Wechselwirkung von Additiven mit Metalloberflächen - Walter Holweger - E-Book

Wechselwirkung von Additiven mit Metalloberflächen E-Book

Walter Holweger

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Beschreibung

In der Ausbildung von Maschinenbauer:innen und Fertigungstechniker:innen wird auf die Schmierstoffe nur so weit eingegangen, als diese existieren und einen Einfluss auf die Tribosysteme haben. Eine tiefergehende Beschäftigung findet mit Hinweis auf die komplexen chemischen Zusammenhänge nicht statt. Das vorliegende Buch bringt Licht in die "dunkle" Seite der Tribologie und erklärt die Funktion des "Zwischenstoffs". Dazu wird die bestehende Literatur kritisch ausgewertet. Ergänzend werden Modelle vorgestellt. Die Monografie verhilft den Lesenden zu einem besseren Verständnis der Wechselwirkungen auf der Metalloberfläche und in der Randschicht von Bauteilen.

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Walter Holweger / Joachim Schulz

Wechselwirkung von Additiven mit Metalloberflächen

2., überarbeitete und erweiterte Auflage

DOI: https://doi.org/10.24053/9783816985433

 

© 2022 expert verlag

‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

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Internet: www.expertverlag.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2701-603X

 

ISBN 978-3-8169-3543-8 (Print)

ISBN 978-3-8169-0123-5 (ePub)

Inhalt

Vorwort 1. AuflageVorwort zur 2. Auflage1 Einleitung1.1 Vorbemerkungen1.2 Maschinenelemente – tribologischer Kontakt – Ansätze zur Beschreibung2 Kontaktmechanik2.1 Grundlagen2.1.1 Kontaktmechanik – Spannungszustände2.1.2 Vergleichsspannung und Von-Mises-Kriterium3 Werkstoffe und deren Oberflächen3.1 Einleitung3.2 Idealer Festkörper3.3 Gitterfehler und Versetzungen3.3.1 Nulldimensionale Defekte3.3.2 Eindimensionale Defekte: Versetzungen3.4 Umformung3.4.1 Ziehen, Walzen und Rollen3.4.2 Spanabhebende Bearbeitung3.4.3 Schneiden von Teilchen durch Versetzungen3.5 Ergänzende Vorstellungen zur Metalloberfläche4 Reibung – Mischreibung und Metallbearbeitung4.1 Allgemeine Regeln4.2 Chemische Prozesse bei Reibung und Mischreibung4.3 Einfluss von Schmierstoffen4.4 Neuere Untersuchungen zur Aktivität von Grenzflächen bei Mischreibung4.4.1 Grundlagenergebnisse4.4.2 Endbearbeitung (Schleifen – Honen) als Sonderfall der Mischreibung4.4.3 Funktionale und disfunktionale Randschichten durch Endbearbeitung4.5 Zusammenfassung4.5.1 Prozesse in Körper und Gegenkörper4.5.2 Chemische Prozesse5 Hydrodynamik und Elastohydrodynamik5.1 Einleitung5.2 Schmierstofftransport im Spalt5.2.1 Viskositätsmodell5.2.2 Strömungsverhalten in einem verengenden Spalt5.2.3 Reynoldssche Zahl und Prandtlsche Strömungsgrenzschicht5.2.4 Stribeck-Kurve5.2.5 Struktur – Wirkungsbeziehungen5.2.6 Transiente EHD6 Chemie der Schmierstoffe (generelle Überlegungen)6.1 Einleitung6.2 Reaktionen der Schmierstoffe am Beispiel der Kohlenwasserstoffe6.2.1 Wechselwirkung mit metallischen Grenzflächen6.2.2 Additive (Antioxidantien)6.3 Zusammenfassung7 Mögliche Additivmechanismen und weitere Betrachtungen zu Metalloberflächen7.1 Einleitung7.2 Intermolekulare Wechselwirkungen7.3 Benetzung von Oberflächen durch additivierte Schmierstoffe7.4 Einfluss oxidierter Oberflächen7.5 Zusammenfassung8 Rehbinder-Effekt8.1 Einleitung8.2 Allgemeine Gesetzmäßigkeiten8.2.1 Grundlagen8.2.2 Einfluss von Temperatur und Verformungsgeschwindigkeit8.3 Spannungszustand und Adsorptionseffekt8.4 Das Kriechen von Einkristallen8.5 Polykristalline Systeme8.6 Eigene Versuche8.7 Zusammenfassung9 Metall-Additiv-Kontakt (allgemeine Betrachtungen)9.1 Einleitung9.2 Bowden und Tabor [Bow 59]9.3 Kritische Anmerkungen zum Reibzahl-Temperatur-Diagramm9.4 Bearbeitungszeiten9.5 Wie stark sind Adsorptionsschichten9.6 Betrachtungen zu Temperaturen9.6.1 Hot Spots – Blitztemperaturen9.6.2 Wärmeentwicklung in der Umformung9.7 Oberflächenvergrößerung im Umformvorgang9.8 Wo kann ein Schmierstoff in der Bearbeitung angreifen?9.9 Zusammenfassung10 Chlorparaffine10.1 Einleitung10.2 Besonderheiten von chlorhaltigen Ölen10.3 Zur Reaktionsweise von chlorhaltigen Verbindungen (Literaturauswertung)10.4 Eigene Laboruntersuchungen10.4.1 Stift-Scheibe-Versuche10.4.2 Beschichtungen auf den Stiften10.4.3 Brugger-Werte10.4.4 Stift-Scheibe-Versuche – keramischer Stift auf 1.4301-Scheibe10.5 Wie funktionieren Chlorparaffine wirklich? – Versuch einer Erklärung zur Wirkungsweise10.5.1 Abspaltung von Chlorwasserstoff10.5.2 Radikalmechanismus10.5.3 Adsorptionsmechanismus10.6 Abgleich der Theorie mit den Ergebnissen aus der Literatur11 Schwefelträger11.1 Einleitung11.2 Zur Reaktionsweise von schwefelhaltigen Verbindungen (Literaturauswertung)11.3 Phänomene in der Metallbearbeitung mit schwefelhaltigen Additiven11.3.1 Verfärbung von Buntmetallen durch Schwefelverbindungen11.3.2 Verfärbungen (Schwefelkorrosion) auf Eisenoberflächen11.3.3 Einfluss von aktiven Schwefelverbindungen bzw. Elementarschwefel auf die Spanlänge11.3.4 Schwefeladditive funktionieren nur in Gegenwart von Sauerstoff optimal11.3.5 Auch inhibierte Metallbearbeitungsflüssigkeiten funktionieren11.4 Laboruntersuchungen11.5 Wie funktionieren Schwefeladditive? – Versuch einer Erklärung zur Wirkungsweise11.6 Zusammenfassung12 Überbasische Sulfonate (PEP-Additive)12.1 Einleitung12.2 Auswertung der Literatur12.3 Laboruntersuchungen12.3.1 Untersuchungen am Stift-Scheibe-Tribometer (1.4301-Scheibe)12.3.2 Untersuchungen zum Synergismus von überbasischen Sulfonaten mit Schwefelverbindungen12.4 Fazit13 Verschleißschutzadditive13.1 Einleitung13.2 Zinkdialkyldithiophosphate (ZDDTP)13.2.1 Struktur-Wirkungs-Beziehungen13.2.2 Filmdicken von ZDDTP13.2.3 Zersetzungstheorie von ZDDTP13.2.4 Wie wirken Zinkdialkyldithiophosphate in der Metallbearbeitung13.3 Andere phosphorhaltige Additive13.3.1 Molybdändialkyldithiophosphate13.3.2 Saure Phosphorsäure-Partialester13.3.3 Neutralisierte bzw. neutrale (metallfreie) Phosphorsäure- und Thiophosphorsäureester13.3.4 (Thio-)Phosphorsäureester (cresylähnliche Verbindungen)13.4 Phosphorfreie Verschleißschutzadditive13.5 Laboruntersuchungen13.5.1 Versuche am Stift-Scheibe-Tribometer13.5.2 Versuche am Brugger-Gerät13.6 Zusammenfassung14 Einfluss von Sauerstoff auf die Tribologie14.1 Einleitung14.2 Sauerstoff als tribologisch wirksames Element14.3 Wie könnte Sauerstoff im Tribokontakt wirken?14.4 Antioxidantien14.5 Zusammenfassung15 Was bleibt offen?16 Anhang – Kurze Darstellung der Grenzflächenanalytik16.1 Sekundärionen‑Massenspektrometrie (SIMS)16.2 Sekundärneutralteilchen ‑ Massenspektrometrie (SNMS)16.3 Photoelektronenspektroskopie XPS (ESCA)16.4 ESMA16.5 Rasterelektronenmikroskop REM mit energiedispersiver Röntgenmikroanalyse (EDX)16.6 REM – SE und REM – BSE16.7 Mikrohärtemeßeinrichtung16.8 Transmissionselektronenmikroskop TEM mit Elektronen- ergieverlustspektrometer EELS16.9 STEM [Scanning Transmission Electron-Microscope]16.10 Zielpräparation mit dem fokussierten Ionenstrahl16.11 FIB-TEM17 LiteraturRegister

