Weder Hütten noch Paläste - Günther Moewes - E-Book

Weder Hütten noch Paläste E-Book

Günther Moewes

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Beschreibung

"Kaum eine Branche hat die Irrtümer heutiger Ökonomie so sehr verinnerlicht wie das Bauwesen. Kaum eine trägt deshalb so viel zur Zerstörung von Natur, Landschaft und Klima bei." Das Bauen ist maßgeblich an jenem Prozess beteiligt, der alle Material- und Energievorräte, alle Landschaften dieser Erde immer rücksichtloser verbraucht und sie so mit dramatischer Geschwindigkeit in die ewige Unverfügbarkeit überführt: in die totale, nie wieder rückgängig zu machende Entropie. Das war nicht immer so. Günther Moewes zeigt, dass erst ein bestimmtes Verständnis von Industrialisierung die Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaft möglich gemacht hat, die für diesen stetigen Zuwachs an Entropie verantwortlich ist. Er erklärt, warum die Architektur nicht die Gesetze der Ökonomie ignorieren kann und die Ökonomie nicht die Gesetze der Physik. Und er führt schließlich vor Augen, was geschieht, wenn solche Zusammenhänge durch die jeweils herrschenden Architekturmoden fortlaufend vernachlässigt werden. So ist ein engagiertes Plädoyer gegen die unablässige Vernichtung unserer Lebensgrundlagen entstanden – und zugleich für eine Vermeidungsgesellschaft, in der eine ökologische Architektur überhaupt erst Sinn macht. Das 1995 erstmals aufgelegte Buch wurde schnell zu einem Kultbuch für Architektur und Ökologie. Aufgrund der auch heute noch herausragenden Bedeutung des seit langem vergriffenen Buches wurde bei der jetzigen Neuausgabe die Originalfassung nicht überarbeitet, damit deutlich wird, wie wenig von den Erkenntnissen bis heute tatsächlich umgesetzt wurde. Angesichts der von Günther Moewes schon damals überzeugend formulierten Kritik am energiefressenden Neubau kann man kaum glauben, dass in den letzten Jahren verstärkt die Parole "Bauen! Bauen! Bauen!" ausgegeben wurde.

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Seitenzahl: 268

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GÜNTHER MOEWES

WEDERHÜTTEN NOCHPALÄSTE

Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft

Eine Streitschrift

Neuausgabe 1. Auflage 2021 der Originalausgabe: Birkhäuser 1995

Copyright © Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2021

www.nomen-verlag.de

Umschlaggestaltung: BlazekGrafik, Frankfurt am Main unter Verwendung einer Szene aus Fritz Langs »Metropolis«: https://www.critic.de/film/metropolis-2041/bilder/22505/

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-939816-78-2

eISBN 978-3-939816-79-9

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Das gilt insbesondere für Übersetzungen, Kopien, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhalt

Vorwort zur Neuausgabe 2021

Das Jahrhundert der Vermischung

Was ist Entropie?

Die physikalischen Grundlagen eines Schlüsselbegriffes

Bauen und Energie

Industrialisierung und Sonnenlimit

Neubauten sparen niemals Energie

Sonnennutzung und Sonnenschutz

Der Traum vom Glaskristall

Entwurfsmaßnahmen oder Anlagentechnik?

Bauen und Wachstum

Das falsche Spiel mit den Begriffen

Wachstum contra »Dritte Welt«

Das Märchen vom Wohlstand durch Wachstum

Bauwachstum ohne Ende?

Baustoff und Entropie

Architektur als Vormüll

Der Rückfall hinter die Baugeschichte

Beschäftigungsstaat oder Vermeidungsgesellschaft?

Industrialisierung heißt: Befreiung von Arbeit

Arbeitsabschaffung oder Arbeitsbeschaffung?

Warum die Strategien gegen die Arbeitslosigkeit nicht greifen

Wo bleiben die Maschinisierungsgewinne?

Wohlstand oder Schaden?

Welcher Handel erhöht den Wohlstand?

Das Recht auf Nicht-Arbeit

Die Auflösung der letzten Landschaften

Landschaft als Abbild ökonomischer Permissivität

Die Ursachen der Flächenvergeudung

Der Verlust der Landschaftsbilder

Grün-Euphorie und Sauerstoffmärchen

Die Verkleidung der Nicht-Vermeidung

Das Märchen von der Wiedergutmachung

Das Zivilisationsgemisch wird zur Natur erklärt

Natur – ein Definitionsproblem?

Aus dem Gruselkabinett des falschen Naturverständnisses

Entropie korrumpiert die Wahrnehmung

Der Verlust der Unverwechselbarkeit

Stadtraum und Entropie

Reinheit oder Vermischung?

Bauen und Innovation

Ausblick

Anmerkungen

Literatur

Zugrundeliegende Veröffentlichungen des Autors

Ergänzende Literatur und Veröffentlichungen des Autors (nach 1995)

Bildnachweis

Danksagung

Abbildungen

Vorwort zur Neuausgabe 2021

Kaum eine Branche hat die Irrtümer heutiger Ökonomie so sehr verinnerlicht wie das Bauwesen. Kaum eine trägt deshalb so viel zur Zerstörung von Natur, Landschaft und Klima bei. Wie kommt das?

Alle Evolution hat mit der Zeit stets immer höhere Vielfalt geschaffen: Die Naturevolution schuf in Jahrmilliarden aus der ursprünglich toten Materie unseres Planeten die Wunder des Lebens, die Vielfalt der Arten und Landschaften, der Klimazonen und Wetterereignisse, die grandiose Einmaligkeit unseres Planeten im Sonnensystem, die unfassbare Unendlichkeit der Milliarden Galaxien und des Alls. Die Kulturevolution schuf dann in Jahrzehntausenden die Wunder der Erkenntnisse, der Sprachen, der Musik, der bildenden Künste und der Architektur. Selbst vorübergehende erd- und kulturgeschichtliche Rückschläge mündeten letzten Endes immer in einer Erhöhung der Vielfalt. Dieser Entwicklung wurde vor 200 Jahren ein jähes Ende gesetzt: Mit der Industrialisierung wurde zwar einerseits der Umfang der gedanklichen, technischen und zivilisatorischen Möglichkeiten explosionsartig erhöht. Gleichzeitig wurde aber der Grundstein für eine Katastrophe gelegt: durch den Zugriff auf die fossilen Energien verließ unsere Erde zum ersten Mal in ihrer Geschichte das sogenannte »Sonnenlimit«: in 200 Jahren wurden energetische Potentiale verbraucht, die die Natur in hunderten von Millionen Jahren aufgebaut hatte. Jetzt wurden plötzlich genau die Rücklagen verbraucht, die notwendig gewesen wären, um den bisherigen Aufbau von Vielfalt fortzusetzen. Ohne den Kohlenstoff, der unverbrauchbar in Jahrmillionen in Graphit und Gestein gespeichert wurde, hätten wir uns längst klimatisch ins Vorkarbon zurück katapultiert.

