Was verborgen bleibt - Britta Boerdner - E-Book

Was verborgen bleibt E-Book

Britta Boerdner

4,8

Beschreibung

Es gibt ein Versprechen, abgegeben viele Jahre zuvor: Wer als Erster in der großen Stadt Fuß fasst, zieht den anderen nach. Nun ist sie ihrem Freund über den Ozean gefolgt, erst einmal auf Probe in die ferne Metropole. Was als Neuanfang gedacht war, stellt sich aber als der Beginn eines Abschieds heraus. Da sind Gregors Überstunden und die abendliche Beklommenheit, wenn beide in der Dunkelheit nebeneinanderliegen. Und die Katze im Innenhof, die er füttert, wenn er sich unbeobachtet fühlt. Getrieben von ihrer Sehnsucht nach vertrautem Terrain, wandert die Erzählerin tagsüber durch die winterlichen Straßen, auf der Suche nach den Indizien der Liebe und der früheren Intimität. Aber alles bleibt fremd, nichts kann mehr zugeordnet werden. Der Versuch, neue Rituale zu schaffen, scheitert, und an alte anzuknüpfen, scheint unmöglich. Sie tastet sich durch den Dunst der Februartage, seltsam in Watte gepackt, versucht mitzuhalten mit der Schnelligkeit der Stadt, wenn sie unvermittelt in ihren Rhythmus gezogen wird. Szenen ihrer ersten Monate steigen in ihr auf, als das Spiel der Körper noch die Grenzen zwischen ihnen aufzulösen schien und sie gemeinsamen Träumen nachhingen, als sie ihm die Unterlagen für die Greencard- Lotterie vorlegte in dem Glauben, ihrer Zukunft einen Schubs zu geben. Nun muss sie schmerzlich hinnehmen, wie er ihre Wärme ablehnt und sich in sich zurückzieht. Ein gemeinsamer Opernbesuch wird zum Fiasko. Es ist ein Atemanhalten, eine Stimmung zerbrechlich wie Glas. Mit pointierter, klarer Sprache erschafft Britta Boerdner eine Gefühlswelt von hoher Authentizität, einen melancholischen Mikrokosmos innerhalb einer Weltstadt, in dessen Starre sich schon der Aufbruch ankündigt, und schildert in eindrücklichen Bildern den Moment, in dem eine Liebesbeziehung schweigend - im Verborgenen - zu Ende geht.

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I

Über Nacht ist der Frost gekommen. Ich bin zu dünn angezogen, habe nicht damit gerechnet, wie eisig ein Februarmorgen sein kann. Der Wind pfeift um jede Straßenecke, ich schlage den Mantelkragen hoch, will mich immun zeigen gegen die Kälte, bin es auch. Sie geht mich nichts an, diese Kälte, ich bin nur zu Besuch hier. Die Eisengitter der meisten Läden, grau vor Dreck und Alter. Der Himmel, von gleicher Farbe wie die Erde. Die Kälte, die sich trocken und fremd in den Asphalt gefressen hat. Autoreifen, die hart über die Fahrbahn rollen und keine Spuren hinterlassen. Alles ist neu.

In einer Schaufensterscheibe begegne ich mir als wattiertes Paket, schnell gehe ich weiter, und dann ist das Fenster passé. Lange stand ich heute Morgen vor Gregors Kleiderschrank, früher habe ich mir oft, ohne nachzudenken, einen seiner Pullover übergezogen, heute schienen seine Anzüge und Hemden, seine T-Shirts, seine Unterwäsche ganz fremd, fast war es, als hätte ich sie vor sieben Monaten verlassen und nicht sie mich. Dann sah ich, woran es lag, es gab neue Kleidungsstücke, die einen strengen Ton anschlugen, hauptsächlich in Braun und dunklen Grautönen waren sie, und auch die Kleiderstange und die Regale waren um einiges höher angebracht als in Gregors früherem Schrank zu Hause. Schließlich zog ich einen seiner Winterpullover an, einen, den ich kannte.

Ich bin nur äußerlich unförmig. Unter aller Kleidung ist mein schmaler Sommerkörper verborgen, nichts hat sich an ihm verändert seit dem Tag, an dem Gregor hierhergezogen ist.

