Was niemand sieht - Ann Cleeves - E-Book
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Was niemand sieht E-Book

Ann Cleeves

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Beschreibung

Der achte und letzte Band der beliebten Shetland-Krimis um Kommissar Jimmy Perez - in Großbritannien von Fans und Presse gefeiert: Um dem hektischen Großstadtleben zu entkommen, ziehen Helena und Daniel Fleming mit ihren beiden Kindern auf die Shetland-Insel Northmavine. Das fragile Gleichgewicht der Familie wird jedoch jäh erschüttert, als der autistische Sohn eine erhängte junge Frau in der Scheune findet. Schnell steht fest, dass sie getötet wurde. Kommissar Jimmy Perez und seine Vorgesetzte Willow Reeves erkennen bald: Um die Tote, die als Nanny bei einer Familie im Ort angestellt war, ranken sich zwar zahlreiche Gerüchte – doch niemand scheint die junge Frau wirklich zu kennen. Oder zu wissen, wozu sie fähig war ...

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Ann Cleeves

Was niemand sieht

Ein Shetland-Krimi

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Stefanie Kremer

Über dieses Buch

Wenn im Dorf der Hass erwacht, lässt ein Mord nicht lange auf sich warten.

 

Um das hektische Großstadtleben in London und ihre Eheprobleme hinter sich zu lassen, ziehen Helena und Daniel Fleming mit ihren beiden Kindern auf die Shetland-Insel Northmavine. Das fragile Gleichgewicht der Familie wird jedoch erschüttert, als der autistische Sohn eine erhängte junge Frau in der Scheune findet. Schnell steht fest, dass sie getötet wurde. Kommissar Jimmy Perez und seine Vorgesetzte Willow Reeves erkennen bald: Um die Tote, die als Nanny bei einer Familie im Ort angestellt war, ranken sich zwar zahlreiche Gerüchte – doch niemand scheint die junge Frau wirklich zu kennen. Oder zu wissen, wozu sie fähig war ...

 

«Der geschickte Aufbau, starke Charaktere und die meisterhafte Beschreibung der zerklüfteten Landschaft machen diesen Band zu einem vorzüglichen Ende einer ausgezeichneten Serie.» The Guardian

 

«Ein gelungenes Ende einer ausgezeichneten Serie.» Sunday Times

Vita

Ann Cleeves, geboren in Herefordshire, lebt mit ihrer Familie in West Yorkshire und ist Mitglied des «Murder Squad», eines illustren Krimi-Zirkels. Für «Die Nacht der Raben» erhielt sie 2006 mit dem «Duncan Lawrie Dagger Award» die weltweit wichtigste Auszeichnung der Kriminalliteratur. 2017 wurde Cleeves zudem für ihr exzellentes Lebenswerk mit dem höchsten Preis in der britischen Kriminalliteratur ausgezeichnet – dem «Diamond Dagger». Sowohl die Shetland-Reihe als auch Cleeves zweite Serie um die schrullige Ermittlerin Vera Stanhope wurden verfilmt.

 

Stefanie Kremer, geb. 1966 in Düsseldorf, arbeitet freiberuflich als Übersetzerin für Sachbücher und Belletristik aus dem Englischen und Französischen. Sie lebt südlich von München.

In Gedenken an Tim Cleeves,

Ehemann und Gefährte

Eins

Emma saß auf der gekiesten Böschung und sah den Jugendlichen unten am Strand dabei zu, wie sie ein Lagerfeuer errichteten. Sie hatten Treibholz zu einem großen Stoß aufgeschichtet, um sich die Langeweile zu vertreiben. In Deltaness gab es nicht viel Abwechslung. Lerwick lag für einen abendlichen Kneipenbummel zu weit entfernt, und außerdem fuhr der letzte Bus lange bevor die Bars zumachten. Es war ein klarer, ruhiger Abend, langsam brach die Dämmerung herein. Ein Monat noch, dann war Mittsommer. Emma war zum Strand gekommen, weil auch ihr langweilig war. Als Kind hatte sie sich oft gewünscht, sich einmal langweilen zu dürfen, sie hatte sich ruhige, ganz normale Tage ohne jede Anspannung gewünscht. Nur Schule und Hausaufgaben und gemeinsame Mahlzeiten mit der Familie, die nicht in Wut, Geschrei oder Schlimmerem endeten. Heute allerdings hatte sie selbst das Bedürfnis nach Aufregung und Abenteuer. Sie wollte etwas ins Rollen bringen, bei den Menschen in ihrer Umgebung eine Reaktion provozieren. In ihr brodelte das dringende Verlangen, endlich etwas geschehen zu lassen.

Sie starrte zum Horizont, wo Meer und Himmel ineinander übergingen, und fragte sich, wieso sie immer noch hier in Deltaness war und als Kindermädchen arbeitete. Eine Stimme in ihrem Kopf gab ihr die Antwort: weil sie sich vor der Welt jenseits der Shetland-Inseln fürchtete. Hier fühlte sie sich sicher, in einer soliden Gemeinschaft, in der sie ihren Platz kannte. Wäre ihre Furcht nicht so groß gewesen, dann wäre sie wohl mit Daniel Fleming zusammengeblieben, mit ihm in den Süden durchgebrannt und Künstlerin geworden oder Model oder Designerin. Emma verbannte die Stimme aus ihrem Kopf. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass sie Angst hatte. So schlecht war das Leben hier gar nicht. Es besaß ganz eigene Vorteile, und sie hatte gelernt, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Sie zog eine Flasche aus ihrer Tasche. Nicht aus der schicken neuen, die in ihrem Zimmer auf dem Bett stand, sondern aus dem alten Beutel, den sie sich aus einem Stück übriggebliebenen Stoffs selbst genäht hatte. Sie trank einen kräftigen Schluck Wodka und reichte die Flasche an den jungen Mann weiter, der neben ihr saß.

Magnie Riddell nahm einen großen Schluck, gab ihr die Flasche zurück und legte ihr den Arm um die Taille. Bestimmt würde er gleich wieder versuchen, ihr die Zunge in den Mund zu stecken. Beim Gedanken daran wurde Emma übel. Sie mochte Männer, aber nur, wenn es nach ihren Regeln lief, und manchmal fand sie, dass Sex definitiv überbewertet wurde. Magnie war ein netter Kerl, das komplette Gegenteil von ihrem Vater, trotzdem war es nach wie vor schwer für sie, ihm körperlich nahe zu sein.

Mittlerweile brannte das Feuer. Selbst hier oben konnte sie noch die Hitze der Flammen spüren. Die Funken stoben in glühenden Spiralen zum Himmel. Die Jugendlichen unten am Strand ließen Dosen mit Bier und Cider herumgehen. Sie hatten angefangen zu singen, einen Text, den Emma nicht kannte, irgendein Lied, das sie vom Wikingerfest Up Helly Aa geklaut hatten. Dann hörte sie hinter sich plötzlich ein Scharren und Knirschen auf dem Kies, und auf der Böschung tauchte ein etwa zehnjähriger Junge auf. Offensichtlich fasziniert starrte er ins Feuer. Emma erkannte ihn sofort. Es war Christopher, Daniel Flemings komischer Sohn.

Jetzt hatten ihn auch die Jugendlichen unten am Strand entdeckt und starrten zu ihm hoch. Sie begannen zu lachen und dem Jungen Gemeinheiten zuzujohlen. Magnie zog seinen Arm zurück und wandte sich ihr zu. Offenbar erwartete er von Emma, dass sie eingriff, den Jungen beschützte. Aber sie hatte frei, und außerdem war ihr langweilig. Sie beobachtete, wie das Johlen und der Gesang immer lauter wurden und das Geschehen seinen Lauf nahm. Dabei verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln.

Zwei

Magnie Riddell fühlte sich alt. Er sollte nicht hier bei diesen Jugendlichen sein. Seine Mutter würde davon erfahren, denn heutzutage verbreitete sich der Klatsch in Deltaness sogar noch schneller als in seiner Kindheit. Damals hatte er immerhin noch den Hauch einer Chance gehabt, mit der ein oder anderen Schandtat davonzukommen. Mittlerweile aber war selbst seine Mutter bei Facebook, und schon ein einziges Foto von ihm, wie er da neben Emma am Strand hockte, das Gesicht von den Flammen beleuchtet und die Flasche Wodka in der Hand, würde ihr ausreichen, um die alte Leier wieder anzustimmen. Darüber, dass Magnie alles sei, was sie habe, jetzt, wo sein Vater sie für diese ausländische Schlampe in Lerwick verlassen hatte; darüber, dass auch Magnie ihrer Familie schon genug Schande bereitet habe: Keiner von uns hatte je Ärger mit der Polizei. Deinetwegen konnte ich mich monatelang nicht im Geschäft blicken lassen. Und du musst endlich erwachsen werden, Magnie. Such dir ein nettes Mädchen von hier und mach mich zur Großmutter.

Magnie blickte zu Emma hinüber, die neben ihm saß, so kerzengerade und manierlich wie Mutters Siamkatze, obwohl sie mindestens ebenso viel getrunken hatte wie er. Das unterschied sie von den hiesigen Mädchen, die genauso herumbrüllten und fluchten wie die Jungs. Sie verlor nie die Kontrolle. Und jetzt saß sie mit ihm auf der gekiesten Böschung, ein Stück vom Feuer entfernt, und blickte darauf hinab. Auch das war typisch für Emma, sie hielt sich stets ein wenig abseits.

