischer Residenzstädte über die adeligen Grand-Tour-Einkäufe und die Absatzstrategien der Impressionisten bis hin zum Galeriesystem und den Kunstmessen der Nachkriegszeit.1 Nachdem seit den 1960er-Jahren Kunsthandels- und Auktionsunternehmen Niederlassungen in den Wirtschaftszentren der westlichen Welt gegründet hatten, um eine dortige Klientel zu erreichen, war in den 1980er-Jahren eine – zumindest für die westlichen Industrie­nationen – vollständige Internationalisierung erreicht.

Wirtschaftskapitäne der Kunstwelt: A. Alfred Taubman

Die kommerzielle Kunstwelt ist von einer vielfältigen Landschaft von Unternehmen geprägt, die zunächst durch ihre geringe Größe auffallen. Ausnahmen sind die Auktionsunternehmen mit ihren internationalen Niederlassungen und Hunderten, wenn nicht Tausenden von Mitarbeitern. Seit dem 18. Jahrhundert hatten sich diese Firmen von Familienbetrieben in Gesellschaften verwandelt, in denen traditionell die Direktoren die Teilhaber waren.

Mit fortschreitender Professionalisierung in Beschaffungsanalyse, Absatzplanung, Kundendienst, Markenpflege oder Kommunikation zeigte sich in den 1970er- und 1980er-Jahren die Industrialisierung des Geschäfts. Diese Entwicklung wurde auch in der Veränderung von Eigentumsstrukturen erkennbar: Als A. Alfred Taubman 1983 die Anteile der Firmendirektoren des Auktionshauses Sotheby’s erwarb, wurde er zum ersten Alleineigentümer eines solchen Unternehmens seit dem 18. Jahrhundert. Taubman war Immobilienhändler und Bauunternehmer und galt als der Erfinder der Shopping Mall. Er konnte das überschuldete Unternehmen für den als günstig angesehen Preis von 87 Millionen Pfund erwerben, die er mittels der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft nach US-amerikanischem Recht teilweise refinanzierte. Marktbeobachter freuten sich über den Zugewinn an Transparenz, denn Sotheby’s folgte fortan den detaillierten Vorgaben für Rechenschaftsberichte. Der neue Eigentümer freute sich, dass er nun über das eigene Unternehmen seine Kunstsammlung aufbauen konnte, aber auch über die gesellschaftliche Türöffnerfunktion des Unternehmens: »It’s like buying the throne!«2

1.1 Neue Nachfragegruppen

Mit dem Auftreten einer neuen Generation von Nachfragern wur­de zunächst ein gestiegenes Interesse an der Kunst des Im­pressionismus sichtbar. Dies entsprang in den Jahren der Nachkriegszeit durchaus einer gesamtgesellschaftlichen Hal­tung – so wie man im 19. Jahrhundert begeistert Renaissance-Kunst sammelte, waren es im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts die fröh­lichen, sonnenerfüllten und paradiesähnlichen Bilder der Im­pressionisten.

Die ersten Käufer, welche diese Hinwendung zur Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts vollzogen, waren die amerikanischen Sammler, die regelmäßig von der Vorstellung des gegen die Gesellschaft rebellierenden Künstlers fasziniert sind. Sie finden höfische Kunst gegenüber dem Mythos der Boheme weniger interessant; sie bevorzugten die Werke des Salon des Refusés vor denen eines »snobistischen« Akademismus. Die Entscheidung privater amerikanischer Käufer für impressionistische Kunst war vielleicht auch eine Rebellion gegen fünf Jahrhunderte elitärer europäischer Kunst. Der Marktdurchbruch selbst kann an einem Ereignis festgemacht werden: Die Versteigerung der Sammlung Weinberg durch Sotheby’s in London 1957. Wilhelm – später William – Weinberg war ein deutscher Bankier, der seine Gemäldesammlung nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten nach Amerika hatte verbringen lassen, wohin er bei Kriegsbeginn folgte. Fachkundig beraten, hatte er eine hochbedeutende Sammlung zusammengetragen, die allein 10 Gemälde von van Gogh enthielt. So wurde 1957 »that year, in which the Impressionist mania was born«, so Peter Watson, der Chronist der Kunstmärkte. Erstmals wurde eine Auktion professionell als Event vermarktet – sogar die Queen wurde geladen und erschien unter großer Anteilnahme der Medien zur Vorbesichtigung.3 Ein Jahr später verkaufte dasselbe Unternehmen elf impressionistische Gemälde aus der Sammlung von Jakob Goldschmidt in der ersten Abendauktion der Geschichte. Das in Abendgarderobe erschienene Publikum wurde beim Bieten durch den ersten in Farbe gedruckten Katalog unterstützt.4

1.2 Investieren in Kunst

Dies war der Beginn der Entwicklung, die in den folgenden Jahren althergebrachte Kunstmarktgesetze außer Kraft setzen sollte: Hatte zuvor der künstlerische Wert den Großteil des Handelswerts bestimmt, und damit Fragen der kunsthistorischen Legitimierung und der Seltenheit des Werkes den Preis, so wurde die Brandbreite von Kriterien durch Provenienz, Marktgeschichte, Wiedererkennungswert, Wertentwicklung und Breitenwirkung erweitert. In der Folge entstand eine Spirale der Wertentwicklung: Steigende Preise bewegten immer mehr Eigentümer von Kunst zum Verkauf, was existierende Nachfrage bediente und neue schuf, oft von nachhaltigem Investmentinteresse bestimmt. Spätestens seit den 1970er-Jahren führte der große Wertzuwachs für Kunstwerke zu deren Ansehung als Investitionsgüter.

Kunstwerke als Investitions­güter

Kunstinvestitionen kann man wie sonstige Investmentfonds und systematisch aufgebaute Portfolios beurteilen. Im Vergleich zu Wertpapieren ist bei Kunst allerdings nur schlecht eine Entwicklungsprognose erstellbar – es gibt keinen objektiven, wissenschaftlichen Maßstab zur Feststellung künstlerischer Qualität einerseits und deren Einfluss auf die Wertentwicklung andererseits. Denn die Faktoren, die diese Entwicklungen determinieren, entstehen vor allem aus der Vergangenheits­beobachtung und sind nicht in die Zukunft transponierbar. Im Falle einer professionellen Anlageverwaltung wird das Angebot auf dem Kunstmarkt wie auf dem traditionellen Börsenparkett in sichere (»Blue Chips«) und unsichere Investitionen eingeteilt. Sichere sind hierbei Werke von Künstlern, deren Gesamtwerk in Quantität, vor allem aber in Qualität bereits weitreichend festgelegt ist. Eine »prognostizierte« Wertsteigerung rechtfertigt selbst einen exorbitanten Marktpreis, da auch dieser in der Zukunft wieder überboten werden wird: Eine US-amerikanische Untersuchung hat ergeben, dass mit dem Wert des Werkes die Wahrscheinlichkeit steigt, dass es wieder auf den Markt gebracht wird.5

Wird eine Sammlung wie ein Aktienportfolio professionell verwaltet, stellen auch im Kunstbereich Spontankäufe die für den Erfolg des Investments größte Gefahr dar. Diese irrationale Einwirkung einer Sammlerpersönlichkeit ist in einem Kunstfonds gänzlich ausgeschaltet; um den Preis, dass ein einzelner Sammler im Krisenfall möglicherweise rascher reagieren kann. Wie ein Kunsthändler kaufen Berater für den Fonds Werke, die sie für unterbewertet halten, und bringen sie wieder auf den Markt, sobald die Rahmenbedingungen dies empfehlen.