Gregors Wohnung war heute früh am Morgen schon ganz überheizt. Die kalte Luft macht mich wach, mit diesem Gedanken treibe ich mich voran, großzügig ignoriere ich dabei meine kalten Füße, die Stadt ist viel zu aufregend, um sich mit Befindlichkeiten abzugeben, und ich bin ja noch nicht mal zehn Minuten unterwegs. Doch dann ist klar, die Sohlen meiner Lederstiefel sind zu dünn, ich spüre meine Füße kaum noch. Aber der Tag gehört mir, und ich habe Narrenfreiheit, ich werde also jetzt schon damit anfangen, von Unterschlupf zu Unterschlupf zu hüpfen, um mich aufzuwärmen, in diesem Fall sind es Cafés und kleine Läden, die mit ihrem warmen Licht locken, das habe ich mir bereits unter der Dusche vorgenommen. Draußen herumtreiben werde ich mich, ich mag es, wenn niemand weiß, wo ich bin, wenn ich mich für ein paar Stunden allem entziehen kann und nur mir selbst überlassen bin. Und neu einkleiden will ich mich, auch das wird heute mein Ziel sein, Schuhe, Strumpfhosen, ein neuer Pullover, vor allen Dingen eine Daunenjacke, die bis zur Hälfte der Waden geht. Fast alle hier tragen eine solche Jacke, eine Marke ist besonders häufig vertreten, ihr Name klingt, als sei mit ihrem Kauf auch noch dem schlimmsten Zustand die Stirn zu bieten. Wer bei diesem Wetter draußen unterwegs ist, sieht auch wirklich aus wie auf einer Expedition, moderne Amundsens und Cooks begegnen mir, die täglich die weiten Strecken zwischen dem Norden und dem Süden der Stadt hinter sich bringen. Ich will sein wie sie. Die Zuversicht, dass ich einmal genau so hier entlanghasten werde, ohne den Blick nach rechts und links zu wenden, bringt mich zum Lächeln, da ist es auch egal, dass mir in diesem Augenblick der Wind besonders streng entgegenweht und ich meine Augen zu Schlitzen verengen muss.

Vor drei Tagen bin ich gelandet, seit Wochen steht das Datum in meinem Kalender, täglich habe ich es angeschaut. Drei Wochen werde ich bleiben, ein erster Besuch in Gregors neuem Zuhause, eine Annäherung an die Stadt soll es sein. Bald werde ich hier leben, mein Name wird auf dem Klingelschild stehen, jeden Morgen werde ich das Haus verlassen mit meinem eigenen Schlüssel in der Hand, werde ihn in meine Tasche fallen lassen und den Weg zur Arbeit antreten, wo immer sie auch sein wird. Bald werde ich Fotos an Freunde schicken, kommt doch mal, werde ich schreiben. Zwischen mir und der Zukunft liegt dieser kalte Februar und vielleicht auch noch ein kalter März, niemand hat mir gesagt, wie ein Neuanfang aussieht, eines nach dem anderen, sage ich mir. Ich bin hier, das ist das Wichtigste. Die Freude wird sich dann einstellen, wenn ich meine Wohnung in Deutschland gekündigt und meinen Container gefüllt habe, ich kann das Hochgefühl kaum abwarten, mit dem ich alles auflösen werde, wie einfach es war, werde ich später sagen, man muss sich nur entscheiden, dann ist auch ein Umzug in 6000 Kilometer Ferne keine große Sache.

Auch meine Zähne sind jetzt kalt, mit meiner Zungenspitze versuche ich, sie zu wärmen. An der nächsten großen Kreuzung fahren die Autos so dicht an mir vorüber, dass ich einen Schritt zurücktrete.