«Sollten wir nicht langsam aufbrechen?» Vielleicht, dachte er, durfte er ja noch mit nach oben in ihr Zimmer, das sie in dem riesigen Haus des Arztes bewohnte. Emma hatte es ihm schon einmal gestattet, sie dorthin zu begleiten, sie hatten auf dem schmalen Bett gelegen, und er hatte sie berühren und küssen dürfen. Er war vor Begehren schier durchgedreht. Später war er dann über die rückwärtige Treppe aus dem Haus in die Nacht geschlüpft, ohne dass jemand ihn gesehen hatte. Erschrocken, frustriert und erregt, alles auf einmal. Er hatte gehofft, dass dies der Anfang von etwas wäre, dass er danach mehr als nur ihr Kumpel wäre. Aber das Irritierende an Emma war, dass man sich bei ihr nie sicher sein konnte. Selbst als sie sich küssten, als er ihr die Bluse aufknöpfte und ihre Haut auf der seinen fühlte, hatte er gespürt, dass sie in Gedanken ganz woanders war. Sie wirkte so abwesend, als ginge sie das Ganze nichts an. Er wusste immer noch nicht, wie sie nun eigentlich zueinander standen, und aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht so recht begriff, schreckte er davor zurück, sie zu fragen. Manchmal hätte er Emma am liebsten geschüttelt, sie mit Gewalt dazu gebracht, ihn ernst zu nehmen.

«Ich kann nicht», sagte sie. «Martha und Charlie sind da unten, ich muss auf sie aufpassen und sie nach Hause bringen.» Sie klang vollkommen gelassen, und ihr etwas schleppender Orkney-Akzent törnte ihn an, brachte ihn fast um den Verstand. Jetzt, in diesem Moment, hätte er alles getan, um sie ganz für sich allein zu haben.

«Verstehe. Natürlich.» Denn was sollte er sonst sagen? Sie arbeitete nun schon seit Jahren als Kindermädchen für die Familie des Arztes, und auch wenn die beiden Ältesten inzwischen Teenager waren, fühlte sie sich immer noch verantwortlich für sie, und das fand er bewundernswert. Selbst wenn es an diesem Abend frustrierend für ihn war. Emma besaß mehr Verantwortungsgefühl, dachte er, als der Arzt und seine Frau, die offenbar nie wussten oder sich dafür interessierten, was ihre vier Kinder gerade so trieben. Ohne Emma würden sie völlig verwahrlosen.

Er schaute hinunter auf die Grüppchen ums Feuer und versuchte, die Kinder der Moncrieffs zu entdecken. Nur die Flammen warfen ein flackerndes Licht, weshalb es ihm anfangs schwerfiel, die zwei ausfindig zu machen. Martha erblickte er als Erstes. Sie war sechzehn und hatte dunkle Haare. Seit sie auf die Anderson High School ging, hatte er sie nie anders als schwarz gekleidet gesehen. Sie hockte mit grüblerischer Miene im Schneidersitz im Sand. Die Klatschweiber von Deltaness hielten sie für sonderbar und meinten, sie sei süchtig nach Aufmerksamkeit. Auch seine Mutter sprach stets nur abschätzig von ihr: Aus dem Mädchen wird nie was werden. Und was sollen diese ganzen Piercings und der Haarschnitt? Der sieht aus, als hätte man jemanden mit einer Sense auf sie losgelassen! Dabei könnte sie so hübsch sein, wenn sie nur etwas aus sich machen würde. Schon ein bisschen angetrunken, überlegte er jetzt, warum ihm die Worte seiner Mutter immer dann durch den Kopf schossen, wenn er sie am wenigsten erwartete. Er wünschte, er könnte dieses Geschwätz loswerden, sie loswerden.

Charlie war fünfzehn, ein Jahr jünger als seine Schwester, blond und sportlich. Dass er jemals über etwas nachgrübelte, konnte Magnie sich nicht vorstellen. Der Junge hatte den Arm um einen Freund gelegt, sie grölten laut. Vielleicht den Refrain einer Stadionhymne. Von dort, wo er mit Emma saß, konnte Magnie keine Melodie ausmachen. Nur einen Rhythmus. Charlie schwenkte eine Dose Starkbier durch die Luft. Bald würde ihm schlecht werden. Magnie kannte die Anzeichen. Auch er hatte als Jugendlicher mit dem Saufen angefangen.

Plötzlich knirschte der Kies hinter ihm. Er hörte die Steinchen aufspritzen und spürte die feinen Nadelstiche, mit denen sie auf seine bloßen Arme trafen. Besorgt, es könnte einer von den Gemeindeverantwortlichen sein, der wollte, dass sie für Ruhe sorgten und das Feuer austraten, drehte er sich um. Nun würde seine Mutter sicherlich erfahren, dass er mit Emma am Strand gewesen war. Als sie ihn neulich mit Fragen über sie gelöchert hatte, war Magnie nicht ganz aufrichtig gewesen. Was ging es sie schließlich auch an?

Doch da stand ein Kind. Ein etwa zehnjähriger Junge. Er hatte ein weißes T-Shirt und eine kurze weiße Hose an und sah aus, als wäre er in seiner Unterwäsche geschlafwandelt. Magnie kannte ihn. Eines Morgens, als er seine Mutter ins Geschäft begleitet hatte, hatte sie mit dem Finger auf den Jungen gezeigt: «Das ist dieses zurückgebliebene Kind, von der Familie, die jetzt auf Dennis Gears altem Hof wohnt. Es heißt, er hätte die Schule in Brand gesteckt. Am Ende wird er uns noch alle in Brand stecken.» Magnie hatte geschwiegen. Er wusste, dass seine Mutter eine Schwäche für Dennis Gear gehabt hatte, es gab sogar Gerüchte, die beiden hätten eine Affäre gehabt. Sie ertrug es kaum, dass sich der Hof durch den Umbau so stark verändert hatte. Und vielleicht verspürte sie auch einen Anflug von Schuld beim Gedanken an die Umstände, unter denen der alte Mann ums Leben gekommen war.

Magnie empfand Mitgefühl für den Jungen, der so verwirrt aussah. Der Singsang rund ums Feuer, der wie ein Spottgesang auf eine gegnerische Sportmannschaft begonnen hatte, veränderte sich und wurde gehässig. Magnie verstand nun, was sie grölten, konnte aber kaum glauben, was er da hörte. «Spasti, Spasti, Spasti.» Magnie sah zu Emma hinüber. Sie arbeitete doch mit Kindern. Bestimmt würde sie jetzt eingreifen, den Jungen in die Arme nehmen und trösten. Sie mussten ihn zu seiner Familie zurückbringen. Aber Emma rührte sich nicht. Noch immer beobachtete sie, was sich da unten am Strand abspielte. Vielleicht hielt sie ja nach Charlie und Martha Ausschau, dachte Magnie. Den Jungen, der hinter ihnen stand, würdigte sie keines Blicks. Magnie sprang auf und brüllte den Jugendlichen dort unten zu, sie sollten mit dem Geschrei aufhören, doch seine Worte gingen im Lärm unter. Der Gesang hatte sich inzwischen wieder verändert. Jetzt johlten sie: «Henkersknecht, Henkersknecht, Henkersknecht.»

Der Junge hatte die Augen zugemacht und die Hände auf die Ohren gepresst, um nichts mehr sehen und hören zu müssen. Es war Magnie unbegreiflich, dass Jugendliche derart grausam sein konnten. Er wusste, dass nicht alle so waren. Es lag am Alkohol und daran, dass sie in der Gruppe anonym bleiben konnten, Teil der Meute waren, die sich im flackernden Licht des Feuers in eine einzige monströse, grölende Masse verwandelt hatte.

Magnie kletterte zu dem Jungen empor und hob ihn hoch. Der Junge wehrte sich nicht. Er war ganz leicht, wie ein Vogel. Kein Gramm Fleisch auf den Knochen. Sobald sie die andere Seite der Böschung, von wo aus man das Feuer und die Jugendlichen nicht mehr sehen konnte, erreicht hatten, stellte er den Jungen wieder auf den Boden. Der Hohngesang hatte aufgehört, als würden die jetzt unsichtbar gewordenen Halbwüchsigen sich plötzlich dafür schämen. Magnie ergriff die Hand des Jungen. «Du bist Christopher, nicht wahr? Na komm, deine Mutter und dein Vater fragen sich bestimmt schon, wo du steckst. Ich bringe dich zu ihnen nach Hause.»

Erst als er sich noch einmal umdrehte, sah er den Schatten. Einen Schatten, den er nur zu gut kannte und der ihm hinterherstarrte.

Drei

Sie standen auf dem Schulhof und warteten darauf, dass die Kinder nach Schulschluss aus dem Unterricht kamen. Zum größten Teil waren es Mütter, aber es waren auch zwei Väter, drei Großmütter und die junge Frau darunter, die bei der Arztfamilie als Kindermädchen arbeitete. An den meisten Nachmittagen bildeten sich kleine Grüppchen von Bekannten und Freunden, in denen zwanglos und heiter geschwatzt wurde. Nach neun Monaten wusste Helena Fleming, was sie erwartete. Harmloses Geplauder, Anekdoten darüber, was die Kinder mal wieder angestellt oder was sie Besonderes geleistet hatten. Helena fühlte sich keinem der Grüppchen wirklich zugehörig und erzählte nur selten von ihren eigenen Kindern, gab aber stets ein bereitwilliges Publikum ab.