Vorwort 1. Auflage

Alle, die in die Schmierstoffbranche eintreten, gleich ob im Maschinenbau oder chemisch vorgebildet, sind erstaunt, wie schwierig es ist, ein System von Schmierstoffen und geschmierten Elementen zu finden. Der erste Eindruck geht eindeutig in Richtung Empirie. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Ausbildung an Hoch- und Fachschulen, zumindest in Deutschland, der Gegenstand der Tribologie, speziell bei der Verwendung von Schmierstoffen, nur am Rande gestreift wird. Chemiker in der Ausbildung kommen mit Schmierstoffen in der Anwendung gar nicht in Berührung. Eine Forschung an einem chemischen Institut in Richtung Tribologie findet zurzeit nur an wenigen Hochschulen – und oft nur mit modellhaften Schmierstoffen – statt.

In der Ausbildung von Maschinenbauern und Fertigungstechnikern wird auf die Schmierstoffe nur so weit eingegangen, wie diese existieren und einen Einfluss auf die Tribosysteme haben. Eine tiefergehende Beschäftigung findet mit Hinweis auf die komplexen chemischen Zusammenhänge nicht statt.

Was macht nun der frisch ausgebildete Chemiker oder Ingenieur bei Berührung mit der Tribologie? Er versucht sich in der Literatur über bisher vorhandene Ergebnisse kundig zu machen. Diese Literatur ist zwar in Buchform nur zweimal vorhanden „Schmierstoffe in der MetallbearbeitungMetallbearbeitung“ (1983) und „Lubricants and Lubrication“ (1999), erscheint aber dem tribologischen „Anfänger“ als Rettung, ähnlich wie einem Ertrinkenden das rettende Floß. Bei näherer Beschäftigung mit diesen Werken und den dort zitierten Aufsätzen werden dann früher oder später Diskrepanzen mit den Erscheinungen in der Praxis festgestellt: Die Phänomene in der Praxis stimmen nur sehr begrenzt mit der Literaturlage überein. Auch die Beschäftigung mit einzelnen Ansätzen führt nur zu begrenzten Erfolgen, da in den meisten Fällen von einer bestehenden Theorie ausgegangen, und dann versucht wird, die Messergebnisse in diese Theorie einzupassen.

Ganz besonders prekär wird die Lage, wenn versucht wird, die Erkenntnisse der Literatur in Simulationsmodelle, wie sie derzeitig oft verwendet werden, mit einzubeziehen. Mit einfachen Reibungskoeffizienten, ermittelt auf einer tribologischen Testmaschine, führte bisher keine Simulation zu brauchbaren Ergebnissen.

Die Diskussion mit vielen Fachkollegen und Hochschullehrern über die Wechselwirkung von Additiven mit Metalloberflächen führte zu der Erkenntnis, dass der Zeitpunkt gekommen ist, mit überkommenen Vorstellungen aufzuräumen.

Fortschritte sind nicht durch ständiges Wiederholen von scheinbar Bekanntem zu erzielen, sondern nur durch kritisches Infragestellen und diskutieren. Das gilt auch für diese Monografie.

Das vorliegende Buch soll nun dazu dienen, Licht in die „dunkle“ Seite der Tribologie zu bringen und die Funktion des „Zwischenstoffs“ zu erklären. Dazu wird die bestehende Literatur kritisch ausgewertet. Überschneidungen mit bereits existierenden Werken, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigen, sind daher nicht ganz zu vermeiden gewesen. In Ergänzung werden neue Modelle vorgestellt und diese anhand der vorhandenen Literatur und neuerer Experimente mit den alten Modellvorstellungen verglichen.

Letztlich soll das Buch eine Grundlage darstellen, die zu weiteren Arbeiten und Diskussionen anregt.

Die Wirkung von Schmierstoffen und deren Additiven auf Metalloberflächen ist nicht durch einfache Gleichungen (physikalisch, chemisch oder physiko-chemisch) zu beschreiben, im Gegenteil: Die Wirkungsweise ist sehr komplex. Um die einzelnen Effekte, die in der Realität nicht nebeneinander existieren, sondern miteinander verwoben sind, besser erklären zu können, wurden zum Teil starke Vereinfachungen gewählt und eine „Einzelbehandlung“ durchgeführt. Das könnte beim Leser den Eindruck einer gewissen Heterogenität entstehen lassen. Das ist zwar nicht beabsichtigt, aber aus Gründen des allgemeinen Verständnisses nicht ganz zu vermeiden.

Die ersten Kapitel befassen sich mit grundlegenden Problemen der Tribologie. In Kapitel 7, 8 und 9 werden dann Effekte und Modelle vorgestellt, die zur Erklärung von Additivwirkungen beitragen können, diese aber (jeder Effekt für sich allein betrachtet) nicht vollständig beschreiben. Kapitel 10 bis 14 widmet sich dann einzelnen Additivklassen. Zum Schluss werden Fragen diskutiert, die auch in dieser Monografie nicht abschließend geklärt werden können.

Auch wenn viele Tribometerversuche vorgestellt werden, die scheinbar oder tatsächlich mit Beobachtungen aus der Praxis korrelieren, heißt das noch lange nicht, dass ein Tribometer in der Lage ist, die Praxis wirklich wiederzugeben. Die Bruggermaschine (als Beispiel) kann wie jedes Tribometer nur sich selbst wiedergeben. Sie ist wie jedes Tribometer den Nachweis schuldig geblieben, ob man mit ihr überhaupt die MetallbearbeitungMetallbearbeitung widerspiegeln kann.

Korrelationen wie in manchen Kapiteln vorgestellt suggerieren Kausalität. Korrelation ist aber nicht Kausalität.

Die vorgestellten Theorien erscheinen sicher oft faszinierend einfach und in vielen Fällen einleuchtender als bestehende. Das soll den Leser aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch diese „neuen Theorien“ nur vereinfachende Modelle darstellen und auch nichts anderes („Besseres“) sein wollen.

Uns ist vollkommen klar, dass es gerade auf dem Gebiet der Tribologie noch sehr viel zu leisten gibt, um die Zusammenhänge im Schmierspalt bzw. der Kontaktzone wirklich beschreiben zu können.