Folgerichtig entstand auf der Nachfragerseite bald ein wachsendes Informationsbedürfnis bezüglich der Eigenschaften, Marktsituation und -entwicklungen. Als ersten unabhängigen Index etablierte sich 1975 der Art-Sales-Index. Zu dessen Erstellung werden in verschiedenen Kategorien fixe Warenkörbe mit 30 bis 40 Kunstwerken gebildet und zweimal pro Jahr von Kunstmarkt-Experten geschätzt. Die Zusammenstellung der Warenkörbe ist bis heute geheim, um eine Manipulation auszuschließen; veröffentlicht wird nur die aktuelle Schätzung. Der Mei/Moses-Fine-Art-Index, entwickelt von Professoren der Stern School of Business in New York, widmet sich dem Sekundärmarkt und erstellt auf Basis von Auktionsergebnissen und weiteren Wirtschaftsdaten eine generalisierte Renditebetrachtung von Kunstwerken, die seit 1875 mehr als einmal versteigert wurden.6 Aber auch die Sicht der Marktteilnehmer auf ihre Arbeit wurde strukturiert: Im November 1989 veröffentlichte Sotheby’s erstmals eine Auflistung aller Auktionszuschläge des Monats, die als »The Million-Dollar-List« in die Geschichte eingegangen ist. Nach dieser Liste wurden allein im November 1989 58 Kunstwerke für mehr als 5 Millionen Dollar, 305 für mehr als eine Millionen Dollar und außerdem Werke von Picasso für insgesamt 377 Millionen Dollar verkauft.7

Beispielhaft für frühes professionelles Kunstinvestment war die Sammeltätigkeit des British Railway Pension Fund. Er begann 1974, einen Teil seines Cash-Flows in Kunst anzulegen. Hierzu kaufte ein Komitee Kunstwerke aller Sammelgebiete, die langfristig wieder verkauft werden sollten (und teilweise während des Booms Ende der 1980er-Jahre vorzeitig wieder abgestoßen wurden). Einige spektakuläre Impressionisten-Verkäufe machten das Engagement rasch über die Kunstwelt hinaus bekannt und untermauerten die Vorstellung von Kunst als hochkarätigem Investment. Eine spätere, breit angelegte Untersuchung des Funds ergab allerdings, dass die Rendite zwar höher lag als bei Regierungsanleihen, aber niedriger als bei Aktieninvestitionen: Als der Fond im Juli 1996 die letzte Gruppe von (Altmeister-)Gemälden verkaufte, wurde annonciert, man habe über die gesamte Haltedauer einen Investitionsgewinn von insgesamt 13,11% p.a. (inflationsbereinigt 5,33% p.a.) erwirtschaftet.8

Strukturbedingungen von Kunstinvestment

Eine Erfassung der von Marktzyklen unabhängigen Strukturbedingungen, die die Eignung von Kunst als Investment bestimmen, zeigt mannigfaltige Risikobereiche. Professionelle Investmentplanung und Fondsgestaltung haben Rekordpreise als Augenblickseffekte entlarvt. Renditeberechnungen bergen unabhängig von der Ertragshöhe, die sie versprechen, eine immanente Gefahr: Liegt ihnen ein Mischindex zu Grunde, so kann der Indikator richtig sein, im Einzelfall aber möglicherweise nicht zutreffend – selbst bei großen Künstlern ist die Qualität der Werke durchaus schwankend.9 Nicht nur für Käufer in »unmodischen« Gebieten, ganz generell stellt sich das Investieren in Kunst stärker denn je als Langzeit­engagement dar; erfolgreiche Investoren sehen das Kunstwerk vor allem als Wertspeicher.10

Denn aufgrund der zyklischen Bewegungen im Kunstmarkt ermöglicht eine langfristige Geldanlage das Abwarten gegen­läufiger Strömungen.

Nicht umsonst lautet ein amerikanisches Sprichwort: »You sell art to make money, you keep art to make wealth«.11

1.3 Die Japanmode regiert die Kunstmärkte

In den 1980er-Jahren erlebten die internationalen Kunstmärkte den größten Boom der Nachkriegszeit. Die Marktentwicklung dieses Jahrzehnts wurde definiert durch die zunehmende Verflechtung mit den Finanzmärkten, der damit verbundenen Einschätzung von Kunst als Investment und dem Auftreten japanischer Käufer auf den westlichen Marktplätzen.12 Das steigende Interesse japanischer Sammler an impressionistischer Kunst, welche sich mit der fernöstlichen Ideenwelt beschäftigte, ist zentral für die Marktentwicklung dieser Jahre. Der Grund dafür liegt in den herausragenden ökonomischen Rahmenbedingungen Japans und der Entwicklung seiner Währungsnotierungen in dieser Phase. Zwischen 1945 und 1980 hatte sich das internationale Handelsvolumen aller Märkte verzwanzigfacht. Von dieser Entwicklung profitierten einzelne Staaten in besonders starkem Masse. 100 Jahre nach dem Höhepunkt der Japanbegeisterung in Europa führten die erstarkte japanische Ökonomie und diese historische künstlerische Verbindung dazu, dass japanische Millionäre auf westlichen Märkten »japonesque« Kunst kauften, vor allem eben Werke des französischen Impressionismus.13

Der Japonismus als Brücke zwischen Europa und Asien

Freier Handel ist die Basis nicht nur von nationalem Wohlstand, sondern auch von Verständigung zwischen den Kulturen. Strategisches Vorgehen zur Etablierung und Sicherung von Handel wie auch die Wertschätzung auslän­discher Produkte haben oft die Befassung mit einer fremden Welt zur Folge, deren Auswirkungen auf die eigene Kultur gar nicht unterschätzt werden können. Trotzdem sind diese kulturellen Effekte in aller Regel schwierig zu erfassen oder gar zu definieren.

Eines der wenigen erfahrbaren Beispiele bietet die europäische Japan-Mode in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Japan war ein gegen die westliche Welt abgeschottetes Land und öffnete unter US-amerikanischem Druck erst 1858 seine Häfen für ausländische Schiffe. In der Folge kam es rasch zu Handelsverbindungen mit Europa und Amerika, die sich zunächst auf die offensichtlichen Handelsgüter wie Tee, Lack oder Seide konzentrierten. Die Kunde von dieser exotischen Welt, die sich so sehr von anderen, bekannteren asiatischen Kulturen unterschied, führte zu einer starken Nachfrage nach japanischen Produkten. Vor allem der Wunsch, diesen Bedarf auch mit heimischer Produktion im japanischen Stil zu stillen, führte zu Gebrauchsgegenständen, deren stilistische Entwicklung eine wichtige Quelle für den späteren Jugendstil wurde.