Heute jedoch wirkten die Grüppchen geschlossener, das Geplauder ernster, und sie zögerte kurz, bevor sie den Schulhof betrat. Das Tor quietschte, als Helena es aufstieß, und die zusammengesteckten Köpfe drehten sich zu ihr um. In dem Moment wurde ihr bewusst, dass alle über sie gesprochen hatten. Sie hatten nur darauf gewartet, dass sie kam. Plötzlich verwandelten sich die dicht beisammenstehenden Erwachsenen in ihrer Phantasie zu Figuren aus einem Horrorfilm, sie glichen mehr einem Rudel wilder Hunde als den Nachbarn, von denen sie geglaubt hatte, sie einigermaßen zu kennen. Sie gierten nach Klatsch, und ganz kurz hatte Helena eine Vision, wie die Meute sie in Stücke riss, um an Gerüchte zu kommen, die Köpfe dabei gierig nach vorn gereckt und sabbernd. Am liebsten wäre sie davongerannt und war von ihrer eigenen Angst überrascht. Immerhin war sie eine starke, unabhängige Frau, eigenständig und erfolgreich in ihrem Beruf. Sie sollte sich nicht so fühlen wie jetzt: betäubt, mit düsteren Gedanken und zittrig. Nur der Schreck und ein letzter Rest Stolz hinderten sie am Weglaufen und zwangen sie, sich den anderen zu stellen. Also wirklich, sagte sie sich, was können die mir schon tun? Mir eine Szene zu machen, trauen sie sich bestimmt nicht. Zumindest nach außen hin waren Shetländer ein sehr höfliches Volk. Sie drehte ihnen den Rücken zu, bückte sich und tat so, als müsste sie sich die Schnürsenkel binden. Das gab ihr die Gelegenheit, den neugierigen Blicken nicht länger standhalten zu müssen.

In diesem Augenblick wurde die erste Klasse auf den Schulhof gelassen. Helenas Kinder waren zwar schon älter, doch nun lösten sich die Grüppchen auf, und die Wartenden sammelten ihren Nachwuchs ein. Beladen mit Schulranzen und Mänteln wirkten sie gleich weniger bedrohlich. An diesem Nachmittag brauchte man ausnahmsweise keinen Mantel, es war Mai und ungewöhnlich warm für die Shetlands. Die Anspannung war verflogen, wenigstens für heute, und Helena beruhigte sich. Sie sagte sich, dass ihre Reaktion – dieses Bild mit den wilden Hunden – lächerlich gewesen sei. Sie hätte sich den Leuten stellen sollen. Was war so schwer daran, einfach auf sie zuzugehen und sich am Gespräch zu beteiligen? Wie erbärmlich sie sich verhalten hatte! Wie feige!

Kurz darauf kam Ellie mit rudernden Armen und Beinen herausgerannt, die Strümpfe waren bis zu den Knöcheln heruntergerutscht, Kreide oder Wasserfarbe prangte auf der Stirn und vorn auf dem Pullover. Und natürlich plapperte sie aufgeregt. Manchmal dachte Helena, dass die Kleine schon plappernd auf die Welt gekommen war. Jedenfalls brauchte sie immer viel Aufmerksamkeit. Helena war schon daran gewöhnt, nur mit halbem Ohr hinzuhören und bisweilen zustimmend zu nicken. Bei dem Gedanken überkam sie ein schmerzliches Schuldgefühl: Bei ihrer Mutter hatte sie dieselbe Strategie angewendet, als deren Alzheimererkrankung im letzten Stadium angelangt war. Helena beugte sich zu ihrer Tochter hinunter und gab sich Mühe, ihr zuzuhören, doch sie hatte den Anfang von Ellies Erzählung schon verpasst, und was die Kleine jetzt sagte, ergab keinen Sinn mehr. Davon abgesehen konnte Ellie ohnehin kaum länger als eine Minute stillstehen und sprang bereits wieder davon.

Christopher kam, von seiner Schulhelferin begleitet, als Letzter aus dem Gebäude. Er kam immer als Letzter heraus und immer in Begleitung. Helena glaubte, dass es besser für ihn wäre, sich unter die anderen zu mischen, denn wie sollte er die Regeln zwischenmenschlicher Beziehungen lernen, wenn er nie die Gelegenheit dazu bekam? Allerdings hatte sie bisher nicht den Mut gehabt, diesen Punkt anzusprechen. Sie verstand, weshalb die Schule auf Nummer sicher gehen wollte, gleichzeitig aber machte es sie ganz krank, dass ihm auf diese Weise immer das Gefühl vermittelt wurde, anders zu sein. Er war elf, ziemlich schmal und hatte dunkle Haare und dunkle Augen. Bezaubernd. Die Schulhelferin bestand darauf, ihr stets einen Bericht über die Ereignisse des Tages zu geben. In der Schule in London waren die Lehrkräfte für solche Rückmeldungen immer viel zu beschäftigt gewesen. Dort hatte es zu viele Problemkinder gegeben. Damals wäre Helena dankbar gewesen, zu erfahren, wie Christopher im Klassenverband zurechtkam. Sie hätte sich gewünscht, zu hören, dass ihrem Sohn die Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die er verdiente. Nun aber empfand sie das tägliche Ritual als bedrückend. Sie wollte gar nicht wissen, ob Christopher ein Kind beschimpft oder ein anderes gebissen hatte. All das Mitgefühl und Verständnis laugten sie aus. Da zog sie ja schon fast die Klatschsucht der Eltern auf dem Schulhof vor, die alles über ihren seltsamen, feuerlegenden Sohn und den Trübsal blasenden Ehemann erfahren wollten.

«Nun, heute war ein recht guter Tag.» Die Schulhelferin kam von den Shetlands und war immer gut gelaunt, auch wenn es Unerfreuliches zu berichten gab. «Nicht wahr, Christopher?» Immerhin hatte sie mittlerweile begriffen, dass er es nicht ausstehen konnte, Chris genannt zu werden.

Christopher sah seine Mutter an und verdrehte die Augen. Helena glaubte, dass gerade diese Arroganz zum Großteil dafür verantwortlich war, dass ihm viele Leute feindselig begegneten. Er war sehr intelligent, verfügte über ein ausgezeichnetes Gedächtnis und besaß die Fähigkeit zum logischen Denken, zur Lösung mathematischer Probleme. Weil ihm klar war, dass er mit seinem Wissen den meisten anderen überlegen war, verhielt er sich, als sei er der Mittelpunkt des Universums und behandelte die Erwachsenen in seinem Umfeld, seine Mutter eingeschlossen, manchmal wie Dienstboten.

«Ein kleiner Wutanfall in der Mittagspause, aber nichts, was wir nicht in den Griff bekommen hätten.» Becky, die Schulhelferin, lächelte. «Außerdem gab’s heute keinen Ärger mit Streichhölzern. Bis Montag, Christopher.»

Christopher trug Shorts, T-Shirt und Sandalen. Keinen Pullover, keine Socken. Das war seine bevorzugte Kleidung, selbst im tiefsten Winter. Er schien die Kälte nicht zu spüren, hasste jedoch das Gefühl von Stoff auf seiner Haut, selbst wenn es sich um Naturfasern wie Baumwolle oder Wolle handelte. Nachts trug er keinen Schlafanzug, und wenn er damit durchkam, lief er nackt im Haus herum. In der Schule hatten sie sich mittlerweile an seinen spärlichen Kleidungsstil gewöhnt. Anfangs hatte die Direktorin Helena jeden Tag angerufen und sich erkundigt, weshalb der Junge ohne Mantel gekommen sei. «Wir schicken die Kinder gern an die frische Luft, auch wenn es draußen kühl ist.» Helena hatte versucht, es ihr zu erklären, und Christopher schließlich mit einer Tasche in die Schule geschickt, in der ein Pullover und ein Mantel waren, wobei sie gemurmelt hatte: Und wenn Sie ihn dazu bringen können, die Sachen zu tragen, weihen Sie mich bitte in Ihr Geheimnis ein. Natürlich in der Hoffnung, dass es auch der Schule nicht gelingen und sich herausstellen würde, dass sie recht hatte. Selbstverständlich behielt sie recht, und die Anrufe der Direktorin hörten auf.

Während der Unterhaltung zwischen Becky und seiner Mutter stand Christopher daneben und wartete. Er zappelte nicht herum wie Ellie. Hin und wieder zuckte einer seiner Muskeln, oder er kaute an den Fingernägeln. Manchmal kratzte er an seinem Arm, bis es blutete und sich eine Kruste bildete. Doch diese Rücksprachen zwischen Schule und Zuhause folgten einem stets gleichbleibenden Ablauf, den man durchzustehen hatte, und gleichbleibende Abläufe waren etwas, was Christopher verstand. Als das Gespräch zu Ende war, hatte der Schulhof sich bereits geleert. Helena rief nach Ellie, die kopfüber am Klettergerüst hing, damit sie sich auf den Heimweg machen konnten.