Durch den Zugriff auf die fossilen Brennstoffe war Entwicklung von nun an immer ein Spiel zwischen Evolution und Gegenevolution: Alle Materie und Energie, die nicht durch Sonnenenergie und ihre Ableger Wasser-, Wind- und Körperkraft bewegt wurde, landete in ewiger, unumkehrbarer Vermischung und Unverfügbarkeit, in Abfall und Müll. »Entropie« nannte der Physiker Clausius vor 150 Jahren diesen Vorgang. Die Ökonomie hat diese physikalische Dramatik bis heute nicht richtig erkannt und nennt sie stolz »Globalisierung«. Auf diese Weise haben wir heute eine Globalisierung der Wirtschaft und eine Nationalisierung und Regionalisierung der Politik, den ewigen, Weltkriege zeugenden Wettbewerb von sogenannten »Großmächten«. Wir brauchten aber das genaue Gegenteil: eine Regionalisierung der Wirtschaft und eine demokratisch organisierte Weltverfassung und -regierung.

Der für Globus, Klima und Bauen katastrophalste Trick der Ökonomen besteht darin, nicht das Wachstum des Produktbestands und damit des Wohlstands als »Wachstum« zu definieren, sondern vielmehr das Wachstum der Produktion. Ein Beispiel aus dem Städtebau: Wenn die Bauproduktion einer Stadt von 100 000 Einwohnern jährlich 4000 Wohnungen beträgt, also gleich bleibt und nicht wächst, nennen die Ökonomen das »Nullwachstum«. Dieser Begriff ist grob irreführend: Denn der Wohnungsbestand der Stadt wächst ja dramatisch weiter, nämlich um 4000 Wohnungen oder 4 % pro Jahr. Nach 25 Jahren hat er sich verdoppelt. Von »Wachstum« sprechen die Ökonomen dagegen erst, wenn nicht nur der Bestand jedes Jahr um 4 % wächst, sondern die Wohnungsproduktion. Dann wächst der Bestand aber bereits »exponentiell«, d. h. nach 25 Jahren auf 267 000 Wohnungen, nach 50 Jahren auf 711 000 und nach hundert Jahren auf 1,896 Millionen. Kein Wunder, wie unsere Landschaften dann aussehen. Auch die gebetsmühlenhafte Behauptung, Wohlstand steige nur bei Wachstum, verfängt also nicht. In Entwicklungsländern mit geringer Produktion ist Produktionswachstum sicher erforderlich. Kein Ökonom hat aber bisher überzeugend erklären können, weshalb in wohlhabenden, hochindustrialisierten Ländern jedes Jahr mehr produziert werden muss als im Vorjahr, um den Wohlstand zu erhalten. Warum der Globus unbedingt mit exponentiell gesteigertem Tempo zerstört werden muss, und nicht bloß mit linearem.

Diese aberwitzige Denkweise der Ökonomen hat fatale Konsequenzen: Es wird nur auf den Anstieg von BIP und Arbeit geschaut und kein Unterschied mehr gemacht zwischen nützlich und schädlich: Alle Fehlentwicklungen wie Krankheiten, Unfälle, Kriege und Naturkatastrophen gehen positiv in das BIP ein und »schaffen Arbeitsplätze«. Das System hält sich durch seine Fehler für unsterblich, obwohl sein Ende unausweichlich ist. Je mehr Arbeit von Maschinen, Computern und Robotern übernommen wird, desto mehr Ersatzbeschäftigung muss stets neu erfunden werden. Diese Koppelung der materiellen Existenz an die Voraussetzung Arbeit, auch an vermeidbare, ist die eigentliche Hauptursache für die Zerstörung von Globus und Klima. Solche vermeidbare und schädliche Arbeit bringt in der Regel sogar mehr Beschäftigung und Profit als dringend notwendige wie Bildung, Pflege, Instandhaltung, Reparatur und Wiederverwendung.

In einer realistischen Ökonomie würde Einsparung normalerweise bedeuten: mehr Rücklagen, mehr Wohlstand, mehr Schonung von Umwelt und Klima. Genau das verhindert aber die heutige Ökonomie hochindustrialisierter Länder, indem sie die materielle Existenz großer Teile der Bevölkerung weiterhin von der Voraussetzung »vermeidbare Arbeit« abhängig macht, wie das Beispiel Bauwirtschaft zeigt: Die Weiterentwicklung wird nicht in planerischer Intelligenz gesucht, nicht in energiegünstiger Kompaktheit, richtiger Himmelsrichtung und entsprechender Mischnutzung, nicht in passiver Solarnutzung, richtigem Sonnenschutz, gedämmten Klappläden für die überwiegende Dunkelheit in kalten Jahreszeiten, nicht in Veränderbarkeit durch Trockenmontage und -demontage, Wiederverwendbarkeit, Mehrfachnutzung oder wenigstens Recycelbarkeit der Teile, nicht in kurzen Wegen, Transportminimierung und damit Regionalisierung. Denn das würde ja alles Einsparung von Arbeit und Profit bedeuten. Die Entwicklung wird vielmehr gesucht im Wachstum der Produktion: in Schaumstoffen, untrennbaren Sandwichverklebungen, in unnötigen Transporten von indischem Marmor für das Bundeskanzleramt in Berlin und rotem schwedischem Sandstein für Bottas Museum in Dortmund, in Wegwerfproduktion, Abriss und Bauschutt. Selbst der Stadtraum wird vom sozialen Begegnungs- und Erlebnisraum zum bloßen Immobilienabfall, zu Müll. Denn das schafft Maximierung von Produktion, Maximierung von Aufwand, Entsorgung, Transport und damit von Arbeit und Profit.