Dieser neue Einfluss erschöpfte sich nicht in der Gestaltung von industriell gefertigten Gütern oder Kunsthandwerk, sondern führte auch in der Bildenden Kunst zu einer grundlegenden Auseinandersetzung mit der japanischen Formensprache. Botschafter dieser Gestaltungsprinzipien waren japanische Farbholzschnitte, die zur Verpackung von Handelsgütern eingesetzt wurden und in Europa rasch Verbreitung fanden. Künstler wie Vincent van Gogh, Camille Pissarro, Edgar Degas oder Paul Gauguin wurden von diesen kulturellen Zeugnissen stark beeinflusst und trugen mit ihrer Arbeit zur Schaffung des Japonismus bei.14

Die große Finanzmacht der japanischen Nachkriegsgesellschaft in den 1980er-Jahren wurde ab September 1985 zudem durch die staatlich kontrollierte Devaluation des Dollars unterstützt: Bis 1987 hatte der Dollar gegenüber dem japanischen Yen 51% seines Wertes eingebüßt. Im Frühjahr 1987 wurde die Situation durch einen neuen Weltrekord zusätzlich angeheizt: Christie’s versteigerte van Goghs Sonnenblumen für 24,75 Millionen Pfund. Dass es sich hierbei um den ersten Zuschlag handelte, der einem Telefonbieter erteilt wurde, zeigt die Internationalisierung, die die Kunstmarktstrukturen zu diesem Zeitpunkt erreicht hatten. Es war der erste Weltrekord, der nicht durch ein Altmeistergemälde erzielt wurde, und diese Botschaft verfehlte ihre Wirkung auf die Märkte nicht.15

Der Zuschlag hatte eine Lawine von hochkarätigen Gemäl­deauktionen zur Folge, die die Weltrekorde immer rascher brachen, ungeachtet des sogenannten »Schwarzen Montags«: Als der Aktienmarkt am 19. Oktober 1987 zusammenbrach, blieb der erwartete Folgecrash auf den Kunstmärkten zunächst aus, obgleich der Dow Jones einen historisch maximalen Kursverlust (Maximum Drawdown) innerhalb von lediglich 38 Tagen auswies – dieser Rekord wurde erst im Frühjahr 2020 gebrochen. Stattdessen etablierte Sotheby’s schon im November 1987 einen neuen Preisrekord für das Œuvre des Malers, als van Goghs Schwert­lilien für 53,9 Millionen Dollar verkauft werden konnten. Kunst war als Assetklasse akzeptiert worden, nachdem der Markt substanziell gewachsen war und damit die für eine gewisse Datendichte notwendige Zahl von Transaktionen aufwies. Damit wurden die Kunstmärkte zum Ziel der anderweitig abgezogenen Gelder. Regelmäßige Rekordmeldungen sorgten für Nachschub in Angebot und Nachfrage, denn die Entwicklung traf auf eine wachsende Zahl vermögender Abnehmer. 1987 hatte das Forbes Magazine erstmals zusätzlich zur sogenannten »Rich List« auch eine »Bil­lionaires List« publiziert, die in jenem Jahr 140 Indivi­duen ver­zeichnete.16

Der Schwarze Montag 1987 zeigte Parallelen zu der Börsen­situation im Frühjahr 2020. Ausgangspunkt war in beiden Fällen ein als recht sicher empfundener, langandauernder Bullenmarkt; sinkendes Wachstum traf auf anziehende Inflationsraten. Schon 1987 reagierte das Federal Reserve Board (FED) der USA mit einer restriktiven Geldpolitik. Die Teilnehmer der Finanzmärkte waren durch die neu eingeführte Portfolioabsicherung weitgehend sorglos, ein langanhaltendes Wachstum wurde für nach­gerade selbstverständlich hingenommen. Nach dem Crash am Schwarzen Montag wurden erstmals automatische Handelsunterbrechungen eingeführt, und die Kurse erholten sich vergleichsweise zügig: Bereits im Juli 1989, nach weniger als zwei Jahren, überschritt der S&P500 seinen vormaligen Höchststand wieder.17

Die Flucht des Geldes in Richtung Kunstmärkte erfasste zwischen 1987 und 1989 zunehmend auch Werke der Bildenden Kunst, die nach 1945 entstanden waren (und in Auktionen als »zeitgenössische Kunst« kategorisiert wurden), deren Markt nun ebenfalls erste Anzeichen einer Überhitzung zeigte: Ganz öffentlich war die hohe Frequenz der Rekordpreise. Eher ein Indikator für Marktinsider hingegen die rapide ansteigende Zahl von aktiven Tradern, also Kunsthändlern, die ganz ohne Räume, Bestand, Ausstellungen oder Publikationen schlicht Werke kommerziell vermittelten, schnell und gegen Kommission. Trotzdem schien niemand eine Abkühlung oder gar eine Krise vorausgesehen zu haben, weder bei den impressionistischen noch bei den zeit­genössischen Werken. Die Marktteilnehmer investierten weiter in ihre Infrastruktur. Noch gegen Ende 1989 unternahm Galerist Larry Gagosian eine signifikante Expansion, als er in den großzügigen früheren Räumlichkeiten von Sotheby’s an der Madison Avenue seine zweite New Yorker Galerie eröffnete. Auch die Pace Gallery investierte in New York noch im Frühjahr 1990 in neue, von Leo Castelli übernommene Räume.18

Höhepunkt dieser rasanten Entwicklung war zweifellos die­jenige Woche im Mai 1990, in der der japanische Papierproduzent Ryoei Saito in New York bei Christie’s das Portrait des Dr. Gachet von Vincent van Gogh für 82,5 Millionen Dollar und bei Sotheby’s Auguste Renoirs Gemälde Au Moulin de la Galette für 78,1 Millionen Dollar ersteigerte. Die Transaktionen waren beispielhaft für den Boom: Er wurde getragen von impressionistischer Kunst und vielfach bezahlt mit japanischem Geld.19

Kurz vor diesen Rekordmeldungen gab es dann erste Anzeichen, dass der Markt seinen Höhepunkt überschritten hatte. Zahlreiche Einzelfaktoren, vor allem stagnierende Wirtschaftsdaten in Japan als Vorboten der Asienkrise der 1990er-Jahre, steuerpolizeiliche Untersuchungen von Kunstkäufen und steigende Rücklaufquoten auf den Londoner Sommerauktionen hatten zur Folge, dass spekulative Investoren sukzessive ihre Gelder vom Kunstmarkt abzogen. Zuvor nur vereinzelt wahrnehmbare Aspekte erhielten mit der irakischen Invasion Kuwaits am 2. August 1990 und dem sich daraus entwickelnden ersten Golfkrieg ein medienwirksames Symbol, gleichzeitig Krisensignal und -ursache.20