Einreiseanträge – Steuererklärung – Scheidung verspricht ein Schild auf Spanisch, das nur wenige Meter neben mir vor dem ebenerdigen Büro eines Advokaten steht, darunter steht es ganz klein auch in Englisch geschrieben. Amüsiert beginne ich gerade, eine ganze Familiengeschichte vor mir aufzufächern, da wird die Ampel grün, und ich konzentriere mich wieder auf das Außen. Sechs Fahrbahnen habe ich zu überqueren, sofort findet der Wind seinen Weg unter meinen Mantel. Die Geschichten, die selbst erfundenen Anekdoten müssen noch warten. Wenigstens heute hatte ich eine freundliche Wintersonne erwartet, die in die Schaufenster fällt und die Auslagen zum Leuchten bringt. Hintereinandergestaffelte Parfümboxen wollte ich sehen, versehen mit schwarzen Schleifen und einem Markennamen, den man auf der ganzen Welt kennt. Doch mein Weg hat nichts mit dem Viertel zu tun, durch das ich vor fünf Jahren mit Gregor gelaufen bin, ich dachte, ich könnte es finden, ohne auf den Stadtplan zu schauen, damals war es Sommer, aber im Winter verändert sich die Welt. Einen Häuserblock weiter ist mein Atem an der Innenseite meines Schals gefroren, und ich beschließe, den nächstbesten Menschen nach der Straße zu fragen, die ich die ganze Zeit suche.

Wer von uns zuerst da ist, holt den anderen nach, versprachen wir uns, als wir zum ersten Mal gemeinsam hier waren, es war der Abschluss unserer Urlaubsreise durch den Südwesten. Gregor hat es als Erster geschafft, seit Monaten ist er hier. Komm bald, unbedingt, schrieb er mir schon nach ein paar Tagen, hier ist es gut, alle geben sich Mühe, jeder versucht, etwas auf die Beine zu stellen, Mode, Kunst, Musik, an einem einzigen Wochenende siehst du hier mehr tolle Sachen als in einem halben Jahr zu Hause, ich helfe dir, wir finden einen Job für dich und einen Anwalt, der das mit der Arbeitsgenehmigung regelt.

Einen Zettel mit den Telefonnummern zweier Online-Agenturen habe ich mitgebracht, er liegt neben Gregors Telefon, sie sind ein Schlüssel zu meinem neuen Leben, sie wiegen ebenso schwer wie Gregors Haus- und Wohnungsschlüssel, die er mir in die Hand gedrückt hat. Noch habe ich nicht angerufen und nach einem Job gefragt, der Gedanke an das schnelle Englisch, dem ich nichts anderes als Fragen entgegensetzen kann, hält mich davon ab.

Vermummt gegen die Kälte streife ich seit zwei Tagen durch die Straßen, du läufst rum wie Falschgeld, hieß es bei uns zu Hause immer, doch ich bin nicht falsch, ich brauche nur Zeit, alles zu verstehen. Wie ein Puzzleteil will ich mich einfügen in die Stadt und nicht mehr von ihr zu trennen sein. Die Stadt ist in Filmen plastischer als in Wirklichkeit, dort, wo Gregor wohnt, gibt es keine funkelnden Fassaden, stattdessen läuft man sich die Beine aus dem Leib auf der Suche nach der nächsten U-Bahn. Alles ist ein wenig weiter entfernt und ergebnisloser, als ich es mir vorgestellt habe, Schmutz polstert die Winkel dort aus, wo die Mauern auf den Bordstein treffen, die Scheiben der chinesischen Fast-Food-Lädchen sind beschlagen, kauf nicht zu billig, ermahnte mich Gregor, wenn es nicht nach Hühnchen schmeckt, ist es Ratte, das hat er von seinen Kollegen gelernt.

Ein Supermarkt, an dem ich vorbeilaufe, ist strahlend weiß gekalkt, daneben liegt einer der schmalen Nachbarschaftsgärten, wie sie hier zwischen den Häusern angelegt sind, im Winterschlaf. Einige der Heiligenfiguren, die zwischen den Grasbüscheln aufgestellt wurden, sind umgekippt, die Supermarktwand hat einen grauen Schleier über alles gelegt, Weiß macht an einem trüben Wintervormittag jedes Stückchen Erde zu einem Drecksstreifen. Es ist zu kalt, um Fotos zu machen, wenn ich meine Handschuhe ausziehe, werden mir die Finger abfrieren.