Die falsche Definition von Wachstum ist der Ausgangspunkt der heutigen falschen Ökonomie. Die beharrliche Koppelung des Lebensunterhalts an falsche Arbeit und der daraus folgende ständige Zwang zu deren Beschaffung ist aber für die bereits heute in vollem Gang befindliche Klimakatastrophe bei weitem ausschlaggebender. Besonders zynisch: auch die durch vermeidbare Arbeit verursachten Dürre-, Flut- und Vermüllungs-Katastrophen schaffen wiederum neue Arbeit, die letztlich vermeidbar gewesen wäre. Das System ist »self-fulfilling«.

Günther Moewes, 8. Juli 2021

Das Jahrhundert der Vermischung

Die Theorie, welche die Architektur unseres Jahrhunderts am stärksten beeinflusst hat, ist der Funktionalismus. Er war ein Purismus, betrieb Entmischung. Sein Ziel war Reinheit: Reinheit der Materialien durch Materialgerechtigkeit, Reinheit der Konstruktionsprinzipien durch Werkgerechtigkeit, Reinheit der Funktionen durch Funktionstrennung.

In der Praxis von Architektur und Städtebau in diesem Jahrhundert vollzog sich jedoch das genaue Gegenteil dieser theoretischen Forderungen. Es entstand eine historisch einzigartige Vermischung: Bei den sogenannten Verbundbaustoffen und in den Baumärkten entstanden extreme Materialvermischung und extremes Produktchaos. In der Architektur entstand eine nie dagewesene Vermischung der unterschiedlichsten Gebäude- und Dachformen. Im Städtebau entstand ein nie dagewesenes Chaos von Gebäudehöhen, -fluchten, -abständen und -formen. In der Raumordnung wurden Stadt und Land, Stadt und Dorf, Siedlung und Landschaft, Architektur und Natur miteinander vermischt. Und global entstand die Vermischung aller nur denkbaren Regionalcharakteristika zu einem international gleichen Einheitsgemisch. Schwarzwaldhäuser in Hollywood, Schmetterlingsgauben in Bayern und Schwedenhäuser im Sauerland. Und die Schlafstädte in Boston, Warschau und Hamburg sehen auch überall gleich aus.

Als im Nachfunktionalismus die Dämme des Funktionalismus brachen, wurde die Vermischung geradezu zum ästhetischen Prinzip erhoben: Die »Postmoderne« vermischte die verschiedensten Geschichts- und Stilelemente und -formen. »Dekonstruktivismus« und »Free Style« vermischten absichtsvoll die verschiedensten Konstruktions- und Strukturprinzipien. Das sogenannte »ökologische Bauen« vermischte absichtsvoll die Natur mit Gebäuden und die Gebäude mit Grün.

Das Phänomen der Vermischung ist aber nicht auf Architektur und Städtebau beschränkt. Auch in der Natur selbst breitet sich der »Vermischungsbazillus« rasant aus, zum Teil mit verheerenden Konsequenzen: Monokulturen von soziologiefremden, eingeschleppten »Neophyten« verdrängen einheimische Öko-Systeme (indisches Springkraut und Sachalin-Knöterich an den Flussufern deutscher Mittelgebirge, Eukalyptus in Indien, Rhododendron in Wales usw.). Tanker lassen Ballastwasser an entgegengesetztesten Teilen der Meere ab und erzeugen eine Vermischung der maritimen Ökosysteme mit unübersehbaren Folgen. Und aus Laboren entweichen Killeralgen, Mörderbienen und Viren und breiten sich über den Globus aus.

Diese Beobachtungen ließen sich beliebig fortsetzen mit der Betrachtung von Konsumdesign, Kleidung, Medien und Informationen, Sprachen, Bevölkerungen, Nationen usf. In allen Fällen weisen auch die Folgen solcher Vermischung gemeinsame Züge auf: es entsteht stets eine Nivellierung, ein Gegensatzverlust, ein Verlust von Unverwechselbarkeit, von »Diversität«. Und: die Ergebnisse dieser Vermischung lassen sich nur sehr schwer wieder rückgängig machen.

Das vermehrte Auftreten solcher Vermischung in unserem Jahrhundert legt den Verdacht nahe, dass auch die Ursachen jeweils die gleichen sein könnten, dass sie etwas zu tun haben könnten mit der Industrialisierung, mit unserer Wirtschaftsweise, mit unserem Arbeitsverständnis.

Tatsächlich wurden die Gesetzmäßigkeiten solcher Vermischung in der Physik bereits vor 130 Jahren entdeckt, von Carnot, Clausius und anderen. Man erkannte damals auch bereits die prinzipielle Unumkehrbarkeit solcher Vorgänge. Rudolf Clausius prägte den Begriff für diese Vermischung, der lange Zeit ein unbeachteter Fachausdruck der Physik blieb, heute aber immer mehr zu einem Schlüsselbegriff zur Erklärung gegenwärtiger Natur- und Zivilisationsprozesse wird: Entropie.

Schließlich erkannte in den siebziger Jahren dieses Jahrhunderts auch bereits der Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen, dass dieses physikalische Prinzip auch die Gesetzmäßigkeit unserer Wirtschaftsvorgänge bestimmt.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen, möchte ich zu Beginn die Leitthese dieser Arbeit formulieren:

Die nachfunktionalistischen Architekturstile und -moden sind der visuelle Nachvollzug der Permissivität unserer Wirtschaftsweise. Sie haben jeden evolutionären Anspruch aufgegeben und versuchen nur noch, die allgemeine Vermischungstendenz unseres Wirtschaftens zur Tugend zu erheben, sie möglichst heiter abzubilden. Sie korrumpieren den Widerstand gegen diese für unseren Globus tödliche Bedrohung.

Was ist Entropie?