Zwischen Frühjahrs- und Herbstsaison des Jahres 1990 kam der Markt zu einem kompletten Stillstand, auf den Novemberauktionen ging über die Hälfte der angebotenen Werke unverkauft zurück. Durch Panikverkäufe verloren viele Anleger ihre Einsätze, Kunst war als Spekulationsgut vorerst diskreditiert. Die Investoren der ersten Stunde mussten schmerzhaft erfahren, dass steigende Wertnotierungen von vergleichbaren Werken sich nicht immer durch die Verkäufe der eigenen realisieren lassen. Zudem wurde vielen deutlich, dass auf den Kunstmärkten ein Wertzuwachs (auch im Falle eines erfolgreichen Wiederverkaufs) nicht mit einer hohen Rendite gleichgesetzt werden kann. So mancher hatte die Transaktionskosten unterschätzt, sowie die Kosten während der Haltedauer: Die Kehrseite der durch Preissteigerungen suggerierten Wertzuwächse war nämlich erstmals ein direkter Anstieg der Folgekosten, denn der Aufwand für Sicherheitsvorrichtungen, Klimatisierung, Versicherung, Mehrwert-, Erbschafts- und Schenkungssteuer steigt proportional zum Wert des Kunstwerks. Um überhaupt einen Gewinn zu erwirtschaften, muss ein Kunstwerk alle fünf Jahre seinen Wert um 50 Prozent steigern – im Hochpreisbereich konnte nicht ein­mal der Boom der späten 1980er-Jahre derartige Performances liefern.

Und so verließen in der zweiten Jahreshälfte 1990 die Investoren die Kunstmärkte in Scharen. Das erfasste auch die Galerien, denn ohne positive Wertprognose wurde die jüngere Kunst nicht länger als Pipeline für Handelsobjekte zur Erzielung künftiger Profite angesehen. »The telephone literally didn’t ring...,« erinnerte sich Larry Gagosian an den gespenstischen Winter 1990/91 zurück. Besonders stark hatte der Einbruch die den Wachstumsbereich Impressionismus getroffen: David Nash, der damalige Abteilungsleiter, erinnert sich, dass seine Abendauktion bei Sotheby’s, die im Mai 1990 noch ein Umsatzpotential von 350 Millionen Dollar aufgewiesen hatte, im Herbst auf 35 Millionen Dollar geschrumpft war. Dieser Umsatzrückgang war weniger sinkenden Preisen zuzuschreiben als dem Fehlen bedeutender Werke, deren Eigentümer der Nachfrage nicht ausreichend vertrauten, um die Bilder auf den Markt zu bringen.21

Die Krise wurde ab 1992, spätestens 1993 als überwunden angesehen, zumindest auf den Primärmärkten, die positive Signale aussandten: Manuela und Ivan Wirth expandierten und eröffneten eine New Yorker Niederlassung; auch David Zwirner schien neue Chancen auszumachen, denn er eröffnete eine Galerie in SoHo. Die Sekundärmärkte hingegen zeigten erst ab 1994 wieder steigende Umsatzzahlen, weiß David Nash. Umsatztreiber waren dann aber nicht länger Werke des Impressionismus, sondern der Klassischen Moderne und der Nachkriegskunst.22

1.4 Fazit

Die 1980er-Jahre sahen eine beispiellose Dynamik auf den Kunstmärkten. Auf sich international vernetzenden Märkten bewirkte dieser Zuwachs auf der Nachfragerseite einen enormen Sprung in den Bewertungen. Hohe Preise wurden plötzlich nicht mehr nur für Altkunst bewilligt, sondern generell für Werke, die kanonisiert waren, beinahe unabhängig von Alter oder Epoche. Vor allem der Geschmack der wichtigsten Käufergruppe schlug durch, vor allem japanische Sammler und Museen trieben die Preise für Werke des Impressionismus und Postimpressionismus in den zehn Jahren zwischen 1980 und 1990 um 940%. Die Krise war zunächst eine regionale Wirtschaftskrise, die Japan erfasste, und sich nach dem Ausbruch des Golfkrieges im Sommer 1990 weltweit ausdehnte. Hinzu kam die hohe Zahl der Investoren, die durch Panikverkäufe die Abwärtsspirale befeuerten. Weil der Markt nicht tief genug war, um Nachfrageschwankungen abzubilden, brachte die Krise eine totale Neukalibrierung der Preise. Für 1989, das letzte volle Jahr des Booms, lag der Gesamtumsatz von Primär- und Sekundärmarkt bei geschätzten 15 Milliarden Dollar. Nach dem Einbruch fehlte dem Kunstmarkt die Liquidität der Boomjahre: 1989/1990 waren über 2,5 Milliarden Dollar mehr im Kunstmarkt gebunden als in der Saison 1999/2000. Entsprechend dauerte es rund eine Dekade, bis die Preisnotierungen an der Marktspitze wieder auf Vorkrisenniveau waren, und 14 Jahre, bis ein neuer Weltrekord etabliert werden konnte.23

Die Krise 1990 hat wohl erstmals allen Beteiligten des Kunstmarkts die Hybridität der Kunst- und Finanzmärkte bewusst gemacht. Der Kunstmarkt spiegelt seither immer stärker internationale wirtschaftliche und politische Bewegungen wieder – der unabhängige Nationalmarkt ist Geschichte. Jedoch wurde die Krise des Jahres 1990 auch als Beweis für die Robustheit der Systeme gesehen: Der Boom war vorbei, der Markt korrigiert, aber nicht kollabiert.24

Kapitel 2: Die digitale Industriekrise: Das Platzen der Internetblase und die Markt­abschwächung 2000/2001

»Schau mal Dave, da drüben ist die Gagasian Gallery«

In den 1990er-Jahren sah man erste Versuche, Kunst im Internet kommerziell zu vermitteln. Diese Phase der Digitalisierung hatte stärkere Folgen auf der Nachfrageseite, denn die um die Jahrtausendwende entstehenden neuen Vermögen ermöglichen Kunstkonsum. Das Platzen der Internetblase bringt Anleger um ihre Investments, und 9/11 beendet die Wachstumsphase der Kunstmärkte.

In den späten 1990er-Jahren sprach man zum ersten Mal von den Kunstmärkten, wenn man die kommerzielle Kunstwelt meinte – ein Zeichen, dass diese Ökonomie so gewachsen war, dass man sie auch merkantil ernst nehmen konnte. Durch einen langsamen Anstieg über den Zeitraum von zehn Jahren wurden am Ende der Dekade wieder in nahezu allen Sparten die Preisregionen des vorhergehenden Booms erreicht. Als Folge des gesamtgesellschaftlich gestiegenen Interesses an zeitgenössischer Kunst übernahm diese rasch die Rolle der »Marktlokomotive«. Inzwischen waren viele lebende Künstler derart etabliert, dass sich ein Privatkäufer auch ohne die Beratung eines Galeristen sicher fühlte. Vor allem aber hatte um die Jahrtausendwende die Sekundärvermarktung das Primärangebot eingeholt. Zeitweise kamen derart viele Werke direkt aus dem Atelier auf die Auktionsbühne, dass diese zu einem Barometer für emerging art wurde: Die Zahl von Werken auf Auktionen, die jünger als drei Jahre waren, sollte sich in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts mehr als ver­doppeln. Das beförderte Investment und Spekulation; der tradi­tionelle Abstand zwischen Primär- und Sekundärmarkt war auf wenige Jahre zusammengeschmolzen. Die Auktionsäuser waren von einem Vermittler zum Interpreten geworden, deren Auswahl von auf Auktionen präsentierten Œuvres die Marktrezeption und damit die Märkte beeinflussen in der Lage ist.25