Ich muss mir eingestehen, ich empfinde noch nicht viel für die Dinge, die mir begegnen, das haben Flüge so an sich, der Körper landet als leere Hülle, während der Geist noch mit den Wolkentürmen über dem Atlantik beschäftigt ist. White Trash heißt einer der Vintage-Läden, an denen ich gestern vorbeikam, im Schaufenster warteten zwanzig Jahre alte Schlangenlederstiefel auf einen neuen Besitzer, zum ersten Mal musste ich lächeln. Hilft auf einem anderen Kontinent nicht auch, sich mit den Augen nach dem Sonnenstand des Ankunftsorts auszurichten, irgendwo habe ich es gelesen, wahrscheinlich nutzt es nichts mehr am dritten Tag nach der Ankunft, besonders dann nicht, wenn ein eiskalter Februarhimmel die Sonne verschleiert und es so aussieht, als käme sie niemals wieder hervor. Ich werde es nehmen, wie es kommt. Auf den Kreuzungen weiche ich munter zur falschen Seite aus, viele Fußgänger laufen auf der linken Seite, warum, fragte ich Gregor am Tag zuvor, er wusste keine Antwort. Lange war ich an den letzten beiden Nachmittagen unterwegs, vielleicht habe ich mir auch ein wenig zu viel vorgenommen, ich war immer schon an den falschen Stellen ehrgeizig. Ich kann diese Stadt nicht an einer Reihe von Vor- und Nachmittagen verstehen, es ist kein Wunder, dass ich nach meinen Märschen jedes Mal erschöpft wie nach einer tagelangen Expedition in Gregors Wohnung zurückgekehrt bin. Ich schiebe meine Anspannung auf die Größe der Stadt und die Verwegenheit meines Plans, auch das geht mir durch den Kopf auf meinem Weg durch die Kälte, wie es sich anfühlen wird, wenn ich erst hier wohne, abends den Kühlschrank fülle, das Bett aufdecke und noch ein wenig Fernsehen schaue, bevor ich schlafen gehe. Die Wegmarken, die ich mir jetzt noch merke, werden schon nach wenigen Wochen keine Bedeutung mehr haben, dann werde auch ich mich ganz achtlos entlang den Häuserzeilen bewegen. Ich bin in einem Zwischenstadium, da ist es normal, dass der Übergang in mein neues Leben von einem morgendlichen Kribbeln begleitet wird, diesem inneren Geräusch, das ansteigt beim Duschen, beim Anziehen, sobald ich das Haus verlasse.

II

Noch zwei Stunden zuvor lag ich in Gregors hochbeinigem amerikanischem Bett, die gusseiserne Heizung klopfte auf Hochtouren, im Lichtschacht hinter dem Kopfende gurrten die Tauben. Jetlag ist nichts für schwache Nerven, und obwohl ich mich für hart im Nehmen halte, bin ich auch diese Nacht aufgewacht, bereit für einen Tag, der hier erst ein paar Stunden später beginnt. Irgendwie hielt ich durch bis zum Morgen, ohne Gregor aufzuwecken mit meiner Unruhe, es war ein ständiger Wechsel zwischen Klarheit und erschöpftem Schlaf, der dann, als Gregor aufstand, in einen Traumzustand überging, in dem mein Körper mir nicht gehorchte. Das Bett war mein Schiff, und draußen wuchsen die Häuser gegeneinander, ich wollte den Geruch von Gregors Haaren, seiner Haut nicht verlieren, zog mir die Decke über den Kopf und dümpelte auf meiner ruhigen See. Sosehr ich mich auch anstrengte, ich konnte die Augen nicht öffnen. Nur die Tauben erreichten mich in diesem Zustand, jeden Morgen beginnen sie ihr kehliges Frage-und-Antwort-Spiel im grauen Licht, kratzen mit den Krallen über das Fenstersims, gurren fordernder, bis sie schließlich verstummen. Wenn sie in die Höhe flattern, hinaus aus dem Schacht, über das Dach auf den schmutzigen Gehweg hinab, hallen ihre Flügelschläge noch lange in mir nach, spätestens dann muss ich aufstehen, sonst kann es passieren, dass ich vollends in einen bleiernen Schlaf versinke.