Die physikalischen Grundlagen eines Schlüsselbegriffes

Jeder Verbrauch, jeder Umsatz von Materie und Energie erhöht unumkehrbar die Entropie auf unserem Planeten – es sei denn, er bedient sich der systemexternen Sonnenenergie. Die von der Industrialisierung ausgelösten, gewaltigen Material- und Energieströme bringen uns mit dramatischer Geschwindigkeit dem absoluten Ende näher: der totalen, nie wieder rückgängig zu machenden Entropie.

Unser Planet ist ein geschlossenes System aus Materie, deren Gesamtmenge fast konstant bleibt.1 Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik können in »geschlossenen Systemen« alle Vorgänge immer nur in einer Richtung ablaufen: von Zuständen höherer Ordnung zu Zuständen niedrigerer Ordnung. Den Grad dieser stets zunehmenden Vermischung und Zerstreuung in geschlossenen Systemen nennt man Entropie. Beispiele dafür sind: Wärme wandert immer nur vom wärmeren Körper zum kälteren, niemals umgekehrt. Ein Stück Zucker löst sich immer in Wasser auf. Niemals baut es sich von selbst aus einer Zuckerlösung wieder auf. Wird ein Glas je zur Hälfte mit schwarzen und weißen Kugeln gefüllt, so geraten die Kugeln beim Schütteln immer weiter durcheinander. Niemals kann ich durch Schütteln erreichen, dass die schwarzen Kugeln alle wieder unten und die weißen alle wieder oben liegen.2

In diesem Sinn kann auch der Mensch Bodenschätze immer nur verbrauchen, in die Umwelt zerstreuen, in Müll verwandeln. Niemals wird er von sich aus Bodenschätze neu aufbauen können. Der Mensch kann zwar Recycling betreiben. Recycling kann jedoch den Verbrauch der Bodenschätze nur bremsen, nicht einmal stoppen, geschweige denn umkehren. Allein in den USA werden jährlich 6000 t Cadmium verbraucht. Davon werden 300 t durch Recycling zurückgewonnen. Die restlichen 5700 t werden ein für alle Mal in die Umwelt zerstreut.3 Sie können niemals wieder zurückgewonnen werden. Bei anderen Stoffen ist die Recyclingrate höher. Bei Eisen im Automobilbau beträgt sie weltweit 90 %. Allerdings wird der Schrotthandel zunehmend durch den wachsenden Kunststoffanteil bedroht. Die Recyclingrate lässt sich fast überall erheblich steigern, voraussichtlich auf 50 bis 70 %. 100 % lassen sich niemals erreichen, bei keinem einzigen Stoff.

Auch Recycling stoppt also nicht die Entropievermehrung, sondern verlangsamt sie nur. Selbst bei intensivstem Recycling würden alle Stoffe im Laufe der Zeit in die Umwelt zerstreut. Bei genauerem Hinsehen ist Recycling gar keine wirkliche Anti-Entropie oder Syntropie, sondern nur die Umwandlung von Materie-Entropie in Energie-Entropie. Denn die meisten Recyclingvorgänge verbrauchen je nach Konzentration der Stoffe erheblich Energie. Ist die Entropie, die Zerstreutheit der Stoffe schließlich zu groß, »lohnt« eine Rückgewinnung oder Reinigung nicht mehr, weil die dazu notwendige Energie-Entropie schädlicher wäre als die verhinderte Materie-Entropie.

Auch die vorhandene Energie strebt in geschlossenen Systemen stets auf den Zustand maximaler Entropie zu. Transformationen von Energie sind grundsätzlich nicht umkehrbar, obwohl die Energie insgesamt immer erhalten bleibt. Entropie ist also der Grad von Vermischung und Unverfügbarkeit, in die alle Energie (aber letztlich auch alle Materie) in geschlossenen Systemen nach und nach unumkehrbar (irreversibel) und unwiderruflich überführt wird: Die Energie der Welt bleibt immer konstant, die Entropie der Welt strebt dagegen immer einem Maximum zu.

Entropie ist somit physikalisch ein Zustand, kein Vorgang: Sie ist das Maß für den Anteil zerstreuter, nie wieder nutzbarer Energie. Alle geschlossenen Systeme streben auf einen Endzustand zu, in dem zwar alle Energie noch vorhanden ist, aber nie mehr genutzt werden kann, in dem die Entropie also 100 % beträgt. Offene Systeme können dagegen ihre Entropie herabsetzen, jedoch nur, indem sie sie an die Umgebung abgeben, die Entropie also an anderer Stelle erhöhen.

In geschlossenen Systemen entsteht eine Zielenergie oder Zielmaterie also immer nur durch gleichzeitige Vermehrung der Entropie an anderer Stelle. Das gilt nicht nur für das Recycling, sondern auch für die primäre Produktion. Die Kraft einer Dampfmaschine z. B. kann nur durch eine ungleich höhere Produktion von sinnloser Abfallwärme erzeugt werden. Die Produktion eines einzigen Pkw erzeugt 25 t Abfälle. In der Chemie beträgt der Anfall unerwünschter Nebenprodukte heute das Fünffache des Zielprodukts.

Die einzige nennenswerte Größe, die in das ansonsten weitgehend geschlossene System unserer Erde eindringt, ist die Sonneneinstrahlung. Andere Größen wie Meteoriten, Satelliten, Radiowellen usw. können aufgrund ihres verschwindend geringen Größenanteils in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. Die einzige Institution, die auf dieser Erde bisher die Entropie in großem Stil verringert hat, ist die Natur, die Evolution. Zwar kann sie auch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik nicht aufheben, aber sie hat die einzige systemexterne Energie, die dem Globus zur Verfügung steht, raffiniert und konsequent ausgenutzt: Sie hat mit Hilfe der Sonnenenergie im Laufe von Jahrmilliarden aus einem toten Gestirn die Potentiale dieser Erde aufgebaut: die Bodenschätze, Ressourcen, Rohstoffe, gewaltige Reserven von gebundener Energie in Form von Sauerstoff, Nahrung, Wind- und Wasserkraft. Sie hat ein gewaltiges genetisches Potential geschaffen in Form einer Vielfalt von immer höher entwickelten, immer wunderbareren Arten. Nur die physikalisch-biologische Evolution hat wirklich Syntropie geschaffen, hat Materie und Energie aus dem Chaos in den Zustand der Konzentration und Verfügbarkeit geführt, ohne dafür an anderer Stelle Potentiale zu verbrauchen, Entropie zu erzeugen (es sei denn, auf der Sonne).