Sie wohnten über eine Meile von der Schule entfernt, aber solange das Wetter nicht wirklich grauenhaft war, gingen sie zu Fuß. Christopher beschwerte sich immer, dass er nicht mit dem Auto abgeholt wurde, aber wie die Gespräche zwischen seiner Mutter und Becky waren auch diese Beschwerden zu einem Ritual geworden. Er war nicht gern an der frischen Luft, und da er so schnell wie möglich nach Hause in sein Zimmer und an seinen Computer wollte, beeilte er sich. Sein steifer, ruckartiger Gang ließ ihn dabei aussehen wie ein Roboter. Ihr Weg führte am Strand vorbei, auf dem oberhalb der Gezeitenlinie ein paar umgedrehte alte Boote im Seetang lagen. Eine gekieste Böschung trennte den Strand von der Straße ab. Ellie lief ihnen davon und balancierte, die Arme seitlich ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten, den Kamm der Böschung entlang. Nach einem Tag erzwungenen Stillsitzens glich sie einem Hund, der dringend Auslauf brauchte. Am Ende des Strands führte ein Pfad über eine flache, morastige Landspitze, die um diese Jahreszeit fröhlich bunt leuchtete: gelbe Salzwiesenschwertlilien, Sumpfdotterblumen, Lichtnelken, dazu Blumen und Gewächse, die Helena nicht benennen konnte. Als sie hergezogen waren, hatte sie sich vorgenommen, die Namen all dieser Pflanzen zu lernen, doch dann waren wichtigere Dinge dazwischengekommen. Von hier aus konnte man den Hof schon sehen, der zu ihrem Zuhause geworden war. Auf den Shetlands war er unter dem Namen Hesti bekannt, und Helena und ihre Familie hatten den Namen übernommen. Er war in den Hang hinein gebaut, der von den flachen Salzwiesen aus steil anstieg, und aus den Frontfenstern des Wohnhauses konnte man die Landspitze und den Strand sehen. Der Blick reichte bis hinaus zu den Häusern von Deltaness, mitsamt Schule, Laden und Gemeindesaal.

Ellie rannte voraus; sie sahen, wie sie den Weg zum Haus hochsauste, kaum gebremst durch die Steigung. Helena beobachtete sie ein wenig neidisch und dachte daran, dass sie selbst auch mal so eine Energie gehabt hatte. Sogar nach einer durchtanzten Nacht hatte sie sich am anderen Morgen frisch an die Arbeit gesetzt, kreativ und voller neuer Einfälle. Wann war ihr das alles entglitten? Die Heirat war nicht schuld gewesen. Daniel hatte sie zu einigen ihrer besten Arbeiten inspiriert. Sie hatten sich auf der Kunsthochschule kennengelernt und viel zu früh geheiratet – meinten jedenfalls all ihre Freundinnen und Helenas liberale Eltern: «Warum heiraten, Liebling? Warum willst du dich jetzt schon binden, wo ihr doch beide noch studiert?» Aber ihr hatte der Gedanke gefallen. Das Dramatische eines solchen Schritts. Vielleicht hatten sie dann zu lange mit dem Kinderkriegen gewartet. Als Christopher auf die Welt kam, war sie schon Mitte dreißig gewesen und bei Ellies Geburt beinahe vierzig.

Sie wusste immer noch keine Antwort darauf, als sie bereits vor der Haustür standen. Christopher marschierte mit dem unermüdlichen Gang einer Maschine hinein, doch Helena war ein wenig außer Atem und blieb kurz stehen, um über das weite Tal zu blicken, das Jahrhunderte zuvor vom Eis geformt worden war. In London mochte es coole Kneipen, Ausstellungen und Theater geben, sagte sie sich, aber so etwas gab es dort nicht.

Als sie schließlich auch hineinging, war Christopher schon in seinem Zimmer verschwunden. Bestimmt hatte er den Großteil seiner Klamotten inzwischen auf den Boden geworfen und saß nun in Unterwäsche vor dem Computer. Wahrscheinlich schaute er sich eine für Kinder vollkommen ungeeignete amerikanische Krimiserie an. Er war geradezu besessen von den Feinheiten der Forensik und musste zu den Mahlzeiten oft regelrecht vom Computerbildschirm losgeeist werden. Das Ganze endete bestenfalls in verdrossenem Schweigen und schlimmstenfalls in einem Wutausbruch. Sein Geschrei hatte einmal in London dazu geführt, dass die Nachbarn die Polizei riefen. Gelegentlich gab sie nach und ließ ihn oben in seinem Zimmer ein Sandwich essen, obwohl sie wusste, dass das einen gefährlichen Präzedenzfall schuf und es am nächsten Tag umso schwerer sein würde, ihn dazu zu überreden, seine Zeit auch einmal mit der Familie zu verbringen. Doch manchmal war sie einfach zu erschöpft, um sich seinen Tobsuchtsanfällen zu stellen.

Ellie war in der Küche, um sich etwas zu essen zu holen. Sie hatte sich bereits eine Mandarine geschält und die Schale achtlos auf der Arbeitsplatte liegengelassen. Jetzt lief sie an Helena vorbei und kuschelte sich, endlich zur Ruhe gekommen, aufs Sofa, um das Kinderprogramm der BBC zu sehen. Keine Spur von Daniel, obwohl sein Wagen auf dem üblichen Platz hinterm Haus stand. Vielleicht machte er einen Spaziergang; immerhin war herrliches Wetter, und heute Morgen hatte er zu Helenas Erleichterung viel fröhlicher gewirkt als in den Wochen zuvor. Seine Depression kam in Wellen, und manchmal spülte sie über ihn hinweg wie das Meer, nahm den Mann, den Helena kannte und liebte, mit sich und ließ einen verbitterten, wütenden Fremden zurück. Es würde ihr guttun, das Haus eine Weile für sich zu haben.

Auf dem Tisch lag die Shetland Times. Daniel musste sie am Vormittag vom Laden in Deltaness mitgebracht haben, während sie noch gearbeitet hatte. Helena schlug sie auf, wobei sie wieder einmal dachte, wie sehr die Shetland Times sich doch von der Lokalzeitung unterschied, die sie früher in London gelesen hatten. Darin hatte als Aufmacher unweigerlich eine Schauergeschichte gestanden, ein reißerischer Bericht über Messerstechereien, Überfälle, gelegte Brände und Schießereien. Die Shetland Times dagegen brachte Artikel über den Rekordfang von Shetland Catch, dem hiesigen Fischereiunternehmen, die Preise von Schafen und ein Musikfest für Kinder. Die Panikattacke vorhin auf dem Schulhof kam Helena jetzt lächerlich vor. Hier wohnten gute Menschen. Sie merkte, wie der Stress langsam von ihr abfiel, stand auf, um den Wasserkocher einzuschalten, und machte sich eine Tasse Tee, ehe sie sich der Zeitung wieder zuwandte.

Zwischen der zweiten und dritten Seite steckte ein kleines Stück Papier, exakt zehn Zentimeter im Quadrat, säuberlich zurechtgeschnitten, möglicherweise mit einer Papierschneidemaschine. Es handelte sich um Millimeterpapier, auf das jemand ein Muster gezeichnet hatte: Punkte in den winzigen Quadraten bildeten ein Männchen. Es hätte der weggeworfene Rest eines beliebten Kinderspiels sein können, denn über dem Männchen bildeten die Punkte einen primitiven Galgen, an dem das Männchen bereits hing. Das Galgenmännchen zeigte an: Du hast verloren. Doch da waren keine Buchstaben und auch keine Striche für die Buchstaben, die noch fehlten. Und das Schlimmste war: Helena hatte schon mehrere solcher Zeichnungen bekommen.

Vier

Am Samstagmorgen saß Jimmy Perez vor seinem Haus – Frans Haus – und sah Cassie dabei zu, wie sie an dem Bach spielte, der ihr Zuhause von dem kleinen Hof Hillhead trennte, auf dem früher einmal Magnus Tait gewohnt hatte. Auf der Insel erzählte man sich, der kleine Hof sei an einen Mann aus Lerwick verkauft worden. Perez überlegte, ob der Mann wohl Familie hatte; es wäre großartig, wenn ein Kind nebenan leben würde, das Cassie Gesellschaft leisten könnte. Und die Zahl der schulpflichtigen Kinder an der Schule von Ravenswick würde sich erhöhen.

Die Sonne schien warm, und er ließ seine Gedanken ziellos umherschweifen. Cassie war eine recht eigenständige Neunjährige. Er konnte kaum glauben, wie schnell die Zeit vergangen war. Als er sie kennengelernt hatte, war sie vier gewesen und gerade in die Vorschule gekommen. Als Fran starb, war sie sechs. Hin und wieder wandte sie den Kopf, um zu sehen, ob er noch da war, dann widmete sie sich wieder ihrem Spiel, einem ernsthaften technischen Bauvorhaben: Sie errichtete Dämme und Staubecken, um den Wasserlauf zu verlangsamen. Im Ort hatte man viel darüber diskutiert, ob man mit ähnlichen Projekten versuchen sollte, einem erneuten Erdrutsch vorzubeugen. Erst vor drei Monaten hatte eine Schlammlawine großes Chaos auf den Inseln verursacht. Cassie tüftelte nun an ihrem eigenen Projekt. Ihre Mutter wäre stolz auf ihre Ambitionen gewesen.

Unterhalb der beiden Häuser verlief die Hauptstraße zwischen Lerwick und dem Flughafen von Sumburgh, doch heute wirkte der Verkehr wie in weiter Ferne. Sein Geräusch war wie das Brummen von Insekten im Sommer. Perez beobachtete, wie ein ihm unbekannter roter Kleinbus von der Hauptstraße abbog und den schmalen, geschlängelten Weg zu den Häusern hochkam. Vielleicht war das der neue Besitzer von Hillhead, spekulierte Perez. Das wäre eine gute Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Doch dann hielt der Kleinbus vor seinem Haus, und eine Frau stieg aus. Perez versuchte, ihr Alter zu erraten. Ende vierzig vielleicht? Darauf ließen die ersten grauen Strähnen in ihren drahtigen Locken schließen, die anscheinend kaum zu bändigen waren. Sie trug Jeans und rote Lederstiefel zu einer handgestrickten, rot-blauen Wolljacke. Etwas an ihrer Art, sich zu kleiden, erinnerte ihn an Fran.