Als Reaktion auf die Grenzverschiebung zwischen Primär- und Sekundärmarkt begann sich die Schere der Galerienwelt zu öffnen. In dieser Phase spalteten sich die vier Mega-Galerien Gagosian, Hauser & Wirth, David Zwirner und Pace vom Rest der Galeristenzunft ab, nachdem sich ein signifikanter Graben im Umsatz dieser Gruppe (und Marian Goodman als Nummer Fünf) aufgetan hatte. Seither stehen zahllosen Kleinstunternehmen internationale Ketten nach dem Vorbild der Gagosian Gallery gegenüber, die auf allen Kontinenten Sammler mit Ausstellungen erreichen möchte. Dieses Netzwerk hat große Anziehungskraft vor allem bei den Produzenten der begehrten Güter: Zeitweise waren mehr als 50% aller lebenden Künstler, deren Werke auf Auktionen gehandelt wurden, bei Gagosian unter Vertrag. Aber wie schon 1989, so zeigte auch rund eine Dekade später eine große Immobilienentscheidung von Larry Gagosian, dass die Marktteilnehmer nicht auf das kommende Geschehen vorbereitet waren. Hatte er mit seiner letzten New Yorker Expansion 1990 die Verlagerung der Galerienszene von SoHo nach Chelsea eingeleitet, so zeigte seine neue Galerie die quantitative Entwicklungsrichtung an: Mit knapp 2.000 m2 bildeten diese Räume mit Abstand die größte kommerzielle Ausstellungsfläche in Chelsea – vor der sich mancher Kunstschaffender geradezu fürchtete.26

Wirtschaftskapitäne der Kunstwelt: Francois Pinault

Francois Pinault war vielleicht der erste Unternehmer, der Öffentlichkeitswirkung und Flair eines Kunstmarktunternehmens für die Wahrnehmung und Kommunikation seiner Unternehmensgruppe ebenso wie seiner privaten Sammeltätigkeit erkannte. Sein 1963 gegründetes Holzhandelsunternehmen war die Keimzelle eines der größten Luxusgüterkonzerne der Welt. Über viele Jahre erweiterte die Dachgesellschaft Pinault-Printemps-Redoute (PPR, seit 2013 Kering) ihr Portfolio auf dem Markt der Luxusanbieter und -hersteller. Im 21. Jahrhundert gehören dazu unter anderem der Pariser Modehersteller Yves Saint Laurent, der US-amerikanische Kofferproduzent Samsonite, das Weingut Château Latour, das Florentiner Modelabel Gucci oder die Uhrenmanufaktur Girard Perregaux.27

Pinault hatte als Erster erkannt, dass sich Luxusfirmen aus verschieden Bereichen häufig um identische Kunden bemühen – wer das Geld und den Geschmack hat, sich bei Yves Saint Laurent einzukleiden, kauft mit hoher Wahrscheinlichkeit auch teure Uhren oder eben Kunst. Dies führte 1998 zu seiner Akquisition von Christie’s, seit 1996 das größte auf dem Kunstmarkt tätige Unternehmen. Tradition, Image und Potential der Marke sowie umfangreicher Immobilienbesitz in St. James’s und in South Kensington, teuren und gefragten Londoner Lagen, machten die Firma zu einer kostspieligen Anschaffung: Pinault zahlte dafür insgesamt 721 Millionen Pfund. Er verwandelte die Firma wieder in ein Privatunternehmen.28

Hinter diesem Investment stehe ein »obsessive collector«, so die Londoner Kunstberaterin Wendy Goldsmith – der Wert seiner Sammlung wird in Medienberichten auf über eine Milliarde Dollar beziffert. War für Alfred Taubman noch der Kauf des Unternehmens Sotheby’s Mittel zu gesellschaftlicher Anerkennung, so geht Pinault den umgekehrten Schritt und teilt seinen Kunstbesitz mit der Öffentlichkeit: 2000 gründete er die Fondation Pinault, welche seine Privatsammlung in drei eigenen Museen in Paris und Venedig zeigt.29

Das Jahrzehnt endete mit zwei Paukenschlägen: 1999 kündigte Sotheby’s einen überraschendenden Einstieg ins Internetgeschäft an, und Christopher Davidge, damaliger CEO von Christie’s, erstattete Selbstanzeige. Er gab an, mit Sotheby’s, dem wichtigsten Wettbewerber seines Unternehmens, die Preise für Dienstleistungen abgesprochen zu haben. Für die Firmen hatte das folgende Gerichtsverfahren weitreichende Folgen: Beide Unternehmen wurden zu Schadenersatzzahlungen verurteilt, die beteiligten CEOs und Chairmen traten von ihren Ämtern zurück. Die Delikatesse der Affäre hatte zudem ein extensives Presseecho zur Folge; unter dem Motto »Steigt der Preis, sinkt die Moral« wurde amerikanisches Wirtschaftsstrafrecht sogar für europäische Boulevardzeitungen als Thema attraktiv.30

Geheime Absprachen

Wer als Monopolist einen Markt beherrscht, ist in der Lage, dem Nachfrager auf diesem Markt die Geschäftsbedingungen zu diktieren. Gibt es nicht einen Monopolisten, sondern zwei Unternehmen, die konkurrieren, aber zusammengenommen den Markt dominieren, handelt es sich um ein Duopol, das nach Erkennen der Entscheidungsdependenz durch Abstimmung der Aktionen und Preise zum Monopol werden kann.31

Geheime Abstimmungen der Aktionen und Preise sind nach US-Recht als Einschränkung des freien Wettbewerbs untersagt; der »Shermans Antitrust Act« von 1890 kleidet das Verbot in sehr allgemeine Formulierungen. Durch den hohen Wert, der die Wettbewerbsfreiheit in der amerikanischen Verfassung genießt, ist diese offene Art der Formulierung Basis für zahlreiche Einzelvorschriften, durch die das Delikt der Monopolbildung mit hohen Strafen für die beteiligten Unternehmen wie auch die ausführenden Mitarbeiter bedroht wird.32

In seiner Selbstanzeige erklärte Christopher Davidge, seit den frühen 1990er-Jahren die Kommissionen seines Unternehmens mit dem Wettbewerber abgesprochen zu haben. In Anbetracht des gemeinsamen Marktanteiles der Häuser war dieses Eingeständnis von kartellrechtlicher Relevanz. Die extreme Rivalität der beiden Firmen – »the culture is to hate your rival« – war nur noch eine äußerliche. Durch die Selbstanzeige und die Zusicherung, bei der Aufklärung des Vorgangs der Staatsanwaltschaft behilflich zu sein, konnte Christie’s allerdings für seine Mitarbeiter eine Strafverschonung erwirken – das amerikanische Rechtssystem belohnt diejenige Partei, die das Kartell bricht und zur Anzeige bringt.33

Wie die Untersuchungen ergaben, hatten Davidge und die Sotheby’s CEO Diana D. »Dede« Brooks seit 1992 die Höhe der Verkäuferkommission, ab 1995 auch die des Käuferaufgelds miteinander abgestimmt. Brooks und Alfred Taubman, Mehrheitsaktionär und Chairman von Sotheby’s, wurden persönlich angeklagt; erstere versuchte im Laufe des Verfahrens vergeblich, sich als Werkzeug Taubmans darzustellen. Aber auch Taubmans Version, Brooks habe ohne sein Einverständnis, ja ohne sein Wissen gehandelt, wurde vom Gericht nicht angenommen. Das Gericht verurteilte Taubman zu einer Gefängnisstrafe, Brooks zu Hausarrest und die beiden Unternehmen zu millionenschweren Schadenersatzzahlungen. Begünstigte waren alle Kunden, die in diesen Jahren bei einem der Unternehmen etwas ge- oder verkauft hatten.