Im Urzustand war die Erde ein glühender Ball, vor allem aus Metallgasen wie Eisen und Nickel sowie aus Silizium. Sie bestand einerseits aus einem ungeheuren Energiepotential, andererseits materiell aus einer maximalen Vermischung von überall Gleichem. Es herrschte ein Minimum an Energie-Entropie, aber zugleich ein Maximum an Material-Entropie. Im Zuge der Abkühlung entstanden erste Differenzierungen, erste Vielfalt: Gesteine, Bodenschätze bildeten sich, erste Bakterien. Die Material-Entropie nahm zwar auf Kosten der Energie-Entropie ab. Insgesamt nahm aber die Entropie in der Bilanz zu, vor allem durch die gewaltige Energie-Abstrahlung. Von irgendeinem Zeitpunkt an ließ die Energie-Abstrahlung nach. Die Sonneneinstrahlung überwog. Die Erde war materiell ein (fast) geschlossenes System geworden, dessen Entropie nur noch zunehmen konnte.

Nur die externe Sonnenenergie konnte noch Entropie abbauen. Von jetzt an bestand die Entwicklung aus einem Wechselspiel zwischen unumkehrbarer Entropievermehrung einerseits und Evolution mit Hilfe der Sonnenenergie andererseits.

Die Sonnenenergie hat also aufgrund der physikalischen Gesetze eine Schlüsselstellung auf unserer Erde: Wir leben so oder so von Sonnenenergie. Wenn wir die fossilen Energievorräte, die gespeicherte Sonnenenergie aus dem Vorratskeller der Erde weiter plündern, erhöhen wir die Entropie, vernichten wir mehr Potentiale, als wir aufbauen. Der Mensch kann Entropie nur aufhalten, wenn er sich der unmittelbaren Sonnenenergie bedient, sei es direkt durch Gewinnung von Solarenergie, sei es indirekt durch Landwirtschaft, Wind- und Wasserkraft. Im Bereich der Bodenschätze kann er Entropie niemals aufhalten.

Der Soziologe Bernd Guggenberger kommt deshalb zu sehr pessimistischen Schlüssen: »Jede Ordnungsleistung durch den Menschen wird mit einem überproportionalen Anwachsen von Unordnung bezahlt, … verschlingt einen zusätzlichen Teil des gestaltbaren Vorrats. … Zum entropischen Katastrophenwachstum gehört, dass nicht nur wächst, was wachsen soll. Die Zweitnatur aus ungewollten … Handlungsfolgen … dementiert … die Planungskonzepte der Moderne.«4

Auch Georgescu-Roegen beurteilt die weitere Entwicklung pessimistisch: »Wenn wir über Details hinwegsehen, können wir sagen, dass jedes neugeborene Baby ein menschliches Leben weniger in der Zukunft bedeutet. Aber auch jeder Cadillac, der irgendwann einmal produziert wird, bedeutet weniger Leben in Zukunft«.5

Ist also das Entropiegesetz das »Grundgesetz vom Niedergang«,6 eine Art Katastrophentheorie?

Die Physik bietet an sich zu einer derart pessimistischen Sicht nur teilweise Anlass. Man muss unterscheiden zwischen dem Bereich der festen, anorganischen Stoffe und dem Bereich der Energien und organischen Stoffe. Im Bereich der anorganischen Stoffe, der Bodenschätze, kann der Mensch Entropie niemals aufhalten. Hier ist Anti-Entropie keine großartige Frage von Ökosystemen, sondern eine schlichte, sehr lineare Frage des Sparens, des Verzichts und der Rückgewinnungstechnik. Anders im Bereich der Energie und der organischen Stoffe: Hier könnte der Mensch von der Physik her mit Hilfe von Sonnenenergienutzung im industriellen Maßstab durchaus mehr Potentiale aufbauen, als er verbraucht und als vor seinem Eintreten in die Geschichte auf der Erde vorhanden waren. Er könnte sein Wirtschaften in Naturkreisläufe einbetten oder eigene ökologische Produktions-/Verbrauchssysteme entwickeln und so im großen Stil Syntropie und neue Potentiale schaffen.

Wenn er dies heute tatsächlich nicht kann, so also nicht wegen der physikalischen Gesetze, sondern wegen der Übervölkerung, wegen seines überzogenen Verbrauchs, wegen seines eigenen Verhaltens. Die Katastrophe ist also keineswegs in der Natur angelegt, sondern nur im Menschen. Und die Katastrophe kann so oder so nur aufgehalten werden, wenn der Mensch entweder in die Gesetze des Sonnenlimits zurückkehrt oder aber eine unschädliche Methode erfindet, sich über das Sonnenlimit hinwegzusetzen.

Noch ein Wort zur Geschichte der Entropie-Diskussion: Das Entropie-Gesetz wurde erstmalig 1865 von Rudolf Clausius im 2. Hauptsatz der Wärmelehre formuliert. Es galt zuerst einmal nur für Energievorgänge, lässt sich aber auch auf Flüssigkeiten und Gase anwenden. Mit der Anwendung auf feste Stoffe hat die Physik ihre Schwierigkeiten, weil die Vorgänge hier nicht ohne weiteres beweisbar und quantifizierbar sind. Gleichwohl bedarf es keines Beweises, dass das Entropie-Gesetz auch hier gilt. Wenn die endogenen Kräfte der Erde eines Tages ermüden und keine neue Auffaltung von Gebirgen mehr stattfindet, wird alles Land mit der Zeit erodieren und ins Meer gespült werden. Auch die Materie unseres Globus strebt, wie in allen geschlossenen Systemen, ständig einem Maximum an Entropie zu: in einigen Jahrmilliarden ist er nur noch ein einziger lauwarmer, mitteltiefer Ozean.

Auch diese Tatsache ist seit langem bekannt und anerkannt. Max Weber kritisierte bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts, dass Wilhelm Ostwald zu sehr die Energie-Entropie in den Vordergrund stelle und dabei die Material-Entropie vernachlässige.