«Inspector Perez?» Ihrem Dialekt nach zu urteilen, kam sie aus dem Süden Englands, und sie wirkte überaus ernst.

«Ja.» Er wusste sofort, dass der Besuch etwas mit seiner Arbeit zu tun hatte – so ungewöhnlich war es nicht, dass er zu Hause gestört wurde. Schnell fuhr er fort: «Aber ich bin momentan nicht im Dienst. Wenn es sich um eine polizeiliche Angelegenheit handelt, sollten Sie sich an das Revier in Lerwick wenden.» Nach jahrelanger Übung kannte er sein Sprüchlein auswendig.

«Aber sicher.» Kein Widerspruch. «Natürlich. Ich hätte nicht herkommen sollen, und vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig. Wahrscheinlich ist es nicht mal eine Sache für die Polizei.» Sie winkte Cassie zu, die sich immer noch mit ihrem Dammprojekt beschäftigte, und wollte zurück zu dem Kleinbus gehen.

Vielleicht lag es daran, dass sie Cassie zugewinkt hatte. An dieser Geste und daran, dass die Frau so traurig wirkte. Sarah, seine Exfrau, hatte Perez einmal «emotionale Inkontinenz» bescheinigt, und Willow, seine Chefin, mit der ihn eine komplizierte Affäre verband, meinte, das würde ihn perfekt beschreiben: «Du bist viel zu großzügig mit deinem Mitgefühl und deiner Liebenswürdigkeit, Jimmy. Manchmal bleibt nichts mehr übrig für die Menschen, die dich gernhaben.»

Und so rief er der Frau hinterher: «Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen. Hätten Sie auch gern einen? Dabei können wir ein bisschen miteinander plaudern. Wo Sie nun schon mal hier sind …»

«Wenn Sie wirklich meinen. Es kommt mir so schrecklich unverschämt vor.» Doch dabei schenkte sie ihm ein scheues Lächeln, und er spürte, wie erleichtert sie war.

Als er mit dem Kaffee wiederkehrte, war sie mit Cassie ins Spiel vertieft und half ihr, mit einer Plastikschaufel eine Sandbank zu bauen. Sie war genauso ernsthaft bei der Sache wie das Mädchen. Als sie Perez sah, ließ sie die Schaufel sinken und ging zu ihm hinüber. Sie setzten sich auf die weiß gestrichene Holzplanke, die als Bank diente, und streckten die Beine vor sich aus.

«Warum verraten Sie mir nicht zuerst einmal, wie Sie heißen?» Er trank einen Schluck Kaffee und blickte in Richtung Raven’s Head. «Und was Ihnen solche Sorgen bereitet.»

«Ich heiße Helena», sagte sie. «Helena Fleming.»

«Ihren Namen habe ich schon gehört.» Zwar war sie erst vor kurzem auf die Inseln gezogen, fast drei Jahre nachdem Fran ums Leben gekommen war. Doch hin und wieder wurde Perez noch von ein paar von Frans alten Freunden aus dem Kunstbetrieb zum Abendessen oder auf Partys eingeladen. Dort erfuhr er, was in der Szene gerade so los war, und dabei war auch ein paarmal der Name von Helena Fleming gefallen. Perez war mit Fran Hunter, der Künstlerin und Mutter von Cassie, verlobt gewesen, doch dann wurde Fran ermordet, und seither lebte er mit dem Bewusstsein, dass es sein Fehler gewesen war. Er trug die Schuld mit sich, wohin er auch ging.

Davon abgesehen kannte er den Namen der Frau, weil sowohl die Shetland Times als auch der Shetlander über sie berichtet hatten und sie zu einer Art lokalen Berühmtheit geworden war. Helena war Designerin; sie verwendete Wolle und Muster von den Shetlands, um damit Kleidungsstücke zu entwerfen, die dann auf der London Fashion Week gezeigt wurden. Die Leute kamen aus der ganzen Welt, um etwas bei ihr in Auftrag zu geben. Den Gerüchten zufolge hatte selbst die Herzogin von Cambridge in einer schicken Londoner Boutique eine ihrer Strickjacken gekauft.

«Wir wohnen in Deltaness.»

Er nickte. Auch das wusste er, denn jede Neuigkeit über die Inselbewohner sickerte quasi wie von selbst in sein Bewusstsein. Die Flemings hatten Dennis Gears alten Hof gekauft. Kurz nachdem sie dort eingezogen waren, hatte Dennis sich das Leben genommen, womit er der ganzen Gemeinde einen Schock versetzt und in gewisser Weise das Ansehen der neuen Besitzer diskreditiert hatte. Perez’ Mitgefühl für die Frau wuchs.

«Bestimmt haben Sie auch schon gehört, dass sich in unserer Scheune ein Mann erhängt hat?»

Perez nickte, und die Frau fuhr fort.

«Es war Selbstmord. Ihre Leute haben die Sache untersucht, und es wurde eine Autopsie durchgeführt. Aber anscheinend haben wir irgendwie Schuld daran. Jedenfalls, wenn man den Leuten aus Deltaness zuhört.» Sie klang bitter. «Die machen uns das Leben zur Hölle.»

«Das tut mir leid», sagte Perez. «Das muss hart sein.» Damit, was Gerüchte und Tratsch anrichten konnten, kannte er sich aus. «Aber ich weiß nicht recht, ob das eine Sache für die Polizei ist. Wenn Sie ein bisschen Geduld haben, finden die Leute bestimmt bald etwas anderes, worüber sie sich die Mäuler zerreißen können.»

Doch Helena Fleming sprach weiter, als hätte er gar nichts gesagt. «Das betrifft uns alle. Wir haben zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Ellie ist noch ein wenig zu klein, um mitzukriegen, was die Leute sich so erzählen, obwohl ich sicher bin, dass sie in der Schule einiges aufschnappt. Aber Christopher ist ein hochfunktionaler Autist, das bedeutet hochintelligent. Dennoch braucht er viel Unterstützung. Manchmal verhält er sich etwas merkwürdig, es fällt ihm schwer, soziale Interaktionen zu interpretieren, aber das heißt nicht, dass er davon überhaupt nichts versteht. Er nimmt die feindselige Stimmung durchaus wahr und will wissen, weshalb die anderen uns hassen.»

«Ist es denn wirklich Hass?» Das hielt Perez nun doch für eine Übertreibung. Die Menschen auf den Shetlands neigten nicht dazu, andere zu hassen.

«Selbstverständlich hassen uns nicht alle. Wir haben auch Freunde. Aber die Leute halten uns für seltsam und irgendwie gefährlich. Und mit Christopher wird die Sache natürlich nicht unbedingt einfacher.» Sie schwieg kurz. «Er entwickelt manchmal regelrechte Obsessionen. Momentan hat er ein Faible für Feuer. Er hat Streichhölzer mit in die Schule genommen und einen Papierkorb auf dem Schulhof angezündet. Dazu kommt, dass Daniel, mein Mann, auch nicht gerade der zugänglichste Mensch ist.» Wieder hielt sie inne. Perez wollte sie schon auffordern, weiterzusprechen, da fuhr sie von selbst fort. «Daniel hat den Toten gefunden. Er hat immer noch Albträume davon.»

«Das tut mir leid», wiederholte Perez, «aber ich weiß immer noch nicht, wie ich Ihnen in der Sache weiterhelfen kann.»

Sie starrte ins Leere, Richtung Raven’s Head. «Jemand ist auf unserem Grundstück gewesen. Das ist doch eine Angelegenheit für die Polizei.»

«Sie wurden bestohlen?»

Helena schüttelte den Kopf. «Nein, gestohlen wurde nichts, allerdings wurde etwas zurückgelassen.»

Sie hatte eine grüne Umhängetasche aus Leder bei sich, die sie jetzt öffnete, um eine Plastikmappe herauszuholen. Der Mappe entnahm sie drei quadratische Stücke Millimeterpapier, die sie sorgsam zwischen sich und Perez auf die Bank legte.

Auf dem ersten war ein Galgen zu sehen, auf dem zweiten ein Galgen mit einer Schlinge, und das dritte zeigte schließlich auch den Gehenkten. Helena deutete auf das letzte Bild. «Das kam gestern, es steckte zwischen den Seiten der Shetland Times.»

«Und die beiden anderen?»

«Das erste kam vor einem Monat – ein paar Tage nachdem Daniel die Leiche von Dennis Gear gefunden hatte. Das zweite kam letzte Woche. Es steckte im Hausaufgabenheft meines Sohnes. Zum Glück habe ich es vor ihm entdeckt.»

«Ihr Sohn kann die nicht gezeichnet haben?» Behutsam tastete Perez sich vor, er wollte seine Besucherin nicht verärgern. Er wusste genau, wie er sich fühlen würde, wenn jemand behauptete, Cassie würde bizarre kleine Bilder von gehenkten Männchen anfertigen. Aber vielleicht waren die Bildchen Teil eines Spiels und harmlos. Die Frau machte möglicherweise aus einer Mücke einen Elefanten.