1.1 Digitale Träume: Auktionen im Internet

Die großen Erfolgsaussichten von Internetgeschäften generell und die Kursentwicklung der Aktien von Internetfirmen zogen ab Mitte der 1990er-Jahre eine Welle von Unternehmensgründungen mit dem Geschäftsfeld Internetauktionen nach sich. Der­artige Unternehmen versteigerten jedoch in den Anfangsjahren hauptsächlich Lagerbestände von Herstellern und Großhändlern. Erst der Informationsdienst artnet.com begann im Frühjahr 1999 mit reinen Kunstauktionen. Viele kleinere Versteigerer sicherten sich die Dienste von externen Dienstleistern, ihre Auktionen ins Netz zu übertragen, um so rasch wie möglich mit diesem neuen Absatzkanal operieren zu können. Große Kunstauktionshäuser wie Christie’s oder Sotheby’s lehnten Auktionen im Internet für ihre Unternehmen zunächst ab. Nicht nur, dass man Zweifel hatte, damit die gewünschte »Hochpreis-Kundschaft« zu erreichen. Vor allem befürchtete man, dass diese Art der Versteigerung sich negativ auf die Höhe der Zuschläge auswirken könnte, da man nach wie vor davon ausging, dass diese maß­geblich durch die spezifische Atmosphäre des Auktionssaales bestimmt werden.34

Nach einigen Probeläufen gab Sotheby’s im Jahr 1999 diese Haltung auf und verkündete den Start eigener Internetauktionen im selben Jahr. Vorgesehen war ein Modell des Rolling Sale nach eBay-Vorbild, welches die Auktion nicht durch Hammerschlag, sondern Zeitablauf beendet. Das Auktionshaus stellte die Plattform zur Verfügung, das eigentliche Geschäft kam jedoch zwischen Bieter und Verkäufer zustande, Sotheby’s wurde durch Vermittlungskommissionen entlohnt. Die angebotenen Objekte wurden von den Verkäufern katalogisiert und verblieben für die Dauer des Angebots auf der Sotheby’s Website auch beim Verkäufer. Entsprechend wurde die Gruppe der Einlieferer zunächst auf professionelle Wiederverkäufer limitiert; nach Angaben von Sotheby’s erklärten sich binnen einer Woche die 1.500 führenden Kunsthändler der Welt zu einer exklusiven Zusammenarbeit bereit.35

Nachdem Sotheby’s seinen Einstieg in das Geschäft der Internetauktionen unter Nutzung des eBay-Modells angekündigt hatte, betonte die Konkurrenz, allen voran Christie’s, man werde auch in Zukunft ausschließlich Waren anbieten, die zuvor von den hauseigenen Experten begutachtet und geschätzt worden waren. Ebenso abgelehnt wurden die Einführung von Händler-Exklusivverträgen sowie die Weitergabe der Kundennamen an den Anbieter. »Das Medium, durch das Christie’s Gegenstände verkauft, soll das Recht der Kunden nicht herabsetzen, ihre Vertraulichkeit zu behalten«, so Christopher Davidge, damaliger CEO von Christie’s. All das konnte nicht verdecken, dass Christie’s der Vorstoß des Konkurrenten unvorbereitet getroffen hatte; die Vorbereitungen für eilig projektierte Internetauktionen wurden unverrichteter Dinge im Folgejahr schon wieder eingestellt.36

Das Internetkonzept von Sotheby’s wurde vor dem eigentlichen Start nochmals erweitert. Das Unternehmen ging im Juni 1999 eine Kooperation mit Amazon ein, dem größten Buchhändler im Internet; interessant für Sotheby’s war hier vor allem der auf zehn Millionen Besucher angewachsene Kundenkreis des Partners. Die Verbindung war auf zehn Jahre angelegt und wurde durch den Kauf von Sotheby’s-Aktien im Wert von 45 Millionen Dollar durch Amazon untermauert.37

Es zeigte sich allerdings bald, dass diese Auktionen die Umsatzziele dauerhaft verfehlten; die Gewinnschwelle wurde im ersten vollen Geschäftsjahr 2000 nicht annähernd erreicht. Als Reaktion wurde die Partnerschaft schon 2001 wieder beendet. Nach einem erfolglosen Versuch in Eigenregie verband sich Sotheby’s schließlich im Juli 2002 mit eBay. Aus einer Tauschbörse für Pez-Schachteln hervorgegangen, war eBay nicht nur Pionier im Bereich der Internetauktionen, sondern weltweiter Marktführer und arbeitete zudem profitabel. Allerdings sah man sich außer Stande, hochwertige Waren oder gar Kunstgegenstände zu verkaufen – die eigens eingeführte Seite »Great Collections« wurde nach wenigen Monaten eingestellt – und hoffte nun, mit der Sotheby’s-Kundschaft Zugang zu Kunstkäufern zu erhalten. Allerdings beförderte auch diese Allianz die Geschäfte auf der Sotheby’s-Seite nicht in erhofftem Maße, und als das Unternehmen aufgrund jahrelanger Verluste und der Strafen im Kartellprozess in eine Liquiditätskrise geriet, wurde das gesamte Internet-Engagement kurzerhand im Mai 2003 beendet.38

Rechtsgrundlagen der Internetdistribution

Die Anwendung nationaler Gesetze auf Vorgänge im Internet war in der Rechtslehre wie der Rechtsprechung lange umstritten. Naheliegend ist die Geltung der Rechtsordnung des Staates, in dem das Programm ins Netz gespeist wird, d.h. wo der Server steht. Diese Sicht würde aber bedeuten, dass ein Anbieter für ihn ungünstige Gesetze einfach umgehen kann, indem er sein Programm im Ausland einspeist. Daher wurde ein anderes Modell in der E-Commerce-Richtlinie der EU-Kommission festgelegt: Es gilt die Rechtsordnung eines Staates auch dann für den Anbieter und sein Programm, wenn letzteres nicht im Inland eingespeist wird, aber in inhaltlichem Bezug zum Staat steht. Dieser inhaltliche Bezug ist als Zuschnitt des Angebots auf ein Publikum des Staates zu verstehen. Indiz hierfür ist in erster Linie die gewählte Sprache.39