Wir hoffen, dass wir mit dieser Monografie Tribologen und Ingenieuren in den Metallverarbeitenden Unternehmen, Konstrukteuren von Maschinenelementen, Hoch- und Fachschullehrern (Fachrichtung Maschinenbau, Fertigungstechnik), Studierenden des Maschinenbaus und der Fertigungstechnik sowie Herstellern von Schmierstoffen, deren Anwendern und Wärmebehandlern ein Buch in die Hand geben können, das ihnen zumindest hilft, die Probleme ihres Arbeitsalltags besser zu verstehen und gleichzeitig Anregung und Aufmunterung ist, nicht alles als „schon erfunden und publiziert“ hinzunehmen.

 

Dr. Joachim Schulz und Dr. Walter Holweger

 

Hamburg, Epfendorf im April 2009

Vorwort zur 2. Auflage

Seit der 1. Auflage sind nun 13 Jahre ins Land gegangen. Die neuen Erkenntnisse haben inzwischen den Zugang in die Lehre gefunden. Im tribologischen Verständnis hat sich einiges getan, speziell im molekularen Verständnis zu vielen Vorgängen.

Auch sind einige Arbeiten erschienen, die das in der 1. Auflage vorgestellte neue Modell zu den Wechselwirkungen von Additiven mit Metalloberflächen weiter untermauern konnten. Die Hinweise auf die Gültigkeit des neuen Modells werden immer stärker.

Dennoch erscheinen immer noch zahlreiche Veröffentlichungen, bei denen hypothetische Reaktionsschichtmodelle postuliert werden. Wirkliche Beweise für das Modell werden aber nicht erbracht, sondern auf nicht weiter hinterfragtes „gesichertes“ Wissen verwiesen. Was Max Planck zu der Äußerung veranlasst hat, dass „die Vertreter der alten Theorie aussterben müssen, um dem Neuen Platz zu machen. Irgendwann leben und lehren dann nur noch die Begründer der neuen Konzepte.“

In zahllosen Gesprächen mit Fachkollegen und Anwendern konnte das neue Modell diskutiert werden. Gerade aus der Praxis erfuhren wir viel Zustimmung. Natürlich gab es auch kritische Stimmen. Das Interesse an den angeschnittenen Themen ist ungebrochen. Das war für uns Anlass die nun vorliegende 2. Auflage zu erstellen.

Die neue Auflage wurde stark überarbeitet. Ältere Ergebnisse aus Laboruntersuchungen konnten durch neue ersetzt bzw. ergänzt werden. Platzgründe zwangen allerdings dazu, einiges zu streichen. Bei Interesse an den gestrichenen Informationen können die Autoren diese gerne zugänglich machen.

Wir hoffen, dass auch die 2. Auflage auf ein reges Interesse stößt.

 

Prof. Dr. Joachim Schulz und Prof. Dr. Walter Holweger

 

Hamburg, Epfendorf im August 2022

1Einleitung

Walter Holweger / Joachim Schulz

1.1Vorbemerkungen

Ein wesentlicher Aspekt der Tribologie und Schmierungstechnik ist die Frage nach den Zusammenhängen und der Vorhersagbarkeit von Phänomenen im Bereich der Maschinenelemente. Dazu reduziert man sie auf die Kontaktgebiete, in denen der tatsächliche Leistungsumsatz erfolgt. Ein KontaktKontakt ist daher zunächst nur ein abstraktes Modell für die Stellen in Maschinenelementen, in denen sowohl die gegeneinander bewegten Körper als auch der Schmierstoff Leistung umsetzen.

Die Anforderungen an erhöhte Lebensdauer dürfen jedoch nicht nur auf den Zeitpunkt der Leistungsübertragung reduziert werden. Die Lebensdauer eines Maschinenelements kann auch von Stillstandsperioden abhängen, in denen keine Bewegung erfolgt, da auch hier lebensdauerbestimmende Prozesse, wie zum Beispiel Korrosionsvorgänge, stattfinden können.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Vorgeschichte der Komponenten, die vor ihrem Einsatz einen Fertigungsprozess (WärmebehandlungWärmebehandlung, UmformungUmformung, EndbearbeitungEndbearbeitung) durchlaufen.

Die Beeinflussung der zukünftigen Eigenschaften eines Bauteils als Folge der Vorbehandlung ist heute von zentraler Bedeutung für die Lebensdauer.

Ziel dieser Einleitung ist der Versuch einige Begriffe, die innerhalb der tribologischen Wissenschaft verwendet werden, dem Themengebiet des vorliegenden Buches zuzuführen. Dabei wird erkennbar, dass viele Bereiche eine einheitliche Sichtweise erlauben, aber andere Gebiete noch einen großen Einsatz in Forschung und Technologie voraussetzen.

Speziell in der MetallbearbeitungMetallbearbeitung ist es sehr schwierig, den eigentlichen Prozess, d. h., den Augenblick in welchem die Bearbeitung auf bzw. an der Metalloberfläche stattfindet, zu erfassen. Das liegt zum einen daran, dass es kaum möglich ist, Sensoren im Ziehspalt bei der UmformungUmformung oder am SchneidkeilSchneidkeil bei der ZerspanungZerspanung zu platzieren. Zum anderen laufen die meisten Prozesse in Bruchteilen von Sekunden ab. Dabei werden mehr oder weniger große hochreaktive Oberflächen erzeugt. Auch entstehen Versetzungen und Mikrorisse, in und an denen die Schmiermittel bzw. die darin enthaltenen Additive wirken (Kapitel zum Rehbinder-Effekt). Erschwerend kommt hinzu, dass in den meisten Fällen in der Praxis die Schmierstoffe über den eigentlichen Prozess der Metallbearbeitung mit den Metalloberflächen in KontaktKontakt stehen und dort agieren bzw. reagieren können. Auch sind einige Additive durchaus in der Lage, sehr fest haftende Adsorptionsschichten zu bilden, die bei nicht hinreichender Teilereinigung für Reaktionsschichten gehalten werden. So wurden und werden bei der analytischen Untersuchung oft Resultate vorgetäuscht, die mit dem eigentlichen Prozess nichts zu tun haben. Als Beispiel sei hier nur die ChlorkorrosionChlorkorrosion erwähnt, die nicht im Prozess, sondern in der Zeit danach auftritt. Zwar sind auch die Autoren nicht in der Lage in den Metallbearbeitungsprozess selbst hineinzuschauen, doch soll in diesem Buch versucht werden, möglichst sauber zwischen Kurz- und Langzeitreaktionen von Schmierstoffadditiven zu unterscheiden. Das kann natürlich nur durch kritische Interpretation von bekannten Ergebnissen passieren.

Darüber hinaus werden die Metalloberfläche und ihre „Reaktionsmöglichkeiten“ selbst mit in die Überlegungen einbezogen. In der publizierten Literatur werden Metalloberflächen, in den meisten Fällen, als etwas Homogenes, „Starres“ betrachtet, mit dem dann die Additive der Schmierstoffe reagieren sollen. Es wird gezeigt, dass das Verhalten der Additive von den Metalloberflächen beeinflusst wird.

In den Kapiteln werden Modelle vorgestellt und diskutiert, die sicher nicht die letzte Wahrheit darstellen, dem tribologisch interessierten Leser aber durchaus ermöglichen, sich in die Phänomene der Wechselwirkung von Additiven mit Metalloberflächen hineinzudenken. Eine Vertiefung bzw. Modifizierung dieses Modells erfolgt dann in den anderen Kapiteln für die UmlaufschmierungUmlaufschmierung bzw. bei Diskussion der Wirkungsweise der einzelnen Additivklassen.