«Zuerst dachte ich auch, dass er dahinterstecken müsse. Ich verwende selbst Millimeterpapier, um meine Entwürfe zu zeichnen. Das liegt stapelweise in meinem Atelier herum, und er hätte sich leicht ein paar Bögen nehmen können. Aber Christopher sagt, er war’s nicht, und Christopher lügt nicht.»

Dazu schwieg Perez. Er war noch nie jemandem begegnet, der niemals gelogen hätte. Selbst Fran, die ehrlichste Frau auf der Welt, hatte die Unwahrheit gesagt, wenn es nützlich für sie war.

«Davon abgesehen», fuhr Helena fort, «hatte mein Sohn gar keine Gelegenheit, den letzten Zettel in die Shetland Times zu stecken. Mein Mann hat die Zeitung gekauft, während Christopher in der Schule war, und als wir nach Hause kamen, ist er schnurstracks nach oben gegangen. Wirklich, ich habe lange darüber nachgedacht, er kann es nicht gewesen sein.» Sie blickte Perez ins Gesicht, als wollte sie ihn zwingen, ihr zu glauben.

Eine Zeitlang sagte keiner ein Wort. Cassie, die die Spannung zwischen den beiden zu spüren schien, wandte sich von ihrem Spiel ab und schaute zu ihnen hinüber.

«Haben Sie denn eine Vermutung, wer dann dahinterstecken könnte?» Was für ein feiges Verhalten, dachte Perez. Er schämte sich regelrecht dafür, dass jemand von den Shetlands so hinterhältig und gemein sein konnte. Dennis Gears Geschichte war ihm bestens bekannt. Der Mann hatte den elterlichen Hof aufgrund einer Mischung aus Pech und eigenem Versagen aufgeben müssen. Der Hof war seit Generationen im Besitz seiner Familie gewesen, aber er selbst hatte nie viel für die Landwirtschaft übriggehabt und das Land Stück für Stück verkauft, bis am Ende nur noch das Wohnhaus, die Nebengebäude und ein paar umzäunte Weideflächen übrig gewesen waren. Nachdem Gears Frau gestorben war, hatte er die Dinge dann vollends schleifen lassen und schließlich seinen Job im Müllheizkraftwerk von Lerwick verloren. Überall auf den Inseln hatte er Schulden angehäuft, und zuletzt wurde der Hof gepfändet. Das Ganze hatte nicht das Geringste mit den Flemings aus London zu tun, die den Hof kauften und zu ihrem neuen Zuhause machten. Gears letzte Tat – auf einem Grundstück Selbstmord zu begehen, wo Kinder lebten und seine Leiche hätten finden können – hielt Perez, der sich mit dem Fall beschäftigt hatte, für selbstsüchtig und niederträchtig.

«Als wir den Hof kauften, wussten wir nichts von Gears Geschichte», sagte Helena. «Davon abgesehen trugen wir keine Verantwortung für die Schwierigkeiten, in denen er steckte. Den Hof hätte er auf jeden Fall verloren, ob wir ihn nun kauften oder jemand anders.»

«Er war sehr beliebt.» Perez dachte daran zurück, wie er Gear einmal bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung im Gemeindesaal von Deltaness erlebt hatte. Dennis hatte auf der Bühne gestanden und in einer der besten Bands der Inseln Akkordeon gespielt. Fran hatte Perez damals auf die Tanzfläche gezerrt. Gear war bester Laune gewesen, sein hochroter Kopf deutete entweder auf einen anständigen Rausch oder aber einen bevorstehenden Herzinfarkt hin. «Er gehörte zur Mannschaft des Rettungsboots und feierte für sein Leben gern.»

«Und dann tauchen wir auf», sagte Helena. «Engländer aus dem Süden. Die anders sprechen und anders denken. Und einen sonderbaren Sohn mit einer Vorliebe für Feuer mitbringen.»

Perez hatte das Gefühl, dass sie noch etwas hinzufügen wollte, doch dann hielt sie inne, und er füllte die entstehende Stille mit einer Frage. «Wie lange ist Christopher denn schon so fasziniert von Feuer?»

Helena stellte ihren Kaffeebecher ins Gras. «Ich glaube, das hat bei Up Helly Aa angefangen, diesem Wikingerfest. Das ganze Spektakel und die brennenden Fackeln müssen ihn sehr beeindruckt haben. Letzte Woche ist er abends einmal ausgebüxt und auf eine Gruppe Jugendlicher gestoßen, die ein Lagerfeuer am Strand machten. Als er nach Hause gebracht wurde, war er fürchterlich verstört.» Sie brach ab. Über ihnen war das Brummen eines der kleinen Flugzeuge zu hören, die zwischen den Inseln verkehrten. «Ich möchte ja dazugehören. Ich versuche es.»

«Glauben Sie wirklich, jemand schickt Ihnen dieses Zeug …», Perez wies mit dem Kinn auf die Zettel auf der Bank, «… weil er hofft, Sie so zu vergraulen?»

«Keine Ahnung», erwiderte sie. «Einen anderen Grund kann ich mir einfach nicht vorstellen. Die Leute meiden Christopher, halten mich für eine eingebildete Schnepfe aus dem Süden und Daniel für einen Schnösel.» Wieder musste sie abbrechen, und als sie dann fortfuhr, war sie kurz davor, die Kontrolle über sich zu verlieren. «Es wird schlimmer und schlimmer. Als wollte jemand bewusst Ärger schüren und würde sich immer neue Schauergeschichten über uns ausdenken. Zum Beispiel gestern auf dem Schulhof habe ich genau gespürt, dass die Stimmung sich bei meinem Auftauchen plötzlich veränderte.» Sie zuckte hilflos die Achseln. «Bitte entschuldigen Sie, ich weiß, das klingt verrückt.»

«Mir ist nur nicht ganz klar, was Sie in dieser Sache von mir erwarten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob überhaupt ein Verbrechen vorliegt. Wenn Ihre Türen unverschlossen waren, kann man nicht von einem Einbruch sprechen …»

«Ich weiß», sagte sie, «ich sollte mir wieder angewöhnen, immer abzusperren. Aber das war einer der Gründe, weshalb wir auf die Shetlands gezogen sind. Damit wir nicht mehr in einer Festung wohnen müssen.» Sie blickte hinaus in die Ferne, aufs offene Meer. «Vermutlich habe ich gehofft, Sie könnten herausfinden, wer dieses Zeug fabriziert hat. Dann könnten Sie vielleicht mit denen reden und ihnen klarmachen, dass wir nur dazugehören wollen. Ich will auch keine Anzeige erstatten. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Aber natürlich haben Sie recht. Das ist wirklich keine Angelegenheit für die Polizei, und wahrscheinlich bin ich bloß paranoid. Ist bestimmt nur ein Kinderstreich.»

Perez wusste nicht recht, was er darauf antworten sollte, weshalb er in seine Rolle als Ermittler zurückfiel.

«Haben Sie denn jemanden gesehen, der sich in der Nähe Ihres Grundstücks herumtreibt?»

«Manchmal hatte ich tatsächlich den Eindruck, dass da draußen jemand ist und uns beobachtet. Aber das habe ich mir vermutlich nur eingebildet.»

Perez dachte, dass wohl jeder, der die Leiche eines Mannes in seiner Scheune und komische Bildchen im ganzen Haus fand, früher oder später dazu neigte, sich alles Mögliche einzubilden. «Was ist mit Ihrem Mann? Ist dem etwas Ungewöhnliches aufgefallen?»

Diesmal war die Stille außerordentlich lang, und als Helena schließlich antwortete, wandte sie dem Ermittler das Gesicht zu. «Ich habe Daniel noch nichts davon erzählt. Er ist nicht besonders belastbar und, wie gesagt, dass er die Leiche von Dennis Gear gefunden hat, hat ihn völlig aus der Bahn geworfen. Momentan scheint es ihm etwas besser zu gehen. Es sieht fast so aus, als hätte er sich wieder gefangen. Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, einen Rückfall bei ihm ausgelöst zu haben.» Sie legte die Stirn in Falten. «Außerdem kann Daniel nichts gesehen haben. Er war gestern den ganzen Nachmittag unterwegs.»

Perez fragte sich, wie sich Helenas Mann wohl fühlen musste, wenn die eigene Frau ihn wie ein Kind behandelte und entschied, was das Beste für ihn war. «Wenn Sie noch eins von diesen Bildchen bekommen, sagen Sie mir sofort Bescheid», bat er. Dabei dachte er, dass er sich mal ein wenig umhören würde. Deltaness lag auf Northmavine, der Landzunge im Nordosten der Hauptinsel. Die Gemeinde war klein. Wenn es dort tatsächlich Unstimmigkeiten gab und jemand die neu hinzugezogene Familie wieder vergraulen wollte, sollte er in der Lage sein, etwas darüber herauszufinden. Er überlegte bereits, wen er darauf ansprechen konnte. Allerdings wollte er Helena Fleming keine Hoffnungen machen.

«Es tut mir so leid», sagte Helena. «Ich hätte nicht herkommen und Sie stören sollen. Das war eine spontane Eingebung. Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht.»

«Warum sind Sie eigentlich zu mir gekommen? Warum sind Sie mit dieser abscheulichen Sache nicht gleich aufs Revier gegangen?»

«Weil Sie mit Fran zusammen waren.»