Die Entdeckung der Entropie entstand also etwa gleichzeitig mit der Evolutionstheorie. Im Gegensatz zur letzteren wurde ihre ganze Tragweite als universelles Prinzip jedoch erst in jüngerer Zeit erkannt. Der Zusammenhang zwischen Entropie und Evolution wurde erst um 1940 hergestellt. Das Entropiegesetz war der erste große Schritt zur Überwindung des starren Determinismus der Mechanik des 18. Jahrhunderts, von dem auch die konventionelle, die »klassische« Ökonomie sehr stark beeinflusst wurde. Mechanik befasst sich mit linearen, quantifizierbaren, umkehrbaren Prozessen und kleinen Zahlen. Ein mechanisches Pendel kehrt auch nach einer Störung seiner Bewegungsabläufe schließlich in seinen Ruhestand zurück und vergisst die Störung. Diese Zeitvergessenheit der Mechanik wird von der heutigen Physik beanstandet, vor allem von Prigogine.8 Das Entropiegesetz bietet die Möglichkeit, sie zu überwinden: Die dynamische, kosmologische Welt vergisst nie. Wird die Umlaufbahn eines Planeten durch den Einschlag eines Meteoriten gestört, wird sie, all den schönen mathematischen Trajektorien zum Trotz, nie wieder den alten Verlauf nehmen. Zeit ist gerichtet. Jeder Zustand, jeder Vorgang ist irreversibel, birgt immer seine ganz eigene gesammelte Geschichte in sich und entwickelt seine ganz eigene, neue Geschichte.

Dies hat vor allem der rumänisch-amerikanische Ökonom Nicholas Georgescu-Roegen erkannt, als er 1971 das Entropiegesetz auf die Vorgänge der Ökonomie übertrug. Er begriff, dass auch Wirtschaftsprozesse irreversibel sind und von der Natur niemals vergessen werden, und formulierte den – wie er es nannte – vierten Hauptsatz der Thermodynamik: Materie, deren Verfügbarkeit einmal zerstört ist, kann niemals wieder in den Wirtschaftsprozess zurückgeführt werden. Und: ein geschlossenes System kann nicht für alle Zeit Arbeit mit gleichbleibendem Ertrag leisten. Damit führte er die schönen Kreislauf-Modelle der Ökonomen ad absurdum, die so tun, »als ob man aus Möbeln wieder Bäume machen könne«. Nun unterscheidet ja die Makroökonomik seit jeher zwischen offenen und geschlossenen Kreisläufen. Offene Kreisläufe sind in der Lage, Höhen und Senken abzubilden und somit auch das Problem der erschöpfbaren Ressourcen. Genau genommen können Kreislaufmodelle jedoch nur für Vorgänge gelten, die sich der Sonnenenergie bedienen, also etwa für Naturprozesse oder Vorgänge aus der Landwirtschaft. Namhafte Ökonomen glauben denn auch, Georgescu-Roegen werde »das Weltbild des 21. Jahrhunderts mehr beeinflussen als alle bisherigen Nobelpreisträger«.9 Inzwischen haben neben der nicht-linearen Thermodynamik auch Denkansätze der Synergetik und der Katastrophentheorie Eingang in die sogenannte evolutorische Ökonomie gefunden.

Im deutschen Sprachraum wurde der Entropie-Begriff vor allem 1989 durch ein Buch von Christian Schütze bekannt.10 Inzwischen ist das Thema Prüfungsstoff an progressiveren Wirtschaftsfachbereichen von Hochschulen. Gleichzeitig hat Prigogine gewisse Fähigkeiten der Materie entdeckt, sich in Extremsituationen selbst neu zu strukturieren. Diese Selbststrukturierungstendenz könnte Ansätze enthalten, die eines Tages über das Entropiegesetz hinausweisen.

Tatsächlich kennt die Physik inzwischen eine Reihe von Beispielen, in denen thermodynamische Prozesse nicht mehr in Auflösung und Unordnung führen, sondern in neue Selbstorganisation und Ordnung, zum Beispiel das Phänomen der »Bénard-Zellen«. Der unumkehrbare Zeitpfeil wird hier zugunsten völlig neuer, dynamischer Zeitwelten aufgehoben. Tatsächlich ist der Zeitpfeil ja nie ein Naturgesetz gewesen, sondern allenfalls eine extrem hohe statistische Wahrscheinlichkeit.

Die neue Stufe eines post-entropischen Weltbildes, die sich hier vermutlich abzuzeichnen beginnt, hilft uns allerdings bei der praktischen Bewältigung der alltäglichen Entropie-Vermehrung im Augenblick noch wenig. Schon gar nicht bietet sie derzeit Anlass zu der vermeintlich »progressiven« Erwartung, die irdische Natur könne nicht nur durch die Sonne, sondern auch durch Selbstorganisation aus ihrer unaufhaltsamen Entwertung durch den Menschen herausfinden und uns zu neuer, unendlicher Prosperität führen. Für solchen Optimismus sind die beobachteten Grenzfälle wohl doch noch etwas zu marginal, ihre praktische Umsetzbarkeit noch zu wenig in Sicht.

1. Entropie ist

– das Maß der Unordnung, Zerstreuung, Vermischung, Nivellierung, Zerwirtschaftung, ist Potentialverlust, Gefälleverlust, Konzentrationsverlust, Chaos, Müll

– die ständige, unausweichliche, unumkehrbare Umwandlung von verfügbarer Materie und Energie in nie wieder verfügbare

– die Zerstörung von »Verfügbarkeit«.

2. In einem »geschlossenen System« (wie der Erde)

– kann sich die Entropie niemals verkleinern, sondern

– strebt immer einem Maximum zu.

3. Alle Wirtschaftsprozesse/Arbeitsvorgänge

– zerstören stets ein Vielfaches der Verfügbarkeit, die sie erzeugen (erzeugen also stets ihr »ungewolltes Gegenteil« mit).