Dem Leser wird dringend empfohlen die angerissenen Fachgebiete aus der authentischen Literatur vertieft zu studieren, da hier nur in Umrissen und auch mit der eingeschränkten Sichtweise der Autoren gearbeitet werden kann.

1.2Maschinenelemente – tribologischer KontaktKontakt – Ansätze zur Beschreibung

Maschinen setzen über Maschinenelemente Leistung um. Ort des Umsatzes ist der KontaktKontakt (Bild 1-1). Kontakte können schematisch als ein System von Körper [A] – GegenkörperGegenkörper[B] – ZwischenstoffZwischenstoff[C] (in aller Regel der Schmierstoff, aber möglicherweise auch eine BeschichtungBeschichtung oder eine ReaktionsschichtReaktionsschicht) – Umgebung [D] und den relativen Bewegungen aufgefasst werden. Bild 1-1 zeigt die Sonderfälle Kugel – Platte (1), Kugel – Ring (2) oder – Buchse (3).

Bild 1-1:

Schematische Darstellung von Kontakten. Körper [A] und GegenkörperGegenkörper[B] stehen über einen ZwischenstoffZwischenstoff[C] im KontaktKontakt

Die Prozesse, die im KontaktKontakt ablaufen, werden durch unterschiedliche Wissensgebiete beschrieben (Bild 1-2).

Die KontaktmechanikKontaktmechanik (3 → 4 → 5) beschreibt die Spannungsverläufe, die sich durch Berührung von Körper (A) und GegenkörperGegenkörper (B) ohne ZwischenstoffZwischenstoff (C) ausbilden. In der Kombination mit der Festigkeitslehre und der Werkstoffkunde (6 → 7 → 8 → 9) bildet sie die wesentliche Grundlage für die Abschätzung und Berechnung der Lebensdauer von Maschinen in Auslegungs- und Konstruktionsrichtlinien.

Die HydrodynamikHydrodynamik (HD) und die ElastohydrodynamikElastohydrodynamik (EHD) (3 → 10 → 11) berechnen den Spalthöhen- und Druckverlauf,Druckverlauf der sich beim Durchströmen von einem viskosen Medium im KontaktKontakt einstellt.

Für die physikalischen Grundlagen der Wirkungsmechanismen von Schmierstoffen fehlen bislang geschlossene Modelle. Schmierstoffe werden in der KontaktmechanikKontaktmechanik gar nicht und in der HD-EHD nur als strömende, viskose Medien behandelt. Über Struktur-Wirkungsmechanismen von Schmierstoffen wird jedoch in einer Vielzahl von empirischen Grundlagenversuchen berichtet.

Mischreibungszustände unter Beteiligung von Werkstoffen und Schmierstoffen können nur annähernd mit den bekannten Modellen der KontaktdynamikKontaktdynamik und HD-EHD beschrieben werden.

Bild 1-2:

Wissenskreisläufe in der Tribologie: Für ungeschmierte (trockene) Kontakte kann die KontaktmechanikKontaktmechanik in Verbindung mit der Festigkeitslehre Lebensdauerprognosen für Maschinenelemente herleiten (3 → 9)

Die HD- und EHD-Theorie liefern gute Vorhersagen für das Transportverhalten des Zwischenstoffs in Kontakten (4 → 10 → 11). Die Wissenskette zeigt hingegen große Lücken in den Bereichen der Struktur-Wirkungsbeziehungen zwischen Chemie in den Prozessen der MischreibungMischreibung, ReibungReibung und VerschleißVerschleiß sowie in der Vorbehandlung (speziell Prozessmedien) (12 → 13 → 14). Die MetallbearbeitungMetallbearbeitung (15) lässt sich im Bereich UmformungUmformung (17) den Werkstoffwissenschaften (16) zuordnen, im Bereich Bearbeitung (19) dem Themenkomplex Reibung und Schmierstoffe (18).

MetallbearbeitungMetallbearbeitung lässt sich in diesem Schema in Umform- und Bearbeitungsvorgänge unterteilen. Für Umformprozesse sind die Vorgänge im Werkstoff maßgeblich. Sie können daher mit den Grundlagen der Werkstoffphysik und Werkstofftechnik zusammengeführt werden.

Für Bearbeitungsprozesse gelten in hohem Maß die Gesetze der MischreibungMischreibung. Daher muss für deren Verständnis die Physik und Chemie der Oberfläche und der Schmierstoffe gemeinsam betrachtet werden. Das Fehlen von einem theoretischen Modell führt dazu, dass es noch kein geschlossenes Wissen gibt und zahlreiche Zusammenhänge empirisch erforscht werden müssen. Dennoch können aus den bekannten Ergebnissen der Tribologie auch für die Bearbeitungsprozesse einige Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden.

Nachfolgend sollen in Kürze einige Zusammenhänge in den geschlossenen Wissenskreisläufen beschrieben werden, wobei nochmals dringend empfohlen wird, die Fachliteratur vertieft zu studieren.

2KontaktmechanikKontaktmechanik

Walter Holweger

2.1Grundlagen

Im nachfolgenden Kapitel wird über die kurze inhaltliche Betrachtung ein Zusammenhang zwischen den Bereichen KontaktmechanikKontaktmechanik – Festigkeitslehre und Werkstoffeigenschaften zum Bereich der Umformprozesse hergestellt. Dabei wird der in Bild 2-1 skizzierte Weg eingeschlagen. Im Anschluss werden Arbeiten aus dem Bereich der MetallbearbeitungMetallbearbeitung vorgestellt, die sich in diese Anschauungen einordnen lassen.

Bild 2-1:

KontaktmechanikKontaktmechanik. Ausgehend vom KontaktKontakt (3) lässt sich über die Hertzsche Theorie (4 → 5) eine Verbindung zur Festigkeitslehre und den Werkstoffeigenschaften herstellen (6 → 7 → 8 ↔ 9)

2.1.2VergleichsspannungVergleichsspannung und Von-Mises-KriteriumMises-Kriterium

Wirkt auf ein Volumenelement ein mehrachsiger SpannungszustandSpannungszustand, dann kann man sie nach der Vergleichsspannungshypothese zu einerSpannungSpannung(VergleichsspannungVergleichsspannung) zusammenfassen.

Die VergleichsspannungVergleichsspannung hat dieselbe Wirkung wie die auf das Volumenelement wirkenden mehrachsigen Spannungszustände (Bild 2-5).

 

Die VergleichsspannungVergleichsspannung ermöglicht es, die in alle Raumrichtungen wirkenden Normal- und Tangenzialspannungen zusammenzufassen und mit den Ergebnissen von Materialtests der ZugfestigkeitZugfestigkeit und Streckversuchen zu vergleichen.

Bild 2-5:

VergleichsspannungVergleichsspannung: Die Vergleichsspannung hat auf ein Volumenelement dieselbe Wirkung wie die Normal- und Tangenzialspannungen

Das Versagen eines Bauteils tritt dann ein, wenn die Gestaltsänderungsenergie infolge der VergleichsspannungVergleichsspannung einen Grenzwert überschreitet (von Mises-SpannungMises-Spannung).

 

Im Spannungs-Dehnungs-DiagrammSpannungs-Dehnungs-Diagramm (Bild 2-6) zeigt sich, dass die SpannungSpannung eines Festkörpers infolge einer DehnungDehnung zunächst dem Hook’schen Gesetz (A) folgt, bei dem die Dehnung proportional zur äußeren Spannung ist, jedoch bei Überschreiten der Dehnungsgrenze ein abweichendes – nicht mehr lineares – Verhalten (B) zeigt und beim plastischen Fließen in ein Abfallen der Kurve übergeht (C), wobei der Bereich (C) nicht mehr von der äußeren Spannung σ abhängig ist.