«Sie kannten Fran?» Es tat nicht mehr so weh wie früher, Frans Namen zu hören. Dennoch spürte er immer wieder die Schuld und dieses absurde Bedürfnis, die Zeit zurückzudrehen und die Geschehnisse vor drei Jahren auf Fair Isle umzuschreiben. Dort war sie ums Leben gekommen, und Perez wünschte, er könnte das Messer, das im Mondlicht aufgeleuchtet hatte wie ein blauer Blitz, aus der Geschichte streichen. Hätte ich dich doch nicht mit auf die Insel genommen …

«Ihretwegen sind wir auf die Shetlands gezogen. Ich bin ihr ein paarmal in London begegnet. Das ist natürlich Jahre her. Auf der Party eines gemeinsamen Freundes, in der Galerie, wo sie ihre erste Ausstellung hatte. Sie war etwas jünger als ich. Aber ihre Kunst gefiel mir sehr, und als sie sich hier niederließ, verfolgten Daniel und ich ihre Karriere weiter. Das hat uns hierhergeführt.»

Perez deutete mit dem Kinn hinüber zu dem kleinen Mädchen, das am Bach spielte und gerade dabei war, eine neue Staustufe zu bauen. «Das ist ihre Tochter – das ist Cassie. Ich kümmere mich um sie, bin aber nicht ihr leiblicher Vater.» Er zögerte kurz und merkte, dass er das erklären musste. «Duncan, ihr leiblicher Vater, ist nicht unbedingt der zuverlässigste Mensch, und Fran hat mir die Kleine vor ihrem Tod in gewisser Weise vermacht.»

«Ich weiß», sagte Helena. «Davon habe ich gehört.» Sie grinste ihn an. «Auf den Shetlands bleibt nichts lange geheim, oder?»

«Ach, Sie würden sich wundern!»

«Ich mach mich dann auf den Weg», fuhr sie fort. «Zu Hause habe ich gesagt, ich wäre bald wieder da. Daniel kann zwar wunderbar mit den Kindern umgehen, aber sie sind doch beide ein bisschen speziell.»

«Bringen Sie die beiden doch mal mit. Cassie freut sich immer über neue Freunde zum Spielen.»

Wieder grinste sie ihn an, und er dachte, dass sie und Fran sich bestimmt gut verstanden hatten. «Sie haben beide so ihre Macken und sind nicht unbedingt salonfähig.»

Perez blickte auf Cassie, deren Arme bis zu den Ellbogen voller Schlamm waren. «Ich glaube nicht, dass wir beide immer als salonfähig durchgehen.» Er suchte in seiner Jackentasche nach einem Stift und einem Stück Papier. Darauf kritzelte er seine Handynummer. «Und falls noch etwas Ungewöhnliches passieren sollte – ganz egal was –, rufen Sie mich an.»

Er sah Helena nach, die die Böschung hinunter zu ihrem Wagen ging. Unterwegs blieb sie noch einmal stehen, um mit Cassie zu plaudern, die dafür extra aufstand. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten, doch die Unterhaltung wirkte angeregt und freundschaftlich. Erneut spürte er eine gewisse Zuneigung dieser Fremden gegenüber; es machte ihm überhaupt nichts mehr aus, dass sie unangemeldet bei ihm aufgetaucht war.

Fünf

An den Sonntagen ging Helena nicht in ihr Atelier. Als sie nach Deltaness gezogen waren, hatte sie anfangs jede freie Minute bis zur Erschöpfung daran gearbeitet, ihr Label aufzubauen und die Kontakte, die sie schon mit Einzelhändlern in London und auf dem europäischen Festland geknüpft hatte, zu festigen. Immerhin war sie jetzt die Hauptverdienerin, und obwohl sie einige Ersparnisse hatten, war ihr bewusst, dass die nicht ewig reichen würden. Daniel hatte die Kinder von der Schule abgeholt und ihnen Abendessen gemacht, während Helena sich wie eine Besessene in die Arbeit flüchtete. Sie war nie gut darin gewesen, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. Jedes einzelne Projekt nahm ihre gesamte Kreativität in Anspruch und füllte all ihre Gedanken aus. Deshalb hatte sie auch nicht gemerkt, dass Daniel sich zunehmend überfordert fühlte, bis er eines Abends, als sie sich gerade für ein gemeinsames Essen mit Freunden fertigmachten, in Tränen ausbrach. Sie kam aus der Dusche und fand ihn schluchzend im Schlafzimmer. Die Tür war offen, im Türrahmen standen beide Kinder und sahen ihn an, während Helena auf den Holzfußboden tropfte.

«Was ist denn los?» Ellie war völlig verzweifelt. «Was ist mit Daddy los?»

Helena hatte sie mit ein paar beruhigenden Worten hinunter in die Küche geschickt, ihnen Kekse und Limonade erlaubt, die sie normalerweise nicht trinken durften, dann hatte sie Daniel in die Arme genommen. Das Handtuch war zu Boden gefallen, und jetzt erinnerte sie sich wieder an die kratzige Wolle seines Pullovers auf ihrer Haut. Sie machte ihm Versprechungen, von denen sie nicht wusste, ob sie sie würde halten können: dass sie weniger arbeiten und mehr Zeit mit den Kindern verbringen würde, und mit ihm. Trotzdem hatte sie darauf bestanden, an dem Abend noch mit Belle und Robert essen zu gehen. Sie hatte sich zu sehr darauf gefreut, mal wieder aus dem Haus zu kommen, lebhafte Unterhaltungen zu führen und endlich mal wieder herzhaft zu lachen. Sie hatte geglaubt, durchzudrehen, wenn sie nicht bald mit jemandem außerhalb der Familie reden konnte. «Das wird dir guttun», hatte sie zu Daniel gesagt, ohne es wirklich zu meinen. Schon während sie es sagte, hatte sie gewusst, wie selbstsüchtig das von ihr war.

Die meisten ihrer Versprechen hatte sie gehalten. Sie versuchte, den Großteil ihrer Arbeit zu erledigen, solange die Kinder in der Schule waren. Wenigstens ein paarmal pro Woche war sie es, die sie von der Schule abholte. Sie ermutigte Daniel, seinen eigenen Interessen nachzugehen. Und die Sonntage hielt sie sich für die Familie frei.

Heute hatten sie beschlossen, vormittags einen langen Spaziergang zu unternehmen. Samstagabend hatte Belle Moncrieff angerufen und gefragt, ob Helena beim Sonntagstee mithelfen wolle, einer Wohltätigkeitsveranstaltung der Gemeinde. Doch nach der vergangenen Woche hätte Helena nichts ferner liegen können, als sich dem Gerede der anderen erneut auszusetzen.

«Tut mir leid, aber wir haben einen Ausflug mit den Kindern geplant. Die müssen mal weg vom Computerbildschirm und raus an die frische Luft.»

Während sie alles für ein Picknick zusammenpackte, dachte sie an Jimmy Perez, den dunkelhaarigen, unrasierten Ermittler. Er war so freundlich gewesen. Sie beschloss, ihn beim Wort zu nehmen und wieder in Ravenswick vorbeizuschauen.

Sie marschierten nordwärts, ohne Christophers Nörgeln über den langen Spaziergang zu beachten. Daniel zeigte den Kindern die Fischotter bei Suksetter, Helena ließ Steine übers Wasser hüpfen und sah Ellie dabei zu, wie sie im Ufersand spielte. Das erinnerte sie an Cassie Hunter, und wieder musste sie an den gutaussehenden, sonnengebräunten Ermittler mit dem spanischen Namen denken. Ein wohliger Schauer durchzuckte sie, und sie fragte sich, wie ihr Leben wohl aussehen würde, wenn sie Single wäre. Dann aber dachte sie, dass sie ohne die Verantwortung für ihre Familie gar nicht wüsste, wer sie überhaupt war. Erst die Familie, die Sorge um Daniel und die Kinder, gab ihr Halt. Sie besaß nicht genug Mut, ihrer eigenen Identität auf den Grund zu gehen. Die Arbeit und ihre Entwürfe waren bedeutungslos, verglichen damit, für diese Menschen zu sorgen.

Als sie heimkamen, waren die Kinder müde, und Christopher verschwand in seinem Zimmer. Ellie quengelte, sie wollte unbedingt zum Sonntagstee in den Gemeindesaal von Deltaness, aber Helena hatte immer noch keine Lust auf das Gerede der anderen. Sie hatte Wichtigeres im Kopf als deren Geschwätz: Sie musste ihre Familie beschützen. Daniel verkroch sich in seinem Büro, vermutlich lud er die Fotos von den Wildtieren, die er heute geschossen hatte, von seiner Kamera auf den Computer. Auf der Ostseite des Hauses hatten sie große Fenster eingebaut, und die Sonne flutete die Küche mit Licht und Wärme. Ellie verzog sich schließlich zum Spielen in den Garten. Helena, die im Schaukelstuhl saß, merkte, wie ihr die Augen zufielen. Nun, warum auch nicht? Immerhin war Sonntag, der Tag der Ruhe. Aber sie hatte noch Arbeit zu erledigen, und ungeachtet der Versprechen, die sie Daniel gegeben hatte, ging sie hinaus in ihr Atelier.