4. Neue Verfügbarkeit (Anti-Entropie, Syntropie)

– kann in dem »geschlossenen System« Erde nur mit Hilfe der einzigen externen Energie, der Sonnenenergie aufgebaut werden, und zwar

– nur im Bereich der Energien und der organischen Stoffe

– nicht im Bereich der festen, anorganischen Stoffe (Bodenschätze).

Jeder Arbeitsvorgang, der Material oder Energie bewegt, vermehrt die Entropie auf dieser Erde. Diese Entropievermehrung ist immer dann ein für alle Mal unumkehrbar, wenn sie nicht mittelbar oder unmittelbar mit Hilfe der Sonnenenergie rückgängig gemacht werden kann.

Bauen und Energie

Industrialisierung und Sonnenlimit

Durch den Zugriff des Menschen auf die fossilen Energien gelang es in der Geschichte der Galaxie erstmalig einer Art, ihren Energieverbrauch und ihre Population über das Sonnenlimit hinaus auszudehnen. Der so überzogene Verbrauch läßt sich aus physikalischen Gründen quantitativ nicht durch Solarenergie ersetzen. Die Entwicklung unschädlicher Ersatzquellen für den überzogenen heutigen Gesamtbedarf ist nicht möglich. Keine realistische Alternative ohne vorherige Einsparung!

Erdgeschichte, Naturgeschichte und Kulturgeschichte lassen sich darstellen als Wechselspiel von Evolution und Entropievermehrung. Überall da, wo es der Natur gelang, sich der Sonnenenergie zu bedienen, waren kontinuierlich Höherentwicklung und größere Verfügbarkeit möglich. Sie entstanden auf Kosten höherer Entropie auf der Sonne. Und sie entstanden aufgrund empfindlicher Gleichgewichte: des Gleichgewichts aus Masse und Geschwindigkeit, aus Anziehungs- und Fliehkraft, die den Planeten auf einer bestimmten, stets gleichen Entfernung zur Sonne hielt. Und aufgrund des noch empfindlicheren Gleichgewichts aus Einstrahlung und Abstrahlung von Energie des sonst geschlossenen Systems Erde – ein Gleichgewicht, das erst im Verlauf von Jahrmilliarden aufgebaut wurde, vor allem durch die regulierenden Gashüllen. Diese komplizierten Gleichgewichte waren notwendig, um auf einem unter Milliarden Gestirnen für einen kurzen Weltzeitraum höher entwickeltes Leben aufzubauen.

Natur und Naturvölker ordneten sich in diese Gleichgewichte ein. Die Geschichte der Verletzung dieser Gleichgewichte, die Geschichte der Entropievermehrung durch den Menschen ist vor allem die Geschichte der abendländischen Kultur und Zivilisation. Der Mensch verwandelte zuerst immer dort die Natur in Steppe oder Wüste, wo wir heute die Ursprünge dieser abendländischen Kultur ausmachen: etwa in Mesopotamien und im Mittelmeerraum.

Natürlich hat nicht alle abendländische Kultur die Entropie vermehrt. Zum einen hielten sich die Eingriffe früher noch in Grenzen, konnten zum größten Teil durch die Regenerationsfähigkeit der Natur wieder ausgeglichen werden. Zum anderen können Kulturprodukte wie z. B. menschliche Bauwerke durchaus der Entropie entgegenwirken, indem sie die Verfügbarkeit erhöhen. Die Pyramiden, die chinesische Mauer, die großen Kathedralen (Abb. 1) haben zweifellos Material aus dem Zustand der Vermischung in höhere Verfügbarkeit überführt. Sie haben dabei auch keine Energieentropie erzeugt, weil sie sich auf dem Umweg über Körperkraft der Sonnenenergie bedient haben.

Nur im Bereich der anorganischen Bodenschätze ist die Entropie unumkehrbar, nicht aber im Bereich der Energie. Hier kann Entropie vermieden werden, wenn sich der Mensch innerhalb des Sonnenlimits bewegt. Sie könnte sogar umgekehrt werden, wenn der Verbrauch die Ausbeute unterschreitet, wenn also Sonnenenergie-Potentiale auf Vorrat gebunden und gesammelt würden, wenn zum Beispiel mehr Wälder aufgeforstet als gerodet würden.

Alle Natur ist immer innerhalb des Sonnenlimits geblieben. Es gab immer nur so viele Pflanzen und Tiere, wie es der Brennstoff Sonnenenergie maximal zuließ: viele Grasfresser, weniger Laub- und Früchtefresser, noch weniger Raubtiere. Grundlage für alle natürliche Nutzung von Sonnenenergie ist letztlich die Photosynthese. Sie ist der einzige Produzent des Brennstoffs Nahrung, aber letztendlich auch der Produzent aller anderen Energien. Auch alle fossilen Energieträger sind Produkte früherer Photosynthese, komprimierte Sumpfwälder. Und selbst der Mensch hat sich jahrtausendelang weitgehend innerhalb der Gesetze der Sonne bewegt. Die dramatische Wende kam erst mit der Industrialisierung: durch den Zugriff auf die fossilen Energien konnte erstmalig in der Erdgeschichte eine Art die Gesetze der Sonne durchbrechen und ihre Population gewaltig über das Sonnenlimit hinaus ausdehnen. Der Mensch konnte dies freilich nur, indem er die gespeicherte Sonnenenergie von Jahrmillionen in wenigen Jahrzehnten verbrauchte. Spätestens wenn diese Vorräte verbraucht sind, droht seine Überpopulation wieder in sich zusammenzubrechen – wie andere vorübergehende Überpopulationen vor ihm.

Dieses Zusammenbrechen ließe sich theoretisch aufhalten, wenn es gelänge, den jetzigen Verbrauch fossiler Energien durch Solarenergie zu ersetzen. Allerdings hat die Natur seinerzeit Jahrhunderttausende gebraucht, um mit Hilfe der Sonne die fossilen Energien anzuhäufen, die die Menschheit heute in einem einzigen Jahr verbraucht. Umgekehrt: Wollte der Mensch diese Menge an Solarenergie in einem Jahr einfangen, brauchte er dazu entweder die hunderttausendfache Fläche oder aber eine hunderttausendfach intensivere Ausbeute pro Fläche als seinerzeit die Sumpfwälder, die Kollektoren des Karbons. Beides lässt sich nicht denken. Selbst wenn es der Menschheit also eines Tages gelänge, mit einer gewaltigen technischen Anstrengung alle auf diesem Globus verfügbare Sonnenenergie nutzbar zu machen, könnte sie damit ihren heutigen Energieverbrauch auch nicht entfernt aufrechterhalten.