Bild 2-6:

Spannungs-Dehnungsdiagramm

Unter dem Einfluss einer Zugspannung σ folgt die relative Längenänderung zunächst dem Hook’schen Gesetz (A) und geht mit Beginn der plastischen Verformung (B) in Fließen (C) über. Die Verformung wirkt unabhängig von der äußeren SpannungSpannung.

3Werkstoffe und deren Oberflächen

Walter Holweger / Joachim Schulz

3.1Einleitung

Metalle sind nur auf den ersten Blick (makroskopisch) homogen. Bei genauerer Betrachtung, mit entsprechenden Mikroskopen, fällt sowohl für Eisen- als auch Nichteisenmetalle der kristalline Aufbau ins Auge. Ein kristalliner Aufbau setzt eine feste Anordnung der Atome, aus denen der KristallKristall besteht, voraus. Je nach Metall sind diese Kristalle mehr oder weniger gleich zusammengesetzt. Die überwiegende Mehrheit der Metalle ist gemäß dem kubischen bzw. hexagonalen KristallsystemKristallsystem aufgebaut. Wobei beim kubischen System zwischen raum- und flächenzentrierten Aufbau zu unterscheiden ist. Auch wenn in einem Metall nur ein Kristallsystem vorliegt, können die konkreten Formen stark voneinander abweichen, wie aus Bild 3-1 leicht zu erkennen ist.

Bild 3-1:

mögliche Formen (idealisiert) im kubischen KristallsystemKristallsystem (Quelle: Seilnacht)

Im realen Metall werden sich immer Mischformen zwischen diesen Typen bilden, so dass kaum ein ideales System vorliegt. Eine reale Metallstruktur ist in Bild 3-2 und Bild 3-3 zu sehen.

Nachfolgend stehen einige Beispiele für Kristallsysteme in Metallen: Kubisch flächenzentriert (kfz) sind austenitische Stähle, Kupfer, Nickel, Aluminium, Silber, Gold, Blei; kubisch raumzentriertkubisch raumzentriert (krz) sind ferritische Stähle, Chrom, Wolfram, Molybdän, Vanadium; hexagonalhexagonal (hdP) sind Magnesium und Zink (s.a. Bild 3-9).

Bild 3-2:

Gefügebild, links: schematisch; rechts Aufnahme (Quelle: WZL Aachen)

Bild 3-3:

1.4301 (Zustand: lösungsgeglüht, Aufnahmevergrößerung: 100: 1; Ätzmittel: Königswasser (V2A-Beize); Querschliff / ASTM E 112; Befund: Korngröße: 4-6; Quelle: www.metallograf.de)

Auch wenn sich Form, Größe und Anordnung der Kristallite in BILD 3-2 UND BILD 3-3 unterscheiden, ist deren innere Struktur gleich, nicht aber die Ausrichtung dieser Struktur. Die kleinste geometrisch zusammenhängende Einheit eines Kristalls ist die ElementarzelleElementarzelle (Bild 3-4).

Bild 3-4:

Elementarzellen (Quelle: WZL Aachen)

In Elementarzellen sind die Atomabstände zueinander in den verschiedenen Raumrichtungen unterschiedlich. Wenn die Abstände richtungsabhängig sind, so sind folglich auch die Eigenschaften einer ElementarzelleElementarzelle richtungsabhängig. Sind Elementarzellen in unterschiedlichen Richtungen orientiert, und das ist bei einer unterschiedlichen Ausrichtung von Kristallen im Metall der Fall, so sind die Eigenschaften des Metalls richtungsabhängig. Die Richtungsabhängigkeit der Elementarzellen im Metall hat Auswirkungen bis zur Oberfläche des Metalls hin. Umwandlungen (Umklappen) von einer Kristallform in eine andere sind durch Temperatureinfluss, aber auch durch während der MetallbearbeitungMetallbearbeitung induzierte Spannungen möglich. Ein schönes Beispiel für die Temperaturabhängigkeit ist das Eisen-Kohlenstoff-DiagrammEisen-Kohlenstoff-Diagramm (Bild 3-5).

Bild 3-5:

Eisen-Kohlenstoff-DiagrammEisen-Kohlenstoff-Diagramm (Quelle: de.encarta.msn.com)

Durch die Art und Weise des Abkühlens einer Stahlschmelze kann die Art der sich bildenden Kristalle bestimmt werden. Auch die schon angesprochene Ausrichtung der Kristalle ist durch das Abkühlen beeinflussbar.

Elastische DehnungDehnung und plastische Deformation in Werkstoffen leiten sich von den Vorstellungen über Festkörper ab [Läp 06] und sollen hier kurz skizziert werden.

3.2Idealer FestkörperIdealer Festkörper

Bild 3-6:

Hexagonal dichteste Kugelpackung hcp; Stapelfolge [A-B-A. Untere Ebene (A), darüber versetzt liegende Ebene (B), darüber Ebene (A)

Ideale Anordnungen von Atomen kann man sich als Packungen von Kugeln vorstellen, die eine möglichst hohe Dichte (dichteste Packung), eine möglichst hohe Symmetrie und eine möglichst hohe Vernetzung (Koordination) anstreben. Dichteste Kugelpackungen in Festkörpern besitzen eine Raumerfüllung von maximal 74 %. Packungen von Atomen lassen sich durch Stapeln von Ebenen übereinander herstellen. Liegt eine Stapelfolge von A (untere Ebene) und B (darüber liegende Ebene) in den Lücken der Ebene A gefolgt von der originalen Stapelebene A vor, so spricht man von hexagonalhexagonal dichtesten Kugelpackungen (englisch: hcp; hexagonal closed packed) (Bild 3-6).

Liegt eine Stapelfolge von A (untere Ebene) – B (darüber liegende versetzte Ebene) – C (zur B-Ebene versetzte Ebene) vor, bei der die vierte Lage der Atome wieder den Positionen der Atome in A entspricht, liegt eine kubisch dichteste Kugelpackung (ccp: cubic closed packed) vor (Bild 3-7).

Bild 3-7:

Kubisch dichteste Kugelpackung, Stapelfolge [A-B-C-A]. Untere Ebene (A), darüber versetzt liegende Ebene (B) darüber Ebene (C)

Besser als die Stapelung von Gitterebenen kann man sich die Architektur des gesamten Gitters als eine Aneinanderreihung von Elementarzellen in allen Raumrichtungen vorstellen. Die ElementarzelleElementarzelle ist die kleinste Einheit des gesamten Gitters aus, dem sich – durch Verschiebung in alle Raumrichtungen – die Positionen der Atome im Gesamtkristall gewinnen lassen. Dadurch werden die Beschreibung der Lage der Gitteratome und ihre Symmetrie in einfacher Weise aus wenigen Atomen möglich (Bild 3-8).

Für technische Stähle, die sich über die Elemente Eisen, Chrom, KohlenstoffKohlenstoff definieren, sind die kubisch flächenzentrierten (fcc: englisch face-cubic-centred) und die kubisch innenzentrierten Elementarzellen (bcc: englisch body-cubic-centred) von entscheidender Bedeutung. Die kubisch flächenzentrierte Struktur (γ-Eisen) ist bei Stählen die Basis für AustenitAustenit. Sie zeichnet sich durch eine relativ hohe Löslichkeit für Kohlenstoff aus und ist oberhalb von 800 °C die dominierende Modifikation von Eisen. α-Eisen ist die Raumtemperaturmodifikation und die ElementarzelleElementarzelle von Ferrit mit einer sehr geringen Kohlenstofflöslichkeit (Bild 3-9).