1.2 Facetten einer Krise

Die Kunstmarktkrise 2000/2001 hatte zwei Gesichter: Den Ab­-sturz der Börsen nach dem Platzen der Internetblase, sowie die globale Verunsicherung nach den Terroranschlägen des 11. September 2001. Mauer oder Keule: Die Börse unterscheidet bei der Beendigung einer Wachstumsphase, dem sogenannten Bullenmarkt, zwei Typen. Der Keulenschlag ist ein immenser, unvorhergesehener, negativer Sachverhalt. Bei einer Mauer sind die Kurse gestiegen, bis das Vertrauen in das Wachstum alle Bedenken überlagert. Auf diese Krise traf beides zu, wenngleich mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Damit dauerte der Vorgang, der gemeinhin als »Platzen der Blase« umschrieben wird, rund drei Jahre und zeigte zahlreiche Zwischenhochs, deren erneuter Einbruch die Anleger mehr und mehr demoralisierte.41

Implementation und zügige Verbreitung von Internet und mobilen Endgeräten im Laufe der 1990er-Jahre hatte großes Interesse an neugegründeten Start-up-Unternehmen mit internetbasierten Geschäftsmodellen erzeugt. Massives Investment auch vieler Kleinanleger in Technologieunternehmen führte zu einer Spekulationsblase, die in den Notierungen der US-amerikanischen NASDAQ sichtbar wurde: Der Index dieser National Association of Securities Dealers Automated Quotations, dem größten Marktplatz für Technologieunternehmen, war zwischen 1995 und 2000 von unter 1.000 Punkten auf über 5.000 gestiegen.42

Als die ersten Start-ups ihre Ziele nicht erreichen konnten und deutlich wurde, dass einerseits die Geschwindigkeit der Digitalisierung überschätzt worden war, und andererseits diese Unternehmen keinerlei Rücklagen und wenig Unternehmensvermögen aufweisen konnten, kam es im Frühjahr 2000 zu ersten Pleiten und in der Folge zum Abzug institutioneller Investoren. Vor allem Kleinanleger übersahen die Warnzeichen und verkauften in Panik: Der Kursverfall verwandelte sich in einen Kurssturz. Vor allem der inkonsistente Informationsfluss hatte dafür ge­sorgt, dass Marktinsider erfolgreiche Anlagegewinne erzielen konnten, Novizen hingegen eine harte Lektion erteilt wurde.43

Dieser Zusammenbruch war jedoch wirtschaftlich eingegrenzt auf den sogenannten Neuen Markt, der Technologietitel handelte, und berührte die Kunstmärkte zunächst kaum. Für die zwischenzeitliche Erholung spielte durchaus eine Rolle, was die Krise ausgelöst hatte: Es hatte keine externe Störung der Wirtschaft gegeben, aufgrund derer Prognosen revidiert wurden, sondern einen endogenen Auslöser, denn die Börsenteilnehmer hatten die Situation falsch eingeschätzt. Als Reaktion auf die ersten Krisenanzeichen führte die US-amerikanische Notenbank umgehend massive Zinssenkungen ein, die Investorengelder vor allem auf die Immobilienmärkte lenkte; die sich dort nun formende Blase sollte in 2007 als Subprime-Krise der Auftakt zur globalen Finanzkrise werden. Gleichzeitig hatte sich das Zinsniveau längerfristig im niedrigen einstelligen Prozentbereich etabliert; nicht wenige empfanden »Blue Chip«-Kunstwerke als sichereres, womöglich gar erfolgversprechenderes Investment.44

Insgesamt waren die Märkte 2001 drei Quartale in Folge geschrumpft, als mit den Terroranschlägen auf das World Trade Center ein sogenannter Keulenschlag eintraf. Der Handel an der New Yorker Börse wurde ausgesetzt, nahezu die gesamte Wall Street evakuiert. Als der Handel eine Woche später wieder aufgenommen wurde, stieg der Dow Jones mit Unterbrechungen rasch wieder auf über 80% seines vorherigen Niveaus. Das erschütterte Vertrauen von Investoren und Konsumenten hatte jedoch ein wirtschaftliches Umfeld zur Folge, dass einen sogenannten Bärenmarkt kreierte. In den 18 Monaten seit Beginn der Krise im Frühjahr 2000, seit dem Platzen der Internetblase, hatte der Gesamtmarkt 5 Trillionen Dollar Volumen verloren und der Technologiemarkt schrumpfte auf einen Bruchteil seines einstigen Umfangs: Im Oktober 2002 erreichte der NASDAQ-100 sein Allzeittief, 78% unter dem Allzeithoch des Jahres 2000.45

Die Tage im September sind in ihrer Dramatik und Reichweite mit dem Beginn der Coronakrise vergleichbar, denn auch die Vorgänge an 9/11 hatten Auswirkungen auf die Gesamtheit von Lebenswirklichkeiten der westlichen Welt.

Die folgende Krise war auch deswegen eine solche Zäsur, weil nicht nur die Augenzeugen vor Ort traumatisiert waren, sondern weite Kreise der Weltbevölkerung durch diese Ereignisse (und Fernsehbilder) ihren Glauben an die Stabilität der bekannten Welt verloren. Der große Unterschied zu 2020 war, dass 2001 (zumindest außerhalb Manhattans) die körperliche Unversehrtheit nicht unmittelbar bedroht wurde.46 Wenig überraschend, dass Großveranstaltungen der Kunstmärkte unter diesen Umstän­den wenig Aufmerksamkeit erhielten. Die New Yorker Herbstauktionen litten nicht nur am mangelnden Interesse der Öffentlichkeit, sondern auch an ganz direkten Einschränkungen: Restriktionen im Flugverkehr verhinderten die Transporte von vor dem Anschlag eingelieferten Werken. Manhattan, New York, die USA insgesamt waren erwartungsgemäß keine Destination, die man gern ansteuerte. Der für Dezember 2001 geplante Ableger der Art Basel in Miami Beach, gedacht als Zugang zu den Märkten der USA wie Südamerikas, wurde umgehend abgesagt und erst im Folgejahr eingeführt.47

Wirtschaftskapitäne der Kunstwelt: Bernard Arnault

Die Konkurrenz zwischen Bernard Arnault und Francois Pinault sowie der Unternehmensgruppen LVMH und Kering wird vor allem von der französischen Presse seit Jahrzehnten penibel dokumentiert. Ausgangspunkt von Arnaults unternehmerischer Tätigkeit ist seine Beteiligung an LVMH. Kern der Gruppe sind die Namenspatrone Louis Vuitton (Taschen und Koffer), Moet & Chandon (Cham­pagner) und Hennessy (Cognac). 1984 konnte Bernard Arnault das Modehaus Dior für einen sym­bolischen Franc erwerben – für das Geschäftsjahr 2019 schätzte Morgan Stanley den Umsatz auf 6,6 Milliarden Euro. Durch zahlreiche weitere derartige Zukäufe hat Arnault LVMH zum größten Anbieter von Luxusgütern weltweit gemacht – auch, um die diversen, eher kleinen Firmen durch die Konzernzugehörigkeit für hoch qualifizierte Führungskräfte interessanter zu machen.48