Es kann also nicht etwa zwischen Solarenergie und Einsparung gewählt werden. Vielmehr müssen beide Möglichkeiten mit äußerster Anstrengung vorangetrieben werden.

Das gilt selbst dann, wenn man mittelbare Möglichkeiten der Solarnutzung einbezieht, also Wind- und Wasserkraft oder die Verbrennung von Biomasse. Letztere wird vor allem durch die Begrenztheit der Ressource Boden eingeschränkt. In den letzten 10 Jahren sind 10 % der Böden dieser Erde unwiederbringlich verloren gegangen, d. h. ins Meer gespült worden. Boden ist aber eine unverzichtbare Ressource, weil nur er die Grundlage für Vegetation und damit für die Photosynthese liefert. Die Photosynthese ist aber der einzige Lieferant für den Brennstoff Nahrung. Die Verbrennung von Biomasse konkurriert also auf den immer knapperen Böden mit der Nahrungsproduktion. Auch die Steigerungsmöglichkeit durch Mineralvorräte für künstliche Düngung ist begrenzt und kann das Sonnenlimit allenfalls vorübergehend erweitern.

Die einzige vermutlich unschädliche Energie, die nicht nur auf Sonnenenergie zurückgeht, ist die Erdwärme. Ihre Nutzung verursacht fast keine Betriebskosten, aber hierzulande hohe Investitionskosten, weil die Bohrungen weitaus tiefer sein müssen als etwa in Island oder Neuseeland. Sie lässt sich nur in bestimmten Regionen mit bestimmten geologischen Voraussetzungen nutzen und überdies in Deutschland beim jetzigen Stand der Technik nur für Heizwärme, nicht zur Stromerzeugung. In Deutschland werden derzeit 20 Anlagen mit zusammen 40 Megawatt betrieben. Man rechnet mit einem möglichen Gesamtpotential von 20 000 Megawatt. Das entspräche einem Äquivalent von 17,5 Mio. t Erdöl pro Jahr.

Trotz ihres noch sehr geringen Anteils an der Stromerzeugung haben die alternativen Energien enorme Zuwachsraten. Sie könnten nach Rechnungen der Enquete-Kommission und namhafter Institute noch bei weitem höher sein, wenn sie mit einem Bruchteil der Gelder gefördert würden, die für die Steinkohle- und Atomwirtschaft aufgewandt wurden und noch werden. Auch die Stromwirtschaft erhält ja, ähnlich wie der Autoverkehr, auf kaltem Wege enorme Subventionen, einfach weil sie ihre Folgekosten nicht tragen muss: die Emissionsschäden an Gebäuden, Böden, Wäldern und Klima, die sich nach Rechnungen verschiedener Institute auf jährlich 70 Milliarden Mark belaufen. Gleichzeitig mussten allein in Bayern in den letzten 40 Jahren 6000 Wasserkraftwerke wegen der zu geringen Strompreisvergütung schließen. Die Stromerzeugung aus Wasserkraft könnte in Deutschland mühelos von 22 auf 35 Milliarden Kilowattstunden gesteigert werden. Die zu schwerfälligen Stromkonzerne müssten ihre Angebotspalette strukturell erweitern und statt des Produkts »Strom« künftig zum Beispiel das Produkt »Warmes Haus« anbieten.

Es gibt also prinzipiell nur zwei Möglichkeiten: der Mensch passt sich dem Sonnenlimit wieder an, oder er versucht, sonnenunabhängige, atomare Energievorräte auf der Erde zu entfesseln. Alle anderen Wege führen in den Zusammenbruch nach Erschöpfung der fossilen Energien.

Die Nutzung von Atomenergie birgt die bekannten Risiken. Sie ist vor allem ein Eingriff in das empfindliche Gleichgewicht aus Energieeinstrahlung und Energieabstrahlung auf unserer Erde. Nur dieses Gleichgewicht ermöglicht zurzeit Lebenstemperaturen auf unserem Planeten als dem einzigen unter Milliarden. Sie werden vor allem gewährleistet durch die außergewöhnlich empfindliche Zusammensetzung, durch den Grad der Durchlässigkeit unserer Erdatmosphäre und deren Austauschvorgänge mit den Weltmeeren. Es waren Jahrmilliarden nötig, um dieses Gleichgewicht aufzubauen und einzupendeln. Sowohl die Nutzung der fossilen wie auch der atomaren Energien greift empfindlich in dieses Gleichgewicht ein. Der CO2-Ausstoß der fossilen Energien führt die Erde zum Teil in physikalische Zustände der Erdgeschichte zurück, wie sie vor der Ansammlung dieser Energien herrschten. Atomenergie wirft zwar kein CO2-Problem auf und erzeugt keinen Treibhauseffekt. Gleichwohl erhöht sie die Erdtemperatur. Bei Ausdehnung des Standards der Industrieländer auf die gesamte Weltbevölkerung würde sich die jährliche Durchschnittstemperatur um über 5° C erhöhen. Eine Erhöhung von nur 2° C entspräche den Temperaturverhältnissen im Tertiär – als an der Themse Verhältnisse wie am Nil herrschten. Niemand weiß, ob sich die Temperatur nur auf einem höheren Niveau einpendeln wird oder ob die zusätzlich erzeugten Energien nicht vollständig in den Weltraum abgestrahlt werden können und die Erdtemperatur deshalb immer weiter erhöhen werden. Hinzu kommen die bekannten anderen Risiken der Entsorgung und der Beherrschbarkeit. Auch sind die Uran-Vorräte so begrenzt, dass sich Investitionen in die Weiterentwicklung von uranabhängigen Technologien schon nicht mehr lohnen. Gleichwohl wird man vermutlich den Weg der Atomnutzung weiterbeschreiten, um den Verzicht auf überhöhte Standards und das Zusammenbrechen der Überpopulation zu verhindern.