Bild 3-8:

Verschiebung von Elementarzellen in drei Raumrichtungen konstruiert den Gesamtkristall

Die Hochtemperaturmodifikation zwischen 800 °C und 1200 °C von Eisen ist kubisch flächenzentriert und hat eine hohe Kohlenstofflöslichkeit, die kubisch innenzentrierte Form hat eine geringe Kohlenstofflöslichkeit und entspricht der Raumtemperaturmodifikation.

 

Die WärmebehandlungWärmebehandlung von Stählen pendelt im Prinzip zwischen beiden Modifikationen, wobei aus dem austenitischen (fcc) Zustand auf die bcc-Raumtemperaturmodifikation abgeschreckt wird.

 

Die Umwandlung der ElementarzelleElementarzelle bewirkt, dass KohlenstoffKohlenstoff ausgeschieden wird und sich in Form von Carbiden an Zwischengitterplätzen sowie an Gitterfehlstellen anlagert. Die Abschreckung aus dem Austenit-AustenitGebiet führt – durch eine diffusionslose Umwandlung – zu einem kubisch innenzentrierten – stark tetragonal verspannten – Gitter (tetragonaler MartensitMartensit), das durch AnlassenAnlassen entspannt werden kann (kubischer Martensit) [Läp 06] (Bild 3-10). Tetragonal verspanntes kubisch innenzentriertes Gitter (A) entsteht durch diffusionslose Umwandlung von γ-Eisen in α-Eisen. Kühlt man Austenit (γ – Eisen mit gelöstem Kohlenstoff) ab, so bildet sich der tetragonal verspannte Martensit (A) mit hoher Härte und Sprödigkeit. Durch nachfolgendes Anlassen kann die Sprödigkeit abgebaut werden (Bildung von kubischem Martensit und Sondercarbiden) (B).

Bild 3-9:

Kubisch flächenzentriertKubisch flächenzentrierte ElementarzelleElementarzelle (fcc) (A) und kubisch innenzentrierte Elementarzelle (bcc) (B) der kubisch dichtesten Kugelpackung

Bild 3-10:

AnlassenAnlassen von Stahl

Das AnlassenAnlassen der Stähle beseitigt durch Diffusionsvorgänge des Kohlenstoffs die Sprödigkeit des abgeschreckten Stahls. Die Abnahme der Sprödigkeit kann auch mit einer Abnahme der Härte gekoppelt sein.

Für die EndbearbeitungEndbearbeitung(SchleifenSchleifen, HonenHonen) ist es daher sehr wichtig, neben dem Gittertyp (AustenitAustenit, Ferrit) die Anlass-Stufen des Werkstoffs dem Werkzeugeinsatz (Anpressdruck, VorschubVorschub-Geschwindigkeit) anzupassen, da hoch angelassene Stähle weichere Randschichten aufweisen können als niedrig angelassene Stähle und das Ergebnis der Endbearbeitung sehr stark vom Anpressdruck des Werkzeugs abhängt [Läp 06].

3.3GitterfehlerGitterfehler und Versetzungen

In der Realität sind Gitter nicht ideal, sondern weisen Fehler auf. GitterfehlerGitterfehler sind maßgeblich an der Verformbarkeit der technischen Werkstoffe (allgemein Festkörper) und ihrer Ermüdung beteiligt und sollen daher näher betrachtet werden.

3.3.1 Nulldimensionale DefekteNulldimensionale Defekte

Nulldimensionale GitterfehlerGitterfehler sind Orte, an denen Atome fehlen (Leerstellen), Atome auf Zwischengitterplätzen sitzen (Interstitielle Fehlstellen) oder Fremdatome Positionen des Wirt-Gitters besetzen (Substitution) (Bild 3-11).

Bild 3-11:

Nulldimensionale Fehlstellen (Leerstellen (A) – Substitutionsatome (B))

Schottky-Defekte sind Paare von eindimensionalen Gitterfehlern in Ionenkristallen: an einer Stelle des Gitters fehlt ein AnionAnion (negativ geladenes Teilchen), an einer anderen Stelle fehlt ein KationKation (positiv geladenes Teilchen).

Frenkel-Defekte entstehen durch Wanderung eines Atoms von seinem regulären Platz auf einen Zwischengitterpunkt. Zwischen beiden nulldimensionalen Punkten (Loch – Zwischengitteratom) entsteht eine Anziehung.

Die Bedeutung von nulldimensionalen Gitterfehlern für die Tribologie ist noch wenig erforscht [Kra 77].

3.4UmformungUmformung

3.4.1ZiehenZiehen, WalzenWalzen und RollenRollen

Umgeformte und hoch verformte Materialien können überragende mechanische Eigenschaften aufweisen, die diejenigen der Ausgangswerkstoffe bei weitem übertreffen. Daher besteht ein erhebliches Interesse diese Prozesse gezielt zu steuern [Schol 02].

Bei Umformprozessen, wie sie in der MetallbearbeitungMetallbearbeitung stattfinden, werden Werkstoffe gezielt mechanisch beansprucht und sind stark mit der Aktivität von Versetzungen gekoppelt.

Forschungen zeigen, dass die Prozesse der KornfeinungKornfeinung bei der UmformungUmformung den Prozessen bei der WerkstoffermüdungWerkstoffermüdung ähnlich sind. Der VerformungsprozessVerformungsprozess erzeugt Subkorngrenzen, die auf der Emission von Versetzungen beruhen [Xu 02]. Im folgenden Abschnitt sollen diese Prozesse kurz dargestellt werden.

 

Bei Zugbeanspruchung treten ähnlich wie bei der Überrollung neue Grenzflächen in 45° zur Zugrichtung auf. Bild 3-20 zeigt eine transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme einer durch RollenRollen (Rollrichtung mit Pfeil) zugbeanspruchten Probe von Aluminium mit Ausbildung von Texturen in 45° zur Rollrichtung in der < 111 >-Ebene [Bay 89, Will 96, Ak 97, Liu 95]. Die Von-Mises-VergleichsspannungMises-Vergleichsspannung beträgt 0.12 (Bild 3-20).

Bild 3-20:

Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme einer durch RollenRollen zugbeanspruchten Probe (Aluminium, Rollrichtung durch Pfeil angegeben) in der <111>-Ebene (Quelle: [Liu 95])

Die Orientierung der Körner zwischen den Grenzflächen, die durch Beanspruchung entstanden sind, ist ohne Vorzugsrichtung.

Eine torsionsbeanspruchte Probe von Nickel unter hohem DruckDruck zeigt bei einer Mises-SpannungVon-Mises-Spannung von 0.4 und einem Druck von 4 GPa im TransmissionselektronenmikroskopTransmissionselektronenmikroskop (TEM) die Ausbildung von Zellstrukturen [Win 01] (Bild 3-21):

Bild 3-21:

Transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme einer Torsionsbeanspruchten Probe von Nickel bei einer Mises-SpannungVon-Mises-Spannung von 0.4 und einem DruckDruck von 4 GPa. Die Torsionsachse steht senkrecht zur Bildebene. Die Doppelpfeile markieren die Scherebene

Bei mechanisch beanspruchten Proben zeigen sich zwei Arten von Versetzungen:

I.)

Versetzungen, die sich an Gleitebenen orientieren. Der Winkel zwischen den neuen Grenzflächen, die durch die Versetzungen gebildet werden, und der Gleitebene (bzw. dem Gleitsystem) ist gering und liegt unterhalb 10° (Typ 1).

II.)