Ich musste tatsächlich wieder eingeschlafen sein, denn plötzlich schreckte ich von einem mahlenden Geräusch hoch. Durch das Fenster über dem Bett sah ich Gregor schemenhaft auf der anderen Seite des Lichtschachts stehen. Gregors Wohnung ist ein Railroad Apartment, die Zimmer sind hintereinander aufgereiht wie die Waggons eines Zuges, nur zwischen Schlafzimmer und Wohnzimmer schiebt sich der Schacht ein Stück weit in die Wohnung, mit den völlig verschmutzten Fenstern an den beiden kurzen Seiten, an denen wir uns jetzt gegenüber waren. Hätten die Tauben Interesse an Menschen, könnten sie es sich auf den Simsen bequem machen und uns beobachten, doch auch sie hat das Geräusch aufflattern lassen, Gregors Hände haben sie ersetzt, waren zu zwei grauen Tauben geworden, die an der Innenseite des Rahmens nestelten und das Fenster so lange weiter nach oben schoben, bis es ein zweites Mal knirschte. Durch das schwache Morgenlicht und die trüben Scheiben hindurch sah ich nur seinen Umriss, er stand ganz still, als warte er auf etwas, brachte dann sein Gesicht so nah es ging an die Scheibe, reckte sich ein wenig, um nach unten zu schauen, und warf etwas durch den Fensterspalt hinunter in den Schacht.

Die Wohnungstür fiel ins Schloss, und ich lauschte so lange der Heizung, bis ich es nicht mehr aushielt und auf Zehenspitzen über die knarrenden Dielen zu dem Schachtfenster ging, an dem Gregor noch vor wenigen Minuten gestanden hatte. Wieder ächzte es beim Hochdrücken, in meinem Eifer stieß ich mit der Stirn an die Scheibe, alter Kitt fiel aus dem Rahmen auf die Fensterbank, muffige Luft schlug mir entgegen, als ich meinen Kopf durch den Spalt schob, sofort legte sich die Kälte in meinen Nacken und kroch in den Ausschnitt meines T-Shirts. Aus den Erdgeschossfenstern zwei Stockwerke unter mir drang schwaches gelbes Licht, es genügte, um zu erkennen, dass der gesamte Schachtboden mit einem braunen, pelzigen Belag überzogen ist. In einer Ecke stand ein alter Kinderwagen, ich ahnte, die Moose und Flechten haben sich auch in den Ritzen seiner Plastikverkleidung angesiedelt. Eine Katze duckte sich neben ihm auf den Boden, ganz Schwanzspitze und zurückgelegte Ohren fauchte sie zu mir hoch, auch wenn ich weit oben war, für einen Moment meinte ich, ihre Eckzähne zu sehen. Das Erdgeschossfenster wurde geöffnet, und ich zog meinen Kopf so schnell zurück, dass ich mit dem Ohr am Rahmen hängen blieb. Stöhnend vor Schmerz schloss ich das Fenster und hielt mit beiden Händen mein glühendes Ohr, mit dem klopfenden Herzen eines ertappten Kindes legte ich mich wieder ins Bett und fragte mich, ob ich Gregor hinterhergeschnüffelt habe mit meinem Blick in den Schacht.

In den vergangenen Tagen habe ich kein einziges Mal darüber nachgedacht, was hinter den Schachtfenstern liegen könnte, die beiden Fenster waren nur schmutzige Flecken in der Wand für mich, durch die um die Mittagszeit ein ungesundes Licht in die Wohnung fällt. Nie hätte ich gedacht, dass es Leben im Schacht gibt, auch die Tauben haben mich seit meiner Ankunft nicht interessiert, es genügte mir zu wissen, wie Tauben aussehen, und ihre Geräusche am Morgen waren mir schnell vertraut. Plötzlich war alles anders. Kaum kam ich aus dem Bad, schaute ich wieder zum Schachtfenster. Selbst im Zimmer, das zur Straße hinausgeht, hätte man das Ticken einer Uhr hören können. Das Knacken der Heizung, das sich kurz zu einem zwergenhaften Trommelfeuer steigerte und dann abbrach, das Geräusch der im Rahmen verkeilten Fensterscheibe, das noch immer im Raum zu stehen schien, alles verdichtete sich zum Zentrum der Wohnung hin, verwies auf den Schacht. Die Katze, die mich anfauchte, Gregors Hände am Fenster. Mehrmals musste ich mich zurückhalten, das Fenster wieder zu öffnen und hinunterzublicken, schon war seine Anziehung für mich so stark wie das von wohligem Entsetzen begleitete heimliche Öffnen der Kellertür und der rasche Blick auf die dunkle Kellertreppe für mich als Kind.