Als sie in die Küche zurückkehrte, hatte sie jedes Zeitgefühl verloren. Noch immer fiel Sonne durch die Fenster herein, und es war sehr warm. Draußen auf dem Trampolin im Gras hüpfte Ellie auf und ab, und ihr Anblick holte Helena wieder in die Wirklichkeit zurück. Doch sie fühlte sich immer noch ein wenig benommen und verwirrt. Sie trug keine Uhr, und die Wanduhr über dem Herd brauchte eine neue Batterie. Helena schaltete den Wasserkocher ein, trat in den Korridor und rief nach Daniel, um ihn zu fragen, ob er einen Tee wolle. Die Tür zu seinem Büro war zu, und er antwortete nicht. Sie wollte schon zu ihm hineingehen, als sie vor dem Haus ein Geräusch hörte, ein seltsames Jaulen, das sie sofort erkannte. Es war das Geräusch, das Christopher von sich gab, wenn ihn etwas verstörte oder aufregte. Vermutlich hatte Ellie ihn überredet, draußen mit ihr zu spielen.

Helena machte die Haustür auf und blickte hinaus auf den Innenhof, der durch das Wohnhaus und das umgebaute Nebengebäude, in dem sich ihr Atelier befand, begrenzt wurde. Dort stand Christopher, er zitterte am ganzen Körper und war völlig verstört. Rasch ging sie zu ihm. «Was ist denn los?» Er gab keine Antwort, und sie erkannte die Panik in seinen Augen. Entschlossen nahm sie ihn in die Arme und drückte ihn fest an sich. Christopher hasste es, wenn man ihn sanft berührte, ihm den Arm um die Schultern legte oder übers Haar strich, aber auf eine feste Umarmung sprach er zuweilen an. Diesmal jedoch funktionierte es nicht. Er blieb steif und angespannt und stieß sie von sich.

«Kannst du mir sagen, was passiert ist?» Sie achtete darauf, gelassen zu klingen. Auf Gefühle egal welcher Art reagierte Christopher nicht besonders gut.

Er schüttelte den Kopf, griff fest nach ihrer Hand und zog sie in Richtung der alten Scheune. Dies war das einzige Gebäude, das sie noch nicht renoviert hatten. Als sie den Hof kauften, dachte Helena, dass sie die Scheune eines Tages vielleicht zu einem separaten Wohnhaus für Christopher umbauen könnten, wenn sich herausstellen sollte, dass er auch als Erwachsener in der Welt nicht allein zurechtkommen und weiterhin ihre Unterstützung brauchen würde. Die Scheune stand etwas abseits, noch hinter Helenas Atelier. Dort hatte Daniel die Leiche von Dennis Gear gefunden.

Das Doppeltor, das in die Scheune führte, hing morsch in den Angeln und war ein Stück weit aufgestoßen. Das einzige Licht in dem Raum fiel durch die halboffenen Torflügel und eine Fensteröffnung hoch oben in der Stirnwand.

An einem der Balken hing ein Körper. Die Schlinge war aus einem Nylonseil geknüpft. Helena verfiel nicht in Panik und war von sich selbst überrascht, wie ruhig sie blieb und wie gut sie sich zusammenreißen konnte. Das Bild, das sich ihr bot, sah aus, als wäre eine dieser kleinen anonymen Zeichnungen Wirklichkeit geworden. Allerdings war es keine Nachahmung des toten Dennis Gear, die da baumelte. Von dem Balken hing eine junge Frau in einem Kleid. Ihre Beine waren nackt, und sie hatte keine Schuhe an den Füßen. Helena schob Christopher aus der Scheune.

«Schau nicht hin. Bleib draußen.»

Sobald er verschwunden war, ging sie näher an die junge Frau heran und berührte einen Fußknöchel. Er war kalt, leblos. Selbst wenn es ihr physisch möglich gewesen wäre, selbst wenn sie sich dazu hätte überwinden können – jeder Versuch, den Körper vom Balken herunterzuholen, wäre von vornherein sinnlos gewesen. Sie konnte der Frau nicht mehr helfen.

Helena trat einen Schritt zur Seite und blickte nach oben, um das Gesicht der jungen Frau sehen zu können. Und da, als sie die Gesichtszüge erkannte, drehte es ihr doch den Magen um, und sie glaubte für einen Moment, sich übergeben zu müssen. Die Tote war Emma Shearer, das Kindermädchen, das für Belle und Robert Moncrieff gearbeitet hatte. Sie hatte zu dem Grüppchen gehört, das am Freitag so eifrig getratscht und sich dann zu Helena umgedreht hatte, als diese gekommen war, um ihre Kinder von der Schule abzuholen. Belle hielt große Stücke auf sie, aber Helena war mit Emma nie richtig warm geworden, schon bei ihrer ersten Begegnung nicht. Die junge Frau war stets höflich gewesen, wenn sie bei ihren gelegentlichen Zusammentreffen ein paar Worte miteinander wechselten, und auch sehr hilfsbereit. Sie hatte ein paarmal auf Ellie aufgepasst, wenn Helena sich verspätet hatte. Aber immer auf so eine merkwürdige Art, als wüsste sie über alles Bescheid und wäre Helena haushoch überlegen. Ich mochte sie nicht, und jetzt ist sie tot. Helena fühlte sich plötzlich schlecht, als wäre ihre Antipathie schuld am Tod der jungen Frau. Als hätte das ausgereicht, sie ums Leben zu bringen.

Helena hörte ein Geräusch hinter sich und wirbelte herum. Sie dachte, Christopher wäre zurückgekommen, und war fest entschlossen, ihn wieder wegzuschicken. Doch dort im Tor stand Daniel, umrahmt vom hellen Sonnenlicht hinter ihm. Sie konnte nur seine Silhouette erkennen, hörte jedoch, wie er nach Luft rang. Was musste das für ein Schock für ihn sein! An exakt derselben Stelle hatte er Dennis Gears Leiche gefunden. Was geschieht hier mit uns? Warum bricht unser Leben auseinander?

Sie eilte zu ihm und zog ihn hinaus in den Sonnenschein. «Wo ist Christopher?»

«Weiß ich nicht.» Er warf einen Blick zurück in die Scheune. «Sollten wir nicht versuchen, sie da runterzuholen?»

«Das ist sinnlos. Sie ist tot. Die Polizei will bestimmt, dass wir sie da oben hängen lassen.» Das wusste Helena von ihrer heimlichen Leidenschaft, der sie oft spätabends, wenn alle anderen schon schliefen, noch nachging: Fernsehserien über wahre Kriminalfälle. Genau wie ihr Sohn.

Sie hatte Jimmy Perez’ Nummer bereits gestern in ihr Handy gespeichert, weshalb sie nur noch auf den Bildschirm tippte und darauf wartete, dass er dranging.

Sechs

Perez hatte beschlossen, zum Sonntagstee nach Deltaness zu fahren. Er wollte sowieso etwas mit Cassie unternehmen, denn das Wetter war herrlich, und vielleicht schnappte er ein paar Bemerkungen über die Flemings auf oder bekam wenigstens eine Ahnung von den Spannungen, die in der Gemeinde herrschten. Die Sonntage verbrachte Cassie oft bei Duncan Hunter, ihrem leiblichen Vater, doch der war diese Woche auf einer seiner geheimnisvollen Geschäftsreisen im Süden. Cassie schmollte, sie gab Perez die Schuld dafür, nicht ihrem Vater. Duncan verwöhnte sie, bei ihm durfte sie zum Beispiel am Wochenende bis spät in die Nacht aufbleiben, und dann ließ er sie plötzlich doch wieder im Stich. In letzter Zeit häuften sich seine Auslandsreisen. Perez dachte, dass Kuchen im Überfluss und die Möglichkeit, mit anderen Kindern zu spielen, Cassies Laune schon heben würde. Dass die Flemings dort wären, hielt er für wenig wahrscheinlich. Bei solchen Tee-Partys ging es vor allem um Klatsch und Tratsch, und das wollte Helena sich bestimmt nicht antun.

Auf der Fahrt gen Norden machte Cassie kaum den Mund auf. Es war ein kleiner Kampf gewesen, sie zum Mitkommen zu überreden, denn sie hätte den Nachmittag lieber faul mit einer DVD auf dem Sofa verbracht. Jetzt hörte sie über Kopfhörer ein Hörbuch für Kinder und brummelte nur hin und wieder etwas, wenn er ihr eine Frage stellte. Wie sollte das erst mal werden, wenn sie ein Teenager war!

Das Wetter war wirklich schön, sonnig mit einem leichten Wind aus Südost, der den Nebel fernhielt. Auf dem Parkplatz vor dem Gemeindesaal war bei ihrer Ankunft schon jede Menge los. Auf dem Weg in den Saal nickte Perez einigen Leuten zu, die er kannte – einer Frau, mit der er zur Schule gegangen war, und Robert Moncrieff. Dieser war als Allgemeinarzt für Northmavine zuständig. Drinnen waren noch mehr bekannte Gesichter. Perez warf etwas Geld in den Korb auf dem Tisch neben dem Eingang und stellte sich mit Cassie bei den selbstgebackenen Kuchen an. An einem langen Tapeziertisch, der mit einem weißen Tischtuch gedeckt war, fanden sie einen freien Platz, und wie aus dem Nichts erschien eine Frau mit einer riesigen Teekanne und schenkte Perez ein. Auf der kleinen Bühne spielten ein paar Jugendliche Geige. An einem der anderen Tische entdeckte Cassie die jüngste Tochter der Moncrieffs, die sie von ihrer Turngruppe her kannte, und lief zu ihr hinüber. Perez blieb sitzen und lauschte den Gesprächen, die um ihn herum geführt wurden.