Versetzungen, die sich weit entfernt von Gleitebenen bilden und sich nicht an ihnen orientieren. Hier ist der Winkel zwischen den Gleitebenen und der Grenzflächen, die sich durch Versetzungen neu bilden, deutlich größer (Typ 2) [Win 03]. Die Fehlorientierung der Versetzungsgrenzlinien als Funktion der Von-Mises-Vergleichsspannung unterscheidet sich bei zug- (A) und roll- beanspruchten Proben (B). Bild 3-22 zeigt die Entwicklung von Fehlorientierungen für beide Versetzungsarten als Funktion der Mises-Spannung.

Bild 3-22:

Fehlorientierungswinkel, die durch mechanische Verformung von Aluminium entstehen: Versetzungen bilden Korngrenzen mit einer geringen Winkelabweichung zu Gleitebenen und Korngrenzen mit hoher Abweichung zu Gleitebenen (abgeleitet aus [Win 03])

Der Abstand zwischen den neuen Korngrenzen sinkt mit zunehmender Mises-SpannungMises-Spannung kontinuierlich, sowohl für die Versetzungslinien, die sich an einer GleitebeneGleitebene orientieren, als auch für Versetzungen fernab von Gleitebenen (Bild 3-23).

Bild 3-23:

Abstand zwischen Subkornstrukturen als Funktion der Mises-SpannungMises-Spannung bei Zugverformung (Probe Al) für Versetzungen, die sich an Gleitebenen orientieren (Typ 1), und Versetzungen, die sich nicht an Gleitebenen orientieren (Typ 2) [Win 03]

3.4.2 Spanabhebende Bearbeitung

Das Schema zeigt die prinzipiellen Abläufe, wie sie bei der spanenden Bearbeitung auftreten. Das Werkzeug dringt unter einem FreiwinkelFreiwinkel (α) in den Werkstoff ein. Der Werkzeugkeil, der mit einer Geschwindigkeit v in den Werkstoff eintritt, führt entlang der SchnittebeneSchnittebene zur Verformung (Bild 3-24).

Bild 3-24:

Schematische Darstellung der spanabhebenden Bearbeitung

Bild 3-25 zeigt eine Detailaufnahme bei der SpanbildungSpanbildung im Werkstoff C45E bei einer SchnittgeschwindigkeitSchnittgeschwindigkeit von 300 m/s. Der Span ist stark unterteilt. Zwischen den einzelnen Abschnitten treten korngefeinte Bereichekorngefeinte Bereiche in Erscheinung.

Bild 3-25:

Segment Span im Werkstoff C45E (Zitat aus [Haa 03]). Übersichtsaufnahme, Ausschnitte aus der VerformungszoneVerformungszone

Das Werkzeug verursacht an der unmittelbaren Eintrittsstelle in den Werkstoff Spannungsfelder, die durch Positronen-Annihilations-MessungenPositronen-Annihilations Messungen (PAS) sichtbar gemacht werden können [Haa 03]. Diese Messung macht sich den Effekt zunutze, dass Versetzungen bei der UmformungUmformung durch Sprungprozesse Fehlstellen (Kinks und JogsKinks und Jogs) hinterlassen. Die Bestrahlung mit Positronen führt dazu, dass die Elementarteilchen an Fehlstellen eingefangen und die Einfangrate eine Funktion der Fehlstellendichte wird. Diese Funktion lässt sich als S-ParameterS-Parameter(SchädigungsparameterSchädigungsparameter) darstellen.

Wird ein Span durch einen WerkzeugvorschubWerkzeugvorschub aus dem Werkstoff abgehoben, lässt sich eine Verformungsvorlaufzone tangential zum Geschwindigkeitsvektor (vc) erkennen. Ausgehend von der primären ScherzoneScherzone bauen sich im abhebenden Span starke Gefügezerstörungen auf.

Der durch PAS ermittelte SchädigungsparameterSchädigungsparameter S korreliert dabei mit dem Verlauf der Vickershärte (Bild 3-26). Bereiche mit hoher Härte entstehen offenbar durch Verfestigungsprozesse, wie sie im Verlauf von Versetzungsreaktionen bei der plastischen Deformation auftreten. Diese Prozesse sind daher hauptsächlich verformungsbedingt.

Bild 3-26:

Schädigungsparameter S aus PAS-Messungen im Vergleich mit der Vickershärte

Bereiche mit geringer Härte entsprechen Entfestigungsvorgängen, die hauptsächlich durch hohe Temperaturen ausgelöst werden.

Die Werte für den unverformten Werkstoff liegen dabei in der Größenordnung von 185 HV. Die stärksten Verformungsbereiche treten an der SpanoberseiteSpanoberseite auf. Unterhalb dieser Verformungen entstehen Entfestigungszonen. Abhängig vom VorschubVorschub und der ZerspanungstiefeZerspanungstiefe können sich auch Spannungsfelder in verschiedene Richtungen entwickeln [Haa 03].

 

Die mikroplastischen Verformungen korrelieren dann mit Härtemessungen (z. B. Vickershärte), wenn keine Oxidationsprozesse ablaufen (Bild 3-27). Bei parallel ablaufenden Oxidationsvorgängen kann es zu Entfestigungen im Werkstoff kommen [Haa 03].

Für die spanabhebende Bearbeitung ist dabei die Eindringtiefe des Werkzeugs in den Werkstoff entscheidend. Eine große Eindringtiefe führt sowohl an der Verformungsvorlaufzone als auch in der Tiefe zum Aufbau von Gefügeschäden. Eine hohe VorschubgeschwindigkeitVorschubgeschwindigkeit spielt bei gleicher Eindringtiefe eine geringere Rolle.

Bild 3-27:

Mikrohärteverlauf zwischen RandschichtRandschicht und Kern bei spanabhebender Bearbeitung

3.4.3 Schneiden von Teilchen durch Versetzungen

Versetzungen können Matrixteilchen (beispielsweise CarbideCarbide) durchtrennen. Die Durchtrennung führt dazu, dass neben neuen Phasen durch Zerfall der Teilchen auch neue Werkstoffeigenschaften entstehen können. Die Zersetzung von Carbiden spielt sowohl bei der UmformungUmformung als auch bei Bearbeitungsvorgängen eine wesentliche Rolle in der MetallbearbeitungMetallbearbeitung und soll hier kurz diskutiert werden.

Versetzungen können Teilchen „schneiden“, in dem sie sich im SpannungsfeldSpannungsfeld eines Teilchens über eine GleitebeneGleitebene in die KristallstrukturKristallstruktur einschieben können. Voraussetzung dafür ist, dass das Teilchen kohärent an die umgebende Matrix angebunden ist. Das bedeutet, dass zwischen der Matrix, innerhalb derer sich die VersetzungVersetzung „bewegt“, und dem Fremdteilchen eine ähnliche GitterstrukturGitterstruktur und optimale Winkel vorliegen müssen, damit ein Übertritt möglich wird. Durch das Eintreten der Versetzung in das Fremdteilchen (Bild 3-28 (A)) kann innerhalb der Phase oder des Teilchens eine Verschiebung der Atome in einer Gleitebene stattfinden, so dass es zunächst zur Bildung einer Antiphasengrenze innerhalb des Teilchens kommt. In der AntiphaseAntiphase stehen sich entlang der Gleitebene Atome direkt gegenüber, wodurch die Energie stark ansteigt. Die Antiphasengrenze wird durch eine zweite Versetzung, die in die Gleitebene eintritt, wieder beseitigt (schematisch in Bild 3-28 (B) – in situ TEM (Bild 3-29)). Bei Carbiden, wie sie durch den Weichglühprozess in Stählen auftreten, führt dies dazu, dass ihre globuläre Struktur „langgezogen“ und im RasterelektronenmikroskopRasterelektronenmikroskop sichtbar wird. In der Literatur spricht man auch von „Lenticular CarbidesLenticular Carbides“. Die Abweichung der ansonsten rundlichen oder elliptischen CarbideCarbide aus dem Weichglühprozess der Werkstoffe stellt damit einen Indikator für die VersetzungsaktivitätVersetzungsaktivität und die Richtung der Versetzungsbewegung dar. Bei kohärenten Teilchen können Versetzungen in eingeformte Phasen und Fremdteilchen eintreten. Inkohärente Phasen und Teilchen (Teilchen, deren Gitterstruktur stark vom GrundwerkstoffGrundwerkstoff unterschieden ist) können von Versetzungen nicht durchtrennt werden.