Ich wusste nichts von einer Katze, Gregor hatte kein Wort darüber verloren in den letzten Tagen und auch vorher nicht, es ist, als hätte ich bisher nur Teilbereiche seines Lebens wahrgenommen, die sich jetzt zu einem neuen Ganzen formen, das ich noch nicht entschlüsseln kann. Wo immer ich an diesem Morgen hinblickte in dieser Wohnung, ich habe die angelegten Ohren, die weißen Eckzähne der Katze vor Augen. Der Schacht entwickelte seinen Sog, wann immer ich an seiner Längswand vorbeiging, und als ich im Wohnzimmer meine Stiefel anzog, schwebte das Fenster, an dem Gregor stand, so bedrohlich hinter meinem Rücken, dass ich hochfuhr und kurz über meine Schulter schaute.

Ich gestehe mir ein, die Szene am Morgen hat mich aus der Fassung gebracht. Aber ich werde Gregor heute nicht nach der Katze fragen. Ich kenne seine Geheimniskrämerei, immer gibt es Dinge, die er für sich behält. Ich kenne auch seinen Gesichtsausdruck, wenn man ihn nach diesen Dingen fragt, seinen Mund, der sich verhärtet, seinen Blick, der sagt, man verletze ihn, wenn man noch weiterfragte. Die Dringlichkeit in meiner Stimme bringt ein Gespräch sowieso auf die schiefe Bahn. Jetzt, in der eisigen Luft, die mir die Atemwege zuschnürt, wird die Katze kleiner mit jeder Straße, die ich überquere, bis sie mit jeder Ampel zu einem schwarzen Punkt zusammengeschnurrt ist, der weit hinter mir vom Asphalt verschluckt wird. Bevor ich meine Oberschenkel nicht mehr spüre, gehe ich in das nächste warm erleuchtete Café. Es wird spät werden heute Abend, hatte mir Gregor noch zugerufen, bevor er die Wohnungstür hinter sich abschloss. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss, antwortete ich ihm mit meiner John-Wayne-Stimme und stellte mir vor, dass er lächelte, als er die Treppe hinunterging.

III

Am nächsten Morgen wache ich mit Gregor auf. Gregor duscht heiß und lange jeden Morgen, ich behaupte, er schläft unter der Dusche weiter, aber das hört er nicht gerne. Gregor sieht sich als Mensch mit Maß und Ziel, dazu gehört, sich morgens auf den Tag zu konzentrieren, der vor ihm liegt. Gregor gehört jetzt nur sich selbst. Die Tür zum winzigen Bad steht offen, durch Küche und Wohnzimmer zieht der feine Geruch nach Seife bis zu mir in den Schlafraum. Es wird still, Gregor trocknet sich jetzt ab, seift sich das Gesicht ein und beugt sich zum Rasieren dem Spiegel entgegen. Zu Hause habe ich ihm oft dabei zugesehen, kann mir jede seiner Bewegungen vorstellen, sein Kopf wird den kleinen Spiegel ganz ausfüllen, die dunklen Locken berühren sogar kurz die Spiegellampe, ihr Licht lässt den Lidrand über seinen Wimpern bläulich weiß schimmern. Gregors Haut hat in diesem Licht einen Stich ins Gelbliche, besonders auf Stirn und Schläfen, das mag er nicht, er konzentriert sich darauf, mit dem Rasierer saubere Bahnen durch den Schaum zu ziehen und auf die Nuancen des Kratzens zu hören, auch sie sind ein Indiz für die Perfektion seiner Arbeit.