Beide Unternehmer, Arnault wie Pinault, präsentieren sich als Freunde der Kunst und passionierte Sammler. Die Rivalität erschöpft sich nicht nur im Kampf um einzelne Kunstwerke. Auch auf dem Kunstmarkt selbst versuchte Arnault mit Pinault gleichzuziehen, indem er Sotheby’s übernehmen wollte.49 Nachdem dieser Plan am Widerstand Alfred Taubmans gescheitert war, konzentrierte er sich auf die damalige Nummer 3, das Londoner Auktionshaus Phillips. Der vergleichsweise moderate Preis von geschätzten 80 bis 100 Millionen Pfund reflektierte den Wert der Marke Phillips als auch den der Firmenimmobilien.50

Arnault sah in Phillips das Potential, zu den beiden Großen der Branche zu einem Zeitpunkt aufzuschließen, als die beiden Marktführer Verstößen gegen das US-amerikanische Kartellrecht bezichtigt wurden, was zu einer erheblichen Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise führte. Mit LVMH-Millionen im Rücken wurde umgehend ein Relaunch der Firma eingeleitet: Neue Corporate Identity inklusive Katalogdesign und massiver Aufstockungen sämtlicher Marketingbudgets einerseits, die Vergrößerung der Abteilungen andererseits. Zudem gelang es Arnault, die Kunsthändler Simon de Pury und Daniella Luxembourg für Phillips zu gewinnen. De Pury war langjähriger leitender Direktor (Chairman) von Sotheby’s Europa gewesen, bevor er sich mit seiner Kollegin Daniella Luxembourg 1996 in Genf selbstständig machte; er galt zu dieser Zeit als einer der weltbesten Auktionatoren.51

Schwerpunkt von Phillips’ Expansion waren die lange vernachlässigten USA. Im November 2001 fusionierte die Londoner Filiale mit Bonhams; Phillips sah seine Zukunft ausschließlich im Spitzenbereich des Marktes, gab die kleineren Abteilungen ab und verlegte seinen Firmensitz nach New York. Simon de Pury hatte den Wunsch und das Bestreben, sich auf den Spitzenbereich des Marktes zu konzentrieren, seit seinem Eintritt in das Auktionshaus häufig geäußert.

Allerdings war die Konkurrenz nicht annähernd so angeschlagen wie erwartet. Zwar erschien dort der Anteil an bedeutenden Einlieferungen dezimiert, doch die Geschäftsverbindungen waren nach wie vor tragfähig. Phillips fiel es, trotz der subventionierten Garantievergabe mit Geldern der Mutterfirma, zusehends schwer, sich im Kampf um Einlieferungen zu behaupten. Vor dem Hintergrund der Krise nach dem Platzen der Internetblase, 9/11 und fallender Börsenkurse der LVMH-Gruppe entschied Arnault 2002, sich aus dem Unternehmen zurückzuziehen.52

1.3 Mühevoller Neubeginn

Die Folgen des Platzens der Internetblase erreichten die Kunstmärkte mit Verspätung; niedrige Zinsen machten Kunstwerke zu attraktiven Alternativanlangen und für Christie’s war 2000 sogar das umsatzstärkste Jahr der Unternehmensgeschichte. Aber es war die Ruhe vor dem Sturm. Die beiden großen Häuser waren inmitten des Prozesses um ihre illegalen Absprachen, der die Unternehmen jeweils 256 Millionen Dollar an Schadensersatzzahlungen allein in den USA kosten sollte, vor allem aber das Vertrauen der Kunden in die Integrität der Unternehmen in hohem Maße beeinträchtigte: Zahlreiche Privatklagen von empörten Kunden folgten dem kartellrechtlichen Verfahren.53 Durch den zuweilen langen Vorlauf von Auktionseinlieferungen schlugen sich diese Umstände mehrheitlich erst in 2001 im Geschäftsvolumen der beiden Unternehmen nieder; vor allem der Anteil an großen Sammlungen und wichtigen Einzellosen war signifikant dezimiert.54

Der Kunsthandel des Sekundärmarktes konnte zeitweilig von einer Stimmung gegen die Auktionshäuser profitierten.55 Der Skandal um die beiden Großunternehmen hatte für diese einen nivellierenden Effekt. War es vorher so, dass mal der eine, mal der andere einen Fehler gemacht hatte, und die Nachfragenden aus den verschiedensten Gründen einen Anbieter bevorzugten, so waren nun beide Häuser gleich belastet, durch genau die gleichen illegalen Handlungen. Dies bedeutete einen Neustart und war ein wichtiger Grund, dass traditionelle, zuweilen Generationen überspannende Loyalitäten von einem Wettbewerbsgedanken ab­gelöst wurden. An der Marktspitze wurde es deutlich kompetitiver, mit entsprechendem Druck auf die Margen der Anbieter. Alle Marktteilnehmer mussten mit der Situation umgehen, dass ab 9/11 die Umsätze vor allem im obersten Wertsegment weg­brachen.

In der Folge kam es zur Neuaufstellung auf allen Ebenen. Die wirtschaftliche Konzentration führte zu Zusammenschlüssen von kleineren Auktionshäusern zu gemeinsamen Plattformen wie den International Auctioneers (IA).56 Vor allem aber wurden größere Unternehmen restrukturiert, um das Geschäft in krisenresistenteren Bereiche zu auszubauen. Dies war insbesondere der sogenannte Mittelmarkt, auf dem Ware zwischen 10.000 Dollar bis 100.000 Dollar umgesetzt wird. Dieser Markt wurde von zahllosen Firmen bedient, welche sich vor allem in wirtschaftlich bedeutenden europäischen Zentren befinden, deren Kundenzugang aber selten über die Region oder Nation hinausreichte. Mit Internetbasierten Aggregatorenplattformen wie Invaluable hatten diese Firmen erstmals die Gelegenheit, ein breiteres Publikum zu erreichen und von der Digitalisierung der Kommunikation zu profitieren.

In London waren es allen voran Christie’s mit seiner Filiale in South Kensington, Bonhams und Phillips, die in den Wertbereichen des Mittelmarktes solide Kommissionen erwirtschafteten. Mit einem Befreiungsschlag plante Sotheby’s, der Enge des Hauptquartiers in Mayfair zu entfliehen und ein neues Mittelmarktzentrum unter einheitlichem Dach zu etablieren. Zunächst wurden Pläne zur Errichtung eines neuen Sotheby’s-Auktionshauses nahe des Großflughafens Heathrow verkündet, in dem man frei von Platzmangel Ware aller Art günstiger absetzen können würde als in der Innenstadt. Daraus wurde später ein neu zu bauendes, modernes Auktionszentrum in der Londoner City, welches die Auktionen der oberen Kategorien wie auch die des Mittelmarktes aufnehmen sollte. Keiner dieser Pläne wurde realisiert, stattdessen eröffnete man im Sommer 2001 eine Junior-Filiale auf dem Messegelände Olympia im Londoner Westen, Heimat der traditionsreichen Antiques & Fine Arts Fair.57