Bild 3-28:

Ein kohärent (teilkohärentes) Teilchen [A] erzeugt in einer Matrix (schematisch durch Gitternetz dargestellt) ein SpannungsfeldSpannungsfeld, das eine VersetzungVersetzung (Pfeil) einfängt. Die Versetzung durchschneidet das Teilchen [B]. In der Fortsetzung bilden sich aus dem großen Teilchen [A] kleine Teilchen [C]

Bild 3-29:

Schneiden von kohärenten Teilchen durch Versetzungen unter Bildung von Antiphasen – Phasengrenzen (A). Einformen eines Versetzungsrings an einem inkohärenten Teilchen (B) (Quelle: [Fes])

CarbideCarbide (wie beispielsweise Eisen-Chrom-Mischkristalle in Stählen) stellen Teilchen dar, die durch Versetzungen über Versetzungsdoppelpaare so lange geschnitten werden, bis die KornfeinungKornfeinung über Versetzungslinien zu einer neuen, thermodynamisch stabileren Phase führt. Diese Umwandlung der Carbide führt zu neuen, teilweise sehr harten Phasen mit einer sehr geringen Korngröße (wenige Nanometer), die im Gefügeschliff weiß anätzen (White Etching).

 

Sowohl bei der Werkstoffumformung aber auch bei Bearbeitungsvorgängen zeigen sich Vorgänge, die mit einer Auflösung der CarbideCarbide gekoppelt sind. In Bild 3-30 (Focused-Ion-Beam (FIB)Focused-Ion-Beam (FIB) in Kombination mit Rasterelektronenmikroskopie (FIB-REM)) wird gezeigt, dass im Bereich der Oberfläche die als rundliche, dunkle Einlagerung erkennbaren Eisen-Chrom-MischkristalleEisen-Chrom-Mischkristalle als Folge des Bearbeitungsvorgangs (SchleifenSchleifen) aufgelöst oder geschnitten werden (A, B, C).

Bild 3-30:

Rundliche CarbideCarbide [A] als Folge der EndbearbeitungEndbearbeitung im Focused-Ion-Beam RasterelektronenmikroskopRasterelektronenmikroskop (1000-fache Vergrößerung). Die Carbide (Eisen-Chrom-Mischkristalle) sind als rundliche [A] oder länglich gezogene Körper sichtbar [B]. Deutliche Verzerrungen durch Versetzungsschneiden sind an der Oberfläche erkennbar (markiert [C])

Die Folge der TeilchenauflösungTeilchenauflösung sind die typischen randnah ausgeprägten Schichten (TribomutationTribomutation [May 05, Ra 07, Schol 02]), die nach neueren Forschungsergebnissen einen erheblichen Einfluss auf die Bauteil-Lebensdauer besitzen können, so dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um diese randnahen, kornverfeinerten Schichten durch Bearbeitungsprozesse gezielt zu erzeugen (nanoskalige Randschichten).

Aus neueren Forschungsergebnissen wird ersichtlich, dass diese Randschichten auch als Prozess beim Einlaufen von Maschinenelementen entstehen können [May 05].

3.5Ergänzende Vorstellungen zur Metalloberfläche

Eines der ersten Modelle zu Metalloberflächen stammt aus dem Jahre 1936 [Schm 36] (Bild 3-31). Dieses wurde bereits im frühen 20. Jahrhundert von Evans [Evans 37] infrage gestellt, indem er für seine Theorie zur KorrosionKorrosion von Metallen annahm, dass „im neutralen und alkalischem Bereich das Eisen mit einer mikroskopisch dünnen Eisenhydroxidschicht bedeckt ist“.

Bild 3-31:

Alte Theorie des Schichtaufbaus metallischer Oberflächen nach Schmaltz (aus [Klo08] nach [Schm 36])

Umso erstaunlicher ist es, dass das Modell in Bild 3-31 auch in modernen Dissertationsschriften als aktueller Stand der Technik erwähnt wird.

Wirkliche Einblicke auf und in den atomaren Aufbau sind erst mit SIMS (Sekundärionen-Massenspektroskopie) und SNMS (Sekundärneutralteilchenmassenspektroskopie) möglich. Moderne Untersuchungen konnten die Annahme von Evans bestätigen. Hantsche et al. untersuchten die Oberfläche von einem boriertem Chromstahl und wiesen Eisenoxide und Eixenhydroxid nach [Han82]. Mithilfe der Sekundärionen-Massenspektrometrie (SIMS) ließ sich die Annahme von Evans bestätigen, indem auf Oberflächen aus Gold und Silber Hydroxidgruppen festgestellt wurden. Auf Kupfer konnte neben Hydroxidgruppen auch Kupferoxid nachgewiesen werden [Bue81]. Rostfreie Stähle, welche passiviert sind, dagegen sind ausschließlich mit Oxiden überzogen ([Faj10], [Com01]).

So wird die Oberfläche eines unbehandelten Zahnrads in [FVA 00] mittels SNMS beschrieben. Dabei wird die Existenz von Hydroxy-Gruppen (-OH) nachgewiesen. Diese OH-Gruppen sind an Eisen gebunden. Stahl (kein rostfreier Stahl) überzieht sich ab einer LuftfeuchtigkeitLuftfeuchtigkeit von 40 % mit einer Schicht aus Hydroxiden und Oxiden. Stratmann [Stra 91] gibt die Zusammensetzung einer EisenoberflächeEisenoberfläche mit etwa 25 % γ-FeOOH, 70 % α-FeOOH und sehr geringen Mengen an Oxid an. In einer jüngeren Arbeit [Bhar 07] wird auf einer Eisenoberfläche Eisenoxid (Fe3O4) und EisenhydroxidEisenhydroxid (Fe(OH)2) nachgewiesen. Bhargava et al. stellen eine gute Übereinstimmung mit dem Pourbaix DiagrammPourbaix Diagramm für das System Eisen-Wasser (Bild 3-32) fest.

Bild 3-32:

Pourbaix-DiagrammPourbaix Diagramm für das System Eisen-Wasser (Quelle: www.geocities.com/neveyaakov/electro_science/pourbaix.html)

Eisenoxid, Eisen(II)- und Eisen(III)-IonenEisen(III)-Ionen (mit Hydroxid-Gruppen besetzt) existieren also im neutralen pH-Bereich nebeneinander. Solche Pourbaix-DiagrammPourbaix Diagramme gibt es nicht nur für Eisen, sondern auch für sehr viele andere Metalle [Kae 90]. Aus Ihnen kann relativ einfach erklärt werden, wie eine Metalloberfläche bei einem bestimmten pH-Wert im atomaren Bereich beschaffen ist. Erstaunlicherweise wurde bisher davon bei der Entwicklung von Metallbearbeitungsflüssigkeiten kaum Notiz genommen. Allgemein bekannt ist, dass rostfreie Stähle von einer Chrom- und Nickeloxidschicht, je nach Legierung in wechselnden Verhältnissen, bedeckt sind. Auch von Aluminium ist bekannt, dass es von einer fest haftenden OxidhautOxidhaut